Vorläufige Fassung
SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS
NICHOLAS EMILIOU
vom 3. April 2025(1 )
Rechtssache C ‑525/23 [Oti] (i )
OS
gegen
Országos Idegenrendészeti Főigazgatóság (Nationale Generaldirektion der Fremdenpolizei)
(Vorabentscheidungsersuchen des Fővárosi Törvényszék [Hauptstädtisches Stuhlgericht, Ungarn])
„ Vorlage zur Vorabentscheidung – Migration – Richtlinie (EU) 2016/801 – Bedingungen für die Einreise und den Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen zur Teilnahme an einem Freiwilligendienst – Nichtverlängerung einer Aufenthaltserlaubnis – Art. 7 Abs. 1 Buchst. e – ‚Nötige Mittel‘ – Rechtsprechung des nationalen obersten Gerichts, nach der die Mittel endgültig verfügbar und die Erklärungen zur Art der Mittel schlüssig sein müssen – Vereinbarkeit dieser Anforderungen mit dem Unionsrecht “
I. Einleitung
1. Im vorliegenden Fall geht es um die Auslegung der Richtlinie (EU) 2016/801 über die Bedingungen für die Einreise und den Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen zu Forschungs- oder Studienzwecken, zur Absolvierung eines Praktikums, zur Teilnahme an einem Freiwilligendienst, Schüleraustauschprogrammen oder Bildungsvorhaben und zur Ausübung einer Au-pair-Tätigkeit(2 ). Konkret ersucht das Fővárosi Törvényszék (Hauptstädtisches Stuhlgericht, Ungarn) den Gerichtshof um Klärung der in Art. 7 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie vorgesehenen Bedingung für die Einreise und den Aufenthalt, wonach der Drittstaatsangehörige über die „nötigen Mittel“ verfügen muss.
2. In diesem Zusammenhang möchte das Fővárosi Törvényszék (Hauptstädtisches Stuhlgericht) wissen, ob eine nationale Praxis, die zum einen verlangt, dass der Betroffene endgültig über diese Mittel verfügen kann, und zum anderen, dass diese Person die Art dieser Mittel widerspruchsfrei nachweist, mit dem Unionsrecht vereinbar ist. Diese Fragen stellen sich im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen einem Drittstaatsangehörigen, OS, und der Országos Idegenrendészeti Főigazgatóság (Nationale Generaldirektion der Fremdenpolizei, Ungarn) (im Folgenden: nationale Ausländerbehörde) über die Ablehnung seines Antrags auf Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis zur Teilnahme an einem Freiwilligendienst.
3. Einleitend möchte ich darauf hinweisen, dass die Voraussetzung der „nötigen Mittel“ als solche dem Gerichtshof nicht unbekannt ist, da er diesen Begriff bereits im Zusammenhang anderer Instrumente des Unionsrechts zur Migration und Freizügigkeit ausgelegt hat. Die vorliegende Rechtssache gibt dem Gerichtshof jedoch Gelegenheit, ihn erstmals im Rahmen der Anwendung der Richtlinie 2016/801 auszulegen.
II. Rechtlicher Rahmen
A. Unionsrecht
4. Die Erwägungsgründe 20, 21, 41 und 42 der Richtlinie 2016/801 sehen vor:
„(20) Mit dieser Richtlinie sollten die Ziele des Europäischen Freiwilligendienst unterstützt werden, nämlich die Solidarität, das gegenseitige Verständnis und die Toleranz unter jungen Menschen und den Gesellschaften, in denen sie leben, zu entwickeln und gleichzeitig zur Verstärkung des sozialen Zusammenhalts beizutragen und die aktive Bürgerschaft junger Menschen zu fördern. Um den Zugang zum Europäischen Freiwilligendienst in der gesamten Union in einheitlicher Weise zu gewährleisten, sollten die Mitgliedstaaten die Bestimmungen dieser Richtlinie auf Drittstaatsangehörige, die die Zulassung zur Teilnahme am Europäischen Freiwilligendienst beantragen, anwenden.
(21) Die Mitgliedstaaten sollten die Möglichkeit haben, die Bestimmungen dieser Richtlinie auf Schüler, Freiwillige, die an einem anderen als dem Europäischen Freiwilligendienst teilnehmen, sowie Au-pair-Kräfte anzuwenden, um ihnen die Einreise und den Aufenthalt zu erleichtern und ihre Rechte zu garantieren.
…
(41) Bestehen Zweifel an den Antragsgründen, sollten die Mitgliedstaaten angemessene Prüfungen durchführen oder Nachweise verlangen können, um im Einzelfall die Pläne des Antragstellers in Bezug auf Forschung, Studium, Praktikum, Freiwilligendienst, Schüleraustausch, Bildungsvorhaben oder Au-pair-Tätigkeit zu bewerten und dem Missbrauch und der falschen Anwendung des in dieser Richtlinie festgelegten Verfahrens vorzubeugen.
(42) Sind die übermittelten Angaben unvollständig, sollten die Mitgliedstaaten dem Antragsteller innerhalb einer angemessenen Frist mitteilen, welche zusätzlichen Informationen erforderlich sind, und eine angemessene Frist für deren Vorlage festlegen. Werden die Zusatzinformationen nicht fristgerecht erteilt, so kann der Antrag abgelehnt werden.“
5. Art. 1 („Gegenstand“) dieser Richtlinie bestimmt:
„Diese Richtlinie legt fest:
a) die Bedingungen für die Einreise von Drittstaatsangehörigen in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten und für den dortigen Aufenthalt für einen Zeitraum von mehr als 90 Tagen zu Forschungs- oder Studienzwecken oder zur Absolvierung eines Praktikums oder zur Teilnahme an einem Freiwilligendienst im Europäischen Freiwilligendienst sowie – wenn Mitgliedstaaten dies beschließen – zur Teilnahme an einem Schüleraustauschprogramm oder einem Bildungsvorhaben, einem anderen Freiwilligendienst als dem Europäischen Freiwilligendienst oder zur Ausübung einer Au-pair-Tätigkeit sowie ihre Rechte und gegebenenfalls die ihrer Familienangehörigen;
…“
6. Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 2016/801 sieht vor:
„Diese Richtlinie findet Anwendung auf Drittstaatsangehörige, die zu Forschungs‑, Studien- oder Ausbildungszwecken oder zur Teilnahme an einem Freiwilligendienst im Europäischen Freiwilligendienst einen Antrag auf Zulassung in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats stellen oder die Zulassung erhalten haben. Die Mitgliedstaaten können auch beschließen, die Bestimmungen dieser Richtlinie auf Drittstaatsangehörige anzuwenden, die die Zulassung zur Teilnahme an einem Schüleraustauschprogramm oder einem Bildungsvorhaben, einem anderen Freiwilligendienst als dem Europäischen Freiwilligendienst oder zur Ausübung einer Au-pair-Tätigkeit beantragen.“
7. In Art. 5 („Grundsätze“) dieser Richtlinie heißt es:
„(1) Ein Drittstaatsangehöriger wird nach dieser Richtlinie nur dann zugelassen, wenn sich nach Prüfung der Dokumente zeigt, dass der Drittstaatsangehörige folgende Bedingungen erfüllt:
a) die allgemeinen Bedingungen des Artikels 7; und
b) die einschlägigen besonderen Bedingungen der Artikel 8, 11, 12, 13, 14 oder 16.
(2) Die Mitgliedstaaten können von dem Antragsteller verlangen, dass er die Unterlagen nach Absatz 1 in einer Amtssprache des betreffenden Mitgliedstaats oder in einer anderen von diesem Mitgliedstaat bestimmten Amtssprache der Union vorlegt.
