Vorläufige Fassung
SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS
MANUEL CAMPOS SÁNCHEZ-BORDONA
vom 27. März 2025(1 )
Rechtssache C ‑34/24
Stichting Right to Consumer Justice,
Stichting App Stores Claims
gegen
Apple Distribution International Ltd,
Apple Inc.
(Vorabentscheidungsersuchen der Rechtbank Amsterdam [Bezirksgericht Amsterdam, Niederlande])
„ Vorlage zur Vorabentscheidung – Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung bei Verkäufen über eine Online-Plattform – Zusammenarbeit in Zivil- und Handelssachen – Auslegung von Art. 7 Abs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 – Internationale gerichtliche Zuständigkeit – Örtliche Zuständigkeit – Ort des ursächlichen Geschehens – Ort der Verwirklichung des Schadenserfolgs – Verbandsklagen – Nationale Verfahrensvorschrift über die Bündelung von Verfahren bei einem einzigen Gericht “
1. Der Rechtsstreit, der dem vorliegenden Vorabentscheidungsersuchen zugrunde liegt, betrifft die Klagen zweier in den Niederlanden ansässiger Stiftungen(2 ) gegen Apple Inc. und ihre europäische Tochtergesellschaft Apple Distribution International Ltd(3 ).
2. Die klagenden Stiftungen erheben jeweils Verbandsklagen(4 ) nach der Wet afwikkeling massaschade in collectieve actie(5 ). Sie beantragen beim vorlegenden Gericht, festzustellen, dass Apple Inc. und Apple Irland sich wettbewerbswidrig verhalten haben, und sie zur Zahlung von Schadensersatz zu verurteilen.
3. Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft nicht die Begründetheit des Rechtsstreits, sondern ausschließlich die Zuständigkeit des Gerichts (oder gegebenenfalls der Gerichte) in den Niederlanden, dem (oder denen) die Entscheidung über den Rechtsstreit obliegt.
I. Rechtlicher Rahmen
A. Unionsrecht. Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 (6 )
4. Art. 7 Abs. 2 sieht vor:
„Eine Person, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, kann in einem anderen Mitgliedstaat verklagt werden:
2. wenn eine unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, oder wenn Ansprüche aus einer solchen Handlung den Gegenstand des Verfahrens bilden, vor dem Gericht des Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht“.
B. Nationales Recht
5. Einschlägig sind das WAMCA, Art. 3:305a des Burgerlijk Wetboek (Bürgerliches Gesetzbuch, im Folgenden: BW) und die Art. 1 bis 14, 209, 220, Art. 1018c Abs. 3, Art. 1018d Abs. 1 und Art. 1018e Abs. 1 bis 3 des Wetboek van Burgerlijke Rechtsvordering (Zivilprozessordnung, im Folgenden: Rv).
II. Sachverhalt des Ausgangsverfahrens und Vorlagefragen
A. Hintergrund des Rechtsstreits: Funktionsweise des App Store
6. Die folgenden Ausführungen sind im Wesentlichen der Vorlageentscheidung entnommen.
7. Apple stellt verschiedene tragbare Geräte (wie das iPhone oder das iPad) her, die mit einem vorinstallierten Betriebssystem (iOS) funktionieren. Das iOS-Betriebssystem wird von Apple entwickelt und verwaltet.
8. Die Anwendungssoftware (im Folgenden: Apps) für Apple-Geräte, die iOS verwenden, kann im sogenannten „App Store“ von Apple gekauft werden(7 ).
9. Der App Store ist eine von Apple entwickelte und betriebene Plattform zum Verkauf von Apps. Seit 2009 wird er systematisch auf Apple-Geräten installiert, die mit neuen iOS-Versionen ausgestattet sind.
10. Der App Store bietet kostenlose und kostenpflichtige Apps an. Einige Apps sind Originale, d. h., sie wurden von Apple entwickelt; andere wurden von Dritten (im Folgenden: Entwicklern) entwickelt. Der Rechtsstreit, der dem vorliegenden Vorabentscheidungsersuchen zugrunde liegt, betrifft nur Apps der zweiten Art.
11. Einige Apps verfügen über digitale In-App-Produkte, d. h. über Funktionen, Dienste oder Produkte, die innerhalb der App freigeschaltet oder gekauft werden können, wie z. B. Abonnements, Spiele-Erweiterungen und anderes.
12. Die Zahlungen für nicht kostenlose Apps (oder In-App-Produkte)(8 ) im App Store erfolgen grundsätzlich über ein 2009 eingeführtes Zahlungssystem (sogenanntes In-App-Purchase, im Folgenden: IAP).
13. Die auf Apple-Geräten nutzbaren Apps sind in erster Linie solche, die im App Store verfügbar sind: Apps, die aus anderen Quellen heruntergeladen werden, „funktionieren nicht oder zumindest nicht so gut“(9 ).
14. Um den App Store nutzen zu können, müssen Benutzer von Apple-Geräten ein Apple-Konto (bestehend aus einer einzigartigen Kombination aus Benutzernamen und Passwort) erstellen, das auch als „Apple ID“ bezeichnet wird.
15. Die Benutzung des App Store und dort getätigte Käufe unterliegen den Bedingungen der Multimediadienste von Apple. Für europäische Benutzer, die einen Kauf im App Store tätigen, handelt Apple Irland als Vertreterin des App-Anbieters.
16. Die Verfügbarkeit von Apps im App Store kann von Land zu Land unterschiedlich sein. Der App Store verfügt für jedes Land über einen Online-Shop, auf den in Abhängigkeit von den Einstellungen des Benutzers zugegriffen wird und der für das betreffende Land spezifisch ist.
17. Wenn also ein Benutzer, dessen Apple ID die Niederlande als Land oder Region ausweist, ein Produkt im App Store erwerben möchte, wird er normalerweise zum Online-Shop für die Niederlande (im Folgenden: App Store NL) weitergeleitet(10 ). Um das mit seinem Apple-Konto verknüpfte Land zu ändern, muss der Benutzer neuen Bedingungen zustimmen und über eine im neuen Land gültige Zahlungsmethode verfügen.
18. Der App Store ist die (einzige) Möglichkeit für Entwickler, ihre Apps Benutzern von Apple-Geräten anzubieten. Zu diesem Zweck müssen sie eine Vereinbarung mit Apple Inc. („Developer Program License Agreement“) schließen. Gegen Zahlung einer jährlichen Gebühr nehmen Entwickler am Apple-Entwicklerprogramm teil und erhalten Lizenzen für die iOS-Software und ihre Apps.
19. Die Entwickler bieten Apple ihre Apps an, und Apple entscheidet, ob sie in den App Store aufgenommen werden. Wenn ja, werden sie zu lizenzierten und von Apple digital unterzeichneten Apps.
20. Wenn der Entwickler für die App Geld verlangt, muss er den Vertriebsbedingungen zustimmen: Insbesondere verpflichtet er sich, dafür zu sorgen, dass die Benutzer beim Erwerb der App das IAP-Zahlungssystem nutzen. Zu diesem Zweck schließt er eine gesonderte Vereinbarung mit Apple ab.
21. Apple bietet die Apps ausschließlich im App Store an und handelt dabei als Bevollmächtigte der Entwickler. Das bedeutet, dass Apple auf eigene Rechnung handelt und im eigenen Namen Verträge abschließt, aber letztlich zugunsten anderer Personen tätig wird. Jeder Entwickler bleibt für etwaige Streitigkeiten im Zusammenhang mit dem Funktionieren seiner Apps verantwortlich.
22. Der für eine App zu zahlende Betrag wird vom Benutzer an Apple gezahlt und über das IAP-Zahlungssystem eingezogen. In der Regel zieht Apple 30 % des gezahlten Betrags als Provision ab; bei Verlängerung der Frist für die Nutzung des Produkts kann dieser Prozentsatz 15 % betragen. Nach Abzug der Provision überweist Apple den Restbetrag an den Entwickler.
B. Rechtsstreit vor dem vorlegenden Gericht
23. Die klagenden Stiftungen handeln zugunsten aller Benutzer (Verbraucher und gewerblichen Benutzer) von Apple-Produkten und -Diensten, die über den App Store NL Produkte und Dienste erworben haben oder denen dies angeboten wurde. Ihre Verbandsklagen wurden in den Jahren 2021 und 2022 erhoben.
