C-321/24 – Attal und Associés

C-321/24 – Attal und Associés

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Language of document : ECLI:EU:C:2025:376

Vorläufige Fassung

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

MANUEL CAMPOS SÁNCHEZ‑BORDONA

vom 22. Mai 2025(1)

Rechtssache C321/24

BC

gegen

SCP Attal et Associés

(Vorabentscheidungsersuchen des Tribunal judiciaire de Paris [Gericht erster Instanz Paris, Frankreich])

„ Vorlage zur Vorabentscheidung – Art. 63 Abs. 1 AEUV – Freier Kapitalverkehr – Beschränkung – Nachlass – Nachlasserklärung – Berechnung der Vergütung des Notars – Nachlass, der Vermögenswerte in zwei Mitgliedstaaten umfasst – Art. 65 Abs. 1 Buchst. a AEUV – Steuerrechtliche Vorschrift – Art. 65 Abs. 1 Buchst. b AEUV – Maßnahmen zur Verhinderung von Zuwiderhandlungen auf dem Gebiet des Steuerrechts oder zur Einführung eines Meldeverfahrens für den Kapitalverkehr zwecks administrativer oder statistischer Information “

1.        In dem Rechtsstreit, der dem vorliegenden Vorabentscheidungsersuchen zugrunde liegt, wendet sich die (in Frankreich ansässige) Erbin einer in Belgien verstorbenen Person, die in Belgien ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatte und deren Nachlass Vermögenswerte in Belgien und in Frankreich umfasst, gegen die Vergütung des französischen Notars, der an der in Frankreich eingereichten Nachlasserklärung mitgewirkt hatte.

2.        Der Mitgliedstaat, in dem der Nachlass abgewickelt wird, ist Belgien, und die Nachlasserklärung wurde in Belgien von einem belgischen Notar für den gesamten Nachlass erstellt. Nach Ansicht der Erbin kann die Vergütung des französischen Notars nicht auf der Grundlage des gesamten Vermögens berechnet werden, sondern nur auf der Grundlage des in Frankreich befindlichen Teils des Nachlassvermögens. Andernfalls käme es zu einer ungerechtfertigten Doppelzahlung.

3.        Das mit der Rechtssache befasste Gericht ersucht den Gerichtshof im Wesentlichen, die Art. 63 und 65 AEUV auszulegen, um festzustellen, ob sie einer doppelten Vergütung der Notare zweier Mitgliedstaaten, die an ein und derselben Erbsache mitwirken, entgegenstehen, wenn beide ihre Gebühren auf der Grundlage des Gesamtvermögens des Nachlasses berechnen.

4.        Der Gerichtshof hat sich bereits zu Beschränkungen des freien Kapitalverkehrs aufgrund der Besteuerung von Erbschaften mit grenzüberschreitenden Elementen geäußert(2). Das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen unterscheidet sich durch seinen Gegenstand von früheren Vorabentscheidungsersuchen: Die Fragen betreffen eine nationale Vorschrift, die zwar mit den Steuerpflichten beim Erwerb von Todes wegen zusammenhängt, aber als solche keine steuerrechtliche Vorschrift darstellt.

I.      Rechtlicher Rahmen

A.      Unionsrecht

5.        Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 88/361/EWG(3) bestimmt:

„Unbeschadet der nachstehenden Bestimmungen beseitigen die Mitgliedstaaten die Beschränkungen des Kapitalverkehrs zwischen den Gebietsansässigen in den Mitgliedstaaten. Zur Erleichterung der Durchführung dieser Richtlinie wird der Kapitalverkehr entsprechend der Nomenklatur in Anhang I gegliedert.“

6.        Der Kapitalverkehr im Sinne des Anhangs I der Richtlinie 88/361 umfasst gemäß der Rubrik XI dieses Anhangs den „Kapitalverkehr mit persönlichem Charakter“, worunter Erbschaften und Vermächtnisse fallen.

B.      Französisches Recht

1.      Code de commerce (Handelsgesetzbuch)

7.        Im legislativen Teil des Gesetzbuchs, der Titel IVa („Über bestimmte festgelegte Sätze“) enthält, bestimmt Art. L. 444‑1 die für Leistungen von Notaren geltenden festgelegten Sätze. Nach Art. L. 444‑1 Abs. 3 des Handelsgesetzbuchs gelten für von Notaren parallel zu anderen Berufsangehörigen, die keinen Sätzen unterliegen, erbrachte Leistungen keine festgelegten Sätze, sondern Honorare.

8.        Im Verordnungsteil des Gesetzbuchs enthält Art. R. 444‑2 folgende Begriffsbestimmungen:

„1.      ‚Satz‘: Gesamtheit der Elemente, die es ermöglichen, die Höhe der Gebühren und pauschalen Erstattungen zu bestimmen, die den in Art. L. 444‑1 Abs. 1 genannten Berufsangehörigen für ihre regulierten Leistungen zustehen.

2.      ‚Gebühr‘: Betrag, den einer dieser Berufsangehörigen als Gegenleistung für Leistungen erhält, deren Sätze in Titel IVa des legislativen Teils dieses Gesetzbuchs geregelt sind.

4.      ‚Proportionale Gebühr‘: Gebühr, die sich aus der Anwendung eines Prozentsatzes auf einen Grundbetrag oder aus der Anwendung einer Skala von progressiven oder degressiven Prozentsätzen auf verschiedene Grundbeträge ergibt.

5.      ‚Honorar‘: Betrag, den einer dieser Berufsangehörigen als Gegenleistung für eine Leistung erhält und dessen Höhe nicht dem in Nr. 2 genannten Titel unterliegt.

…“

9.        Art. R. 444‑3 sieht vor:

„Die Art. annexe (Artikelanhänge) 4‑7, 4‑8 und 4‑9 dieses Titels (‚Über bestimmte festgelegte Sätze‘) enthalten jeweils:

(1)      [e]ine Aufzählung der Leistungen der … Notare …, deren Sätze in diesem Titel geregelt sind;

(3)      [e]ine Aufzählung der Leistungen, die unter den in Art. L. 444‑1 Abs. 3 genannten Bedingungen erbracht werden, und gegebenenfalls die Vorgaben für die Erhebung der Honorare für diese Leistungen durch die jeweiligen Berufsangehörigen“.