(3) Wenn alle allgemeinen und einschlägigen besonderen Bedingungen erfüllt sind, hat der Drittstaatsangehörige Anspruch auf einen Aufenthaltstitel.
…“
8. Art. 7 („Allgemeine Bedingungen“) der Richtlinie sieht vor:
„(1) In Bezug auf die Zulassung eines Drittstaatsangehörigen gemäß dieser Richtlinie muss der Antragsteller
…
e) den vom betreffenden Mitgliedstaat verlangten Nachweis erbringen, dass der Drittstaatsangehörige während seines geplanten Aufenthalts über die nötigen Mittel zur Deckung der Kosten für seinen Unterhalt, ohne Inanspruchnahme des Sozialhilfesystems des betreffenden Mitgliedstaats, und über die Kosten für die Rückreise verfügt. Die Beurteilung der Frage, ob die nötigen Mittel zur Verfügung stehen, stützt sich auf eine Einzelfallprüfung und berücksichtigt die Mittel, die u. a. aus einem Stipendium, einem gültigen Arbeitsvertrag oder einem verbindlichen Arbeitsplatzangebot oder einer finanziellen Verpflichtung einer für den Schüleraustausch, die Aufnahme von Praktikanten oder den Freiwilligendienst zuständigen Organisation, einer Gastfamilie oder einer Au-pair-Vermittlungsstelle stammen.
…“
9. In Art. 20 Abs. 1 („Ablehnungsgründe“) dieser Richtlinie heißt es:
„(1) Die Mitgliedstaaten lehnen einen Antrag ab, wenn
a) die allgemeinen Bedingungen des Artikels 7 oder die einschlägigen besonderen Bedingungen der Artikel 8, 11, 12, 13, 14 oder 16 nicht erfüllt sind;
b) die vorgelegten Dokumente auf betrügerische Weise erworben, gefälscht oder manipuliert wurden;
c) der betreffende Mitgliedstaat eine Zulassung ausschließlich durch eine zugelassene aufnehmende Einrichtung genehmigt und die aufnehmende Einrichtung nicht zugelassen ist.“
B. Nationales Recht
10. § 2 Buchst. d des A harmadik országbeli állampolgárok beutazásáról és tartózkodásáról szóló 2007. évi II. törvény (Gesetz Nr. II von 2007 über die Einreise und den Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen, im Folgenden: Gesetz Nr. II von 2007) sieht in der auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Fassung, vor, welche Angehörigen eines Drittstaatsangehörigen „Familienangehörige“ im Sinne des Gesetzes sind. Nach § 13 Abs. 1 Buchst. f dieses Gesetzes können sich Drittstaatsangehörige innerhalb von 180 Tagen mehr als 90 Tage im ungarischen Hoheitsgebiet aufhalten, wenn sie für die gesamte Dauer ihres Aufenthalts über ausreichende Mittel zur Deckung der Kosten ihrer Unterkunft, ihres Unterhalts sowie der Rückreise verfügen.
11. § 29 Abs. 5 des A harmadik országbeli állampolgárok beutazásáról és tartózkodásáról szóló 2007. évi II. törvény végrehajtásáról szóló 114/2007. (V. 24.) Korm. rendelet (Regierungsverordnung 114/2007 vom 24. Mai 2007 zur Durchführung des Gesetzes Nr. II von 2007 über die Einreise und den Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen, im Folgenden: Regierungsverordnung 114/2007) besagt im Wesentlichen, dass ein Drittstaatsangehöriger über die für seinen Aufenthalt in Ungarn nötigen Mittel verfügt, wenn er selbst oder ein „Familienangehöriger“ für ihn aus dem ihm zur Verfügung stehenden und rechtmäßig erworbenen Einkommen oder Vermögen für die Kosten seines Unterhalts, seiner Unterkunft, seiner Rückreise und erforderlichenfalls seiner medizinischen Versorgung aufkommen kann. Wie der Nachweis erbracht werden kann, dass die Mittel für den Unterhalt vorhanden sind, ist in § 29 Abs. 6 dieser Regierungsverordnung aufgeführt.
III. Sachverhalt des Ausgangsverfahrens, Verfahren vor dem Gerichtshof und Vorlagefragen
12. Der Kläger des Ausgangsverfahrens, OS, ist ein Drittstaatsangehöriger. Er besaß eine bis zum 30. Juni 2020 gültige Aufenthaltserlaubnis für ein Studium in Ungarn.
13. Am 5. Juni 2020 stellte er einen Antrag auf Verlängerung dieser Aufenthaltserlaubnis, um bei der Mahatma Gandhi Emberi Jogi Egyesület (Menschenrechtsvereinigung Mahatma Gandhi, im Folgenden: Vereinigung) als Freiwilliger zu arbeiten. Er gab an, seinen Unterhalt während der Zeit der Freiwilligenarbeit mit Hilfe seines Onkels, eines britischen Staatsbürgers, sichern zu wollen. Außerdem fügte er dem Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis den Vertrag mit der Vereinigung, einen detaillierten sechsmonatigen Kontoauszug auf seinen eigenen Namen, eine Unterhaltserklärung seines Onkels und Urkunden zum Nachweis des Einkommens seines Onkels bei.
14. Die zuständige regionale Ausländerbehörde lehnte den Antrag auf Verlängerung des Aufenthaltstitels ab und wies den Antragsteller aus dem Hoheitsgebiet der Europäischen Union aus. In der Begründung ihrer Entscheidung führte sie aus, dass der Onkel des Klägers nicht als Familienangehöriger im Sinne von § 2 Buchst. d des Gesetzes Nr. II von 2007 angesehen werden könne und somit nicht für den Unterhalt des Klägers in Ungarn aufkommen könne und dass die dem Antrag beigefügten Nachweise gemäß § 29 Abs. 5 und 6 der Regierungsverordnung 114/2007 daher nicht berücksichtigt werden könnten.
15. Gegen diese Entscheidung legte der Kläger einen Rechtsbehelf bei der nationalen Ausländerbehörde ein. Er gab an, einen Darlehensvertrag mit seinem Onkel geschlossen zu haben, und fügte eine Erklärung bei, in der sich dieser verpflichtete, dem Kläger für die Dauer des Freiwilligendienstes einen bestimmten Geldbetrag u. a. durch Überweisungen zur Verfügung zu stellen. Die nationale Ausländerbehörde vertrat jedoch ebenfalls die Auffassung, dass der Onkel des Klägers kein Familienangehöriger sei und daher nicht für den Unterhalt des Klägers in Ungarn aufkommen könne.
16. OS erhob gegen diese Entscheidung eine Verwaltungsklage vor dem Fővárosi Törvényszék (Hauptstädtisches Stuhlgericht). Vor diesem Gericht machte er geltend, sein Onkel könne ihm die finanzielle Unterstützung nicht als Darlehen, sondern als Schenkung gewähren. Außerdem habe die nationale Ausländerbehörde rechtswidrig gehandelt, als sie entschieden habe, die vom Onkel des Klägers zur Verfügung gestellten Mittel nur deshalb nicht zu berücksichtigen, weil dieser kein „Familienangehöriger“ im Sinne des nationalen Rechts sei.
17. Das Fővárosi Törvényszék (Hauptstädtisches Stuhlgericht) gab in seinem Urteil dem Kläger in diesem Punkt Recht. Es hob demgemäß die Bescheide der regionalen und nationalen Ausländerbehörden auf und wies die regionale Ausländerbehörde an, ein neues Verfahren durchzuführen.
