C-373/24 – Ramavić

C-373/24 – Ramavić

CURIA – Documents

Language of document : ECLI:EU:C:2025:842

Vorläufige Fassung

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Sechste Kammer)

30. Oktober 2025(*)

„ Vorlage zur Vorabentscheidung – Sozialpolitik – Richtlinie 2003/88/EG – Schutz der Sicherheit und der Gesundheit der Arbeitnehmer – Art. 1 Abs. 3 – Art. 2 Abs. 1 – Begriff ‚Arbeitszeit‘ – Tätigkeiten von Staatsanwälten – Richtlinie 89/391/EWG – Art. 2 Abs. 2 – Besonderheiten bestimmter spezifischer Tätigkeiten im öffentlichen Dienst – Bereitschaftszeit am Arbeitsplatz und Bereitschaftsdienst in Form von Rufbereitschaft außerhalb der Arbeitszeit – Art. 31 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union – Gerechte und angemessene Arbeitsbedingungen “

In der Rechtssache C‑373/24 [Ramavić](i)

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Općinski sud u Puli-Pola (Gemeindegericht Pula, Kroatien) mit Entscheidung vom 3. Mai 2024, beim Gerichtshof eingegangen am 24. Mai 2024, in dem Verfahren

NI

gegen

Republika Hrvatska

erlässt

DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)

unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin I. Ziemele (Berichterstatterin) sowie der Richter A. Kumin und S. Gervasoni,

Generalanwalt: J. Richard de la Tour,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        der Republik Kroatien, vertreten durch A. Marjanović als Bevollmächtigte,

–        der kroatischen Regierung, vertreten durch G. Vidović Mesarek als Bevollmächtigte,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Mataija und D. Recchia als Bevollmächtigte,

aufgrund der nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Entscheidung, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 1 Abs. 3 und Art. 2 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (ABl. 2003, L 299, S. 9), von Art. 2 der Richtlinie 89/391/EWG des Rates vom 12. Juni 1989 über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer bei der Arbeit (ABl. 1989, L 183, S. 1) sowie von Art. 31 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta).

2        Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen NI, einer stellvertretenden Staatsanwältin des Općinsko državno odvjetništvo u Puli-Pola (Gemeindestaatsanwaltschaft Pula, Kroatien), und der Republika Hrvatska (Republik Kroatien), vertreten durch das Općinsko državno odvjetništvo u Rijeci (Gemeindestaatsanwaltschaft Rijeka, Kroatien), wegen der Bezahlung von NI für während Bereitschaftszeiten an ihrem Arbeitsplatz sowie während Bereitschaftszeiten in Form von Rufbereitschaft geleistete Stunden.

 Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

 Richtlinie 89/391

3        Art. 2 der Richtlinie 89/391 sieht vor:

„(1)      Diese Richtlinie findet Anwendung auf alle privaten oder öffentlichen Tätigkeitsbereiche (gewerbliche, landwirtschaftliche, kaufmännische, verwaltungsmäßige sowie dienstleistungs- oder ausbildungsbezogene, kulturelle und Freizeittätigkeiten usw.).

(2)      Diese Richtlinie findet keine Anwendung, soweit dem Besonderheiten bestimmter spezifischer Tätigkeiten im öffentlichen Dienst, z. B. bei den Streitkräften oder der Polizei, oder bestimmter spezifischer Tätigkeiten bei den Katastrophenschutzdiensten zwingend entgegenstehen.

In diesen Fällen ist dafür Sorge zu tragen, dass unter Berücksichtigung der Ziele dieser Richtlinie eine größtmögliche Sicherheit und ein größtmöglicher Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer gewährleistet ist.“

 Richtlinie 2003/88

4        In Art. 1 („Gegenstand und Anwendungsbereich“) der Richtlinie 2003/88 heißt es:

„(1)      Diese Richtlinie enthält Mindestvorschriften für Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeitszeitgestaltung.

(2)      Gegenstand dieser Richtlinie sind

a)      die täglichen und wöchentlichen Mindestruhezeiten, der Mindestjahresurlaub, die Ruhepausen und die wöchentliche Höchstarbeitszeit sowie

b)      bestimmte Aspekte der Nacht- und der Schichtarbeit sowie des Arbeitsrhythmus.

(3)      Diese Richtlinie gilt unbeschadet ihrer Artikel 14, 17, 18 und 19 für alle privaten oder öffentlichen Tätigkeitsbereiche im Sinne des Artikels 2 der Richtlinie [89/391].

…“

5        Art. 2 der Richtlinie 2003/88 bestimmt:

„Im Sinne dieser Richtlinie sind:

1.      Arbeitszeit: jede Zeitspanne, während der ein Arbeitnehmer gemäß den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten arbeitet, dem Arbeitgeber zur Verfügung steht und seine Tätigkeit ausübt oder Aufgaben wahrnimmt;

2.      Ruhezeit: jede Zeitspanne außerhalb der Arbeitszeit;

…“

 Kroatisches Recht

6        Art. 121a des Ustav Republike Hrvatske (Verfassung der Republik Kroatien) bestimmt:

„Die Staatsanwaltschaft ist eine eigenständige und unabhängige Justizbehörde, die befugt und verpflichtet ist, gegen die Urheber von Straftaten und anderen Delikten vorzugehen, Klagen zum Schutz des Eigentums der Republik Kroatien zu erheben und Rechtsbehelfe zum Schutz der Verfassung und der Rechtsordnung einzulegen.

Das kroatische Parlament ernennt den Generalstaatsanwalt der Republik Kroatien auf Vorschlag der Regierung der Republik Kroatien nach vorheriger Stellungnahme des zuständigen Ausschusses des kroatischen Parlaments für eine Amtszeit von vier Jahren.

Der Oberste Rat der Staatsanwälte ernennt die stellvertretenden Staatsanwälte, entlässt sie und entscheidet über ihre disziplinarrechtliche Verantwortlichkeit.

Der Oberste Rat der Staatsanwälte trifft die in Abs. 3 dieses Artikels genannten Entscheidungen unparteiisch und auf der Grundlage gesetzlich festgelegter Kriterien.

Stellvertretende Staatsanwälte üben das Amt des Staatsanwalts dauerhaft aus.

