Vorläufige Fassung
SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS
ATHANASIOS RANTOS
vom 30. April 2025(1 )
Rechtssache C ‑144/24
Europäische Kommission
gegen
Ungarn
„ Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats – Niederlassungsfreiheit – Nationale Regelung, die für bestimmte wesentliche Ausgangsstoffe der Bauwirtschaft unter den Marktpreisen liegende Referenzpreise festlegt – Verpflichtung zur Entrichtung einer „zusätzlichen Schürfgebühr“ in Höhe von 90 % der Differenz zwischen dem Referenzpreis und dem Verkaufspreis – Nationale Regelung, die eine Mindestabbaumenge für mineralische Ressourcen festlegt – Maßnahmen, die mehrheitlich in anderen Mitgliedstaaten ansässige Unternehmen betreffen – Rechtfertigung – Richtlinie (EU) 2015/1535 – Informationsverfahren auf dem Gebiet der technischen Normen und Vorschriften und der Vorschriften für die Dienste der Informationsgesellschaft – Notifizierungspflicht “
I. Einleitung
1. Mit der vorliegenden gegen Ungarn erhobenen Vertragsverletzungsklage beantragt die Europäische Kommission, festzustellen, dass dieser Mitgliedstaat dadurch gegen seine Verpflichtungen aus Art. 49 AEUV und der Richtlinie (EU) 2015/1535(2 ) verstoßen hat, dass er im Jahr 2021 nationale Vorschriften über die Entrichtung einer zusätzlichen Schürfgebühr und die Mindestabbaumenge für bestimmte mineralische Ressourcen erlassen hat.
2. Konkret beantragt die Kommission mit ihrer Klage, festzustellen, dass Ungarn mit dem Erlass der Bestimmungen über die Entrichtung einer zusätzlichen Schürfgebühr und die Mindestabbaumenge für bestimmte mineralische Ressourcen, die in der Regierungsverordnung Nr. 404/2021 über die zusätzliche Schürfgebühr zur Ankurbelung der Wirtschaft (im Folgenden: Verordnung Nr. 404/2021)(3 ) bzw. in der Regierungsverordnung Nr. 405/2021 zur Änderung des Gesetzes Nr. XLVIII von 1993 über den Bergbau (im Folgenden: Verordnung Nr. 405/2021, beide Verordnungen zusammen im Folgenden: die beiden streitigen Verordnungen)(4 ) enthalten sind, sowie mit dem Erlass des Gesetzes Nr. CXXXVI von 2021 zur Änderung bestimmter Gesetze über Energie, Transport und damit verbundene Bereiche (im Folgenden: Gesetz Nr. CXXXVI von 2021)(5 ), mit dem die §§ 27/A, 27/B und 27/C in das Gesetz Nr. XLVIII von 1993 über den Bergbau eingefügt wurden (im Folgenden zusammen: streitige Bestimmungen), gegen seine Verpflichtungen aus Art. 49 AEUV, in dem die Niederlassungsfreiheit verankert ist, verstoßen hat, weil diese Vorschriften die Möglichkeit von in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Personen und Unternehmen beschränken, in Ungarn eine unter diese Vorschriften fallende Tätigkeit aufzunehmen oder fortzusetzen, sowie gegen seine Verpflichtungen aus Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2015/1535, weil dieser Mitgliedstaat die Gesetzesentwürfe nicht, wie in dieser Bestimmung vorgeschrieben, der Kommission mitgeteilt hat.
II. Rechtlicher Rahmen
A. Unionsrecht
3. Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2015/1535 bestimmt:
„Für die Zwecke dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck:
a) ‚Erzeugnis‘ Erzeugnisse, die gewerblich hergestellt werden, und landwirtschaftliche Erzeugnisse, einschließlich Fischprodukte;
…
c) ‚technische Spezifikation‘ eine Spezifikation, die in einem Schriftstück enthalten ist, das Merkmale für ein Erzeugnis vorschreibt, wie Qualitätsstufen, Gebrauchstauglichkeit, Sicherheit oder Abmessungen, einschließlich der Vorschriften über Verkaufsbezeichnung, Terminologie, Symbole, Prüfungen und Prüfverfahren, Verpackung, Kennzeichnung und Beschriftung des Erzeugnisses sowie über Konformitätsbewertungsverfahren.
…
d) ‚sonstige Vorschrift‘ eine Vorschrift für ein Erzeugnis, die keine technische Spezifikation ist und insbesondere zum Schutz der Verbraucher oder der Umwelt erlassen wird und den Lebenszyklus des Erzeugnisses nach dem Inverkehrbringen betrifft, wie Vorschriften für Gebrauch, Wiederverwertung, Wiederverwendung oder Beseitigung, sofern diese Vorschriften die Zusammensetzung oder die Art des Erzeugnisses oder seine Vermarktung wesentlich beeinflussen können;
…
f) ‚technische Vorschrift‘ technische Spezifikationen oder sonstige Vorschriften oder Vorschriften betreffend Dienste, einschließlich der einschlägigen Verwaltungsvorschriften, deren Beachtung rechtlich oder de facto für das Inverkehrbringen, die Erbringung des Dienstes, die Niederlassung eines Erbringers von Diensten oder die Verwendung in einem Mitgliedstaat oder in einem großen Teil dieses Staates verbindlich ist, …
Technische De-facto-Vorschriften sind insbesondere:
…
iii) die technischen Spezifikationen oder sonstigen Vorschriften oder die Vorschriften betreffend Dienste, die mit steuerlichen oder finanziellen Maßnahmen verbunden sind, die auf den Verbrauch der Erzeugnisse oder die Inanspruchnahme der Dienste Einfluss haben, indem sie die Einhaltung dieser technischen Spezifikationen oder sonstigen Vorschriften oder Vorschriften betreffend Dienste fördern; …
g) ‚Entwurf einer technischen Vorschrift‘ den Wortlaut einer technischen Spezifikation oder einer sonstigen Vorschrift oder einer Vorschrift betreffend Dienste einschließlich Verwaltungsvorschriften, der ausgearbeitet worden ist, um diese als technische Vorschrift festzuschreiben oder letztlich festschreiben zu lassen, und der sich im Stadium der Ausarbeitung befindet, in dem noch wesentliche Änderungen möglich sind.“
4. Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2015/1535 bestimmt:
„… [D]ie Mitgliedstaaten [übermitteln] der Kommission unverzüglich jeden Entwurf einer technischen Vorschrift, sofern es sich nicht um eine vollständige Übertragung einer internationalen oder europäischen Norm handelt; in diesem Fall reicht die Mitteilung aus, um welche Norm es sich handelt. Sie unterrichten die Kommission gleichzeitig in einer Mitteilung über die Gründe, die die Festlegung einer derartigen technischen Vorschrift erforderlich machen, es sei denn, die Gründe gehen bereits aus dem Entwurf hervor.
…“
B. Ungarisches Recht
1. Gesetz über den Bergbau
5. § 3 Abs. 1 des Gesetzes über den Bergbau in der durch das Gesetz Nr. CXXXVI von 2021 geänderten Fassung(6 ) (im Folgenden: Bergbaugesetz) besagt, dass mineralische und geothermische Ressourcen in ihren natürlichen Vorkommen Staatseigentum sind.
6. § 27/A dieses Gesetzes bestimmt:
„(1) Im Rahmen ihrer Zuständigkeiten für die Verwaltung mineralischer Ressourcen verfolgt die Bergbauaufsichtsbehörde aufmerksam die wirtschaftlichen Prozesse im Zusammenhang mit der Suche nach mineralischen Rohstoffen, ihrem Abbau, ihrer Vermarktung und ihrer volkswirtschaftlichen Nutzung. Die Bergbauaufsichtsbehörde prüft in diesem Rahmen, ob eine Situation vorliegt, die eine Marktüberwachungsmaßnahme rechtfertigt.
(2) Wenn sich aus dem monatlichen Wert des Preisindex der Industrie für wesentliche Ausgangsstoffe der Bauwirtschaft … ein Anstieg der Preise der Baustoffindustrie von mindestens 5 % im Vergleich zum gleichen Zeitraum des Vorjahres ergibt – und zwar mindestens zweimal innerhalb eines Zeitraums von zwölf Monaten –, kann der Leiter der Behörde kraft Verordnung eine Situation für gegeben erklären, die eine Marktüberwachungsmaßnahme rechtfertigt.
…
(4) In der in Abs. 2 genannten Verordnung muss die Dauer der Situation, die eine Marktüberwachungsmaßnahme rechtfertigt, angegeben werden; sie darf ein Jahr nicht überschreiten.“
7. In § 27/B des Bergbaugesetzes heißt es:
„(1) Der Leiter der Behörde legt kraft Verordnung für die Bergbaustandorte zum Abbau von Rohstoffen und wesentlichen Ausgangsstoffen der Bauwirtschaft, die über mindestens 5 000 000 m³ abbaubarer mineralischer Ressourcen verfügen, Folgendes fest:
a) detaillierte Anforderungen an die Mindestmenge der abzubauenden mineralischen Ressourcen und den entsprechenden Zeitplan für den Abbau,
…
für die Dauer der Situation, die eine Marktüberwachungsmaßnahme rechtfertigt.
…
(3) In dem in Abs. 1 genannten Fall wird die Bergaufsichtsbehörde …
a) einen neuen technischen Abbaubetriebsplan oder die Änderung des geltenden technischen Abbaubetriebsplans genehmigen, sofern der Abbaubetriebsplan des Bergbaubetreibers die Anforderungen erfüllt, die in der in Abs. 1 genannten Verordnung festgelegt sind,
b) von Amts wegen den geltenden technischen Abbaubetriebsplan in Bezug auf Bergbaustandorte überprüfen, die über mineralische Ressourcen verfügen, die von der Situation, die eine Marktüberwachungsmaßnahme rechtfertigt, betroffen sind …
…“
8. § 27/C des Bergbaugesetzes bestimmt:
„(1) Liegt eine Situation vor, die eine Marktüberwachungsmaßnahme rechtfertigt, haben Unternehmen im Sinne der Abs. 2 und 3 die zusätzliche Schürfgebühr im Sinne dieser Bestimmung zu entrichten.
(2) Eine zusätzliche Schürfgebühr ist von Unternehmen zu entrichten, die
a) zur Entrichtung einer Schürfgebühr verpflichtet sind …, und
b) die als Haupttätigkeit
ba) im Bereich der Gewinnung von Rohstoffen und wesentlichen Ausgangsstoffen der Bauwirtschaft sowie
bb) im Bereich der Herstellung von Erzeugnissen, die als wesentliche Ausgangsstoffe der Bauwirtschaft dienen,
eine wirtschaftliche Tätigkeit ausüben, die vom Leiter der Behörde in einer Verordnung definiert wird, und die
c) im zweiten Steuerjahr vor Eintritt der Situation, die eine kraft Verordnung des Leiters der Behörde eingeführte Marktüberwachungsmaßnahme rechtfertigt, einen Umsatz von 3 000 000 000 ungarischen Forint (HUF) oder mehr – ohne Berücksichtigung etwaiger verbundener Unternehmen – erzielt haben. …“
2. Verordnung Nr. 404/2021
9. Die beiden streitigen Verordnungen waren ursprünglich mit Wirkung vom 9. Juli 2021 nur für die Dauer der COVID‑19-Pandemie erlassen worden. Die Geltung dieser Verordnungen wurde jedoch aufgrund des Krieges in der Ukraine verlängert, so dass sie im Zeitpunkt der Erhebung der vorliegenden Vertragsverletzungsklage immer noch in Kraft waren.
10. § 1 der Verordnung Nr. 404/2021 bestimmt:
„(1) … [E]ine zusätzliche Schürfgebühr [ist] von Unternehmen zu entrichten, die
a) zur Entrichtung einer Schürfgebühr gemäß § 20 Abs. 2 Buchst. a und b des [Bergbaugesetzes] verpflichtet sind und
b) deren Haupttätigkeit in der
ba) Gewinnung von Naturwerksteinen und Natursteinen, Kalk- und Gipsstein, Kreide und Schiefer (NACE 0811),
bb) Gewinnung von Kies, Sand, Ton und Kaolin (NACE 0812),
bc) Herstellung von Zement (NACE 2351) oder
bd) Herstellung von Kalk und gebranntem Gips (NACE 2352),
be) Herstellung von Ziegeln und sonstiger Baukeramik (NACE 2332),
bf) Herstellung von keramischen Wand- und Bodenfliesen und -platten (NACE 2331),
besteht und die
c) im Jahr 2019 einen Nettoumsatz – ohne Berücksichtigung etwaiger verbundener Unternehmen … – von 3 000 000 000 HUF oder mehr erzielt haben.
(2) Ein zahlungspflichtiges Unternehmen …, das
a) kalibrierten Sand, den es für mehr als 700 HUF pro Tonne verkauft,
b) kalibrierten Kies, den es für mehr als 900 HUF pro Tonne verkauft,
c) kalibriertes Kies-Sand-Gemisch, das es für mehr als 700 HUF pro Tonne verkauft,
d) natürliches Kies-Sand-Gemisch, das es für mehr als 700 HUF pro Tonne verkauft,
e) Zement, den es für mehr als 20 000 HUF pro Tonne verkauft,
f) …
– jeweils ohne Mehrwertsteuer – als wesentliche Ausgangsstoffe der Bauwirtschaft gewinnt, verarbeitet oder herstellt, ist verpflichtet, 90 % der Differenz zwischen seinem tatsächlichen Umsatz und dem auf der Grundlage der verkauften Menge und des in diesem Absatz festgelegten Preises ermittelten Umsatz als zusätzliche Schürfgebühr zu entrichten.
…
(3) Beim Verkauf der in Abs. 2 genannten Erzeugnisse muss der Verkäufer, wenn er keine zusätzliche Schürfgebühr zu entrichten hat, eine angemessene Gewinnspanne anstreben, wobei die in den Abs. 2 und 2a genannten Werte zu berücksichtigen sind.
…
(6) Die zusätzliche Schürfgebühr muss zur Finanzierung von öffentlichen Bauarbeiten für Zwecke der öffentlichen Gesundheit verwendet werden.
