SCHLUSSANTRÄGE DER GENERALANWÄLTIN
TAMARA ĆAPETA
vom 7. November 2024(1 )
Rechtssache C ‑538/23
ÖBB ‑Infrastruktur AG,
WESTbahn Management GmbH,
Beteiligte:
Schienen-Control Kommission
(Vorabentscheidungsersuchen des Bundesverwaltungsgerichts [Österreich])
„ Vorabentscheidungsersuchen – Eisenbahnverkehr – Richtlinie 2012/34/EU – Art. 31 – Entgeltgrundsätze für die Nutzung der Eisenbahninfrastruktur – Art. 32 – Ausnahmen von den Entgeltgrundsätzen – Erhebung von Aufschlägen – Veröffentlichung von Aufschlägen in den Schienennetz-Nutzungsbedingungen – Art. 56 – Verfahren zur Genehmigung von Aufschlägen “
I. Einleitung
1. Zur Verbesserung der Effizienz des Eisenbahnverkehrssystems hat die Europäische Union mit der Richtlinie 2012/34 einen einheitlichen europäischen Eisenbahnraum geschaffen(2 ).
2. Mit dem vorliegenden Vorabentscheidungsersuchen wird der Gerichtshof gebeten, im Wege der Auslegung zu ermitteln, inwieweit die Richtlinie 2012/34 das Verfahren zur Genehmigung von Entgelten (insbesondere Aufschlägen) für die Nutzung von Eisenbahninfrastruktur regelt.
II. Sachverhalt des Ausgangsverfahrens, Vorlagefragen und Verfahren vor dem Gerichtshof
3. Bei der Regulierung des Eisenbahnverkehrs nach der Richtlinie 2012/34 handelt es sich um einen äußerst technischen Bereich des Unionsrechts. Um das Verständnis seiner Feinheiten und des vom vorlegenden Gericht dargestellten Sachverhalts zu erleichtern, werde ich diesen im Folgenden in drei Bereiche unterteilen und erörtern: erstens die Parteien des Ausgangsverfahrens, zweitens die beiden relevanten Ausgaben der Schienennetz-Nutzungsbedingungen und drittens die zeitliche Abfolge des Rechtsstreits auf nationaler Ebene.
A. Parteien des Ausgangsverfahrens
4. Zunächst möchte ich die drei Beteiligten des Ausgangsverfahrens vorstellen.
5. Die ÖBB‑Infrastruktur AG (im Folgenden: ÖBB) ist ein „Infrastrukturbetreiber“. Nach Art. 3 Nr. 2 der Richtlinie 2012/34 ist dieser für die Einrichtung, die Verwaltung und die Unterhaltung der Fahrwege der Eisenbahn, einschließlich Verkehrsmanagement, Zugsteuerung/Zugsicherung und Signalgebung, zuständig.
6. Die Schienen-Control Kommission (im Folgenden: SCK) ist die österreichische Regulierungsstelle, die gemäß den Art. 55 und 56 der Richtlinie 2012/34 eingerichtet wurde(3 ).
7. In Österreich ist diese Regulierungsstelle nach geltendem nationalen Recht u. a. für die Genehmigung der vom Infrastrukturbetreiber festgesetzten Aufschläge zuständig.
8. Bei den Aufschlägen handelt es sich um Entgelte, die zusätzlich zu den Basisentgelten erhoben werden, um die direkten Kosten für die Nutzung der Eisenbahninfrastruktur zu decken. Die Mitgliedstaaten können solche Aufschläge nach Art. 32 Abs. 1 der Richtlinie 2012/34 erlauben, „[u]m eine volle Deckung der dem Infrastrukturbetreiber entstehenden Kosten zu erhalten“. Weiter heißt es dort, dass Aufschläge zulässig sind, wenn der Markt sie auf der Grundlage effizienter, transparenter und nicht diskriminierender Grundsätze „tragen“ kann.
9. Die WESTbahn Management GmbH ist ein „Eisenbahnunternehmen“ im Sinne von Art. 3 Nr. 1 der Richtlinie 2012/34(4 ).
B. Schienennetz-Nutzungsbedingungen
10. Der Infrastrukturbetreiber veröffentlicht die Kriterien für die Zuweisung von Fahrwegkapazität und die Entgelte für die Nutzung von Eisenbahninfrastruktur (im Folgenden: Wegeentgelte) in den Schienennetz-Nutzungsbedingungen(5 ).
11. Der vorliegende Rechtsstreit geht auf die Schienennetz-Nutzungsbedingungen der ÖBB für die Jahre 2018 und 2019 zurück.
12. Die veröffentlichten Wegeentgelte enthielten in beiden Ausgaben der Schienennetz-Nutzungsbedingungen Aufschläge für fünf genau bestimmte Marktsegmente. Dabei handelte es sich um die Segmente „eigenwirtschaftlicher Personenverkehr“, „gemeinwirtschaftlicher Personenfernverkehr“, „Nahverkehr stark“, „Nahverkehr schwach“ und „Güterverkehr nicht manipuliert“.
13. In den veröffentlichten Schienennetz-Nutzungsbedingungen 2018 wurde jedoch nur das für jedes Marktsegment zu zahlende Gesamtentgelt ausgewiesen, ohne die Unterteilung dieses Gesamtentgelts in direkte Kosten und Aufschläge zu erläutern. In den Schienennetz-Nutzungsbedingungen 2019 wurden dagegen die Entgelte für die direkten Kosten und Aufschläge je gefahrenen Zugtrassenkilometer für jedes Marktsegment getrennt ausgewiesen und das zu entrichtende Gesamtentgelt durch Summierung beider ermittelt.
14. Nach österreichischem Recht muss der Infrastrukturbetreiber die Genehmigung von Aufschlägen bei der SCK beantragen.
15. Am 12. August 2016 beantragte die ÖBB bei der SCK die Genehmigung für die in den Schienennetz-Nutzungsbedingungen 2018 veröffentlichten Aufschläge.
16. Am 18. August 2017 beantragte die ÖBB bei der SCK die Genehmigung für die in den Schienennetz-Nutzungsbedingungen 2019 veröffentlichten Aufschläge.
17. Die Schienennetz-Nutzungsbedingungen 2018 und 2019 enthielten jeweils einen Satz, in dem darauf hingewiesen wurde, dass das Genehmigungsverfahren zu den Aufschlägen gemäß geltendem nationalen Recht noch im Gange sei.
18. Für den Fall, dass „eine rechtskräftige Entscheidung in diesem Verfahren erst nach Beginn der Netzfahrplanperiode vorliegen“ sollte, wurde in den Schienennetz-Nutzungsbedingungen 2019 weiter ausgeführt, dass eine „Nach- bzw. Rückverrechnung von bis dahin allenfalls zu viel oder zu wenig verrechneten Wegeentgelten“ erfolgen könne.
C. Zeitliche Abfolge des Rechtsstreits auf nationaler Ebene
19. Hintergrund des vorliegenden Rechtsstreits ist eine unterschiedliche Auffassung der Parteien darüber, ob und in welchem Verfahren Aufschläge erhoben werden können. Folgendes hat sich zugetragen.
20. Mit Bescheid vom 12. Dezember 2016 genehmigte die SCK die von der ÖBB für die Netzfahrplanperiode 2018 beantragten Aufschläge, wogegen WESTbahn Management Beschwerde erhob. Am 5. Juli 2017 hob das Bundesverwaltungsgericht (Österreich)(6 ) diesen Bescheid aufgrund der Mangelhaftigkeit des Genehmigungsverfahrens auf und verwies die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurück an die SCK, die ihr Genehmigungsverfahren für die Netzfahrplanperiode 2018 fortsetzte.
21. Nachdem die ÖBB die Genehmigung der Aufschläge für 2019 beantragt hatte, verband die SCK diese beiden Verfahren. Darüber hinaus verband sie diese beiden Verfahren mit dem Verfahren zur Neuberechnung der direkten Kosten.
22. Nachdem die SCK die ÖBB aufgefordert hatte, die direkten Kosten neu zu berechnen, beantragte diese auch eine Änderung der Aufschläge für 2018 und 2019. Die ÖBB begründete ihren Antrag damit, dass sie verpflichtet sei, das vom zuständigen Ministerium vorgegebene Erlösziel zu erreichen.
23. Am 17. Dezember 2020 gab die SCK dem Antrag auf Genehmigung der Aufschläge zum Wegeentgelt 2018 und 2019 statt(7 ).
24. Mit Spruchpunkt 1 ihres Bescheids legte die SCK für die Netzfahrplanperiode 2018 für jedes der fünf Marktsegmente die Entgelte für die direkten Kosten je gefahrenen Zugtrassenkilometer fest und genehmigte die Aufschläge. Aus der Summe beider errechnete sie das zu entrichtende Gesamtentgelt. Mit Spruchpunkt 2 ging sie für die Netzfahrplanperiode 2019 entsprechend vor, indem sie für jedes der fünf Marktsegmente die Entgelte für die direkten Kosten je gefahrenen Zugtrassenkilometer festlegte und die Aufschläge genehmigte, um sodann aus beiden summiert das zu entrichtende Gesamtentgelt festzulegen.