Der Oberste Rat der Staatsanwälte, der sich aus elf Mitgliedern zusammensetzt, besteht aus sieben stellvertretenden Staatsanwälten des Generalstaatsanwalts, zwei Universitätsprofessoren für Rechtswissenschaften und zwei Parlamentsmitgliedern, darunter einem der Opposition.

Die Mitglieder des Obersten Rates der Staatsanwälte werden für eine Amtszeit von vier Jahren gewählt, wobei ein Mitglied nicht mehr als zweimal gewählt werden darf.

Die Mitglieder des Obersten Rates der Staatsanwälte wählen aus ihrer Mitte einen Vorsitzenden.

Die Leiter der Staatsanwaltschaften können nicht zu Mitgliedern des Obersten Rates der Staatsanwälte gewählt werden.

Die Zuständigkeit, die Organisation, die Art und Weise der Auswahl der Mitglieder und die Arbeitsweise des Obersten Rates der Staatsanwälte sind gesetzlich geregelt.

Die Errichtung, die Organisation, die Amtszeit und die Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft sind gesetzlich geregelt.“

7        Art. 10 Abs. 1 des Zakon o radu (Arbeitsgesetz) bestimmt:

„Das Arbeitsverhältnis beruht auf einem Arbeitsvertrag.“

8        Art. 60 des Arbeitsgesetzes bestimmt:

„(1)      Als Arbeitszeit gilt die Zeit, in der der Arbeitnehmer zur Ausübung seiner Tätigkeit verpflichtet ist bzw. in der er für die Ausübung seiner Tätigkeit nach den Anweisungen des Arbeitgebers und am Ort der Tätigkeit oder an einem anderen vom Arbeitgeber bestimmten Ort bereitsteht (verfügbar ist).

(2)      Nicht als Arbeitszeit gilt die Zeit, in der der Arbeitnehmer bereitsteht, dem Ersuchen seines Arbeitgebers nachzukommen, um im Bedarfsfall seine Tätigkeit auszuüben, sich aber nicht am Ort der Tätigkeit oder an einem anderen vom Arbeitgeber bestimmten Ort befindet.

(3)      Die Rufbereitschaftszeit und die Höhe der Vergütung werden durch den Arbeitsvertrag oder den Tarifvertrag geregelt.

(4)      Die Zeit, die der Arbeitnehmer auf Ersuchen seines Arbeitgebers für die Ausübung seiner Tätigkeit aufwendet, gilt unabhängig davon, ob sie an einem vom Arbeitgeber bestimmten Ort oder an einem vom Arbeitnehmer gewählten Ort ausgeführt wird, als Arbeitszeit.“

9        Art. 52 Abs. 1 des Poslovnik državnog odvjetništva (Geschäftsordnung der Staatsanwaltschaft) sieht vor:

„Außerhalb der regulären Dienstzeiten, an Tagen der wöchentlichen Ruhezeit, dienstfreien Tagen und staatlichen Feiertagen werden in der Regel nur die unaufschiebbaren Maßnahmen durchgeführt. Die Wahrnehmung von Aufgaben des Ermittlungsverfahrens (Bereitschaftsdienst) bei den Gespanschafts- und Gemeindestaatsanwaltschaften, die für diese Aufgaben zuständig sind, wird auf eine der folgenden Weisen sichergestellt:

–        im Gebäude der Staatsanwaltschaft an Werktagen durchgehend von 16.00 Uhr bis 8.00 Uhr des folgenden Werktags,

–        im Gebäude der Staatsanwaltschaft von 8.00 bis 20.00 Uhr – an Werktagen von 16.00 Uhr bis 20.00 Uhr und nach 20.00 Uhr durch eine Anwesenheitspflicht am Ort des Sitzes der Staatsanwaltschaft,

–        Anwesenheitspflicht am Ort des Sitzes der Staatsanwaltschaft an Werktagen nach 16.00 Uhr bis 8.00 Uhr des folgenden Werktags sowie an dienstfreien Tagen und staatlichen Feiertagen durchgehend.

…“

10      Die Dienstanweisung Nr. O‑8/11‑1 der Staatsanwaltschaft der Republik Kroatien vom 13. Oktober 2011 über den Bereitschaftsdienst in ihrer auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Fassung sieht u. a. vor, dass beim Općinsko državno odvjetništvo u Puli-Pola (Gemeindestaatsanwaltschaft Pula) Bereitschaftsdienst „in ständiger Bereitschaft zu Hause oder in der Wohnung“ geleistet wird.

 Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen

11      NI ist stellvertretende Staatsanwältin beim Općinsko državno odvjetništvo u Puli-Pola (Gemeindestaatsanwaltschaft Pula). Ihren Dienst versieht die Klägerin dort in Vollzeit, d. h. in einem Umfang von 40 Stunden je Woche, und zwar von Montag bis Freitag in der Zeit von 8.00 Uhr bis 16.00 Uhr. NI muss außerdem sowohl während als auch außerhalb der regulären Dienstzeiten Bereitschaftszeiten leisten, in denen sie zur Erledigung dringender Aufgaben herangezogen werden kann, insbesondere im Rahmen von strafrechtlichen Ermittlungsverfahren.

12      Aus der Vorlageentscheidung geht hervor, dass während dieser Bereitschaftszeiten von NI verlangt werden kann, dass sie an ihrem Wohnsitz (passive Präsenz oder Rufbereitschaft) oder am Ort des Sitzes der Staatsanwaltschaft (aktive Präsenz oder Bereitschaft) anwesend ist, und zwar durchgehend, um jederzeit die ihr auferlegten dringenden Aufgaben wahrnehmen zu können.

13      Da NI der Ansicht war, dass die für sie geltende Regelung, insbesondere die Verpflichtung, während ihrer Bereitschaftszeiten durchgehend zur Verfügung zu stehen, gegen die Richtlinie 2003/88 und die Rechtsprechung des Gerichtshofs zum Recht auf tägliche Ruhezeit, zum Recht auf wöchentliche Ruhezeit und zum Verbot, für mehr als 48 Stunden in der Woche zu arbeiten, verstoße, erhob sie beim Općinski sud u Puli-Pola (Gemeindegericht Pula, Kroatien), dem vorlegenden Gericht, Klage auf Vergütung der in den Jahren 2015 bis 2019 während der Bereitschaftszeiten geleisteten Stunden, von denen einige außerhalb ihrer regulären Dienstzeiten verrichtet wurden, in Höhe eines der Ableistung dieser Stunden entsprechenden Betrags.