…“
3. Verordnung Nr. 405/2021
11. In § 1 Abs. 1 bis 3a der Verordnung Nr. 405/2021 heißt es:
„(1) In Anbetracht der durch die Coronavirus-Pandemie verursachten Ausnahmesituation erlässt die Bergbauaufsichtsbehörde für Bergbaustandorte zur Gewinnung von Rohstoffen und wesentlichen Ausgangsstoffen der Bauwirtschaft eine Entscheidung, durch die der Bergbaubetreiber,
a) der den technischen Betriebsplan für die Aufnahme der operativen Gewinnung vor Inkrafttreten dieser Verordnung erhalten hat, verpflichtet wird, innerhalb eines Jahres die operative Gewinnung im Umfang von mindestens 50 % der maximalen Abbaumenge aufzunehmen, die im ersten technischen Betriebsplan für die Gewinnung vor der Änderung genehmigt wurde;
b) der den technischen Betriebsplan für die Aufnahme der operativen Gewinnung nach Inkrafttreten dieser Verordnung erhalten hat, verpflichtet wird, innerhalb eines Jahres die operative Gewinnung im Umfang von 100 % der maximalen Abbaumenge aufzunehmen, die im ersten technischen Betriebsplan für die Gewinnung vor der Änderung genehmigt wurde;
…
(2) Ein Bergbaubetreiber, der die operative Gewinnung von Rohstoffen und wesentlichen Ausgangsstoffen der Bauwirtschaft durchführt, kann mit Genehmigung der Bergbauaufsichtsbehörde die Abbaumenge reduzieren. Der Bergbaubetreiber kann seinen Antrag auf Reduzierung der Abbaumenge bis zum 20. Tag des Monats stellen, der auf den letzten Tag der in § 1 Abs. 1 festgelegten einjährigen Abbaufrist folgt.
(2a) Die Reduzierung der Abbaumenge kann genehmigt werden, wenn
a) der Bergbaubetreiber von höherer Gewalt betroffen war oder
b) ein zwingender externer Grund vorliegt, der nicht unter Buchst. a fällt und nicht dem Tätigkeitsbereich des Betreibers zuzurechnen ist.
(3) Wird die Gewinnung nicht gemäß Abs. 1 aufgenommen – und vorbehaltlich der in Abs. 3a genannten Ausnahmefälle –, entzieht die Bergaufsichtsbehörde dem Bergbaubetreiber die Bergbauberechtigung und bestimmt als neuen Inhaber der Bergbauberechtigung für den betreffenden Bergbaustandort [die staatliche ungarische Vermögensverwaltungsgesellschaft], damit diese das Eigentumsrecht im Namen des ungarischen Staates ausübt.
(3a) Die Bergbauaufsichtsbehörde entzieht dem Bergbaubetreiber die Bergbauberechtigung nicht, wenn der Bergbaubetreiber nachweist, dass ein Grund im Sinne von Abs. 2a vorliegt, durch den die Anwendung dieser Vorschrift ausgeschlossen ist.“
III. Vorgerichtliches Verfahren
12. Im Anschluss an eine Beschwerde richtete die Kommission am 6. April 2022 ein Schreiben an Ungarn, in dem sie die Vereinbarkeit der streitigen Bestimmungen u. a.(7 ) mit Art. 49 AEUV und Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2015/1535 in Frage stellte.
13. Der Kommission zufolge wurden in den beiden streitigen Verordnungen zum einen für bestimmte wesentliche Ausgangsstoffe der Bauwirtschaft amtliche Preise unterhalb der Marktpreise festgelegt und wurde zum anderen den größten Unternehmen, die diese Stoffe abbauten oder herstellten – und die fast alle von in anderen Mitgliedstaaten ansässigen Unternehmen kontrolliert würden –, die Verpflichtung zur Entrichtung einer zusätzlichen Schürfgebühr in Höhe von 90 % der Differenz zwischen dem amtlichen Preis und dem höheren Verkaufspreis auferlegt. Gleichzeitig würden die Unternehmen, für die diese Verordnungen gälten, verpflichtet, ein von der Regierung festgelegtes Mindestabbauniveau aufrechtzuerhalten; andernfalls verlören sie ihre Bergbauberechtigung. Das Bergbaugesetz sei geändert worden, um den Leiter der Bergbauaufsichtsbehörde zu ermächtigen, ähnliche Maßnahmen zu ergreifen.
14. In seiner Antwort vom 13. Juni 2022 stellte Ungarn das Vorliegen der mit dem vorgenannten Schreiben gerügten Verstöße in Abrede. Die ungarischen Behörden machten zum einen insbesondere in Bezug auf den angeblichen Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit geltend, dass die zusätzliche Schürfgebühr eine Steuer sei, dass die streitigen Bestimmungen durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses(8 ) gerechtfertigt seien und dass aus diesen Gründen die Niederlassungsfreiheit in verhältnismäßiger Weise beschränkt werde, da die beiden streitigen Verordnungen vorübergehende Maßnahmen zur Regelung einer Ausnahmesituation seien. Zum anderen erklärten die ungarischen Behörden in Bezug auf den Verstoß gegen die Notifizierungspflicht gemäß der Richtlinie 2015/1535, dass die ursprünglich vorgesehene Notifizierung der Verordnung Nr. 404/2021 aus verwaltungstechnischen Gründen nicht erfolgt sei, und machten geltend, dass diese Verordnung keine „sonstige Vorschrift“ darstelle, die unter die Notifizierungspflicht falle. In gleicher Weise vertraten sie die Auffassung, dass in Bezug auf die §§ 27/A bis 27/C des Bergbaugesetzes keine Notifizierungspflicht bestehe, da diese Bestimmungen keinen konkreten technischen Inhalt hätten.
15. Am 26. Januar 2023 richtete die Kommission eine mit Gründen versehene Stellungnahme an Ungarn, in der sie die in ihrem Schreiben dargelegten Argumente wiederholte(9 ). Sie forderte den Mitgliedstaat gemäß Art. 258 Abs. 1 AEUV auf, innerhalb von zwei Monaten nach Erhalt der mit Gründen versehenen Stellungnahme die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um ihr nachzukommen.
16. Mit Schreiben vom 30. März 2023 beantwortete Ungarn die mit Gründen versehene Stellungnahme und hielt daran fest, dass der Vorwurf der Vertragsverletzung unbegründet sei.
IV. Verfahren vor dem Gerichtshof und Anträge der Parteien
17. Da diese Antwort die Kommission nicht zufriedenstellte, hat sie mit Klageschrift vom 23. Februar 2024 die vorliegende Vertragsverletzungsklage erhoben.
18. Ungarn hat am 14. Mai 2024 eine Klagebeantwortung eingereicht.
19. Die Kommission hat am 25. Juni 2024 eine Erwiderung und Ungarn am 6. August 2024 eine Gegenerwiderung eingereicht.
20. In ihrer Klageschrift beantragt die Kommission, festzustellen, dass Ungarn mit dem Erlass der streitigen Bestimmungen gegen seine Verpflichtungen aus Art. 49 AEUV und Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2015/1535 verstoßen hat, und Ungarn die Kosten aufzuerlegen.
21. Ungarn beantragt, die Klage als unbegründet abzuweisen und der Kommission die Kosten aufzuerlegen.
V. Würdigung
22. Die Kommission stützt ihre Klage auf zwei Rügen, mit denen sie einen Verstoß gegen Art. 49 AEUV bzw. gegen Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2015/1535 geltend macht.
A. Zur ersten Rüge: Verstoß gegen Art. 49 AEUV
23. Mit ihrer ersten Rüge macht die Kommission geltend, dass die beiden streitigen Verordnungen und die §§ 27/A bis 27/C des Bergbaugesetzes sowohl jeweils für sich als auch zusammen eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit darstellten, da sie die Ausübung von Tätigkeiten, die unter die Verordnung Nr. 404/2021 fielen, in Ungarn für in anderen Mitgliedstaaten ansässige Unternehmen verhinderten oder weniger attraktiv machten (1), und dass eine solche Beschränkung nicht durch die von Ungarn geltend gemachten zwingenden Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt werden könne (2).
1. Zum Vorliegen einer Beschränkung der Niederlassungsfreiheit
a) Vorbringen der Parteien
24. Als Erstes legt die Kommission in ihrer Klageschrift dar, wie sie den Inhalt der oben genannten Bestimmungen versteht. Zunächst stellt sie in Bezug auf die Verordnung Nr. 404/2021 fest, dass § 1 Abs. 2 dieser Verordnung amtliche Preise für fünf wesentliche Ausgangsstoffe der Bauwirtschaft (nämlich kalibrierten Sand, kalibrierten Kies, kalibriertes Kies-Sand-Gemisch, natürliches Kies-Sand-Gemisch und Zement) festlege und vorsehe, dass ein Unternehmen, sofern es diese Stoffe zu einem höheren Preis verkaufe, als zusätzliche Schürfgebühr einen Betrag in Höhe von 90 % der Differenz zwischen seinem tatsächlichen Umsatz und dem auf der Grundlage der verkauften Menge und des amtlichen Preises ermittelten Umsatz entrichten müsse. Sodann trägt die Kommission in Bezug auf die Verordnung Nr. 405/2021 vor, dass gemäß § 1 Abs. 1, 2 und 2a dieser Verordnung die Bergbauaufsichtsbehörde die Bergbaubetreiber verpflichte, innerhalb eines Jahres die operative Gewinnung aufzunehmen, und zwar in Höhe von mindestens 50 % der im technischen Betriebsplan genehmigten maximalen Abbaumenge (bei Plänen, die sie vor dem Inkrafttreten der genannten Verordnung erhalten hätten) bzw. in Höhe von 100 % dieser Abbaumenge (bei Plänen, die sie nach dem Inkrafttreten der genannten Verordnung erhalten hätten). Die geltende Mindestabbaumenge könne nur mit Genehmigung dieser Behörde reduziert werden, wenn der Bergbaubetreiber von höherer Gewalt betroffen gewesen sei oder ein anderer zwingender externer Grund vorliege. Einem Betreiber, der diese Mindestabbaumenge nicht einhalte, werde die Bergbauberechtigung entzogen, die dann der Magyar Nemzeti Vagyonkezelő Zrt. (staatliche ungarische Vermögensverwaltungsgesellschaft) zugeteilt werde, damit sie das Eigentumsrecht im Namen des ungarischen Staates ausübe. Was schließlich das Bergbaugesetz betreffe , so würden die §§ 27/A bis 27/C dieses Gesetzes den Leiter der Bergbauaufsichtsbehörde ermächtigen, in einer Situation, die eine Marktüberwachungsmaßnahme rechtfertige, ähnliche Maßnahmen wie die in den beiden streitigen Verordnungen vorgesehenen zu beschließen, und zwar auch nach dem Ende des Krisenzustands und nach Ablauf der Gültigkeit dieser Verordnungen. Die Tatsache, dass der Leiter dieser Behörde keine derartigen Maßnahmen beschlossen habe, obwohl die Voraussetzungen dafür angesichts der Höhe der Inflation in Ungarn erfüllt gewesen seien, könne auf den Umstand zurückzuführen sein, dass der ungarische Gesetzgeber die ursprünglich auf die COVID‑19-Pandemie beschränkte Geltungsdauer der genannten Verordnungen verlängert habe, um sie an die Dauer des Krieges in der Ukraine anzupassen, so dass es nicht notwendig gewesen sei, das im Bergbaugesetz vorgesehene parallele Verfahren anzuwenden.
25. Als Zweites macht die Kommission Ausführungen zur Anwendung dieser Bestimmungen. Sie weist insbesondere darauf hin, dass während des vorgerichtlichen Verfahrens die in § 1 Abs. 2 der Verordnung Nr. 404/2021 festgelegten Preise für alle dort genannten wesentlichen Ausgangsstoffe stets unter den Marktpreisen gelegen hätten. Zudem hätten von den 340 Unternehmen, die in Ungarn in den in dieser Verordnung genannten Sektoren tätig seien, nur vier die zusätzliche Schürfgebühr zu entrichten, und diese Unternehmen stünden bis auf eine Ausnahme alle im Eigentum eines Unternehmens aus einem anderen Mitgliedstaat. Diese Zahl entspreche 1,2 % der insgesamt 340 Unternehmen, aber der Anteil dieser vier Unternehmen am Markt für Rohstoffe für die Bauwirtschaft betrage etwa 25 %. Die unter die Verordnung fallenden Unternehmen sähen sich gezwungen, ihre Erzeugnisse zu dem in der Verordnung festgelegten Preis zu verkaufen, der weit unter dem Marktpreis liege. Andernfalls müssten sie die Schürfgebühr in Höhe von 90 % der Differenz zwischen dem in der Verordnung festgelegten Preis und dem Marktpreis entrichten. Nach Ansicht der Kommission werden dadurch diese Unternehmen – im Gegensatz zu denjenigen, die die zusätzliche Schürfgebühr nicht entrichten müssten – in der Praxis daran gehindert, eine angemessene Gewinnspanne zu erzielen, da sie gezwungen seien, mit Verlust zu arbeiten. Die Verordnung Nr. 405/2021 verstärke diesen Effekt noch weiter, da die zur Entrichtung der zusätzlichen Schürfgebühr verpflichteten Unternehmen die durch die Verordnung Nr. 405/2021 vorgeschriebene Mindestproduktion aufrechterhalten müssten, damit ihnen ihre Bergbauberechtigung nicht entzogen werde, auch wenn sie mit Verlust arbeiteten.
26. Als Drittes und Letztes kommt die Kommission nach den obigen Ausführungen zu dem Schluss, dass die beiden streitigen Verordnungen sowie die §§ 27/A bis 27/C des Bergbaugesetzes sowohl jeweils für sich als auch zusammen aus drei Gründen eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit darstellten.
27. Erstens stellten diese Vorschriften für Unternehmen, die den Eintritt in den ungarischen Markt planten und ihren Sitz in einem anderen Mitgliedstaat als Ungarn hätten, ein ernsthaftes Hindernis für die Ausübung ihrer Niederlassungs- und Gewerbefreiheit dar. Diese Vorschriften erschwerten nämlich ihren Zugang zu diesem Markt, da diese Unternehmen verpflichtet seien, innerhalb eines Jahres das durch die Verordnung Nr. 405/2021 vorgeschriebene Produktionsniveau zu erreichen, während die Verordnung Nr. 404/2021 die Erzielung von Gewinnen erheblich erschwere oder sogar ausschließe.
