Von Aktionären der Wirecard AG angemeldete Ansprüche sind keine einfachen Insolvenzforderungen

Von Aktionären der Wirecard AG angemeldete Ansprüche sind keine einfachen Insolvenzforderungen

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Mitteilung der Pressestelle


Nr. 211/2025

Von Aktionären der Wirecard AG angemeldete Ansprüche

sind keine einfachen Insolvenzforderungen

Urteil vom 13. November 2025 – IX ZR 127/24

Der unter anderem für das Insolvenzrecht zuständige IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat heute entschieden, dass Aktionäre einer insolventen Aktiengesellschaft mit ihren kapitalmarktrechtlichen Schadensersatzansprüchen nicht als einfache Insolvenzgläubiger an der Verteilung der Insolvenzmasse zu beteiligen sind.

Sachverhalt:

Die Wirecard AG war eine börsennotierte Aktiengesellschaft. Am 25. August 2020 eröffnete das Amtsgericht München – Insolvenzgericht – das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Gesellschaft und bestellte den Beklagten zu 1 zum Insolvenzverwalter. Daraufhin meldeten etwa 50.000 Aktionäre der Wirecard AG Schadensersatzforderungen aufgrund des Erwerbs der Aktien in Höhe von rund 8,5 Milliarden Euro zur Insolvenztabelle an. Die Beklagte zu 2 ist die gemeinsame Vertreterin von Gläubigern einer von der Wirecard AG ausgegebenen Schuldverschreibung über 500 Millionen Euro, die ebenfalls Forderungen zur Insolvenztabelle angemeldet haben. Mit den Ansprüchen weiterer Gläubiger sind insgesamt Forderungen in Höhe von rund 15,4 Milliarden Euro zur Tabelle angemeldet. Die derzeit vorhandene Insolvenzmasse beträgt etwa 650 Millionen Euro.

Die Klägerin ist eine deutsche Kapitalanlagegesellschaft. Sie erwarb im Zeitraum vom 1. Januar 2015 bis zum 12. Juni 2020 Aktien der Wirecard AG auf dem Sekundärmarkt und verkaufte diese zum großen Teil wieder. Am 18. Juni 2020 hielt die Klägerin noch 73.345 Aktien der Wirecard AG. Sie meint, ihr stünden kapitalmarktrechtliche Schadensersatzansprüche gegen die Gesellschaft zu. Die Wirecard AG habe ein tatsächlich nicht vorhandenes Geschäftsmodell vorgetäuscht und über ihre Vermögens-, Finanz- und Ertragslage getäuscht. Bei Kenntnis der wahren Sachlage hätte die Klägerin keine Aktien erworben.

Die Klägerin meldete deshalb Ansprüche in Höhe von insgesamt 9.836.098,79 Euro als einfache Insolvenzforderungen nach § 38 InsO zur Insolvenztabelle an. Im Prüfungstermin vom 15. April 2021 bestritten der Beklagte zu 1 und die Beklagte zu 2 die von der Klägerin angemeldeten Forderungen. Sie meinen, dass es sich bei den Ansprüchen der Klägerin nicht um einfache Insolvenzforderungen handele. Die Aktionäre seien mit ihren Ansprüchen aus dem täuschungsbedingten Erwerb der Aktien nachrangig gegenüber den übrigen Insolvenzgläubigern. Ihre Forderungen seien nur zu berücksichtigen, soweit bei Beendigung des Insolvenzverfahrens ein Überschuss vorhanden sei.

Die Klägerin hat Klage auf Feststellung ihrer Forderungen zur Insolvenztabelle erhoben. Der Beklagte zu 1 hat eine Zwischenfeststellungswiderklage erhoben, mit der er festgestellt wissen möchte, dass es sich bei den Forderungen der Klägerin um Ansprüche handelt, die allein im Rahmen einer Überschussverteilung nach § 199 Satz 2 InsO berücksichtigt werden können.

Bisheriger Prozessverlauf:

Das Landgericht hat die Klage und die Widerklage abgewiesen. Hiergegen haben die Klägerin und der Beklagte zu 1 Berufung eingelegt.

Das Oberlandesgericht hat die Berufung des Beklagten zu 1 durch Teilurteil zurückgewiesen und auf die Berufung der Klägerin ein Zwischenurteil erlassen. Darin hat das Oberlandesgericht ausgesprochen, dass die Klage zulässig sei und die Klägerin ihre kapitalmarktrechtlichen Schadensersatzforderungen als Insolvenzforderungen nach § 38 InsO geltend machen könne.

Mit ihrer vom Oberlandesgericht zugelassenen Revision verfolgen die Beklagten ihren Antrag auf Klageabweisung weiter, der Beklagte zu 1 zudem seine Zwischenfeststellungswiderklage.