10.      In Anhang 4‑7 des Verordnungsteils des Gesetzbuchs, der eine Auflistung der Leistungen enthält, deren festgelegte Sätze in Titel IVa (Verordnungsteil) des Gesetzbuchs geregelt sind, bezieht sich die Tabelle 5 im Anhang zu Art. R. 444‑3 auf Notare und enthält in Nr. 8 die Nachlasserklärung.

11.      Im Abschnitt „Arretés“ des Gesetzbuchs heißt es in Art. A. 444‑63:

„Die Nachlasserklärung (Nr. 8 der Tabelle 5) führt zur Erhebung einer Gebühr, die proportional zum Gesamtbruttovermögen … ist, und zwar nach folgender Skala …“

2.      Code général des impôts (Steuergesetzbuch)

12.      Unter den besonderen Bestimmungen über Erbsachen sieht Art. 800 vor:

„Erben, Vermächtnisnehmer oder Schenkungsempfänger sowie ihre Vormunde oder Betreuer sind verpflichtet, eine ausführliche Erklärung einzureichen.

Davon befreit sind:

1.      die Rechtsnachfolger in gerader Linie, der hinterbliebene Ehegatte sowie der Partner, mit dem eine eingetragene Lebensgemeinschaft bestand, wenn das Bruttonachlassvermögen weniger als 50 000 Euro beträgt, sofern diese Personen nicht zuvor in den Genuss einer Schenkung oder einer nicht eingetragenen oder nicht angezeigten Handschenkung des Erblassers gekommen sind;

2.      andere als die in Nr. 1 genannten Personen, wenn das Bruttonachlassvermögen weniger als 3 000 Euro beträgt.“

13.      Art. 802 bestimmt:

„Jede Erklärung über den Erwerb von Todes wegen, die von den Erben, Schenkungsempfängern und Vermächtnisnehmern sowie ihren Vormunden, Betreuern oder gesetzlichen Vermögensverwaltern abgegeben wird, muss mit folgendem Vermerk schließen:

‚Der Erklärende bestätigt die Richtigkeit dieser Erklärung; er bestätigt ferner, unter Androhung der in Art. 1837 des Steuergesetzbuchs vorgesehenen Strafen, dass diese Erklärung Bargeld, Forderungen und alle anderen französischen oder ausländischen Wertpapiere umfasst, die seines Wissens nach ganz oder teilweise dem Verstorbenen gehörten.‘

…“

II.    Sachverhalt, Rechtsstreit und Vorlagefragen

14.      Die Sachverhaltsschilderung in der Vorlageentscheidung enthält folgende Angaben:

–        Frau XY, eine französische Staatsangehörige mit gewöhnlichem Aufenthalt in Belgien, verstarb am 29. Juli 2020 in Belgien.

–        Frau BC, eine französische Staatsangehörige, die in Frankreich steuerlich ansässig und wohnhaft ist, ist Erbin von XY.

–        Das Vermögen von Frau XY besteht aus beweglichem und unbeweglichem Vermögen, das in Frankreich und Belgien belegen ist.

–        Der Nachlass wurde am 12. Oktober 2020 von einem Notar in Uccle (Belgien) eröffnet, der mit der Erstellung der Nachlasserklärung in Belgien beauftragt wurde. Diese Erklärung umfasst das gesamte Nachlassvermögen, unabhängig von dem Ort, an dem dieses belegen ist.

–        Frau BC zahlte dem belgischen Notar eine Vergütung, die auf der Grundlage des gesamten Bruttonachlassvermögens berechnet wurde(4).

–        In Frankreich beauftragte Frau BC die SCP Attal et Associés (im Folgenden: Attal et Associés), Notare in Paris, mit der Erstellung der Nachlasserklärung. Diese wurde am 18. März 2021 unterzeichnet und bei der zuständigen Registrierungsstelle eingereicht.

–        Nach Eingang der Nachlasserklärung beantragte Attal et Associés beim Rechtspfleger des Tribunal judiciaire de Paris (Gericht erster Instanz Paris, Frankreich) eine Kostenprüfungsbescheinigung, um ihre Vergütung zu bestimmen.

–        Die Bescheinigung bestätigte den Betrag, auf den Attal et Associés ihre Vergütung festgesetzt hatte, wobei das gesamte Bruttonachlassvermögen als Grundlage diente.

15.      Frau BC legte gegen die Bescheinigung Beschwerde beim Tribunal judiciaire de Paris (Gericht erster Instanz Paris, Frankreich) ein. Sie beantragt die Aufhebung der Bescheinigung und die Ausstellung einer neuen Bescheinigung, bei der die Vergütung des französischen Notars auf einer Grundlage zu berechnen sei, die allein im Bruttowert des in Frankreich befindlichen Nachlassvermögens bestehe.

16.      Sie beruft sich insoweit auf zwei Argumente:

–        Die Bemessungsgrundlage für die Notargebühren müsse mit derjenigen für die Berechnung der Erbschaftsteuer übereinstimmen. Gemäß einem französisch‑belgischen Abkommen vom 20. Januar 1959 zur Vermeidung der Doppelbesteuerung(5) werde für die Bemessungsgrundlage für die Steuern in Frankreich ausschließlich der Wert der in diesem Land belegenen Vermögenswerte berücksichtigt.

–        Die Bestimmung der Vergütung des französischen Notars auf der Grundlage des gesamten Bruttonachlassvermögens, ohne Berücksichtigung der Vergütung des belgischen Notars, die auf derselben Grundlage festgesetzt worden sei(6), stelle eine Beschränkung des freien Kapitalverkehrs nach Art. 63 AEUV dar, da sie den Wert des Nachlasses mindere.