28. Zweitens mache die Einführung neuer Bedingungen für die Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit die Ausübung der Niederlassungsfreiheit für Unternehmen, die bereits auf dem ungarischen Markt tätig seien , weniger attraktiv oder sogar unmöglich, da ihre Gewinne erheblich reduziert würden und sie möglicherweise mit Verlust arbeiten müssten, was die Vornahme von Investitionen erschwere oder sogar ausschließe.
29. Drittens schließe die Ausübung der Niederlassungsfreiheit nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs grundsätzlich auch die Freiheit der Wirtschaftsteilnehmer ein, die Art und den Umfang der wirtschaftlichen Tätigkeit , die auf den Aufnahmemitgliedstaat ausgeweitet werde, zu bestimmen , sowie das Recht, anschließend den Umfang dieser Tätigkeit zu verringern(10 ). Die Regelung zur Mindestproduktion gestatte jedoch die Ausübung dieses Aspekts der Niederlassungsfreiheit nicht.
30. Zudem führe die fragliche Regelung zu einer mittelbaren Diskriminierung , da sie – mit einer Ausnahme – Unternehmen betreffe, die von in anderen Mitgliedstaaten ansässigen Unternehmen kontrolliert würden. An dieser Feststellung ändere auch der Umstand nichts, dass zu der Gruppe der begünstigten Wirtschaftsteilnehmer möglicherweise auch in anderen Mitgliedstaaten ansässige Unternehmen gehörten.
31. Ungarn stellt das gesamte Vorbringen der Kommission in Abrede und führt im Wesentlichen aus, dass die streitigen Bestimmungen weder eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit noch eine Form der Diskriminierung, sei sie offenkundig oder verdeckt, darstellten.
32. In seiner Klagebeantwortung beanstandet Ungarn zunächst den Ansatz der Kommission, die die fraglichen Bestimmungen in ihrer Gesamtheit prüfe und ihre kumulativen Auswirkungen untersuche. Um festzustellen, ob sie eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit darstellten, müssten die Bestimmungen jedoch getrennt voneinander geprüft werden, da sie nicht zusammen angewandt werden und auch keine kumulativen Auswirkungen haben könnten. Denn zum einen betreffe die Verordnung Nr. 405/2021 nur Bergbaubetreiber, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Verordnung die operative Gewinnung noch nicht aufgenommen hätten, und nicht Betreiber, die bereits eine Bergbautätigkeit ausübten und die zusätzliche Schürfgebühr gemäß dieser Verordnung entrichten müssten. Zum anderen sähen das Bergbaugesetz und die beiden streitigen Verordnungen keine parallelen Verfahren vor, da die Verordnungen Bestimmungen enthielten, die unmittelbar auf Bergbaubetreiber anwendbar seien, während die §§ 27/A bis 27/C dieses Gesetzes nur die Möglichkeit vorsähen, ausnahmsweise und vorübergehend Vorschriften zu erlassen, die jedoch inhaltlich nicht bewertet werden könnten, da von dieser Möglichkeit noch kein Gebrauch gemacht worden sei. Außerdem seien die §§ 27/A bis 27/C erlassen worden, um die in den besagten Verordnungen enthaltenen Vorschriften zu ersetzen. Dass das Inkrafttreten dieser Bestimmungen nicht zur Außerkraftsetzung der Verordnungen geführt habe, sei darauf zurückzuführen, dass die Notsituation weiterhin bestehe.
33. Des Weiteren tritt Ungarn allen Argumenten entgegen, auf die die Kommission das Vorliegen einer Beschränkung der Niederlassungsfreiheit stützt, wobei es jedoch die streitigen Bestimmungen getrennt behandelt.
34. Zum einen weist der Mitgliedstaat in Bezug auf die in der Verordnung Nr. 404/2021 vorgesehene zusätzliche Schürfgebühr alle von der Kommission angeführten Gründe zurück.
35. Was erstens die Unternehmen betrifft, die den Eintritt in den ungarischen Markt planen , führt Ungarn aus, dass neue Marktteilnehmer nicht zur Entrichtung dieser Gebühr verpflichtet seien, da die objektiven Kriterien für die Entstehung dieser Verpflichtung die Haupttätigkeit des betreffenden Unternehmens und sein Nettoumsatz im Jahr 2019 seien.
36. Was zweitens die Unternehmen betrifft, die bereits auf dem ungarischen Markt tätig sind , macht Ungarn geltend, dass es sich bei der zusätzlichen Schürfgebühr um eine steuerliche Maßnahme handele, bei der das Bestehen der Steuerpflicht auf neutralen und objektiven Kriterien beruhe, nämlich dem Nettoumsatz im Jahr 2019, dem Tätigkeitsfeld und dem Referenzpreis. Die Niederlassungsfreiheit könne daher insoweit nicht verletzt sein. Die fragliche Regelung knüpfe zur Bestimmung einer verhältnismäßigen Steuerlast die Steuerpflicht an die Höhe des Umsatzes, die nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs ein neutrales Unterscheidungskriterium darstelle und ein relevanter Indikator für die Leistungsfähigkeit der Steuerpflichtigen sei(11 ).
37. Was drittens das Vorliegen einer mittelbaren Diskriminierung betreffe, so sei die Tatsache, dass die zur Entrichtung der zusätzlichen Schürfgebühr verpflichteten Unternehmen hauptsächlich Unternehmen aus anderen Mitgliedstaaten seien, eine Folge der besonderen Struktur des ungarischen Marktes, auf dem die stärksten Unternehmen in dem betreffenden Sektor ausländische Unternehmen seien. Insoweit sei der vorliegende Fall mit den Fällen vergleichbar, die den Urteilen Vodafone Magyarország und Tesco-Global Áruházak(12 ) zugrunde gelegen hätten. Ungarn argumentiert nämlich, dass die Verordnung Nr. 404/2021 diejenigen Wirtschaftsteilnehmer betreffe, die den größten Einfluss auf das Preisniveau von Rohstoffen und wesentlichen Ausgangsstoffen der Bauwirtschaft hätten oder einen beherrschenden Marktanteil besäßen und über genügend Marktmacht verfügten, um das Preisniveau der verkauften Erzeugnisse auf einem künstlich hohen Niveau zu halten.
38. Zum anderen führt Ungarn in Bezug auf die Vorschriften der Verordnung Nr. 405/2021, die eine Mindestproduktion vorschrieben, aus, dass das nationale Recht bereits zuvor Bestimmungen enthalten habe, die die Deckung des staatlichen Bedarfs an Rohstoffen hätten sicherstellen sollen, und dass die Anforderungen an die Mindestmenge der abzubauenden mineralischen Ressourcen und den entsprechenden Zeitplan für den Abbau objektive Vorschriften darstellten, die unterschiedslos für alle Unternehmen gälten, die die operative Gewinnung am Bergbaustandort noch nicht aufgenommen hätten oder die über mindestens 5 000 000 m³ abbaubarer mineralischer Ressourcen verfügten. Es sei zwar zutreffend, dass diese Vorschriften im Vergleich zu den zuvor geltenden Vorschriften als Verschärfung erschienen, aber sie seien auf alle Unternehmen gleichermaßen anwendbar. Was die Freiheit der Wirtschaftsteilnehmer betreffe, den Umfang ihrer Tätigkeit, die auf den Aufnahmemitgliedstaat ausgeweitet werde, zu bestimmen oder sogar zu verringern, so stehe das Urteil AGET Iraklis, auf das sich die Kommission beziehe, in einem anderen Zusammenhang als der vorliegende Fall, so dass daraus keine allgemeine Schlussfolgerung abgeleitet werden könne, dass die Mitgliedstaaten im Rahmen ihrer Zuständigkeiten keine Maßnahmen ergreifen dürften, die den Umfang der wirtschaftlichen Tätigkeit von Unternehmen beeinflussen könnten. Andernfalls könne jede steuerliche Maßnahme eines Mitgliedstaats in Frage gestellt werden.
39. In ihrer Erwiderung führt die Kommission im Wesentlichen aus, dass sie zum einen in Bezug auf die Prüfung der Auswirkungen der fraglichen Bestimmungen nicht die Auffassung Ungarns teile, wonach die beiden streitigen Verordnungen keine kumulativen Auswirkungen hätten. Aus § 1 Abs. 2 und 2a der Verordnung Nr. 405/2021 ergebe sich nämlich, dass Unternehmen, die bereits eine Bergbautätigkeit ausübten, einer Mindestabbauverpflichtung unterlägen und diese Abbaumenge nur unter Einhaltung der in dieser Verordnung festgelegten Bedingungen reduzieren könnten. Zum anderen macht sie in Bezug auf das Vorliegen einer mittelbaren Diskriminierung geltend, dass die Urteile Vodafone Magyarország und Tesco-Global Áruházak, auf die sich Ungarn beziehe, progressive Umsatzsteuern beträfen, während die in der vorliegenden Rechtssache in Rede stehende zusätzliche Schürfgebühr weder eine Umsatzsteuer noch eine progressive Steuer darstelle. Insgesamt weise die Bestimmung des Anwendungsbereichs der Maßnahme, obwohl sie nicht auf einer formalen Unterscheidung aufgrund der Staatsangehörigkeit oder des Ortes der Niederlassung beruhe, offensichtlich diskriminierende oder schutzorientierte Züge auf und sei daher mit den Grundfreiheiten unvereinbar.
40. In seiner Gegenerwiderung macht Ungarn zum einen in Bezug auf die kumulativen Auswirkungen der beiden streitigen Verordnungen geltend, dass die Auslegung von § 1 Abs. 2 und 2a durch die Kommission insoweit falsch sei, als diese Bestimmung für Bergbaubetreiber gelte, die eine operative Gewinnung begönnen. Ungarn räumt ein, dass es angesichts des Wortlauts dieser Verordnungen nicht grundsätzlich ausgeschlossen sei, dass ein Bergbaubetreiber, der bereits auf dem Markt tätig sei und die Gewinnung an einem neuen Bergbaustandort beginne, unter diese Verordnungen falle. Unter den Bedingungen des ungarischen Marktes sei dies jedoch nicht realistisch, da die Betreiber, die die zusätzliche Schürfgebühr entrichteten, gegenwärtig nicht über Bergbaustandorte verfügten, auf die die Verordnung Nr. 405/2021 anwendbar sei. Selbst wenn ein Bergbaubetreiber, der diese Gebühr entrichte, die Einrichtung eines neuen Bergbaustandorts beantragen würde, gälte die Mindestabbaumenge für ihn nur in Bezug auf diesen neuen Standort.
41. Zum anderen entgegnet Ungarn, dass die zusätzliche Schürfgebühr eine stufenweise variable Steuer darstelle, da aufgrund der Umsatzschwelle bestimmte Unternehmen als steuerpflichtig angesehen würden und andere nicht. Unterstellt, dass diese Gebühr keinen progressiven Charakter habe, seien einige der aus den Urteilen Vodafone Magyarország und Tesco-Global Áruházak gewonnenen Erkenntnisse auf den vorliegenden Fall übertragbar, insbesondere die Tatsache, dass der Umsatz ein relevanter Indikator für die Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen sei. Da keine Gerichtsentscheidung existiere, nach der die Anwendbarkeit dieses Indikators im Fall einer stufenweise variablen Steuer ausgeschlossen sei, könne dieser Indikator somit die Bemessungsgrundlage für eine solche Steuer bilden. Schließlich sei eine der zusätzlichen Schürfgebühr ähnliche Steuer in der Richtlinie (EU) 2022/2523(13 ) vorgesehen, die Wirtschaftsteilnehmer betreffe, deren Umsatz, berechnet auf der Grundlage der vier Steuerjahre vor dem betreffenden Steuerjahr, eine bestimmte jährliche Höhe überschreite.
b) Würdigung
42. Mit ihrer ersten Rüge macht die Kommission im Wesentlichen geltend, dass Ungarn dadurch gegen seine Verpflichtungen aus Art. 49 AEUV verstoßen habe, dass es Rechtsvorschriften erlassen habe, die bewirkten, dass die Möglichkeit von in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Unternehmen, in Ungarn eine unter diese Vorschriften fallende Tätigkeit, nämlich den Bergbau, aufzunehmen oder fortzusetzen, beschränkt werde.
43. Genauer gesagt verstoßen nach Auffassung der Kommission zum einen die beiden streitigen Verordnungen, die eine Verpflichtung zur Entrichtung einer zusätzlichen Schürfgebühr bzw. eine Mindestabbauverpflichtung festlegten, sowohl jeweils für sich als auch zusammen gegen Art. 49 AEUV, da die zur Entrichtung dieser Gebühr verpflichteten Unternehmen – die fast alle von in anderen Mitgliedstaaten ansässigen Unternehmen kontrolliert würden – gezwungen seien, entweder ihre Erzeugnisse unter dem Marktpreis zu verkaufen oder diese besagte Gebühr zu entrichten, was – anders als bei Unternehmen, die diese Gebühr nicht entrichten müssten – ihren Gewinn erheblich schmälere oder sie sogar dazu zwinge, mit Verlust zu arbeiten, wobei dieser Effekt durch die Mindestabbauverpflichtung noch verstärkt werde. Zum anderen ermöglichten die Bestimmungen des Bergbaugesetzes dem Leiter der Bergbauaufsichtsbehörde im Wesentlichen, ähnliche Maßnahmen wie die in den beiden Verordnungen vorgesehenen zu beschließen und somit die Niederlassungsfreiheit zu beschränken.
44. Insoweit ist festzustellen, dass nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs als „Beschränkungen der freien Niederlassung“ im Sinne von Art. 49 AEUV alle Maßnahmen anzusehen sind, die die Ausübung dieser Freiheit unterbinden, behindern oder weniger attraktiv machen(14 ). Darüber hinaus umfasst die Niederlassungsfreiheit eine Verpflichtung zur Gleichbehandlung, die nicht nur offensichtliche Diskriminierungen aufgrund des Sitzes der Unternehmen verbietet, sondern auch alle versteckten Formen der Diskriminierung, die durch die Anwendung anderer Unterscheidungsmerkmale tatsächlich zu dem gleichen Ergebnis führen(15 ).
