C-166/23 – Naturvårdsverket

C-166/23 – Naturvårdsverket

CURIA – Documents

Language of document : ECLI:EU:C:2024:465

Vorläufige Fassung

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Neunte Kammer)

6. Juni 2024(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Umwelt – Richtlinie 2003/87/EG – Anhang I Nr. 5 – Luftverschmutzung – System für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten – Ausschluss von Einheiten zur Verbrennung von gefährlichen oder Siedlungsabfällen – Erheblichkeit des Verbrennungszwecks“

In der Rechtssache C‑166/23

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Svea hovrätt, Mark- och miljööverdomstolen (Berufungsgericht für Svealand, Abteilung für Rechtssachen im Bereich Boden und Umwelt, Schweden) mit Entscheidung vom 15. März 2023, beim Gerichtshof eingegangen am 17. März 2023, in dem Verfahren

Naturvårdsverket

gegen

Nouryon Functional Chemicals AB

erlässt

DER GERICHTSHOF (Neunte Kammer)

unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin O. Spineanu-Matei sowie der Richter J.‑C. Bonichot (Berichterstatter) und S. Rodin,

Generalanwältin: T. Ćapeta,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna als Bevollmächtigten,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch P. Carlin, B. De Meester und G. Wils als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung der Generalanwältin ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Anhang I Nr. 5 der Richtlinie 2003/87/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Oktober 2003 über ein System für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten in der Gemeinschaft und zur Änderung der Richtlinie 96/61/EG des Rates (ABl. 2003, L 275, S. 32) in der durch die Richtlinie (EU) 2018/410 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. März 2018 (ABl. 2018, L 76, S. 3) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 2003/87).

2        Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem Naturvårdsverket (Umweltschutzamt, Schweden) (im Folgenden: Amt) und der Nouryon Functional Chemicals AB (im Folgenden: Nouryon), einer schwedischen Gesellschaft, wegen einer Entscheidung dieses Amtes, mit der Nouryon aufgegeben wurde, ihr Monitoringkonzept in Bezug auf Treibhausgasemissionen zu ergänzen.

 Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

 Richtlinie 2003/87

3        Im 25. Erwägungsgrund der Richtlinie 2003/87 heißt es:

„Politik und Maßnahmen sollten auf Ebene der Mitgliedstaaten und der Gemeinschaft in allen Wirtschaftssektoren der Europäischen Union, nicht nur in den Sektoren Industrie und Energie, durchgeführt werden, um zu erheblichen Emissionsverringerungen zu gelangen. …“

4        Art. 1 („Gegenstand“) der Richtlinie bestimmt:

„Mit dieser Richtlinie wird ein System für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten in der Union (nachstehend ‚EU-EHS‘ genannt) geschaffen, um auf kosteneffiziente und wirtschaftlich effiziente Weise auf eine Verringerung von Treibhausgasemissionen hinzuwirken.“

5        In Art. 2 („Geltungsbereich“) dieser Richtlinie heißt es:

„(1)      Diese Richtlinie gilt für die Emissionen aus den in Anhang I aufgeführten Tätigkeiten und die Emissionen der in Anhang II aufgeführten Treibhausgase.

(2)      Diese Richtlinie gilt unbeschadet der Anforderungen gemäß Richtlinie 96/61/EG [des Rates vom 24. September 1996 über die integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung (ABl. 1996, L 257, S. 26)].

…“

6        Art. 3 Buchst. e der Richtlinie 2003/87 definiert eine „Anlage“ als „eine ortsfeste technische Einheit, in der eine oder mehrere der in Anhang I genannten Tätigkeiten sowie andere unmittelbar damit verbundene Tätigkeiten durchgeführt werden, die mit den an diesem Standort durchgeführten Tätigkeiten in einem technischen Zusammenhang stehen und die Auswirkungen auf die Emissionen und die Umweltverschmutzung haben können“.