24. Zusammenfassend beantragen sie bei der Rechtbank Amsterdam (Bezirksgericht Amsterdam, Niederlande):
– die Feststellung, dass Apple Inc. und Apple Irland gegenüber den Benutzern von Software-Apps, die unter iOS ausgeführt werden, rechtswidrig gehandelt haben, und
– eine gesamtschuldnerische Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von Schadensersatz.
25. Zur Begründung ihrer Anträge tragen sie vor,
– dass Apple eine beherrschende Stellung auf dem Markt für den Vertrieb von unter iOS laufenden Apps und in Bezug auf das Zahlungssystem für diese Apps (IAP) innehabe;
– dass Apple ihre marktbeherrschende Stellung im Sinne von Art. 102 AEUV missbrauche(11 ) und dass
– der Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung in Gestalt der Erhebung überhöhter Provisionen auf die über das IAP-Zahlungssystem für Apps im App Store erhaltenen Verkaufspreise eine unerlaubte Handlung gegenüber den Benutzern darstelle.
26. Apple bestreitet die gerichtliche Zuständigkeit der Rechtbank Amsterdam (Bezirksgericht Amsterdam). Ihrer Ansicht nach kann diese Zuständigkeit nicht auf Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 gestützt werden, da das mutmaßliche schädigende Ereignis nicht in den Niederlanden stattgefunden habe. Dieses Ereignis könne nicht in Amsterdam verortet werden, da kein bestimmtes Ereignis ausschließlich oder insbesondere in Amsterdam oder in den Niederlanden stattgefunden habe.
27. Hilfsweise macht Apple geltend, das vorlegende Gericht sei nur für die Benutzer zuständig, die in Amsterdam lebten oder die in Amsterdam Apps über den App Store NL gekauft hätten. Im Hinblick auf die Ansprüche aller übrigen Benutzer verfüge dieses Gericht nicht über die internationale und örtliche Zuständigkeit nach Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012.
28. In einer Zwischenentscheidung vom 16. August 2023 stellte das vorlegende Gericht in Bezug auf Apple Irland fest, dass der Rechtsstreit in den Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 1215/2012 falle.
29. Insoweit vertrat es die Auffassung, dass die niederländischen Gerichte gemäß Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 sowohl in Bezug auf den Ort des ursächlichen Geschehens als auch in Bezug auf den Ort, an dem sich der Schadenserfolg verwirklicht habe, international zuständig seien. Es sei jedoch nicht klar, welches dieser Gerichte örtlich zuständig sei.
30. In derselben Entscheidung äußerte das vorlegende Gericht Zweifel hinsichtlich der Relevanz des Umstands, dass die Verbandsklagen gemäß Art. 3:305a BW von einer juristischen Person im eigenen Namen (d. h. nicht als Bevollmächtigte, Beauftragte oder Zessionarin) erhoben worden seien. Es sei nicht sicher, ob sich dieser Umstand auf die Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit nach Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 auswirken könne.
31. Das vorlegende Gericht ergänzt, es sei zwar richtig, dass innerhalb der Niederlande die örtliche Zuständigkeit für eine Verbandsklage bei Gerichten verschiedener Gerichtsbezirke liegen könne, die Verfahren könnten nach den Bestimmungen des nationalen Rechts aber auch vor einem einzigen Gericht gebündelt werden. Es ist sich jedoch auch nicht sicher, ob dies mit Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 vereinbar ist.
C. Vorlagefragen
32. Unter diesen Umständen hat die Rechtbank Amsterdam (Bezirksgericht Amsterdam) dem Gerichtshof folgende Fragen vorgelegt:
Frage 1 (Handlungsort)
a. Welcher Ort ist in einem Fall wie dem vorliegenden, bei dem der behauptete Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung im Sinne von Art. 102 AEUV in einem Mitgliedstaat mittels Verkäufen über eine von Apple verwaltete, auf den gesamten Mitgliedstaat ausgerichtete Online-Plattform durchgeführt wurde, wobei Apple Irland als Alleinvertriebshändlerin und Kommissionärin des Entwicklers auftritt und eine Provision von der Kaufsumme einbehält, als Ort des schädigenden Handelns im Sinne von Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 einzustufen? Ist dabei von Bedeutung, dass die Online-Plattform grundsätzlich weltweit zugänglich ist?
b. Macht es dabei einen Unterschied, dass es vorliegend um Klagen geht, die nach Art. 3:305a BW von einer juristischen Person erhoben worden sind, die als Zweck hat, die kollektiven Interessen mehrerer Benutzer, die ihren Wohnsitz in verschiedenen Gerichtsbezirken (in den Niederlanden: arrondissementen) innerhalb eines Mitgliedstaats haben, kraft eigenen Rechts zu vertreten?
c. Falls auf der Grundlage von Frage 1a (und/oder 1b) nicht nur ein, sondern mehrere nationale Gerichte im betreffenden Mitgliedstaat örtlich zuständig sind, steht Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 dann einer Anwendung von nationalem (Verfahrens‑)Recht entgegen, das die Verweisung an nur ein Gericht in diesem Mitgliedstaat ermöglicht?
Frage 2 (Erfolgsort)
a. Kann in einem Fall wie dem vorliegenden, bei dem der behauptete Schaden infolge des Kaufs von Apps und digitalen In-App-Produkten über eine von Apple verwaltete Online-Plattform (App Store) entstanden ist, wobei Apple Irland als Alleinvertriebshändlerin und Kommissionärin der Entwickler auftritt und eine Provision von der Kaufsumme einbehält (und wobei sowohl ein Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung im Sinne von Art. 102 AEUV als auch ein Verstoß gegen das Kartellverbot im Sinne von Art. 101 AEUV stattgefunden haben sollen), und bei dem der Ort, an dem die Käufe getätigt worden sind, nicht feststellbar ist, ausschließlich der Wohnsitz des Benutzers als Anknüpfungskriterium für den Ort der Verwirklichung des Schadenserfolgs im Sinne von Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 dienen? Oder gibt es in dieser Situation auch andere Anknüpfungskriterien für die Bestimmung des zuständigen Gerichts?
b. Macht es dabei einen Unterschied, dass es vorliegend um Klagen geht, die nach Art. 3:305a BW von einer juristischen Person erhoben worden sind, die als Zweck hat, die kollektiven Interessen mehrerer Benutzer, die ihren Wohnsitz in verschiedenen Gerichtsbezirken (in den Niederlanden: arrondissementen) innerhalb eines Mitgliedstaats haben, kraft eigenen Rechts zu vertreten?
c. Falls auf der Grundlage von Frage 2a (und/oder 2b) ein nationales Gericht im betreffenden Mitgliedstaat örtlich zuständig ist, das nur für die Klagen hinsichtlich eines Teils der Benutzer in diesem Mitgliedstaat zuständig ist, während für die Klagen hinsichtlich eines anderen Teils der Benutzer andere Gerichte in demselben Mitgliedstaat örtlich zuständig sind, steht Art. 7 Nr. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 dann einer Anwendung von nationalem (Verfahrens‑)Recht entgegen, das die Verweisung an nur ein Gericht in diesem Mitgliedstaat ermöglicht?
III. Verfahren vor dem Gerichtshof
33. Das Vorabentscheidungsersuchen ist am 18. Januar 2024 in das Register der Kanzlei des Gerichtshofs eingetragen worden.
34. Die klagenden Stiftungen, Apple Inc. und Apple Irland, die niederländische und die portugiesische Regierung sowie die Europäische Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht. Mit Ausnahme der portugiesischen Regierung haben sie alle an der mündlichen Verhandlung vom 10. Dezember 2024 teilgenommen.
IV. Würdigung
35. Das vorlegende Gericht ist mit einem Fall befasst, in dem zwei Stiftungen, die die Interessen einer Vielzahl von Benutzern vertreten, zwei Anträge gegen Apple verfolgen: die Feststellung, dass ein Wettbewerbsverstoß wegen Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung vorliegt, und die Verurteilung der verantwortlichen Unternehmen zur Zahlung von Schadensersatz.
36. Das vorlegende Gericht hat offenbar bereits entschieden, dass es für die Entscheidung des Rechtsstreits international zuständig ist(12 ). Es möchte nun wissen, ob es darüber hinaus im Sinne von Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 örtlich zuständig ist.