45. Im Licht dieser Grundsätze ist zu prüfen, ob die beiden streitigen Verordnungen einerseits und die §§ 27/A bis 27/C des Bergbaugesetzes andererseits eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit darstellen.
1) Zu den beiden streitigen Verordnungen
46. Zunächst ist zu prüfen, ob die beiden streitigen Verordnungen mit Blick auf ihre kumulativen Auswirkungen zu beurteilen sind, wie die Kommission ausführt, oder getrennt, wie Ungarn geltend macht. Zur Erinnerung: Die Kommission vertritt die Auffassung, dass die Verpflichtungen betreffend die Entrichtung der zusätzlichen Schürfgebühr und die Mindestabbaumenge „sowohl jeweils für sich als auch zusammen“ die Niederlassungsfreiheit beschränkten, ihre diesbezügliche Kritik formuliert die Kommission jedoch hauptsächlich mit Blick auf deren kumulative Auswirkungen(16 ).
47. Auch wenn die Parteien darin übereinstimmen, dass sich die sachlichen Anwendungsbereiche der beiden Verordnungen teilweise überschneiden (nämlich in Bezug auf die Gewinnung mineralischer Rohstoffe), sind sie unterschiedlicher Meinung darüber, ob ihre persönlichen Anwendungsbereiche ihre kumulative Anwendung auf ein und dieselben Unternehmen gestatten oder nicht. Es ist daher zu prüfen, ob die beiden Verordnungen zusammen angewandt werden dürfen, so dass ein nach der Verordnung Nr. 404/2021 zur Entrichtung einer zusätzlichen Schürfgebühr verpflichtetes Unternehmen zusätzlich nach der Verordnung Nr. 405/2021 der Mindestabbauverpflichtung unterworfen werden kann.
48. Insoweit ist zunächst festzustellen, dass sich aus § 1 Abs. 1 Buchst. a und b der Verordnung Nr. 405/2021 ergibt, dass die Mindestabbauverpflichtung nur denjenigen Bergbaubetreibern auferlegt wird, die, obwohl sie im Besitz eines technischen Betriebsplans für die Aufnahme der operativen Gewinnung waren, zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Verordnung die operative Gewinnung noch nicht „aufgenommen“ hatten. Diese neuen Betreiber unterlägen per definitionem nicht der Verpflichtung zur Entrichtung der zusätzlichen Schürfgebühr im Sinne der Verordnung Nr. 404/2021, da diese nach ihrem § 1 Abs. 1 für Unternehmen nur aufgrund ihrer bereits ausgeübten Haupttätigkeit und ihres im Jahr 2019 erzielten Umsatzes gilt.
49. Des Weiteren wird diese Feststellung meines Erachtens nicht durch das von der Kommission vorgebrachte Argument entkräftet, wonach § 1 Abs. 2 und 2a der Verordnung Nr. 405/2021, der die Bedingungen für die Reduzierung der Abbaumenge festlege, auf den „Bergbaubetreiber, der die operative Gewinnung … durchführt“ und damit nicht nur auf Unternehmen, die eine Bergbautätigkeit begönnen, abstelle. Wie Ungarn geltend macht, stünde eine solche Auslegung nämlich im Widerspruch zu anderen Bestimmungen, und zwar zum einen zu § 1 Abs. 2 Satz 2 dieser Verordnung, wonach „[d]er Bergbaubetreiber … seinen Antrag auf Reduzierung der Abbaumenge“ innerhalb einer in § 1 Abs. 1 dieser Verordnung festgelegten Frist „stellen [kann]“, der auf die „Aufnahme“ einer neuen operativen Gewinnung abstellt, und zum anderen zu § 1 Abs. 2 dieser Verordnung, der sich ebenfalls nur auf Bergbaubetreiber bezieht, die eine solche Gewinnung beginnen.
50. Vor diesem Hintergrund bin ich der Ansicht, dass die Kommission, die das Vorliegen der behaupteten Vertragsverletzung nachzuweisen und dem Gerichtshof die erforderlichen Anhaltspunkte zu liefern hat, die es diesem ermöglichen, das Vorliegen der Vertragsverletzung zu prüfen(17 ), ihrer Beweispflicht in Bezug auf die Möglichkeit einer kumulativen Anwendung der beiden streitigen Verordnungen nicht nachgekommen ist(18 ). Diese müssen daher für die Zwecke der vorliegenden Vertragsverletzungsklage getrennt geprüft werden.
i) Zur Verpflichtung zur Entrichtung der zusätzlichen Schürfgebühr gemäß der Verordnung Nr. 404/2021
51. Was erstens die Verpflichtung zur Entrichtung der zusätzlichen Schürfgebühr gemäß der Verordnung Nr. 404/2021 betrifft, trägt die Kommission – im Übrigen von Ungarn unbestritten – zum einen vor, dass die in § 1 Abs. 2 dieser Verordnung festgelegten Preise für alle dort genannten wesentlichen Ausgangsstoffe stets unter den Marktpreisen gelegen hätten, und zum anderen, dass von den 340 Unternehmen, die in Ungarn im betreffenden Sektor tätig seien, nur vier die Bedingungen erfüllten, die sie zur Entrichtung der zusätzlichen Schürfgebühr verpflichteten, und dass drei dieser Unternehmen im Eigentum von Unternehmen aus einem anderen Mitgliedstaat stünden. Zudem betrage der Anteil dieser vier Unternehmen am Markt für diese Stoffe etwa 25 %.
52. Auf der Grundlage dieser Feststellungen macht die Kommission zum einen geltend, dass die Gewinne der Unternehmen, die diese Gebühr entrichten müssten, aufgrund der Auswirkungen dieser Bestimmungen erheblich reduziert würden und dass sie möglicherweise mit Verlust arbeiten müssten, was die Vornahme von Investitionen sowohl für Unternehmen, die den Eintritt in den ungarischen Markt planten, als auch für Unternehmen, die bereits auf dem ungarischen Markt tätig seien, erschwere oder sogar unmöglich mache. Zum anderen führe die Verordnung Nr. 404/2021 zu einer mittelbaren Diskriminierung, da sie – mit einer Ausnahme – Unternehmen betreffe, die von in anderen Mitgliedstaaten ansässigen Unternehmen kontrolliert würden.
53. Ungarn hält dem entgegen, dass die Niederlassungsfreiheit nicht verletzt sei, weil die zusätzliche Schürfgebühr eine steuerliche Maßnahme darstelle, die auf neutralen Kriterien, wie insbesondere dem Umsatz, beruhe, und die Tatsache, dass die betroffenen Unternehmen von Unternehmen aus anderen Mitgliedstaaten kontrolliert würden, eine Folge der besonderen Struktur des ungarischen Marktes sei, auf dem die stärksten Unternehmen ausländische Unternehmen seien, ähnlich wie der Gerichtshof in den Urteilen Vodafone Magyarország und Tesco-Global Áruházak geurteilt habe.
54. Insoweit ist anzumerken, dass die Steuer, um die es in den vorgenannten Urteilen ging, eine umsatzbasierte progressive Steuer(19 ) war. Wie die Kommission in ihren Schriftsätzen ausführt, ist die zusätzliche Schürfgebühr jedoch nicht progressiv und vor allem nicht umsatzbasiert, da der Umsatz nicht zur Bestimmung der Bemessungsgrundlage dieser Gebühr, sondern lediglich zur Bestimmung der Unternehmen, die diese Gebühr zu entrichten haben, dient. Außerdem beruht diese Gebühr, die im Jahr 2021 für einen grundsätzlich begrenzten Zeitraum, nämlich für die Dauer der COVID‑19-Pandemie, eingeführt wurde, auf einem „starren“ Umsatz, nämlich dem im Jahr 2019 erzielten, auch wenn die zur Entrichtung dieser Gebühr verpflichteten Unternehmen diese mindestens bis zum Zeitpunkt der Erhebung der vorliegenden Vertragsverletzungsklage, d. h. bis zum 23. Februar 2024, weiterzahlen mussten.
55. Die zusätzliche Schürfgebühr gilt somit gegenwärtig und auch weiterhin, solange ihre Geltung verlängert wird, für dieselben vier Unternehmen, von denen drei von Unternehmen aus anderen Mitgliedstaaten kontrolliert werden, auch wenn ihr jeweiliger Umsatz den Schwellenwert von 3 Mrd. HUF (ca. 9,2 Mio. Euro) nicht mehr überschreitet. Hingegen müssen Unternehmen, deren Umsatz diesen Schwellenwert nach dem Jahr 2019 erreicht hat, diese Gebühr nicht entrichten. Die Kommission trägt jedoch – von Ungarn unbestritten – vor, dass die Unternehmen, die diese Gebühr nicht entrichteten, hauptsächlich im Eigentum ungarischer natürlicher oder juristischer Personen stünden.
56. Dementsprechend bin ich der Ansicht, dass die zusätzliche Schürfgebühr angesichts der in den beiden vorstehenden Nummern der vorliegenden Schlussanträge genannten Merkmale als eine nach Art. 49 AEUV verbotene mittelbare Diskriminierung anzusehen ist. Der Gerichtshof hat nämlich entschieden, dass eine Pflichtabgabe, die an ein scheinbar objektives Unterscheidungskriterium anknüpft, aber aufgrund ihrer Merkmale in den meisten Fällen Gesellschaften benachteiligt, die ihren Sitz in einem anderen Mitgliedstaat haben und sich in einer vergleichbaren Situation wie die Gesellschaften mit Sitz in dem die Abgabe erhebenden Mitgliedstaat befinden, eine solche verbotene Diskriminierung ist(20 ).
57. Da sich die erhobene Gebühr auf 90 % beläuft, also fast auf die gesamte Summe der Differenz zwischen dem Verkaufspreis bestimmter wesentlicher Ausgangsstoffe und dem Referenzpreis, der nach gesicherter Erkenntnis unter den Marktpreisen liegt, macht sie meines Erachtens die Ausübung der Niederlassungsfreiheit weniger attraktiv, wenn nicht gar unmöglich, da sie die Rentabilität der von den abgabenpflichtigen Unternehmen getätigten Investitionen zunichtemachen kann(21 ).
58. Folglich stellen die Bestimmungen der Verordnung Nr. 404/2021 meines Erachtens sowohl eine mittelbare Diskriminierung als auch eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit im Sinne von Art. 49 AEUV dar.
ii) Zur Mindestabbauverpflichtung gemäß der Verordnung Nr. 405/2021
59. Was zweitens die in der Verordnung Nr. 405/2021 vorgesehene Mindestabbauverpflichtung betrifft, ist zu prüfen, ob eine solche Verpflichtung isoliert betrachtet, d. h. ohne Berücksichtigung der kumulativen Auswirkungen, die sie zusammen mit der zusätzlichen Schürfgebühr hat, als Beschränkung der Niederlassungsfreiheit angesehen werden kann.
60. Meines Erachtens ist dies hier nicht der Fall.
61. Zunächst beschreibt die Kommission zwar in Bezug auf die Unternehmen, die bereits auf dem ungarischen Markt tätig sind , mehrfach die Auswirkungen dieser Verordnung und betont, dass sie bedeute, dass die ihr unterfallenden Unternehmen verpflichtet seien, eine Mindestabbaumenge aufrechtzuerhalten, auch wenn sie gezwungen seien, mit Verlust zu arbeiten , was voraussetze, dass sie zur Entrichtung der zusätzlichen Schürfgebühren verpflichtet seien. Da jedoch nicht nachgewiesen wurde, dass diese beiden Verpflichtungen für ein und dasselbe Unternehmen nebeneinander bestehen, scheint dieser letzte Umstand nicht gegeben zu sein.
62. Was des Weiteren die Unternehmen betrifft, die die Aufnahme einer Bergbautätigkeit in Ungarn planen, d. h. die einzigen Unternehmen, für die meines Erachtens eindeutig feststeht, dass sie unter die Verordnung Nr. 405/2021 fallen, beschränkt sich die Kommission auf die allgemeine Aussage, dass die fraglichen Vorschriften den Zugang zum ungarischen Markt erschwerten. Es trifft zwar zu, dass diese Unternehmen verpflichtet wären, innerhalb eines Jahres das in dieser Verordnung vorgeschriebene Produktionsniveau zu erreichen, aber diese Anforderung gilt für alle neuen Wirtschaftsteilnehmer (inländische und ausländische), was de facto jede Beeinträchtigung der Niederlassungsfreiheit ausschließt. Jedenfalls hat die Kommission keinerlei Anhaltspunkte dafür geliefert, dass die von der Mindestabbauverpflichtung betroffenen Unternehmen hauptsächlich aus anderen Mitgliedstaaten stammten.
63. Schließlich bezieht sich die Kommission auf das Urteil AGET Iraklis, das die Freiheit betrifft, den Umfang der von einem Unternehmen in einen Aufnahmemitgliedstaat ausgeweiteten Tätigkeit zu verringern, und daher meines Erachtens hauptsächlich Unternehmen betrifft, die bereits auf dem Markt eines solchen Mitgliedstaats tätig sind. Außerdem steht dieses Urteil in einem besonderen Kontext, da es sich auf eine nationale Regelung bezieht, die einer Verwaltungsbehörde die Befugnis verleiht, nach Würdigung der Bedingungen auf dem Arbeitsmarkt, der wirtschaftlichen Verhältnisse des Unternehmens und der Belange der nationalen Wirtschaft Massenentlassungen in einem griechischen Unternehmen, das von einem französischen multinationalen Konzern kontrolliert wird, zu untersagen. Es darf jedoch nicht außer Acht gelassen werden, dass die Verordnung Nr. 405/2021 in einem völlig anderen Regelungskontext steht, da sie lediglich ein Gesetz ändert, das bereits Bestimmungen enthielt, um die Deckung des ungarischen Bedarfs an Rohstoffen sicherzustellen. Andernfalls könnte jede steuerliche Maßnahme, die in die ausschließliche Zuständigkeit eines Mitgliedstaates fällt, wie die Verwaltung von mineralischen Ressourcen, die in ihren natürlichen Vorkommen nicht unbegrenzt und aus diesem Grund ausschließliches Eigentum des Staates sind, potenziell in Frage gestellt werden, da sie die Ausübung der Niederlassungsfreiheit weniger attraktiv machen könnte.