14      Sie macht insbesondere geltend, dass sie bei der Arbeit keine angemessene Sicherheit und keinen angemessenen Schutz genieße, da sie Arbeitsstunden außerhalb der regulären Dienstzeiten ohne Begrenzung der wöchentlichen Arbeitszeit und ohne Begrenzung der Überstunden leiste. Sie weist außerdem darauf hin, dass sie für Überstunden sowie für die an Sonntagen und Feiertagen geleisteten Arbeitsstunden keinen Zuschlag erhalte, und gibt an, für die während der Bereitschaftszeiten geleisteten Arbeitsstunden eine geringere Vergütung zu erhalten als für die während ihrer regulären Dienstzeiten geleisteten Arbeitsstunden.

15      Das vorlegende Gericht betont, dass die Staatsanwaltschaft in Kroatien eine eigenständige und unabhängige Justizbehörde sei, die verpflichtet sei, gegen Straftäter vorzugehen und Klagen zum Schutz des Eigentums der Republik Kroatien und der Verfassung zu erheben. Als stellvertretende Staatsanwältin werde NI somit rechtlich als autonome und unabhängige Beamtin angesehen.

16      Das vorlegende Gericht weist darauf hin, dass die mit ihrer Position verbundene Autonomie und Unabhängigkeit es NI ermöglichten, vor äußerem Druck, der ihre Entscheidungen beeinflussen könnte, geschützt zu sein. Dagegen sei die Stellung der Amtsträger der Staatsanwaltschaft wie NI durch ein Subordinationsverhältnis gegenüber den übergeordneten Amtsträgern der Staatsanwaltschaft und dem Ministerium für Justiz und Verwaltung gekennzeichnet. Diese Staatsanwälte unterlägen auch einer zwingenden Beurteilung ihrer Arbeit und ihrer Kompetenzen, könnten disziplinarrechtlichen Sanktionen unterliegen und dürften ohne Zustimmung des Obersten Rates der Staatsanwälte keine anderen Funktionen ausüben.

17      Das vorlegende Gericht weist außerdem darauf hin, dass NI außerhalb ihrer regulären Dienstzeiten möglicherweise Aufgaben wahrnehme, die beinhalteten, dass sie ständig abrufbar sei, jederzeit telefonisch, insbesondere von Angehörigen der Ordnungskräfte, erreichbar sei, und sich unverzüglich in die Räumlichkeiten der Staatsanwaltschaft oder an einen anderen Ort begeben könne, um nach der Anforderung durch einen Polizeibeamten dringende Aufgaben zu erfüllen, wie bei Verkehrsunfällen oder tödlichen Arbeitsunfällen.

18      Die während einer aktiven oder passiven Präsenz außerhalb der regulären Dienstzeiten geleisteten Arbeitsstunden würden weder als reguläre Dienstzeiten noch als Mehrarbeit eingestuft und bei der Ausübung des Rechts auf tägliche oder wöchentliche Ruhezeit oder des Rechts auf freie Tage nicht berücksichtigt.

19      Daher beeinträchtige die Ableistung dieser Arbeitsstunden die Sicherheit und Gesundheit von NI, die zusätzlichen psychischen und körperlichen Belastungen ausgesetzt sei. Insbesondere stelle der Umstand, dass sie während der Bereitschaftszeiten jederzeit, oft spät am Abend oder in der Nacht, erreichbar sei und sich bereithalten müsse, während dieser Zeiten zusätzlich außerhalb der regulären Dienstzeiten Arbeitsstunden zu leisten, erhöhten Stress im Zusammenhang mit ihrer Arbeit dar.

20      Für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits und insbesondere für die von NI beantragte Vergütung der Arbeitsstunden hält es das vorlegende Gericht für erforderlich, zum einen festzustellen, ob die Klägerin des Ausgangsverfahrens als „Arbeitnehmerin“ anzusehen sei, so dass sie in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2003/88 falle, und zum anderen die im Rahmen der Bereitschaftszeiten geleisteten Arbeitsstunden einzustufen. Insoweit fragt es sich, ob es einen Verstoß gegen diese Richtlinie darstelle, wenn diese Stunden nicht als „Arbeitszeit“ im Sinne dieser Richtlinie angesehen würden.

21      Unter diesen Umständen hat der Općinski sud u Puli-Pola (Gemeindegericht Pula) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Fällt die staatsanwaltliche Tätigkeit der Klägerin (die Tätigkeit eines stellvertretenden Gemeindestaatsanwalts/Gemeindestaatsanwalts) unter den Begriff „Arbeitnehmer“ im Sinne von Art. 1 Abs. 3 der Richtlinie 2003/88 in Verbindung mit Art. 31 der Charta bzw. kann ein Amtsträger der Staatsanwaltschaft zum Zweck der Anwendung von gleichen Arbeitsbedingungen auf alle in der Staatsanwaltschaft Beschäftigten als Arbeitnehmer eingestuft werden?

2.      Ist Art. 2 der Richtlinie 89/391, auf den die Richtlinie 2003/88 in ihrem Art. 1 Abs. 3 verweist, in Verbindung mit der ersten Frage dahin auszulegen, dass er es den Mitgliedstaaten erlaubt, Amtsträger der Staatsanwaltschaft (den stellvertretenden Gemeindestaatsanwalt/Gemeindestaatsanwalt) von der Anwendung von Vorschriften auszunehmen, mit denen die Umsetzung dieser Richtlinie gewährleistet wird, einschließlich des Art. 2 Nrn. 1 und 2 der Richtlinie 2003/88, der die Arbeits- und die Ruhezeit definiert?