17.      Attal et Associés beantragt die Aufrechterhaltung der Bescheinigung. Sie ist der Ansicht,

–        dass in Frankreich die Steuer auf unentgeltliche Vermögensübertragungen auf der Grundlage des Gesamtbetrags des Vermögens des Verstorbenen berechnet werde, aber gemäß dem französisch‑belgischen Abkommen vom 20. Januar 1959 nur auf in Frankreich befindliche Vermögenswerte zu zahlen sei;

–        dass in der bei den französischen Behörden eingereichten Nachlasserklärung das gesamte Vermögen des Verstorbenen, einschließlich des im Ausland belegenen Vermögens, anzugeben sei;

–        dass die Bemessungsgrundlage für die Notargebühren das gesamte Nachlassvermögen umfassen müsse, ob es nun in Frankreich oder in einem anderen Staat belegen sei; dass dem Notar demnach Gebühren zustünden, die auf der Grundlage des Bruttowerts des gesamten Nachlasses, dessen Vermögenswerte in Frankreich und Belgien belegen seien, berechnet worden seien.

18.      Vor diesem Hintergrund legt das Tribunal judiciaire de Paris (Gericht erster Instanz Paris) dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vor:

1.      Ist Art. 63 Abs. 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union dahin auszulegen, dass er einer doppelten Vergütung von Notaren aus zwei Mitgliedstaaten der Europäischen Union, die mit demselben Nachlass befasst sind, der Vermögenswerte in beiden Mitgliedstaaten umfasst, entgegensteht, deren Berechnung in beiden Fällen auf der Grundlage des Gesamtbruttovermögens des Nachlasses erfolgt, ohne die an den anderen Notar gezahlte Vergütung zu berücksichtigen, wenn man berücksichtigt, dass die Mitwirkung des Notars gesetzlich vorgeschrieben ist?

2.      Ist Art. 63 Abs. 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union dahin auszulegen, dass er einer Berechnung der Vergütung eines Notars, dessen Mitwirkung im Rahmen eines Nachlasses, der Vermögenswerte in zwei Mitgliedstaaten der Europäischen Union umfasst, gesetzlich vorgeschrieben ist, entgegensteht, die auf der Grundlage des Gesamtbruttovermögens des Nachlasses und nicht nur auf der Grundlage des in seinem Mitgliedstaat belegenen Bruttovermögens erfolgt?

3.      Sind Art. 63 Abs. 1 und Art. 65 Abs. 1 Buchst. a des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union dahin auszulegen, dass die doppelte Vergütung zweier Notare, die mit demselben Nachlass befasst sind, die in beiden Fällen auf der Grundlage des in beiden Mitgliedstaaten belegenen Gesamtbruttovermögens des Nachlasses berechnet wird, eine „einschlägige Vorschrift ihres Steuerrechts“ darstellen kann und somit eine Ausnahme vom Verbot der Beschränkung des Kapitalverkehrs nach der erstgenannten Vorschrift, wenn man berücksichtigt, dass die Mitwirkung des Notars gesetzlich vorgeschrieben ist?

4.      Sind Art. 63 Abs. 1 und Art. 65 Abs. 1 Buchst. b des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union dahin auszulegen, dass die doppelte Vergütung zweier Notare, die mit demselben Nachlass befasst sind, die in beiden Fällen auf der Grundlage des in beiden Mitgliedstaaten belegenen Gesamtbruttovermögens des Nachlasses berechnet wird, eine Maßnahme darstellen kann, die unerlässlich ist, um Zuwiderhandlungen auf dem Gebiet des Steuerrechts zu verhindern, oder ein Meldeverfahren für den Kapitalverkehr zwecks administrativer oder statistischer Information und somit eine Ausnahme vom Verbot der Beschränkung des Kapitalverkehrs nach der erstgenannten Vorschrift, wenn man berücksichtigt, dass die Mitwirkung des Notars gesetzlich vorgeschrieben ist?

III. Verfahren vor dem Gerichtshof

19.      Das Vorabentscheidungsersuchen ist am 30. April 2024 bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingegangen.

20.      Gemäß Art. 101 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs hat der Gerichtshof das nationale Gericht um Klarstellung ersucht; das vorlegende Gericht ist diesem Ersuchen mit Schreiben vom 20. Dezember 2024 nachgekommen(7).

21.      Attal et Associés, die französische Regierung und die Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht.

22.      Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung wurde nicht für erforderlich erachtet.

IV.    Würdigung

A.      Zulässigkeit

23.      In ihren schriftlichen Erklärungen(8) bezweifelt die französische Regierung die Zulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens. Ihrer Ansicht nach ist die Prämisse, auf die sich die Fragen des vorlegenden Gerichts stützen (die Verpflichtung nach französischem Recht, einen Notar für die Erstellung der Nachlasserklärung in Anspruch zu nehmen), unzutreffend.

24.      Die französische Regierung führt Folgendes aus:

–        Gemäß Art. 800 des Steuergesetzbuchs seien es die Erben, Vermächtnisnehmer oder Schenkungsempfänger, die die Nachlasserklärung bei der Steuerbehörde einreichen müssten. Um ihnen bei der Erstellung dieser Erklärung zu helfen, stünden auf der Website des Finanzministeriums Formulare und detaillierte Hinweise zur Verfügung(9). Die Mitwirkung eines Notars sei nicht zwingend.

–        Die Inanspruchnahme eines Notars sei jedoch für bestimmte Handlungen in Erbsachen unerlässlich, die durch andere Vorschriften geregelt seien, deren Zweck sich von dem der Nachlasserklärung unterscheide und für die der Notar eine gesonderte Vergütung erhalte.

–        Die Bestimmungen, auf die sich das vorlegende Gericht stütze, um festzustellen, dass „[b]ei einem Nachlass von über 5 000 Euro und wenn der Nachlass Immobilien umfasst, … zwingend ein Notar eingeschaltet werden [muss]“(10), beträfen nicht die Nachlasserklärung, sondern andere Dokumente.