64. Nach dem Vorstehenden bin ich der Ansicht, dass die Kommission nicht nachgewiesen hat, inwiefern die Mindestabbauverpflichtung eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit im Sinne von Art. 49 AEUV darstellt.
2) Zu den §§ 27/A bis 27/C des Bergbaugesetzes
65. Drittens und letztens ist in Bezug auf die §§ 27/A bis 27/C des Bergbaugesetzes anzumerken, dass die Kommission lediglich ausführt, dass diese Bestimmungen „ähnliche Maßnahmen“ wie die in den beiden streitigen Verordnungen vorgesehenen enthielten.
66. Hierzu ist festzustellen, dass diese Bestimmungen nur einen allgemeinen Rahmen vorgeben, der durch verschiedene Verordnungen, die gegebenenfalls vom Leiter der Bergbauaufsichtsbehörde erlassen werden, präzisiert werden muss. Aus den Schriftsätzen der Parteien ergibt sich jedoch, dass die vorgenannten Bestimmungen noch nie umgesetzt wurden.
67. Zwar entspricht die in diesen Bestimmungen vorgesehene Regelung in ihren Grundzügen der in den beiden streitigen Verordnungen vorgesehenen Regelung. Da in § 27/C des Bergbaugesetzes jedoch keine Referenzpreise festgelegt sind, steht – anders als bei der Verordnung Nr. 404/2021 – nicht fest, dass diese unter den Marktpreisen liegen. Ebenso wird in § 27/C – anders als in der vorgenannten Verordnung – der Umsatz, der für die Ermittlung der zur Entrichtung der zusätzlichen Schürfgebühr verpflichteten Unternehmen maßgeblich ist, nicht auf der starren Grundlage eines bestimmten Steuerjahres festgesetzt, sondern es wird auf das „zweite Steuerjahr vor Eintritt der Situation, die eine Marktüberwachungsmaßnahme rechtfertigt“, abgestellt, so dass im Lauf der Zeit verschiedene Unternehmen zahlungspflichtig werden können.
68. Die Auswirkungen der im Zusammenhang mit der Verordnung Nr. 404/2021 festgestellten Beschränkung der Niederlassungsfreiheit scheinen sich somit möglicherweise mittelbar auf die §§ 27/A bis 27/C des Bergbaugesetzes auswirken zu können, sofern diese Bestimmungen in Zukunft so umgesetzt werden sollten, dass die bedenklichen Aspekte dieser Verordnung abgebildet werden. Gegenwärtig kann allerdings im Zusammenhang mit diesen Bestimmungen keine Vertragsverletzung festgestellt werden.
69. Der Gerichtshof hat zwar, wie die Kommission ausführt, entschieden, dass auch dann, wenn die Behörden eines Mitgliedstaats eine unionsrechtswidrige nationale Vorschrift nicht anwenden, die Rechtssicherheit verlangt, dass diese Bestimmung geändert wird(22 ). Diese Rechtsprechung setzt jedoch voraus, dass feststeht, dass die betreffende Bestimmung unionsrechtswidrig ist, was bei den §§ 27/A bis 27/C nicht der Fall ist.
70. Nach dem Vorstehenden schlage ich als Schlussfolgerung vor, dass die Kommission das Vorliegen einer Beschränkung der Niederlassungsfreiheit nur in Bezug auf die Verpflichtung zur Entrichtung einer zusätzlichen Schürfgebühr gemäß der Verordnung Nr. 404/2021 nachgewiesen hat. Somit ist zu prüfen, ob diese Beschränkung dennoch gerechtfertigt sein kann.
2. Zur möglichen Rechtfertigung der Beschränkung der Niederlassungsfreiheit
a) Vorbringen der Parteien
71. In ihrer Klageschrift führt die Kommission aus, dass Ungarn in seiner Antwort auf die mit Gründen versehene Stellungnahme mehrere zwingende Gründe des Allgemeininteresses angeführt habe. In Bezug auf die Verordnung Nr. 404/2021, die Gegenstand der vorliegenden Prüfung sei, habe Ungarn die folgenden Gründe angeführt: Ankurbelung der Wirtschaft, Schutz der nationalen Wirtschaft und ihrer wichtigsten Sektoren (im Folgenden zusammen: Ankurbelung der Wirtschaft); Versorgungssicherheit; Erhaltung und Sicherung des Wohnungsbauprogramms; Notwendigkeit der Bekämpfung von Marktstörungen und Aufrechterhaltung eines fairen Handelsverkehrs; Bekämpfung unlauterer Preisbildungspraktiken und Schutz der Empfänger von Dienstleistungen(23 ).
72. Was als Erstes die Ankurbelung der Wirtschaft betrifft, argumentiert die Kommission, dass nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs solche wirtschaftlichen Ziele keine zwingenden Gründe des Allgemeininteresses darstellten, die eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit rechtfertigen könnten, auch nicht in einer Ausnahmesituation wie einer Förderung zur Ankurbelung der Wirtschaft nach der COVID‑19-Pandemie.
73. Was als Zweites die drei Ziele betrifft, die in der Erhaltung und Sicherung des Wohnungsbauprogramms, der Notwendigkeit der Bekämpfung von Marktstörungen und der Bekämpfung unlauterer Preisbildungspraktiken bestehen, so enthalten diese Ziele nach Ansicht der Kommission vage Begriffe, die sich nur schwer von den oben genannten wirtschaftlichen Zielen trennen lassen. In Bezug auf diese Ziele habe sich Ungarn nämlich darauf beschränkt, allgemein auf die ungünstige Marktentwicklung infolge der COVID‑19-Pandemie und das Bestehen eines Mangels an wesentlichen Ausgangsstoffen der Bauwirtschaft auf dem ungarischen Markt zu verweisen(24 ).
74. Als Drittes und Letztes erkennt die Kommission an, dass sowohl die Versorgungssicherheit als auch der Schutz der Verbraucher und der Empfänger von Dienstleistungen theoretisch zwingende Gründe des Allgemeininteresses seien, die vom Unionsrecht anerkannt würden. Daher schlägt sie vor, mit Blick auf diese beiden Ziele zu prüfen, ob die in der Verordnung Nr. 404/2021 vorgesehene zusätzliche Schürfgebühr geeignet sei, diese Ziele zu erreichen, und ob sie als verhältnismäßig angesehen werden könne.
75. Erstens führt die Kommission in Bezug auf die Versorgungssicherheit aus, dass der Gerichtshof zwar entschieden habe, dass ein solches Ziel nur geltend gemacht werden könne, wenn eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliege, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühre, er aber auch festgestellt habe, dass das Ziel, die Versorgungssicherheit für den Bausektor, insbesondere auf lokaler Ebene, in Bezug auf bestimmte Grundrohstoffe, nämlich Kies, Sand und Ton, die aus einer Abbautätigkeit stammten, zu gewährleisten, nicht einem „Grundinteresse der Gesellschaft“ entspreche(25 ).
76. Zunächst habe Ungarn nicht nachgewiesen, dass eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung der Versorgung mit den im vorliegenden Fall betroffenen Erzeugnissen vorliege. Selbst wenn das Abbauniveau in diesem Mitgliedstaat unzureichend sei, spreche nichts dagegen, diese Produkte zu importieren, um mögliche Produktionsverluste in Ungarn auszugleichen(26 ). Zudem habe die ungarische Regierung die Ausfuhr dieser Produkte auch nicht eingeschränkt.
77. Des Weiteren sei die fragliche Regelung offensichtlich nicht geeignet, die Versorgungssicherheit zu gewährleisten, da der für die Produzenten bestehende Zwang, ihre Erzeugnisse zu Preisen unterhalb der Marktpreise (und damit sogar mit Verlust) zu verkaufen, die finanzielle Stabilität der betroffenen Unternehmen langfristig beeinträchtige und sie dazu veranlasse, ihre Tätigkeit auf dem ungarischen Markt einzustellen. Selbst wenn man davon ausgehe, dass die Festlegung des amtlichen Preises die Versorgungssicherheit verbessere, würden dennoch 75 % der Produktion nicht unter diese Vorgabe fallen, was ein weiterer Beleg dafür sei, dass diese Regelung nicht geeignet sei, das erklärte Ziel zu erreichen.
78. Darüber hinaus habe Ungarn in seiner Antwort auf die mit Gründen versehene Stellungnahme zum einen angegeben, dass die betreffende Regelung zu einer Stabilisierung des Preisniveaus für Rohstoffe und wesentliche Ausgangsstoffe der Bauwirtschaft bzw. sogar zu einem Rückgang dieser Preise um etwa 10 % bis zum Herbst des Jahres 2021 geführt habe. Die ungarischen Behörden hätten diese Behauptung jedoch nicht nur nicht belegt, vielmehr zeigten die Preisindizes für die betreffenden Erzeugnisse nach den dem Statistischen Zentralamt vorliegenden Daten bis 2023 einen recht konstanten Anstieg. Zudem ist es nach Ansicht der Kommission unmöglich, die Auswirkungen der Verordnung Nr. 404/2021 auf das Preisniveau der wesentlichen Ausgangsstoffe der Bauwirtschaft zu bestimmen, da diese Verordnung nur 25 % des Marktes für die betreffenden Erzeugnisse abdecke. Zum anderen habe Ungarn vorgetragen, dass der Abbau der vorgenannten Stoffe in der ersten Hälfte des Jahres 2020 erheblich zurückgegangen sei und dass es in der zweiten Hälfte des Jahres 2021 wieder einen Anstieg der Produktion gegeben habe, was eine Folgewirkung eben dieser Verordnung gewesen sei. Angesichts der vom Statistischen Zentralamt bereitgestellten Daten sei jedoch nicht erwiesen, dass der Erlass der in Rede stehenden ungarischen Regelung zu einem Anstieg der Produktion im Bereich der Bauwirtschaft oder des Abbaus der fraglichen Stoffe geführt habe.
79. Was schließlich die Verhältnismäßigkeit betreffe, so habe Ungarn nicht erläutert, warum die Versorgungssicherheit nicht durch die Niederlassungsfreiheit in geringerem Maße beschränkende Maßnahmen habe gewährleistet werden können, z. B. durch die Überwachung der Marktsituation oder die Bildung von Reserven auf staatlicher Ebene oder in einzelnen Unternehmen.
80. Zweitens führt die Kommission in Bezug auf den Schutz der Empfänger von Dienstleistungen in ihrer Klageschrift aus, Ungarn habe geltend gemacht, dass die Marktmacht der von der zusätzlichen Schürfgebühr betroffenen Unternehmen ein relevanter Aspekt für die Beurteilung der Angemessenheit und Verhältnismäßigkeit der fraglichen Maßnahmen sei und dass die Voraussetzungen für die Anwendbarkeit dieser Gebühr, wie der Schwellenwert für den Nettoumsatz, auf Unternehmen abzielten, die über eine ausreichende Marktmacht verfügten, um die Produktion zu beschränken und die Verkaufspreise künstlich hoch zu halten.
81. Insoweit merkt die Kommission zunächst an, dass, wenn das wahre Ziel der zusätzlichen Schürfgebühr die Bekämpfung der Erzielung außergewöhnlicher Gewinne sei, es schwer zu verstehen sei, warum sie auf eine sehr kleine Anzahl von Unternehmen beschränkt sei, die in diesem Sektor tätig seien.
82. Des Weiteren habe Ungarn keineswegs nachgewiesen, dass die „großen Unternehmen“ über eine derartige Marktmacht verfügten, dass sie die Marktbedingungen verzerren könnten. Die marktverzerrenden Auswirkungen, die Ungarn beschreibe, wie etwa unlautere Preisbildungspraktiken, seien dem Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung im Sinne von Art. 102 AEUV vergleichbar und müssten gegebenenfalls unter Anwendung des Wettbewerbsrechts angegangen werden. Der Umsatz eines Unternehmens sei kein hinreichender Beweis für eine marktbeherrschende Stellung oder hohe Gewinne. Diesbezüglich seien bei der ungarischen Wettbewerbsbehörde Verfahren gegen Unternehmen des betroffenen Sektors anhängig. Da diese Behörde Maßnahmen gegen Unternehmen ergreifen könne, die zum Nachteil der Verbraucher stark überhöhte Preise verlangten, sind nach Ansicht der Kommission die Erforderlichkeit, die Geeignetheit und die Verhältnismäßigkeit der im vorliegenden Fall in Rede stehenden Regelung offensichtlich fraglich.
83. Schließlich betont die Kommission, dass die Verordnung Nr. 404/2021 nicht nur für die wenigen Unternehmen gelte, die die fragliche Gebühr zu entrichten hätten, da § 1 Abs. 3 der Verordnung alle Wirtschaftsteilnehmer verpflichte, eine „angemessene Gewinnspanne“ zu erzielen. Gemäß § 1 Abs. 4 der Verordnung könne die nationale Steuer- und Zollbehörde ein steuerrechtliches Verwaltungsverfahren einleiten, wenn ein Verkäufer, der die Gebühr nicht zu entrichten habe, eine Preispolitik betreibe, mit der die Erzielung eines unangemessenen Gewinns verfolgt werde. Die letztgenannte Bestimmung sehe somit zur Erreichung des Ziels, unangemessene Gewinne zu verhindern, eine weniger einschneidende Maßnahme als die Auferlegung der fraglichen Gebühr vor. Die ungarischen Behörden hätten nicht erläutert, warum es nicht ausreichend sei, diese Maßnahme auf alle Marktteilnehmer anzuwenden. Die Besteuerung des Gewinns erscheine als weniger restriktive Maßnahme als die Verpflichtung, ein Preisniveau einzuhalten, das deutlich unter den Marktpreisen und den Produktionskosten liege.
84. Ungarn bestreitet zwar, dass sich aus der Verordnung Nr. 404/2021 eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit ergebe, fügt aber hinzu, dass eine solche Beschränkung, sofern sie überhaupt vorliege, durch legitime Ziele des Allgemeininteresses gerechtfertigt sei. Konkret wendet sich Ungarn in seiner Klagebeantwortung gegen die Einschätzung der Kommission, dass die angeführten Gründe einem rein wirtschaftlichen Ziel dienten und daher keinen zwingenden Grund des Allgemeininteresses darstellten. Vielmehr dienten sie gerade den Interessen der Bevölkerung, der Verbraucher und der Nutzer von Dienstleistungen, indem sie zum einen die Verfügbarkeit ausreichender Mengen von Rohstoffen für die Bauindustrie und zum anderen angemessene Preise durch lautere und nicht missbräuchliche Preisbildungspraktiken gewährleisteten.
