C-287/24 – Ligue royale belge pour la protection des oiseaux

C-287/24 – Ligue royale belge pour la protection des oiseaux

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Language of document : ECLI:EU:C:2025:550

Vorläufige Fassung

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Fünfte Kammer)

10. Juli 2025(*)

„ Vorlage zur Vorabentscheidung – Gemeinsame Agrarpolitik – Verordnung (EU) Nr. 1307/2013 – Dem Klima- und Umweltschutz förderliche Methoden – Durchführungsbeschluss (EU) 2022/484 – Gültigkeit – Begründungspflicht – Russlands Invasion der Ukraine – Erhöhung des landwirtschaftlichen Produktionspotenzials der Europäischen Union – Ausnahme von bestimmten Bedingungen im Zusammenhang mit der Ökologisierungsdirektzahlung – Brachliegende Flächen, die als gesonderte Kultur und als im Umweltinteresse genutzte Flächen betrachtet werden, auch wenn sie abgeweidet, zu Erzeugungszwecken abgeerntet oder bewirtschaftet wurden – Erforderlichkeit und Rechtfertigung der erlassenen Maßnahmen “

In der Rechtssache C‑287/24

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Conseil d’État (Staatsrat, Belgien) mit Entscheidung vom 11. April 2024, beim Gerichtshof eingegangen am 23. April 2024, in dem Verfahren

Ligue royale belge pour la protection des oiseaux ASBL

gegen

Région wallonne

erlässt

DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)

unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin M. L. Arastey Sahún sowie der Richter D. Gratsias (Berichterstatter), E. Regan, J. Passer und B. Smulders,

Generalanwältin: L. Medina,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        der Ligue royale belge pour la protection des oiseaux ASBL, vertreten durch A. Lebrun und B. Legros, Avocats,

–        der belgischen Regierung, vertreten durch P. Cottin, C. Pochet und L. Van den Broeck als Bevollmächtigte im Beistand von P. Moërynck, Avocat,

–        der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von L. Vignato, Avvocata dello Stato,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch A. C. Becker und C. Perrin als Bevollmächtigte,

aufgrund der nach Anhörung der Generalanwältin ergangenen Entscheidung, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Gültigkeit des Durchführungsbeschlusses (EU) 2022/484 der Kommission vom 23. März 2022 zur Ermöglichung von Ausnahmeregelungen von der Verordnung (EU) Nr. 1307/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates und der Delegierten Verordnung (EU) Nr. 639/2014 der Kommission hinsichtlich der Anwendung bestimmter Bedingungen im Zusammenhang mit der Ökologisierungszahlung für das Antragsjahr 2022 (ABl. 2022, L 98, S. 105).

2        Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Ligue royale belge pour la protection des oiseaux ASBL (im Folgenden: Ligue) und der Région wallonne (Wallonische Region, Belgien) wegen eines Erlasses, den Letztere auf der Grundlage des Durchführungsbeschlusses 2022/484 verabschiedet hat und dessen Gültigkeit die Ligue in Abrede stellt.

 Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

 Verordnung Nr. 1307/2013

3        In Art. 4 („Begriffsbestimmungen und damit zusammenhängende Bestimmungen“) Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 1307/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Dezember 2013 mit Vorschriften über Direktzahlungen an Inhaber landwirtschaftlicher Betriebe im Rahmen von Stützungsregelungen der Gemeinsamen Agrarpolitik und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 637/2008 des Rates und der Verordnung (EG) Nr. 73/2009 des Rates (ABl. 2013, L 347, S. 608) in der durch die Verordnung (EU) 2017/2393 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2017 (ABl. 2017, L 350, S. 15) geänderten Fassung (im Folgenden: Verordnung Nr. 1307/2013) hieß es:

„Im Sinne dieser Verordnung bezeichnet der Begriff

f)      ‚Ackerland‘ für den Anbau landwirtschaftlicher Kulturpflanzen genutzte Flächen oder für den Anbau landwirtschaftlicher Kulturpflanzen verfügbare, aber brachliegende Flächen …

…“

4        Titel III („Basisprämienregelung, Regelung für die einheitliche Flächenzahlung und damit verbundene Zahlungen“) der Verordnung Nr. 1307/2013 umfasste fünf Kapitel. Kapitel 3 („Zahlung für dem Klima- und Umweltschutz förderliche Landbewirtschaftungsmethoden“) dieses Titels enthielt u. a. die Art. 43, 44 und 46 dieser Verordnung.

5        Art. 43 („Allgemeine Vorschriften“) Abs. 1 und 2 der Verordnung Nr. 1307/2013 sah vor:

„(1)      Betriebsinhaber, die Anrecht auf eine Zahlung im Rahmen der Basisprämienregelung oder der Regelung für die einheitliche Flächenzahlung haben, müssen auf allen ihren beihilfefähigen Hektarflächen im Sinne von Artikel 32 Absätze 2 bis 5 die in Absatz 2 des vorliegenden Artikels genannten dem Klima- und Umweltschutz förderlichen Landbewirtschaftungsmethoden oder die in Absatz 3 des vorliegenden Artikels genannten gleichwertigen Methoden einhalten.

(2)      Als dem Klima- und Umweltschutz förderliche Landbewirtschaftungsmethoden gelten Folgende:

a)      Anbaudiversifizierung;

b)      Erhaltung des bestehenden Dauergrünlands; und

c)      im Rahmen der landwirtschaftlichen Flächen Ausweisung einer Flächennutzung im Umweltinteresse.“

6        Art. 44 („Anbaudiversifizierung“) dieser Verordnung bestimmte:

„(1)      Beträgt das Ackerland des Betriebsinhabers zwischen 10 und 30 Hektar und dient es nicht vollständig dem Anbau von Kulturen im Nassanbau während eines bedeutenden Teils des Jahres oder während eines bedeutenden Teils des Anbauzyklus, so müssen auf diesem Ackerland mindestens zwei verschiedene landwirtschaftliche Kulturpflanzen angebaut werden. Die Hauptkultur darf nicht mehr als 75 % dieses Ackerlandes einnehmen.