–        In bestimmten Fällen müssten der Nachlasserklärung diese oder andere Dokumente beigefügt werden, für die eine notarielle Mitwirkung zwingend sei. Dies sei der Fall bei Erbschaften, die Immobilien beträfen, für die ein Eigentumsnachweis vorgelegt werden müsse. Ebenso wenn sich der Betrag des Nachlasses auf 5 000 Euro oder mehr belaufe, da für den Nachweis der Erbenstellung eine vom Notar unterzeichnete Offenkundigkeitsurkunde erforderlich sei. Diese Dokumente unterschieden sich von der Nachlasserklärung, bei der eine notarielle Mitwirkung nicht erforderlich sei.

25.      Das vorlegende Gericht wurde um Klarstellungen gebeten und hat dem Gerichtshof Folgendes mitgeteilt(11):

–        „Die Inanspruchnahme des Notars zur … Durchführung der Nachlasserklärung ist nicht durch eine spezifische Vorschrift des französischen Rechts vorgeschrieben, sondern entspricht einer praktischen Verpflichtung, die de facto durch das Zusammentreffen anderer zwingend vor einem Notar vorzunehmender Handlungen, die zu seinem Monopol gehören, und de iure aufgrund der allgemeingültigen Dokumente, die auf einer Internetseite zur Information der Öffentlichkeit enthalten sind, sowie aufgrund der Geltung eines gesetzlich festgelegten Satzes auferlegt wird.

–        Aus diesen Gründen hatte BC in der Praxis keine Möglichkeit, die Nachlasserklärung selbst zu erstellen“.

26.      In diesem Schreiben verweist das vorlegende Gericht auf offizielle französische Internetseiten zur Information der Öffentlichkeit(12), auf denen die Mitwirkung des Notars bei Erbfällen, die Immobilien beträfen, als unverzichtbar dargestellt werde, was die Erben zu der Annahme veranlasse, dass eine solche Mitwirkung auch für die Nachlasserklärung zwingend erforderlich sei. Die Vergütung des französischen Notars sei gesetzlich geregelt, ohne dass die Erben darüber verhandeln könnten, und sie berücksichtige nicht die Gebühr, die bereits an einen Notar in einem anderen Mitgliedstaat für eine gleichwertige Handlung gezahlt worden sei und die, wie in Frankreich, auf der Grundlage des gesamten Bruttonachlassvermögens berechnet werde.

27.      In Verfahren nach Art. 267 AEUV ist der Gerichtshof nur für die Vorabentscheidung über die Auslegung oder Gültigkeit des Unionsrechts zuständig. Er kann weder nationale Rechtsvorschriften auslegen noch darüber entscheiden, ob diese vom nationalen Gericht zutreffend ausgelegt worden sind(13).

28.      Nach ständiger Rechtsprechung „[hat] der Gerichtshof, wenn er auf Vorlagefragen antwortet, im Rahmen der Verteilung der Zuständigkeiten zwischen den Unionsgerichten und den nationalen Gerichten in Bezug auf den tatsächlichen und rechtlichen Rahmen, in den sich die Vorlagefragen einfügen, von den Feststellungen in der Vorlageentscheidung auszugehen“(14).

29.      Der Gerichtshof ist für die Überprüfung der Richtigkeit des in der Vorlageentscheidung beschriebenen rechtlichen Rahmens nicht zuständig und muss von der Vermutung der Entscheidungserheblichkeit der zur Vorabentscheidung vorgelegten Fragen ausgehen. Diese werden u. a. dann für unzulässig erklärt, wenn die erbetene Auslegung des Unionsrechts offensichtlich in keinem Zusammenhang mit den Gegebenheiten oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht. Dies ist hier nicht der Fall.

30.      Das Vorbringen der französischen Regierung, dass die durch das vorlegende nationale Gericht vorgenommene Auslegung unzutreffend sei, berührt daher nicht die Zulässigkeit der Vorlagefragen.

B.      Erste und zweite Vorlagefrage

31.      Mit seiner ersten und seiner zweiten Vorlagefrage, die zusammen zu beantworten sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 63 Abs. 1 AEUV

–        der doppelten Vergütung von Notaren aus zwei Mitgliedstaaten, die mit demselben Nachlass mit in beiden Mitgliedstaaten belegenen Vermögenswerten befasst sind, entgegensteht, wenn die Mitwirkung des Notars gesetzlich vorgeschrieben ist und die Berechnung dieser Vergütung „auf der Grundlage des Gesamtbruttovermögens des Nachlasses erfolgt, ohne die an den anderen Notar gezahlte Vergütung zu berücksichtigen“;

–        einer Berechnung der Vergütung des Notars, dessen Mitwirkung im Rahmen eines Nachlasses mit Vermögenswerten in zwei Mitgliedstaaten gesetzlich vorgeschrieben ist, entgegensteht, die „auf der Grundlage des Gesamtbruttovermögens des Nachlasses und nicht nur auf der Grundlage des in seinem Mitgliedstaat belegenen Bruttovermögens erfolgt“.

32.      Da die Verträge keine Definition des Begriffs „Kapitalverkehr“ enthalten, hat der Gerichtshof der Nomenklatur für den Kapitalverkehr in Anhang I der Richtlinie 88/361 Hinweischarakter zuerkannt. Er hat insbesondere zugrunde gelegt, dass „nach dem dritten Absatz der Einleitung dieses Anhangs die darin enthaltene Nomenklatur aber keine erschöpfende Aufzählung zur Definition des Begriffs des Kapitalverkehrs [ist]“(15).

33.      Nach der Feststellung, dass Erbschaften und Vermächtnisse in die Rubrik XI des Anhangs I der Richtlinie 88/361 fallen, die die Überschrift „Kapitalverkehr mit persönlichem Charakter“ trägt, hat der Gerichtshof entschieden, dass „es sich beim Erwerb von Todes wegen um Kapitalverkehr im Sinne von Artikel [63 AEUV handelt]; ausgenommen sind die Fälle, die mit keinem ihrer wesentlichen Elemente über die Grenzen eines Mitgliedstaats hinausweisen“(16).

34.      Die in Rede stehende Erbschaft umfasst Vermögenswerte in zwei Mitgliedstaaten(17). Es ist daher zu prüfen, ob die Vergütung eines Notars, die einem offiziell festgelegten Satz unterliegt, im Rahmen dieser Erbsache und in Anbetracht ihrer Besonderheiten eine nach Art. 63 Abs. 1 AEUV verbotene Beschränkung des Kapitalverkehrs darstellt(18).