85. Die negativen wirtschaftlichen Auswirkungen in der Zeit zwischen 2020 und 2021, die auf die COVID‑19-Pandemie zurückzuführen gewesen seien, seien durch die Geschäftspolitik einiger Marktteilnehmer noch verschärft worden. Die Preise für Bergbauprodukte seien in den vergangenen fünf Jahren um durchschnittlich 20 % gestiegen. Im selben Zeitraum hätten die größten Marktteilnehmer im Bereich der Gewinnung von Kies-Sand-Gemischen nicht nur ihren Umsatz, sondern auch ihr Ergebnis nach Steuern deutlich gesteigert. Sie hätten also zusätzliche Gewinne erzielt, indem sie von der extrem gestiegenen Nachfrage anderer Mitglieder der Bauwirtschaftskette profitiert hätten.
86. In diesem Zusammenhang macht Ungarn in Bezug auf die Verordnung Nr. 404/2021 geltend, dass die Wahl des Umsatzkriteriums impliziere, dass die zur Entrichtung der zusätzlichen Schürfgebühr verpflichteten Unternehmen diejenigen seien, die über eine ausreichende Marktmacht verfügten, um die Preise der verkauften Erzeugnisse künstlich hoch zu halten. Mit dieser Regelung würden unter anderem zwei Ziele verfolgt, die insbesondere die Versorgungssicherheit und den Schutz der Empfänger von Dienstleistungen beträfen.
87. Was erstens die Versorgungssicherheit betrifft, argumentiert Ungarn, dass die Versorgungssicherheit im Bausektor ein grundlegendes Interesse der Gesellschaft darstellen könne(27 ). Es sei nicht erforderlich, wie von der Kommission gefordert, Beweise für einen Mangel der betreffenden Erzeugnisse auf dem ungarischen Markt zu erbringen, da auch die Wahrscheinlichkeit einer Gefährdung der Versorgungssicherheit als legitimes Ziel angesehen werden könne, wenn es Anhaltspunkte dafür gebe, dass die Versorgungssicherheit in der Bauindustrie bedroht sein könnte. Die Mitgliedstaaten müssten die Möglichkeit haben, geeignete und verhältnismäßige Präventivmaßnahmen zu ergreifen.
88. In Bezug auf das Vorbringen der Kommission zur offensichtlichen Ungeeignetheit der Verordnung Nr. 404/2021 zur Gewährleistung der Versorgungssicherheit weist Ungarn darauf hin, dass nach § 1 Abs. 3 der Verordnung auch Unternehmen, die nicht der zusätzlichen Schürfgebühr unterlägen (und die für 75 % der Produktion verantwortlich seien), verpflichtet seien, das in dieser Verordnung festgelegte Preisniveau zu berücksichtigen und eine „angemessene Gewinnspanne“ anzustreben.
89. Was zweitens den Schutz der Empfänger von Dienstleistungen betrifft , führt Ungarn aus, dass in Bezug auf die Marktpreise das Regulierungsinstrument für große Unternehmen die Verpflichtung zur Entrichtung der zusätzlichen Schürfgebühr und für kleine Unternehmen die Verpflichtung bezüglich einer angemessenen Gewinnspanne sei. Alle Marktteilnehmer seien somit zu fairen Preisbildungspraktiken verpflichtet, aber bei der Regulierung werde nach der Marktmacht dieser Unternehmen differenziert. Die zusätzliche Schürfgebühr sei durch die Steuerautonomie der Mitgliedstaaten gerechtfertigt, die auch vom Gerichtshof anerkannt sei(28 ). Zudem wäre die Verhältnismäßigkeit gerade dann gefährdet, wenn die Verpflichtung zur Entrichtung der zusätzlichen Schürfgebühr für alle Marktteilnehmer gälte und nicht nur für diejenigen, die die Last der Verpflichtung aufgrund ihrer Wirtschaftskraft tragen könnten. Schließlich entgegnet Ungarn, dass im Rahmen von Wettbewerbsverfahren gegen bereits erfolgte Verstöße gegen das Wettbewerbsrecht vorgegangen werden könne, diese aber nur von begrenztem Nutzen seien, um solche Verstöße zu verhindern. Außerdem könne das Wettbewerbsrecht, selbst wenn es eine Lösung für unlautere Preisbildungspraktiken böte, nicht dazu herangezogen werden, die Verfügbarkeit ausreichender Mengen von wesentlichen Ausgangsstoffen der Bauwirtschaft zu gewährleisten.
b) Würdigung
90. Vorab ist festzustellen, dass nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs eine Beschränkung einer durch den AEU-Vertrag verbürgten Grundfreiheit nur zulässig ist, wenn die betreffende nationale Maßnahme einem zwingenden Grund des Allgemeininteresses entspricht, wenn sie geeignet ist, die Erreichung des mit ihr verfolgten Ziels zu gewährleisten, und wenn sie nicht über das hinausgeht, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist(29 ). Innerstaatliche Vorschriften, die nicht unterschiedslos auf alle Dienstleistungen ohne Rücksicht auf deren Ursprung anwendbar und somit diskriminierend sind, können nämlich nur aufgrund einer abweichenden Bestimmung oder aus Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt sein, die im Vertrag genannt sind(30 ). In diesem Kontext ist eine nationale Regelung nur dann geeignet, die Verwirklichung des geltend gemachten Ziels zu gewährleisten, wenn sie tatsächlich dem Anliegen gerecht wird, es in kohärenter und systematischer Weise zu erreichen(31 ). Dem betreffenden Mitgliedstaat obliegt der Nachweis, dass diese Voraussetzung erfüllt ist(32 ). Die Rechtfertigungsgründe, auf die sich ein Mitgliedstaat berufen kann, müssen von einer Untersuchung zur Geeignetheit und Verhältnismäßigkeit der von diesem Mitgliedstaat erlassenen Maßnahme sowie von genauen Angaben zur Stützung seines Vorbringens begleitet sein(33 ).
91. Was das Vorliegen eines zwingenden Grundes des Allgemeininteresses betrifft, der geeignet ist, die Beschränkung der Niederlassungsfreiheit durch die Verordnung Nr. 404/2021 zu rechtfertigen, ist für den vorliegenden Fall erstens festzustellen, dass nach den Ausführungen in den Schriftsätzen Ungarns diese Rechtsvorschrift primär den Schutz oder die Ankurbelung der Wirtschaft bezweckte, wobei sich dieses Ziel auch im Titel dieser Verordnung selbst wiederfindet, nämlich in der Formulierung „über die zusätzliche Schürfgebühr zur Ankurbelung der Wirtschaft“. Genauer gesagt soll die Verordnung aus Gründen der Versorgungssicherheit und des Verbraucherschutzes erlassen worden sein, um sicherzustellen, dass wesentliche Ausgangsstoffe der Bauwirtschaft in ausreichender Menge und zu nicht missbräuchlichen Preisen zur Verfügung stehen. Diese Gründe beruhen letztlich auf den angeblichen kumulativen Auswirkungen der ungünstigen Marktentwicklung infolge der COVID‑19-Pandemie und eines Mangels an den genannten Stoffen, der zumindest teilweise von den größten Unternehmen in diesem Sektor entweder verursacht oder ausgenutzt worden sein soll, die dadurch außergewöhnliche Gewinne erzielt hätten.
92. Insoweit sieht Art. 52 Abs. 1 AEUV vor, dass eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit gerechtfertigt sein kann. Dennoch können nach ständiger Rechtsprechung rein wirtschaftliche Gründe, die mit der Förderung der nationalen Wirtschaft oder deren gutem Funktionieren verbunden sind, keine Beeinträchtigungen der in den Verträgen verbürgten Grundfreiheiten rechtfertigen(34 ). Daraus folgt, dass im vorliegenden Fall die verschiedenen von Ungarn angeführten, recht abstrakten Ziele, wie in Nr. 71 der vorliegenden Schlussanträge dargelegt, rein wirtschaftlicher Natur sind und keine Gründe darstellen können, die die in Rede stehende Beschränkung der Niederlassungsfreiheit rechtfertigen können.
93. Zweitens ist festzustellen, dass der Gerichtshof anerkannt hat, dass wirtschaftliche Überlegungen, mit denen ein im Allgemeininteresse liegendes Ziel verfolgt wird, oder die Gewährleistung einer Dienstleistung von allgemeinem Interesse einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses darstellen können, der eine Beschränkung einer der in den Verträgen verbürgten Grundfreiheiten rechtfertigen kann. Die Mitgliedstaaten bestimmen zwar im Wesentlichen weiterhin frei nach ihren nationalen Bedürfnissen, was die öffentliche Ordnung und Sicherheit erfordern, doch sind diese Gründe, wenn sie eine Ausnahme von einer Grundfreiheit rechtfertigen, eng zu verstehen, so dass ihre Tragweite nicht von jedem Mitgliedstaat einseitig ohne Nachprüfung durch die Organe der Union bestimmt werden kann. So können die öffentliche Ordnung und Sicherheit nur geltend gemacht werden, wenn eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliegt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Diese Gründe dürfen überdies nicht von ihrer eigentlichen Funktion losgelöst und in Wirklichkeit für wirtschaftliche Zwecke geltend gemacht werden(35 ).
94. Im Licht dieser Kriterien sind die mit der Verordnung Nr. 404/2021 verfolgten Ziele, nämlich die Versorgungssicherheit und der Schutz der Empfänger von Dienstleistungen, zu prüfen.
95. So hat der Gerichtshof zum einen speziell zur Versorgungssicherheit entschieden, dass ein solches Ziel nur geltend gemacht werden kann, wenn eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliegt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt(36 ). Im Fall von Unternehmen, die in den Bereichen Erdöl, Telekommunikation und Elektrizität tätig sind und Gemeinwohldienstleistungen erbringen, hat der Gerichtshof entschieden, dass das Ziel, im Krisenfall die Versorgung mit solchen Produkten oder die Erbringung solcher Dienstleistungen im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats sicherzustellen, einen Grund der öffentlichen Sicherheit darstellen und somit gegebenenfalls eine Beeinträchtigung einer Grundfreiheit rechtfertigen kann. Dem Gerichtshof zufolge „entspricht“ jedoch eine Maßnahme mit dem „Ziel, die Versorgungssicherheit für den Bausektor, insbesondere auf lokaler Ebene, in Bezug auf bestimmte Grundrohstoffe, nämlich Kies, Sand und Ton, die aus einer Abbautätigkeit stammen, zu gewährleisten, … nicht in gleicher Weise wie das Ziel der Versorgungssicherheit in den Bereichen Erdöl, Telekommunikation und Elektrizität einem ‚Grundinteresse der Gesellschaft‘“(37 ). Die Erkenntnisse aus dem Urteil Xella Magyarország, das sich gerade auf den ungarischen Bausektor bezog, lassen sich leicht auf den vorliegenden Fall anwenden.
96. Da das Bestehen eines solchen Mangels an wesentlichen Ausgangsstoffen der Bauwirtschaft die Grundlage für die Rechtfertigung aller von der Kommission beanstandeten Maßnahmen bildet, darf Ungarn ferner nicht, wie es dies im Wesentlichen tut, die Erbringung eines Nachweises für das Bestehen eines solchen Mangels verweigern. Eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit ist nämlich nur dann zulässig, wenn sie aus einem zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt und verhältnismäßig ist, was bedeutet, dass sie geeignet sein muss, die Erreichung der verfolgten Zielsetzung in kohärenter und systematischer Weise zu gewährleisten, und nicht über das hinausgehen darf, was hierzu erforderlich ist. Dem betreffenden Mitgliedstaat obliegt der Nachweis, dass diese kumulativen Voraussetzungen erfüllt sind(38 ). Was insbesondere die erste dieser Voraussetzungen anbelangt, muss dieser Mitgliedstaat konkret anhand der Umstände des Einzelfalls beweisen, dass die fraglichen Bestimmungen gerechtfertigt sind(39 ). Der diesbezügliche Vortrag Ungarns, den die Kommission unter Berufung auf Daten des ungarischen Statistischen Zentralamts bzw. der Bergbauaufsichtsbehörde bestreitet, scheint mir jedoch das Bestehen eines solchen Mangels nicht zu belegen. Soweit Ungarn argumentiert, dass es den Mitgliedstaaten angesichts der bloßen Wahrscheinlichkeit einer Gefährdung der Versorgungssicherheit möglich sein müsse, Präventivmaßnahmen zu ergreifen, ist darauf hinzuweisen, dass sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs ergibt, dass Gründe der öffentlichen Ordnung und Sicherheit nur geltend gemacht werden können, wenn eine tatsächliche, gegenwärtige und hinreichend schwere Gefährdung vorliegt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt(40 ).
97. Unterstellt, dass ein solcher Mangel an wesentlichen Ausgangsstoffen der Bauwirtschaft bestanden hat, bin ich jedenfalls – wie die Kommission – der Auffassung, dass die zusätzliche Schürfgebühr nicht geeignet erscheint, die Erreichung der Ziele im Zusammenhang mit der Versorgungssicherheit und dem Verbraucherschutz in kohärenter und systematischer Weise zu gewährleisten, da sie für nur 25 % des Marktes für diese Stoffe gilt, während die restlichen 75 % zu Preisen verkauft werden können, die über den in der Verordnung Nr. 404/2021 festgelegten Preisen liegen. Die Verpflichtung, eine angemessene Gewinnspanne anzustreben, die § 1 Abs. 3 und 4 dieser Verordnung den Unternehmen auferlegt, die diese 75 % der Stoffe verkaufen, scheint mir hingegen zu unkonkret, um dieses Ergebnis in Frage zu stellen.
98. Darüber hinaus könnte, wie die Kommission ausführt, die Verpflichtung zur Entrichtung der zusätzlichen Schürfgebühr die betroffenen Unternehmen dazu veranlassen, diese zusätzlichen Kosten an die Verbraucher weiterzugeben, was letztlich eine Erhöhung der von den Verbrauchern zu zahlenden Preise zur Folge hätte.