Beträgt das Ackerland des Betriebsinhabers mehr als 30 Hektar und dient es nicht vollständig dem Anbau von Kulturen im Nassanbau während eines bedeutenden Teils des Jahres oder während eines bedeutenden Teils des Anbauzyklus, so müssen auf diesem Ackerland mindestens drei verschiedene landwirtschaftliche Kulturpflanzen angebaut werden. Die Hauptkultur darf nicht mehr als 75 % und die beiden größten Kulturen zusammen nicht mehr als 95 % dieses Ackerlandes einnehmen.

(4)      Für die Zwecke dieses Artikels bezeichnet der Begriff ‚landwirtschaftliche Kultur(pflanze)‘

a)      eine Kultur einer der verschiedenen in der botanischen Klassifikation landwirtschaftlicher Kulturpflanzen definierten Gattungen,

b)      alle Arten im Falle der Brassicaceae, Solanaceae und Cucurbitaceae,

c)      brachliegendes Land,

d)      Gras oder andere Grünfutterpflanzen.

…“

7        In Art. 46 („Flächennutzung im Umweltinteresse“) der Verordnung Nr. 1307/2013 hieß es:

„(1)      Beträgt das Ackerland eines Betriebs mehr als 15 Hektar, so müssen die Betriebsinhaber ab dem 1. Januar 2015 eine Fläche, die mindestens 5 % des vom Betriebsinhaber gemäß Artikel 72 Absatz 1 Unterabsatz 1 Buchstabe a der Verordnung (EU) Nr. 1306/2013 angemeldeten Ackerlands des Betriebs, einschließlich – wenn sie von dem Mitgliedstaat als im Umweltinteresse genutzte Flächen gemäß Absatz 2 angesehen werden – der in jenem Absatz Buchstaben c, d, g, h, k und l genannten Flächen, entspricht, als im Umweltinteresse genutzte Fläche ausweisen.

(2)      Die Mitgliedstaaten beschließen bis zum 1. August 2014, dass eine oder mehrere der folgenden Flächen als im Umweltinteresse genutzte Flächen anzusehen sind:

a)      Brachliegende Flächen;

(9)      Der [Europäischen] Kommission wird die Befugnis übertragen, gemäß Artikel 70 delegierte Rechtsakte zu erlassen, um

a)      weitere Kriterien für die Einstufung der in Absatz 2 genannten Flächenarten als im Umweltinteresse genutzte Fläche festzulegen;

…“

8        Titel VII („Schlussbestimmungen“) dieser Verordnung umfasste drei Kapitel. Kapitel 1 („Mitteilungen und Dringlichkeitsmaßnahmen“) dieses Titels enthielt u. a. Art. 69 („Maßnahmen zur Lösung spezifischer Probleme“) der Verordnung. Dieser bestimmte:

„(1)      Zur Lösung spezifischer Probleme erlässt die Kommission Durchführungsrechtsakte, die in dringenden Fällen erforderlich und gerechtfertigt sind. Diese Durchführungsrechtsakte können von einigen Bestimmungen dieser Verordnung abweichen, jedoch nur so weit und so lange, wie dies unbedingt notwendig ist. Diese Durchführungsrechtsakte werden nach dem Prüfverfahren gemäß Artikel 71 Absatz 2 erlassen.

(2)      Wenn es in hinreichend begründeten Fällen äußerster Dringlichkeit erforderlich ist, um solche spezifischen Probleme zu lösen und gleichzeitig die Kontinuität der Direktzahlungsregelung im Falle außergewöhnlicher Umstände zu gewährleisten, erlässt die Kommission gemäß dem Verfahren gemäß Artikel 71 Absatz 3 sofort geltende Durchführungsrechtsakte.

(3)      Gemäß den Absätzen 1 und 2 verabschiedete Maßnahmen bleiben für einen Zeitraum von höchstens zwölf Monaten in Kraft. Dauern die in diesen Absätzen genannten spezifischen Probleme nach diesem Zeitraum an, so kann die Kommission im Hinblick auf eine dauerhafte Lösung einen geeigneten Gesetzgebungsvorschlag vorlegen.

…“

 Delegierte Verordnung Nr. 639/2014

9        Die Delegierten Verordnung (EU) Nr. 639/2014 der Kommission vom 11. März 2014 zur Ergänzung der Verordnung (EU) Nr. 1307/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates mit Vorschriften über Direktzahlungen an Inhaber landwirtschaftlicher Betriebe im Rahmen von Stützungsregelungen der Gemeinsamen Agrarpolitik und zur Änderung des Anhangs X der genannten Verordnung (ABl. 2014, L 181, S. 1) in der durch die Delegierte Verordnung (EU) 2018/1784 der Kommission vom 9. Juli 2018 (ABl. 2018, L 293, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Delegierte Verordnung Nr. 639/2014) enthielt ein Kapitel 3 („Ökologisierung“), das aus vier Abschnitten bestand. In Abschnitt 4 („Im Umweltinteresse genutzte Flächen“) dieses Kapitels stand u. a. Art. 45 der Delegierten Verordnung Nr. 639/2014, die auf der Grundlage von Art. 46 Abs. 9 Buchst. a der Verordnung Nr. 1307/2013 erlassen worden war. Art. 45 („Weitere Kriterien für die Arten von im Umweltinteresse genutzten Flächen“) sah vor:

„1.      Damit die Arten von in Artikel 46 Absatz 2 Unterabsatz 1 der [Verordnung Nr. 1307/2013] aufgeführten Flächen als im Umweltinteresse genutzte Flächen gelten, müssen die Kriterien der Absätze 2 bis 11 dieses Artikels erfüllt sein.