25. Ich verstehe diese Erläuterung der Entscheidung der SCK durch das vorlegende Gericht dahin, dass zum einen die direkten Kosten infolge der Neuberechnung gesenkt wurden und zum anderen die von der ÖBB beantragte Erhöhung der Aufschläge genehmigt wurde, um trotz der Senkung der direkten Kosten das vorgegebene Erlösziel zu erreichen.
26. Sowohl die ÖBB als auch WESTbahn Management erhoben gegen diese Entscheidung eine Beschwerde, über die das vorlegende Gericht im Ausgangsverfahren zu entscheiden hat.
27. In seiner Vorlageentscheidung hat das vorlegende Gericht diesem Sachverhalt eine letzte Erwägung hinzugefügt: Die SCK lege ihren Berechnungen das von der Republik Österreich vorgegebene „Erlösziel“ zugrunde, das im Zusammenhang mit den Zuschüssen berechnet werde, die die ÖBB vom Staat erhalte.
28. In der Entscheidung der SCK hieß es: „Dieses Erlösziel (ohne Dienstzüge und ohne Ab-/Zuschläge) ist durch die Entgelte unter Berücksichtigung einer Unterteilung in direkte Kosten einerseits und Aufschläge andererseits zu decken. Während die Aufschläge zumindest einen Teil der Gemeinkosten, also der Fixkosten, abdecken sollen, dienen die Entgelte auf Basis der unmittelbar aufgrund des Zugbetriebs anfallenden Kosten der Abdeckung der direkten Kosten.“
D. Vorlagefragen
29. Vor diesem Hintergrund hat das vorlegende Gericht, das Bundesverwaltungsgericht, beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
1. Ist das Unionsrecht, insbesondere Art. 32 der Richtlinie 2012/34, dahin auszulegen, dass eine Genehmigung der Marktaufschläge durch den Mitgliedstaat ex ante vor Beginn (oder zumindest vor Ablauf) der betroffenen Netzfahrplanperiode, für welche die Marktaufschläge beantragt wurden, zu erfolgen hat; oder kann der Mitgliedstaat die Genehmigung der Marktaufschläge auch ex post nach Ablauf der betroffenen Netzfahrplanperiode (gegebenenfalls Jahre später) genehmigen? Ist unter einer Genehmigung der Marktaufschläge durch den Mitgliedstaat im Sinne des Art. 32 der Richtlinie 2012/34 eine rechtskräftige Genehmigung zu verstehen?
2. Ist das Unionsrecht, insbesondere Art. 32 Abs. 1 und 6 in Verbindung mit Art. 27 Abs. 4 der Richtlinie 2012/34, dahin auszulegen, dass – in zeitlicher Abfolge – die Marktaufschläge (bei Änderung wesentlicher Bestandteile) zuerst in den Schienennetz-Nutzungsbedingungen (gegebenenfalls unter Genehmigungsvorbehalt) zu veröffentlichen und erst nach ihrer Veröffentlichung durch den Mitgliedstaat zu genehmigen sind? Liegt eine Änderung wesentlicher Bestandteile nach Art. 32 Abs. 6 der Richtlinie 2012/34 bereits vor, wenn „lediglich“ die Höhe der Marktaufschläge in Relation zur Netzfahrplanperiode des Vorjahres geändert wird?
3. (Bei Bejahung von Frage 2 erster Satz:) Ist das Unionsrecht, insbesondere Art. 32 Abs. 1 und 6 in Verbindung mit Art. 27 Abs. 2 und 4 der Richtlinie 2012/34 in Verbindung mit Anhang IV Nr. 2 der Richtlinie 2012/34 – gelesen im Lichte des Transparenzgebots und der Planungssicherheit des 34. Erwägungsgrundes der Richtlinie 2012/34 – dahin auszulegen, dass Marktaufschläge vom Mitgliedstaat nicht genehmigt werden dürfen, wenn die Höhe der Marktaufschläge selbst nicht in den Schienennetz-Nutzungsbedingungen für die betroffene Netzfahrplanperiode (für die diese Marktaufschläge zur Genehmigung beantragt wurden) veröffentlicht wurden? Vielmehr in diesen Schienennetz-Nutzungsbedingungen nur ein Gesamtentgelt pro gefahrenen Zugkilometer (als Summe der Entgelte für die direkt durch den Zugbetrieb angefallenen Kosten nach Art. 31 Abs. 3 der Richtlinie 2012/34 und der Marktaufschläge nach Art. 32 der Richtlinie 2012/34) für jedes Marktsegment veröffentlicht wurde; die Eisenbahnunternehmen somit aus diesen Schienennetz-Nutzungsbedingungen weder die Entgelte für die „direkten Kosten“ (im Sinne des Art. 31 Abs. 3 der Richtlinie 2012/34 in Verbindung mit Art. 2 Nr. 1 der Durchführungsverordnung [EU] 2015/909 der Kommission vom 12. Juni 2015 über die Modalitäten für die Berechnung der Kosten, die unmittelbar aufgrund des Zugbetriebs anfallen [ABl. 2015, L 148, S. 17]) noch die Marktaufschläge nach Art. 32 der Richtlinie 2012/34, je Marktsegment, in Erfahrung bringen konnten.
4. (Bei Bejahung von Frage 2 erster Satz:) Ist das Unionsrecht, insbesondere Art. 32 Abs. 1 und 6 in Verbindung mit Art. 27 Abs. 4 der Richtlinie 2012/34 – gelesen im Lichte des Transparenzgebots und der Planungssicherheit des 34. Erwägungsgrundes der Richtlinie 2012/34 – dahin auszulegen, dass die in den Schienennetz-Nutzungsbedingungen für die betroffene Netzfahrplanperiode veröffentlichten Marktaufschläge Bindungswirkung für die Genehmigung durch den Mitgliedstaat entfalten? Resultiert aus dieser Bindungswirkung, dass der Mitgliedstaat keine höheren Marktaufschläge je Marktsegment genehmigen darf, als in den zugehörigen Schienennetz-Nutzungsbedingungen veröffentlicht wurden? Oder besteht nur insoweit eine Bindungswirkung, als die genehmigten Gesamtentgelte (das sind die Entgelte für die „direkten Kosten“ nach Art. 31 Abs. 3 der Richtlinie 2012/34 in Verbindung mit Art. 2 Nr. 1 der Durchführungsverordnung 2015/909 zuzüglich Marktaufschläge nach Art. 32 der Richtlinie 2012/34) nicht höher als in den Schienennetz-Nutzungsbedingungen veröffentlicht sein dürfen, die Marktaufschläge selbst hingegen schon höher als in den Schienennetz-Nutzungsbedingungen veröffentlicht genehmigt werden dürfen? Ist auch eine höhenmäßige Bindungswirkung des an den Mitgliedstaat ursprünglich gestellten Genehmigungsantrages hinsichtlich der Marktaufschläge gegeben, und, falls ja, in welcher Richtung (keine Erhöhung, keine Senkung mehr zulässig)? Gibt es eine andere Form der Bindungswirkung?
5. Ist das Unionsrecht, insbesondere Art. 32 Abs. 1 der Richtlinie 2012/34, dahin auszulegen, dass zur Bestimmung der grundsätzlichen Zulässigkeit von Marktaufschlägen (abseits der zu prüfenden Marktragefähigkeit) – also zum Zwecke der vollen Deckung der Kosten des Infrastrukturbetreibers – nicht von einem dem Eisenbahninfrastrukturbetreiber durch den Mitgliedstaat vorgegebenen zu erzielenden Gesamterlös („Erlösziel“), bestehend aus der Summe der Entgelte für die direkt durch den Zugbetrieb angefallenen Kosten nach Art. 31 Abs. 3 der Richtlinie 2012/34 und der Marktaufschläge nach Art. 32 Abs. 1 der Richtlinie 2012/34, auszugehen ist; sondern die Kosten zur vollen Deckung zu ermitteln und festzustellen sind, um auf deren Boden beurteilen zu können, ob und in welcher Höhe gegebenenfalls Marktaufschläge genehmigt werden können? Sind bei dieser Bestimmung der grundsätzlichen Zulässigkeit von Marktaufschlägen (abseits der zu prüfenden Markttragefähigkeit) auch staatliche Zuschüsse des Mitgliedstaates an das Eisenbahninfrastrukturunternehmen zu berücksichtigen; falls ja, in welcher Form hat dies zu geschehen? Sind diese staatlichen Zuschüsse gegebenenfalls von den benötigten Kosten zur vollen Deckung (neben den Entgelten für die direkt durch den Zugbetrieb anfallenden Kosten) abzuziehen? Ist in diesem Zusammenhang das Unionsrecht, insbesondere Art. 32 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 2012/34 dahin auszulegen, dass der Mitgliedstaat neben den Entgelten für die direkt durch den Zugbetrieb anfallenden Kosten und allenfalls zu berücksichtigenden staatlichen Zuschüssen – alle weiteren Gewinne des Eisenbahninfrastrukturunternehmens aus anderen wirtschaftlichen Tätigkeiten und alle von diesem aus privater Quelle erhaltenen nicht rückzahlbaren Zuschüsse – zu bestimmen und in die Beurteilung der Frage der Zulässigkeit von Marktaufschlägen einzubeziehen hat; falls ja, in welcher Form hat dies zu geschehen, gegebenenfalls gleichermaßen durch deren Abzug von den benötigten Kosten zur vollen Deckung? Sind weitere vom Eisenbahninfrastrukturunternehmen eingehobene Entgelte – wie Entgelte für die Nutzung von Personenbahnsteigen („Stationsentgelte“) und Entgelte für die Nutzung von Versorgungseinrichtungen für Fahrstrom – sowie weitere betriebswirtschaftliche Positionen des Eisenbahninfrastrukturunternehmens in diese Beurteilung miteinzubeziehen?