99. Außerdem würde eine solche Gebühr, selbst wenn sie eine Lösung für die angeblich missbräuchlichen Preise böte, nicht sicherstellen, dass diese Stoffe in ausreichender Menge zur Verfügung stehen.
100. Schließlich bin ich – ebenso wie die Kommission – der Ansicht, dass Ungarn keine konkreten Ausführungen dazu gemacht hat, wie die Aufrechterhaltung einer bestimmten Mindestabbaumenge bei wesentlichen Ausgangsstoffen der Bauwirtschaft die Erreichung des Ziels des Umweltschutzes gewährleisten soll.
101. Daher können die von Ungarn vorgebrachten Gründe meines Erachtens die in Nr. 70 der vorliegenden Schlussanträge festgestellte Beschränkung der Niederlassungsfreiheit nicht rechtfertigen.
102. Nach dem Vorstehenden schlage ich dem Gerichtshof vor, der ersten Rüge teilweise stattzugeben und festzustellen, dass Ungarn mit dem Erlass von Bestimmungen über die Entrichtung einer zusätzlichen Schürfgebühr in der Verordnung Nr. 404/2021 gegen seine Verpflichtungen aus Art. 49 AEUV verstoßen hat.
B. Zur zweiten Rüge: Verstoß gegen Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2015/1535
103. Im Rahmen ihrer zweiten Rüge beantragt die Kommission festzustellen, dass Ungarn dadurch gegen seine Verpflichtungen aus Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2015/1535 verstoßen hat, dass es der Kommission den Entwurf der Verordnung Nr. 404/2021 und der §§ 27/A bis 27/C des Bergbaugesetzes nicht übermittelt hat.
1. Vorbringen der Parteien
104. Die Kommission macht in ihrer Klageschrift geltend, dass sowohl die Verordnung Nr. 404/2021 als auch die §§ 27/A bis 27/C des Bergbaugesetzes in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2015/1535 fielen und ihr daher nach Art. 5 Abs. 1 dieser Richtlinie jeweils als Entwurf hätten übermittelt werden müssen. Insbesondere stellten die vorgenannten nationalen Vorschriften „technische Vorschriften“ im Sinne von Art. 1 Abs. 1 Buchst. f der genannten Richtlinie dar und entsprächen nicht zuletzt dem Begriff der „sonstigen Vorschrift“ im Sinne von Art. 1 Abs. 1 Buchst. d der genannten Richtlinie. Die Verordnung und die besagten gesetzlichen Bestimmungen hätten nämlich rechtsverbindlichen Charakter und beeinflussten die Vermarktung von Rohstoffen und wesentlichen Ausgangsstoffen der Bauwirtschaft, indem sie zum einen amtliche Preise für diese Erzeugnisse festlegten und zum anderen die Unternehmen, die diese Erzeugnisse vermarkteten, zur Entrichtung der zusätzlichen Schürfgebühr verpflichteten, sofern sie sie zu einem Preis verkauften, der über dem amtlichen Preis liege. Diese Gebühr habe somit eine erhebliche Auswirkung auf diese Erzeugnisse sowie auf ihre Vermarktung.
105. Zur Unterstützung ihrer Auslegung verweist die Kommission auf ihren Leitfaden zur Richtlinie 2015/1535 (im Folgenden: Leitfaden)(41 ), wonach der Begriff der „sonstigen Vorschrift“ Vorschriften umfasse, „die sich auf den Lebenszyklus eines Erzeugnisses auswirken – vom Inverkehrbringen über die Handhabung bis zur Beseitigung des durch das Erzeugnis entstandenen Abfalls“, wobei diese Vorschriften geeignet sein müssten, die Zusammensetzung oder die Art des Erzeugnisses oder seine Vermarktung wesentlich zu beeinflussen.
106. Darüber hinaus könnten sich die von Ungarn angeführten Ziele des Allgemeininteresses nicht auf die Anwendung der Richtlinie 2015/1535 auswirken, die es der Kommission und den Mitgliedstaaten gerade ermöglichen solle, rechtzeitig vor dem Erlass einer nationalen Vorschrift auf einen Entwurf einer technischen Vorschrift zu reagieren, die das Funktionieren des Binnenmarkts beeinträchtigen könnte.
107. Ungarn wiederholt zunächst seinen in der Antwort auf die mit Gründen versehene Stellungnahme geäußerten Standpunkt, wonach die Bestimmungen der Verordnung Nr. 404/2021 nicht unter den Begriff der „sonstigen Vorschrift“ im Sinne der Richtlinie 2015/1535 fielen, da sie zum einen nicht den Lebenszyklus des Erzeugnisses nach seinem Inverkehrbringen beträfen und zum anderen keine Vorschriften für den Gebrauch dieses Erzeugnisses enthielten. Die Verpflichtung zur Entrichtung einer zusätzlichen Schürfgebühr stelle nämlich eine steuerrechtliche Vorschrift dar, die nicht unter den Begriff der „technischen Vorschrift“ im Sinne von Art. 1 Abs. 1 Buchst. f Unterabs. 2 Ziff. iii und Art. 5 Abs. 1 letzter Unterabsatz dieser Richtlinie falle. Ungarn verweist insoweit darauf, dass nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs, insbesondere nach dem Urteil Admiral Sportwetten, steuerrechtliche Vorschriften, die von keiner technischen Spezifikation oder sonstigen Vorschrift begleitet würden, nicht als „technische De-facto-Vorschriften“ eingestuft werden könnten(42 ).
108. Ferner vertritt Ungarn in Bezug auf die §§ 27/A bis 27/C des Bergbaugesetzes die Auffassung, dass sie einen bloßen Regelungsrahmen für Maßnahmen bildeten, die nur dann erlassen werden könnten, wenn eine Situation eintrete, die eine Marktüberwachungsmaßnahme rechtfertigen könne. Denn diese Bestimmungen könnten nicht isoliert angewandt werden, da ihre Umsetzung den Erlass weiterer Durchführungsrechtsakte erfordere. Mangels eines spezifischen technischen Inhalts dieser Bestimmungen könne Ungarn keine Notifizierungspflicht auferlegt werden.
109. Schließlich widerspricht Ungarn dem in der Klageschrift dargelegten Standpunkt der Kommission betreffend die Festlegung amtlicher Preise durch die streitige nationale Regelung. Insoweit stellten die in § 1 der Verordnung Nr. 404/2021 festgelegten Verkaufspreise keine amtlichen Preise dar. Vielmehr seien sie ein Referenzwert für die Festlegung der Verpflichtung zur Entrichtung der Gebühr.
110. In ihrer Erwiderung relativiert die Kommission den Teil ihrer Argumentation betreffend die Festlegung amtlicher Preise, indem sie bestätigt, dass die Verordnung Nr. 404/2021 die betroffenen Unternehmen zwar nicht dazu verpflichte, ihre Erzeugnisse zu den darin festgelegten Preisen zu verkaufen, dass aber die Differenz, die die Unternehmen bei Überschreitung dieser Preise als zusätzliche Schürfgebühr zu entrichten hätten, so erheblich sei, dass sie die Festlegung der Verkaufspreise entscheidend beeinflusse, so dass die in der Verordnung festgelegten Preise de facto amtlichen Preisen entsprächen.
111. Was das Urteil Admiral Sportwetten angeht, das Ungarn in seiner Klagebeantwortung zur Unterstützung seiner Ausführungen zur steuerrechtlichen Natur der streitigen Bestimmungen anführt, äußert die Kommission Zweifel an dessen Anwendbarkeit auf den vorliegenden Fall, da das Urteil eine Rechtssache betreffe, in der es um eine Steuer gehe, während die zusätzliche Schürfgebühr nicht als eine solche angesehen werden könne.
112. Außerdem schließe in Bezug auf die §§ 27/A bis 27/C des Bergbaugesetzes der Umstand, dass diese Bestimmungen nur bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen oder auf der Grundlage einer amtlichen Entscheidung anwendbar seien, nicht aus, dass sie „sonstige Vorschriften“ im Sinne der Richtlinie 2015/1535 darstellen könnten.
2. Würdigung
113. Mit ihrer zweiten Rüge macht die Kommission geltend, dass ihr die Verordnung Nr. 404/2021 und die §§ 27/A bis 27/C des Bergbaugesetzes gemäß Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2015/1535 hätten übermittelt werden müssen.
114. Somit ist das Vorbringen der Kommission inhaltlich zu überprüfen, um zu beurteilen, ob die vorgenannte Verordnung und die vorgenannten gesetzlichen Bestimmungen tatsächlich unter den Begriff der „sonstigen Vorschrift“ im Sinne dieser Richtlinie fallen. Zu diesem Zweck halte ich es angesichts ihres unterschiedlichen Inhalts für angebracht, diese Vorschriften getrennt zu prüfen.
a) Zur Pflicht zur Notifizierung der Verordnung Nr. 404/2021
115. Erstens macht die Kommission in Bezug auf die Verordnung Nr. 404/2021 geltend, dass diese Verordnung unter den Begriff der „sonstigen Vorschrift“ im Sinne der Richtlinie 2015/1535 falle und daher der in dieser Richtlinie vorgesehenen Notifizierungspflicht unterliege.
116. Vorab ist festzustellen, dass Art. 5 Abs. 1 Unterabs. 1 dieser Richtlinie den Mitgliedstaaten im Wesentlichen die Verpflichtung auferlegt, unverzüglich jeden Entwurf einer technischen Vorschrift zu übermitteln. Nach Art. 1 Abs. 1 Buchst. f dieser Richtlinie gelten als technische Vorschrift u. a. „technische Spezifikationen oder sonstige Vorschriften oder Vorschriften betreffend Dienste …, deren Beachtung rechtlich oder de facto für das Inverkehrbringen … in einem Mitgliedstaat oder in einem großen Teil dieses Staates verbindlich ist, sowie … die Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten, mit denen Herstellung, Einfuhr, Inverkehrbringen oder Verwendung eines Erzeugnisses … verboten werden“. Mit anderen Worten: Aus dem Wortlaut dieser Bestimmung ergibt sich, dass zwischen vier Kategorien von Maßnahmen unterschieden wird, die als „technische Vorschrift“ im Sinne dieser Richtlinie angesehen werden können, darunter die „sonstige Vorschrift“(43 ).
117. Der Begriff der „sonstigen Vorschrift“ wird in Art. 1 Abs. 1 Buchst. d der Richtlinie 2015/1535 definiert als „eine Vorschrift für ein Erzeugnis, die keine technische Spezifikation ist und insbesondere zum Schutz der Verbraucher oder der Umwelt erlassen wird und den Lebenszyklus des Erzeugnisses nach dem Inverkehrbringen betrifft, wie Vorschriften für Gebrauch, Wiederverwertung, Wiederverwendung oder Beseitigung, sofern diese Vorschriften die Zusammensetzung oder die Art des Erzeugnisses oder seine Vermarktung wesentlich beeinflussen können“.
118. Diese Bestimmung enthält somit fünf kumulative Voraussetzungen, nämlich dass die Vorschrift erlassen wird (erste Voraussetzung ), und zwar für ein Erzeugnis (zweite Voraussetzung ), insbesondere zum Schutz der Verbraucher oder der Umwelt (dritte Voraussetzung ), und dass sie den Lebenszyklus des Erzeugnisses nach dem Inverkehrbringen betrifft (vierte Voraussetzung ), sofern diese Vorschriften die Vermarktung dieses Erzeugnisses wesentlich beeinflussen können (fünfte Voraussetzung ).
119. Es ist daher zu prüfen, ob diese Voraussetzungen im vorliegenden Fall erfüllt sind.
120. Was die erste Voraussetzung betrifft, ist diese meines Erachtens erfüllt, da aus den beim Gerichtshof eingereichten Verfahrensunterlagen hervorgeht, dass die Verordnung Nr. 404/2021 zweifellos rechtsverbindlichen Charakter hat. § 1 Abs. 1 der Verordnung legt nämlich zum einen einen Referenzpreis für den Verkauf der in § 1 Abs. 2 der Verordnung aufgeführten wesentlichen Ausgangsstoffe der Bauwirtschaft fest und verpflichtet zum anderen die in § 1 Abs. 1 der Verordnung genannten Unternehmen zur Entrichtung einer zusätzlichen Schürfgebühr für den Fall, dass sie beim Verkauf ihrer Erzeugnisse einen Preis anwenden, der den in § 1 Abs. 2 der Verordnung festgelegten Preis übersteigt.
121. In Bezug auf die zweite Voraussetzung, die ausdrücklich verlangt, dass die betreffende Vorschrift „für ein Erzeugnis erlassen “ wird, ist festzustellen, dass eine nationale Maßnahme nur dann als „sonstige Vorschrift“ eingestuft werden kann, wenn sie eine Vorschrift darstellt, die die Vermarktung des betreffenden Erzeugnisses wesentlich beeinflussen kann. Eine Vorschrift, die nicht hinsichtlich des betreffenden Erzeugnisses erlassen wird, sondern hinsichtlich der potenziellen Käufer oder hinsichtlich der Wirtschaftsteilnehmer, die diese Erzeugnisse verkaufen, kann hingegen nicht unter diesen Begriff fallen(44 ).
122. Folglich könnte im vorliegenden Fall, wenn man einer strengen Lesart von Art. 1 Abs. 1 Buchst. d der Richtlinie 2015/1535 den Vorzug geben wollte, die Verordnung Nr. 404/2021 nicht als „sonstige Vorschrift“ eingestuft werden, da sie Referenzpreise für den Verkauf von wesentlichen Ausgangsstoffen der Bauwirtschaft festlegt, ohne deren Anwendung für diese Erzeugnisse vorzuschreiben . Die zusätzliche Schürfgebühr, die bei Überschreitung dieser Preise vorgeschrieben wird, stellt hingegen eine Verpflichtung dar, die die von dieser Verordnung erfassten Unternehmen trifft, aber nicht unmittelbar für das betreffende Erzeugnis vorgeschriebenwird.