2.      Auf brachliegenden Flächen und für Honigpflanzen (pollen- und nektarreiche Arten) genutzten brachliegenden Flächen darf keine landwirtschaftliche Erzeugung stattfinden. Die Mitgliedstaaten legen einen Zeitraum fest, in dem die Flächen in einem Kalenderjahr brachliegen müssen. Dieser Zeitraum darf nicht weniger als sechs Monate betragen. …

10b.      Die Verwendung von Pflanzenschutzmitteln ist auf allen in den Absätzen 2, 9 und 10 genannten Flächen sowie auf Flächen mit landwirtschaftlicher Erzeugung gemäß Absatz 7 verboten.

…“

 Durchführungsbeschluss 2022/484

10      In den Erwägungsgründen 1 bis 9 des Durchführungsbeschlusses 2022/484, der auf der Grundlage von Art. 69 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1307/2013 erlassen wurde, heißt es:

„(1)      In Titel III Kapitel 3 der Verordnung (EU) Nr. 1307/2013 ist eine Zahlung für dem Klima- und Umweltschutz förderliche Landbewirtschaftungsmethoden (‚Ökologisierungszahlung‘) vorgesehen. Diese Methoden umfassen die Anbaudiversifizierung gemäß Artikel 43 Absatz 2 Buchstabe a und die Flächennutzung im Umweltinteresse gemäß Artikel 43 Absatz 2 Buchstabe c der genannten Verordnung. Weitere Vorschriften für diese Methoden sind in Kapitel 3 der [Delegierten Verordnung Nr. 639/2014] … festgelegt.

(2)      Gemäß Artikel 44 Absatz 4 der [Verordnung Nr. 1307/2013] gilt brachliegendes Land für die Zwecke der Anbaudiversifizierung als eine andere Kultur als Gras oder andere Grünfutterpflanzen. Dies bedeutet, dass abgeweidete oder zu Erzeugungszwecken abgeerntete Flächen nicht als brachliegendes Land gelten können.

(3)      Gemäß Artikel 46 Absatz 2 Unterabsatz 1 Buchstabe a der [Verordnung Nr. 1307/2013] können brachliegende Flächen als im Umweltinteresse genutzte Flächen angesehen werden. Gemäß Artikel 45 Absatz 2 der [Delegierten Verordnung Nr. 639/2014] darf keine landwirtschaftliche Erzeugung stattfinden, und Artikel 45 Absatz 10b der genannten Verordnung verbietet die Verwendung von Pflanzenschutzmitteln auf brachliegenden Flächen, die als im Umweltinteresse genutzte Flächen gelten.

(4)      Russlands Invasion der Ukraine am 24. Februar 2022 hat einen drastischen Anstieg der Rohstoffpreise ausgelöst und wirkt sich auf Angebot von und Nachfrage nach landwirtschaftlichen Erzeugnissen aus. Um hier Abhilfe zu schaffen, sollte das landwirtschaftliche Produktionspotenzial der Union sowohl für die Lebensmittel- als auch für die Futtermittelversorgung erhöht werden.

(5)      Bei brachliegende Flächen handelt es sich nach wie vor um für den Anbau landwirtschaftlicher Kulturpflanzen geeignete Ackerflächen, die, wenn auch in unterschiedlichem Maße je nach Zustand und Bodenqualität, sofort zur Erzeugung von Lebens- und Futtermitteln genutzt werden könnten. Damit die Landwirte ihre verfügbaren Flächen so weit wie möglich zur Erzeugung von Lebens- und Futtermitteln nutzen können, sollten die Mitgliedstaaten daher ermächtigt werden, für das Antragsjahr 2022 von Bedingungen im Zusammenhang mit der Ökologisierungszahlung, einschließlich des Verbots der Verwendung von Pflanzenschutzmitteln, für brachliegende Flächen abzuweichen, für die erklärt wurde, dass sie die Bedingungen für die Anbaudiversifizierung oder für im Umweltinteresse genutzte Flächen gemäß Artikel 44 Absatz 4 bzw. Artikel 46 Absatz 2 Unterabsatz 1 Buchstabe a der [Verordnung Nr. 1307/2013] erfüllen.

(6)      Dieser Beschluss sollte Ausnahmeregelungen von den Verpflichtungen zur Anbaudiversifizierung und zur Flächennutzung im Umweltinteresse nur im unbedingt erforderlichen Umfang und Zeitraum vorsehen. Die Ausnahmeregelungen sollten auf das Antragsjahr 2022 beschränkt sein und darauf abzielen, die Auswirkungen auf das Angebot von und die Nachfrage nach landwirtschaftlichen Erzeugnissen abzufedern, indem insgesamt mehr verfügbares Ackerland für die Erzeugung von Lebens- und Futtermitteln bereitgestellt wird.

(7)      Bei der Entscheidung über die Anwendung der Ausnahmeregelungen sollten diese Mitgliedstaaten die Zielsetzungen der dem Klima- und Umweltschutz förderlichen Landbewirtschaftungsmethoden und insbesondere die Notwendigkeit, die Bodenqualität, die Qualität der natürlichen Ressourcen und die biologische Vielfalt insbesondere während der sensibelsten Zeiten von Blüte und Vogelbrut hinreichend zu schützen, gebührend berücksichtigen.

(8)      Um sicherzustellen, dass die mit diesem Beschluss genehmigten Ausnahmeregelungen im Hinblick auf die angestrebten Ziele, d. h. die Eindämmung des Anstiegs der Rohstoffpreise und der Auswirkungen auf Angebot und Nachfrage, wirksam sind, sollten die Mitgliedstaaten ihre Beschlüsse über die Anwendung der Ausnahmeregelungen innerhalb von 21 Tagen nach Mitteilung dieses Beschlusses treffen und der Kommission diese Beschlüsse innerhalb von 7 Tagen nach dem Tag der Beschlussfassung mitteilen.