3.      a)      Bei Bejahung von Frage 1 und Verneinung von Frage 2: Ist der Rufbereitschaftsdienst (pasivno dežurstvo, passive Präsenz) von Amtsträgern der Staatsanwaltschaft nach der Richtlinie 2003/88 (insbesondere u. a. Art. 2 Nr. 1 dieser Richtlinie) angesichts der Beschränkungen, denen der Amtsträger der Staatsanwaltschaft während der Rufbereitschaftszeit unterliegt, weil er in dieser Zeit eine Tätigkeit und Aufgaben nach der Dienstanweisung Nr. O‑8/11‑1 der Staatsanwaltschaft der Republik Kroatien vom 13. Oktober 2011 über den Bereitschaftsdienst in der geänderten Fassung vom 12. Oktober 2012 bzw. nach dem Zakon o kaznenom postupku (Strafprozessordnung) ausführt, die für den Amtsträger der Staatsanwaltschaft als Arbeitnehmer die Möglichkeit, anderen Tätigkeiten nachzugehen, erheblich einschränken, trotz des Umstands, dass er nach dieser Dienstanweisung verpflichtet ist, den Rufbereitschaftsdienst zu Hause zu verrichten, als Arbeitszeit anzusehen?

b)      Bei Bejahung von Frage 1 und Verneinung von Frage 2: Ist der Bereitschaftsdienst (aktivno dežurstvo, aktive Präsenz) von Amtsträgern der Staatsanwaltschaft nach der Richtlinie 2003/88 (insbesondere u. a. Art. 2 Nr. 1 dieser Richtlinie) angesichts der Tätigkeit und der Aufgaben, die der Amtsträger der Staatsanwaltschaft während der Bereitschaftszeit nach der Dienstanweisung der Staatsanwaltschaft der Republik Kroatien über den Bereitschaftsdienst bzw. nach der Strafprozessordnung ausführt, wonach der Amtsträger der Staatsanwaltschaft den Bereitschaftsdienst an seinem üblichen Dienstort oder an einem anderen vom Arbeitgeber bestimmten Ort (Inaugenscheinnahme u. Ä.) verrichtet, als Arbeitszeit anzusehen?

 Zu den Vorlagefragen

 Zur ersten Frage

22      Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 1 Abs. 3 der Richtlinie 2003/88 in Verbindung mit Art. 31 der Charta dahin auszulegen ist, dass Staatsanwälte in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fallen.

23      Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass der Begriff „Arbeitnehmer“ zwar in Art. 3 Buchst. a der Richtlinie 89/391 definiert wird als jede Person, die von einem Arbeitgeber beschäftigt wird, einschließlich Praktikanten und Lehrlingen, jedoch mit Ausnahme von Hausangestellten, die Richtlinie 2003/88 aber weder eine Verweisung auf diese Bestimmung der Richtlinie 89/391 noch eine Verweisung auf den Begriff des „Arbeitnehmers“ enthält, wie er sich aus einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten ergibt (Urteil vom 14. Oktober 2010, Union syndicale Solidaires Isère, C‑428/09, EU:C:2010:612, Rn. 27).

24      Daraus ergibt sich, dass der Begriff „Arbeitnehmer“, der nicht nach Maßgabe der nationalen Rechtsordnungen unterschiedlich ausgelegt werden darf, für die Zwecke der Anwendung der Richtlinie 2003/88 und angesichts von Art. 31 der Charta eine eigenständige unionsrechtliche Bedeutung hat (Urteile vom 14. Oktober 2010, Union syndicale Solidaires Isère, C‑428/09, EU:C:2010:612, Rn. 28, vom 21. Februar 2018, Matzak, C‑518/15, EU:C:2018:82, Rn. 28, sowie vom 16. Juli 2020, Governo della Repubblica italiana [Status der italienischen Friedensrichter], C‑658/18, EU:C:2020:572, Rn. 88 und 89).

25      Dieser Begriff ist anhand objektiver Kriterien zu definieren, die das Arbeitsverhältnis unter Berücksichtigung der Rechte und Pflichten der betroffenen Personen kennzeichnen (Urteil vom 16. Juli 2020, Governo della Repubblica italiana [Status der italienischen Friedensrichter], C‑658/18, EU:C:2020:572, Rn. 90 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

26      Im Rahmen der letztlich dem nationalen Gericht obliegenden Subsumtion einer Person unter den Arbeitnehmerbegriff muss dieses sich somit auf objektive Kriterien stützen und eine Gesamtwürdigung aller Umstände der bei ihm anhängigen Rechtssache vornehmen, die die Art der in Rede stehenden Tätigkeiten und des Verhältnisses zwischen den fraglichen Parteien betreffen (Urteil vom 16. Juli 2020, Governo della Repubblica italiana [Status der italienischen Friedensrichter], C‑658/18, EU:C:2020:572, Rn. 91 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

27      Insoweit besteht das wesentliche Merkmal des Arbeitsverhältnisses darin, dass eine Person während einer bestimmten Zeit für eine andere nach deren Weisung Leistungen erbringt, für die sie als Gegenleistung eine Vergütung erhält. Hieraus folgt, dass ein Arbeitsverhältnis das Vorliegen eines Unterordnungsverhältnisses zwischen dem Arbeitnehmer und seinem Arbeitgeber voraussetzt. Ob ein solches gegeben ist, muss in jedem Einzelfall anhand aller Gesichtspunkte und aller Umstände, die die Beziehungen zwischen den Beteiligten kennzeichnen, geprüft werden (Urteil vom 15. Juli 2021, Ministrstvo za obrambo, C‑742/19, EU:C:2021:597, Rn. 49 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

28      Um zu prüfen, ob Staatsanwälte wie die Klägerin des Ausgangsverfahrens in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2003/88 fallen, ist es folglich Sache des vorlegenden Gerichts, die von diesen Staatsanwälten wahrgenommenen Aufgaben und Funktionen sowie die Verpflichtungen zu prüfen, an die sie gegenüber ihrem Arbeitgeber gebunden sind.

29      Allerdings kann der Gerichtshof im Rahmen eines Vorabentscheidungsersuchens auf der Grundlage der Akten des Ausgangsverfahrens und der ihm vorliegenden schriftlichen und mündlichen Erklärungen dem vorlegenden Gericht sachdienliche Hinweise geben, anhand derer es den Rechtsstreit, mit dem es befasst ist, entscheiden kann (vgl. entsprechend Urteil vom 6. Oktober 2021, ECOTEX BULGARIA, C‑544/19, EU:C:2021:803, Rn. 72 und die dort angeführte Rechtsprechung).