18. Dieses Urteil wurde jedoch von der Kúria (Oberstes Gericht, Ungarn) aufgehoben. Dieses Gericht war der Ansicht, dass der Drittstaatsangehörige, um die Bedingung der „nötigen Mittel“ im Sinne von Art. 7 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie 2016/801 in der in das nationale Recht umgesetzten Fassung zu erfüllen, nachweisen müsse, dass er die entsprechenden Mittel entweder von einem „Familienangehörigen“ im Sinne von § 2 Buchst. d des Gesetzes Nr. II von 2007 erhalten oder als eigenes Einkommen oder Vermögen erworben habe, d. h. dass er endgültig und unbegrenzt über diese Mittel als eigene verfügen könne. Darüber hinaus müssten die Erklärungen des Klägers insoweit schlüssig sein. Vor diesem Hintergrund wies die Kúria (Oberstes Gericht) das Fővárosi Törvényszék (Hauptstädtisches Stuhlgericht) an, ein neues Verfahren durchzuführen.
19. Im Rahmen dieses neuen Verfahrens hat das Fővárosi Törvényszék (Hauptstädtisches Stuhlgericht), das die Vereinbarkeit der von der Kúria (Oberstes Gericht) in ihrem Urteil aufgestellten Kriterien mit dem Unionsrecht bezweifelt, beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
1. Ist die Praxis eines Mitgliedstaats, die – im Anschluss an den Nachweis, dass ein nicht als Familienangehöriger geltender Verwandter eines drittstaatsangehörigen Antragstellers mit dem Wunsch, Freiwilligenarbeit zu leisten, aus seinem rechtmäßig erworbenen Einkommen in der Lage ist, mit der regelmäßigen Überweisung des für den Unterhalt nötigen Betrags dem Antragsteller ein ausreichendes Einkommen für seinen Unterhalt und seine Rückreise bzw. Mittel zu deren Deckung zu sichern und sichert – als zusätzliche Voraussetzung für die Anerkennung des Unterhalts auch vorschreibt, dass der Antragsteller genau angibt, ob der erhaltene Betrag Einkommen oder Vermögen darstellt, ferner urkundlich nachweist, aus welchem Rechtsgrund er dieses Einkommen oder Vermögen erworben hat und ob er über das Geld oder Vermögen endgültig und unbegrenzt als eigenes verfügen kann, im Hinblick auf die in den Erwägungsgründen 2 und 41 sowie in Art. 1 Buchst. a und Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie (EU) 2016/801 festgelegten Ziele mit dem den Mitgliedstaaten in Art. 7 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie (EU) 2016/801 eingeräumten Beurteilungsspielraum vereinbar?
2. Ist es für die Antwort auf die erste Frage im Hinblick auf den Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts, die angemessene Behandlung gemäß Art. 79 AEUV, die Aufenthaltsfreiheit gemäß Art. 45 der Charta, den Grundsatz des wirksamen Rechtsbehelfs und eines unparteiischen Verfahrens gemäß Art. 47 der Charta sowie die Erwägungsgründe 54 und 61 der Richtlinie (EU) 2016/801, aber insbesondere im Hinblick auf den Grundsatz der Rechtssicherheit von Bedeutung, dass die in der ersten Frage genannten Voraussetzungen in den für die Aufenthaltstitel einheitlich geltenden mitgliedstaatlichen Rechtsvorschriften nicht enthalten sind, und so diese Voraussetzungen nicht vom Gesetzgeber, sondern vom mitgliedstaatlichen Höchstgericht im Rahmen seiner als Präzedenzentscheidung zu betrachtenden Rechtsanwendung aufgestellt worden sind?
3. Wenn für die Anerkennung des Unterhalts auch eine der mitgliedstaatlichen Rechtsanwendung entsprechende Erklärung und ein dieser Rechtsanwendung entsprechender urkundlicher Nachweis über die oben genannten Voraussetzungen erforderlich sind, ist dann Art. 7 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie (EU) 2016/801 unter Berücksichtigung der angemessenen Behandlung gemäß Art. 79 AEUV, des Grundsatzes des wirksamen Rechtsbehelfs und eines unparteiischen Verfahrens gemäß Art. 47 der Charta, des Erfordernisses der Rechtssicherheit gemäß zweitem Erwägungsgrund der Richtlinie (EU) 2016/801 sowie deren Erwägungsgründe 41 und 42 als verfahrensrechtliche Garantien dahin auszulegen, dass den Bestimmungen der Rechtsvorschriften nur eine Praxis eines Mitgliedstaats entspricht, wonach unter Verweis auf die Rechtsfolgen vom Antragsteller verlangt wird, die als notwendig erachteten zusätzlichen Voraussetzungen übereinstimmend und schlüssig darzulegen und nachzuweisen, und wonach der Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels mangels Nachweises der von der Rechtsprechung aufgestellten Voraussetzungen nur abgelehnt wird, wenn auf diese Weise die Beteiligtenrechte gesichert sind und die Durchsetzung der Verfahrensgarantien gewährleistet ist?
20. Das Vorabentscheidungsersuchen vom 26. Juni 2023 ist am 14. August 2023 bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingegangen. Die ungarische Regierung und die Europäische Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht und waren in der mündlichen Verhandlung vom 20. November 2024 vertreten.
IV. Würdigung
21. Die Richtlinie 2016/801, die die Bedingungen für die Einreise und den Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen festlegt, basiert auf dem Grundgedanken, dass „[d]ie Zuwanderung aus Drittstaaten … ein Weg [ist], um den Bedarf an hoch qualifizierten Personen in der Union zu decken“ und dass diese Personen „[d]urch ihren Beitrag zu intelligentem, nachhaltigem und integrativem Wachstum … als Humankapital für die Union ausgesprochen wichtig [sind]“(3 ). Eine dieser Bedingungen, die sich auch in mehreren anderen Richtlinien zur Regelung der Migration und der Freizügigkeit in der Union findet(4 ), ist, dass die betreffende Person über ausreichende Existenzmittel zur Deckung der Kosten für ihren Unterhalt und ihre Rückreise verfügt, so dass sie keine Sozialhilfeleistungen des Mitgliedstaats, in dem sie sich aufhält, in Anspruch nehmen muss. Während das Erfordernis der „nötigen Mittel“ in einigen dieser anderen Instrumente jedoch an weitere Kriterien geknüpft ist, so dass die Einkünfte nicht nur ausreichend, sondern auch fest und regelmäßig sein müssen(5 ), ist dies in der Richtlinie 2016/801 nicht der Fall. Art. 7 Abs. 1 Buchst. e dieser Richtlinie verlangt nämlich nur, dass „nötige“ Mittel zur Verfügung stehen(6 ).
22. Vor diesem Hintergrund ergeben sich die Fragen des vorlegenden Gerichts aus dem Umstand, dass der Kläger des Ausgangsverfahrens – ein Drittstaatsangehöriger, der eine Aufenthaltserlaubnis zur Teilnahme an einem Freiwilligendienst beantragt – widersprüchliche Angaben zur Art der Mittel gemacht hat, die er während seines Aufenthalts in Ungarn zur Deckung seines Unterhalts verwendet. Zunächst gab er an, dass sein Onkel ihm die Mittel auf der Grundlage eines Darlehensvertrags gewähren würde, später erklärte er jedoch, dass sein Onkel ihm das Geld in Wirklichkeit geschenkt habe. Das vorlegende Gericht wurde von der Kúria (Oberstes Gericht) angewiesen, bei seiner Würdigung zu berücksichtigen, dass in einem solchen Fall keine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden könne. Nach Ansicht der Kúria (Oberstes Gericht) müssen erstens die Mittel, die ein Antragsteller für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach der Richtlinie 2016/801 vorlegt, entweder von einem „Familienangehörigen“ im Sinne des nationalen Rechts gewährt worden sein (was auf den Onkel von OS nicht zutreffe) oder vom Antragsteller als eigenes Einkommen oder Vermögen erworben worden sein, d. h. dass er über die Mittel endgültig (was das vorlegende Gericht dahin versteht, dass es sich um eine Schenkung und nicht um ein Darlehen handeln müsse, wenn ein Dritter wie der Onkel von OS, der nicht als „Familienangehöriger“ gilt, die Mittel gewähre) und unbegrenzt als eigene verfügen könne. Zweitens müsse der Antragsteller die Art dieser Mittel schlüssig nachweisen (im Folgenden zusammen: die streitigen Anforderungen).