35.      Im Zusammenhang mit Art. 63 Abs. 1 AEUV bedeutet „Beschränkung“ jedes Hindernis für den freien Kapitalverkehr, sowohl zwischen Mitgliedstaaten als auch zwischen Mitgliedstaaten und Drittstaaten(19), und jede Beschränkung dieser Freiheit, mag sie auch unbedeutend sein, ist verboten(20).

36.      Zu den Maßnahmen, die Art. 63 Abs. 1 AEUV als Beschränkungen des Kapitalverkehrs verbietet, gehören solche, die geeignet sind, Gebietsfremde von Investitionen in einem Mitgliedstaat oder die in diesem Mitgliedstaat Ansässigen von Investitionen in anderen Staaten abzuhalten(21).

37.      In Erbsachen betreffen fast alle Fälle im Zusammenhang mit Art. 63 Abs. 1 AEUV, über die der Gerichtshof entschieden hat, nationale Vorschriften über die Berechnung der vom Erben zu entrichtenden Erbschaftsteuer oder über die Einkommensteuer im Zusammenhang mit einer Erbschaft(22).

38.      Bei der Auslegung von Art. 63 Abs. 1 AEUV hat der Gerichtshof festgestellt, dass Bestimmungen, nach denen Erbschaften, die aus außerhalb des Mitgliedstaats der Besteuerung befindlichen Vermögensgegenständen bestehen, höher besteuert werden als Erbschaften, die nur aus in diesem Staat befindlichen Vermögensgegenständen bestehen, so dass es zu einer Wertminderung des Nachlasses kommt, gegen den freien Kapitalverkehr verstoßen(23).

39.      Der Ausgangsrechtsstreit betrifft nicht die Anwendung einer nationalen Vorschrift steuerrechtlicher Art. Die Vorschriften, die die (einem festgelegten Satz unterliegenden) Gebühren des französischen Notars für die Erbringung seiner Leistung regeln, sind im Handelsgesetzbuch enthalten und legen, wie ich noch einmal betonen möchte, keine steuerliche Belastung auf. Das vorlegende Gericht, die französische Regierung und die Kommission sind sich einig, dass diese Vorschriften nicht steuerlicher Natur sind(24).

40.      Das Verbot in Art. 63 Abs. 1 AEUV gilt jedoch für „alle Beschränkungen des Kapitalverkehrs“(25). Es ist weder auf Beschränkungen, die sich aus dem nationalen Steuerrecht ergeben, noch auf andere Hindernisse steuerrechtlicher Art begrenzt.

41.      Wenn eine nationale Maßnahme dazu führt, dass ein Erwerb von Todes wegen, der Vermögenswerte im Ausland umfasst, einen Wertverlust erleidet, der bei einem rein inländischen Erwerb von Todes wegen nicht eintritt, hat die abschreckende Wirkung dieser Maßnahme negative Auswirkungen auf den freien Kapitalverkehr.

42.      Diese Maßnahme bedeutet nämlich, dass Nachlässe, die aus Vermögenswerten bestehen, die in mehr als einem Mitgliedstaat belegen sind, wirtschaftlich stärker belastet werden (wenn auch nicht steuerlich) als Nachlässe, die nur aus Vermögenswerten bestehen, die in einem einzigen Staat belegen sind(26).

43.      Nationale Maßnahmen, ob steuerlicher oder anderer Art, die zu einer solchen Wertminderung führen, schrecken von der Inanspruchnahme des freien Kapitalverkehrs ab, der für Erbschaften gilt, und sind daher grundsätzlich verboten(27).

44.      In Frankreich ist nach Art. 800 des Steuergesetzbuchs die Nachlasserklärung zwingend vorgeschrieben. In der Erklärung muss das Vermögen des Erblassers mit Aktiva und Passiva detailliert aufgeführt(28) und die Identität der Erben angegeben werden. Sie wird der Steuerverwaltung übergeben, damit diese die auf den Nachlass anfallenden Steuern berechnen kann und um Steuerumgehungen zu verhindern. Ihre Einreichung ist zwingend, außer für bestimmte Personen, wenn der Wert des Nachlasses einen gesetzlich festgelegten Betrag nicht übersteigt.

45.      Nach der Vorlageentscheidung und den weiteren Angaben des vorlegenden Gerichts ist die Mitwirkung des Notars in Frankreich in einem solchen Fall entweder aufgrund gesetzlicher Vorschriften oder aufgrund einer auf nationalen Vorschriften beruhenden Praxis zwingend. Dementsprechend erbringt der Notar eine Leistung, deren Vergütung (Gebühr) gesetzlich geregelt ist.

46.      Die Gebühren des französischen Notars für seine Mitwirkung an der Nachlasserklärung sind proportional zum gesamten Bruttonachlassvermögen und werden nach einer bestimmten Skala berechnet. Die Berechnungsregel ist für jeden erklärungspflichtigen Nachlass identisch. Sie unterscheidet nicht nach der Staatsangehörigkeit oder dem Wohnsitz des Erben oder des Erblassers und auch nicht nach der Belegenheit der anzugebenden Vermögenswerte.

47.      Bei einem internationalen Erbfall ist es jedoch aufgrund der Zusammensetzung des Nachlasses wahrscheinlich, dass auch ein anderer Staat, in dem sich Vermögenswerte des Nachlasses befinden, eine Nachlasserklärung für Steuerzwecke verlangen wird. Es kann auch der Fall sein, dass der Wert dieser Vermögenswerte als Teil des Bruttonachlassvermögens Teil der Berechnungsgrundlage für die Vergütung des Notars ist(29), der die Nachlasserklärung erstellt.