30      Aus der Vorlageentscheidung geht hervor, dass die Aufgaben von Staatsanwälten, wie etwa Gemeindestaatsanwälten, darin bestehen, im gerichtlichen oder staatsanwaltlichen Dienstgebäude oder am Tatort, die u. a. durch die Strafprozessordnung vorgeschriebenen Dienstaufgaben unter der Aufsicht des übergeordneten Staatsanwalts wahrzunehmen.

31      Nach Angaben des vorlegenden Gerichts kann ein stellvertretender Gemeindestaatsanwalt nämlich jederzeit von einem Polizeibeamten angefordert werden, woraufhin er sich sofort zum Tatort begeben muss. Er kann auch verpflichtet sein, die Erstvernehmung des Beschuldigten durchzuführen, beim Untersuchungsrichter einen Durchsuchungsbeschluss zu beantragen, mündliche Anordnungen dringender Ermittlungshandlungen zu bestätigen, Inaugenscheinnahmen durchzuführen oder diesen bei Verkehrsunfällen, tödlichen Arbeitsunfällen oder anderen Straftaten beizuwohnen, bei der Vernehmung von Zeugen vor dem Untersuchungsrichter anwesend zu sein, Sicherungsmaßnahmen zu erlassen oder die Untersuchungshaft des Beschuldigten zu beantragen sowie am Sitzungstermin zur Anordnung der Untersuchungshaft teilzunehmen.

32      Insoweit geht aus der Vorlageentscheidung hervor, dass die Stellung der Amtsträger der Staatsanwaltschaft, wie NI, durch ein Subordinationsverhältnis gegenüber den übergeordneten Amtsträgern der Staatsanwaltschaft sowie dem Ministerium für Justiz und Verwaltung gekennzeichnet ist, das im Verhältnis zur Staatsanwaltschaft die Aufgaben der Justizverwaltung wahrnimmt, u. a. die Prüfung von Beschwerden über das Vorgehen der Staatsanwaltschaften oder das Einstehen für die Arbeit der Staatsanwaltschaften, die Sicherung materieller, finanzieller, räumlicher und anderer Arbeitsbedingungen der Staatsanwaltschaften, die Erteilung der Zustimmung zum Einstellungsplan für neue Amtsträger der Staatsanwaltschaft sowie die Erteilung der Zustimmung zur Einstellung von Bediensteten als Hilfspersonen für Amtsträger der Staatsanwaltschaft.

33      Außerdem geht aus der Vorlageentscheidung hervor, dass die Staatsanwälte der untergeordneten Staatsanwaltschaften der Aufsicht der Staatsanwälte der übergeordneten Staatsanwaltschaft unterliegen, was sich aus der hierarchischen Struktur der Staatsanwaltschaft ergibt, wonach die Gemeindestaatsanwaltschaften den Gespanschaftsstaatsanwaltschaften unterstehen, die ihrerseits ebenso wie die Sonderstaatsanwaltschaften der Staatsanwaltschaft der Republik Kroatien unterstellt sind. Daher könnte der Oberste Rat der Staatsanwälte einen Staatsanwalt wegen eines Disziplinarvergehens, einer Verurteilung wegen begangener Straftaten, ungenügender Fähigkeiten oder Wegfall der Eignung entlassen.

34      Vorbehaltlich einer Überprüfung durch das vorlegende Gericht scheint sich ein stellvertretender Gemeindestaatsanwalt somit in einem Subordinationsverhältnis gegenüber den Amtsträgern der übergeordneten Staatsanwaltschaft zu befinden, was das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses kennzeichnet.

35      Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 1 Abs. 3 der Richtlinie 2003/88 in Verbindung mit Art. 31 der Charta dahin auszulegen ist, dass Staatsanwälte in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fallen.

 Zur zweiten Frage

36      Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 2 der Richtlinie 89/391, auf den Art. 1 Abs. 3 der Richtlinie 2003/88 verweist, dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, die die Tätigkeit von Staatsanwälten vom Anwendungsbereich der Richtlinie 2003/88 ausnimmt.

37      Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass nach Art. 1 Abs. 3 der Richtlinie 2003/88 in Verbindung mit Art. 2 der Richtlinie 89/391, auf den dieser Art. 1 Abs. 3 verweist, beide Richtlinien für alle privaten oder öffentlichen Tätigkeitsbereiche gelten, um die Sicherheit und den Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer bei der Arbeit zu verbessern und bestimmte Aspekte der Gestaltung ihrer Arbeitszeit zu regeln (Urteil vom 3. Mai 2012, Neidel, C‑337/10, EU:C:2012:263, Rn. 20).

38      Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie 89/391 sieht in seinem Unterabs. 1 aber vor, dass diese Richtlinie keine Anwendung findet, soweit dem Besonderheiten bestimmter spezifischer Tätigkeiten im öffentlichen Dienst, insbesondere bei den Streitkräften oder der Polizei, oder bestimmter spezifischer Tätigkeiten bei den Katastrophenschutzdiensten zwingend entgegenstehen, und stellt in seinem Unterabs. 2 klar, dass in diesen Fällen dennoch dafür Sorge zu tragen ist, dass unter Berücksichtigung der Ziele dieser Richtlinie eine größtmögliche Sicherheit und ein größtmöglicher Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer gewährleistet ist (Urteil vom 15. Juli 2021, Ministrstvo za obrambo, C‑742/19, EU:C:2021:597, Rn. 53).

39      Diesbezüglich ist Art. 2 Abs. 2 Unterabs. 1 der Richtlinie 89/391 so auszulegen, dass sich seine Tragweite auf das beschränkt, was zur Wahrung der Interessen, die er den Mitgliedstaaten zu schützen erlaubt, unbedingt erforderlich ist (Urteil vom 15. Juli 2021, Ministrstvo za obrambo, C‑742/19, EU:C:2021:597, Rn. 55 und die dort angeführte Rechtsprechung).