23. Mit der ersten und der dritten Frage möchte das Fővárosi Törvényszék (Hauptstädtisches Stuhlgericht) im Wesentlichen wissen, ob diese Anforderungen mit dem Unionsrecht vereinbar sind. Das Gericht weist darauf hin, dass es den Mitgliedstaaten seiner Ansicht nach nicht gestattet ist, den in Art. 7 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie 2016/801 genannten Bedingungen weitere hinzuzufügen. Da im vorliegenden Fall festgestellt worden sei, dass der Onkel von OS leistungsfähig sei und sein Einkommen rechtmäßig erziele, könne in Frage gestellt werden, dass der Umstand, ob OS die Mittel von seinem Onkel als Darlehen oder als Schenkung erhalte und ob er sie zurückzahlen müsse oder endgültig über sie verfüge, von Bedeutung sei.
24. In den folgenden Abschnitten werde ich zunächst auf das Vorbringen der ungarischen Regierung zur Zulässigkeit der Vorlagefragen eingehen (A), bevor ich mich den Gesichtspunkten zuwende, die ich in der vorstehenden Nummer dargelegt habe (B). Anschließend werde ich die zweite Frage beantworten, die sich auf den Umstand bezieht, dass die streitigen Anforderungen nicht in den nationalen Rechtsvorschriften über Aufenthaltstitel festgelegt, sondern vom obersten Gericht des betreffenden Mitgliedstaats in seiner Rechtsprechung entwickelt wurden (C).
A. Zulässigkeit
25. Die ungarische Regierung macht geltend, dass die Vorlagefragen zur Auslegung der Richtlinie 2016/801 unzulässig seien, da der Rechtsstreit des Ausgangsverfahrens nicht in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie falle.
26. Hierzu trägt die Regierung zwei Argumente vor. Erstens habe OS in seinem Antrag nicht angegeben, dass er einen Aufenthaltstitel zur Teilnahme an einem „Freiwilligendienst“ im Sinne der Richtlinie 2016/801 beantrage, sondern seinen Antrag unter der (im nationalen Recht vorgesehenen) Kategorie „andere Zwecke“ gestellt. Solche „anderen Zwecke“ seien aber nicht von der Richtlinie erfasst(7 ). Zweitens macht sie geltend, dass die Richtlinie selbst dann nicht auf OS anwendbar wäre, wenn man davon ausginge, dass er seinen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels tatsächlich zum Zweck der Teilnahme an einem „Freiwilligendienst“ gestellt hätte. Insoweit weist die ungarische Regierung darauf hin, dass Ungarn von der in Art. 1 Buchst. a und Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 2016/801 im Licht ihres 21. Erwägungsgrundes vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch gemacht habe, die Bestimmungen dieses Rechtsakts nicht nur auf Drittstaatsangehörige anzuwenden, die am Europäischen Freiwilligendienst teilnehmen wollten, sondern auch auf diejenigen, die wie der Kläger einen anderen Freiwilligendienst anstrebten. In einem solchen Fall sei es jedoch erforderlich, dass die betreffende Organisation, die das Freiwilligenprogramm durchführe, als „aufnehmende Einrichtung“ im Sinne von Art. 3 Nr. 14 der Richtlinie 2016/801 eingestuft werde. Dies sei bei der Organisation jedoch nicht der Fall.
27. Das Vorbringen der ungarischen Regierung kann meines Erachtens ohne Weiteres zurückgewiesen werden.
28. In Bezug auf das zweite Argument dieser Regierung stelle ich zunächst fest, dass der in Art. 3 Nr. 14 der Richtlinie 2016/801 definierte Begriff „aufnehmende Einrichtung“ in Art. 2 dieser Richtlinie, der mit „Anwendungsbereich“ überschrieben ist, nicht vorkommt. Er wird jedoch in Art. 14 der Richtlinie verwendet, in dem die besonderen Bedingungen für die Einreise und den Aufenthalt von Freiwilligen aufgeführt sind.
29. Im Gegensatz zur ungarischen Regierung bin ich der Ansicht, dass die Frage, ob die betreffende Organisation, die das Freiwilligenprogramm durchführt, als „aufnehmende Einrichtung“ einzustufen ist, daher für die Beurteilung des Vorliegens dieser besonderen Bedingungen von Bedeutung ist und nicht für die Vorfrage, ob dieser Rechtsakt auf einen Antragsteller Anwendung findet.
30. Zweitens erinnere ich daran, dass der Gerichtshof nach ständiger Rechtsprechung im Rahmen der durch Art. 267 AEUV geschaffenen Zusammenarbeit zwischen dem Gerichtshof und den nationalen Gerichten grundsätzlich gehalten ist, über ihm vorgelegte Fragen zu befinden, wenn diese die Auslegung des Unionsrechts betreffen und eine Vermutung für die Entscheidungserheblichkeit dieser Vorlagefragen besteht. Die Zurückweisung solcher Fragen ist dem Gerichtshof nur möglich, wenn die erbetene Auslegung des Unionsrechts offensichtlich in keinem Zusammenhang mit den Gegebenheiten oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, wenn das Problem hypothetischer Natur ist oder wenn der Gerichtshof nicht über die tatsächlichen und rechtlichen Angaben verfügt, um eine sachdienliche Antwort zu geben(8 ).
31. Keine dieser Fälle trifft hier zu.
32. Insbesondere habe ich nicht den Eindruck, dass die erbetene Auslegung, die die Bedingung der „nötigen Mittel“ in Art. 7 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie 2016/801 betrifft, in keinem Zusammenhang mit dem Sachverhalt oder dem Gegenstand des Ausgangsverfahrens steht.
33. Unabhängig von der spezifischen Kategorie, unter der OS seinen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gestellt hat (ob „Freiwilligendienst“ oder „andere Zwecke“), wurde dieser Antrag von den zuständigen Ausländerbehörden und den nationalen Gerichten jedenfalls als zum Zweck der Teilnahme an einem „Freiwilligendienst“ gestellt betrachtet und von diesen Behörden und Gerichten u. a. im Hinblick auf die in Art. 7 der Richtlinie 2016/801 aufgeführten allgemeinen Bedingungen, einschließlich der Voraussetzung der „nötigen Mittel“ (Art. 7 Abs. 1 Buchst. e), geprüft.
34. Darüber hinaus hat die ungarische Regierung in der mündlichen Verhandlung eingeräumt, dass der Umstand, dass die Organisation nicht als „aufnehmende Einrichtung“ im Sinne von Art. 3 Nr. 14 der Richtlinie 2016/801 angesehen werden könne, nicht der Grund für die Ablehnung des von OS gestellten Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gewesen sei, da die Entscheidungen der zuständigen regionalen und nationalen Ausländerbehörden ausschließlich darauf beruht hätten, dass er nicht nachgewiesen habe, dass er über die „nötigen Mittel“ im Sinne von Art. 7 Abs. 1 Buchst. e dieser Richtlinie verfüge.