30. Die ÖBB, WESTbahn Management, die SCK, die österreichische, die niederländische, die norwegische und die polnische Regierung sowie die Europäische Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht.
31. Eine mündliche Verhandlung hat nicht stattgefunden.
III. Rechtlicher Rahmen
A. Richtlinie 2012/34
32. Art. 4 der Richtlinie 2012/34 sieht die Unabhängigkeit der Eisenbahnunternehmen und Infrastrukturbetreiber vor:
„(1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass Eisenbahnunternehmen, die direkt oder indirekt Eigentum von Mitgliedstaaten sind oder von ihnen kontrolliert werden, in Bezug auf die Geschäftsführung, die Verwaltung und die interne Kontrolle der Verwaltungs‑, Wirtschafts- und Rechnungsführungsfragen eine unabhängige Stellung haben, aufgrund deren sie insbesondere über ein Vermögen, einen Haushaltsplan und eine Rechnungsführung verfügen, die von Vermögen, Haushaltsplan und Rechnungsführung des Staates getrennt sind.
(2) Der Infrastrukturbetreiber ist unter Beachtung der Rahmenbedingungen betreffend die Entgelterhebung und die Kapazitätszuweisung und der von den Mitgliedstaaten festgelegten Einzelvorschriften für seine eigene Geschäftsführung, Verwaltung und interne Kontrolle verantwortlich.“
33. Die Schienennetz-Nutzungsbedingungen sind in Art. 27 der Richtlinie 2012/34(8 ) wie folgt geregelt:
„(1) Der Infrastrukturbetreiber erstellt und veröffentlicht nach Konsultation mit den Beteiligten Schienennetz-Nutzungsbedingungen, die gegen Zahlung einer Gebühr, die nicht höher sein darf als die Kosten für die Veröffentlichung dieser Unterlagen, erhältlich sind. Die Schienennetz-Nutzungsbedingungen werden in mindestens zwei Amtssprachen der Union veröffentlicht. Ihr Inhalt wird unentgeltlich in elektronischer Form in dem Internetportal des Infrastrukturbetreibers bereitgestellt und über ein gemeinsames Internetportal zugänglich gemacht. Dieses Internetportal wird von den Infrastrukturbetreibern im Rahmen ihrer Zusammenarbeit nach den Artikeln 37 und 40 eingerichtet.
(2) Die Schienennetz-Nutzungsbedingungen enthalten Angaben zum Fahrweg, der den Eisenbahnunternehmen zur Verfügung steht, und zu den Zugangsbedingungen für den betreffenden Fahrweg. Die Schienennetz-Nutzungsbedingungen enthalten ferner Informationen zu den Bedingungen für den Zugang zu Serviceeinrichtungen, die an das Netz des Infrastrukturbetreibers angeschlossen sind, und für die Erbringung der Leistungen in diesen Einrichtungen oder verweisen auf eine Website, auf der diese Informationen unentgeltlich in elektronischer Form zur Verfügung gestellt werden. Anhang IV enthält den Inhalt der Schienennetz-Nutzungsbedingungen.
(3) Die Schienennetz-Nutzungsbedingungen sind auf dem neuesten Stand zu halten und bei Bedarf zu ändern.
(4) Die Schienennetz-Nutzungsbedingungen sind mindestens vier Monate vor Ablauf der Frist für die Beantragung von Fahrwegkapazität zu veröffentlichen.“
34. Durch Art. 29 Abs. 1 Sätze 1 bis 3 dieser Richtlinie werden die Aufgaben hinsichtlich der Entgeltrahmenregelung wie folgt verteilt:
„(1) Die Mitgliedstaaten schaffen eine Entgeltrahmenregelung, wobei die Unabhängigkeit der Geschäftsführung gemäß Artikel 4 zu wahren ist.
Vorbehaltlich dieser Bedingung legen die Mitgliedstaaten auch einzelne Entgeltregeln fest oder delegieren diese Befugnisse an den Infrastrukturbetreiber.
Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass die Schienennetz-Nutzungsbedingungen die Rahmenbedingungen und Vorschriften für die Entgelterhebung enthalten oder auf eine Website verweisen, auf der die Rahmenbedingungen und Vorschriften für die Entgelterhebung veröffentlicht sind.“
35. Hinsichtlich der Entgeltgrundsätze sind für meine Beurteilung die ersten drei Absätze von Art. 31 der Richtlinie 2012/34(9 ) relevant:
„(1) Entgelte für die Nutzung der Fahrwege der Eisenbahn und von Serviceeinrichtungen sind an den Infrastrukturbetreiber und den Betreiber der Serviceeinrichtung zu entrichten, denen sie zur Finanzierung ihrer Unternehmenstätigkeit dienen.
(2) Die Mitgliedstaaten verpflichten den Infrastrukturbetreiber und den Betreiber der Serviceeinrichtung, der Regulierungsstelle alle erforderlichen Informationen zu den erhobenen Entgelten vorzulegen, damit diese ihre in Artikel 56 genannten Funktionen wahrnehmen kann. Diesbezüglich müssen der Infrastrukturbetreiber und der Betreiber der Serviceeinrichtung den Eisenbahnunternehmen nachweisen können, dass die dem Eisenbahnunternehmen gemäß den Artikeln 30 bis 37 tatsächlich berechneten Wege- und Dienstleistungsentgelte den in den Schienennetz-Nutzungsbedingungen vorgesehenen Verfahren, Regeln und gegebenenfalls Tabellen entsprechen.
(3) Unbeschadet der Absätze 4 und 5 dieses Artikels und unbeschadet des Artikels 32 ist das Entgelt für das Mindestzugangspaket und für den Zugang zu Infrastrukturen, durch die Serviceeinrichtungen angebunden werden, in Höhe der Kosten festzulegen, die unmittelbar aufgrund des Zugbetriebs anfallen.
Die Kommission erlässt vor dem 16. Juni 2015 Maßnahmen zur Festlegung der Modalitäten für die Berechnung der Kosten, die unmittelbar aufgrund des Zugbetriebs anfallen. Diese Durchführungsrechtsakte werden gemäß dem Prüfverfahren nach Artikel 62 Absatz 3 erlassen[(10 )].
Der Infrastrukturbetreiber kann beschließen, diese Modalitäten schrittweise zu übernehmen; hierfür steht ihm ein Zeitraum von höchstens vier Jahren nach dem Inkrafttreten dieser Durchführungsrechtsakte zur Verfügung.“
36. Die Aufschläge sind in Art. 32 der Richtlinie 2012/34 geregelt, dessen Abs. 1 vorliegend einschlägig ist:
„(1) Um eine volle Deckung der dem Infrastrukturbetreiber entstehenden Kosten zu erhalten, kann ein Mitgliedstaat, sofern der Markt dies tragen kann, Aufschläge auf der Grundlage effizienter, transparenter und nichtdiskriminierender Grundsätze erheben, wobei die bestmögliche Wettbewerbsfähigkeit der Segmente des Eisenbahnmarktes zu gewährleisten ist. Die Entgeltregelung muss dem von den Eisenbahnunternehmen erzielten Produktivitätszuwachs Rechnung tragen.
Die Höhe der Entgelte darf jedoch nicht die Nutzung der Fahrwege durch Marktsegmente ausschließen, die mindestens die Kosten, die unmittelbar aufgrund des Zugbetriebs anfallen, sowie eine Rendite, die der Markt tragen kann, erbringen können.
Bevor die Mitgliedstaaten solche Aufschläge genehmigen, stellen sie sicher, dass die Infrastrukturbetreiber prüfen, inwieweit die Aufschläge für bestimmte Marktsegmente relevant sind; dabei ziehen sie mindestens die in Anhang VI Nummer 1 genannten Verkehrsdienst-Paare in Betracht und wählen die zutreffenden aus. Die Liste der von den Infrastrukturbetreibern festgelegten Marktsegmente umfasst mindestens die drei folgenden Segmente: Güterverkehrsdienste, Personenverkehrsdienste im Rahmen eines öffentlichen Dienstleistungsauftrags und andere Personenverkehrsdienste.
Die Infrastrukturbetreiber können Marktsegmente je nach Art der Güter- oder Personenbeförderung weiter untergliedern.