7        Art. 4 dieser Richtlinie sieht vor:

„Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass ab dem 1. Januar 2005 keine Anlage die in Anhang I genannten Tätigkeiten, bei denen die für diese Tätigkeit spezifizierten Emissionen entstehen, durchführt, es sei denn, der Betreiber verfügt über eine Genehmigung, die von einer zuständigen Behörde gemäß den Artikeln 5 und 6 erteilt wurde, oder die Anlage wurde gemäß Artikel 27 vom EU-EHS ausgeschlossen. Dies gilt auch für Anlagen, die gemäß Artikel 24 in das EU-EHS einbezogen werden.“

8        Art. 6 der Richtlinie bestimmt:

„(1)      Die zuständige Behörde erteilt eine Genehmigung zur Emission von Treibhausgasen, durch die die Emission von Treibhausgasen aus der gesamten Anlage oder aus Teilen davon genehmigt wird, wenn sie davon überzeugt ist, dass der Betreiber in der Lage ist, die Emissionen zu überwachen und darüber Bericht zu erstatten.

Eine Genehmigung zur Emission von Treibhausgasen kann sich auf eine oder mehrere vom selben Betreiber am selben Standort betriebene Anlagen beziehen.

(2)      Genehmigungen zur Emission von Treibhausgasen enthalten folgende Angaben:

a)      Name und Anschrift des Betreibers,

b)      Beschreibung der Tätigkeiten und Emissionen der Anlage,

c)      einen Überwachungsplan, der den Anforderungen der in Artikel 14 genannten Rechtsakte genügt. Die Mitgliedstaaten können den Betreibern erlauben, die Überwachungspläne zu aktualisieren, ohne die Genehmigung zu ändern. Die Betreiber legen der zuständigen Behörde alle aktualisierten Überwachungspläne zur Billigung vor,

d)      Auflagen für die Berichterstattung und

e)      eine Verpflichtung zur Abgabe von nicht gemäß Kapitel II vergebenen Zertifikaten in Höhe der nach Artikel 15 geprüften Gesamtemissionen der Anlage in jedem Kalenderjahr binnen vier Monaten nach Jahresende.“

9        Art. 14 dieser Richtlinie sieht vor:

„(1)      Die [Europäische] Kommission erlässt Durchführungsrechtsakte über die genauen Vorkehrungen für die Überwachung von und die Berichterstattung über Emissionen …, die auf den in Anhang IV dargestellten Grundsätzen für die Überwachung und Berichterstattung und die in Absatz 2 des vorliegenden Artikels dargestellten Anforderungen basier[en]. …

(3)      Die Mitgliedstaaten gewährleisten, dass jeder Betreiber einer Anlage … die Emissionen dieser Anlage in dem betreffenden Kalenderjahr … nach Maßgabe der Rechtsakte gemäß Absatz 1 überwacht und der zuständigen Behörde nach Ende jedes Kalenderjahres darüber Bericht erstattet.

…“

10      Anhang I Nr. 5 der Richtlinie 2003/87 bestimmt:

„Wenn festgestellt wird, dass der Kapazitätsschwellenwert einer in diesem Anhang genannten Tätigkeit in einer Anlage überschritten wird, werden alle Einheiten, in denen Brennstoffe verbrannt werden, außer Einheiten zur Verbrennung von gefährlichen oder Siedlungsabfällen, in die Genehmigung zur Emission von Treibhausgasen aufgenommen.“

11      Anhang I der Richtlinie 2003/87 enthält auch eine Tabelle, in der die Kategorien von Tätigkeiten aufgeführt werden, die in den Geltungsbereich der Richtlinie fallen. Dazu gehören die erste und die 23. Tätigkeit:

„Verbrennung von Brennstoffen in Anlagen mit einer Gesamtfeuerungswärmeleistung von über 20 MW (ausgenommen Anlagen für die Verbrennung von gefährlichen oder Siedlungsabfällen) …

Herstellung von organischen Grundchemikalien durch Cracken, Reformieren, partielle oder vollständige Oxidation oder ähnliche Verfahren, mit einer Produktionskapazität von über 100 t pro Tag“.