(9)      Damit die Kommission die ordnungsgemäße Anwendung der hiermit vorgesehenen Ausnahmeregelungen sowie deren Auswirkungen überwachen kann, sollten die Mitgliedstaaten die Zahl der Betriebe und die Gesamtfläche in Hektar angeben, für die die Ausnahmeregelungen gelten. Diese Angaben sollten der Kommission bis zum 15. Dezember 2022 unter Verwendung der bestehenden Mitteilungsinstrumente übermittelt werden.“

11      Art. 1 („Beschlüsse über Ausnahmeregelungen von bestimmten Bedingungen im Zusammenhang mit der Ökologisierungszahlung für das Antragsjahr 2022“) dieses Durchführungsbeschlusses bestimmt:

„(1)      Abweichend von Artikel 44 Absatz 4 der [Verordnung Nr. 1307/2013] können die Mitgliedstaaten für das Antragsjahr 2022 beschließen, dass brachliegende Flächen als gesonderte Kultur betrachtet werden, auch wenn diese Flächen abgeweidet oder zu Erzeugungszwecken abgeerntet oder bewirtschaftet wurden.

(2)      Abweichend von Artikel 45 Absatz 2 der [Delegierten Verordnung Nr. 639/2014] können die Mitgliedstaaten für das Antragsjahr 2022 beschließen, dass brachliegende Flächen gemäß Artikel 46 Absatz 2 Unterabsatz 1 Buchstabe a der [Verordnung Nr. 1307/2013] als im Umweltinteresse genutzte Flächen angesehen werden, auch wenn diese Flächen abgeweidet oder zu Erzeugungszwecken abgeerntet oder bewirtschaftet wurden. …

Abweichend von Artikel 45 Absatz 10b der [Delegierten Verordnung Nr. 639/2014] können die Mitgliedstaaten, die von der Ausnahmeregelung gemäß Unterabsatz 1 des vorliegenden Absatzes Gebrauch machen, auch beschließen, die Verwendung von Pflanzenschutzmitteln auf den Flächen zuzulassen, die abgeweidet oder zu Erzeugungszwecken abgeerntet oder bewirtschaftet wurden.“

12      Art. 2 („Fristen“) dieses Durchführungsbeschlusses lautet:

„Die in Artikel 1 genannten Beschlüsse werden innerhalb von 21 Tagen nach dem Datum der Mitteilung dieses Beschlusses getroffen.“

13      Art. 3 („Mitteilungen“) des Durchführungsbeschlusses 2022/484 sieht vor:

„(1)      Die Mitgliedstaaten teilen der Kommission die Beschlüsse gemäß Artikel 1 innerhalb von 7 Tagen nach dem Tag mit, an dem die Beschlüsse gefasst wurden.

(2)      Bis spätestens 15. Dezember 2022 teilen die Mitgliedstaaten der Kommission die Zahl der Betriebe mit, die die Ausnahmeregelungen gemäß Artikel 1 in Anspruch nehmen, sowie die Gesamtfläche in Hektar, auf die diese Ausnahmeregelungen Anwendung finden.“

 Belgisches Recht

14      In Art. 2 §§ 1 und 2 des Erlasses der Wallonischen Regierung vom 12. Mai 2022 zur Festlegung von Abweichungen von bestimmten Bedingungen in Bezug auf die Einrichtung von Brachen für das Jahr 2022 (Moniteur belge vom 19. Mai 2022, S. 43644, im Folgenden: Erlass vom 12. Mai 2022) heißt es:

„§ 1      In Anwendung von Artikel 1 des [Durchführungsbeschlusses 2022/484] werden für das Jahr 2022 folgende Bestimmungen erlassen:

1°      in Abweichung von Artikel 44 [Absatz] 4 der [Verordnung Nr. 1307/2013] werden die brachliegenden Flächen als gesonderte Kulturen betrachtet, auch wenn diese Flächen abgeweidet oder zu Erzeugungszwecken abgeerntet oder bewirtschaftet wurden;

2°      in Abweichung von Artikel 45 [Absatz] 2 der [Verordnung Nr. 639/2014] werden die brachliegenden Flächen als im Umweltinteresse genutzte Flächen angesehen, auch wenn diese Flächen abgeweidet oder zu Erzeugungszwecken abgeerntet oder bewirtschaftet wurden.

§ 2      Für die Anwendung von Paragraf 1 ist der Anbau von Kulturen auf brachliegenden Flächen bei folgenden Kulturen zulässig:

1°      Körnermais …;

2°      Maissilage …;

3°      Klee …;

4°      Luzerne …;

5°      Hopfenklee …;

6°      Hornschotenklee …;

7°      Esparsette …;

8°      Soja …;

9°      Wintersorten von Acker- und Puffbohnen …;

10°      Frühjahrssorten von Acker- und Puffbohnen …;

11°      Süßlupine …;

12°      Gemisch Hülsenfrüchte (Wintersorten) + Getreide oder andere Pflanzenarten …;

13°      Gemisch Hülsenfrüchte (Frühjahrssorten) + Getreide oder andere Pflanzenarten …;

14°      Wintersorten von Eiweißerbsen …;

15°      Frühjahrssorten von Eiweißerbsen …“

 Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefrage

15      Mit Klageschrift, die am 18. Juli 2022 beim Conseil d’État (Staatsrat, Belgien), dem vorlegenden Gericht, eingereicht wurde, beantragte die Ligue die Nichtigerklärung des Erlasses vom 12. Mai 2022.

16      Zur Begründung ihres Antrags machte die Ligue geltend, dass der Durchführungsbeschluss 2022/484, auf dessen Grundlage der Erlass vom 12. Mai 2022 verabschiedet worden sei, zum einen gegen die Verordnung Nr. 1307/2013 und zum anderen gegen Art. 45 Abs. 2 und 10b der delegierten Verordnung Nr. 639/2014 verstoße.

17      Insoweit ersuchte die Ligue das vorlegende Gericht, dem Gerichtshof die Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen, ob der Durchführungsbeschluss 2022/484 „mit Art. 69 der Verordnung Nr. 1307/2013 in Verbindung mit Art. 45 der Delegierten Verordnung Nr. 639/2014 vereinbar“ ist.

