C-206/24 – Caves Andorranes

C-206/24 – Caves Andorranes

CURIA – Documents

Language of document : ECLI:EU:C:2025:161

Vorläufige Fassung

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

RIMVYDAS NORKUS

vom 6. März 2025(1)

Rechtssache C206/24

YX,

Logística i Gestió Caves Andorranes i Vidal SA

gegen

Ministre de l’Économie, des Finances et de la Relance,

Directeur général des douanes et droits indirects

(Vorabentscheidungsersuchen der Cour de cassation [Kassationsgerichtshof, Frankreich])

„ Vorlage zur Vorabentscheidung – Zollunion – Erstattung oder Erlass von Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben – Verordnung (EWG) Nr. 1430/79 – Zollkodex der Union – Verordnung (EU) Nr. 952/2013 – Voraussetzungen für die Erstattung von Amts wegen – Frist von drei Jahren nach Mitteilung der Zollschuld – Kenntnis der Zollbehörden von der Identität der betroffenen Wirtschaftsbeteiligten sowie von dem an jeden Einzelnen von ihnen zu erstattenden Betrag, ohne umfassende Nachforschungen anstellen zu müssen – Recht auf eine gute Verwaltung “

I.      Einleitung

1.        Das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen der Cour de cassation (Kassationsgerichtshof, Frankreich) nach Art. 267 AEUV betrifft die Auslegung von Art. 2 Abs. 2 der Verordnung (EWG) Nr. 1430/79 des Rates vom 2. Juli 1979 über die Erstattung oder den Erlass von Eingangs- oder Ausfuhrabgaben(2) in der Fassung der Verordnung (EWG) Nr. 3069/86 des Rates vom 7. Oktober 1986(3) (im Folgenden: Verordnung Nr. 1430/79) und von Art. 236 Abs. 2 Unterabs. 3 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften(4) (im Folgenden: Zollkodex der Gemeinschaften).

2.        Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen YX und Logística i Gestió Caves Andorranes i Vidal SA, vormals Caves Andorranes SA (im Folgenden: Caves Andorranes), einer Gesellschaft andorranischen Rechts, auf der einen Seite und dem Ministre de l’Économie, des Finances et de la Relance (Minister für Wirtschaft, Finanzen und Aufschwung, Frankreich) sowie dem Directeur général des douanes et droits indirects (Generaldirektor für Zölle und indirekte Abgaben, Frankreich) auf der anderen Seite über die Erstattung rechtsgrundlos erhobener Zölle von Amts wegen. Die fraglichen Zölle wurden wegen einer unrichtigen Anwendung der Zollvorschriften erhoben, die erst Jahre später entdeckt und berichtigt wurde. In diesem Zusammenhang machen die französischen Behörden im Wesentlichen geltend, dass sie weder in der Lage gewesen seien, selbst die von dieser Verwaltungspraxis betroffenen Unternehmen zu identifizieren, noch die zu erstattenden Beträge zu bestimmen. Außerdem unterliege der Erstattungsanspruch Fristen, die im Zollrecht festgelegt seien. Mit ihrer Klage gegen die Weigerung, die fraglichen Zölle zu erstatten, tritt Caves Andorranes diesem Vorbringen entgegen.

3.        Die Parteien des Rechtsstreits haben somit unterschiedliche Standpunkte sowohl zum Umfang der Ermittlungspflichten der Zollbehörden als auch zur Ausschlussfrist von drei Jahren geäußert, die das Unionsrecht für das Verwaltungsverfahren zur Erstattung vorsieht. Die vorliegende Rechtssache gibt dem Gerichtshof Gelegenheit, sich zur Notwendigkeit der Wiederherstellung eines unionsrechtskonformen Zustands zugunsten des geschädigten Unternehmens zu äußern, auch wenn seit der Zuwiderhandlung durch die Verwaltungsbehörden erhebliche Zeit vergangen ist. Der Gerichtshof wird in seinem Urteil zu erläutern haben, wie dieses Ziel mit den Interessen der Rechtssicherheit und des ordnungsgemäßen Funktionierens der Zollverwaltung in Einklang gebracht werden kann.

II.    Rechtlicher Rahmen

A.      Verordnung Nr. 1430/79

4.        Der neunte Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 1430/79 lautete:

„Es sind die übrigen materiellen und förmlichen Voraussetzungen festzulegen, von deren Einhaltung die Erstattung oder der Erlass von Eingangs- oder Ausfuhrabgaben abhängig zu machen ist. Insbesondere müssen die Fristen festgesetzt werden, innerhalb derer der Beteiligte einen Antrag bei den zuständigen Behörden stellen kann …“

5.        Art. 1 dieser Verordnung sah vor:

(1)      Diese Verordnung legt die Voraussetzungen fest, unter denen die zuständigen Behörden die Erstattung oder den Erlass von Eingangs- oder Ausfuhrabgaben gewähren.

(2)      Im Sinne dieser Verordnung gelten als:

e)      buchmäßige Erfassung: der Verwaltungsakt, mit dem die zu erhebenden Eingangs- oder Ausfuhrabgaben von den zuständigen Behörden ordnungsgemäß festgesetzt werden;

…“

6.        Art. 2 der Verordnung bestimmte:

„(1)      Eingangsabgaben werden insoweit erstattet oder erlassen, als den zuständigen Behörden nachgewiesen wird, dass der buchmäßig erfasste Betrag

– Waren betrifft, für die keine Zollschuld entstanden ist oder für die die Zollschuld aus einem anderen Grund als wegen Entrichtung des entsprechenden Betrags oder Verjährung erloschen ist;

– die gesetzlich zu erhebenden Abgaben aus irgendeinem Grunde übersteigt.

(2)      Die Erstattung oder der Erlass von Eingangsabgaben aus einem der in Absatz 1 genannten Gründe erfolgt auf Antrag; dieser ist innerhalb von drei Jahren nach der buchmäßigen Erfassung der Abgaben durch die für die Erhebung zuständige Behörde bei der zuständigen Zollstelle einzureichen.

Diese Frist ist nur dann verlängerbar, wenn der Zollbeteiligte den Nachweis erbringt, dass er durch einen Zufall oder durch höhere Gewalt daran gehindert war, seinen Antrag innerhalb der genannten Frist einzureichen.

Die zuständigen Behörden nehmen die Erstattung oder den Erlass von Amts wegen vor, wenn sie innerhalb dieser Frist selbst feststellen, dass einer der in Absatz 1 beschriebenen Sachverhalte vorliegt.“

7.        Art. 15 Abs. 1 der Verordnung bestimmte:

„Eingangs- oder Ausfuhrabgaben werden demjenigen, der die Abgaben entrichtet hat, dem Abgabenschuldner oder den Personen, die in deren Rechte eintreten oder deren Verpflichtungen übernehmen, erstattet oder erlassen.“

8.        Art. 16 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1430/79 sah vor:

„Der Antragsteller hat seinem Antrag alle ihm zur Verfügung stehenden Nachweise beizufügen, damit die zuständigen Behörden über den Antrag auf der Grundlage der von dem Antragsteller vorgebrachten Gründe entscheiden können. Erforderlichenfalls können die zuständigen Behörden dem Antragsteller eine Frist für die Vorlage weiterer Nachweise setzen.“

9.        Diese Verordnung wurde durch Art. 251 des Zollkodex der Gemeinschaften aufgehoben.

B.      Zollkodex der Gemeinschaften

10.      Art. 236 des Zollkodex der Gemeinschaften bestimmte:

„(1)      Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben werden insoweit erstattet, als nachgewiesen wird, dass der Betrag im Zeitpunkt der Zahlung nicht gesetzlich geschuldet war oder der Betrag entgegen Artikel 220 Absatz 2 buchmäßig erfasst worden ist.

Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben werden insoweit erlassen, als nachgewiesen wird, dass der Betrag im Zeitpunkt der buchmäßigen Erfassung nicht gesetzlich geschuldet war oder der Betrag entgegen Artikel 220 Absatz 2 buchmäßig erfasst worden ist.

Eine Erstattung oder ein Erlass wird nicht gewährt, wenn die Zahlung oder buchmäßige Erfassung eines gesetzlich nicht geschuldeten Betrags auf ein betrügerisches Vorgehen des Beteiligten zurückzuführen ist.

(2)      Die Erstattung oder der Erlass der Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben erfolgt auf Antrag; der Antrag ist vor Ablauf einer Frist von drei Jahren nach Mitteilung der betreffenden Abgaben an den Zollschuldner bei der zuständigen Zollstelle zu stellen.

Diese Frist wird verlängert, wenn der Beteiligte nachweist, dass er infolge eines unvorhersehbaren Ereignisses oder höherer Gewalt gehindert war, den Antrag fristgerecht zu stellen.