 Durchführungsverordnung (EU) 2018/2066

12      Art. 5 Abs. 1 der Durchführungsverordnung (EU) 2018/2066 der Kommission vom 19. Dezember 2018 über die Überwachung von und die Berichterstattung über Treibhausgasemissionen gemäß der Richtlinie 2003/87/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 601/2012 der Kommission (ABl. 2018, L 334, S. 1) sieht vor:

„Die Überwachung und Berichterstattung ist vollständig und berücksichtigt alle Prozessemissionen und Emissionen aus der Verbrennung aus sämtlichen Emissionsquellen und Stoffströmen im Zusammenhang mit Tätigkeiten gemäß Anhang I der Richtlinie 2003/87/EG und anderen gemäß Artikel 24 der Richtlinie einbezogenen relevanten Tätigkeiten sowie alle Treibhausgasemissionen, die für diese Tätigkeiten aufgelistet sind, wobei Doppelerfassungen zu vermeiden sind.“

13      Art. 11 Abs. 1 Unterabs. 1 der Verordnung lautet:

„Jeder Anlagen- bzw. Luftfahrzeugbetreiber überwacht die Treibhausgasemissionen auf der Grundlage des von der zuständigen Behörde gemäß Artikel 12 genehmigten Monitoringkonzepts im Einklang mit der Art und der Funktionsweise der Anlage bzw. Luftverkehrstätigkeit, für die es angewendet wird.“

14      In Art. 14 Abs. 2 Buchst. e der Verordnung heißt es:

„Der [Anlagenbetreiber] ändert das Monitoringkonzept, zumindest wenn

e)      sich herausstellt, dass das Monitoringkonzept mit den Bestimmungen dieser Verordnung nicht in Einklang steht, und die zuständige Behörde den [Anlagenbetreiber] auffordert, es zu ändern“.

 Richtlinie 96/61

15      Der achte Erwägungsgrund der Richtlinie 96/61 lautet:

„Das Ziel des integrierten Konzepts der Verminderung der Verschmutzung besteht darin, Emissionen in Luft, Wasser und Boden unter Einbeziehung der Abfallwirtschaft so weit wie möglich zu vermeiden und, wo dies nicht möglich ist, zu vermindern, um ein hohes Schutzniveau für die Umwelt insgesamt zu erreichen.“

16      Art. 3 dieser Richtlinie sieht vor:

„Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Vorkehrungen, damit die zuständigen Behörden sich vergewissern, dass die Anlage so betrieben wird, dass

c)      die Entstehung von Abfällen entsprechend der Richtlinie 75/442/EWG des Rates vom 15. Juli 1975 über Abfälle [(ABl. 1975, L 194, S. 39)] vermieden wird; andernfalls werden sie verwertet oder, falls dies aus technischen oder wirtschaftlichen Gründen nicht möglich ist, beseitigt, wobei Auswirkungen auf die Umwelt zu vermeiden oder zu vermindern sind;

…“

 Schwedisches Recht

17      Kapitel 3 § 1 der Förordning (2020:1180) om vissa utsläpp av växthusgaser (Verordnung [2020:1180] über bestimmte Emissionen von Treibhausgasen, im Folgenden: schwedische Verordnung) bestimmt:

„Es ist verboten, Treibhausgase ohne Genehmigung aus Anlagen auszustoßen, in denen die im Anhang genannten Tätigkeiten ausgeübt werden.“

18      Kapitel 3 § 5 der schwedischen Verordnung sieht vor:

„Jeder Anlagenbetreiber, der eine Genehmigung zur Emission von Treibhausgasen beantragen will, muss seinen Antrag beim [Amt] einreichen.