Marktsegmente, in denen Eisenbahnunternehmen gegenwärtig nicht tätig sind, in denen sie aber möglicherweise während der Laufzeit der Entgeltregelung Leistungen erbringen, werden ebenfalls festgelegt. Die Infrastrukturbetreiber nehmen in die Entgeltregelung für diese Marktsegmente keine Aufschläge auf.
Die Liste der Marktsegmente wird in den Schienennetz-Nutzungsbedingungen veröffentlicht und mindestens alle fünf Jahre überprüft. Die Regulierungsstelle nach Artikel 55 überwacht diese Liste gemäß Artikel 56.“
B. Österreichisches Recht
37. Gemäß § 67d Abs. 6 des Bundesgesetzes über Eisenbahnen, Schienenfahrzeuge auf Eisenbahnen und den Verkehr auf Eisenbahnen (Eisenbahngesetz, im Folgenden: EisbG) bedarf die Festsetzung von Aufschlägen der Genehmigung der SCK, die bei Vorliegen der in § 67d Abs. 1 EisbG genannten Voraussetzungen erteilt werden muss.
38. § 42 des Bundesgesetzes zur Neuordnung der Rechtsverhältnisse der Österreichischen Bundesbahnen (Bundesbahngesetz) ermächtigt die Republik Österreich, die ÖBB zu bezuschussen und in diesem Zusammenhang ein Erlösziel (d. h. die Gesamtentgelte, die die ÖBB aus den Wegeentgelten zuzüglich der Marktaufschläge in der jeweiligen Netzfahrplanperiode erzielen muss) festzulegen.
IV. Würdigung
39. Mit seinen fünf Fragen möchte das vorlegende Gericht jeweils auf die eine oder andere Weise in Erfahrung bringen, was die Richtlinie 2012/34 über das Genehmigungsverfahren für Aufschläge auf die Kosten für die Nutzung der Eisenbahninfrastruktur und über ihre Berechnungsmodalitäten aussagt.
40. Die Rechtsprechung hierzu ist überschaubar. Bisher hat sich der Gerichtshof mit Aufschlägen nur unter dem Aspekt ihrer Auswirkungen auf die Wettbewerbsfähigkeit des Schienenverkehrs beschäftigt(11 ). Im Hinblick auf die Modalitäten der Berechnung der Wegeentgelte, einschließlich möglicher Aufschläge, bietet die Richtlinie 2012/34 nur wenige Anhaltspunkte(12 ). Der Gerichtshof hatte lediglich im Rahmen der Richtlinie 2001/14, einem der drei Vorläufer der Richtlinie 2012/34, die die Erhebung von Wegeentgelten regelte, Gelegenheit, sich mit den direkten Kosten (im Gegensatz zu Aufschlägen) zu befassen(13 ).
41. Die Beteiligten des vorliegenden Vorabentscheidungsverfahrens legen die Richtlinie 2012/34 unterschiedlich aus, und zwar erstens in Bezug auf die möglichen Beschränkungen, die sie der Regulierungsfreiheit der Mitgliedstaaten auferlegt, und zweitens in Bezug auf die Rollen, die sie dem Infrastrukturbetreiber und der Regulierungsstelle zuweist.
42. An einem Ende des Spektrums vertritt die norwegische Regierung in ihren schriftlichen Erklärungen die Auffassung, dass die Richtlinie 2012/34 keine Vorgaben zu einem etwaigen Ex-ante- oder Ex-post -Genehmigungsverfahren für Aufschläge mache (d. h., ein solches weder vorschreibe noch verbiete). Dieser Argumentation folgend wäre die Frage des vorlegenden Gerichts leicht zu beantworten: Vorbehaltlich der in der Richtlinie 2012/34 vorgesehenen Entgeltregelung steht es den Mitgliedstaaten frei, das von den Infrastrukturbetreibern bei der Erhebung von Aufschlägen einzuhaltende Verfahren zu regeln.
43. Etwas vorsichtiger formuliert und entsprechend den schriftlichen Erklärungen der Kommission lässt sich feststellen, dass die Richtlinie 2012/34 ein Verfahren für die Genehmigung von Aufschlägen nicht ausdrücklich erwähnt. Gleichwohl meint die Kommission auch, die Unabhängigkeit des Eisenbahninfrastrukturbetreibers spreche dagegen, dass die Mitgliedstaaten völlige Regulierungsfreiheit genössen, wenn sie sich für die Einführung eines Genehmigungsverfahrens entschieden(14 ).
44. Am anderen Ende des Spektrums macht WESTbahn Management geltend, dass nur eine Ex –ante -Genehmigung der Wegeentgelte den Anforderungen der Richtlinie 2012/34 entspreche, wonach „Kapazitätszuweisungs- und Entgeltregelungen … den Eisenbahnunternehmen klare und kohärente wirtschaftliche Signale geben [sollten], die sie zu rationalen Entscheidungen veranlassen“(15 ). Um dieser Anforderung gerecht zu werden, müssen nach Ansicht von WESTbahn Management die in den Schienennetz-Nutzungsbedingungen veröffentlichten Aufschläge ex ante vor Inkrafttreten des Netzfahrplans genehmigt werden. Die einzige zulässige Ex –post -Entscheidung sei die Entscheidung der Regulierungsstelle über eine nachträgliche Kostensenkung im Rahmen einer Beschwerde eines Eisenbahnunternehmens gemäß Art. 56 der Richtlinie 2012/34.
45. Im Folgenden werde ich zunächst erläutern, wie sich das in der Richtlinie 2012/34 für die Erhebung von Aufschlägen vorgesehene System meines Erachtens darstellt (Abschnitt A). Daran anschließend werde ich im zweiten Teil die fünf Fragen des vorlegenden Gerichts beantworten (Abschnitt B).
A. System der Richtlinie 2012/34 in Bezug auf Aufschläge
46. Ich möchte mein Verständnis des durch die Richtlinie 2012/34 eingeführten Systems in zwei Schritten beschreiben. Erstens werde ich die darin vorgesehenen Entgeltgrundsätze erläutern (Unterabschnitt 1). In einem zweiten Schritt werde ich die jeweiligen Aufgaben der Mitgliedstaaten, des Infrastrukturbetreibers und der Regulierungsstelle bei der Festlegung von Entgelten für die Nutzung der Eisenbahninfrastruktur sowie deren Verhältnis zueinander untersuchen (Unterabschnitt 2).
1. Entgeltgrundsätze
47. Nach Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie 2012/34 wird der Rahmen der Entgelterhebung von den Mitgliedstaaten festgelegt, die aber die Unabhängigkeit des Infrastrukturbetreibers wahren müssen.
48. Innerhalb dieses so geschaffenen Entgeltrahmens ist es Sache des Infrastrukturbetreibers, die Wegeentgelte zu berechnen und zu erheben(16 ). Der Infrastrukturbetreiber nimmt dies in den Schienennetz-Nutzungsbedingungen vor(17 ), die er mindestens vier Monate vor Ablauf der Frist für die Beantragung der Zuweisung von Fahrwegkapazität veröffentlichen muss(18 ).
49. Bei der Berechnung der Entgelte muss der Infrastrukturbetreiber den Grundsatz der Gleichbehandlung und der Nichtdiskriminierung von Eisenbahnunternehmen beachten(19 ), der nach Auffassung des Gerichtshofs „das zentrale Kriterium für die Berechnung und Erhebung des Wegeentgelts“ dar[stellt](20 ).
50. Die Entgelte werden auf der Grundlage eines vereinbarten Netzfahrplans erhoben, der nach Anhang VII Nr. 1 der Richtlinie 2012/34 einmal im Kalenderjahr erstellt wird.
51. Wofür können Infrastrukturbetreiber Entgelte erheben?
52. Nach Art. 31 Abs. 1 der Richtlinie 2012/34 werden Entgelte für die Nutzung der Fahrwege der Eisenbahn entrichtet und dienen zur Finanzierung der Unternehmenstätigkeit des Infrastrukturbetreibers.
53. In Art. 31 Abs. 3 der Richtlinie 2012/34 heißt es, dass das Entgelt für das Mindestzugangspaket(21 ) „in Höhe der Kosten festzulegen [ist], die unmittelbar aufgrund des Zugbetriebs anfallen“(22 ). Was im Einzelnen in die Berechnung der direkten Kosten einfließen darf, ergibt sich aus einer Durchführungsverordnung(23 ) und ist begrenzt(24 ). Die direkten Kosten decken daher nicht die vollen Kosten ab, die dem Betreiber der Eisenbahninfrastruktur entstehen können.
54. Um eine volle Deckung der dem Infrastrukturbetreiber entstehenden Kosten zu erhalten, können Aufschläge erhoben werden. Art. 32 der Richtlinie 2012/34 bezeichnet Aufschläge als Ausnahmen von den Entgeltgrundsätzen. Die Bestimmung schreibt ferner vor, dass ein Mitgliedstaat Aufschläge nur dann erheben darf, wenn sie auf effizienten, transparenten und nicht diskriminierenden Grundsätzen beruhen, und nur, „sofern der Markt dies tragen kann“(25 ). Darüber hinaus müssen die Aufschläge die Wettbewerbsfähigkeit(26 ) der Segmente des Eisenbahnmarkts gewährleisten.