Die Zollbehörden nehmen die Erstattung oder den Erlass von Amts wegen vor, wenn sie innerhalb dieser Frist selbst feststellen, dass einer der in Absatz 1 Unterabsätze 1 und 2 beschriebenen Sachverhalte vorliegt.“

11.      Nach seinem Art. 253 Abs. 2 galt dieser Kodex ab 1. Januar 1994.

12.      Der Kodex wurde durch Art. 186 der Verordnung (EG) Nr. 450/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2008 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaft (Modernisierter Zollkodex) (ABl. 2008, L 145, S. 1) aufgehoben, die wiederum durch Art. 286 der Verordnung (EU) Nr. 952/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. Oktober 2013 zur Festlegung des Zollkodex der Union (ABl. 2013, L 269, S. 1, und Berichtigung ABl. 2016, L 267, S. 2) (im Folgenden: Zollkodex der Union) aufgehoben wurde.

C.      Zollkodex der Union

13.      Art. 116 des Zollkodex der Union sieht vor:

„(1)      Die Einfuhr- oder Ausfuhrabgabenbeträge werden unter den in diesem Abschnitt festgelegten Voraussetzungen aus jedem nachstehenden Grund erstattet oder erlassen:

a)      zu hoch bemessener Einfuhr- oder Ausfuhrabgabenbetrag,

(4)      Stellen die Zollbehörden selbst innerhalb der Frist des Artikels 121 Absatz 1 fest, dass die Einfuhr- oder Ausfuhrabgabenbeträge nach Artikel 117, 119 oder 120 erstattet oder erlassen werden können, so erstatten oder erlassen sie die Abgaben von Amts wegen vorbehaltlich der Regeln über die Zuständigkeit für die Entscheidung.

…“

14.      Art. 117 Abs. 1 dieses Kodex lautet:

„Die Einfuhr- oder Ausfuhrabgabenbeträge werden erstattet oder erlassen, soweit der der ursprünglich mitgeteilten Zollschuld entsprechende Betrag den zu entrichtenden Betrag übersteigt oder die Zollschuld dem Zollschuldner entgegen Artikel 102 Absatz 1 Unterabsatz 2 Buchstabe c oder d mitgeteilt wurde.“

15.      Art. 121 („Verfahren für die Erstattung und den Erlass“) Abs. 1 des Zollkodex bestimmt:

„Anträge auf Erstattung oder Erlass nach Artikel 116 sind innerhalb der folgenden Fristen bei den Zollbehörden zu stellen:

a)      im Falle von zu hoch bemessenen Einfuhr- und Ausfuhrabgabenbeträgen …: innerhalb von drei Jahren nach Mitteilung der Zollschuld,

Die Fristen des Unterabsatzes 1 Buchstaben a und b werden verlängert, wenn der Antragsteller nachweist, dass er den Antrag infolge eines unvorhersehbaren Ereignisses oder höherer Gewalt nicht fristgerecht stellen konnte.“

16.      Gemäß Art. 288 Abs. 2 des Zollkodex der Union gelten die in den drei vorstehenden Nummern der vorliegenden Schlussanträge genannten Bestimmungen ab dem 1. Mai 2016.

III. Sachverhalt, Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

17.      In den Jahren 1988 bis 1991 führten andorranische Importeure über Vermittlung der Gesellschaft Ysal, einer in Frankreich ansässigen Zollagentin (im Folgenden: Ysal), vorwiegend aus Drittstaaten stammende Waren nach Andorra ein. Für diese Einfuhren waren Zölle in Frankreich zu entrichten. Zu dieser Zeit verlangten die französischen Zollbehörden nämlich, dass Waren aus Drittländern mit dem Bestimmungsland Andorra in den zollrechtlich freien Verkehr überführt werden mussten, wenn sie das französische Hoheitsgebiet durchquerten.

18.      Am 23. Januar 1991 veröffentlichte die Europäische Kommission die mit Gründen versehene Stellungnahme KOM(90) 2042 endg., in der sie zum einen feststellte, dass die Französische Republik dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus bestimmten (damals) gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften verstoßen habe, dass sie ein solches Erfordernis der Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr(5) vorgesehen habe, und zum anderen diesen Mitgliedstaat aufforderte, der mit Gründen versehenen Stellungnahme innerhalb von 30 Tagen nachzukommen.

19.      Aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten geht hervor, dass das Ministère de l’Économie, des Finances et du Budget (Ministerium für Wirtschaft, Finanzen und Haushalt, Frankreich) am 6. Juni 1991 im Journal officiel de la République française (Amtsblatt der Französischen Republik) eine Bekanntmachung an Exporteure veröffentlichte, mit der dieses Erfordernis der Überführung in den zollrechtlichen freien Verkehr aufgehoben wurde.

20.      Am 20. Mai 2008 erhob Ysal vor einem Tribunal d’instance (Kleininstanzgericht) Klage gegen die französische Zollverwaltung auf Erstattung der Zölle, die diese aufgrund der in den Jahren 1988 bis 1991 abgegebenen Anmeldungen von Einfuhren nach Andorra rechtsgrundlos erhoben habe.

21.      Mit Urteil vom 15. Juni 2010 erklärte dieses Gericht die Klage von Ysal aufgrund von fehlender Klagebefugnis und mangelndem Rechtsschutzinteresse für unzulässig. Dieses Urteil wurde mit Urteil einer Cour d’appel (Berufungsgericht, Frankreich) vom 13. Dezember 2011 bestätigt. Die Cour de cassation (Kassationsgerichtshof, Frankreich) wies die von Ysal erhobene Beschwerde mit Urteil vom 21. Januar 2014 zurück.

22.      Zu einem nicht näher bestimmten Zeitpunkt erstatteten diese andorranischen Importeure, deren Rechtsnachfolger Caves Andorranes und YX sind, Ysal die Zölle, die diese für ihre Rechnung entrichtet hatte.

23.      Am 16. Juli 2015 erhoben Caves Andorranes und YX vor dem Tribunal de grande instance de Toulouse (Großinstanzgericht Toulouse, Frankreich) Klage gegen die französische Zollverwaltung auf Zahlung eines Betrag, der den von der französischen Zollverwaltung rechtsgrundlos erhobenen Zöllen entsprach. Mit Urteil vom 4. Juli 2017 wies dieses Gericht die Klagen von Caves Andorranes und YX ab.

24.      Mit Urteil vom 10. Februar 2020 bestätigte die Cour d’appel de Toulouse (Berufungsgericht Toulouse, Frankreich) dieses Urteil. Das Gericht führte insoweit aus, dass die Zollverwaltung, um eine Erstattung nach Art. 2 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1430/79 und Art. 236 Abs. 2 Unterabs. 3 des Zollkodex der Gemeinschaften von Amts wegen vorzunehmen, über die Informationen verfügen müsse, die erforderlich seien, um sowohl den Betrag der zu erstattenden Abgaben als auch die Identität aller Zollschuldner zu bestimmen, ohne dass sie dabei verpflichtet wäre, Nachforschungen in unverhältnismäßigem Ausmaß anzustellen.

25.      Caves Andorranes und YX legten bei der Cour de cassation, dem vorlegenden Gericht, ein Rechtsmittel gegen dieses Urteil ein, mit dem sie im Wesentlichen geltend machen, dass die Cour d’appel de Toulouse mit ihrem Urteil vom 10. Februar 2020 gegen Art. 2 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1430/79 verstoßen habe. Die in dieser Bestimmung vorgesehene Verpflichtung zur Erstattung von Amts wegen setze lediglich die Einhaltung einer Frist von drei Jahren nach der Mitteilung der Abgaben an den Zollschuldner voraus. Dagegen sehe diese Bestimmung nicht vor, dass die Zollbehörden über diese Informationen über die Höhe dieser Abgaben und die Identität aller Zollschuldner verfügen müssten. Damit habe die Cour d’appel de Toulouse dieser Bestimmung eine Bedingung hinzugefügt, die sie nicht enthalte.

26.      Das vorlegende Gericht weist darauf hin, dass die französische Zollverwaltung geltend mache, dass ihr eine Erstattung von Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben von Amts wegen nur möglich sei, wenn sie über alle Informationen verfüge, aufgrund deren sie feststellen könne, dass diese Abgaben rechtsgrundlos erhoben worden seien und dass sie zurückzuerstatten seien. Es könne ihr nicht auferlegt werden, selbst umfassende Nachforschungen anzustellen, um den Betrag der an jeden der betroffenen Beteiligten zu erstattenden Abgaben zu ermitteln.

27.      Daher fragt sich das vorlegende Gericht, ob die Bestimmungen von Art. 2 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1430/79 und Art. 236 Abs. 2 des Zollkodex der Gemeinschaften dahin auszulegen sind, dass die zuständige Behörde nur dann dazu verpflichtet ist, nicht gesetzlich geschuldete Zölle von Amts wegen zu erstatten, wenn sie hierfür über alle erforderlichen Informationen verfügt und, sofern dies nicht der Fall ist, sie keine Nachforschungen in unverhältnismäßigem Ausmaß anstellen muss.