Der Antrag enthält Folgendes: …

3.      ein Monitoringkonzept.“

19      Die Anweisung Nr. 4 des Anhangs der schwedischen Verordnung lautet:

„Wenn festgestellt wird, dass der Kapazitätsschwellenwert einer in den Nrn. 1 bis 28 des Abschnitts ‚Beschreibung der Tätigkeiten‘ beschriebenen Tätigkeit in einer Anlage überschritten wird, werden alle Einheiten, in denen Brennstoffe verbrannt werden, außer Einheiten zur Verbrennung von gefährlichen oder Siedlungsabfällen, in die Genehmigung zur Emission von Treibhausgasen aufgenommen.“

20      In § 6 des Lag (2020:1173) om vissa utsläpp av växthusgaser (Gesetz [2020:1173] über bestimmte Treibhausgasemissionen, im Folgenden: schwedisches Gesetz) wird ein Monitoringkonzept definiert als „eine schriftliche Beschreibung gemäß Art. 12 der Überwachungs- und Berichterstattungsverordnung“. Nach derselben Bestimmung bezeichnet der Ausdruck „Überwachungs- und Berichterstattungsverordnung“ die Durchführungsverordnung 2018/2066.

 Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

21      Nouryon mit Sitz in Stenungsund (Schweden) stellt organische Grundchemikalien her. Die Produktionsmenge übersteigt 100 Tonnen pro Tag.

22      Diese Tätigkeit wird aufgrund einer Genehmigung ausgeübt, die im Jahr 2004 nach dem Miljöbalk (Umweltgesetzbuch) erteilt wurde. Im Produktionsprozess fällt gefährlicher Abfall in Form von Produktionsabwasser an.

23      Nach einer provisorischen Vorschrift in dieser Genehmigung muss das Unternehmen derartiges Wasser in einem Verbrennungsofen behandeln oder von einer anderen genehmigten Anlage für gefährlichen Abfall entsorgen lassen. Nouryon hat sich dafür entschieden, das Produktionsabwasser in einem Verbrennungsofen innerhalb der Anlage in Stenungsund zu behandeln. Diese ist so konstruiert, dass das verunreinigte Wasser von dem Teil der Anlage, in dem die Chemikalien produziert werden, direkt zum Ofen geleitet wird.

24      Der Verbrennungsofen wird fast ausschließlich zur Verbrennung von Produktionsabwasser verwendet, nämlich insgesamt ungefähr 40 000 Tonnen pro Jahr. Da der Energiegehalt des Wassers nahezu vernachlässigbar ist, erfolgt die Verbrennung durch die Zuführung von Brenngas. Die bei der Verbrennung abgegebene Energie wird in Form von Dampf zur Anlage zurückgeleitet, um im Produktionsprozess verwendet zu werden. Der Großteil der Energie für die Produktion wird allerdings aus einem Industriekessel gewonnen. Im Lauf des Jahres 2017 wurden dem Verbrennungsofen 4 289 Tonnen Brenngas zugeführt, was 245 Terajoule entspricht, während 182 Terajoule zurückgeleitet wurden. Die Verbrennung von Brenngas in dem Industriekessel entsprach in demselben Jahr ca. 726 Terajoule (ca. 14 069 Tonnen). Der Verbrennungsofen stößt nach Angaben von Nouryon ungefähr 11 500 Tonnen Kohlendioxid pro Jahr und nach Angaben des Amtes etwa 17 000 Tonnen pro Jahr in die Atmosphäre aus.

25      Außerdem verfügt die Anlage über eine spezielle Genehmigung zur Emission von Treibhausgasen im Rahmen des EU-EHS.

26      Das Amt stellte fest, dass der Verbrennungsofen für gefährliche Abfälle im Monitoringkonzept für die Anlage von Stenungsund nicht aufgeführt sei und die Treibhausgasemissionen aus diesem Verbrennungsofen daher nicht in die Gesamtemissionen dieser Anlage einbezogen seien.

27      Das Amt gab daher Nouryon in einer Anordnung auf, ein ergänzendes Monitoringkonzept vorzulegen, das den Verbrennungsofen umfasse. Es machte geltend, dass die Anlage für alle Einheiten, die integrierter Bestandteil davon seien, genehmigt werden müsse.