55. Insgesamt können die Entgelte also die Spanne zwischen den direkten Kosten (den Entgelten für das Mindestzugangspaket und den Schienenzugang zu den Serviceeinrichtungen, die in Höhe der unmittelbar durch den Zugbetrieb verursachten Kosten festzulegen sind) und den Gesamtkosten (allen dem Infrastrukturbetreiber entstehenden Kosten, die durch die Erhebung von Aufschlägen gedeckt werden können) abdecken(27 ).
56. Die Aufschläge dienen somit ausschließlich der Deckung der dem Infrastrukturbetreiber entstehenden Kosten und nicht der Erzielung von Gewinnen.
57. Diesbezüglich heißt es im 71. Erwägungsgrund der Richtlinie 2012/34, dass der Fahrweg „ein natürliches Monopol dar[stellt] und es … deshalb erforderlich [ist], den Infrastrukturbetreibern Anreize zur Kostensenkung und zur effizienten Verwaltung ihrer Fahrwege zu geben“. Mit anderen Worten: In Anbetracht der Verlockungen, die Monopole für Infrastrukturbetreiber mit sich bringen, besteht das Ziel der Entgeltregelung darin, die anfallenden Kosten vollständig zu decken – mehr aber auch nicht.
58. Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2012/34 gewährleistet die Unabhängigkeit des Infrastrukturbetreibers. Dem Gerichtshof zufolge muss der Betreiber der Infrastruktur „in dem von den Mitgliedstaaten definierten Rahmen der Entgelterhebung über einen gewissen Spielraum bei der Berechnung der Höhe der Entgelte verfügen …, um hiervon als Geschäftsführungsinstrument Gebrauch machen zu können“(28 ). Seine Unabhängigkeit muss sowohl gegenüber dem Mitgliedstaat als auch gegenüber der Regulierungsstelle gewährleistet sein(29 ).
59. Beispielsweise hat der Gerichtshof im Urteil Kommission/Tschechische Republik(30 ) festgestellt, dass der von der Tschechischen Republik festgesetzte Höchstbetrag für die Nutzung der Eisenbahnfahrwege die Unabhängigkeit des Betreibers der Infrastruktur beeinträchtigte. In ähnlicher Weise hat der Gerichtshof im Urteil Kommission/Spanien(31 ) entschieden, dass „Entgeltregelungen den Betreibern der Infrastruktur Anreize geben sollen, entsprechende Investitionen zu tätigen, wo diese wirtschaftlich sinnvoll sind“, und dass diesen Betreibern daher bei der Festsetzung der tatsächlichen Höhe der Entgelte ein gewisser Spielraum eingeräumt werden muss(32 ).
60. Im Urteil Kommission/Deutschland(33 ) hat der Gerichtshof einige Beispiele dafür angeführt, wie der Infrastrukturbetreiber diese Flexibilität zur Optimierung der Fahrwege nutzen könnte: Der Infrastrukturbetreiber kann auf der Grundlage der langfristigen Kosten bestimmter Investitionsvorhaben höhere Entgelte festlegen oder beibehalten. Zudem kann er auch Nachlassregelungen für die von den Wirtschaftsteilnehmern erhobenen Entgelte einführen.
61. Die Unabhängigkeit des Infrastrukturbetriebs muss auch bei der Festsetzung von Aufschlägen gewahrt werden.
2. Wer macht was nach der Richtlinie 2012/34?
62. Nach Art. 32 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie 2012/34 „kann ein Mitgliedstaat, sofern der Markt dies tragen kann, Aufschläge … erheben“. Wie auch von der Kommission geltend gemacht, kommt dem Mitgliedstaat somit die grundlegende Rolle zu, die Möglichkeit der Erhebung von Aufschlägen zu genehmigen(34 ).
63. Mit anderen Worten: Wenn der vom Mitgliedstaat gemäß Art. 29 Abs. 1 der Richtlinie 2012/34 beschlossene Entgeltrahmen nicht die Möglichkeit vorsieht, Aufschläge zu erheben, dürfen die Infrastrukturbetreiber diese nicht in ihre Schienennetz-Nutzungsbedingungen aufnehmen oder sie auf der Grundlage des Netzfahrplans erheben.
64. Hat ein Mitgliedstaat jedoch die Möglichkeit von Aufschlägen in seinem Entgeltrahmen eingeräumt, so können Infrastrukturbetreiber solche Aufschläge erheben, die in die Schienennetz-Nutzungsbedingungen aufgenommen werden müssen.
65. Lässt ein Mitgliedstaat die Erhebung von Aufschlägen unter Wahrung des Erfordernisses der Unabhängigkeit des Infrastrukturbetreibers grundsätzlich zu, ist es Sache des Infrastrukturbetreibers, bestimmte Marktsegmente auszuwählen und die Aufschläge zu berechnen. Dabei muss der Infrastrukturbetreiber die Relevanz solcher Aufschläge für bestimmte Marktsegmente unter Berücksichtigung der in Anhang VI Nr. 1 der Richtlinie 2012/34 vorgesehenen Verkehrsdienst-Paare prüfen(35 ). Die in den Schienennetz-Nutzungsbedingungen aufgeführten Segmente müssen mindestens Güterverkehrsdienste, Personenverkehrsdienste im Rahmen eines öffentlichen Dienstleistungsauftrags und andere Personenverkehrsdienste umfassen(36 ).
66. Die Liste der Marktsegmente, für die Aufschläge erhoben werden, wird von der Regulierungsstelle im Einklang mit den ihr durch Art. 56 der Richtlinie 2012/34 übertragenen Kontrollbefugnissen überwacht. Die Regulierungsstelle wird auf die Beschwerde eines Antragstellers(37 ) hin oder von Amts wegen tätig(38 ).
67. Neben den Befugnissen aus Art. 32 Abs. 1 Unterabs. 6 der Richtlinie 2012/34 ist die Regulierungsstelle nach Art. 56 Abs. 1 der Richtlinie allgemein dafür zuständig, über Rechtsbehelfe von Eisenbahnunternehmen gegen Entscheidungen des Infrastrukturbetreibers zu entscheiden, die u. a.(39 ) die Entgeltregelung und die Höhe oder Struktur der Wegeentgelte betreffen, die ein Eisenbahnunternehmen zu zahlen hat oder zu zahlen hätte(40 ).
68. Wenn die Regulierungsstelle ihre Kontrolle über die vom Infrastrukturbetreiber festgesetzten Wegeentgelte ausübt, muss ihre Entscheidung „mit einem Verstoß gegen die Richtlinie 2012/34 begründet sein … [und] sich auf die Beseitigung von Unvereinbarkeiten beschränken“(41 ).
69. Art. 56 der Richtlinie 2012/34 sagt nichts darüber aus, ob die Kontrolle durch die Regulierungsstelle vor oder nach der Festlegung der Aufschläge durch den Infrastrukturbetreiber erfolgt.
70. Der Gerichtshof hat jedoch, wenn auch nicht im Zusammenhang mit Aufschlägen, klargestellt, dass die Regulierungsstelle ihre Kontrolle auch dann ausüben kann, wenn die Entgelte bereits erhoben worden sind(42 ).
71. Schließlich unterliegen die Entscheidungen der Regulierungsstelle gemäß Art. 56 Abs. 10 der Richtlinie 2012/34 der gerichtlichen Nachprüfung(43 ).
B. Beantwortung der Fragen des vorlegenden Gerichts
72. Unter Berücksichtigung der im vorstehenden Abschnitt getroffenen Feststellungen über die Entgeltgrundsätze und das Verhältnis zwischen den verschiedenen Akteuren im Rahmen der Richtlinie 2012/34 werde ich die Fragen des vorlegenden Gerichts wie im Folgenden dargelegt beantworten.
1. Erste Frage
73. Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob der Mitgliedstaat die Erhebung von Aufschlägen ex ante genehmigen muss oder ob er dies auch nach Ablauf der maßgeblichen Netzfahrplanperiode tun kann. Ferner möchte das Gericht wissen, ob jede derartige Genehmigung als rechtskräftig anzusehen ist.
74. Wie von der Kommission in ihren Erklärungen vorgeschlagen, sollte diese Frage, auch wenn danach gefragt wird, wann der Mitgliedstaat den Aufschlag genehmigen muss, so verstanden werden, dass es darum geht, wann die Regulierungsstelle die vom Infrastrukturbetreiber vor Beginn der maßgeblichen Netzfahrplanperiode beantragten konkreten Aufschläge genehmigen muss.
75. Wie bereits erläutert, muss die Möglichkeit der Erhebung von Aufschlägen stets von den Mitgliedstaaten genehmigt werden. Liegt eine solche grundsätzliche Ex-ante -Genehmigung nicht vor, darf der Infrastrukturbetreiber überhaupt keine Aufschläge erheben. Die Frage des vorlegenden Gerichts betrifft jedoch vielmehr den Fall, dass der Mitgliedstaat die Erhebung von Aufschlägen grundsätzlich erlaubt und der Infrastrukturbetreiber beschließt, von dieser Möglichkeit Gebrauch zu machen. In einer solchen Situation stellt sich somit die Frage, ob die vom Infrastrukturbetreiber geplanten konkreten Aufschläge einer vorherigen Genehmigung bedürfen.