28.      Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts stellt sich ferner die Vorfrage, ob eine Erstattung durch die Zollbehörde von Amts wegen nach Ablauf der Frist von drei Jahren nach Mitteilung der Abgaben an den Zollschuldner erfolgen kann. Im Hinblick auf das Urteil vom 14. Juni 2012, CIVAD (C‑533/10, EU:C:2012:347, Rn. 21), in dem der Gerichtshof entschieden hat, dass nach Art. 236 Abs. 2 Unterabs. 1 des Zollkodex der Gemeinschaften für die Erstattung nicht gesetzlich geschuldeter Zölle eine Frist von drei Jahren gilt, fragt sich das vorlegende Gericht, ob Art. 2 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1430/79 dahin auszulegen ist, dass die zuständigen Behörden nach Ablauf dieser Frist keine Erstattung von Amts wegen mehr vornehmen können, und zwar selbst dann, wenn nachgewiesen ist, dass die Behörden innerhalb dieser Frist festgestellt haben, dass diese Abgaben nicht gesetzlich geschuldet waren.

29.      Unter diesen Umständen hat die Cour de cassation (Kassationsgerichtshof) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Ist Art. 2 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1430/79, der in Art. 236 Abs. 2 Unterabs. 3 des Zollkodex der Gemeinschaften übernommen wurde, dahin auszulegen, dass die Erstattung von Amts wegen der von einer Zollbehörde erhobenen Zölle auf eine Frist von drei Jahren nach der buchmäßigen Erfassung dieser Abgaben durch die für die Erhebung zuständige Behörde beschränkt ist, oder dahin, dass die Zollverwaltung innerhalb von drei Jahren nach dem Eintreten der Zollschuld in der Lage sein muss, festzustellen, dass die Abgaben nicht geschuldet waren?

2.      Ist Art. 2 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1430/79, der in Art. 236 Abs. 2 Unterabs. 3 des Zollkodex der Gemeinschaften übernommen wurde, dahin auszulegen, dass die Erstattung von Amts wegen der von einer Zollbehörde erhobenen Zölle voraussetzt, dass diese Behörde von der Identität der betroffenen Beteiligten sowie von den an jeden Einzelnen von ihnen zu erstattenden Beträgen Kenntnis hat, ohne dass sie dabei verpflichtet wäre, umfassende Nachforschungen oder Nachforschungen in unverhältnismäßigem Ausmaß anzustellen?

IV.    Verfahren vor dem Gerichtshof

30.      Die Vorlageentscheidung vom 13. März 2024 ist am 17. März 2024 bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingegangen.

31.      Die französische Regierung und die Kommission haben innerhalb der in Art. 23 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union festgelegten Frist schriftliche Erklärungen eingereicht.

32.      In der Generalversammlung vom 5. November 2024 hat der Gerichtshof beschlossen, keine mündliche Verhandlung abzuhalten.

V.      Rechtliche Würdigung

A.      Vorbemerkungen

33.      Neben der Einführung eines Gemeinsamen Zolltarifs erfordert die Schaffung einer Zollunion nach Art. 28 AEUV auch die Vereinheitlichung der allgemeinen Zollvorschriften und der entsprechenden Zollverfahren für die Erhebung, Aussetzung oder Befreiung von Einfuhrabgaben. Andernfalls könnten die Unterschiede zwischen den nationalen Zollregelungen den Warenverkehr im Binnenmarkt behindern. Das ursprüngliche Ziel bestand somit in der Harmonisierung der Zollvorschriften der Mitgliedstaaten. Die Harmonisierung des Zollrechts durch zahlreiche Einzelregelungen zu unterschiedlichen Themen hat jedoch zu einer Rechtszersplitterung geführt(6). Erst am 1. Januar 1994 wurde mit dem Zollkodex der Gemeinschaft auf supranationaler Ebene ein einheitliches Zollverfahrensrecht anwendbar. Der am 9. Oktober 2013 in Kraft getretene Zollkodex der Union gilt seit dem 1. Mai 2016(7). Das nationale Recht regelt dagegen die Organisation der Zollverwaltung, die für den administrativen Vollzug des Zollrechts der Union zuständig ist.

34.      Es ist darauf hinzuweisen, dass die Europäische Union nach Art. 3 Abs. 1 Buchst. a AEUV im Bereich der Zollunion über eine ausschließliche Zuständigkeit verfügt und dass der Zollkodex der Union nach seinem Art. 1 Abs. 1 im gesamten Zollgebiet der Union einheitlich anzuwenden ist. Somit unterliegt die Erhebung von Zöllen durch die Mitgliedstaaten im Namen der Union auf Waren, die in das Zollgebiet der Union eingeführt werden, gemäß dem Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts nur den Rechtsvorschriften der Union(8), was bedeutet, dass der betreffende Mitgliedstaat, d. h. Frankreich, im vorliegenden Fall – anstelle von Bestimmungen seiner nationalen Rechtsvorschriften, die vom Zollkodex der Union abweichen können – die einschlägigen Bestimmungen des Unionsrechts anwendet, genauer gesagt diejenigen über den Versand und die Erstattung rechtsgrundlos erhobener Zölle.

35.      Es ist darauf hinzuweisen, dass sich der dem Ausgangsverfahren zugrunde liegende Sachverhalt vor etwas mehr als 30 Jahren ereignet hat und dass die französischen Gerichte mit mehreren Rechtssachen befasst wurden. Aus diesem Grund bezieht sich das vorlegende Gericht in seinen Fragen sowohl auf Art. 2 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1430/79 als auch auf Art. 236 Abs. 2 Unterabs. 3 des Zollkodex der Gemeinschaften. Diese Bestimmungen, die nunmehr in Art. 116 Abs. 4 in Verbindung mit Art. 121 Abs. 1 des Zollkodex der Union übernommen wurden, waren in zeitlicher Hinsicht in den vom vorlegenden Gericht als maßgeblich erachteten Zeiträumen anwendbar. Insoweit möchte ich darauf hinweisen, dass sich die genannten Bestimmungen nur hinsichtlich ihrer Formulierung unterscheiden, während ihr Regelungsgehalt unverändert geblieben ist. Um dem Leser das Verständnis der vorliegenden Schlussanträge zu erleichtern, werde ich daher eher auf die gemeinsamen Aspekte der Regelung über das Erstattungsverfahren Bezug nehmen. Ein solcher Ansatz erscheint mir umso sinnvoller, als die von mir befürwortete Auslegung auch auf ähnliche Fälle Anwendung finden soll, für die die derzeit geltenden Bestimmungen des Zollkodex der Union gelten(9).

36.      Der Vollständigkeit halber weise ich darauf hin, dass nach ständiger Rechtsprechung Verfahrensvorschriften im Allgemeinen auf alle bei ihrem Inkrafttreten anhängigen Rechtsstreitigkeiten anwendbar sind, während materiell-rechtliche Vorschriften gewöhnlich so ausgelegt werden, dass sie nicht für vor ihrem Inkrafttreten entstandene Sachverhalte gelten(10). Für die Zwecke der vorliegenden Würdigung ist die Bestimmung, die die Bedingungen für die Grundlage und die Entstehung des Erstattungsanspruchs festlegt, als materiell-rechtliche Vorschrift zu betrachten, während die Vorschriften, die die Bedingungen für die Ausübung dieses Anspruchs regeln, insbesondere die Frist für die Einreichung eines Erstattungsantrags oder für die Feststellung durch die Behörden, dass einer der Umstände vorliegt, die die Erstattung rechtfertigen, zu den verfahrensrechtlichen Bestimmungen gehören.

37.      Die vorliegende Rechtssache wirft mehrere Rechtsfragen auf, die untrennbar miteinander verbunden sind. Sie lassen sich allgemein in drei verschiedene thematische Schwerpunkte einteilen: i) Der Umfang der Verpflichtung der Zollbehörde, nicht geschuldete Zölle von Amts wegen zu erstatten, ii) das anzuwendende Verfahren, wenn die Erstattungspflicht auf der Feststellung beruht, dass keine Rechtsgrundlage für die Forderung nach Zahlung nicht geschuldeter Zölle vorliegt, iii) das gesetzgeberische Ziel der in den Zollvorschriften vorgesehenen Frist von drei Jahren. Aus Gründen der Klarheit und der Übersichtlichkeit schlage ich vor, die Vorlagefragen des vorlegenden Gerichts gemeinsam zu behandeln. Ich werde sie im Rahmen der Darstellung dieser thematischen Schwerpunkte behandeln.