18      Hierzu trägt sie vor, aus dem vierten Erwägungsgrund des Durchführungsbeschlusses 2022/484 gehe nicht hervor, dass die Kommission das Vorliegen eines Falls „äußerster Dringlichkeit“ im Sinne von Art. 69 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1307/2013 nachgewiesen habe. Außerdem erforderten der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und Art. 69 Abs. 1 dieser Verordnung eine schlüssigere, substantiiertere und objektivere Begründung der Dringlichkeit sowie die Benennung der Rohstoffe, deren Preise angestiegen seien und auf die die Anwendung dieses Durchführungsbeschlusses beschränkt werden müsse. Eine Ermächtigung zur Abweichung von der Verordnung Nr. 1307/2013 und der Durchführungsverordnung Nr. 639/2014 dürfe nämlich nicht weit und ungenau sein.

19      Das vorlegende Gericht stellt zwar fest, dass die Ligue ihre Argumentation auf eine falsche Prämisse stütze, da der Durchführungsbeschluss 2022/484 nicht auf der Grundlage von Art. 69 Abs. 2 sondern auf der Grundlage von Art. 69 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1307/2013 erlassen worden sei, weist aber zugleich darauf hin, dass die bei ihm anhängige Klage die Frage aufwerfe, ob dieser Durchführungsbeschluss angesichts der in seinen Erwägungsgründen 4 bis 8 angeführten Gründe im Hinblick auf Art. 69 der Verordnung Nr. 1307/2013 und Art. 45 der Verordnung Nr. 639/2014 gültig sei.

20      Die Begründungspflicht verlange, dass jeder Rechtsakt der Union, der Rechtswirkungen erzeuge, eine Darstellung der Gründe enthalte, die das Organ zu seinem Erlass veranlasst hätten. Ferner sei die von der Ligue vorgeschlagene Vorlagefrage zwar allgemein formuliert, die Lektüre der Klageschrift der Nichtigkeitsklage lasse die dort entwickelten Ungültigkeitsgründe jedoch hinreichend erkennen, die in der „Kritik an der Verhältnismäßigkeit [des Durchführungsbeschlusses 2022/484], genauer gesagt an [dessen] Begründung“ bestünden.

21      Vor diesem Hintergrund hat der Conseil d’État (Staatsrat) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Ist der Durchführungsbeschluss 2022/484 mit Art. 69 der Verordnung Nr. 1307/2013 in Verbindung mit Art. 45 der Delegierten Verordnung Nr. 639/2014 vereinbar?

 Zur Vorlagefrage

22      Nach ständiger Rechtsprechung ist es angesichts des Geistes der Zusammenarbeit, in dem das Vorabentscheidungsverfahren durchzuführen ist, und gemäß Art. 94 Buchst. c der Verfahrensordnung des Gerichtshofs unerlässlich, dass das nationale Gericht in seiner Vorlageentscheidung die genauen Gründe angibt, aus denen ihm die Gültigkeit von bestimmten Vorschriften des Unionsrechts fraglich erscheint, und die Gründe darlegt, aus denen es sie für ungültig hält (Urteil vom 11. Januar 2024, Friends of the Irish Environment [Fangmöglichkeiten über null], C‑330/22, EU:C:2024:19, Rn. 45 und die dort angeführte Rechtsprechung).

23      Auch wenn das Vorabentscheidungsersuchen hierzu keine detaillierten Ausführungen enthält, geht daraus jedoch hervor, dass das vorlegende Gericht den Gerichtshof im Wesentlichen zur Gültigkeit des Durchführungsbeschlusses 2022/484 im Hinblick darauf befragt, ob dieser im Hinblick auf die Voraussetzungen nach Art. 69 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1307/2013, der die Rechtsgrundlage dieses Durchführungsbeschlusses darstellt, rechtlich hinreichend begründet ist, und ob dieser Beschluss im Übrigen die in dieser Bestimmung enthaltene Anforderung der Erforderlichkeit und Rechtfertigung der mit ihm erlassenen Maßnahme erfüllt.

24      In Bezug auf die Beachtung der Begründungspflicht ist darauf hinzuweisen, dass die nach Art. 296 Abs. 2 AEUV vorgeschriebene Begründung der Natur des betreffenden Rechtsakts angepasst sein und die Überlegungen des Organs, das den Rechtsakt erlassen hat, so klar und eindeutig zum Ausdruck bringen muss, dass die Betroffenen ihr die Gründe für die erlassene Maßnahme entnehmen können und das zuständige Gericht seine Kontrollaufgabe wahrnehmen kann. In der Begründung brauchen nicht alle tatsächlich oder rechtlich einschlägigen Gesichtspunkte genannt zu werden, da die Frage, ob die Begründung eines Rechtsakts den Erfordernissen des Art. 296 Abs. 2 AEUV genügt, nicht nur anhand seines Wortlauts zu beurteilen ist, sondern auch anhand seines Kontexts sowie sämtlicher Rechtsvorschriften auf dem betreffenden Gebiet (Urteil vom 30. April 2019, Italien/Rat [Fangquoten für Schwertfisch im Mittelmeer], C‑611/17, EU:C:2019:332, Rn. 40 und die dort angeführte Rechtsprechung).

25      Insbesondere bei Rechtsakten mit allgemeiner Geltung wie dem Durchführungsbeschluss 2022/484 kann sich die Begründung darauf beschränken, die Gesamtlage anzugeben, die zum Erlass der Maßnahme geführt hat, und die allgemeinen Ziele zu bezeichnen, die mit ihr erreicht werden sollen. Lässt der angefochtene Rechtsakt den Zweck, den das ihn erlassende Organ verfolgt hat, in seinen wesentlichen Zügen erkennen, ginge es zu weit, eine besondere Begründung für die einzelnen technischen Entscheidungen zu verlangen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 30. April 2019, Italien/Rat [Fangquoten für Schwertfisch im Mittelmeer], C‑611/17, EU:C:2019:332, Rn. 42 und die dort angeführte Rechtsprechung).