37. Ich halte es für hilfreich, eingangs einige relevante Merkmale dieses Artikels in seiner Auslegung durch den Gerichtshof in Erinnerung zu rufen. Im Licht dieser Erwägungen werde ich anschließend auf die Beantwortung der Fragen eingehen.
A. Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012
38. Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 legt eine besondere Zuständigkeitsregel fest. Er sieht vor, dass der Kläger seine Klage aus unerlaubter Handlung oder aus einer Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, vor dem Gericht des Ortes erheben kann, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht.
39. Die Wendung „Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht“ umfasst, wenn beides nicht übereinstimmt, „entweder [den] Ort, an dem sich der Schadenserfolg verwirklicht hat, oder [den] Ort des ursächlichen Geschehens“(13 ). In der Rechtsliteratur (und auch in der Vorlageentscheidung) werden diese Orte üblicherweise als „Erfolgsort“ und „Handlungsort“ bezeichnet. Die Wahl zwischen beiden steht dem Kläger zu. Dessen ungeachtet ist es nicht Zweck des Gerichtsstands, das Opfer zu begünstigen(14 ).
40. Als Sonderregel ist diese Bestimmung eng auszulegen(15 ).
41. Die Auslegung der Sonderregel muss darüber hinaus autonom sein, weshalb der Rückgriff auf nationale Rechtsbegriffe oder die Bestimmung des Anknüpfungspunkts nach Beurteilungskriterien, die sich aus dem nationalen materiellen Recht ergeben, ausgeschlossen ist(16 ). Die „der im anwendbaren nationalen Recht vorgesehenen Klageart eigenen Umstände“ sind daher unerheblich(17 ).
42. Die Gründe, aus denen sich der europäische Gesetzgeber für das Kriterium in Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 entschieden hat, ergeben sich aus dem 16. Erwägungsgrund dieser Verordnung und sind für seine Auslegung durch den Gerichtshof maßgeblich(18 ):
– Das nach diesem Kriterium bestimmte Gericht weist wegen der räumlichen Nähe zu objektiven Tatbestandsmerkmalen(19 ) eine besonders enge Verbindung zu dem Rechtsstreit auf. Solche Merkmale dienen dem Nachweis der Begehung der unerlaubten Handlung und ihrer Folgen und auf diesem Weg einer geordneten Rechtspflege(20 ).
– Aufgrund dieser Nähe kann der Kläger das zuständige Gericht leicht bestimmen, sobald sich der Sachverhalt ereignet hat(21 ). Für den Beklagten ist dieses Gericht auch schon vor den Ereignissen des Sachverhalts vorhersehbar, da es sich am Ort seiner eigenen Tätigkeiten (der mutmaßlichen unerlaubten Handlung) befindet(22 ).
43. Die Auslegung von Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 durch den Gerichtshof lässt darauf schließen, dass diese Bestimmung dem Gericht des Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht, unmittelbar und sofort sowohl die internationale als auch die örtliche Zuständigkeit zuweist(23 ).
44. Nach Ansicht des Gerichtshofs dürfen die Mitgliedstaaten „keine anderen“ als die in Art. 7 Abs. 2 vorgesehenen „Kriterien für die Zuweisung der Zuständigkeit anwenden“(24 ).
45. Diese Rechtsprechung ist gefestigt, für sie sprechen gute Gründe(25 ), und sie scheint mit dem Willen des Gesetzgebers übereinzustimmen. Die Auffassung, dass Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 unmittelbar das Gericht bezeichnet, das international und örtlich zuständig ist, entspricht nämlich dem Willen des Gesetzgebers zum Zeitpunkt des Erlasses der Norm. Die Änderungen, die der Text seitdem erfahren hat, stellen diesen Willen nicht in Frage.
B. Vorlagefragen 1a und 2a
46. Das vorlegende Gericht möchte wissen, welches Gericht unter dem Gesichtspunkt des Handlungsorts (Frage 1a) und des Erfolgsorts (Frage 2a) unter Umständen wie denen des vorliegenden Falles örtlich zuständig ist. Beide Fragen lassen zunächst die Probleme im Zusammenhang mit den Auswirkungen von Verbandsklagen (auf die sich die Fragen 1b und 2b beziehen) außer Acht.
1. Ort des für den (mutmaßlichen) Schaden ursächlichen Geschehens
a) Welches Geschehen hat zu dem Schaden geführt?
47. Das vorlegende Gericht geht von der Prämisse aus, dass der Schaden der Benutzer (zu dessen Bestehen es sich logischerweise noch nicht äußert) auf ein Verhalten von Apple zurückgehe, das von den klagenden Stiftungen als Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung im Sinne von Art. 102 AEUV eingestuft werde.
48. Dieses Verhalten bestehe im Wesentlichen darin, dass Apple unter Ausnutzung ihrer marktbeherrschenden Stellung überhöhte Provisionen von den Entwicklern der Apps für den App Store erhebe. Der Betrag dieser Provisionen werde letztlich an die Benutzer weitergegeben und erhöhe den Preis, den sie beim Herunterladen der Apps aus dem App Store NL zu zahlen hätten.
49. Abstrakt betrachtet, ist unstreitig, dass ein wettbewerbswidriges Verhalten, bei dem ein Unternehmen seine beherrschende Stellung missbräuchlich ausnutzt, zu einem Schaden führen kann. Zur Bestimmung des Ortes des für den Schaden ursächlichen Geschehens im Kontext einer Klage auf Schadensersatz wegen Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung hat sich der Gerichtshof in seinem Urteil flyLAL-Lithuanian Airlines(26 ) geäußert.
50. Der Grundsatz, dass das für die Zwecke von Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 maßgebliche ursächliche Geschehen den Handlungen entspricht, durch die der Missbrauch der beherrschenden Stellung in die Praxis umgesetzt wird, scheint mir allgemein gültig zu sein; seine konkrete Bestimmung hängt vom Einzelfall ab.
51. In Anwendung dieses Kriteriums sieht das vorlegende Gericht das ursächliche Geschehen in dem Verkauf von Apps im App Store NL, bei dem Apple als Alleinvertriebshändlerin und Bevollmächtigte der Entwickler auftritt und eine Provision von dem von den Benutzern gezahlten Preis einbehält(27 ).
52. Die niederländischen Gerichte könnten daher als von dem rechtswidrigen Verhalten betroffener Markt international zuständig sein, da die Verkäufe (auch) in diesem Land stattfänden.
53. Ich bin nicht vollständig überzeugt, dass unter den Umständen des vorliegenden Falles diese Wahl des ursächlichen Geschehens die passendste ist(28 ). Gleichwohl werde ich als Arbeitshypothese von dem vom vorlegenden Gericht ausgewählten Geschehen ausgehen.
b) Wo hat das für den Schaden ursächliche Geschehen stattgefunden?
54. Die Bestimmung des Ortes, an dem die Apps im Sinne von Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 über den App Store NL verkauft wurden, ist keine ganz leichte Aufgabe. Wenngleich das vorlegende Gericht selbst davon ausgeht, dass der Verkauf in den Niederlanden stattfindet, räumt es in einer seiner Fragen (2a) ein, dass „der Ort, an dem die Käufe getätigt worden sind, nicht feststellbar ist“.
55. Zunächst möchte ich darauf hinweisen, dass in diesem Zusammenhang auf dieselbe Lösung zurückgegriffen werden könnte, die der Gerichtshof bereits in anderen Urteilen herangezogen hat. Wenn es sehr schwierig oder unmöglich ist, den Ort des ursächlichen Geschehens festzustellen, besteht für den Kläger nach Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 die Möglichkeit, das für den Ort der Verwirklichung des Schadenserfolgs zuständige Gericht anzurufen(29 ).
56. Mir ist bewusst, dass der Gerichtshof bei anderen Gelegenheiten einen anderen Weg gewählt und, um die durch Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 eröffnete Wahlmöglichkeit zu erhalten, Auslegungen, die es dem Kläger „übermäßig erschweren“ oder „unmöglich machen“, den Ort des ursächlichen Geschehens zu ermitteln, abgelehnt und andere vorgeschlagen hat(30 ). Ich werde daher ebenfalls diesen Weg beschreiten.