B.      Zur Zulässigkeit

38.      Vor der Prüfung der materiell-rechtlichen Fragen halte ich es für erforderlich, kurz auf die Zulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens einzugehen. Auch wenn keiner der Beteiligten diese Einrede der Unzulässigkeit erhebt, kann man sich fragen, ob eine Antwort auf die Fragen des vorlegenden Gerichts für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits erforderlich ist. Da die zollrechtlichen Bestimmungen eine Frist von drei Jahren für die Geltendmachung von Anträgen auf Erstattung rechtsgrundlos erhobener Zölle vorsieht und die diesem Rechtsstreit zugrunde liegenden Ereignisse mehr als 30 Jahre zurückliegen, scheinen diese Fragen auf den ersten Blick unerheblich zu sein.

39.      Nach ständiger Rechtsprechung spricht eine Vermutung für die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefragen des nationalen Gerichts, die es zur Auslegung des Unionsrechts in dem rechtlichen und sachlichen Rahmen stellt, den es in eigener Verantwortung festlegt und dessen Richtigkeit der Gerichtshof nicht zu prüfen hat. Der Gerichtshof kann die Entscheidung über ein Vorabentscheidungsersuchen eines nationalen Gerichts nur dann ablehnen, wenn die erbetene Auslegung des Unionsrechts offensichtlich in keinem Zusammenhang mit den Gegebenheiten oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, wenn das Problem hypothetischer Natur ist oder wenn er nicht über die tatsächlichen und rechtlichen Angaben verfügt, die für eine zweckdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind(11).

40.      Ich halte die Fragen des vorlegenden Gerichts nicht für hypothetisch, da sich meines Erachtens eine Auslegung der Bestimmungen über die Pflichten der Zollbehörden im Erstattungsverfahren auch als nützlich erweisen kann, um zu klären, ob Caves Andorranes gemäß den in der Rechtsprechung des Gerichtshofs aufgestellten Grundsätzen Anspruch auf Schadensersatz wegen Verstoßes gegen das Unionsrecht hat. Es gibt Anzeichen dafür, dass Caves Andorranes dieses Ziel zumindest hilfsweise verfolgen könnte(12). Daher könnten die sich aus dem künftigen Urteil des Gerichtshofs ergebenden Hinweise zur Auslegung jeder Frage betreffend die Erstattung rechtsgrundlos erhobener Zölle von Amts wegen für die Entscheidung des Rechtsstreits sachdienlich sein, sofern der Kassationsbeschwerdeführer des Ausgangsverfahrens die Haftung der französischen Zollverwaltung für einen etwaigen Verstoß gegen das Unionsrecht in Anspruch nehmen sollte(13).

41.      Aus den in den vorstehenden Nummern der vorliegenden Schlussanträge dargelegten Gründen ist davon auszugehen, dass das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen zulässig ist.

C.      Zu den Vorlagefragen

1.      Verpflichtung der Zollbehörde, nicht geschuldete Zölle von Amts wegen zu erstatten

42.      Die zollrechtlichen Bestimmungen der Union sehen zwei unterschiedliche Modalitäten für die Erstattung nicht geschuldeter Einfuhrabgaben vor. Die erste dieser Modalitäten erfordert einen vorherigen entsprechenden Antrag bei der zuständigen Zollstelle vor Ablauf einer Frist von drei Jahren nach der buchmäßigen Erfassung der nicht geschuldeten Zölle, während sich die zweite aus einem spontanen Tätigwerden der Zollverwaltung ergibt, die die Erstattung von Amts wegen vornehmen muss, wenn sie innerhalb dieser Frist feststellt, dass einer der die Erstattung rechtfertigenden Sachverhalte vorliegt.

43.      Die vorliegende Rechtssache betrifft die zweite Modalität. Insoweit ist zunächst darauf hinzuweisen, dass das Zollrecht bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen, auf die ich im Folgenden eingehen werde, eine allgemeine Erstattungspflicht vorsieht. Genauer gesagt ergibt sich sowohl aus Art. 2 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1430/79 als auch aus Art. 236 Abs. 1 des Zollkodex der Gemeinschaften, dass „[die Abgaben erstattet] werden“, während Art. 116 Abs. 1 des Zollkodex der Union vorsieht, dass die Einfuhrabgabenbeträge aus einem der in der Regelung genannten Gründe „[erstattet] werden“.

44.      Zu den Voraussetzungen, die einen Anspruch auf Erstattung begründen und die vorbehaltlich der vom vorlegenden Gericht vorzunehmenden Würdigung auf den vorliegenden Fall anwendbar sein können, gehört der in Art. 2 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1430/79 genannte Umstand, dass „keine Zollschuld entstanden ist“, oder dass im Sinne von Art. 236 Abs. 1 des Zollkodex der Gemeinschaften „der Betrag [der Zölle] im Zeitpunkt der Zahlung nicht gesetzlich geschuldet war“. Art. 116 Abs. 1 Buchst. a des Zollkodex der Union wiederum sieht eine Erstattung bei einem „zu hoch bemessene[n] Einfuhr[abgabenbetrag]“ vor. Trotz der etwas abweichenden Formulierung dieser Bestimmungen ist ihnen gemeinsam, dass sie sich im Wesentlichen auf einen Sachverhalt beziehen, in der die Verwaltung einen Zoll ohne rechtlichen Grund erhoben hat. Da diese Bestimmungen die Voraussetzungen für die Grundlage und die Entstehung des Erstattungsanspruchs enthalten, stellen sie materiell-rechtliche Vorschriften dar.

45.      Diese materiell-rechtlichen Vorschriften sind von den Verfahrensregeln zu unterscheiden, die in der vorliegenden Rechtssache eine entscheidende Rolle spielen. Es handelt sich um die in Nr. 35 der vorliegenden Schlussanträge angeführten Bestimmungen, deren Regelungsgehalt, wie ich bereits ausgeführt habe, sich nicht geändert hat, da sie im Wesentlichen vorsehen, dass „die Zollbehörden … die Erstattung … von Amts wegen [vornehmen], wenn sie innerhalb dieser Frist selbst feststellen, dass [die Voraussetzungen für eine solche Initiative erfüllt sind]“. Diese Regelung erfordert einige Anmerkungen meinerseits zu ihrer Auslegung. Dabei werde ich auf die in der Rechtsprechung des Gerichtshofs anerkannten Auslegungsmethoden zurückgreifen. Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs bei der Auslegung einer Vorschrift des Unionsrechts nicht nur deren Wortlaut, sondern auch der Zusammenhang, in dem sie steht, sowie die Zwecke und Ziele, die mit dem Rechtsakt, zu dem sie gehört, verfolgt werden, zu berücksichtigen sind. Die Entstehungsgeschichte einer Bestimmung des Unionsrechts kann ebenfalls relevante Anhaltspunkte für ihre Auslegung liefern(14).

46.      Auf der Grundlage dieser Erwägungen bestätigt meines Erachtens der Wortlaut dieser Bestimmungen („von Amts wegen vor[nehmen]“) selbst, dass es erstens Sache der Zollverwaltung ist, von sich aus tätig zu werden, und zweitens, dass das Ereignis, mit dem sie darauf aufmerksam gemacht wurde, dass die Zölle rechtsgrundlos erhoben wurden, innerhalb der Dreijahresfrist („innerhalb dieser Frist“) eingetreten sein muss. Meiner Meinung nach liegt es auf der Hand, dass diese Regelung nicht dahin zu verstehen ist, dass die Erstattung selbst innerhalb dieser Frist erfolgen muss.

47.      In systematischer Hinsicht scheint mir diese Auslegung zur Erstattung von Amts wegen durch eine Betrachtung der Bestimmungen über die erste Modalität der Erstattung nicht geschuldeter Einfuhrabgaben, d. h. das Verfahren auf Antrag, gestützt zu werden. Nach dieser Regelung „[erfolgt d]ie Erstattung … auf Antrag; der Antrag ist vor Ablauf einer Frist von drei Jahren … bei der zuständigen Zollstelle zu stellen(15)“, wobei die Frist nach einem Zeitpunkt zu laufen beginnt, bei dem es sich je nach der zugrunde gelegten Fassung um den Zeitpunkt „der buchmäßigen Erfassung dieser Abgaben durch die für die Erhebung zuständige Behörde“, den „der Mitteilung der betreffenden Abgaben an den Zollschuldner“ oder den der „Mitteilung der Zollschuld“ handelt. Ausnahmsweise wird diese Frist verlängert, wenn der Beteiligte nachweist, dass er infolge eines unvorhersehbaren Ereignisses oder höherer Gewalt gehindert war, den Antrag fristgerecht zu stellen.

48.      Abgesehen von den Unterschieden im Zusammenhang mit der Formulierung der in Rede stehenden Bestimmungen ist es offensichtlich, dass der Unionsgesetzgeber mit der Regelung dieser Erstattungsmodalität auch eine Frist von drei Jahren festlegen wollte, innerhalb derer die Behörden feststellen mussten, dass die Zölle zu Unrecht erhoben wurden. Im Rahmen dieser Modalität ist der Antrag des Zollschuldners mit anderen Worten das Mittel, mit dem die Behörden Kenntnis von den Umständen erlangen, die einen Erstattungsanspruch begründen und sie zum Tätigwerden verpflichten. Dagegen ist diesen Bestimmungen zu entnehmen, dass diese Modalität keine genaue Frist für die Vornahme der Erstattung vorsieht. Der Grundgedanke, der der Regelung der beiden in den vorstehenden Nummern der vorliegenden Schlussanträge dargelegten Modalitäten zugrunde liegt, ist daher sehr ähnlich.