26      Im vorliegenden Fall ist als Erstes zum Kontext und zu den Vorschriften, die den betreffenden Bereich regeln, festzustellen, dass Betriebsinhaber, um in den Genuss der Direktzahlung für dem Klima- und Umweltschutz förderliche Landbewirtschaftungsmethoden zu kommen, wie sie in den Bestimmungen von Titel III Kapitel 3 der Verordnung Nr. 1307/2013 vorgesehen ist, gemäß Art. 43 Abs. 1 und 2 dieser Verordnung bestimmte Landbewirtschaftungsmethoden einhalten müssen. Zu diesen Methoden gehören die Anbaudiversifizierung und im Rahmen der landwirtschaftlichen Flächen die Ausweisung einer Flächennutzung im Umweltinteresse.

27      Insbesondere ergibt sich erstens aus Art. 44 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1307/2013, dass die Anbaudiversifizierung bedeutet, dass auf dem Ackerland des Betriebsinhabers ab bestimmten Flächenschwellen mindestens zwei oder sogar drei verschiedene landwirtschaftliche Kulturpflanzen angebaut werden müssen. Nach Art. 44 Abs. 4 Buchst. c der Verordnung wird brachliegendes Land für die Zwecke dieses Diversifizierungserfordernisses als von Gras oder anderen Grünfutterpflanzen verschiedene landwirtschaftliche Kultur betrachtet, so dass abgeweidete oder zu Erzeugungszwecken abgeerntete Flächen nicht als brachliegendes Land gelten können.

28      Zweitens müssen die Betriebsinhaber nach Art. 46 der Verordnung Nr. 1307/2013, wenn das Ackerland eines Betriebs mehr als 15 ha beträgt, eine bestimmte Mindestfläche als „im Umweltinteresse genutzte Fläche“ ausweisen. Nach Art. 46 Abs. 2 dieser Verordnung gehören brachliegende Flächen zu den Flächen, die die Mitgliedstaaten als im Umweltinteresse genutzte Flächen ansehen können.

29      Drittens stellt Art. 45 Abs. 2 der Delegierten Verordnung Nr. 639/2014 klar, dass auf brachliegenden Flächen keine landwirtschaftliche Erzeugung stattfinden darf, und Art. 45 Abs. 10b dieser Delegierten Verordnung verbietet die Verwendung von Pflanzenschutzmitteln auf den fraglichen Flächen.

30      Viertens ermächtigt Art. 69 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1307/2013 die Kommission zum Erlass von Durchführungsrechtsakten, die die Lösung spezifischer Probleme bezwecken und in dringenden Fällen erforderlich und gerechtfertigt sind. Diese Durchführungsrechtsakte können von einigen Bestimmungen dieser Verordnung abweichen, jedoch nur so weit und so lange, wie dies unbedingt notwendig ist.

31      Diese Ermächtigung ist so zu verstehen, dass sie die Kommission dazu berechtigt, Durchführungsrechtsakte zu erlassen, die nicht nur von Bestimmungen der Verordnung Nr. 1307/2013 selbst abweichen, sondern auch von den Bestimmungen delegierter Rechtsakte wie der Delegierten Verordnung Nr. 639/2014, mit denen nach Art. 290 Abs. 1 AEUV die Verordnung Nr. 1307/2013 ergänzt oder geändert werden soll.

32      Auf der Grundlage dieser Ermächtigung erließ die Kommission den Durchführungsbeschluss 2022/484, dessen Art. 1 es den Mitgliedstaaten ermöglichte, für das Antragsjahr 2022 in dreierlei Hinsicht von der Verordnung Nr. 1307/2013 und der Delegierten Verordnung Nr. 639/2014 abzuweichen.

33      Erstens konnten die Mitgliedstaaten abweichend von Art. 44 Abs. 4 der Verordnung Nr. 1307/2013 beschließen, dass brachliegende Flächen als gesonderte Kultur betrachtet werden, auch wenn diese Flächen abgeweidet oder zu Erzeugungszwecken abgeerntet oder bewirtschaftet worden waren.

34      Zweitens konnten die Mitgliedstaaten abweichend von Art. 45 Abs. 2 der Delegierten Verordnung Nr. 639/2014 beschließen, dass brachliegende Flächen als im Umweltinteresse genutzte Flächen angesehen werden, auch wenn diese Flächen abgeweidet oder zu Erzeugungszwecken abgeerntet oder bewirtschaftet worden waren.

35      Drittens konnten die Mitgliedstaaten, die von der Ausnahmeregelung gemäß der vorstehenden Randnummer Gebrauch machten, abweichend von Art. 45 Abs. 10b der Delegierten Verordnung Nr. 639/2014 auch beschließen, die Verwendung von Pflanzenschutzmitteln auf den Flächen zuzulassen, die abgeweidet oder zu Erzeugungszwecken abgeerntet oder bewirtschaftet worden waren.

36      Betriebsinhaber, die in einem Mitgliedstaat tätig waren, der beschlossen hatte, diese Ausnahmen zu gewähren, konnten daher für die Direktzahlung für dem Klima- und Umweltschutz förderliche Landbewirtschaftungsmethoden in Betracht kommen, auch wenn sie ihre brachliegenden Flächen zu Zwecken landwirtschaftlicher Erzeugung nutzten und auch wenn sie auf diesen Flächen Pflanzenschutzmittel verwendeten.

37      Was als Zweites den in Rn. 25 des vorliegenden Urteils beschriebenen Umfang der Begründungspflicht betrifft, die der Kommission beim Erlass insbesondere eines Rechtsakts mit allgemeiner Geltung wie dem Durchführungsbeschluss 2022/484 obliegt, ist erstens darauf hinzuweisen, dass die Kommission im vierten Erwägungsgrund dieses Durchführungsbeschlusses dargelegt hat, dass sich der drastische Anstieg der Rohstoffpreise, der durch die Invasion der Ukraine durch die Russische Föderation ausgelöst worden sei, auf Angebot von und Nachfrage nach landwirtschaftlichen Erzeugnissen ausgewirkt habe. In diesem Erwägungsgrund wird die Gesamtlage, die zum Erlass des Durchführungsbeschlusses geführt hat, zusammenfassend aber verständlich dargelegt und das spezifische dringende Problem, das mit dem Beschluss gelöst werden soll, mit hinreichender Klarheit beschrieben.