57. Das vorlegende Gericht führt aus:
– Im App Store NL bietet Apple den Verbrauchern und Unternehmen aus den Niederlanden spezielle Apps an.
– Zum Kauf dieser Apps werden Benutzer, die bei der Einrichtung ihres Kontos oder ihrer Apple ID angegeben haben, dass sie sich in diesem Mitgliedstaat befinden, von Apple zu diesem konkreten Online-Shop (App Store NL) weitergeleitet(31 ).
– Zugleich beschränkt Apple den Zugang solcher Benutzer (die sich ihrer Apple ID zufolge in den Niederlanden befinden) zu anderen App Stores, die sich an Publikum aus anderen Staaten richten.
58. Ich bin daher der Ansicht, dass die Zuständigkeit der niederländischen Gerichte (oder ganz allgemein der Gerichte irgendeines anderen Mitgliedstaats) als Gerichte am Ort des ursächlichen Geschehens sich nicht auf die bloße Zugänglichkeit eines App Stores(32 ) vom Hoheitsgebiet dieses Staates aus stützen lässt.
59. Meiner Ansicht nach folgt diese Zuständigkeit in Wirklichkeit aus einer Lokalisierungsfiktion : Es wird angenommen, dass die iOS-Benutzer, die ihrer Apple ID zufolge in den Niederlanden ansässig sind, in diesem Land ihre Apps erwerben, wenn sie den App Store NL nutzen(33 ). Die Provision, die zu dem Preisaufschlag zum Nachteil der Benutzer führt, wird anlässlich dieses Verkaufs aufgeschlagen(34 ), der im Hoheitsgebiet der Niederlande „lokalisiert“ wird.
60. Geht man also davon aus, dass auf diese Weise der virtuelle Raum den geografischen Raum des Mitgliedstaats abbildet(35 ), ist das, was bei diesem Kaufvorgang fehlt (und was es in Wirklichkeit kaum geben kann), ein einzigartiger Anknüpfungspunkt, der es erlaubt, die Zuständigkeit für die Klagen innerhalb der Niederlande diesem oder jenem Gericht zuzuweisen.
61. Hierzu ist das vorlegende Gericht nämlich folgender Ansicht:
– Es gebe keinen eindeutigen Anknüpfungspunkt, aufgrund dessen die Klagen in die Zuständigkeit der Gerichte des einen niederländischen Gerichtsbezirks und nicht des anderen fielen. Der App Store NL richte sich an die Gesamtheit der Niederlande (er sei aus ihrem gesamten Hoheitsgebiet zugänglich), und bei einem Verkauf über den App Store NL könne streng genommen nicht von einem konkreten Ort gesprochen werden, an dem ein bestimmtes Geschäft stattfinde.
– Es sei zweifelhaft, ob Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 unter diesen Umständen die Bestimmung eines örtlich zuständigen Gerichts unter allen Gerichten des sachlich zuständigen Mitgliedstaats ermögliche.
62. Wenn man die oben erwähnte Lokalisierungsfiktion zugrunde legt, könnte man grundsätzlich argumentieren, dass die örtliche Zuständigkeit bei dem niederländischen Gericht liegt, in dessen Zuständigkeitsbereich der Verkauf über den App Store NL erfolgt. Die Zuweisung der Zuständigkeit hinge davon ab, wo – innerhalb der Niederlande – sich zum Zeitpunkt des Kaufs das Gerät befindet, das für den Zugang zum App Store NL verwendet wird(36 ).
63. Diese Lösung dürfte allerdings wenig praktikabel sein:
– Zum einen werden die Apple-Geräte, die für Käufe (Herunterladen von Apps) verwendet werden, häufig mobile Endgeräte sein: Ihr Standort ist zufällig, ständig wechselnd und schwer nachzuweisen.
– Zum anderen öffnet die Berücksichtigung des Ortes jedes einzelnen Verkaufs als konkrete Manifestation des Missbrauchs einer beherrschenden Stellung in den Niederlanden die Tür für eine Vielzahl von Verfahren in diesem Staat(37 ).
64. In ihren schriftlichen Erklärungen macht eine der klagenden Stiftungen geltend, wegen der unerlaubten Handlung und der (virtuellen) Umgebung, in der sie stattfinde, sei nach Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 jedes niederländische Gericht örtlich zuständig(38 ).
65. Eine Auslegung dieser Vorschrift dahin, dass sie eine örtliche Zuständigkeit aller Gerichte eines Mitgliedstaats (dessen Öffentlichkeit durch die Handlung betroffen ist) begründet, hat Generalanwalt Jääskinen in seinen Schlussanträgen in der Rechtssache C‑170/12(39 ) erörtert. Um das international zuständige Gericht anhand des Ortes der Verwirklichung des Schadenserfolgs zu bestimmen, hat er vorgeschlagen, die Ausrichtung der Tätigkeit einer Website auf einen bestimmten Mitgliedstaat zu berücksichtigen. Der Gerichtshof hat dieses Lokalisierungskriterium nicht akzeptiert.
66. Meines Erachtens ist eine Auslegung von Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012, die im Hinblick auf die internationale und örtliche Zuständigkeit dazu führt, dass alle Gerichte eines Mitgliedstaats als austauschbar angesehen werden, dennoch paradox. Der Zweck dieser Bestimmung besteht gerade darin, ein bestimmtes Gericht auf der Grundlage seiner besonderen geografischen Verbindung zu dem für den Rechtsstreit relevanten Sachverhalt zu bestimmen(40 ).
67. Eine Vielzahl zuständiger Gerichte (genauer gesagt, gleichzeitiger Verfahren vor verschiedenen Gerichten, die möglicherweise zu widersprüchlichen Entscheidungen führen können) ist eine Lösung, die bei der Auslegung der Verordnung Nr. 1215/2012 grundsätzlich vermieden werden muss; auch, wenn es um Art. 7 Abs. 2 geht(41 ).
68. Aus diesem Grund hat der Gerichtshof bei komplexen Sachverhalten dazu geneigt, ein bestimmtes Gericht zu wählen, um die gerichtliche Zuständigkeit zu bestimmen. Auf diese Weise wird „verhindert, … dass mehrere Gerichtsstände entstehen. Dies steht im Einklang mit dem Wesen der besonderen Zuständigkeit … sowie dem Erfordernis einer engen Auslegung und erleichtert auch die Vorhersehbarkeit.“(42 )
69. In Bezug auf den Ort der Verwirklichung des Schadenserfolgs hat der Gerichtshof angenommen, dass mehrere Gerichte zuständig sein können, wobei er zugleich die Zuständigkeit des jeweiligen Gerichts auf den Schaden beschränkt hat, der im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats entstanden ist(43 ).
70. Die Einheitlichkeit der gerichtlichen Zuständigkeit aufgrund desselben Anknüpfungspunkts (Ort der Verwirklichung des Schadenserfolgs) ist auch die Lösung für eine Klage wegen Mehrkosten beim Kauf mehrerer von kollusiven Absprachen betroffener Waren: Wenn solche Waren nicht im Zuständigkeitsbereich eines einzigen Gerichts in dem Mitgliedstaat erworben wurden, in dem sich der betroffene Markt (oder die betroffenen Märkte) befindet (befinden), sind die Gerichte am Wohnsitz des Erwerbers zuständig(44 ).
71. Es ist jedoch nicht einfach, diese Argumentation unter Umständen wie im vorliegenden Fall beizubehalten, wo der eigentliche Verkauf nicht in einem physischen Raum, sondern in einem digitalen Universum stattfindet. Auch hier müsste man auf Lokalisierungsfiktionen zurückgreifen, um den einheitlichen Standort dieses Verkaufs zu bestimmen, indem man unter den möglichen Standorten einen auswählt, der als einziger situs fictus der Tätigkeit des Beklagten in dem Mitgliedstaat dient, in dem er seine beherrschende Stellung missbraucht.
72. Vor diesem Hintergrund könnte man feststellen, dass bei einem Benutzer, der aufgrund seiner Apple‑ID zum App Store NL weitergeleitet wird, alle Verkäufe über diesen App Store am Wohnsitz oder Sitz dieses Benutzers in den Niederlanden erfolgen, unabhängig von seinem tatsächlichen physischen Standort in diesem Land zum Zeitpunkt des jeweiligen Verkaufs.