48.      In diesem Zusammenhang ist festzustellen, dass eine Maßnahme wie die, um die es im vorliegenden Fall geht,

–        einerseits an sich geeignet ist, Gebietsansässige des Mitgliedstaats, in dem sie gilt, von Investitionen im Ausland und Gebietsfremde von Investitionen in diesem Staat abzuhalten;

–        andererseits zur Folge hat, dass ein Nachlass, der Vermögenswerte innerhalb und außerhalb eines Staates umfasst und denselben Bruttogesamtwert hat wie ein Nachlass, der ausschließlich aus in diesem Staat belegenen Vermögenswerten besteht, aufgrund des Ortes, an dem die Vermögenswerte, aus denen er sich zusammensetzt, belegen sind, letztlich weniger wert ist.

49.      Auf diese doppelte beschränkende Wirkung hat der Gerichtshof in seiner Rechtsprechung zu den Auswirkungen von Steuervorschriften hingewiesen. Diese Rechtsprechung kann meines Erachtens auf andere nationale Vorschriften übertragen werden, auch wenn diese nicht steuerlicher Natur sind, aber die gleiche beschränkende Wirkung haben.

50.      Der Gerichtshof hat hierzu ausgeführt:

–        „Bestimmungen eines Mitgliedstaats, die den Wert einer Immobilie für die Zwecke der Berechnung des bei Erwerb von Todes wegen anfallenden Steuerbetrags festsetzen, [halten] nicht nur einen in einem anderen Mitgliedstaat Ansässigen vom Kauf im erstgenannten Mitgliedstaat belegener Immobilien [ab], sondern [können] auch eine Wertminderung des Nachlasses desjenigen bewirken …, der in einem anderen Mitgliedstaat als dem ansässig ist, in dem sich die genannten Sachen befinden“(30).

–        „In Bezug auf Erbschaften hat die Rechtsprechung darüber hinaus bestätigt, dass zu den Maßnahmen, die als Beschränkungen des Kapitalverkehrs nach Art. [63] Abs. 1 [AEUV] verboten sind, solche gehören, die eine Wertminderung des Nachlasses dessen bewirken, der in einem anderen Mitgliedstaat als dem ansässig ist, in dem sich die betreffenden Vermögensgegenstände befinden und der deren Erwerb von Todes wegen besteuert“(31).

51.      Der beschriebene Nachteil kann in einem Fall wie dem vorliegenden nicht darauf zurückgeführt werden, dass zwei Mitgliedstaaten ihre Besteuerungsbefugnisse parallel ausüben(32). Die Urteile des Gerichtshofs, in denen dieser festgestellt hat, dass die nachteiligen Folgen der Ausübung dieser (doppelten) Besteuerungsbefugnisse keine Beschränkungen der Verkehrsfreiheit darstellen, soweit die Ausübung nicht diskriminierend ist, sind daher auf den vorliegenden Rechtsstreit nicht anwendbar(33).

52.      Ich bin daher der Ansicht, dass eine Regelung, nach der die Gebühren eines (französischen) Notars, der an einer Nachlasserklärung mitwirkt, dadurch bestimmt werden, dass in die Bemessungsgrundlage der Wert der Vermögenswerte des Nachlasses, die in einem anderen Mitgliedstaat (Belgien) belegen sind, in dem der Nachlass abgewickelt wird, einbezogen wird, während die Rechtsvorschriften dieses Staates ebenfalls die Vergütung seiner Notare unter Bezugnahme auf das Bruttonachlassvermögen vorsehen, so dass für den Nachlass eine doppelte Vergütung zu zahlen ist, eine Beschränkung des freien Kapitalverkehrs im Sinne von Art. 63 Abs. 1 AEUV darstellt.

C.      Dritte und vierte Vorlagefrage

53.      Mit diesen beiden Fragen, die ebenfalls zusammen zu beantworten sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob

–        Art. 63 Abs. 1 und Art. 65 Abs. 1 Buchst. a AEUV dahin ausgelegt werden können, dass die doppelte Vergütung von Notaren unter Umständen wie denen des vorliegenden Falles eine „einschlägige Vorschrift [d]es Steuerrechts [der Mitgliedstaaten]“ darstellt und somit eine Ausnahme vom Verbot der Beschränkung des Kapitalverkehrs;

–        Art. 63 Abs. 1 und Art. 65 Abs. 1 Buchst. b AEUV dahin ausgelegt werden können, dass die doppelte Vergütung von Notaren unter Umständen wie denen des vorliegenden Falles eine Maßnahme darstellt, die unerlässlich ist, um Zuwiderhandlungen auf dem Gebiet des Steuerrechts zu verhindern, oder ein Meldeverfahren für den Kapitalverkehr zwecks administrativer oder statistischer Information.

54.      Beide Fragen beziehen sich auf Ausnahmen von dem in Art. 63 Abs. 1 AEUV vorgesehenen Verbot. Gemäß Art. 65 Abs. 1 AEUV steht Art. 63 nicht dem Recht der Mitgliedstaaten entgegen,

–        „die einschlägigen Vorschriften ihres Steuerrechts anzuwenden, die Steuerpflichtige mit unterschiedlichem Wohnort oder Kapitalanlageort unterschiedlich behandeln“ (Buchst. a), oder

–        „die unerlässlichen Maßnahmen zu treffen, um Zuwiderhandlungen gegen innerstaatliche Rechts- und Verwaltungsvorschriften, insbesondere auf dem Gebiet des Steuerrechts …, zu verhindern, sowie Meldeverfahren für den Kapitalverkehr zwecks administrativer oder statistischer Information vorzusehen …“ (Buchst. b)(34).

55.      Art. 65 Abs. 1 Buchst. a und b AEUV sieht Ausnahmen vom Grundprinzip des freien Kapitalverkehrs vor. Daher ist er eng auszulegen(35).

56.      Die Regelung der den Notaren für die Erbringung ihrer Leistungen zustehenden Gebühren ist, wie ich bereits erklärt habe, keine „Vorschrift des Steuerrechts“. Das vorlegende Gericht, die Kommission und selbst die französische Regierung teilen diese Einschätzung.