Entscheidung des Bundesgerichtshofs:

Die insgesamt zulässige Revision der Beklagten hat überwiegend Erfolg.

Die Revision ist auch insoweit zulässig, als das Oberlandesgericht im Zwischenurteil über die insolvenzrechtliche Einordnung der Ansprüche der Klägerin entschieden hat. Der Sache nach hat das Oberlandesgericht trotz der Bezeichnung als Zwischenurteil ein mit der Revision anfechtbares Zwischenfeststellungsurteil gemäß § 256 Abs. 2 ZPO getroffen. Die Einordnung von Ansprüchen als Insolvenzforderungen stellt ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis dar.

Hinsichtlich der Zwischenfeststellung ist die Revision begründet. Die von der Klägerin zur Tabelle angemeldeten Forderungen stellen keine einfachen Insolvenzforderungen gemäß § 38 InsO dar. Kapitalmarktrechtliche Schadensersatzansprüche der Aktionäre sind derart mit der Stellung als Aktionär verknüpft, dass sie in der Insolvenz der Gesellschaft hinter den Forderungen einfacher Insolvenzgläubiger gemäß § 38 InsO zurücktreten. Da nur eine Forderungsanmeldung im Rang des § 38 InsO im Streit war, bedurfte es keiner Entscheidung, ob die Forderungen gemäß § 199 Satz 2 InsO erst nach einer Schlussverteilung aus dem verbleibenden Überschuss zu bedienen oder ob sie in entsprechender Anwendung im Rang des § 39 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 InsO als nachrangige Insolvenzgläubiger zu befriedigen sind.

Die Insolvenzordnung enthält – soweit es um die Befriedigung aus dem Vermögen der insolventen Gesellschaft geht – eine Verteilungsordnung und zugleich eine Rangordnung. Der Gesetzgeber ordnet Forderungen der Gesellschafter im Rang hinter den einfachen Insolvenzgläubigern des § 38 InsO ein, wenn die Forderungen hinreichend mit der Beteiligung an der Gesellschaft verknüpft sind. Das ist hier der Fall.

Aktionäre, die von bewusst unwahren, kursrelevanten Ad-hoc-Mitteilungen der Vorstandsmitglieder über die Geschäftsentwicklung der Gesellschaft vorsätzlich zum Erwerb von Aktien veranlasst wurden, können von der Gesellschaft Erstattung des gezahlten Kaufpreises gegen Übertragung der Aktien oder – sofern diese wegen zwischenzeitlicher Veräußerung nicht mehr vorhanden sind – gegen Anrechnung des Veräußerungspreises verlangen. In der Insolvenz der Gesellschaft sind solche Ansprüche der Aktionäre nachrangig gegenüber einfachen Insolvenzgläubigern. Im Insolvenzfall betrifft die Durchsetzung der kapitalmarktrechtlichen Schadensersatzansprüche nicht mehr die Haftung der Gesellschaft, sondern einen Verteilungskonflikt zwischen Fremdgläubigern und den an der Gesellschaft beteiligten Gläubigern. In diesem Verteilungskonflikt weist die Gläubigerstellung der Aktionäre die notwendige Nähe zur Beteiligung an der Gesellschaft auf.

Ein kapitalmarktrechtlicher Schadensersatzanspruch eines Aktionärs unterscheidet sich grundlegend von Ansprüchen einfacher Insolvenzgläubiger. Er entsteht nur aufgrund der Beteiligung als Aktionär. Wirtschaftlich kompensiert er die – täuschungsbedingt – fehlgeschlagene Investition in eine eigene Geschäftstätigkeit, nämlich die der Gesellschaft, an der sich der Aktionär beteiligt. Bei der Haftung gegenüber der Klägerin geht es daher um den Ausgleich von Schäden, die notwendig mit ihrer Aktionärsstellung zusammenhängen. Die insolvenzrechtliche Rangfolge setzt solche auf den Erwerb der Aktie bezogene Forderungen hinter diejenigen der einfachen Insolvenzgläubiger nach § 38 InsO zurück. Für einen Gleichrang mit einfachen Insolvenzgläubigern genügt es auch nicht, die Täuschung der Aktionäre in den Blick zu nehmen, weil dies ausblendet, dass Zweck des Rechtsgeschäfts der Erwerb einer Beteiligung an der Gesellschaft war. Der Aktionär hat daher die mit seiner Stellung verbundenen Risiken zu tragen.