38      Außerdem unterscheidet sich, wie aus dem ersten Satz des vierten Erwägungsgrundes des Durchführungsbeschlusses 2022/484 hervorgeht, der Begriff „Rohstoff[e]“ vom Begriff „landwirtschaftliche Erzeugnisse“. Aus einer Zusammenschau der Erwägungsgründe 4 und 8 der französischen Sprachfassung dieses Durchführungsbeschlusses ergibt sich nämlich, dass der Begriff „produits de base“ („Grundstoffe“) die „matières primaires“ („Rohstoffe“) bezeichnet, d. h. die für die landwirtschaftliche Erzeugung erforderlichen Stoffe. Diese Feststellung wird dadurch bestätigt, dass in anderen Sprachfassungen des Durchführungsbeschlusses, wie der deutschen, der englischen und der italienischen Sprachfassung, in diesen beiden Erwägungsgründen der Begriff verwendet wird, der dem französischen Begriff „matières premières“ entspricht, nämlich „Rohstoff[e]“, „commodity“ und „materie prime“. Im Übrigen unterscheidet der Durchführungsbeschluss 2022/484 nicht zwischen den verschiedenen landwirtschaftlichen Erzeugnissen. So bezieht sich der erste Satz seines vierten Erwägungsgrundes unterschiedslos auf die Auswirkungen des drastischen Anstiegs der Rohstoffpreise auf Angebot von und Nachfrage nach sämtlichen landwirtschaftlichen Erzeugnissen. Das Vorbringen der Ligue vor dem vorlegenden Gericht, wie es aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten hervorgeht, dass der Durchführungsbeschluss 2022/484 unzureichend begründet sei, da darin nicht angegeben werde, welche landwirtschaftlichen Erzeugnisse als Rohstoffe anzusehen seien, die allein von der erlassenen Ausnahmeregelung hätten erfasst werden dürfen, verkennt folglich, dass es sich um zwei unterschiedliche Begriffe handelt, deren jeweilige Bedeutung sich nicht überschneidet.

39      Darüber hinaus beruht das von der Ligue vor dem vorlegenden Gericht geltend gemachte Argument, wie es sich ebenfalls aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten ergibt, dass die Kommission im Durchführungsbeschluss 2022/484 einen seinen Erlass rechtfertigenden Fall „äußerster Dringlichkeit“ genauer hätte darlegen müssen, auf einer falschen Prämisse.

40      Zum einen ist nämlich das Vorliegen eines Falls „äußerster Dringlichkeit“ erforderlich, um den Erlass von Durchführungsrechtsakten auf der Grundlage von Art. 69 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1307/2013 zu rechtfertigen, während der Durchführungsbeschluss 2022/484, wie das vorlegende Gericht ebenfalls ausgeführt hat, auf der Grundlage von Art. 69 Abs. 1 dieses Artikels erlassen wurde, der auf „dringende Fälle“ Bezug nimmt.

41      Zum anderen hat die Ligue vor dem vorlegenden Gericht geltend gemacht, dass die Kommission die Dringlichkeit im vorliegenden Fall nicht dargetan habe, da sie weder den Begriff „Rohstoffe“ definiert noch die Berechnung vorgelegt habe, die den „drastischen Anstieg der Rohstoffpreise“ belege.

42      Insoweit genügt die Feststellung, dass Art. 296 Abs. 2 AEUV in Anbetracht der in Rn. 25 des vorliegenden Urteils genannten Anforderungen an die Begründung von Rechtsakten mit allgemeiner Geltung von der Kommission nicht verlangt, eine Begründung vorzulegen, in der die Rohstoffe, deren Preise durch Russlands Invasion der Ukraine am 24. Februar 2022 beeinflusst werden, spezifisch definiert würden, oder eine Berechnung des Anstiegs dieser Preise vorzunehmen.

43      Zweitens wird das mit dem Durchführungsbeschluss 2022/484 verfolgte allgemeine Ziel im zweiten Satz dieses vierten Erwägungsgrundes dargelegt. Die Kommission führt dort aus, dass zur Bewältigung des in Rn. 37 des vorliegenden Urteils beschriebenen spezifischen Problems das landwirtschaftliche Produktionspotenzial der Union für die Lebensmittel- und Futtermittelversorgung erhöht werden sollte.

44      Aus dem fünften Erwägungsgrund des Durchführungsbeschlusses 2022/484 geht hervor, dass die Kommission es zur Erreichung dieses Ziels für erforderlich hielt, es den Landwirten zu ermöglichen, ihre verfügbaren Flächen so weit wie möglich zu nutzen, da es sich – gemäß Art. 4 Abs. 1 Buchst. f der Verordnung Nr. 1307/2013 – bei brachliegenden Flächen nach wie vor um für den Anbau landwirtschaftlicher Kulturpflanzen geeignete Ackerflächen handele und diese daher sofort zur Erzeugung von Lebens- und Futtermitteln genutzt werden könnten. In diesem Zusammenhang war die Kommission, wie sich aus diesem fünften Erwägungsgrund ergibt, der Ansicht, dass die Mitgliedstaaten ermächtigt werden sollten, von Bedingungen im Zusammenhang mit der Direktzahlung für dem Klima- und Umweltschutz förderliche Landbewirtschaftungsmethoden, einschließlich des Verbots der Verwendung von Pflanzenschutzmitteln, abzuweichen.

45      Außerdem hat die Kommission im sechsten Erwägungsgrund des Durchführungsbeschlusses 2022/484 ausgeführt, dass diese Maßnahmen zur Anbaudiversifizierung und zur Flächennutzung im Umweltinteresse nur im unbedingt erforderlichen Umfang und Zeitraum von den Bestimmungen der Verordnung Nr. 1307/2013 abwichen, da sie auf das Antragsjahr 2022 beschränkt seien und darauf abzielten, die Auswirkungen auf das Angebot von und die Nachfrage nach landwirtschaftlichen Erzeugnissen abzufedern, indem insgesamt mehr verfügbares Ackerland für die Erzeugung von Lebens- und Futtermitteln bereitgestellt werde.