40      Das in dieser Bestimmung verwendete Kriterium zur Ausnahme bestimmter Tätigkeiten vom Anwendungsbereich der Richtlinie 89/391 und damit auch vom Anwendungsbereich der Richtlinie 2003/88 beruht nicht auf der Zugehörigkeit der Arbeitnehmer zu einem der in dieser Bestimmung allgemein beschriebenen Tätigkeitsbereiche, sondern ausschließlich auf der spezifischen Natur bestimmter von den Arbeitnehmern dieser Sektoren wahrgenommener besonderer Aufgaben, die wegen der unbedingten Notwendigkeit, einen wirksamen Schutz des Gemeinwesens zu gewährleisten, eine Ausnahme von den Vorschriften im Bereich des Schutzes der Sicherheit und der Gesundheit der Arbeitnehmer rechtfertigt (Urteil vom 15. Juli 2021, Ministrstvo za obrambo, C‑742/19, EU:C:2021:597, Rn. 56 und die dort angeführte Rechtsprechung).

41      Zu den Besonderheiten dieser spezifischen Tätigkeiten, die nach Art. 2 Abs. 2 Unterabs. 1 der Richtlinie 89/391 eine Ausnahme von den Regeln im Bereich des Schutzes der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer rechtfertigen, zählt der Umstand, dass eine Arbeitszeitplanung wegen der Art der Tätigkeiten nicht möglich ist (Urteil vom 15. Juli 2021, Ministrstvo za obrambo, C‑742/19, EU:C:2021:597, Rn. 57 und die dort angeführte Rechtsprechung).

42      Art. 2 Abs. 2 Unterabs. 1 der Richtlinie 89/391 erlaubt es somit, die Wirksamkeit der spezifischen Tätigkeiten des öffentlichen Dienstes zu wahren, deren Kontinuität unerlässlich ist, um die wirksame Ausübung der grundlegenden Funktionen des Staates zu gewährleisten. Dieses Kontinuitätserfordernis ist unter Berücksichtigung der spezifischen Art der in Rede stehenden Tätigkeit zu beurteilen (Urteil vom 15. Juli 2021, Ministrstvo za obrambo, C‑742/19, EU:C:2021:597, Rn. 58 und die dort angeführte Rechtsprechung).

43      Insoweit hat der Gerichtshof zum einen entschieden, dass das Erfordernis der Kontinuität der Dienste in den Bereichen Gesundheit, Sicherheit und öffentliche Ordnung dem nicht entgegensteht, dass die Tätigkeiten dieser Dienste, wenn sie unter normalen Bedingungen stattfinden, hinsichtlich der Arbeitszeit ihrer Arbeitnehmer organisiert werden können, so dass die in Art. 2 Abs. 2 Unterabs. 1 der Richtlinie 89/391 vorgesehene Ausnahme auf diese Dienste nur in Umständen außergewöhnlicher Schwere und eines außergewöhnlichen Umfangs anwendbar ist, wie Natur- oder Technologiekatastrophen, Attentate oder schwere Unglücksfälle, die Maßnahmen erfordern, die zum Schutz des Lebens, der Gesundheit und der Sicherheit des Gemeinwesens unerlässlich sind und deren ordnungsgemäße Durchführung in Frage gestellt wäre, wenn alle Vorschriften der Richtlinie 2003/88 beachtet werden müssten. In solchen Fällen ist dem Ziel des Schutzes der Bevölkerung absoluter Vorrang einzuräumen, zulasten der Befolgung der Vorschriften dieser Richtlinie, die innerhalb dieser Dienste vorübergehend außer Acht gelassen werden können (Urteil vom 15. Juli 2021, Ministrstvo za obrambo, C‑742/19, EU:C:2021:597, Rn. 59 und die dort angeführte Rechtsprechung).

44      Zum anderen hat der Gerichtshof entschieden, dass bestimmte besondere Tätigkeiten des öffentlichen Dienstes, selbst wenn sie unter normalen Bedingungen ausgeübt werden, so spezifische Merkmale aufweisen, dass ihre Art zwingend einer Arbeitszeitplanung entgegensteht, die die Vorgaben der Richtlinie 2003/88 beachtet (Urteil vom 15. Juli 2021, Ministrstvo za obrambo, C‑742/19, EU:C:2021:597, Rn. 60 und die dort angeführte Rechtsprechung).

45      Dies ist insbesondere der Fall bei Tätigkeiten, die, um das mit ihnen angestrebte im Allgemeininteresse liegende Ziel wirksam zu erreichen, nur kontinuierlich und von ein und demselben Arbeitnehmer ausgeübt werden können, ohne dass es möglich wäre, ein Rotationssystem einzuführen, das es ermöglicht, diesem Arbeitnehmer in regelmäßigen Abständen nach einer bestimmten Anzahl geleisteter Arbeitsstunden oder ‑tagen das Recht auf Ruhestunden oder ‑tage zu gewähren (Urteil vom 15. Juli 2021, Ministrstvo za obrambo, C‑742/19, EU:C:2021:597, Rn. 61 und die dort angeführte Rechtsprechung).

46      In diesem Rahmen ist es Aufgabe des für die Auslegung des nationalen Rechts zuständigen vorlegenden Gerichts, zu prüfen, inwieweit die in den Rn. 40 bis 45 des vorliegenden Urteils angeführte Rechtsprechung auf die Tätigkeit von Gemeindestaatsanwälten wie NI anwendbar ist. Allerdings kann der Gerichtshof nach der in Rn. 29 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung dem vorlegenden Gericht sachdienliche Hinweise für die von ihm vorzunehmende Beurteilung geben.

47      Insoweit geht aus der Vorlageentscheidung hervor, dass die Tätigkeit der Gemeindestaatsanwälte grundsätzlich in den Anwendungsbereich von Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 89/391 fällt, da es sich um eine Verwaltungs- oder Dienstleistungstätigkeit des öffentlichen Sektors handelt (vgl. entsprechend Urteil vom 16. Juli 2020, Governo della Repubblica italiana [Status der italienischen Friedensrichter], C‑658/18, EU:C:2020:572, Rn. 85).