76. Diese Lesart der Vorlagefrage stünde im Einklang mit der Darstellung des einschlägigen nationalen Rechts durch das vorlegende Gericht, wonach die Regulierungsstelle die Erhebung von Aufschlägen genehmigt, was im Fall einer Anfechtung auch nach Ablauf der maßgeblichen Netzfahrplanperiode erfolgen kann, wie es sich auch im vorliegenden Fall verhält.
77. In Beantwortung der so verstandenen Frage bin ich erstens der Ansicht, dass die Richtlinie 2012/34 keine Bestimmungen enthält, die einem Genehmigungsverfahren, mit dem eine Regulierungsstelle betraut wird, entgegenstehen. Ein Genehmigungsverfahren für konkrete Aufschläge ist daher zwar, wie die norwegische Regierung geltend macht, nach der Richtlinie nicht erforderlich; es ist aber auch nicht ausgeschlossen.
78. Da sich die Richtlinie 2012/34 nicht zur Notwendigkeit eines Genehmigungsverfahrens äußert, lässt sie auch offen, ob das Verfahren ex ante durchzuführen ist oder auch noch durchgeführt werden kann, wenn die Netzfahrplanperiode, für die die Aufschläge erhoben werden, bereits abgelaufen und die Entgelterhebung abgeschlossen ist.
79. Die Richtlinie 2012/34 hindert die Mitgliedstaaten somit nicht daran, entweder ein Ex-ante – oder ein Ex-post -Verfahren einzuführen, in dem eine Regulierungsstelle konkrete Aufschläge genehmigt.
80. Bei einer solchen Entscheidung auf nationaler Ebene sind jedoch mehrere Einschränkungen zu berücksichtigen.
81. Erstens ist es angesichts der Notwendigkeit, die Unabhängigkeit des Infrastrukturbetreibers von der Regulierungsstelle zu wahren, wichtig, dass die Kontrolle dieser Behörde nicht über das hinausgeht, was nach Art. 56 Abs. 6 der Richtlinie 2012/34 zulässig ist, nämlich die Vereinbarkeit der Aufschläge mit Abschnitt 2 des Kapitels IV der Richtlinie 2012/34 und dem Grundsatz der Nichtdiskriminierung zu gewährleisten.
82. Das bedeutet ferner, dass die Genehmigung von Aufschlägen die Freiheit des Infrastrukturbetreibers unberührt lassen muss, innerhalb des Entgeltrahmens die Entgelte festzulegen, die erforderlich sind, um die Ziele der Richtlinie 2012/34 zu erreichen, wie etwa die Optimierung der Fahrwege und die anderen in Abschnitt 2 des Kapitels IV der Richtlinie 2012/34 genannten Ziele, die in sein Ermessen gestellt sind(44 ).
83. Zweitens stimme ich der SCK zu, dass die Entscheidung über die Genehmigung konkreter Aufschläge zwar auch nach Ablauf der Netzfahrplanperiode erfolgen kann (wie im Ausgangsverfahren), die Aufschläge aber trotz ausstehender Genehmigung in die Schienennetz-Nutzungsbedingungen aufzunehmen sind(45 ). Dadurch wäre sichergestellt, dass die Eisenbahnunternehmen entsprechend dem 44. Erwägungsgrund der Richtlinie 2012/34 klare und kohärente wirtschaftliche Signale erhalten. Damit wäre ferner sichergestellt, dass der Infrastrukturbetreiber unabhängig von der Dauer des Genehmigungsverfahrens seiner Verpflichtung nach Art. 27 Abs. 4 der Richtlinie 2012/34 nachkommt, indem er die Schienennetz-Nutzungsbedingungen mindestens vier Monate vor Ablauf der Frist für die Beantragung von Fahrwegkapazität durch Eisenbahnunternehmen veröffentlicht.
84. Drittens dürfen die Kontrollfunktion der Regulierungsstelle nach Art. 56 der Richtlinie 2012/34 und der damit verbundene Schutz von Antragstellern durch ein solches Genehmigungsverfahren nicht unterminiert werden.
85. Die Frage, ob eine solche Genehmigung als rechtskräftig anzusehen ist, lässt sich mit Hilfe von Art. 56 Abs. 10 der Richtlinie 2012/34 beantworten: Die Entscheidungen der Regulierungsbehörde müssen einer gerichtlichen Nachprüfung zugänglich sein. Die Genehmigung ist daher insofern nicht rechtskräftig, als sie noch gerichtlich überprüft werden kann.
86. Zusammenfassend ist festzustellen, dass Art. 32 der Richtlinie 2012/34 einem Verfahren zur Genehmigung von Aufschlägen, das entweder vor Beginn oder nach Ablauf der betreffenden Netzfahrplanperiode durchgeführt wird, nicht entgegensteht, sofern die Unabhängigkeit des Infrastrukturbetreibers bei der Festlegung der Entgelte im Einklang mit den Zielen der Richtlinie sowie die Kontrollfunktion der Regulierungsstelle gewahrt bleiben. Eine solche Genehmigung unterliegt nationalen Verfahrensvorschriften, die eine gerichtliche Nachprüfung der Entscheidungen der Regulierungsbehörde gemäß Art. 56 Abs. 10 der Richtlinie 2012/34 gewährleisten.
2. Zweite Frage
87. Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Aufschläge vor ihrer Genehmigung in den Schienennetz-Nutzungsbedingungen veröffentlicht werden müssen und ob jede Änderung der Höhe der Aufschläge eine Änderung eines wesentlichen Bestandteils der Entgeltregelung im Sinne von Art. 32 Abs. 6 der Richtlinie 2012/34 darstellt.
88. Was die zeitliche Abfolge anbelangt, so bin ich unter Bezugnahme auf meine Schlussfolgerungen in Nr. 83 der vorliegenden Schlussanträge der Auffassung, dass die Höhe der Aufschläge in den Schienennetz-Nutzungsbedingungen innerhalb der in Art. 27 Abs. 4 der Richtlinie 2012/34 vorgesehenen Frist zu veröffentlichen ist. Vorbehaltlich dieser Bedingung ist es im Übrigen Sache des nationalen Rechts, die für die Genehmigung von Aufschlägen erforderliche zeitliche Abfolge der einzelnen Schritte genau festzulegen. Besteht eine solche Genehmigungspflicht, die zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der Schienennetz-Nutzungsbedingungen noch nicht erfüllt ist, sollte dies ebenfalls angegeben werden.
89. Ist die Änderung der Höhe von Aufschlägen als Änderung eines wesentlichen Bestandteils der Entgeltregelung im Sinne von Art. 32 Abs. 6 der Richtlinie 2012/34(46 ) anzusehen? Jede Änderung eines „wesentlichen Bestandteils“ hat zur Folge, dass die Veröffentlichung der Schienennetz-Nutzungsbedingungen für die jeweilige Netzfahrplanperiode drei Monate früher zu erfolgen hat, als wenn keine Änderung der wesentlichen Bestandteile erfolgt wäre.
90. Die Richtlinie 2012/34 enthält keine näheren Angaben dazu, was als „wesentlicher Bestandteil“ der Entgeltregelung anzusehen ist. Die Vorschrift, dass die Schienennetz-Nutzungsbedingungen im Fall einer solchen Änderung früher zu veröffentlichen sind, legt jedoch nahe, dass es sich bei den „wesentlichen Bestandteilen“ um diejenigen handelt, auf deren Grundlage die Eisenbahnunternehmen ihre Tätigkeiten für das kommende Jahr planen. Geht die Änderung so weit, dass die Eisenbahnunternehmen die Entgelte für die bevorstehende Netzfahrplanperiode nicht vorhersehen konnten, handelt es sich um eine wesentliche Änderung.
91. Insoweit teile ich die Auffassung der Kommission und der polnischen Regierung, dass, wenn sich im Vergleich zur vorherigen Netzfahrplanperiode nur die Höhe der Aufschläge geändert hat, die Gründe, die Verfahren, die definierten Marktsegmente und die Ergebnisse der Marktstudie jedoch gleich geblieben sind, eine solche Änderung nicht als Änderung wesentlicher Bestandteile der Entgeltregelung anzusehen ist.
92. Sieht das nationale Recht ein Genehmigungsverfahren für die Festlegung von Aufschlägen durch die Regulierungsstelle vor, wie dies im österreichischen Recht der Fall ist, sollte es dann Sache dieser Behörde sein, zu prüfen, ob die Änderung so beschaffen ist, dass eine frühere Veröffentlichung gemäß Art. 32 Abs. 6 der Richtlinie 2012/34 und im Einklang mit dem in ihrem 34. Erwägungsgrund genannten Transparenzgebot erforderlich ist.