28      Nouryon focht die Anordnung des Amtes vor dem Nacka tingsrätt – Mark- och miljödomstolen (Gericht erster Instanz Nacka, Abteilung für Rechtssachen im Bereich Boden und Umwelt, Schweden) an und machte geltend, dass nach Anhang I Nr. 5 der Richtlinie 2003/87 eine Einheit zur Verbrennung von gefährlichen Abfällen nicht in den EU-EHS eingehen dürfe, unabhängig davon, ob sie ein integrierter Bestandteil der Anlage sei, der vom System umfasst werde. Das Gericht folgte diesem Vorbringen und hob die Anordnung des Amtes auf.

29      Das Amt legte gegen das Urteil dieses Gerichts Rechtsmittel beim Svea hovrätt, Mark- och miljööverdomstolen (Berufungsgericht für Svealand, Abteilung für Rechtssachen im Bereich Boden und Umwelt, Schweden) ein. Letzteres Gericht fragt sich, ob der in Rede stehende Verbrennungsofen unter die in Anhang I Nr. 5 der Richtlinie 2003/87 vorgesehene Ausnahme fällt.

30      Unter diesen Umständen hat das Svea hovrätt, Mark- och miljööverdomstolen (Berufungsgericht für Svealand, Abteilung für Rechtssachen im Bereich Boden und Umwelt) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Ist die Ausnahme für Einheiten zur Verbrennung von gefährlichen Abfällen in Nr. 5 des Anhangs I der Richtlinie 2003/87 – wonach alle Einheiten, in denen Brennstoffe verbrannt werden, in die Genehmigung zur Emission von Treibhausgasen aufgenommen werden, außer Einheiten zur Verbrennung von gefährlichen Abfällen – auf alle Einheiten, die gefährliche Abfälle verbrennen, anwendbar, oder bedarf es für die Anwendung der Ausnahme eines qualifizierenden Umstands? Wenn es eines solchen Umstands bedarf, ist der Zweck der Einheit dann entscheidend für die Anwendung der Ausnahme, oder können auch andere Umstände von Bedeutung sein?

2.      Falls der Zweck der Einheit eine derartige Bedeutung für die Beurteilung hat: Ist die Ausnahme dennoch auf eine Einheit anwendbar, die gefährliche Abfälle verbrennt, aber einen anderen Hauptzweck als eine solche Verbrennung hat?

3.      Falls die Ausnahme nur auf eine Einheit anwendbar ist, deren Hauptzweck die Verbrennung von gefährlichen Abfällen ist, welche Kriterien sind bei der Beurteilung dieses Zwecks anzuwenden?

4.      Falls es bei einer Beurteilung von entscheidender Bedeutung ist, ob die Einheit als integrierter Teil einer Tätigkeit einer Anlage angesehen werden kann, die gemäß der Richtlinie 2003/87 genehmigungspflichtig ist – beispielsweise wie in Abschnitt 3.3.3 des Leitfadens der Kommission ausgeführt –, welche Anforderungen müssen dann gestellt werden, damit die Einheit als integriert anzusehen ist? Kann beispielsweise verlangt werden, dass die Produktion ohne die Einheit unmöglich oder unzulässig ist (vgl. Leitfaden der EU-Kommission, S.14, Fn. 14), oder kann es ausreichend sein, dass die Einheit technisch mit der Anlage verbunden ist und gefährliche Abfälle nur von dort entgegennimmt?

 Zu den Vorlagefragen

31      Mit seinen Fragen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Anhang I Nr. 5 der Richtlinie 2003/87 dahin auszulegen ist, dass alle Einheiten zur Verbrennung von gefährlichen oder Siedlungsabfällen vom Geltungsbereich dieser Richtlinie ausgenommen sind, einschließlich derjenigen, die in eine in diesen Geltungsbereich fallende Anlage integriert sind und nicht nur die Verbrennung dieser Abfälle zum Zweck haben.