48      Außerdem deutet nichts in dieser Entscheidung darauf hin, dass die von den Gemeindestaatsanwälten ausgeübte Tätigkeit spezifische Merkmale aufweist, die einer Arbeitszeitplanung im Einklang mit den Vorgaben der Richtlinie 2003/88 entgegenstehen. Beispielsweise kann in Anbetracht der Befugnisse und Zuständigkeiten dieser Staatsanwälte nicht ausgeschlossen werden, dass die Kontinuität der Aufgaben der Staatsanwaltschaft durch ein Rotationssystem der Gemeindestaatsanwälte gewährleistet werden kann. Aus der Vorlageentscheidung geht hervor, dass ihre Bereitschaftszeit einen Monat im Voraus geplant wird und dass eine Gemeinde- oder Gespanschaftsstaatsanwaltschaft unter Umständen den Bereitschaftsdienst übernimmt, der normalerweise von einer anderen Staatsanwaltschaft geleistet werden muss. Ein Rotationssystem oder ein System der Arbeitszeitplanung scheint daher mit den Merkmalen dieser Tätigkeiten nicht per se unvereinbar.

49      Werden die Tätigkeiten der Staatsanwälte unter normalen Bedingungen ausgeübt, können sie somit offensichtlich einer Arbeitszeitplanung unterworfen werden, die die Vorgaben der Richtlinie 2003/88 beachtet.

50      Nach alledem ist auf die zweite Frage zu antworten, dass Art. 2 der Richtlinie 89/391, auf den Art. 1 Abs. 3 der Richtlinie 2003/88 verweist, dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, die die Tätigkeit von Staatsanwälten vom Anwendungsbereich der Richtlinie 2003/88 ausnimmt, sofern diese Tätigkeit, wenn sie unter normalen Bedingungen ausgeübt wird, einer Arbeitszeitplanung unterworfen werden kann, die die Vorgaben der Richtlinie 2003/88 beachtet.

 Zur dritten Frage

51      Mit seiner dritten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 2 der Richtlinie 2003/88 dahin auszulegen ist, dass Bereitschaftszeiten außerhalb der regulären Dienstzeiten der Staatsanwälte, die die zwingende Anwesenheit dieser Staatsanwälte am Arbeitsplatz voraussetzen, oder Bereitschaftszeiten in Form von Rufbereitschaft, die eine solche Anwesenheit an ihrem Wohnsitz voraussetzen, als „Arbeitszeit“ im Sinne dieses Art. 2 einzustufen sind.

52      Art. 2 der Richtlinie 2003/88 definiert den Begriff „Arbeitszeit“ als jede Zeitspanne, während der ein Arbeitnehmer gemäß den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten arbeitet, dem Arbeitgeber zur Verfügung steht und seine Tätigkeit ausübt oder Aufgaben wahrnimmt. Nach ständiger Rechtsprechung ist dieser Begriff im Gegensatz zur Ruhezeit zu sehen, da beide Begriffe einander ausschließen (Urteil vom 10. September 2015, Federación de Servicios Privados del sindicato Comisiones obreras, C‑266/14, EU:C:2015:578, Rn. 25 und die dort angeführte Rechtsprechung).

53      Insoweit ist zu berücksichtigen, dass dieser Art. 2 keine Zwischenkategorie zwischen den Begriffen „Arbeitszeit“ und „Ruhezeit“ vorsieht (Urteil vom 10. September 2015, Federación de Servicios Privados del sindicato Comisiones obreras, C‑266/14, EU:C:2015:578, Rn. 26 und die dort angeführte Rechtsprechung) und dass zu den charakteristischen Merkmalen des Begriffs „Arbeitszeit“ im Sinne dieser Richtlinie nicht die Intensität der vom Arbeitnehmer geleisteten Arbeit oder dessen Leistung gehört. Somit ist die von den Gemeindestaatsanwälten geleistete Bereitschaftszeit für die Zwecke der Anwendung der Richtlinie 2003/88 entweder als „Arbeitszeit“ oder als „Ruhezeit“ einzustufen (vgl. entsprechend Urteil vom 9. September 2021, Dopravní podnik hl. m. Prahy, C‑107/19, EU:C:2021:722, Rn. 28 und die dort angeführte Rechtsprechung).

54      Außerdem sind die Begriffe „Arbeitszeit“ und „Ruhezeit“ unionsrechtliche Begriffe, die anhand objektiver Merkmale unter Berücksichtigung des Regelungszusammenhangs und des Zwecks der Richtlinie 2003/88 zu bestimmen sind. Denn nur eine solche autonome Auslegung kann die volle Wirksamkeit der Richtlinie und eine einheitliche Anwendung der genannten Begriffe in sämtlichen Mitgliedstaaten sicherstellen (Urteil vom 9. September 2021, Dopravní podnik hl. m. Prahy, C‑107/19, EU:C:2021:722, Rn. 29 und die dort angeführte Rechtsprechung).

55      Daher ist zu prüfen, ob in einer Situation wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden die Voraussetzungen des Begriffs „Arbeitszeit“ erfüllt sind, wenn der Arbeitnehmer Bereitschaftsdienst an seinem Arbeitsplatz oder in Form von Rufbereitschaft leistet, d. h. einem Zeitraum, in dem sich der Arbeitnehmer für seinen Arbeitgeber zur Verfügung hält, um auf dessen Anforderung eine Arbeitsleistung erbringen zu können, ohne an seinem Arbeitsplatz bleiben zu müssen (Urteil vom 9. September 2021, Dopravní podnik hl. m. Prahy, C‑107/19, EU:C:2021:722, Rn. 33 und die dort angeführte Rechtsprechung).

56      In Bezug auf Bereitschaftszeiten ergibt sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass eine Zeitspanne, in der ein Arbeitnehmer tatsächlich keine Tätigkeit für seinen Arbeitgeber ausübt, nicht zwangsläufig eine „Ruhezeit“ für die Zwecke der Anwendung der Richtlinie 2003/88 darstellt (Urteil vom 9. September 2021, Dopravní podnik hl. m. Prahy, C‑107/19, EU:C:2021:722, Rn. 30 und die dort angeführte Rechtsprechung).

57      So hat der Gerichtshof erstens in Bezug auf Bereitschaftszeiten am Arbeitsplatz bereits festgestellt, dass es für das Vorliegen der charakteristischen Merkmale des Begriffs „Arbeitszeit“ im Sinne der Richtlinie 2003/88 entscheidend ist, dass der Arbeitnehmer persönlich an dem vom Arbeitgeber bestimmten Ort anwesend sein und ihm zur Verfügung stehen muss, um gegebenenfalls sofort seine Leistungen erbringen zu können (Urteil vom 9. September 2021, Dopravní podnik hl. m. Prahy, C‑107/19, EU:C:2021:722, Rn. 31 und die dort angeführte Rechtsprechung).