49.      Würde ein solcher Antrag demzufolge unmittelbar vor Ablauf der Dreijahresfrist gestellt, könnte die Verwaltung die Erstattung daher durchaus später, d. h. nach Ablauf dieser Frist, vornehmen, ohne gegen die zollrechtlichen Bestimmungen der Union zu verstoßen. Diese Auslegung wird durch die Rechtsprechung des Gerichtshofes bestätigt, da dieser im Urteil C & J Clark International entschieden hat, dass sich aus Art. 236 des Zollkodex der Gemeinschaften ergibt, dass „die Erstattung von Abgaben, die im Zeitpunkt ihrer Entrichtung nicht gesetzlich geschuldet waren, grundsätzlich außer bei Vorliegen eines unvorhersehbaren Ereignisses oder höherer Gewalt nach Ablauf einer Frist von drei Jahren nach Mitteilung des Abgabenbetrags an den Zollschuldner nur dann erfolgen kann, wenn dieser innerhalb dieser Frist bei den nationalen Zollbehörden wirksam einen entsprechenden Antrag gestellt hat“(16).

50.      Darüber hinaus hat der Gerichtshof im früheren Urteil CIVAD, in dem es um einen Fall ging, in dem der Erstattungsantrag nach Ablauf dieser Frist, d. h. verspätet, gestellt worden war, entschieden, dass „ein Wirtschaftsteilnehmer … grundsätzlich die Erstattung der … entrichteten Antidumpingzölle, für die die in Art. 236 Abs. 2 des Zollkodex [der Gemeinschaften] vorgesehene Frist von drei Jahren abgelaufen ist, nicht mehr verlangen [kann]“(17). Aus diesen Erläuterungen ergibt sich, dass die fragliche Regelung voraussetzt, dass die Behörden innerhalb dieser Frist das Fehlen einer Rechtsgrundlage für die Erhebung der Einfuhrabgaben zur Kenntnis nehmen müssen, was sowohl für die Erstattung von Amts wegen als auch für die Erstattung auf Antrag gilt. Die gegenteilige Auslegung, wonach die Erstattung selbst auf die Frist von drei Jahren beschränkt wäre, hätte zur Folge, dass das das Erlöschen des Erstattungsanspruchs von der Geschwindigkeit, mit der die Verwaltungsbehörden tätig werden, abhängig wäre, was der Rechtssicherheit zuwiderliefe.

51.      Im vorliegenden Fall steht fest, dass innerhalb der Frist von drei Jahren kein Erstattungsantrag gestellt worden ist. Dies wirft die Frage auf, welche rechtlichen Anforderungen erfüllt sein müssen, damit die Zollbehörden tätig werden. Insbesondere ist zu klären, über welches Maß an Gewissheit die Behörden in Bezug auf den Anspruch des Bürgers auf Erstattung der rechtsgrundlos erhobenen Zölle verfügen müssen. Nach einer kurzen Erläuterung der Funktion des in der in Rede stehenden Regelung vorgesehenen Zeitraums von drei Jahren werde ich näher auf diese Frage eingehen.

2.      Die Funktion der Ausschlussfrist von drei Jahren

52.      Wie der Gerichtshof im Urteil CIVAD ausgeführt hat, handelt es sich bei der genannten Dreijahresfrist um eine Verjährungsfrist, d. h. um eine gesetzlich festgelegte Frist, innerhalb derer der Gläubiger seinen Erstattungsanspruch geltend machen kann. Der Ablauf der Frist führt grundsätzlich zum Verlust dieses Anspruchs. Nach Auffassung des Gerichtshofs erscheint eine Verjährungsfrist von drei Jahren angemessen, da sie nicht geeignet ist, die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte praktisch unmöglich zu machen oder übermäßig zu erschweren(18).

53.      Der Gerichtshof hat festgestellt, dass eine solche Ausschlussfrist im Interesse der Rechtssicherheit liegt, die zugleich den Rechtsbürger und die betreffende Verwaltung schützt, und gleichwohl den Rechtsbürger nicht daran hindert, die durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte auszuüben. Schließlich hat der Gerichtshof entschieden, dass das Zollrecht zwar bestimmte Ausnahmen von der Dreijahresfrist vorsieht, z. B. in Fällen höherer Gewalt, jedoch darauf hingewiesen, dass die Erstattung entrichteter Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben nur unter bestimmten Voraussetzungen und in den besonders vorgesehenen Fällen gewährt werden kann. Da eine solche Erstattung eine Ausnahme vom gewöhnlichen Einfuhr- und Ausfuhrsystem darstellt, sind die Vorschriften, die sie vorsehen, eng auszulegen(19).

54.      Die in den vorstehenden Nummern der vorliegenden Schlussanträge angeführte Rechtsprechung betrifft die Vorschriften über die Erstattung von Zöllen auf Antrag eines Wirtschaftsteilnehmers. Die gleichen, auf der Rechtssicherheit beruhenden Erwägungen gelten meines Erachtens jedoch auch in Bezug auf die Dreijahresfrist für die Modalität der Erstattung von Amts wegen, was zur Folge hat, dass alle Auslegungsgrundsätze, die sich aus der angeführten Rechtsprechung ergeben, anwendbar sind.

3.      Das Maß an Gewissheit, über das die Zollbehörden verfügen müssen, und das zu befolgende Erstattungsverfahren

55.      Die in Nr. 35 der vorliegenden Schlussanträge angeführten Vorschriften, die die verfahrensrechtlichen Aspekte der Erstattung rechtsgrundlos erhobener Zölle regeln, sehen vor, dass „[d]ie Zollbehörden … die Erstattung … von Amts wegen vor[nehmen], wenn sie … selbst feststellen, dass einer der … [einen solchen Anspruch begründenden] Sachverhalte vorliegt“(20), was die Frage aufwirft, worauf sich diese „Feststellung“ genau bezieht und welches Maß an Gewissheit in Bezug auf das Vorliegen eines Anspruch auf Erstattung erforderlich ist.

56.      Meines Erachtens lässt der Wortlaut der in Nr. 44 der vorliegenden Schlussanträge angeführten einschlägigen materiell-rechtlichen Bestimmungen keinen Zweifel daran, dass sich die Kenntnis der Zollbehörden auf die Umstände erstrecken muss, die den Erstattungsanspruch begründen. Dies setzt konkret die Kenntnis der wesentlichen Gesichtspunkte, nämlich der vorgenommenen Zollvorgänge, der Identität der von diesen Vorgängen betroffenen Unternehmen, der gezahlten Beträge und selbstverständlich des Fehlens einer Zollschuld voraus(21).

57.      Liegen diese Umstände vor, sind die Zollbehörden verpflichtet, die Erstattung vorzunehmen, und verfügen über keinerlei Ermessensspielraum. Insoweit ist es entgegen dem Vorbringen der Kommission nicht möglich, klar zwischen der tatsächlichen Feststellung der Rückzahlungsvoraussetzungen und einer Pflicht zur Feststellung zu unterscheiden, da sonst dem Begriff „Erstattung von Amts wegen“ jede eigenständige Bedeutung genommen würde. Hat die Zollverwaltung Kenntnis von den in der vorstehenden Nummer genannten Gesichtspunkten, so drängt sich der Schluss auf, dass sie verpflichtet ist, die Feststellung und die Erstattung von Amts wegen vorzunehmen. Die Voraussetzung der Feststellung im engeren Sinne fällt meines Erachtens unter bestimmten Bedingungen mit einer Verpflichtung zur Feststellung zusammen. Eine gegenteilige Auslegung, die darauf beruhte, dass eine Zollbehörde nicht verpflichtet wäre, von Amts wegen festzustellen, ob ein Betrag erstattet werden könnte, würde jede gerichtliche Überprüfung und damit jede Verurteilung wegen Verletzung dieser Verpflichtung ausschließen, da eine Verletzung einer nicht bestehenden Verpflichtung per definitionem unmöglich ist. Ein solches Ergebnis stünde im Widerspruch zu dem Ziel der Erstattung von Amts wegen, das auf der allgemeinen Verpflichtung zur Erstattung von Abgaben beruht, die unter Verstoß gegen Vorschriften des Unionsrechts erhoben wurden.