35. Folglich hängt die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits von der Auslegung dieser Voraussetzung ab, und die Vorlagefragen sind zulässig.
B. Prüfung der Vereinbarkeit mit dem Unionsrecht (Fragen 1 und 3)
36. Wie ich bereits oben in den Nrn. 22 und 23 erläutert habe, möchte das vorlegende Gericht mit seinem Vorabentscheidungsersuchen wissen, ob es für den Nachweis, dass der Kläger über die „nötigen Mittel“ im Sinne von Art. 7 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie 2016/801 verfügt, ausreicht, dass die für die Bereitstellung dieser Mittel verantwortliche Person (hier der Onkel des Klägers) ihre Leistungsfähigkeit nachweist und erklärt, dass diese Mittel zur Deckung der Kosten für den Unterhalt des Klägers während seines Aufenthalts und für seine Rückreise bestimmt sind.
37. Im Gegensatz dazu versteht dieses Gericht die Ausführungen der Kúria (Oberstes Gericht) dahin, dass dann, wenn die Mittel von einem Dritten gewährt werden, der kein „Familienangehöriger“ im Sinne des nationalen Rechts ist (wie im Fall des Onkels von OS), der Antragsteller nachweisen müsse, dass er diese Mittel tatsächlich von ihm als eigenes Einkommen oder Vermögen, d. h. endgültig (als Schenkung und nicht als Darlehen) erworben habe und dass er darüber unbegrenzt als eigenes verfügen könne.
38. Die erste Frage des vorlegenden Gerichts wirft Zweifel an der Vereinbarkeit dieser Anforderung mit den Zielen der Richtlinie (wie sie in ihren Erwägungsgründen 2 und 41 sowie in ihrem Art. 4 Abs. 1 zum Ausdruck kommen) auf.
39. Die dritte Frage ergibt sich aus der Feststellung der Kúria (Oberstes Gericht), dass OS im Ausgangsverfahren die Art der ihm zur Verfügung stehenden Mittel, insbesondere hinsichtlich der Art und Weise ihres Erwerbs und ihres endgültigen Charakters, nicht schlüssig dargelegt habe. Das vorlegende Gericht hat auch hier Zweifel, ob diese Anforderung mit dem Unionsrecht (insbesondere mit Art. 79 AEUV(9 ), Art. 47 der Charta(10 ) sowie den Erwägungsgründen 2, 41 und 42 der Richtlinie 2016/801) vereinbar ist, da OS im Verwaltungsverfahren nicht darauf hingewiesen worden sei, dass sein Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels abgelehnt werden könne, wenn seine diesbezüglichen Erklärungen nicht widerspruchsfrei seien.
40. In den folgenden Abschnitten werde ich diese Gesichtspunkte der Reihe nach prüfen.
1. Das Erfordernis des endgültigen Erwerbs der Mittel
41. Die Richtlinie 2016/801 präzisiert den Begriff „nötige Mittel“ nicht. Art. 7 Abs. 1 Buchst. e dieser Richtlinie bestimmt lediglich, dass für die Beurteilung der Frage, ob eine Person, die einen Aufenthaltstitel beantragt, über die „nötigen Mittel“ verfügt, solche Mittel berücksichtigt werden, die „u. a. aus einem Stipendium, einem gültigen Arbeitsvertrag oder einem verbindlichen Arbeitsplatzangebot oder einer finanziellen Verpflichtung einer für den Schüleraustausch, die Aufnahme von Praktikanten oder den Freiwilligendienst zuständigen Organisation, einer Gastfamilie oder einer Au-pair-Vermittlungsstelle stammen“. Darüber hinaus sieht Art. 7 Abs. 3 dieser Richtlinie vor, dass „[d]ie Mitgliedstaaten … einen Referenzbetrag für die ,nötigen Mittel‘ nach Absatz 1 Buchstabe e angeben [können]“. In diesen Bestimmungen wird ferner klargestellt, dass sich die Beurteilung der Frage, ob die nötigen Mittel zur Verfügung stehen, „auf eine Einzelfallprüfung [stützt]“.
42. Bislang haben sich nur zwei Urteile des Gerichtshofs mit der Auslegung der Richtlinie 2016/801 befasst, und keines dieser Urteile betraf ausdrücklich den Begriff „nötige Mittel“ oder andere materielle Anforderungen dieser Richtlinie(11 ). In Bezug auf die Richtlinie 2004/114/EG(12 ), die vor Inkrafttreten der Richtlinie 2016/801 galt, hat der Gerichtshof jedoch festgestellt, dass die Mitgliedstaaten im Grunde verpflichtet sind, einem Antragsteller, der die allgemeinen und besonderen Voraussetzungen der Richtlinie 2004/114 erfüllt, einen Aufenthaltstitel für einen der aufgeführten Zwecke zu erteilen, da diese Voraussetzungen abschließend sind(13 ).
43. Meines Erachtens liegt es auf der Hand, dass dies auch für die Richtlinie 2016/801 gilt, die in ihrem Art. 5 Abs. 3 bestimmt: „Wenn alle allgemeinen und einschlägigen besonderen Bedingungen erfüllt sind, hat der Drittstaatsangehörige Anspruch auf einen Aufenthaltstitel“(14 ). Folglich sind die in Art. 7 der Richtlinie aufgeführten „allgemeinen Bedingungen“, einschließlich der Voraussetzung der „nötigen Mittel“, abschließend und können daher nicht durch zusätzliche allgemeine Voraussetzungen ergänzt werden.
44. Ich bin jedoch der Meinung, dass der Begriff „nötige Mittel“ eine doppelte Dimension hat. Ob der Antragsteller über die nötigen Mittel verfügt, hängt nämlich zum einen von der Höhe dieser Mittel (die ausreichen müssen, um seinen Unterhalt und die Kosten seiner Rückreise zu decken) und zum anderen von dem Zeitraum ab, in dem ihm diese Einkünfte zur Verfügung stehen (da er nachweisen muss, dass er „während seines geplanten Aufenthalts über die nötigen Mittel zur Deckung der Kosten für seinen Unterhalt, ohne Inanspruchnahme des Sozialhilfesystems des betreffenden Mitgliedstaats, und über die Kosten für die Rückreise verfügt“)(15 ).
45. In diesem Zusammenhang möchte ich daran erinnern, dass der Gerichtshof bereits in Bezug auf andere Instrumente des Zuwanderungsrechts der Union entschieden hat, dass die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten nicht daran gehindert sind, bei der Prüfung, ob die Voraussetzung der „nötigen Mittel“ erfüllt ist, zu berücksichtigen, ob diese Einkünfte über den Zeitpunkt der Antragstellung hinaus vorhanden sein werden(16 ). Dies gilt meines Erachtens auch im Rahmen der Anwendung der Richtlinie 2016/801. Um festzustellen, ob die betreffende Person in der Lage sein wird, ihren Lebensunterhalt während des gesamten Aufenthalts zu decken, ist eine vorausschauende Bewertung erforderlich. Um ein extremes Beispiel zu nennen (das nicht dem Sachverhalt des Ausgangsverfahrens entspricht): Erfüllt ein Drittstaatsangehöriger, der einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach der Richtlinie 2016/801 stellt und angibt, über die „nötigen Mittel“ zu verfügen, obwohl er in Wahrheit verpflichtet ist, den entsprechenden Betrag unmittelbar nach seiner Einreise zurückzuzahlen, tatsächlich die in Art. 7 Abs. 1 Buchst. e dieser Richtlinie vorgesehene Bedingung? Ich denke nicht.