123. Dennoch bin ich der Ansicht, dass in diesem speziellen Fall und ausnahmsweise eine weiter gefasste Auslegung dieser Vorschrift angezeigt ist, um auch den Auswirkungen einer nationalen Regelung auf die betreffenden Erzeugnisse Rechnung zu tragen. Wie die Kommission bin ich der Ansicht, dass die in § 1 Abs. 2 der genannten Verordnung festgelegten Referenzpreise für den Verkauf von wesentlichen Ausgangsstoffen der Bauwirtschaft de facto vorgeschrieben werden, auch wenn sie formal gesehen keine amtlichen Preise darstellen. Denn die zusätzliche Schürfgebühr, die die in § 1 Abs. 1 genannten Unternehmen zu entrichten haben, wenn sie beschließen, ihre Produkte zu höheren als den in der Verordnung festgelegten Preisen zu verkaufen, stellt de facto eine Form von Strafe dar. Diese Gebühr bedeutet die Verpflichtung, einen Betrag in Höhe von 90 % der Differenz zwischen dem tatsächlichen Umsatz dieser Unternehmen und dem auf der Grundlage der verkauften Menge und des Referenzpreises ermittelten Umsatz zu zahlen, so dass diese Unternehmen so gut wie kein Interesse mehr daran haben, ihre eigenen Preise anzuwenden. Ganz im Gegenteil, für sie besteht ein Anreiz, die Referenzpreise anzuwenden, um nicht „bestraft“ zu werden, so dass diese Referenzpreise de facto amtlichen Preisen gleichkommen. Auch wenn somit die genannten Preise nach dem Wortlaut der Verordnung Nr. 404/2021 keine amtlichen Preise sind, so sind sie dennoch – da sie für den Verkauf der oben genannten Erzeugnisse de facto vorgeschrieben werden – als „für“ die wesentlichen Ausgangsstoffe der Bauwirtschaft „erlassene Vorschriften“ im Sinne der Richtlinie 2015/1535 anzusehen.
124. Diese von mir vorgeschlagene Auslegung wird auch durch die mit dieser Richtlinie verfolgten Ziele gestützt. Wie der Gerichtshof festgestellt hat, soll diese Richtlinie nach ständiger Rechtsprechung durch eine vorbeugende Kontrolle den freien Warenverkehr schützen, der zu den Grundlagen der Union gehört, und ist diese Kontrolle insofern sinnvoll, als unter die Richtlinie 2015/1535 fallende technische Vorschriften möglicherweise Beschränkungen des Warenaustauschs zwischen Mitgliedstaaten darstellen, die nur zugelassen werden können, wenn sie notwendig sind, um zwingenden Erfordernissen zu genügen, mit denen ein im allgemeinen Interesse liegendes Ziel verfolgt wird(45 ). Wenn nun die Voraussetzung, dass die Vorschrift „für ein Erzeugnis erlassen“ werden muss, restriktiv ausgelegt würde, was zur Folge hätte, dass die Verordnung Nr. 404/2021 vom Anwendungsbereich dieser Richtlinie ausgeschlossen würde, wäre dies ein übertriebener Formalismus. Gleichzeitig würde ein solcher Ansatz die Gefahr einer Umgehung der Richtlinie 2015/1535 bergen, da es ausreichen würde, die für die Erzeugnisse erlassenen Vorschriften formal nicht verpflichtend auszugestalten, d. h. dass die insoweit vorgeschriebene Verpflichtung nicht ausdrücklich aus dem Wortlaut des Gesetzes hervorgeht, damit diese Vorschriften nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie fallen. Eine solche formale Betrachtung würde der Richtlinie offensichtlich ihre praktische Wirksamkeit nehmen.
125. In Bezug auf die dritte Voraussetzung, die sich auf die Gründe des Schutzes insbesondere der Verbraucher oder der Umwelt bezieht, aus denen eine „Vorschrift“ erlassen wird, ist festzustellen, dass die Kommission diesen Aspekt in ihrer Klageschrift zwar nicht behandelt, Ungarn jedoch als potenzielle Rechtfertigungsgründe für die ihm vorgeworfene Beschränkung der Niederlassungsfreiheit den Schutz der Empfänger von Dienstleistungen anführt. Unabhängig von der im Rahmen der ersten Rüge vorgenommenen Beurteilung kommt es darauf an, dass Ungarn die Verordnung Nr. 404/2021 aus den genannten Schutzgründen erlassen hat, so dass die dritte in dieser Bestimmung genannte Voraussetzung im vorliegenden Fall als erfüllt angesehen werden kann. Eine solche Auslegung wird durch die mit der Richtlinie 2015/1535 verfolgten Ziele bestätigt, die aus den bereits in Nr. 122 der vorliegenden Schlussanträge dargelegten Gründen für eine weite Auslegung dieser Richtlinie sprechen.
126. In Bezug auf die vierte Voraussetzung geht aus dem Wortlaut von Art. 1 Abs. 1 Buchst. d der Richtlinie 2015/1535 hervor, dass eine „sonstige Vorschrift“ den Lebenszyklus des betreffenden Erzeugnisses nach seinem Inverkehrbringen betreffen muss. Als Beispiel werden insbesondere Vorschriften für Gebrauch, Wiederverwertung, Wiederverwendung oder Beseitigung des Erzeugnisses genannt.
127. Hierzu ist festzustellen, dass Ungarn der Ansicht ist, dass die streitigen Bestimmungen nicht den Lebenszyklus des Erzeugnisses nach seinem Inverkehrbringen betreffen und auch keine Vorschrift für den Gebrauch des Erzeugnisses enthalten. Die Kommission hingegen geht nicht auf diesen Punkt ein. Sie erwähnt ihn nämlich weder in ihrer Klageschrift noch in ihrem Mahnschreiben an Ungarn oder ihrer mit Gründen versehenen Stellungnahme.
128. Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass es nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs in einem Vertragsverletzungsverfahren nach Art. 258 AEUV der Kommission obliegt, das Vorliegen der gerügten Vertragsverletzung nachzuweisen. Sie muss dem Gerichtshof die erforderlichen Anhaltspunkte liefern, anhand deren er das Vorliegen dieser Vertragsverletzung prüfen kann, wobei sie sich nicht auf irgendwelche Vermutungen stützen darf(46 ). Insbesondere muss die Klage der Kommission eine zusammenhängende und detaillierte Darlegung der Gründe enthalten, aus denen sie zu der Überzeugung gelangt ist, dass der betreffende Mitgliedstaat gegen eine der ihm nach Unionsrecht obliegenden Verpflichtungen verstoßen hat(47 ).
129. Was jedoch im vorliegenden Fall die Voraussetzung in Bezug auf den Lebenszyklus des Erzeugnisses nach seinem Inverkehrbringen betrifft, so drängt sich die Antwort auf die Frage, ob die streitigen Bestimmungen diese Voraussetzung erfüllen, nicht auf den ersten Blick auf. Zwar entsprechen diese Bestimmungen zur Preisbildung für die betreffenden Erzeugnisse nicht den in Art. 1 Abs. 1 Buchst. d der Richtlinie 2015/1535 ausdrücklich genannten Beispielkategorien, zu denen die Wiederverwertung, Wiederverwendung oder Beseitigung und der Gebrauch dieser Erzeugnisse gehören, die dem Leitfaden zufolge die wichtigsten Sonderfälle darstellen. In Bezug auf das letzte Beispiel, also die Vorschrift für den Gebrauch des betreffenden Erzeugnisses, ist nicht klar, ob eine Vorschrift für die Preisbildung dem Begriff „Gebrauch“ eines Erzeugnisses vergleichbar oder zumindest mit ihm verknüpft ist. Es ist auch nicht klar, ob eine solche Bestimmung für die Preisbildung den Lebenszyklus eines Erzeugnisses betrifft, der nach dem Leitfaden den Zeitraum vom Inverkehrbringen über die Handhabung bis zur Beseitigung des durch das Erzeugnis entstandenen Abfalls umfasst. Zudem ist anzumerken, dass die Festlegung des Preises für ein Erzeugnis meines Erachtens eher im Zeitpunkt seines Inverkehrbringens als danach erforderlich ist, ohne jedoch auszuschließen, dass dieser Preis Auswirkungen auf die Vermarktung nach dem Inverkehrbringen haben kann. Folglich bezieht sich der Wortlaut der Richtlinie 2015/1535 nicht ausdrücklich auf Preisbildungsmaßnahmen wie die hier in Rede stehenden oder auf diesen vergleichbare Maßnahmen. Auch enthält der Leitfaden kein diesen Maßnahmen entsprechendes Beispiel(48 ), so dass sich die Auslegung des Begriffs „sonstige Vorschrift“, um die der Gerichtshof ersucht wird, nicht eindeutig aufdrängt.
130. Es obliegt nämlich zum einen der Kommission, darzulegen, inwieweit die streitigen Bestimmungen den Lebenszyklus der betreffenden Erzeugnisse nach ihrem Inverkehrbringen betreffen, und zum anderen dem Gerichtshof, auf der Grundlage der ihm von der Kommission gelieferten rechtlichen und tatsächlichen Anhaltspunkte über das etwaige Vorliegen der gerügten Vertragsverletzung zu entscheiden. Der Gerichtshof kann daher nicht seine eigene Beurteilung an die Stelle derjenigen der Kommission setzen oder die Lücken in deren Argumentation ausfüllen. Daher bin ich der Ansicht, dass die Klageschrift nicht die Anforderungen erfüllt, die sich aus der in Nr. 129 der vorliegenden Schlussanträge dargelegten Rechtsprechung des Gerichtshofs ergeben.
131. In Bezug auf die fünfte Voraussetzung weise ich für den Fall, dass der Gerichtshof der Ansicht sein sollte, dass die Kommission rechtlich hinreichend nachgewiesen hat, dass die vierte Voraussetzung gleichwohl erfüllt ist, hilfsweise darauf hin, dass sich aus dem Wortlaut von Art. 1 Abs. 1 Buchst. d der Richtlinie 2015/1535 ergibt, dass diese „sonstige Vorschrift“ u. a. „die Vermarktung“ des betreffenden Erzeugnisses wesentlich beeinflussen können muss. Insoweit neige ich zu der Auffassung, dass im vorliegenden Fall die mit der Verordnung Nr. 404/2021 erlassenen Vorschriften die Vermarktung der wesentlichen Ausgangsstoffe der Bauwirtschaft tatsächlich beeinflussen, wobei der Einfluss zudem hinreichend unmittelbar und wesentlich ist(49 ). Es steht nämlich außer Frage, dass der Preis eines Erzeugnisses und seine Vermarktung untrennbar miteinander verknüpft sind. Insbesondere schränken die von Ungarn erlassenen Bestimmungen, d. h. die Festlegung von Referenzpreisen und die Auferlegung der zusätzlichen Schürfgebühr bei Nichteinhaltung dieser Preise, die Möglichkeit der unter die Verordnung fallenden Unternehmen, ihre Kosten und Gewinnspannen anzupassen, um rentabel zu bleiben, erheblich ein. Darüber hinaus wirkt sich die Art und Weise, wie ein Erzeugnis bepreist wird, unmittelbar auf die Marktdynamik aus, indem sie insbesondere das Verhalten potenzieller Käufer beeinflusst, deren Nachfrage in Abhängigkeit von den Preisschwankungen steigt oder sinkt. Daraus folgt, dass es einen engen Zusammenhang zwischen Maßnahmen der Preisbildung für Erzeugnisse, wie sie im vorliegenden Fall in Rede stehen, und der Vermarktung dieser Erzeugnisse gibt.
b) Zur Pflicht zur Notifizierung der § § 27/A bis 27/C des Bergbaugesetzes
132. Die Kommission argumentiert, dass die §§ 27/A bis 27/C des Bergbaugesetzes „sonstige Vorschriften“ im Sinne der Richtlinie 2015/1535 darstellten und ihr daher hätten übermittelt werden müssen. Abgesehen davon, dass die Tatsache, dass in diesem Gesetz kein Referenzpreis festgelegt ist, die Argumentation der Kommission tendenziell zusätzlich schwächt, beschränkt sich die Kommission einmal mehr auf allgemeine, recht übereilte und wenig fundierte Erwägungen, ohne zu erläutern, warum sie der Ansicht ist, dass diese Bestimmungen unter den Begriff der „sonstigen Vorschrift“ im Sinne dieser Richtlinie fielen.
133. Daher bin ich, wie in den Nrn. 130, 131 und 132 der vorliegenden Schlussanträge ausgeführt, der Ansicht, dass die Kommission nicht rechtlich hinreichend nachgewiesen hat, dass die Verordnung Nr. 404/2021 und die §§ 27/A bis 27/C des Bergbaugesetzes Regelungen enthalten, die unter den Begriff der „sonstigen Vorschrift“ im Sinne von Art. 1 Abs. 1 Buchst. d der Richtlinie 2015/1535 fallen, und schlage vor, die zweite Rüge insgesamt zurückzuweisen.
134. Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, festzustellen, dass Ungarn mit dem Erlass der Verordnung Nr. 404/2021 gegen seine Verpflichtungen aus Art. 49 AEUV verstoßen hat, und die Klage im Übrigen abzuweisen.
VI. Kosten
135. Gemäß Art. 138 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Gemäß Art. 138 Abs. 3 der Verfahrensordnung trägt, wenn jede Partei teils obsiegt, teils unterliegt, jede Partei ihre eigenen Kosten. Im vorliegenden Fall haben die Kommission und Ungarn jeweils beantragt, der anderen Partei des Verfahrens die Kosten aufzuerlegen. Nach dem vorgeschlagenen Ergebnis obsiegt die Kommission teilweise im Rahmen der ersten Rüge, während Ungarn im Rahmen der zweiten Rüge obsiegt. Daher erscheint es gerechtfertigt, jeder Partei ihre eigenen Kosten aufzuerlegen.
VII. Ergebnis
136. Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor,
– festzustellen, dass Ungarn mit dem Erlass der Regierungsverordnung Nr. 404/2021 über die zusätzliche Schürfgebühr zur Ankurbelung der Wirtschaft gegen seine Verpflichtungen aus Art. 49 AEUV verstoßen hat;
– die Klage im Übrigen abzuweisen;
– der Europäischen Kommission und Ungarn jeweils ihre eigenen Kosten aufzuerlegen.