58.      Eine wesentliche Frage ist jedoch, wie die Zollbehörden die hierfür erforderlichen Informationen erhalten müssen, insbesondere, ob es ausreicht, dass sie ihnen z. B. von den betroffenen Unternehmen mitgeteilt werden, oder ob sie eher proaktiv sein und Nachforschungen anstellen müssen, um mehr Klarheit zu erlangen. Es liegt auf der Hand, dass die Feststellung der Erstattungsvoraussetzungen durch die Zollbehörden von Amts wegen sicherlich kein Zufallsergebnis ist und stets ein gewisses aktives Handeln ihrerseits erfordert. Die Modalitäten des Vorgehens der Zollbehörden und der Umfang, in dem diese Maßnahmen proaktiv sein müssen, werden nachstehend analysiert. In diesem Stadium lässt sich mit Sicherheit sagen, dass die Aufgabe, dafür Sorge zu tragen, dass die Verwaltung vom Fehlen einer Zollschuld Kenntnis erlangt, nicht nur das betroffene Unternehmen treffen sollte, da dies sonst darauf hinausliefe, dass das Unternehmen in jedem Fall einen Erstattungsantrag stellen müsste. Mit anderen Worten gäbe es de facto nur eine einzige Modalität der Erstattung rechtsgrundlos erhobener Zölle, obwohl das Zollrecht eindeutig zwei verschiedene Modalitäten vorsieht.

59.      Um die Vorschriften über die Erstattung von Amts wegen nicht auszuhöhlen, scheint es mir daher vernünftig, den Zollbehörden zur Feststellung der vorgenannten, die Erstattung ermöglichenden wesentlichen Gesichtspunkte die Verpflichtung aufzuerlegen, selbst Nachforschungen anzustellen. Diese Auslegung beruht auch auf einer Analyse der verschiedenen Sprachfassungen des in der fraglichen Regelung verwendeten Ausdrucks „stellen die Zollbehörden selbstfest“(22), der eine Initiative der Verwaltung nahelegt, d. h. eine Untersuchungsmaßnahme zur Einholung von Auskünften. Der englischen und der spanischen Fassung kann dort sogar ausdrücklich das Verb „entdecken“ entnommen werden.

60.      Die nationalen Behörden haben die Befugnis, Zollkontrollen gemäß den zollrechtlichen Bestimmungen durchzuführen(23). Allerdings sollte die Verpflichtung, den Sachverhalt festzustellen und entsprechend tätig zu werden, von dem in Rede stehenden Sachverhalt abhängen. Ich stimme der französischen Regierung und der Kommission zu, dass die Zollbehörden grundsätzlich nicht verpflichtet sein sollten, unverhältnismäßige Maßnahmen zu ergreifen, um die Identität der Wirtschaftsteilnehmer und die zu erstattenden Beträge zu bestimmen. Jedoch möchte ich betonen, dass ich in Bezug auf die Schlussfolgerungen, die aus dieser Feststellung zu ziehen sind, einen abweichenden Standpunkt einnehme. Das Erfordernis der Verhältnismäßigkeit betrifft das Bestehen eines angemessenen Verhältnisses zwischen zum einen dem Ziel, die rechtsgrundlos erhobenen Zölle zu erstatten und zum anderen dem Aufwand, den die Zollverwaltung zur Erreichung dieses Ziels zu betreiben hat. Die Verhältnismäßigkeit des Handelns einer Zollbehörde ist nicht abstrakt, sondern unter Berücksichtigung der besonderen Situation zu beurteilen, in der die Erstattung von Amts wegen erfolgt. So könnte eine schwerwiegendere Situation, an der mehr Wirtschaftsteilnehmer beteiligt sind, weitergehende Maßnahmen seitens einer Zollbehörde verlangen, ohne dass diese Maßnahmen zwangsläufig unverhältnismäßig erscheinen.

61.      In einer gewöhnlichen Situation, an der nur ein Importeur beteiligt ist, erscheint die Überprüfung seiner Identität und des zu erstattenden Betrags im Hinblick auf die Vornahme einer Erstattung von Amts wegen als eine angemessene und verhältnismäßige Maßnahme. Warum sollte dies nicht auch in einer besonderen Situation gelten, in der mehrere Wirtschaftsteilnehmer von einer fehlerhaften Anwendung der Zollvorschriften durch eine Behörde betroffen sind? In einem solchen Fall ist die Tatsache, dass die Feststellung der Erstattungsvoraussetzungen zusätzliche Anstrengungen und Mittel seitens der Zollverwaltung erfordert, eine natürliche Folge der Schwere der Situation, der diese Behörde abhelfen müsste, und sollte nicht allein aus diesem Grund als unverhältnismäßige Maßnahme angesehen werden.

62.      Die Gründe, die zur Erhebung zu hoch bemessener Beträge geführt haben, könnten ebenfalls zu den Faktoren gehören, die bei der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit zusätzlicher Nachforschungen durch eine Zollbehörde zu berücksichtigen sind. Der Umstand, dass die Behörde zu der Überzahlung beigetragen hat, indem sie das Zollrecht fehlerhaft angewandt hat, spricht somit dafür, von dieser Verwaltung zu verlangen, dass sie eher proaktiv vorgeht, um dem Wirtschaftsteilnehmer den überzahlten Betrag zurückzuerstatten, und keine abwartende Haltung einnimmt, bei der der zu hoch bemessene Betrag nur dann wieder zurückerlangt wird, wenn dieser Wirtschaftsteilnehmer eine entsprechende Initiative ergreift. Im Übrigen möchte ich darauf hinweisen, dass entgegen dem Vorbringen der französischen Regierung eine nicht erfolgte Erstattung von Amts wegen nicht immer dadurch ausgeglichen werden kann, dass ein Wirtschaftsteilnehmer seinen Erstattungsanspruch geltend machen kann. Dieser Wirtschaftsteilnehmer ist sich nämlich nicht notwendigerweise der Umstände bewusst, die zur Erstattung führen, und wird nicht immer in der Lage sein, einen entsprechenden Antrag zu stellen.

63.      Unter Berücksichtigung all dieser Gesichtspunkte und angesichts der Tatsache, dass bei alltäglichen Verwaltungsvorgängen eine gewöhnliche Sorgfalt angemessen ist, so dass der Verwaltung nicht vorgeworfen werden kann, gegen ihre Sorgfaltspflicht verstoßen zu haben, wenn Fehler bei der Anwendung des Zollrechts erst im Rahmen regelmäßiger Kontrollen aufgedeckt werden(24), bin ich der Ansicht, dass schwerere Verstöße zusätzliche Maßnahmen der Verwaltung erfordern, um den genauen Umfang der Erstattungspflicht zu bestimmen. Mit anderen Worten müssen die von der Zollverwaltung zu ergreifenden Maßnahmen in einem angemessenen Verhältnis zur Schwere der Situation stehen.

64.      Zwar ist die Beurteilung der Verhältnismäßigkeit der konkret ergriffenen Maßnahmen Sache des vorlegenden Gerichts, doch kann der Gerichtshof ihm Orientierungshilfen geben, um ihm die Erfüllung dieser Aufgabe zu ermöglichen. Was den vorliegenden Fall angeht, bin ich entgegen der Auffassung der Beteiligten der Ansicht, dass die französischen Behörden nicht alles unternommen haben, was für die ordnungsgemäße Anwendung des Zollrechts erforderlich war. Meines Erachtens ist die Tatsache, dass das Zollrecht in mehreren aufeinanderfolgenden Jahren(25) falsch angewandt wurde, was zu finanziellen Folgen für eine große Zahl von Unternehmen geführt hat, ein Umstand, der die französischen Behörden hätte zwingen müssen, zusätzliche Maßnahmen zu ergreifen, um rechtsgrundlos erhobene Zölle von Amts wegen zurückzuerstatten. Ich werde meine Auffassung im Folgenden näher darlegen.

65.      Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die Kommission am 23. Januar 1991 die mit Gründen versehene Stellungnahme KOM(90) 2042 endg. veröffentlicht hat, in der sie zum einen feststellte, dass die Französische Republik dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus bestimmten gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften verstoßen habe, dass sie für aus Drittländern stammende und für Andorra bestimmte Waren, wenn sie durch das französische Hoheitsgebiet durchgeführt werden, ein Erfordernis der Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr vorgesehen habe, und zum anderen die Französische Republik aufforderte, dieser mit Gründen versehenen Stellungnahme innerhalb von 30 Tagen nachzukommen. Außerdem ergibt sich aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten, dass das Ministère de l’Économie, des Finances et du Budget (Ministerium für Wirtschaft, Finanzen und Haushalt, Frankreich) am 6. Juni 1991 im Journal officiel de la République française (Amtsblatt der Französischen Republik) eine Bekanntmachung an Importeure und Exporteure veröffentlichte, mit der dieses Erfordernis der Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr aufgehoben wurde. Meines Erachtens ist diese Reaktion der französischen Behörden als tatsächliches Eingeständnis eines Verstoßes gegen die zollrechtlichen Bestimmungen und der Absicht zu verstehen, den Anforderungen des Gemeinschaftsrechts nachkommen zu wollen.