46. Eine solche vorausschauende Bewertung ist meines Erachtens umso notwendiger, als sich aus Art. 7 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie 2016/801 ergibt, dass die Voraussetzung der „nötigen Mittel“ unabdingbar ist, um sicherzustellen, dass Drittstaatsangehörige, denen ein Aufenthaltstitel zu einem der in dieser Richtlinie genannten Zwecke gewährt wird, während ihres gesamten Aufenthalts ihren Unterhalt ohne Inanspruchnahme des Sozialhilfesystems des betreffenden Mitgliedstaats decken können(17 ), und dass bestimmte Kategorien von Antragstellern, wie z. B. (unbezahlte) Freiwillige(18 ), die einen Aufenthaltstitel nach dieser Richtlinie beantragen können, während ihres Aufenthalts keine Einkünfte erzielen.
47. Anders als die Kúria (Oberstes Gericht) bin ich jedoch nicht der Ansicht, dass die Mittel von einem Drittstaatsangehörigen, der einen Aufenthaltstitel nach dieser Richtlinie beantragt, zwangsläufig endgültig erworben worden sein müssen. Eine solche Anforderung würde meiner Ansicht nach weit über den Wortlaut von Art. 7 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie 2016/801 und die Ziele dieses Rechtsakts hinausgehen. Es würde nämlich im Wesentlichen bedeuten (wie das vorlegende Gericht in seinem Vorabentscheidungsersuchen andeutet), dass einer solchen Person die Aufenthaltserlaubnis allein deshalb verweigert werden könnte, weil sie möglicherweise den Geldbetrag zurückzahlen muss, den ihr eine andere Person zur Deckung ihrer Unterhalts- und Rückreisekosten geliehen hat, selbst wenn sie dazu erst nach Beendigung ihres Aufenthalts verpflichtet wäre.
48. In diesem Zusammenhang erinnere ich daran, dass die Richtlinie 2016/801, wie ich bereits oben in Nr. 21 ausgeführt habe, darauf abzielt, die Zuwanderung von Drittstaatsangehörigen zu Forschungs- oder Studienzwecken, zur Absolvierung eines Praktikums, zur Teilnahme an einem Freiwilligendienst, Schüleraustauschprogrammen oder Bildungsvorhaben und zur Ausübung einer Au-pair-Tätigkeit zu fördern und zu erleichtern. Im sechsten Erwägungsgrund dieser Richtlinie wird das Ziel formuliert, „persönliche Kontakte und die Mobilität [zu] fördern“, und in ihrem siebten Erwägungsgrund heißt es, dass die Zuwanderung im Rahmen dieser Richtlinie „für die betreffenden Migranten, ihren Herkunftsstaat und den betreffenden Mitgliedstaat eine Bereicherung dar[stellt] und … zugleich zur Stärkung der kulturellen Bindungen und Bereicherung der kulturellen Vielfalt bei[trägt]“. Im achten Erwägungsgrund der Richtlinie 2016/801 wird ausgeführt, dass dieses Instrument den Ruf der Union „als attraktiven Standort für Wissenschaft und Innovation“ festigen soll, während im 21. Erwägungsgrund das Ziel genannt wird, die Einreise und den Aufenthalt von Freiwilligen zu „erleichtern“. Meines Erachtens bestätigen diese Erwägungsgründe, dass diese Richtlinie nicht darauf abzielt, die Erlangung von Aufenthaltstiteln für die Kategorien von Drittstaatsangehörigen, auf die sie anwendbar ist, zu erschweren, sondern lediglich sicherstellen soll, dass bestimmte abschließende Voraussetzungen erfüllt sind, von denen die wichtigste ist, dass die Betreffenden über ausreichende Einkünfte verfügen, damit sie keine Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats in Anspruch nehmen müssen.
49. Ich erinnere daran, dass es der Unionsgesetzgeber abweichend von bestimmten anderen Instrumenten des Migrationsrechts der Union, nämlich der Richtlinie 2003/109 und der Richtlinie 2003/86, die langfristige Aufenthalte betreffen, nicht für erforderlich gehalten hat, in Art. 7 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie 2016/801 vorzuschreiben, dass die Einkünfte neben „ausreichend“ auch „fest“ und „regelmäßig“ sein müssen. Ich vermag daher nicht zu erkennen, wie die Mitgliedstaaten von einer Person, die einen Aufenthaltstitel nach dieser Richtlinie beantragt, den Nachweis verlangen können, dass die ihr gewährten Einkünfte absolut gesehen (d. h. über die tatsächliche Dauer ihres geplanten Aufenthalts hinaus) fest und regelmäßig sind, geschweige denn, dass sie endgültig darüber verfügen kann(19 ). Hätte der Unionsgesetzgeber über die „ausreichende“ Verfügbarkeit hinaus weitere Anforderungen an die Mittel knüpfen wollen, so hätte er dies wie in den anderen Richtlinien auch zum Ausdruck gebracht.
50. In jedem Fall ist auch bei der Anwendung der anderen Rechtsinstrumente der endgültige Erwerb der entsprechenden Mittel durch den Antragsteller nicht erforderlich. So hat der Gerichtshof beispielsweise in Bezug auf die Richtlinie 2003/86 (betreffend die Familienzusammenführung) entschieden, dass eine Prognose darüber, ob es wahrscheinlich ist , dass die festen, regelmäßigen und ausreichenden Einkünfte, über die der Zusammenführende verfügen muss, weiterhin vorhanden sein werden, genügt(20 ).
51. Meines Erachtens ergibt sich aus diesen Gesichtspunkten, dass die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach der Richtlinie 2016/801 nicht allein deshalb verweigert werden darf, weil der Antragsteller die Mittel nicht endgültig erworben hat (z. B., weil sie als Darlehen gewährt wurden).
52. Bevor ich diesen Abschnitt abschließe, möchte ich noch zwei Bemerkungen machen.
53. Erstens teile ich die Auffassung der ungarischen Regierung, dass zwar die in Art. 7 der Richtlinie 2016/801 aufgeführten allgemeinen Bedingungen abschließend sind, nicht aber die in Art. 7 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie aufgeführten Arten von Einkünften, anhand deren zu prüfen ist, ob die Voraussetzung der „nötigen Mittel“ erfüllt ist. Ich stimme auch zu, dass die Mitgliedstaaten, um festzustellen, ob diese Voraussetzung gegeben ist, vom Antragsteller Angaben zur Art der Mittel, über die er angeblich verfügt, oder zur Art und Weise, wie er sie erworben hat, verlangen können. Wie von der ungarischen Regierung und der Kommission in der mündlichen Verhandlung vorgetragen und im 41. Erwägungsgrund des genannten Rechtsakts bestätigt, können die Mitgliedstaaten nämlich „angemessene Prüfungen durchführen oder Nachweise verlangen …, um im Einzelfall die Pläne des Antragstellers in Bezug auf Forschung, Studium, Praktikum, Freiwilligendienst, Schüleraustausch, Bildungsvorhaben oder Au-pair-Tätigkeit zu bewerten und dem Missbrauch und der falschen Anwendung des in dieser Richtlinie festgelegten Verfahrens vorzubeugen“(21 ). Darüber hinaus hat der Gerichtshof bereits in anderen Zusammenhängen entschieden, dass die Art der Einkünfte ein wichtiger Faktor für die Feststellung sein kann, ob die Voraussetzung der „nötigen Mittel“ erfüllt ist(22 ).