46      Nach alledem hat die Kommission im Hinblick auf die Voraussetzungen nach Art. 69 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1307/2013 rechtlich hinreichend begründet, weshalb die im Durchführungsbeschluss 2022/484 vorgesehenen Maßnahmen zum einen erforderlich und gerechtfertigt sind, um ein spezifisches Problem zu lösen, das sich in einem dringenden Kontext ergeben hat, und zum anderen von dieser Verordnung nur so weit und so lange abweichen, wie dies zur Erreichung dieses Ziels unbedingt notwendig ist.

47      Was sodann die Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit anbelangt, ist darauf hinzuweisen, dass die auf der Grundlage von Art. 69 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1307/2013 erlassenen Durchführungsmaßnahmen in dringenden Fällen erforderlich und gerechtfertigt sein müssen und von den Bestimmungen dieser Verordnung nur so weit und so lange abweichen können, wie dies unbedingt notwendig ist.

48      Insoweit erscheint erstens in Anbetracht des mit dem Durchführungsbeschluss 2022/484 verfolgten Ziels – das, wie sich aus den Rn. 40 und 41 des vorliegenden Urteils ergibt, darin besteht, ein spezifisches Problem zu lösen, das sich in einem dringenden Kontext ergeben hat – die mit diesem Durchführungsbeschluss eingeführte Maßnahme erforderlich und gerechtfertigt. Denn zum einen ist die Nutzung brachliegender Flächen geeignet, unmittelbar zur Erhöhung der landwirtschaftlichen Erzeugung beizutragen, ohne dass komplexe Maßnahmen erforderlich wären. Zum anderen ist eine Maßnahme, die darin besteht, den Betriebsinhabern die Direktzahlung für dem Klima- und Umweltschutz förderliche Landbewirtschaftungsmethoden nicht vorzuenthalten, wenn sie ihre brachliegenden Flächen für die landwirtschaftliche Erzeugung nutzen, geeignet, sie dazu zu veranlassen, diese Flächen zu nutzen.

49      Zweitens hat sich die Kommission mit dem Durchführungsbeschluss 2022/484 darauf beschränkt, die Mitgliedstaaten zu ermächtigen, nur im Zeitraum des Antragsjahrs 2022 von bestimmten Vorschriften der in Art. 1 dieses Durchführungsbeschlusses genannten Rechtsakte der Union abzuweichen, ohne ihnen eine entsprechende Verpflichtung aufzuerlegen.

50      Außerdem hat die Kommission für den Fall, dass sich einige Mitgliedstaaten dafür entscheiden sollten, von dieser Möglichkeit Gebrauch zu machen, ihr Handeln so eingegrenzt, dass dessen potenziell negative Auswirkungen auf die Umwelt so gering wie möglich gehalten werden.

51      Im siebten Erwägungsgrund des Durchführungsbeschlusses 2022/484 hat die Kommission nämlich darauf hingewiesen, dass die Mitgliedstaaten bei dessen Umsetzung die Zielsetzungen der dem Klima- und Umweltschutz förderlichen Landbewirtschaftungsmethoden und insbesondere die Notwendigkeit, die Bodenqualität, die Qualität der natürlichen Ressourcen und die biologische Vielfalt insbesondere während der sensibelsten Zeiten von Blüte und Vogelbrut hinreichend zu schützen, gebührend zu berücksichtigen hatten. In diesem Zusammenhang war es, wie die Kommission in ihren schriftlichen Erklärungen ausführt, Sache der Mitgliedstaaten, unter Beachtung dieser Verpflichtungen den räumlichen Anwendungsbereich der Ausnahmen und die zulässigen Nutzungen und Kulturen festzulegen, was die Wallonische Regierung im vorliegenden Fall in Art. 2 Abs. 2 des Erlasses vom 12. Mai 2022 getan hat.

52      Im selben Zusammenhang verpflichtet Art. 3 des Durchführungsbeschlusses 2022/484 die Mitgliedstaaten, der Kommission die gemäß Art. 1 dieses Durchführungsbeschlusses gefassten Beschlüsse mitzuteilen und ihr die Zahl der Betriebe, die die Ausnahmeregelungen in Anspruch nehmen, sowie die Gesamtfläche in Hektar, auf die diese Ausnahmeregelungen Anwendung finden, mitzuteilen. Aus dem neunten Erwägungsgrund des Durchführungsbeschlusses geht hervor, dass die Kommission diese Verpflichtungen auferlegt hat, um u. a. zu überprüfen, ob die Entscheidungen, mit denen die Mitgliedstaaten von den mit diesem Durchführungsbeschluss eingeführten Ausnahmeregelungen Gebrauch machen, mit den in diesem Beschluss festgelegten Grenzen in Einklang stehen.

53      Daraus folgt, dass die mit dem Durchführungsbeschluss 2022/484 erlassenen Durchführungsmaßnahmen ersichtlich nicht gegen das in Art. 69 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1307/2013 vorgesehene Erfordernis verstoßen, wonach sie erforderlich und gerechtfertigt sein müssen.

54      Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass deren Prüfung nichts ergeben hat, was die Gültigkeit des Durchführungsbeschlusses 2022/484 beeinträchtigen könnte.

 Kosten

55      Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Fünfte Kammer) für Recht erkannt:

Die Prüfung der Vorlagefrage hat nichts ergeben, was die Gültigkeit des Durchführungsbeschlusses (EU) 2022/484 der Kommission vom 23. März 2022 zur Ermöglichung von Ausnahmeregelungen von der Verordnung (EU) Nr. 1307/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates und der Delegierten Verordnung (EU) Nr. 639/2014 der Kommission hinsichtlich der Anwendung bestimmter Bedingungen im Zusammenhang mit der Ökologisierungszahlung für das Antragsjahr 2022 beeinträchtigen könnte.

Unterschriften



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