32      Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass das Ziel der Richtlinie 2003/87 darin besteht, ein System für den Handel mit Emissionszertifikaten zu schaffen, das auf die Verringerung der Treibhausgasemissionen in die Atmosphäre auf ein Niveau abzielt, das eine gefährliche anthropogene Beeinträchtigung des Klimas verhindert und letztlich den Schutz der Umwelt bezweckt (Urteil vom 16. Dezember 2021, Apollo Tyres [Hungary], C‑575/20, EU:C:2021:1024, Rn. 24 und die dort angeführte Rechtsprechung).

33      Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 2003/87 sieht vor, dass deren Geltungsbereich die Emissionen aus den in ihrem Anhang I aufgeführten Tätigkeiten und die Emissionen der in ihrem Anhang II aufgeführten Treibhausgase – u. a. Kohlendioxid – umfasst (Urteil vom 16. Dezember 2021, Apollo Tyres [Hungary], C‑575/20, EU:C:2021:1024, Rn. 25 und die dort angeführte Rechtsprechung).

34      Nach Art. 4 der Richtlinie 2003/87 „[stellen die] Mitgliedstaaten … sicher, dass ab dem 1. Januar 2005 keine Anlage die in Anhang I genannten Tätigkeiten, bei denen die für diese Tätigkeit spezifizierten Emissionen entstehen, durchführt, es sei denn, der Betreiber verfügt über eine Genehmigung, die von einer zuständigen Behörde gemäß den Artikeln 5 und 6 erteilt wurde, oder die Anlage wurde gemäß Artikel 27 vom EU-EHS ausgeschlossen …“

35      Art. 3 Buchst. e dieser Richtlinie definiert eine Anlage als „eine ortsfeste technische Einheit, in der eine oder mehrere der in Anhang I genannten Tätigkeiten sowie andere unmittelbar damit verbundene Tätigkeiten durchgeführt werden, die mit den an diesem Standort durchgeführten Tätigkeiten in einem technischen Zusammenhang stehen und die Auswirkungen auf die Emissionen und die Umweltverschmutzung haben können“.

36      Zu den Tätigkeiten im Sinne dieses Anhangs I gehört die „Herstellung von organischen Grundchemikalien durch Cracken, Reformieren, partielle oder vollständige Oxidation oder ähnliche Verfahren, mit einer Produktionskapazität von über 100 t pro Tag“.

37      Für die Anlage von Nouryon, die organische Grundchemikalien herstellt, ist eine solche Genehmigung erforderlich.

38      Diese Anlage umfasst einen Verbrennungsofen zur Verbrennung von Produktionsabwasser. Der Ofen stößt daher Kohlendioxid aus. Die bei der Verbrennung abgegebene Energie wird in Form von Dampf für den Produktionsprozess zur Anlage zurückgeleitet.

39      Da dieser Verbrennungsofen in einem technischen Zusammenhang mit den am Standort Stenungsund durchgeführten Tätigkeiten steht und Auswirkungen auf die Emissionen haben kann, stellt er somit einen Teil der Anlage im Sinne von Art. 3 Buchst. e der Richtlinie 2003/87 dar.

40      Im Ausgangsrechtsstreit geht es darum, ob dieser Verbrennungsofen wie die übrige Anlage nach der Richtlinie 2003/87 genehmigt werden muss oder ob dies aufgrund der in Anhang I Nr. 5 dieser Richtlinie genannten Ausnahme nicht erforderlich ist. Aus diesem Grund ist das vorlegende Gericht der Ansicht, dass die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits von der Auslegung dieser Bestimmung abhängt.