54. Meines Erachtens kann der Ermessensspielraum, über den die Mitgliedstaaten in dieser Hinsicht verfügen, jedoch nicht herangezogen werden, um Anforderungen aufzustellen, die über bloße Beweisregeln hinausgehen und den in Art. 7 der Richtlinie 2016/801 bereits abschließend geregelten materiellen Voraussetzungen hinzugefügt werden (indem etwa die Erteilung eines Aufenthaltstitels vom endgültigen Erwerb der Existenzmittel abhängig gemacht wird). Insoweit darf nicht außer Acht gelassen werden, dass Art. 7 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie 2016/801 vom Antragsteller lediglich den Nachweis verlangt, dass er „während seines geplanten Aufenthalts über die nötigen Mittel zur Deckung der Kosten für seinen Unterhalt, ohne Inanspruchnahme des Sozialhilfesystems des betreffenden Mitgliedstaats, und über die Kosten für die Rückreise verfügt“(23 ). Wie die Kommission in der mündlichen Verhandlung dargelegt hat, sind die von einem Antragsteller vorgelegten Nachweise nur im Hinblick auf die in der Richtlinie 2016/801 vorgesehenen abschließenden Bedingungen zu prüfen.
55. Zweitens weise ich darauf hin, dass eine Anforderung, wie sie im vorliegenden Fall von der Kúria (Oberstes Gericht) aufgestellt wird, tatsächlich aus mehreren Komponenten besteht. Dieses Gericht verlangt nämlich im Wesentlichen, dass die Mittel, die von einem Dritten stammen, der kein „Familienangehöriger“ im Sinne des nationalen Rechts ist, nicht nur auf eine bestimmte Art und Weise (endgültig, d. h. als Schenkung und nicht als Darlehen) von einer solchen Person erworben werden, sondern dem Antragsteller auch unbegrenzt zur Verfügung stehen, so dass sie tatsächlich einen Teil seines eigenen „Vermögens oder Einkommens“ bilden.
56. Konkret bedeutet dies im vorliegenden Fall, dass der Onkel von OS keine Möglichkeit hat, unmittelbar für die Unterhaltskosten von OS aufzukommen. Vielmehr müsste OS nachweisen, dass sein Onkel ihm das Geld auf sein Bankkonto überweist und er darüber als eigenes verfügt, bevor er es zur Deckung seines Unterhalts verwendet. In der Praxis bedeutet ein solches Erfordernis den Ausschluss von Mitteln, die von Dritten stammen, die keine „Familienangehörigen“ im Sinne des nationalen Rechts sind.
57. In diesem Zusammenhang weise ich darauf hin, dass der Gerichtshof in Bezug auf andere Rechtsakte (namentlich die Richtlinie 2003/109 betreffend langfristig aufenthaltsberechtigte Drittstaatsangehörige und die Richtlinie 2003/86 betreffend die Familienzusammenführung) entschieden hat, dass mit dem in diesen Rechtsakten verwendeten Begriff „Einkünfte“ nicht ausschließlich „eigene Einkünfte“ des Antragstellers gemeint sind, sondern dieser Begriff auch Mittel umfasst, die diesem Antragsteller von einem Dritten zur Verfügung gestellt werden(24 ). Darüber hinaus hat er festgestellt, dass mit „einer Auslegung der Voraussetzung der ausreichenden Existenzmittel dahin, dass der Betreffende selbst über solche Mittel verfügen muss“, ein Erfordernis in Bezug auf die Herkunft der Mittel hinzufügt würde, das für die Erreichung des verfolgten Ziels, nämlich den Schutz der öffentlichen Finanzen der Mitgliedstaaten, nicht erforderlich ist(25 ).
58. Gleiches gilt nach meinem Dafürhalten für die Richtlinie 2016/801. Das Erfordernis, dass der Antragsteller über die Mittel, die er von einem Dritten (der kein „Familienangehöriger“ ist) erhalten hat, unbegrenzt verfügen können muss, so dass sie tatsächlich einen Teil seines eigenen Einkommens oder Vermögens bilden, ist weder durch die Richtlinie vorgeschrieben (die die zu erfüllenden materiellen Voraussetzungen abschließend aufzählt) noch zur Erreichung ihrer Ziele erforderlich. Wie der Gerichtshof entschieden hat, stellt nämlich der „Wegfall ausreichender Existenzmittel … unabhängig davon, ob es sich um eigene Mittel handelt oder ob sie von einem Dritten stammen, stets ein latentes Risiko dar“(26 ).
2. Erfordernis, dass die Erklärungen über die Art der Mittel schlüssig sein müssen
59. Die dritte Frage betrifft die von der Kúria (Oberstes Gericht) aufgestellte Anforderung, dass die Erklärungen eines Drittstaatsangehörigen, der einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach der Richtlinie 2016/801 stellt, in Bezug auf die Art der ihm zur Verfügung stehenden Mittel, insbesondere hinsichtlich der Art und Weise ihres Erwerbs und ihres endgültigen Charakters, schlüssig sein müssen, da der Antrag andernfalls abgelehnt werden könnte. Das vorlegende Gericht fragt sich, ob dieses Erfordernis mit dem Unionsrecht und insbesondere mit Art. 79 AEUV, Art. 47 der Charta sowie den Erwägungsgründen 2, 41 und 42 der Richtlinie 2016/801 vereinbar ist.
60. In diesem Zusammenhang erinnere ich zunächst daran, dass die Mitgliedstaaten, wie ich oben in Nr. 53 erläutert habe, „angemessene Prüfungen durchführen oder Nachweise verlangen“ können, um u. a. „Missbrauch und der falschen Anwendung des in dieser Richtlinie festgelegten Verfahrens vorzubeugen“. Darüber hinaus stellt Art. 7 der Richtlinie 2016/801 klar, dass es dem Antragsteller eines Aufenthaltstitels nach dieser Richtlinie obliegt, die erforderlichen Nachweise zur Stützung seines Antrags zu erbringen. Mit anderen Worten sind die nationalen Behörden nicht verpflichtet, eine über die vom Antragsteller vorgelegten Beweise hinausgehende Überprüfung vorzunehmen.
61. Meines Erachtens ergibt sich aus diesen Bestimmungen, dass die nationalen Behörden zur Vorbeugung gegen Missbrauch und die falsche Anwendung des in der Richtlinie 2016/801 festgelegten Verfahrens befugt sind, nach Anhaltspunkten für das Vorliegen eines solchen Missbrauchs oder einer solchen falschen Anwendung zu suchen. Ein solcher Anhaltspunkt könnte darin bestehen, dass der Antragsteller vor den zuständigen nationalen Behörden widersprüchliche Erklärungen abgegeben hat, auch wenn dieser Umstand an sich nicht unbedingt ausreicht, um das Vorliegen eines Missbrauchs oder einer falschen Anwendung des Verfahrens nachzuweisen.
62. Gleichzeitig ergibt sich ungeachtet des Umstands, dass es, wie ich oben in Nr. 60 ausgeführt habe, Sache des Antragstellers ist, die zur Stützung seines Antrags erforderlichen Nachweise vorzulegen, aus Art. 34 Abs. 3 der Richtlinie 2016/801 im Licht ihres 42. Erwägungsgrunds, dass der betreffende Mitgliedstaat den Antragsteller darauf hinweisen muss, wenn die vorgelegten Informationen unvollständig sind, und ihm eine angemessene Vorlagefrist gewähren muss. In Art. 35 Abs. 1 dieser Richtlinie heißt es, dass „[d]ie Mitgliedstaaten … den Antragstellern die Informationen über alle im Rahmen der Antragstellung beizubringenden Nachweise sowie Informationen über die Bedingungen für Einreise und Aufenthalt, einschließlich der damit verbundenen Rechte, Pflichten und Verfahrensgarantien des in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fallenden Drittstaatsangehörigen und gegebenenfalls seiner Familienangehörigen in leicht zugänglicher Weise zur Verfügung [stellen]“. Darüber hinaus bestimmt Art. 20 Abs. 4 der Richtlinie 2016/801, dass „jede Entscheidung, einen Antrag abzulehnen, die konkreten Umstände des Einzelfalls berücksichtigen und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit einhalten [muss]“.