66.      Die mit Gründen versehene Stellungnahme der Kommission lässt keinen Raum für Zweifel. Die in Anwendung der Bestimmungen über den zollrechtlich freien Verkehr erhobenen Abgaben verstießen gegen die geltende Regelung und waren daher nicht gesetzlich geschuldet. Daher kann festgestellt werden, dass die Zollbehörden im Allgemeinen darüber informiert oder sich dessen zumindest bewusst waren. Ebenso kann angenommen werden, dass sich die Zollbehörden die Frage gestellt haben, ob die rechtsgrundlos erhobenen Zöllen von Amts wegen oder auf Antrag zu erstatten seien, zumal das Zollrecht, wie ich in den vorliegenden Schlussanträgen bereits ausgeführt habe(26), bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen eine allgemeine Verpflichtung zur Erstattung vorsah.

67.      Aus der offiziellen Mitteilung der französischen Behörden über die Änderung ihrer Verwaltungspraxis geht hervor, dass sie sich der Notwendigkeit bewusst waren, die Interessen der betroffenen Wirtschaftsteilnehmer zu schützen, indem sie diese ausdrücklich informierten. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass die Zollbehörden einer Mitteilungspflicht unterliegen, da sie nach Art. 14 Abs. 2 des Zollkodex der Union „einen regelmäßigen Dialog mit den Wirtschaftsbeteiligten und den anderen mit dem internationalen Warenverkehr befassten Behörden [führen]“. Weiter heißt es dort, dass die Zollbehörden „die Transparenz [fördern], indem sie die zollrechtlichen Vorschriften, allgemeinen Verwaltungserlasse und Antragsformblätter – nach Möglichkeit kostenlos – frei und im Internet zur Verfügung stellen“(27). Diese Bestimmung spiegelt Transparenz und Veröffentlichungsanforderungen wider, die geeignet sind, eine gute Verwaltung zu gewährleisten. Diese Bestimmungen waren zu der im Ausgangsverfahren maßgeblichen Zeit auf der Ebene des internationalen Wirtschaftsrechts bereits in Kraft(28). So lässt sich sagen, dass die Zollbehörden mit dieser offiziellen Mitteilung ihrer Mindestverpflichtung zur Erteilung von Auskünften über die anwendbaren Rechtsvorschriften nachgekommen sind.

68.      Ein solches Vorgehen war jedoch sicherlich nicht ausreichend, um der Rechtswidrigkeit der Situation, die mehrere Jahre angedauert hat, abzuhelfen, d. h., um sicherzustellen, dass die Unternehmen, die von dem den französischen Behörden zuzurechnenden Verstoß gegen das Unionsrecht betroffen waren, eine Erstattung erhalten können. Die von den französischen Behörden veröffentlichte Bekanntmachung beschränkt sich nämlich darauf, die Aufhebung des Erfordernisses der Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr für die Zukunft anzukündigen, enthält jedoch nichts über die Behandlung etwaiger Beschwerden von Unternehmen, denen in der Vergangenheit ein finanzieller Schaden entstanden ist(29). Auch schweigt diese Bekanntmachung zu der Möglichkeit für diese Unternehmen, direkt bei den Zollbehörden Informationen über den Umfang der von den Zollbehörden begangenen Zuwiderhandlung zu verlangen, zu der Möglichkeit, zur Klärung der Fakten im Zusammenhang mit den sie betreffenden Zollvorgängen beizutragen oder gegebenenfalls einen Erstattungsantrag zu stellen.

69.      In der offiziellen Mitteilung wird nicht erwähnt, dass diese Änderung der Verwaltungspraxis der Zollbehörden in Wirklichkeit auf ein Eingreifen der Kommission, die die Behörden auf einen Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht aufmerksam gemacht hatte, zurückzuführen ist. Wirtschaftsteilnehmer, die von diesen Ereignissen nicht in Kenntnis gesetzt wurden, waren daher nicht in der Lage, den Grund für diese Änderung der Verwaltungspraxis zu erkennen. Solche Informationen wären jedoch unerlässlich gewesen, um es den betroffenen Unternehmen zu ermöglichen, ihre Rechte wirksam geltend zu machen. Mangels zusätzlicher Maßnahmen bestand die Gefahr, dass bestimmte Unternehmen keine Kenntnis von den ihnen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten hatten.

4.      Anforderungen, die sich aus dem allgemeinen Grundsatz der guten Verwaltung ergeben

70.      Ein solches Vorgehen scheint mir unvereinbar mit den Anforderungen, die sich aus dem allgemeinen Grundsatz der guten Verwaltung ergeben, den die Zollbehörden beachten müssen, wenn sie Unionsrecht ausführen(30). Insbesondere haben die französischen Behörden meiner Ansicht nach zwei wesentliche Verpflichtungen missachtet, deren Einhaltung für eine gute Verwaltung kennzeichnend ist, nämlich zum einen die Verpflichtung, Verwaltungsentscheidungen zu begründen, und zum anderen die Verpflichtung, den Verwaltungsunterworfenen gerecht zu behandeln(31).

71.      Wie der Gerichtshof in seiner Rechtsprechung festgestellt hat, kommt der Pflicht zur Begründung der von den nationalen Behörden erlassenen Entscheidungen eine ganz besondere Bedeutung zu, da sie deren Adressaten in die Lage versetzt, seine Rechte unter den bestmöglichen Voraussetzungen geltend zu machen und in Kenntnis aller Umstände zu entscheiden, ob es von Nutzen ist, mit einer Klage gegen die Entscheidungen vorzugehen. Sie ist außerdem notwendig, um den Gerichten die Kontrolle der Rechtmäßigkeit dieser Entscheidungen zu ermöglichen(32). Meiner Meinung nach kommt diese Begründungspflicht auch in einem Fall wie dem vorliegenden zum Tragen, in dem die Entscheidung der Verwaltung, ihre Verwaltungspraxis zu ändern, mit der sie implizit einen Verstoß gegen das Unionsrecht anerkennt, den Weg für Anträge auf Erstattung rechtsgrundlos erhaltener Zölle eröffnet. Die Beachtung dieses Begründungserfordernisses ist umso mehr von Bedeutung, als die Zollbehörden zu einer solchen Erstattung verpflichtet sind und eine Frist von drei Jahren gilt(33).

72.      Wenn nämlich die Verwaltung, der alle mit dieser Zuwiderhandlung zusammenhängenden tatsächlichen und rechtlichen Aspekte bekannt sind, keine hinreichend genaue und detaillierte Begründung liefert, ist es für den Verwaltungsunterworfenen meines Erachtens schwierig, wenn nicht gar unmöglich, bestimmte durch das Unionsrecht verliehene Rechte, wie den Anspruch auf Erstattung, auszuüben. Darüber muss nach ständiger Rechtsprechung, wenn das Unionsrecht den Einzelnen Rechte verleiht, sichergestellt werden, dass die Begünstigten in die Lage versetzt werden, von allen ihren Rechten Kenntnis zu erlangen und sie gegebenenfalls vor den nationalen Gerichten geltend zu machen(34). Dieses Erfordernis ist im Verhältnis zwischen dem Bürger und der Verwaltung, um das es in der vorliegenden Rechtssache geht, besonders relevant(35). Die Erreichung dieses Ziels wäre jedoch ernsthaft gefährdet, wenn die Verwaltung wesentliche Informationen wie das Eintreten eines Ereignisses, das einen Anspruch auf Erstattung begründet, zurückhält.

73.      Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass der Grundsatz der ordnungsgemäßen Verwaltung auch die Pflicht zu gerechtem Handeln umfasst. Der Grundsatz der Gerechtigkeit ist für die Schaffung eines Klimas des Vertrauens und der Vorhersehbarkeit in den Beziehungen zwischen Privatpersonen und der Verwaltung unerlässlich(36). Dies setzt insbesondere das Vertrauen in die Rechtmäßigkeit der Handlungen der Verwaltung voraus(37). Dieser Grundsatz wird als ein sehr weit gefasster Begriff angesehen, der die Grundlage für andere Grundsätze des Verwaltungsrechts der Union bildet, wie die Grundsätze der Unparteilichkeit, der Rechtmäßigkeit, des Vertrauensschutzes, der Nichtdiskriminierung und der Gleichbehandlung sowie der Verhältnismäßigkeit(38).

74.      Im vorliegenden Fall ist offensichtlich, dass die Unternehmen, die vor der Änderung der Praxis der Zollverwaltung rechtsgrundlos Zölle zu entrichten hatten, aufgrund des Umstands, dass die Verwaltung wichtige Informationen über die Möglichkeit, einen Erstattungsantrag zu stellen, zurückgehalten hatte, gegenüber anderen Unternehmen benachteiligt wurden. Hätten die französischen Behörden dagegen öffentlich die Gründe für eine solche Änderung der Verwaltungspraxis dargelegt, wären alle Unternehmen gleich behandelt worden. Aus diesem Grund bin ich der Ansicht, dass der Grundsatz der Gerechtigkeit im vorliegenden Fall nicht beachtet wurde.