93. Ich schlage dem Gerichtshof daher vor, die zweite Frage wie folgt zu beantworten: Die Richtlinie 2012/34 regelt nicht, ob Aufschläge, die nach nationalem Recht einer Genehmigung bedürfen, vor ihrer Genehmigung in den Schienennetz-Nutzungsbedingungen veröffentlicht werden müssen. Diese Richtlinie verlangt lediglich, dass die Höhe der Aufschläge in den Schienennetz-Nutzungsbedingungen unter Einhaltung der in Art. 27 Abs. 4 der Richtlinie 2012/34 bestimmten Frist, d. h. mindestens vier Monate vor Ablauf der Frist für die Beantragung von Fahrwegkapazität, zu veröffentlichen ist. Die Änderung der Höhe der Aufschläge, die nach Art. 32 Abs. 6 der Richtlinie 2012/34 eine frühere Veröffentlichung der Schienennetz-Nutzungsbedingungen erforderlich macht, ist nur dann als Änderung eines wesentlichen Bestandteils der Entgeltregelung im Sinne dieser Bestimmung anzusehen, wenn sie auf einer Änderung der Gründe, der Verfahren oder der Liste der Marktsegmente beruht, auf deren Grundlage die Höhe der Aufschläge berechnet wird. Eine bloße Änderung der Höhe der Aufschläge, die auf denselben Gründen und Verfahren beruht, stellt keine Änderung eines wesentlichen Bestandteils im Sinne von Art. 32 Abs. 6 der Richtlinie 2012/34 dar.
3. Dritte Frage
94. Mit seiner dritten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob es im Sinne von Art. 27 Abs. 2 und 4 sowie Art. 32 Abs. 1 und 6 der Richtlinie 2012/34 ausreicht, dass der Infrastrukturbetreiber in den Schienennetz-Nutzungsbedingungen das Gesamtentgelt pro gefahrenen Zugtrassenkilometer angibt, ohne die jeweiligen Beträge für die direkten Kosten einerseits und die Aufschläge andererseits auszuweisen.
95. In diesem Punkt teile ich die Ansicht der SCK, dass die Eisenbahnunternehmen in den Schienennetz-Nutzungsbedingungen möglichst genaue Angaben zu den Entgelten erhalten sollten.
96. Ein solches Erfordernis genauer Angaben ergibt sich aus Anhang IV Nr. 2, auf den Art. 27 der Richtlinie 2012/34 verweist, was die Auslegung stützt, dass die Schienennetz-Nutzungsbedingungen spezifische Informationen zu direkten Kosten bzw. Aufschlägen enthalten sollten.
97. Darüber hinaus sind die Eisenbahnunternehmen berechtigt, die in den Schienennetz-Nutzungsbedingungen festgelegten Wegeentgelte bei der Regulierungsstelle anzufechten, wenn sie der Auffassung sind, dass diese Entgelte gegen die in der Richtlinie 2012/34 aufgestellten Regeln und Grundsätze verstoßen. Da für diese beiden Arten von Entgelten unterschiedliche Bestimmungen der Richtlinie gelten, wäre das Recht der Eisenbahnunternehmen auf Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens beeinträchtigt, wenn die direkten Kosten und die Aufschläge nicht separat ausgewiesen würden.
98. Ich schlage dem Gerichtshof daher vor, die dritte Frage wie folgt zu beantworten: Es reicht im Sinne von Art. 27 Abs. 2 und 4 sowie Art. 32 Abs. 1 und 6 der Richtlinie 2012/34 nicht aus, dass der Infrastrukturbetreiber in den Schienennetz-Nutzungsbedingungen das Gesamtentgelt pro Zugtrassenkilometer ausweist. Vielmehr sind die direkten Kosten einerseits und die Aufschläge andererseits jeweils in ihrer konkreten Höhe anzugeben.
4. Vierte Frage
99. Mit seiner vierten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die in den Schienennetz-Nutzungsbedingungen veröffentlichten Aufschläge in dem Genehmigungsverfahren durch die Regulierungsstelle Bindungswirkung entfalten. Konkret zielt die Frage darauf ab, ob die Regulierungsstelle eine etwaige Anpassung der Aufschläge lediglich bis zur Höhe der in den Schienennetz-Nutzungsbedingungen veröffentlichten Gesamtentgelte anordnen darf und welche Art von Anpassungen die Regulierungsstelle gegebenenfalls anordnen darf.
100. Wie oben in den Nrn. 67 und 68 der vorliegenden Schlussanträge dargelegt, ist die Regulierungsstelle gemäß Art. 56 der Richtlinie 2012/34 befugt, Verstöße gegen diese Richtlinie zu überwachen und „dem … [Betreiber] der Eisenbahninfrastruktur … die Änderungen anzuzeigen, die an der Entgeltregelung vorgenommen werden müssen, um die Unvereinbarkeiten dieser Regelung mit den Anforderungen der Richtlinie 2012/34 zu beseitigen“(47 ).
101. Um jedoch die Unabhängigkeit des Infrastrukturbetreibers bei der Entgeltfestsetzung gemäß den in Abschnitt A.1 der vorliegenden Schlussanträge beschriebenen Entgeltgrundsätzen zu wahren, wird die Regulierungsstelle kaum eigene wirtschaftliche Bewertungen vornehmen und z. B. höhere Aufschläge festsetzen dürfen als der Infrastrukturbetreiber(48 ).
102. Ihre Änderungsbefugnisse müssen vielmehr darauf beschränkt sein, die Einhaltung der Bestimmungen und Ziele der Richtlinie 2012/34 zu gewährleisten.
103. Hat ein Mitgliedstaat ein System der Genehmigung konkreter Aufschläge durch die Regulierungsstelle eingeführt, so unterliegt diese Stelle im Genehmigungsverfahren denselben Bestimmungen und Zielen der Richtlinie 2012/34. Die Regulierungsstelle kann somit nur Aufschläge genehmigen, ablehnen oder deren Änderung anordnen, nicht aber anstelle des Infrastrukturbetreibers die Höhe der Aufschläge festsetzen.
104. Ich schlage daher vor, die vierte Frage wie folgt zu beantworten: Hat ein Mitgliedstaat ein Verfahren zur Genehmigung von Aufschlägen durch die Regulierungsstelle eingeführt, so kann diese Stelle eine solche Genehmigung im Einklang mit Art. 56 der Richtlinie 2012/34 erteilen, wobei die Unabhängigkeit des Infrastrukturbetreibers zu wahren ist. Die Regulierungsstelle ist folglich an die in den Schienennetz-Nutzungsbedingungen veröffentlichte Höhe der Entgelte gebunden, jedoch kann sie in Ausübung ihrer Kontrollfunktionen gemäß Art. 56 der Richtlinie 2012/34 und unter Wahrung der Unabhängigkeit des Infrastrukturbetreibers Anpassungen anordnen.
5. Fünfte Frage
105. Mit seiner fünften Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, wie die dem Infrastrukturbetreiber entstehenden Gesamtkosten zu berechnen sind, auf deren Grundlage sich die Zulässigkeit von Aufschlägen bestimmt. Insbesondere möchte es wissen, ob dabei das vom Staat festgelegte Erlösziel berücksichtigt werden muss. Ferner wirft es die Frage auf, ob folgende Positionen in die Gesamtkosten einzubeziehen oder davon abzuziehen sind: erstens dem Infrastrukturbetreiber gewährte staatliche Zuschüsse, zweitens alle weiteren Gewinne des Infrastrukturbetreibers aus anderen wirtschaftlichen Tätigkeiten, drittens alle vom Infrastrukturbetreiber aus privaten Quellen erhaltenen und nicht rückzahlbaren Zuschüsse und viertens die weiteren vom Infrastrukturbetreiber erhobenen Entgelte und seine sonstigen betriebswirtschaftlichen Positionen.
106. Zunächst stellt sich die Frage nach dem Erlösziel. Wie das vorlegende Gericht in seiner Vorlageentscheidung ausführt, gibt die Republik Österreich der ÖBB ein jährliches Erlösziel vor. Zudem bezuschusst sie den Betrieb der ÖBB.
107. Vergleichbar mit dem Sachverhalt in der Rechtssache Kommission/Tschechische Republik(49 ), in der der Staat dem Infrastrukturbetreiber einen Höchstbetrag für die Wegeentgelte vorgab und damit in dessen Unabhängigkeit eingriff, erscheint mir auch die Vorgabe eines Erlösziels zwangsläufig als eine Beeinträchtigung dieser Unabhängigkeit.
108. Die Kommission trägt vor, die Vorgabe eines Erlösziels nehme dem Infrastrukturbetreiber die Möglichkeit, die Entgelte im Einklang mit dem oben in Nr. 60 und in Fn. 28 der vorliegenden Schlussanträge dargelegten Spielraum festzusetzen(50 ).
109. Ich teile die Auffassung der Kommission und komme daher zu dem Schluss, dass das Erlösziel nicht als relevanter Faktor für die Entscheidung über die Zulässigkeit der vom Infrastrukturbetreiber festgesetzten Aufschläge angesehen werden sollte, da dies eine Beeinträchtigung seiner durch Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2012/34 gewährleisteten Unabhängigkeit wäre.