57.      Es trifft zu, dass die in Rede stehende nationale Maßnahme die Gebühr (festgelegter Satz) des Notars festlegt, wenn dieser an einer Nachlasserklärung mitwirkt, die anschließend ihre steuerlichen Wirkungen entfalten wird. Ich erkenne selbstverständlich an, dass diese Mitwirkung (wie auch andere, die den Notaren übertragen wurden) in einem gewissen Zusammenhang mit den Steuerpflichten der Erben steht.

58.      In Anbetracht seines Zwecks und seiner Natur ist der Satz für die vom Notar erbrachte Leistung jedoch weder steuerrechtlicher Art noch kann er als solcher als Ausdruck der Steuerbefugnisse des Staates angesehen werden. Er fällt unter das Handelsrecht und hat zum Ziel, die Berufsausübung der Notare zu regeln, indem er die Formel für die Berechnung der Vergütung der Notare bei der Erstellung einer Nachlasserklärung festlegt.

59.      Die nach dem festgelegten Satz berechneten Gebühren des Notars entsprechen dem Entgelt für die erbrachte Leistung. Sie bestehen nicht darin, dass der Notar für den Schuldner einen Betrag einzieht, den er im Anschluss an den Staat abführt, um dessen Aufgaben zu finanzieren. Außerdem sind sie von der Erbschaftsteuer getrennt, da die Vergütung des Notars auf der Grundlage des Bruttonachlassvermögens bestimmt wird, unabhängig davon, ob die Steuer letztendlich auf das gesamte Vermögen oder nur auf einen Teil davon erhoben wird.

60.      Eine solche Maßnahme fällt nicht unter die in Art. 65 Abs. 1 Buchst. a AEUV vorgesehene Ausnahme.

61.      Sie fällt auch nicht unter Art. 65 Abs. 1 Buchst. b AEUV. Der Gerichtshof hat klargestellt, dass, was die Aufsicht über Finanzinstitute angeht, eine Maßnahme nur dann als „unerlässlich“ im Sinne dieser Bestimmung angesehen werden kann, wenn sie „gerade den Zweck hat, Zuwiderhandlungen gegen Rechts- und Verwaltungsvorschriften auf [diesem] Gebiet … zu verhindern“(36).

62.      Ich stimme mit der Kommission(37) darin überein, dass dieses Kriterium für Maßnahmen auf dem „Gebiet des Steuerrechts“ gilt, die in Art. 65 Abs. 1 Buchst. b AEUV auf derselben Ebene genannt werden wie Maßnahmen auf dem Gebiet der Aufsicht von Finanzinstituten.

63.      Auf der Grundlage dieses Kriteriums könnte eine nationale Vorschrift, die die Erben zur Einreichung einer Nachlasserklärung verpflichtet, auch wenn der Nachlass grenzüberschreitende Komponenten aufweist, unter die Ausnahme von Art. 65 Abs. 1 Buchst. b AEUV fallen. Selbiges gilt für eine Vorschrift, die gegenüber dem Steuerpflichtigen Sanktionen für das Verschweigen oder Verbergen von Vermögenswerten festsetzt, oder eine Vorschrift, die betrügerische Erklärungen unter Strafe stellt.

64.      Eine nationale Maßnahme zur Festsetzung der Gebühren des an einer Nachlasserklärung mitwirkenden Notars fällt jedoch nicht unter die Ausnahme auf dem „Gebiet des Steuerrechts“ gemäß Art. 65 Abs. 1 Buchst. b AEUV. Diese Maßnahme hat nicht die steuerliche Überwachung zum Gegenstand.

65.      In diesem Sinne macht die Kommission geltend, dass Art. A. 444‑63 des Handelsgesetzbuchs (nach dem die Notargebühren in der oben dargelegten Weise berechnet werden) nicht auf die Verhinderung von Zuwiderhandlungen auf dem Gebiet des Steuerrechts abziele.

66.      Meines Erachtens kann eine solche Maßnahme auch nicht unter die Ausnahmeregelung bezüglich der Meldeverfahren für den Kapitalverkehr zwecks administrativer oder statistischer Information fallen.

67.      Kurz gesagt meine ich, dass die in Art. 65 Abs. 1 Buchst. a und b AEUV vorgesehenen Ausnahmen, auf die sich die Vorlageentscheidung bezieht, auf den vorliegenden Rechtsstreit nicht anwendbar sind.

D.      Rechtfertigung der Maßnahme aus anderen zwingenden Gründen des Allgemeininteresses?

68.      Obwohl in der Vorlageentscheidung keine zwingenden Gründe des Allgemeininteresses angeführt werden, weisen sowohl die Kommission als auch die französische Regierung darauf hin, dass solche Gründe im hier zu beurteilenden Fall vorliegen könnten(38).

69.      Wenn sich der Gerichtshof an die Vorlagefragen, so wie sie formuliert sind, hält, müsste er sich nicht mit dem Vorbringen der französischen Regierung und der Kommission auseinandersetzen. Für den Fall, dass er sich dazu entschließt, sich mit deren Vorbringen zu befassen, lege ich meine Ansicht hierzu dar.

70.      Die Kommission macht geltend, dass mit den notariellen Tätigkeiten im Allgemeininteresse liegende Ziele verfolgt würden(39) und dass die vom französischen Notar gemäß den Art. 800 und 802 des Steuergesetzbuchs erstellte Nachlasserklärung sowohl der Feststellung der Erbenstellung als auch der Verhinderung von Zuwiderhandlungen auf dem Gebiet des Steuerrechts diene(40).

71.      Die Kommission ist jedoch der Ansicht, dass die französischen Bestimmungen, selbst wenn die Maßnahme durch diese Ziele gerechtfertigt wäre, eine „unangemessene“ Belastung für den Erben darstellten, indem sie die Vergütung des Notars im Verhältnis zu den gesamten Vermögenswerten, aus denen sich der Nachlass zusammensetze, einschließlich der im Ausland befindlichen, festgelegten(41).

72.      Die französische Regierung beruft sich in ähnlicher Weise wie die Kommission(42) auf die Ziele des Allgemeininteresses der notariellen Tätigkeit und argumentiert, dass die Berechnung der Notargebühren nach einem festgelegten Satz einen „Preiswettbewerb … zu Lasten der Qualität der Leistungen“ vermeide(43).