41      Anhang I Nr. 5 der Richtlinie 2003/87 lautet: „Wenn festgestellt wird, dass der Kapazitätsschwellenwert einer in diesem Anhang genannten Tätigkeit in einer Anlage überschritten wird, werden alle Einheiten, in denen Brennstoffe verbrannt werden, außer Einheiten zur Verbrennung von gefährlichen oder Siedlungsabfällen, in die Genehmigung zur Emission von Treibhausgasen aufgenommen.“

42      Nach der Auslegung der Kommission in ihrem Dokument „Guidance on Interpretation of Annex I of the EU ETS Directive“ (Leitfaden zur Auslegung von Anhang I der EHS-Richtlinie), das sie am 18. März 2010 herausgegeben hat, genügt es nicht, dass die Einheit gefährliche oder Siedlungsabfälle verbrennt, um vom Geltungsbereich der Richtlinie 2003/87 ausgeschlossen zu sein. Nach Ansicht der Kommission darf darüber hinaus zum einen eine Einheit zur Verbrennung von gefährlichen oder Siedlungsabfällen nicht Teil einer Anlage sein, deren Tätigkeit in Anhang I dieser Richtlinie genannt werde, und muss zum anderen die Verbrennung solcher Abfälle ihren Hauptzweck darstellen.

43      Aus diesem Grund ist nach Ansicht der Kommission eine Einheit für die Verbrennung gefährlicher Abfälle, deren erzeugte Wärme zurückgewonnen werde und die dem Betrieb einer in den Geltungsbereich von Anhang I Nr. 5 der Richtlinie 2003/87 fallenden Anlage diene, nicht von diesem Geltungsbereich ausgenommen.

44      Eine solche Auslegung wird jedoch nicht durch die grammatikalische, systematische und teleologische Auslegung gestützt, die der Gerichtshof üblicherweise vornimmt.

45      Was erstens die grammatikalische Auslegung von Anhang I Nr. 5 der Richtlinie 2003/87 betrifft, ist darauf hinzuweisen, dass diese Nr. 5 ausdrücklich den Fall erfasst, dass eine Anlage, für die eine Genehmigung zur Emission von Treibhausgasen erteilt werden muss, mehrere Einheiten zur Verbrennung von Brennstoffen umfasst, und bestimmt, dass in einem solchen Fall diese Einheiten mit Ausnahme der Einheiten zur Verbrennung von gefährlichen oder Siedlungsabfällen in diese Genehmigung aufzunehmen sind.

46      Folglich scheint der Wortlaut dieser Nr. 5 auszuschließen, dass die Einheit zur Verbrennung gefährlicher Abfälle in das Monitoringkonzept der Anlage mit der Begründung aufzunehmen ist, dass sie integraler Bestandteil dieser Anlage ist.

47      Da Ausnahmen eng auszulegen sind, ist im Übrigen die in dieser Nr. 5 genannte Ausnahme auf Einheiten zu beschränken, die tatsächlich für die Verbrennung von gefährlichen oder Siedlungsabfällen vorgesehen sind und daher andere Abfälle nur in sehr geringem Umfang verbrennen.

48      Dagegen ergibt sich aus dem Wortlaut von Anhang I Nr. 5 der Richtlinie 2003/87 nicht, dass Einheiten zur Verbrennung von gefährlichen oder Siedlungsabfällen nur in Abhängigkeit von dem Zweck, zu dem diese Abfälle verbrannt werden, von der Genehmigung zur Emission von Treibhausgasen ausgeschlossen werden.

49      Was zweitens die systematische und die teleologische Auslegung von Anhang I Nr. 5 der Richtlinie 2003/87 betrifft, so sind diese hier zusammen zu prüfen.

50      Wie sich u. a. aus dem 25. Erwägungsgrund und aus Art. 1 der Richtlinie 2003/87 ergibt, besteht deren allgemeines Ziel darin, durch die Einführung des Systems für die Zuteilung von Treibhausgasemissionszertifikaten eine Verringerung der Treibhausgasemissionen zu erreichen.

51      Mit der Ausnahme, die in Anhang I Nr. 5 der Richtlinie 2003/87 für Einheiten zur Verbrennung von gefährlichen und Siedlungsabfällen vorgesehen ist, wird dieses Ziel jedoch nicht vorrangig verfolgt. Sie entspricht vielmehr einem untergeordneten Ziel dieser Richtlinie, da der Unionsgesetzgeber davon ausgegangen ist, dass die Einführung des Systems der Zuteilung von Emissionszertifikaten die Beseitigung von gefährlichen und Siedlungsabfällen durch Verbrennung nicht behindern dürfe.