73. So könnte ein Benutzer (oder eine Gruppe von Benutzern, die in demselben Gerichtsbezirk ansässig sind) unter dem Gesichtspunkt des Ortes des ursächlichen Geschehens vor den Gerichten seines Wohnsitzes in dem von dem wettbewerbswidrigen Verhalten von Apple betroffenen Markt in Bezug auf die Käufe über den auf diesen Markt ausgerichteten App Store Klage erheben.
74. Diese Lösung liefe darauf hinaus, ein forum actoris zuzulassen, was meines Erachtens im Hinblick auf die Geschäftsstrategie von Apple gerechtfertigt ist(45 ). Sie zielt daher nicht auf den Schutz des Opfers ab(46 ).
2. Ort der Verwirklichung des Schadenserfolgs
75. Weniger Schwierigkeiten als, wie soeben dargestellt, bei der Feststellung, wo das ursächliche Geschehen stattgefunden hat (wobei als solches die Verkäufe von Apps an Benutzer über den App Store NL angesehen werden), gibt es im Hinblick auf den Ort der Verwirklichung des Schadenserfolgs.
76. Der (mutmaßliche) Schaden des Benutzers bestünde in dem Preisaufschlag, den er für das Herunterladen der Apps aus dem App Store bezahlt. Der Preis der App erhöht sich, weil ihre Entwickler die Provision, die Apple von ihnen verlangt, an die Benutzer weitergeben.
77. Das vorlegende Gericht möchte wissen, ob für die Bestimmung des nach dem Ort der Verwirklichung des Schadenserfolgs zuständigen Gerichts, „[wenn] der Ort, an dem die Käufe getätigt worden sind, nicht feststellbar ist“, der Wohnsitz des Benutzers als Anknüpfungspunkt herangezogen werden kann.
78. Zur Auslegung von Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 hat der Gerichtshof folgende Ausführungen gemacht:
– Ein Schaden, der „sich … im Wesentlichen aus den Mehrkosten, die wegen der künstlich überhöhten Preise gezahlt wurden“, ergibt, ist als „unmittelbarer Schaden, der grundsätzlich die Zuständigkeit der Gerichte des Mitgliedstaats begründen kann, in dessen Hoheitsgebiet sich der Schadenserfolg verwirklicht hat“(47 ), anzusehen.
– „Wenn sich der von dem wettbewerbswidrigen Verhalten betroffene Markt in dem Mitgliedstaat befindet, in dessen Hoheitsgebiet der behauptete Schaden entstanden sein soll, so liegt der Ort der Verwirklichung des Schadenserfolgs für die Zwecke der Anwendung von Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 in diesem Mitgliedstaat.“(48 )
79. Die gerichtliche Zuständigkeit wird somit auf das Zusammenfallen zweier Anknüpfungspunkte in ein und demselben Mitgliedstaat gestützt: des betroffenen Marktes und des Ortes, an dem der konkrete Geschädigte den Schaden erleidet. Im vorliegenden Fall sind die Niederlande der betroffene Markt (oder einer der betroffenen Märkte).
80. Wenn die unerlaubte Handlung (die angebliche missbräuchliche Ausnutzung der beherrschenden Stellung) im Kontext eines physischen Geschehens (im Gegensatz zu einem virtuellen Geschehen) zu einer Übertragung von Vermögen der Geschädigten auf das Vermögen des Täters in Gestalt der Zahlung eines Preisaufschlags geführt hat, hat der Gerichtshof als Ort der Verwirklichung des Schadenserfolgs entweder den Ort des Erwerbs des mit dem Preisaufschlag belasteten Gegenstands(49 ) oder den des Wohnsitzes des Geschädigten(50 ) angesehen. Als Ort des Erwerbs von körperlichen Gegenständen hat er auch den Ort angesehen, an den sie geliefert werden(51 ).
81. Von diesen Eckpunkten ausgehend, lässt sich meines Erachtens zur Konkretisierung des Ortes der Verwirklichung des Schadenserfolgs im vorliegenden Verfahren als Anknüpfungskriterium der Wohnsitz oder Sitz des Geschädigten in den Niederlanden heranziehen, wo sich auch der von dem Missbrauch einer beherrschenden Stellung betroffene Markt befindet.
82. Wenn nämlich der Schaden in einem Preisaufschlag besteht und der Benutzer das Produkt (mit einem geringeren Wert als dem gezahlten Preis) in der virtuellen Umgebung erwirbt, da es sich um eine digitale App ohne physische Verkörperung handelt, erscheint es mir wenig sinnvoll, zu versuchen, das zuständige Gericht anhand der Lieferung zu bestimmen(52 ).
83. Dagegen ist das Anknüpfungskriterium, das auf den Wohnsitz des Benutzers abstellt, erst recht angemessen, wenn die Beklagte (Apple) wie im vorliegenden Fall ihre Tätigkeit so gestaltet, dass sie den betreffenden Markt nach Ländern aufteilt und die Endbenutzer an diesen Markt bindet.
84. Schließlich ist zu berücksichtigen, dass Apple Irland nach den Angaben des vorlegenden Gerichts in der Zwischenentscheidung vom 16. August 2023(53 ) in die Verträge mit den Benutzern über die Nutzung des App Stores eine Gerichtsstandsklausel aufgenommen hat. Wenn der Benutzer in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union lebt, gilt das Recht des Landes, in dem dieser Benutzer seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, und sind die Gerichte dieses Landes zuständig. Dieser Umstand ist Apple folglich nicht unbekannt, und sie kann sich wohl kaum auf die Unvorhersehbarkeit von Klagen in den Niederlanden berufen, die zwar nicht unter die (für ihre vertragliche Haftung geltende) Gerichtsstandsklausel fallen, sich aber unmittelbar aus Käufen im App Store NL ergeben.
85. Mir erscheint es daher nicht unpassend, dass der Schaden, der auf eine zu hohe Vermögensübertragung infolge der Zahlung eines Preisaufschlags zurückgeht, innerhalb des betroffenen Marktes am Wohnsitz des Geschädigten lokalisiert wird, wo sich in der Regel der Mittelpunkt seines Vermögens befindet.
86. Folgt man dieser Lösung, ist es nicht erforderlich, einen weiteren Anknüpfungspunkt zu verlangen, wie z. B. den Umstand, dass sich das Bankkonto des Benutzers, das mit der Zahlung belastet wird, im selben Gerichtsbezirk befindet. Unter den beschriebenen Umständen bin ich der Ansicht, dass die vorgeschlagene Lösung den mit der Zuständigkeitsregel verfolgten Zielen der Nähe und der Vorhersehbarkeit entspricht.
C. Vorlagefragen 1b und 2b
1. Fehlende Relevanz des Umstands, dass es sich um eine Verbandsklage handelt
87. Es spricht nichts dagegen, dass in Situationen mit grenzüberschreitenden Bezügen wie im vorliegenden Fall Verbandsklagen erhoben werden.
88. Bislang hat sich der Gerichtshof noch nicht mit den Auswirkungen befasst, die diese Art Klagen in solchen Fällen haben können(54 ).
89. Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 enthält, wie ich bereits ausgeführt habe, eine Sonderregel zur Festlegung der gerichtlichen Zuständigkeit für Klagen, die auf der Haftung des Schuldners gegenüber dem Gläubiger beruhende außervertragliche Schuldverhältnisse betreffen.
90. Diese Regel ist kein persönliches Privileg, das ausschließlich den Gläubiger begünstigt: Es kann von anderen Personen, insbesondere von Vertretern oder Rechtsnachfolgern des Gläubigers, in Anspruch genommen werden(55 ), ebenso wie von Vertretern individueller, aber gemeinsamer Interessen(56 ) oder eines Allgemeininteresses(57 ).
91. Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 hat den Zweck, die (internationale und örtliche) Zuständigkeit eines Gerichts festzulegen, das eine besondere geografische Verbindung zum Ort des ursächlichen Geschehens oder des Eintritts des Schadens aufweist.
92. Wenn also die Abtretung der Forderung oder der Umstand, dass es sich um eine Verbandsklage handelt, den Rückgriff auf diesen Artikel nicht ausschließt, so bestimmt sich die internationale und örtliche Zuständigkeit nach diesem Artikel jedenfalls weiterhin unter Heranziehung der Tätigkeit, die den Schaden verursacht hat, oder des Ortes, an dem der Schaden eingetreten ist.