73.      Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs ist eine Beschränkung des freien Kapitalverkehrs zulässig, wenn sie durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist, geeignet ist, die Erreichung des mit ihr verfolgten Ziels in kohärenter und systematischer Weise zu gewährleisten, und nicht über das hinausgeht, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist(44).

74.      In einer Reihe von Vertragsverletzungsklagen, die die Kommission gegen Mitgliedstaaten angestrengt hat, die für den Zugang zum Beruf des Notars eine Staatsangehörigkeitsvoraussetzung aufgestellt hatten, hat der Gerichtshof entschieden, dass diese Voraussetzung gegen Art. 43 EG (Niederlassungsfreiheit) verstößt. Dabei hat er Folgendes festgestellt: „Dass mit den notariellen Tätigkeiten im Allgemeininteresse liegende Ziele verfolgt werden, die insbesondere dazu dienen, die Rechtmäßigkeit und die Rechtssicherheit von Akten zwischen Privatpersonen zu gewährleisten, stellt … einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses dar, der etwaige Beschränkungen von Art. 43 EG rechtfertigen kann, die sich aus den Besonderheiten der notariellen Tätigkeit ergeben …, soweit diese Beschränkungen zur Erreichung der genannten Ziele geeignet und erforderlich sind“(45).

75.      Die Funktion des Notars ist im Rechtsverkehr insofern von unbestrittener Bedeutung, als er dazu beiträgt, „die Rechtmäßigkeit und die Rechtssicherheit von Akten zwischen Privatpersonen zu gewährleisten“. Niemand hat dies in diesem Verfahren in Zweifel gezogen.

76.      Was die Mitwirkung französischer Notare an Nachlasserklärungen betrifft, so macht diejenige Beteiligte, die der Ansicht ist, dass sie nicht gesetzlich vorgeschrieben sei (die französische Regierung), jedoch geltend, dass die Vergütung des Notars für seine Mitwirkung hieran ein im Allgemeininteresse liegendes Ziel verfolge, das die Beschränkung des freien Kapitalverkehrs rechtfertige.

77.      Ich halte dieses Argument nicht für überzeugend: Wenn in Frankreich die Inanspruchnahme eines Notars für die Abgabe der Nachlasserklärung nicht gesetzlich vorgeschrieben ist, ist für mich nicht ersichtlich, wie die Vergütung des hieran beteiligten Notars mit einem zwingenden Grund des Allgemeininteresses in Verbindung gebracht werden kann.

78.      Sollte, wie vom vorlegenden Gericht vertreten, eine notarielle Mitwirkung an der Nachlasserklärung entweder de facto oder de iure unumgänglich sein, könnten gegebenenfalls zwingende Gründe des Allgemeininteresses zu prüfen sein: Eine solche Mitwirkung wäre verpflichtend, um die Rechtmäßigkeit und die Rechtssicherheit zu gewährleisten.

79.      Aber auch im letzteren Fall würde die Rechtfertigung durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses für die Entstehung von Notargebühren gelten, die durch einen festgelegten Satz geregelt sind, nicht aber für die Aufnahme eines beliebigen Postens in diese Gebühren. Insbesondere bin ich der Auffassung, dass es nicht gerechtfertigt ist, den Erben bei einem grenzüberschreitenden Erbfall unter Umständen wie denen des vorliegenden Falles damit zu belasten, in einem Staat, in dem der Nachlass nicht abgewickelt wird, Notargebühren zu zahlen, die auf Grundlage des Bruttonachlassvermögens berechnet werden, das in einem anderen Staat belegene Vermögenswerte umfasst.

80.      Für den Fall, dass festgestellt wird, dass ein zwingender Grund des Allgemeininteresses vorliegt, stimme ich schließlich der Kommission zu, dass die französischen Bestimmungen über das hinausgehen, was zur Erreichung ihres Ziels erforderlich ist: Sie legen dem Erben eine übermäßige Belastung auf, indem sie die Vergütung des Notars im Verhältnis zu den gesamten Vermögenswerten, aus denen sich der Nachlass zusammensetzt, einschließlich der im Ausland befindlichen, festlegen.

V.      Ergebnis

81.      Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, dem Tribunal judiciaire de Paris (Gericht erster Instanz Paris, Frankreich) wie folgt zu antworten:

Art. 63 Abs. 1 und Art. 65 Abs. 1 Buchst. a und b AEUV

sind dahin auszulegen, dass

–        eine Vorschrift oder eine Praxis eines Mitgliedstaats A, in dem der Nachlass nicht abgewickelt wird, nach der für den Fall, dass das Nachlassvermögen aus Vermögenswerten in zwei Mitgliedstaaten besteht, die verpflichtende Mitwirkung eines Notars des Mitgliedstaats A für die Einreichung einer Nachlasserklärung durch einen festgelegten Satz dergestalt vergütet wird, dass die Notargebühren auf der Grundlage des Bruttonachlassvermögens, einschließlich der in einem anderen Mitgliedstaat B belegenen Vermögenswerte, berechnet werden, ohne die Vergütung zu berücksichtigen, die dem Notar dieses anderen Mitgliedstaats B für eine gleichwertige Handlung gezahlt wird, die ebenfalls auf der Grundlage des gesamten Bruttonachlassvermögens berechnet wird, eine nach Art. 63 Abs. 1 AEUV verbotene Beschränkung des Kapitalverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten darstellt;

–        die oben genannte Beschränkung des Kapitalverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten nicht unter die in Art. 65 Abs. 1 Buchst. a und b AEUV vorgesehenen Ausnahmen fällt, wonach die Mitgliedstaaten berechtigt sind, die einschlägigen Vorschriften ihres Steuerrechts anzuwenden und die unerlässlichen Maßnahmen zu treffen, um Zuwiderhandlungen gegen innerstaatliche Rechts- und Verwaltungsvorschriften zu verhindern oder Meldeverfahren für den Kapitalverkehr zwecks administrativer oder statistischer Information vorzusehen.















































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