52      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die Richtlinie 2003/87, wie sich aus ihrem Titel ergibt, die Richtlinie 96/61 ändert. Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie 2003/87 stellt klar: „Diese Richtlinie gilt unbeschadet der Anforderungen gemäß Richtlinie [96/61].“ Die Richtlinie 96/61, deren Ziel weiter gesteckt ist als jenes der Richtlinie 2003/87 und die die integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung betrifft, sieht in ihrem Art. 3 Buchst. c ausdrücklich die Verwertung oder Beseitigung von Abfällen vor.

53      Im achten Erwägungsgrund der Richtlinie 96/61 heißt es ferner: „Das Ziel des integrierten Konzepts der Verminderung der Verschmutzung besteht darin, Emissionen in Luft, Wasser und Boden unter Einbeziehung der Abfallwirtschaft so weit wie möglich zu vermeiden und, wo dies nicht möglich ist, zu vermindern, um ein hohes Schutzniveau für die Umwelt insgesamt zu erreichen.“

54      Aus den vorstehenden Ausführungen ergibt sich, dass der Unionsgesetzgeber die Verbrennung von gefährlichen und Siedlungsabfällen fördern wollte, indem er sie von der Genehmigungspflicht im Rahmen des EU-EHS ausgenommen hat. Die Beschränkung des Geltungsbereichs dieser Ausnahme durch den Begriff „Hauptzweck“ wäre jedoch nicht mit diesem Ziel vereinbar.

55      Zudem ist der Umfang der Ausnahme auch im Licht des Hauptziels der Richtlinie 2003/87 auszulegen. Die von der Kommission vertretene Auslegung, wonach eine Einheit zur Verbrennung von gefährlichen oder Siedlungsabfällen, die durch Wärmeversorgung zum Betrieb einer unter das EU-EHS fallenden Anlage beitrage, selbst in den Geltungsbereich des EU-EHS fallen müsse, liefe diesem Ziel zuwider.

56      Eine solche Auslegung würde nämlich dazu führen, dass die Ausnahme Einheiten zur Verbrennung von gefährlichen und Siedlungsabfällen vorbehalten bliebe, deren erzeugte Wärme nicht von einer unter die Richtlinie 2003/87 fallenden Anlage verwertet würde, was Energieverschwendung und zusätzliche Emissionen begünstigen würde.

57      Nach alledem ist auf die Vorlagefragen zu antworten, dass Anhang I Nr. 5 der Richtlinie 2003/87 dahin auszulegen ist, dass alle Einheiten zur Verbrennung von gefährlichen oder Siedlungsabfällen vom Geltungsbereich dieser Richtlinie ausgenommen sind, einschließlich derjenigen, die in eine in diesen Geltungsbereich fallende Anlage integriert sind und nicht nur die Verbrennung dieser Abfälle zum Zweck haben, sofern sie nur in sehr geringem Umfang der Verbrennung anderer Abfälle dienen.

 Kosten

58      Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Neunte Kammer) für Recht erkannt:

Anhang I Nr. 5 der Richtlinie 2003/87/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Oktober 2003 über ein System für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten in der Gemeinschaft und zur Änderung der Richtlinie 96/61/EG des Rates in der durch die Richtlinie (EU) 2018/410 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. März 2018 geänderten Fassung

ist dahin auszulegen, dass

alle Einheiten zur Verbrennung von gefährlichen oder Siedlungsabfällen vom Geltungsbereich dieser Richtlinie in ihrer geänderten Fassung ausgenommen sind, einschließlich derjenigen, die in eine in diesen Geltungsbereich fallende Anlage integriert sind und nicht nur die Verbrennung dieser Abfälle zum Zweck haben, sofern sie nur in sehr geringem Umfang der Verbrennung anderer Abfälle dienen.

Unterschriften



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