93. Dies gilt meines Erachtens auch für Klagen, die von einer Einrichtung erhoben werden, der das Gesetz ein eigenes – d. h. nicht von einer Beauftragung oder Abtretung abhängiges – Recht einräumt, den Ersatz eines individuellen Schadens zu verlangen. Zwei Argumente sprechen für diese Auffassung:
– Erstens ändert sich durch die verfahrensrechtliche Befugnis der Einrichtung, die die Verbandsklage erhebt, in Wirklichkeit nichts am Gegenstand des Verfahrens. Letzten Endes verfolgt dieses Verfahren den Zweck, für jeden unmittelbar Betroffenen einen individuellen Schadensersatz zu erlangen. Der Verbandsklage liegen die individuellen Ansprüche zugrunde: Der Schadensersatzanspruch und seine Höhe müssen letztlich für jeden Geschädigten gesondert festgestellt werden (und unterliegen gegebenenfalls der Kontrolle durch die Gerichte derselben Gerichtsbarkeit).
– Zweitens kann die Bestimmung des „Handlungsorts“ ebenso wenig von den anwendbaren materiell-rechtlichen Vorschriften über die zivilrechtliche Haftung abhängen(58 ) wie von einer je nach Mitgliedstaat unterschiedlichen Verfahrensgestaltung.
94. Die Zuständigkeit der Gerichte am Ort des für den Schaden ursächlichen Geschehens folgt aus der unerlaubten Handlung, die unabhängig davon, wer der derzeitige Gläubiger ist und wer als Kläger auftritt, dieselbe bleibt. Der Schadensersatzanspruch verliert seine Verbindung zu dem Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist, nicht durch einen Übergang des Anspruchs oder dadurch, dass ein Dritter aufgrund einer gesetzlichen Bestimmung dessen Durchsetzung übernimmt. Das für den Schaden ursächliche Geschehen bleibt auch dasselbe, und die Beweise können dort erhoben werden, wo sie sonst auch erhoben worden wären.
95. Die Berücksichtigung des Elements der „Vorhersehbarkeit“ schließt aus, dass das zuständige Gericht bei demselben für den Schaden ursächlichen Geschehen davon abhängt, ob die Person, die als Kläger auftritt, der Inhaber der verfolgten Interessen, dessen Rechtsnachfolger oder ein Vertreter (dieses Inhabers oder dieser Interessen) ist.
96. Demzufolge kann eine Einrichtung, die eine Verbandsklage erhebt, ihren Anspruch (gemäß Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012) nur dann vor einem einzigen Gericht geltend machen, wenn das schädigende Ereignis a) entweder nur ein einziges Ereignis ist und im örtlichen Zuständigkeitsbereich dieses Gerichts eingetreten ist oder eintreten kann b) oder wenn alle relevanten Tatumstände (d. h. alle Umstände, die die letztendlichen Inhaber des vertretenen Interesses betreffen) in diesem Bezirk zusammenfallen.
97. Ich räume ein, dass dieses Erfordernis die Nützlichkeit des Mechanismus der Verbandsklagen innerhalb eines Mitgliedstaats einschränkt, wenn sich der nationale Gesetzgeber dagegen entschieden hat, ein Gericht zu bestimmen, das für das gesamte Hoheitsgebiet über eine einheitliche Zuständigkeit für diese Art Klagen verfügt(59 ).
98. Aufgrund der Grenzen der örtlichen Zuständigkeit des jeweiligen nationalen Gerichts muss die qualifizierte Einrichtung die objektive und subjektive Reichweite der Verbandsklage abgrenzen, indem sie das „schädigende Ereignis“ im Sinne von Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 im Gerichtsbezirk jedes einzelnen dieser Gerichte lokalisiert(60 ). Eine umfassendere Verteidigung der in Rede stehenden Interessen, die sich auf Sachverhalte und Schäden erstrecken würde, die in anderen Gerichtsbezirken desselben Staats eingetreten sind, würde eine Vielzahl solcher Verfahren entsprechend diesen geografischen Grenzen erfordern.
99. Dieser Lösung lässt sich entgegenhalten, dass sie nicht zur Logik der Verbandsklagen passt, die nicht auf die Nähe zwischen dem Rechtsstreit und dem angerufenen Gericht abstellen, sondern auf die Gleichartigkeit der vertretenen Interessen. Diese Lösung ist jedoch, so unbefriedigend sie erscheinen mag, diejenige, die sich aus der Anwendung von Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 auf ein Szenario ergibt, bei dem die einschlägigen Vorschriften nicht geändert wurden, um sie an die neue Realität (Verbandsklagen) anzupassen.
100. Nach den derzeit geltenden Vorschriften(61 ) müsste eine qualifizierte Einrichtung, die eine einzige Verbandsklage auf Schadensersatz wegen Verstößen an verschiedenen Orten in den Niederlanden erheben möchte, deren Folgen in mehreren Gerichtsbezirken dieses Landes eingetreten sind, und die sich gegen einen Beklagten mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat richtet, ihre Klage in diesem zweiten Staat erheben(62 ).
101. Die Probleme, die mit Verbandsklagen in grenzüberschreitenden Zusammenhängen verbunden sind, waren zum Zeitpunkt der Neufassung der Verordnung Nr. 1215/2012 (2012) nicht unbekannt. Angesichts der Unterschiede zwischen den damaligen nationalen Modellen wurde schließlich beschlossen, bis zur Entwicklung des Rechts in diesem Bereich keine spezifischen Vorschriften einzuführen(63 ).
102. Diese Entwicklung hat sich bereits vollzogen, aber nicht zu Änderungen der Regeln über die internationale gerichtliche Zuständigkeit geführt(64 ). Wie ich im Folgenden darlegen werde, wurde die Verordnung Nr. 1215/2012 durch die Richtlinie 2020/1828 (deren Annahme eine passende Gelegenheit dazu geboten hätte) nicht geändert.
103. Im Ergebnis bin ich der Ansicht, dass auf die Fragen 1b und 2b zu antworten ist, dass beim gegenwärtigen Stand des Unionsrechts die Auslegung von Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 nicht davon abhängt, ob die Klage von einer Einrichtung erhoben wurde, die nach nationalem Recht qualifiziert ist, im eigenen Namen Verbandsklagen zur Verteidigung der Interessen einer Vielzahl von Benutzern zu erheben.
2. Richtlinie 2020/1828
104. Die Richtlinie 2020/1828 ist hier nicht anwendbar(65 ), und zwar sowohl in zeitlicher Hinsicht (sie betrifft nur Klagen, die ab dem 25. Juni 2023 erhoben wurden) als auch im Hinblick auf ihren Gegenstand (der Anwendungsbereich der Richtlinie erstreckt sich grundsätzlich nicht auf Verbandsklagen, die auf einen Verstoß gegen die Wettbewerbsvorschriften gestützt werden).
105. Auch wenn ich die Bedeutung des Ziels, die praktische Wirksamkeit dieser Richtlinie zu verbessern, keinesfalls schmälern möchte(66 ), bin ich nicht überzeugt, dass dieses Ziel eine Auslegung rechtfertigt, die die bis zu diesem Punkt beschriebene Auslegung der besonderen Zuständigkeitsregel verfälscht.
106. In diesem Zusammenhang möchte ich daran erinnern, dass die „Notwendigkeit der Sicherstellung einer Kohärenz zwischen verschiedenen Rechtsakten der Union keinesfalls zu einer Auslegung der Bestimmungen einer Verordnung über die Zuständigkeitsvorschriften führen [kann], die ihrer Systematik und ihren Zielsetzungen fremd ist“(67 ).
107. Durch die Richtlinie 2020/1828 wurden keine Änderungen an der Verordnung 1215/2012 vorgenommen. Außerdem sieht Art. 2 Abs. 3 der Richtlinie vor, dass sie „die Unionsvorschriften im Bereich des Internationalen Privatrechts, insbesondere … die Vorschriften über die Zuständigkeit der Gerichte sowie über die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen … [nicht berührt]“(68 ).