Hinsichtlich des Ausspruchs über die Zulässigkeit der Klage und über die Zwischenfeststellungswiderklage des Beklagten zu 1 bleibt die Revision ohne Erfolg. Die Zwischenfeststellungswiderklage des Beklagten zu 1 ist unzulässig. Sie geht – soweit sie den Rang des § 38 InsO verneint – nicht über eine Abweisung der Hauptsacheklage hinaus. Für eine Feststellung, dass die Forderungen der Klägerin allein im Rahmen der Überschussverteilung berücksichtigt werden können, besteht kein Rechtsschutzinteresse.

Der Bundesgerichtshof konnte insgesamt eine Entscheidung über die Sache treffen. Der Bundesgerichtshof hat das Berufungsurteil aufgehoben, soweit das Oberlandesgericht festgestellt hatte, dass die Klägerin die zur Tabelle angemeldeten kapitalmarktrechtlichen Schadensersatzforderungen als Insolvenzforderungen nach § 38 InsO geltend macht. Er hat das Urteil des Landgerichts, das die Klage auf Feststellung der Forderungen der Klägerin zur Insolvenztabelle abgewiesen hatte, insoweit wiederhergestellt. In Bezug auf die Zwischenfeststellungswiderklage des Beklagten zu 1 hat der Bundesgerichtshof die Revision zurückgewiesen.

Vorinstanzen:

Landgericht München I – Urteil vom 23.11.2022 – 29 O 7754/21

Oberlandesgericht München – Urteil vom 17.09.2024 – 5 U 7318/22 e

Die maßgeblichen Vorschriften lauten:

§ 256 ZPO Feststellungsklage

(1) Auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses, auf Anerkennung einer Urkunde oder auf Feststellung ihrer Unechtheit kann Klage erhoben werden, wenn der Kläger ein rechtliches Interesse daran hat, dass das Rechtsverhältnis oder die Echtheit oder Unechtheit der Urkunde durch richterliche Entscheidung alsbald festgestellt werde.

(2) Bis zum Schluss derjenigen mündlichen Verhandlung, auf die das Urteil ergeht, kann der Kläger durch Erweiterung des Klageantrags, der Beklagte durch Erhebung einer Widerklage beantragen, dass ein im Laufe des Prozesses streitig gewordenes Rechtsverhältnis, von dessen Bestehen oder Nichtbestehen die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil abhängt, durch richterliche Entscheidung festgestellt werde.

§ 38 InsO Begriff der Insolvenzgläubiger

Die Insolvenzmasse dient zur Befriedigung der persönlichen Gläubiger, die einen zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründeten Vermögensanspruch gegen den Schuldner haben (Insolvenzgläubiger).

§ 39 InsO Nachrangige Insolvenzgläubiger

(1) Im Rang nach den übrigen Forderungen der Insolvenzgläubiger werden in folgender Rangfolge, bei gleichem Rang nach dem Verhältnis ihrer Beträge, berichtigt:

[…]

5. nach Maßgabe der Absätze 4 und 5 Forderungen auf Rückgewähr eines Gesellschafterdarlehens oder Forderungen aus Rechtshandlungen, die einem solchen Darlehen wirtschaftlich entsprechen.

[…]

(4) Absatz 1 Nr. 5 gilt für Gesellschaften, die weder eine natürliche Person noch eine Gesellschaft als persönlich haftenden Gesellschafter haben, bei der ein persönlich haftender Gesellschafter eine natürliche Person ist. Erwirbt ein Gläubiger bei drohender oder eingetretener Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft oder bei Überschuldung Anteile zum Zweck ihrer Sanierung, führt dies bis zur nachhaltigen Sanierung nicht zur Anwendung von Absatz 1 Nr. 5 auf seine Forderungen aus bestehenden oder neu gewährten Darlehen oder auf Forderungen aus Rechtshandlungen, die einem solchen Darlehen wirtschaftlich entsprechen.

(5) Absatz 1 Nr. 5 gilt nicht für den nicht geschäftsführenden Gesellschafter einer Gesellschaft im Sinne des Absatzes 4 Satz 1, der mit 10 Prozent oder weniger am Haftkapital beteiligt ist.

§ 199 InsO Überschuss bei der Schlussverteilung

Können bei der Schlussverteilung die Forderungen aller Insolvenzgläubiger in voller Höhe berichtigt werden, so hat der Insolvenzverwalter einen verbleibenden Überschuss dem Schuldner herauszugeben. Ist der Schuldner keine natürliche Person, so hat der Verwalter jeder am Schuldner beteiligten Person den Teil des Überschusses herauszugeben, der ihr bei einer Abwicklung außerhalb des Insolvenzverfahrens zustünde.

Karlsruhe, den 13. November 2025


Pressestelle des Bundesgerichtshofs
76125 Karlsruhe
Telefon (0721) 159-5013
Telefax (0721) 159-5501

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