110. Hinsichtlich der Frage, ob die vom vorlegenden Gericht angeführten weiteren Einkünfte zu berücksichtigen sind, ist meines Erachtens zwischen staatlichen Zuschüssen einerseits und den in der Frage genannten sonstigen Einnahmen andererseits zu unterscheiden.
111. Wie oben in Bezug auf die Entgeltgrundsätze erläutert, können die Entgelte die Spanne zwischen den direkten Kosten(51 ) und den Gesamtkosten(52 ) abdecken. Dabei geht es jedoch immer um die Kosten, die dem Infrastrukturbetreiber entstehen, um die Nutzung der Eisenbahninfrastruktur zu ermöglichen, sei es direkt (durch den Zugbetrieb) oder indirekt (z. B. durch Investitionsvorhaben in die Eisenbahninfrastruktur gemäß Art. 32 Abs. 3 der Richtlinie 2012/34).
112. Die Entgeltregelung, die dazu dient, die Gesamtkosten des Infrastrukturbetreibers zu decken, sollte diesen in die Lage versetzen, eine solche Dienstleistung auch dann zu erbringen, wenn er über keine anderen Einnahmen verfügt. Die Berechnung der Aufschläge, die zur Deckung der Gesamtkosten solcher Dienstleistungen dient, sollte daher unabhängig von etwaigen anderen Einkünften des Infrastrukturbetreibers erfolgen.
113. Zwar können solche zusätzlichen Einkünfte unter normalen geschäftlichen Umständen zum Ausgleich der Einnahmen und Ausgaben eines Infrastrukturbetreibers beitragen, wie dies Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 2012/34 verlangt. Dies ändert jedoch nichts daran, dass der Infrastrukturbetreiber alle mit der Bereitstellung der Eisenbahninfrastruktur verbundenen Kosten decken muss – unabhängig von seinen etwaigen anderen Tätigkeiten.
114. Daher sind Einkünfte, die nicht mit der Bereitstellung der Eisenbahninfrastruktur zusammenhängen – wie etwa Gewinne des Infrastrukturbetreibers aus anderen wirtschaftlichen Tätigkeiten, vom Infrastrukturbetreiber aus privaten Quellen erhaltene und nicht rückzahlbare Zuschüsse, andere erhobene Entgelte sowie seine betriebswirtschaftlichen Positionen – für die Berechnung der Aufschläge unerheblich.
115. Vielmehr decken staatliche Zuschüsse, die dem Infrastrukturbetreiber zum Ausgleich seiner Verluste aus der Bereitstellung der Eisenbahninfrastruktur gewährt werden, dieselben Kosten wie die, für die Aufschläge erhoben werden können.
116. Wenn der Infrastrukturbetreiber nämlich in der Lage ist, durch die Erhebung von Aufschlägen die vollen Kosten für die Bereitstellung der Eisenbahninfrastruktur zu decken, entfällt die Notwendigkeit staatlicher Zuschüsse zum Ausgleich von Verlusten im Zusammenhang mit dieser Dienstleistung.
117. Hat der Betreiber hingegen staatliche Zuschüsse zur Deckung der Kosten für die Bereitstellung der Eisenbahninfrastruktur erhalten, welche über die direkten Kosten hinausgehen, würde die Erhebung von Aufschlägen auf diese Kosten zu einem Gewinn führen, es sei denn, die Zuschüsse würden in der Höhe der Aufschläge zurückgezahlt. Wie bereits erläutert, dürfen Aufschläge zu keinem anderen Zweck als zur Deckung der für die Bereitstellung der Eisenbahninfrastruktur anfallenden Kosten erhoben werden.
118. Aus diesem Grund bin ich der Auffassung, dass die Modalitäten und die Höhe der staatlichen Zuschüsse, die der Infrastrukturbetreiber erhalten hat, bei der Berechnung der Höhe der Aufschläge zu berücksichtigen sind.
119. Ich schlage dem Gerichtshof daher vor, die fünfte Frage wie folgt zu beantworten: Andere Einnahmequellen und Kosten, die nicht mit den dem Infrastrukturbetreiber für die Nutzung der Eisenbahninfrastruktur entstehenden Gesamtkosten zusammenhängen, wie z. B. Einnahmen aus anderen wirtschaftlichen Tätigkeiten, aus privaten Quellen erhaltene und nicht rückzahlbare Zuschüsse, sonstige vom Infrastrukturbetreiber erhobene Entgelte sowie seine betriebswirtschaftlichen Positionen, sind bei der Berechnung der Aufschläge nicht einzubeziehen. Dagegen sollten die Modalitäten und die Höhe der staatlichen Zuschüsse, die zur Deckung der Verluste aus der Bereitstellung der Eisenbahninfrastruktur gewährt werden, bei solchen Berechnungen berücksichtigt werden.
V. Ergebnis
120. Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, die vom Bundesverwaltungsgericht (Österreich) vorgelegten Fragen wie folgt zu beantworten:
1. Art. 32 der Richtlinie 2012/34/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. November 2012 zur Schaffung eines einheitlichen europäischen Eisenbahnraums steht einem Verfahren zur Genehmigung von Aufschlägen, das entweder vor Beginn oder nach Ablauf der betreffenden Netzfahrplanperiode durchgeführt wird, nicht entgegen, sofern die Unabhängigkeit des Infrastrukturbetreibers bei der Festlegung der Entgelte im Einklang mit den Zielen der Richtlinie sowie die Kontrollfunktion der Regulierungsstelle gewahrt bleiben. Eine solche Genehmigung unterliegt nationalen Verfahrensvorschriften, die eine gerichtliche Nachprüfung der Entscheidungen der Regulierungsbehörde gemäß Art. 56 Abs. 10 der Richtlinie 2012/34 gewährleisten.
2. Die Richtlinie 2012/34 regelt nicht, ob Aufschläge, die nach nationalem Recht einer Genehmigung bedürfen, vor ihrer Genehmigung in den Schienennetz-Nutzungsbedingungen veröffentlicht werden müssen. Diese Richtlinie verlangt lediglich, dass die Höhe der Aufschläge in den Schienennetz-Nutzungsbedingungen unter Einhaltung der in Art. 27 Abs. 4 der Richtlinie 2012/34 bestimmten Frist, d. h. mindestens vier Monate vor Ablauf der Frist für die Beantragung von Fahrwegkapazität, zu veröffentlichen ist. Die Änderung der Höhe der Aufschläge, die nach Art. 32 Abs. 6 der Richtlinie 2012/34 eine frühere Veröffentlichung der Schienennetz-Nutzungsbedingungen erforderlich macht, ist nur dann als Änderung eines wesentlichen Bestandteils der Entgeltregelung im Sinne dieser Bestimmung anzusehen, wenn sie auf einer Änderung der Gründe, der Verfahren oder der Liste der Marktsegmente beruht, auf deren Grundlage die Höhe der Aufschläge berechnet wird. Eine bloße Änderung der Höhe der Aufschläge, die auf denselben Gründen und Verfahren beruht, stellt keine Änderung eines wesentlichen Bestandteils im Sinne von Art. 32 Abs. 6 der Richtlinie 2012/34 dar.
3. Es reicht im Sinne von Art. 27 Abs. 2 und 4 sowie Art. 32 Abs. 1 und 6 der Richtlinie 2012/34 nicht aus, dass der Infrastrukturbetreiber in den Schienennetz-Nutzungsbedingungen das Gesamtentgelt pro Zugtrassenkilometer ausweist. Vielmehr sind die direkten Kosten einerseits und die Aufschläge andererseits jeweils in ihrer konkreten Höhe anzugeben.
4. Hat ein Mitgliedstaat ein Verfahren zur Genehmigung von Aufschlägen durch die Regulierungsstelle eingeführt, so kann diese Stelle eine solche Genehmigung im Einklang mit Art. 56 der Richtlinie 2012/34 erteilen, wobei die Unabhängigkeit des Infrastrukturbetreibers zu wahren ist. Die Regulierungsstelle ist folglich an die in den Schienennetz-Nutzungsbedingungen veröffentlichte Höhe der Entgelte gebunden, jedoch kann sie in Ausübung ihrer Kontrollfunktionen gemäß Art. 56 der Richtlinie 2012/34 und unter Wahrung der Unabhängigkeit des Infrastrukturbetreibers Anpassungen anordnen.
5. Andere Einnahmequellen und Kosten, die nicht mit den dem Infrastrukturbetreiber für die Nutzung der Eisenbahninfrastruktur entstehenden Gesamtkosten zusammenhängen, wie z. B. Einnahmen aus anderen wirtschaftlichen Tätigkeiten, aus privaten Quellen erhaltene und nicht rückzahlbare Zuschüsse, sonstige vom Infrastrukturbetreiber erhobene Entgelte sowie seine betriebswirtschaftlichen Positionen, sind bei der Berechnung der Aufschläge nicht einzubeziehen. Dagegen sollten die Modalitäten und die Höhe der staatlichen Zuschüsse, die zur Deckung der Verluste aus der Bereitstellung der Eisenbahninfrastruktur gewährt werden, bei solchen Berechnungen berücksichtigt werden.