108. In diesem Sinne heißt es im 21. Erwägungsgrund der Richtlinie 2020/1828: „Die bestehenden Rechtsinstrumente der Union sollten für die in dieser Richtlinie festgelegten Verbandsklageverfahren gelten.“
109. Der europäische Gesetzgeber wollte also die Verbandsklagen den bestehenden Regeln über die internationale gerichtliche Zuständigkeit unterwerfen. Streng genommen gibt es keine Regelungslücke , die durch Auslegung geschlossen werden könnte, sondern eine absichtliche Ausnahme , die der Gesetzgeber aufrechterhalten wollte.
110. Es ist Sache der Mitgliedstaaten, die Richtlinie 2020/1828 ordnungsgemäß umzusetzen. Dabei mussten oder müssen sie berücksichtigen, dass diese Richtlinie auf die Regeln der Verordnung Nr. 1215/2012 über die internationale gerichtliche Zuständigkeit verweist und diese nicht berührt.
111. Im Bewusstsein der Auswirkungen von Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 auf Fälle wie den vorliegenden haben sich, wie ich bereits angemerkt habe(69 ), einige Mitgliedstaaten dafür entschieden, für diese Art Klagen einen einzigen Gerichtsbezirk (und ein einziges zuständiges Gericht) vorzusehen.
112. Andere Mitgliedstaaten wie die Niederlande scheinen sich dafür entschieden zu haben, nachträgliche Korrekturen einzuführen, wenn auch nur für die Erhebung mehrerer zusammenhängender Klagen. Ich werde auf diese Möglichkeit, die in den Fragen 1c und 2c angesprochen wird, später zurückkommen.
3. Hilfsweise: Relevanz des Umstands, dass es sich um eine Verbandsklage handelt
113. Einige Parteien und Beteiligte machen weitere Vorschläge zur Auslegung von Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012, um die Durchführung von Verbandsklagen zu erleichtern(70 ). Zusammenfassend sehen diese Vorschläge Folgendes vor:
– Sie schlagen vor, auf den Sitz der klagenden Einrichtung abzustellen(71 ).
– Sie argumentieren, dass der Gerichtsstand der Ort sein sollte, an dem eine oder mehrere der betroffenen Personen klagen könnten(72 ).
– Sie machen geltend, dass alle Gerichte in den Niederlanden gleichermaßen für die Verbandsklage zuständig seien(73 ).
– Sie beschränken den Anwendungsbereich von Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 auf die internationale Zuständigkeit, wobei für die Bestimmung des örtlich zuständigen Gerichts auf das innerstaatliche Recht verwiesen wird(74 ).
114. Meines Erachtens stehen diese Vorschläge in mehr oder weniger großem Widerspruch zu den Grundsätzen, auf denen Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 und seine gefestigte Auslegung beruhen(75 ).
115. Ich werde diese Vorschläge unabhängig voneinander prüfen und dabei im ersten Abschnitt auf die Vorschläge der niederländischen Regierung, der Stichting App Stores Claims und der Kommission eingehen. Im zweiten Abschnitt werde ich dann die Vorschläge der Stichting Right to Consumer Justice prüfen.
a) Sitz der für die Erhebung von Verbandsklagen qualifizierten Einrichtung und Ort, an dem eine oder mehrere der betroffenen Personen Klage erheben könnten
116. Stellt man auf den Sitz der (für die Erhebung der Verbandsklage) qualifizierten Einrichtung ab, werden die Kriterien für die internationale und die örtliche Zuständigkeit voneinander getrennt: Dieser Sitz begründet keine internationale Zuständigkeit nach Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012. Folgte man dieser Auslegung, würde dieser Bestimmung eine Funktion zur Verteilung von Rechtssachen unter den Gerichten innerhalb einer Rechtsordnung verliehen, die von der Funktion der Zuweisung der internationalen gerichtlichen Zuständigkeit zu trennen und unabhängig wäre.
117. Der so formulierte Vorschlag:
– liefe darauf hinaus, ein forum actoris zu akzeptieren, das über keine Verbindung zum Sachverhalt des Rechtsstreits verfügt und das das klagende Unternehmen zudem strategisch für jede Klage individuell festlegen könnte. Dieses Risiko erhöht sich, wenn die Einrichtung, wie es manchmal der Fall ist, eigens zu dem Zweck gegründet wurde, eine Verbandsklage zu erheben.
– würde die Zuständigkeit eines Gerichts begründen, das der Beklagte vor dem Rechtsstreit nicht vorhersehen konnte(76 ) (da die klagende Einrichtung als solche keinen Schaden erlitten hat) und dessen Nähe zum Schaden(77 ) keinesfalls gewährleistet ist.
118. Was den Vorschlag der Kommission anbelangt(78 ), sieht er vor, dass die Einrichtung, die die Verbandsklage erhebe, „das Gericht wählen“ könne, wobei es ausreiche, dass dieses Gericht für mindestens eine Person oder für einen Teil der Personen, die zu der Gruppe gehörten, deren Interessen diese Einrichtung vertrete, örtlich zuständig sei.
119. So, wie die Kommission ihn formuliert hat, trennt dieser Vorschlag die Bestimmung der internationalen gerichtlichen Zuständigkeit in Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 von ihrem örtlichen Aspekt. Er liefe auf ein forum actoris hinaus, das die klagende Einrichtung nach ihrem Belieben festlegen könnte, mit der einzigen Einschränkung, dass es sich um einen Ort handeln müsste, an dem mindestens eine betroffene Person oder eine Gruppe von betroffenen Personen ihre individuelle Klage unter dem Gesichtspunkt des Ortes der Verwirklichung des Schadenserfolgs erheben könnte.
120. In Bezug auf die übereinstimmenden Aspekte der Verbandsklage besteht zwischen dem betreffenden Gericht und den Beweisen keine größere oder geringere Nähe als bei jedem anderen Gericht. Hinsichtlich der unterschiedlichen Aspekte ist die Nähe nur in Bezug auf die Person gewährleistet, die von dem konkreten „schädigenden Ereignis“ betroffen war, das als Anknüpfungspunkt für die örtliche Zuständigkeit herangezogen wurde. Das Gleiche gilt für die Vorhersehbarkeit für den Beklagten(79 ).
121. Jeder dieser beiden Vorschläge bedeutet letztlich eine tief greifende Transformation der besonderen Zuständigkeitsregel und damit eine Änderung des Interessengleichgewichts, das der Unionsgesetzgeber in der Verordnung Nr. 1215/2012 geschaffen hat; dazu ist meines Erachtens derjenige, der die Bestimmung auslegt, nicht befugt(80 ).
122. Beide Vorschläge schaffen, auch wenn sie dem Anschein nach die Bestimmung eines Gerichts, das sich durch seine Verbindung zum Rechtsstreit auszeichnet(81 ), nicht ablehnen, in Wirklichkeit neue Kriterien für die Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit.
123. Diese (neuen) Kriterien orientieren sich an dem Ziel einer ordnungsgemäßen Rechtspflege, die nicht als Erleichterung der Beschaffung, Würdigung oder Aufnahme von Beweisen verstanden wird, sondern als effizientes Verfahrensmanagement bei gleichlaufenden Interessen. Allerdings verfolgt Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 selbst das zuletzt genannte Ziel nicht(82 ).
b) Örtliche Zuständigkeit jedes beliebigen niederländischen Gerichts oder Verweis auf nationales Recht
124. Stichting Right to Consumer Justice trägt vor, unter Umständen wie denen des vorliegenden Falls seien sämtliche Gerichte der Niederlande gleichermaßen zuständig für die Verbandsklage. Hilfsweise schlägt sie vor, die Rolle von Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 darauf zu beschränken, die internationale Zuständigkeit festzulegen.
125. Eine Auslegung dieser Vorschrift dahin, dass sie die internationale und die örtliche Zuständigkeit unterschiedslos allen Gerichten eines Mitgliedstaats zuweist, habe ich bereits als paradox zurückgewiesen(83 ).
126. Von größerem Interesse ist der Vorschlag, die Entscheidung über die Zuweisung der örtlichen Zuständigkeit wieder an die Mitgliedstaaten zurück zu übertragen. Folgte man diesem Vorschlag, könnte Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 in einem Kontext wie dem der Verbandsklagen, der in der Verordnung Nr. 1215/2012 nicht vorgesehen ist, weiterhin angewandt werden (so dass die Wahlmöglichkeiten des Klägers nicht auf den Gerichtsstand des Wohnsitzes des Beklagten beschränkt werden); und das Hindernis für die vom Unionsgesetzgeber angestrebte Anwendung dieses prozessualen Mechanismus würde beseitigt.