75.      Unter diesem Blickwinkel erscheint es mir nicht unverhältnismäßig, von den Zollbehörden zu verlangen, dass sie zusätzliche Informationen bereitstellen und angemessene Verfahren einzuführen, die die Erstattung der rechtsgrundlose erhobenen Zölle ermöglichen. Ein solcher Ansatz erscheint angesichts der – sowohl hinsichtlich der Dauer als auch des Umfangs gegebenen – Schwere des Verstoßes gegen das Zollrecht erforderlich. Aus den Akten geht nämlich hervor, dass die Zuwiderhandlung mehrere Jahre angedauert hat und dass offenbar der gesamte Handel zwischen Andorra und Drittländern beeinträchtigt war.

5.      Status des Erstattungsanspruchs in der Unionsrechtsordnung

76.      Ein solches Erfordernis ist umso mehr geboten, wenn man den Status des Erstattungsanspruchs in der Unionsrechtsordnung berücksichtigt. Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die Zollvorschriften über die Erstattung rechtsgrundlos erhobener Abgaben nur Ausdruck eines Grundsatzes des Unionsrechts sind, nämlich des allgemeinen Grundsatzes der Rückforderung rechtsgrundlos entrichteter Beträge(39). Nach gefestigter Rechtsprechung „stellt nämlich der Anspruch auf Erstattung von Abgaben, die ein Mitgliedstaat unter Verstoß gegen das [Unionsrecht] erhoben hat, eine Folge und eine Ergänzung der Rechte dar, die den Einzelnen aus dem [Unionsrecht] in seiner Auslegung durch den Gerichtshof erwachsen. Der Mitgliedstaat ist also grundsätzlich verpflichtet, unter Verstoß gegen das [Unionsrecht] erhobene Abgaben zu erstatten“(40).

77.      Im Übrigen ergibt sich aus der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass „der Verwaltungsunterworfene, den eine nationale Behörde zur Entrichtung einer Gebühr, eines Zolles, einer Steuer oder einer sonstigen Abgabe unter Verstoß gegen das Unionsrecht herangezogen hat, nach dem Unionsrecht einen Anspruch gegen den betreffenden Mitgliedstaat auf Erstattung des entsprechenden Betrags hat.“ Dem Gerichtshof zufolge „hat der Betreffende nach dem Unionsrecht Anspruch gegen den Mitgliedstaat auf Erstattung nicht nur des zu Unrecht erhobenen Geldbetrags, sondern auch auf die Zahlung von Zinsen, um die Nichtverfügbarkeit des Geldbetrags auszugleichen“. Ferner stellt der Gerichtshof fest, dass „sich ein solcher Verstoß auf jede Regel des Unionsrechts beziehen kann, sei es eine Bestimmung des Primär- oder des Sekundärrechts … oder ein allgemeiner Rechtsgrundsatz des Unionsrechts“. Schließlich hat der Gerichtshof entschieden, dass Ansprüche auf Erstattung des rechtsgrundlos gezahlten Betrags und auf Zahlung von Zinsen geltend gemacht werden können, wenn die Zahlung „bei einer … unzutreffenden Anwendung eines Unionsrechtsakts“ erhoben wurde(41).

78.      Diese Rechtsprechung wird nicht durch eine andere Rechtsprechung des Gerichtshofs in Frage gestellt, wonach die Vorschriften, die eine Erstattung vorsehen, eng auszulegen sind, da eine solche Erstattung eine Ausnahme vom gewöhnlichen Einfuhr- und Ausfuhrsystem darstellt(42). Abgesehen davon, dass diese Rechtsprechung in ihrem wahren Sinne zu verstehen ist, nämlich als Hinweis auf den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit, wonach die Verwaltung nur in den im Unionsrecht speziell festgelegten Fällen tätig werden darf, insbesondere wenn die Anwendung bestimmter Zollvorschriften zu Verlusten an Eigenmitteln zum Nachteil des Unionshaushalts führen würde(43), sprechen die folgenden Argumente gegen eine Auslegung dieser Rechtsprechung dahin, dass sie einen Erstattungsanspruch ausschließt.

79.      Erstens ist klarzustellen, dass die in den vorliegenden Schlussanträgen vertretene Auslegung nicht darauf abzielt, einen zusätzlichen, in allen Fällen anwendbaren Erstattungsgrund zu schaffen. Es geht vielmehr darum, den Umfang der Verpflichtungen der Zollbehörden nach der zweiten in den Zollvorschriften vorgesehenen Modalität zu bestimmen, d. h., wenn sie die Erstattung von Amts wegen vornehmen, nachdem sie selbst festgestellt haben, dass keine Zollschuld entstanden ist.

80.      Zweitens besteht, wie bereits in den vorliegenden Schlussanträgen ausgeführt, eine grundsätzliche Verpflichtung der Verwaltung, rechtsgrundlos erhobene Zölle zu erstatten. Eine enge Auslegung der Vorschriften über die Erstattung rechtsgrundlos erhobener Zölle kann daher nicht als Argument dafür dienen, eine solche Erstattung in Fällen, in denen die rechtlichen Voraussetzungen erfüllt sind, abzulehnen. Die spezifischen Zollvorschriften sind vielmehr im Einklang mit dem oben erwähnten allgemeinen Grundsatz der Rückforderung rechtsgrundlos entrichteter Beträge auszulegen.

6.      Zwischenergebnis

81.      In den vorliegenden Schlussanträgen habe ich unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Falles mehrere rechtliche Aspekte im Zusammenhang mit dem im Zollrecht vorgesehenen Erstattungsanspruch geprüft. Zur Beantwortung der Vorlagefrage sind auf der Grundlage dieser Analyse einige Zwischenergebnisse festzuhalten.

82.      Erstens wurde festgestellt, dass die Erstattung rechtsgrundlos erhobenen Zölle voraussetzt, dass i) innerhalb der im Zollrecht vorgesehenen Frist von drei Jahren ein Antrag gestellt wird oder ii) die Behörden innerhalb dieser Frist selbst feststellen, dass die Abgaben nicht gesetzlich geschuldet waren. Dagegen ist nicht erforderlich, dass die Erstattung innerhalb dieser Frist erfolgt. Ist eine der vorgenannten Voraussetzungen rechtzeitig erfüllt, so kann die Erstattung nach Ablauf dieser Frist erfolgen(44).

83.      Zweitens wurde festgestellt, dass die Zollbehörden u. a. die Identität der betroffenen Unternehmen und die zu erstattenden Beträge bestimmen müssen, um Erstattungen vornehmen können. Die Zollbehörden dürfen jedoch nicht passiv bleiben, sondern müssen bei schweren zollrechtlichen Verstößen oder Unregelmäßigkeiten selbst die Initiative ergreifen. Daher sollten die Zollbehörden verpflichtet werden, alle der Situation angemessenen Maßnahmen, einschließlich Untersuchungen, zu ergreifen und redlich mit den betroffenen Unternehmen zusammenzuarbeiten, um die Ausübung ihrer Rechte zu gewährleisten(45).

84.      Drittens könnte das vorlegende Gericht, wenn nach seinen Feststellungen die Erstattung rechtsgrundlos erhobener Zölle z. B. wegen des Ablaufs der im Zollrecht vorgesehenen Dreijahresfrist nicht mehr möglich ist, auf Antrag des Kassationsbeschwerdeführers des Ausgangsverfahrens prüfen, ob im vorliegenden Fall die Voraussetzungen für Schadensersatz wegen Verstoßes gegen das Unionsrecht erfüllt sind.

VI.    Ergebnis

85.      Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, die Vorlagefragen der Cour de cassation (Kassationsgerichtshof, Frankreich) wie folgt zu beantworten:

Art. 2 Abs. 2 der Verordnung (EWG) Nr. 1430/79 des Rates vom 2. Juli 1979 über die Erstattung oder den Erlass von Eingangs- oder Ausfuhrabgaben, der in Art. 236 Abs. 2 Unterabs. 3 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften übernommen wurde,

ist dahin auszulegen, dass

die Zollbehörden, um rechtsgrundlos erhobene Zölle von Amts wegen erstatten zu können, innerhalb von drei Jahren nach buchmäßiger Erfassung dieser Abgaben festgestellt haben müssen, dass diese Abgaben nicht gesetzlich geschuldet waren. Damit die Erstattung erfolgen kann, muss diese Feststellung die Identität der betroffenen Wirtschaftsteilnehmer und die an jeden Einzelnen von ihnen zu erstattenden Beträge umfassen. Die hierzu angestellten Nachforschungen müssen in einem angemessenen Verhältnis zur Schwere der Situation stehen, der die zuständige Behörde abzuhelfen hat.















































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