63. Meines Erachtens ergibt sich aus diesen verschiedenen Bestimmungen, dass – außer es liegen Beweise für den Missbrauch oder die falsche Anwendung des in dieser Richtlinie festgelegten Verfahrens vor – der Umstand, dass ein Antragsteller widersprüchliche Erklärungen abgegeben hat, von den zuständigen nationalen Behörden als Indiz dafür zu werten ist, dass die Angaben in den Unterlagen des Antragstellers unvollständig sind, und daher die Verpflichtung nach Art. 34 Abs. 3 der Richtlinie 2016/801 auslöst, den Antragsteller über die Widersprüchlichkeit zu unterrichten und ihm eine angemessene Frist zur Klärung seiner Situation einzuräumen. Eine Ablehnung des Antrags ohne die Einräumung einer solchen Frist wäre meines Erachtens ein Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und somit auch ein Verstoß gegen Art. 20 Abs. 4 der Richtlinie.
64. Ich stimme dem vorlegenden Gericht ferner zu, dass dann, wenn der Antragsteller bei oder vor der Antragsstellung nicht darauf hingewiesen wurde, dass Widersprüche in seinen Angaben zur Art der ihm zur Verfügung stehenden Mittel, insbesondere zur Art und Weise ihres Erwerbs und ihres endgültigen Charakters, zur Ablehnung seines Antrags führen können, die Ablehnung seines Antrags auf dieser Grundlage, ohne dass ihm Gelegenheit gegeben wurde, seine Situation zu klären, nicht nur gegen Art. 35 der Richtlinie 2016/801, sondern auch gegen die im zweiten Erwägungsgrund dieser Richtlinie genannten Grundsätze der Rechtssicherheit und der Transparenz verstößt. Denn der Antrag würde aus einem Grund abgelehnt, der in der Richtlinie 2016/801 nicht ausdrücklich vorgesehen ist und von dem der Antragsteller keine Kenntnis hat.
65. Daraus folgt, dass eine Anforderung wie die von der Kúria (Oberstes Gericht) aufgestellte, wonach die Genehmigung eines Antrags auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach der Richtlinie 2016/801 davon abhängt, dass der Antragsteller zu diesen Gesichtspunkten schlüssige Erklärungen abgegeben hat, mit dem Unionsrecht unvereinbar ist.
C. Die Relevanz des Umstands, dass die streitigen Anforderungen vom obersten nationalen Gericht in seiner Rechtsprechung und nicht in den nationalen Rechtsvorschriften über Aufenthaltstitel aufgestellt wurden (Frage 2)
66. Bleibt noch, die Zweifel des vorlegenden Gerichts zu zerstreuen, ob der Umstand, dass die streitigen Anforderungen vom obersten nationalen Gericht, der Kúria (Oberstes Gericht), in seiner Rechtsprechung entwickelt wurden und nicht in den nationalen Rechtsvorschriften über Aufenthaltstitel enthalten sind, Einfluss auf ihre Vereinbarkeit mit dem Unionsrecht hat.
67. Da sich aus den vorstehenden Erwägungen ergibt, dass diese Anforderungen als solche mit dem Unionsrecht unvereinbar sind, braucht sich der Gerichtshof meines Erachtens in seinem Urteil nicht mit dieser Frage zu befassen. Ich erinnere jedenfalls daran, dass nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs die Umsetzung einer Richtlinie zwar nicht notwendigerweise eine förmliche und wörtliche Übernahme ihrer Bestimmungen in eine ausdrückliche und besondere Rechts- oder Verwaltungsvorschrift erfordert und ihr auch ein allgemeiner rechtlicher Kontext genügen kann, doch muss dieser hinreichend klar und bestimmt sein, damit die Begünstigten in die Lage versetzt werden, von allen ihren Rechten Kenntnis zu erlangen und diese gegebenenfalls vor den nationalen Gerichten geltend zu machen(27 ). Der Gerichtshof hat in der Vergangenheit bereits entschieden, dass Anforderungen, die sich ausschließlich aus der Rechtsprechung der nationalen Gerichte (und nicht dem nationalen Recht) ergeben, diese Schwelle nicht erreichen können(28 ).
68. Zu dem Umstand, dass die Anforderungen im vorliegenden Fall in der Rechtsprechung der Kúria (Oberstes Gericht), die zugleich das oberste nationale Gericht ist, aufgestellt wurden, weise ich darauf hin, dass der Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts besagt, dass das Unionsrecht dem Recht der Mitgliedstaaten vorgeht. Nach diesem Grundsatz kann nicht zugelassen werden, dass die Einheit und die Wirksamkeit des Unionsrechts dadurch beeinträchtigt werden, dass sich ein Mitgliedstaat auf Bestimmungen des nationalen Rechts beruft, auch wenn sie Verfassungsrang haben(29 ).
69. Ich stimme daher mit der Kommission darin überein, dass der Umstand, dass eine bestimmte nationale Vorschrift vom obersten Gericht eines Mitgliedstaats aufgestellt wurde, keinen Einfluss auf die Beurteilung ihrer Vereinbarkeit mit dem Unionsrecht haben kann. Der Ursprung der streitigen nationalen Vorschrift oder Anforderung ist für diese Beurteilung nämlich völlig unerheblich. Im vorliegenden Fall kann daher der Umstand, dass die streitigen Anforderungen von der Kúria (Oberstes Gericht) eingeführt wurden, keinen Einfluss auf die Antwort des Gerichtshofs auf die erste und die dritte Frage haben.
V. Ergebnis
70. Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, die vom Fővárosi Törvényszék (Hauptstädtisches Stuhlgericht, Ungarn) zur Vorabentscheidung vorgelegten Fragen wie folgt zu beantworten:
Art. 7 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie (EU) 2016/801 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2016 über die Bedingungen für die Einreise und den Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen zu Forschungs- oder Studienzwecken, zur Absolvierung eines Praktikums, zur Teilnahme an einem Freiwilligendienst, Schüleraustauschprogrammen oder Bildungsvorhaben und zur Ausübung einer Au-pair-Tätigkeit
ist dahin auszulegen, dass der Begriff „nötige Mittel“ die Mitgliedstaaten nicht ermächtigt, eine Anforderung einzuführen, mit der die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach dieser Richtlinie davon abhängig gemacht wird, dass die von einem Dritten, der kein „Familienangehöriger“ im Sinne des nationalen Rechts ist, stammenden Mittel vom Antragsteller endgültig, d. h. als Schenkung und nicht als Darlehen erworben sein und ihm unbegrenzt als seine eigenen zur Verfügung stehen müssen, so dass sie tatsächlich einen Teil seines eigenen Einkommens oder Vermögens bilden. Diese Bestimmung erlaubt es den Mitgliedstaaten auch nicht, die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Maßgabe dieser Richtlinie allein deshalb abzulehnen, weil die Erklärungen des Antragstellers über die Art der ihm zur Verfügung stehenden Mittel, insbesondere über die Art ihres Erwerbs und ihren endgültigen Charakter, im Lauf des Verfahrens widersprüchlich waren, ohne dass ihm eine Frist eingeräumt wurde, diese Gesichtspunkte zu klären und ohne ihn darauf hinzuweisen, dass sein Antrag aus diesem Grund abgelehnt werden könnte. Der Umstand, dass diese Anforderungen vom nationalen obersten Gericht aufgestellt werden, ist insoweit unerheblich.