127. Dieser Vorschlag bricht jedoch mit dem üblichen Verständnis der Bestimmung, für das es gute Gründe gibt(84 ). Daher ist dies eine Möglichkeit, die nur de lege ferenda in Betracht gezogen werden kann(85 ).
D. Fragen 1c und 2c
128. Das vorlegende Gericht möchte wissen, ob „die Anwendung von nationalem (Verfahrens‑)Recht …, das die Verweisung an nur ein Gericht in diesem Mitgliedstaat ermöglicht“, in Widerspruch zu Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 steht, und zwar in zwei Fallgestaltungen:
– falls im betreffenden Mitgliedstaat „nicht nur ein, sondern mehrere nationale Gerichte … örtlich zuständig sind“ (Frage 1c);
– falls „ein nationales Gericht im betreffenden Mitgliedstaat örtlich zuständig ist, das nur für die Klagen hinsichtlich eines Teils der Benutzer in diesem Mitgliedstaat zuständig ist, während für die Klagen hinsichtlich eines anderen Teils der Benutzer andere Gerichte in demselben Mitgliedstaat örtlich zuständig sind“ (Frage 2c).
129. Diese Fragen könnten hypothetisch sein, da die Klagen gegen Apple beide bei demselben (dem vorlegenden) Gericht erhoben worden sind(86 ). Ich schließe jedoch nicht aus, dass die Antwort für dieses Gericht nützlich ist, um seine eigene Zuständigkeit zu untermauern.
130. Der Gerichtshof hat entschieden, dass Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 „es einem Mitgliedstaat nicht [verwehrt], eine bestimmte Art von Rechtsstreitigkeiten einem einzigen Gericht zuzuweisen, das für diese dann, wo auch immer der Ort der Verwirklichung des Schadenserfolgs in diesem Mitgliedstaat liegt, ausschließlich zuständig ist“(87 ).
131. Diese Lösung lässt sich damit erklären, dass die Verordnung Nr. 1215/2012 nicht verlangt, Gerichte an den Orten zu schaffen, an denen das schädigende Ereignis eintritt(88 ), und dass die Festlegung der Grenzen der Gerichtsbezirke grundsätzlich unter die organisatorischen Befugnisse des Mitgliedstaats fällt(89 ).
132. Konkret „kann … für eine Zuständigkeitsbündelung auch die technische Komplexität der für Schadensersatzklagen wegen Zuwiderhandlungen gegen Wettbewerbsvorschriften geltenden Regeln sprechen“(90 ).
133. Angesichts dieser Feststellungen schiene es mir unproblematisch, wenn die niederländischen Rechtsvorschriften ex ante vorsähen, dass mit allen Schadensersatzklagen wegen Zuwiderhandlungen gegen das Wettbewerbsrecht nur ein einziges Gericht befasst wird.
134. Aus der Vorlageentscheidung geht jedoch hervor, dass die niederländische Regelung das nicht vorsieht. Vielmehr lässt Art. 220 Rv offenbar zu(91 ), dass nach den Zuständigkeitsvorschriften bei verschiedenen Gerichten anhängige Verfahren ex post bei dem zuerst angerufenen Gericht verbunden werden.
135. Wenn dies zutrifft, führt diese Regelung nicht zu einer Bündelung der Verfahren bei dem einzigen innerhalb der Gerichtsorganisation eines Mitgliedstaats zuständigen Gericht (das überdies auf diesem Gebiet fachlich spezialisiert wäre), sondern bei dem zuerst angerufenen von mehreren Gerichten.
136. Ziel der Verordnung Nr. 1215/2012 ist nicht die Harmonisierung des Verfahrensrechts der Mitgliedstaaten, sondern die Verteilung der gerichtlichen Zuständigkeiten für die Entscheidung von Rechtsstreitigkeiten in Zivil- und Handelssachen(92 ). Die Anwendung des nationalen Verfahrensrechts darf jedoch die praktische Wirksamkeit dieser Verordnung nicht beeinträchtigen(93 ).
137. Grundsätzlich würde eine nationale Regelung, die das Ergebnis der Anwendung von Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 dadurch korrigiert , dass die bei den nach dieser Bestimmung zuständigen Gerichten anhängigen Verfahren ex post bei einem einzigen Gericht gebündelt werden, die praktische Wirksamkeit dieser Bestimmung nicht beachten.
138. Auch wenn die Zugehörigkeit zu derselben nationalen Rechtsordnung die Auswirkungen der Korrektur der Zuständigkeitsregel verringern kann, steht fest, dass das Gericht, das über die zweite und die nachfolgenden Klagen zu entscheiden hat, nicht mehr das wegen seiner besonderen geografischen Verbindung zu der jeweiligen Klage bestimmte Gericht wäre.
139. Zwar kann die Regelung über die Bündelung der Verfahren unter bestimmten Umständen zu einer geordneten Rechtspflege beitragen, wenn man sie als eine Regelung versteht, die u. a. a) die Prozessführung optimiert, b) Zeit und Gesamtkosten spart und c) das Risiko von uneinheitlichen oder widersprüchlichen Entscheidungen verringert(94 ). Diese Ziele sind der Verordnung Nr. 1215/2012 nicht fremd(95 ).
140. Ich räume ein, dass diese Faktoren vorliegen, wenn die Erhebung von Verbandsklagen in Parallelverfahren mündet: Das bedeutet, dass in der Regel in solchen Fällen das Allgemeininteresse an einer möglichst rationellen Organisation der Justiz Vorrang vor dem Interesse der Prozessparteien des individuellen Verfahrens hat.
141. Gleichwohl reicht die bloße Tatsache, dass aus Verbandsklagen Parallelverfahren entstehen können, für sich genommen nicht aus, um ihre Bündelung zu rechtfertigen(96 ). Jeder Einzelfall erfordert daher eine Abwägung der vorgenannten Interessen, die das nationale Gericht vorzunehmen hat, um, wie ich noch einmal betonen möchte, zu prüfen, ob die Bündelung der Verfahren im Hinblick auf eine geordnete Rechtspflege die beste Lösung ist(97 ).
V. Ergebnis
142. Nach alledem schlage ich vor, der Rechtbank Amsterdam (Bezirksgericht Amsterdam, Niederlande) wie folgt zu antworten:
Art. 7 Abs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen
ist wie folgt auszulegen:
– Sofern man im Fall der missbräuchlichen Ausnutzung einer beherrschenden Stellung, die darin besteht, eine Provision auf den Preis von Apps zu erheben, die auf einer speziell auf den gesamten Mitgliedstaat ausgerichteten Online-Plattform verkauft werden, als schädigendes Ereignis den Verkauf solcher Apps ansieht, kann der Ort, an dem dieses Ereignis eingetreten ist, der Wohnsitz des Benutzers, der die Apps gekauft hat, in diesem Mitgliedstaat sein.
– Als Ort der Verwirklichung des Schadenserfolgs kann der innerhalb des betroffenen Marktes liegende Wohnsitz des Benutzers angesehen werden, der durch die Zahlung von Preisaufschlägen beim Kauf der Apps die Folgen der missbräuchlichen Ausnutzung einer beherrschenden Stellung erlitten hat.
– Beim gegenwärtigen Stand des Unionsrechts ändert sich die Auslegung von Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 nicht, wenn die Klage von einer Einrichtung erhoben wurde, die nach nationalem Recht qualifiziert ist, Verbandsklagen zu erheben, wozu die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen im eigenen Namen zur Wahrung der Interessen einer Vielzahl von Benutzern gehören kann.
– Die sich aus der Anwendung von Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 ergebende Zuweisung der internationalen und örtlichen Zuständigkeit an ein Gericht eines Mitgliedstaats ist mit einer nationalen Regelung vereinbar, die es einem Gericht erlaubt, sich zugunsten eines anderen Gerichts, bei dem bereits eine ähnliche Klage anhängig ist, für unzuständig zu erklären, wenn diese Regelung dem Ziel einer geordneten Rechtspflege dient, was das vorlegende Gericht zu prüfen hat.