58      Der Gerichtshof hat festgestellt, dass sich der Arbeitnehmer, der während einer solchen Bereitschaftszeit verpflichtet ist, zur sofortigen Verfügung seines Arbeitgebers an seinem Arbeitsplatz zu bleiben, außerhalb seines familiären und sozialen Umfelds aufhalten muss und weniger frei über die Zeit verfügen kann, in der er nicht in Anspruch genommen wird. Folglich ist dieser gesamte Zeitraum, unabhängig von den Arbeitsleistungen, die der Arbeitnehmer darin tatsächlich erbringt, als „Arbeitszeit“ im Sinne der Richtlinie 2003/88 einzustufen (Urteil vom 9. September 2021, Dopravní podnik hl. m. Prahy, C‑107/19, EU:C:2021:722, Rn. 32 und die dort angeführte Rechtsprechung).

59      Zweitens hat der Gerichtshof in Bezug auf Bereitschaftszeiten in Form von Rufbereitschaft entschieden, dass solche Zeiten gleichwohl insgesamt als „Arbeitszeit“ im Sinne der Richtlinie 2003/88 einzustufen sind, sofern sie sich angesichts der objektiv vorhandenen und ganz erheblichen Auswirkungen der dem Arbeitnehmer auferlegten Einschränkungen auf seine Möglichkeiten, sich seinen persönlichen und sozialen Interessen zu widmen, von einem Zeitraum unterscheiden, in dem der Arbeitnehmer lediglich für seinen Arbeitgeber erreichbar sein muss (Urteil vom 9. September 2021, Dopravní podnik hl. m. Prahy, C‑107/19, EU:C:2021:722, Rn. 33 und die dort angeführte Rechtsprechung).

60      Daraus folgt, dass unter den Begriff „Arbeitszeit“ im Sinne der Richtlinie 2003/88 sämtliche Bereitschaftszeiten einschließlich Rufbereitschaften fallen, während deren dem Arbeitnehmer Einschränkungen von solcher Art auferlegt werden, dass sie seine Möglichkeit, während der Bereitschaftszeiten die Zeit, in der seine beruflichen Leistungen nicht in Anspruch genommen werden, frei zu gestalten und sie seinen eigenen Interessen zu widmen, objektiv gesehen ganz erheblich beeinträchtigen (Urteil vom 9. September 2021, Dopravní podnik hl. m. Prahy, C‑107/19, EU:C:2021:722, Rn. 34 und die dort angeführte Rechtsprechung).

61      In dieser Hinsicht hat der Gerichtshof darauf hingewiesen, dass eine Bereitschaftszeit, in der ein Arbeitnehmer in Anbetracht der ihm eingeräumten sachgerechten Frist für die Wiederaufnahme seiner beruflichen Tätigkeiten seine persönlichen und sozialen Aktivitäten planen kann, a priori keine „Arbeitszeit“ im Sinne der Richtlinie 2003/88 ist. Umgekehrt ist eine Bereitschaftszeit, in der die dem Arbeitnehmer auferlegte Frist für die Aufnahme seiner Arbeit nur wenige Minuten beträgt, grundsätzlich in vollem Umfang als „Arbeitszeit“ im Sinne der Richtlinie anzusehen, da der Arbeitnehmer in diesem Fall in der Praxis weitgehend davon abgehalten wird, irgendeine auch nur kurzzeitige Freizeitaktivität zu planen (Urteil vom 9. September 2021, Dopravní podnik hl. m. Prahy, C‑107/19, EU:C:2021:722, Rn. 35 und die dort angeführte Rechtsprechung).

62      Gleichwohl ist, wie der Gerichtshof betont hat, die Auswirkung einer solchen Reaktionsfrist im Anschluss an eine konkrete Würdigung zu beurteilen, bei der gegebenenfalls die übrigen dem Arbeitnehmer während seiner Bereitschaftszeit, einschließlich der Bereitschaftszeit in Form von Rufbereitschaft, auferlegten Einschränkungen zu berücksichtigen sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 9. September 2021, Dopravní podnik hl. m. Prahy, C‑107/19, EU:C:2021:722, Rn. 36 und die dort angeführte Rechtsprechung).

63      Aus der Vorlageentscheidung geht hervor, dass ein stellvertretender Gemeindestaatsanwalt wie NI während seiner gesamten Bereitschaftszeiten jederzeit bereit sein muss, Aufgaben und Tätigkeiten wahrzunehmen, die denen entsprechen, die er während der regulären Dienstzeiten am Arbeitsplatz wahrnimmt. Es scheint daher, dass er sich während Bereitschaftszeiten tatsächlich nicht von seinem Arbeitsplatz oder während Bereitschaftszeiten in Form von Rufbereitschaft von seiner Wohnung entfernen und sich seinen eigenen Interessen widmen kann.

64      Es ist jedoch Sache des vorlegenden Gerichts, unter Berücksichtigung aller relevanten Gesichtspunkte und nach der in den Rn. 55 bis 62 angeführten Rechtsprechung zu beurteilen, ob im vorliegenden Fall die Bereitschaftszeit, die ein Gemeindestaatsanwalt an seinem Arbeitsplatz leistet, sowie die Bereitschaftszeit in Form von Rufbereitschaft, die er zu Hause leistet, als „Arbeitszeit“ im Sinne der Richtlinie 2003/88 einzustufen sind.

65      Nach alledem ist auf die dritte Frage zu antworten, dass Art. 2 der Richtlinie 2003/88 dahin auszulegen ist, dass Bereitschaftszeiten außerhalb der regulären Dienstzeiten der Staatsanwälte, die die zwingende Anwesenheit dieser Staatsanwälte am Arbeitsplatz voraussetzen, oder Bereitschaftszeiten in Form von Rufbereitschaft, die eine solche Anwesenheit an ihrem Wohnsitz voraussetzen, als „Arbeitszeit“ im Sinne dieses Art. 2 einzustufen sind, soweit die den Staatsanwälten während dieser Bereitschaftszeiten auferlegten Einschränkungen ihre Möglichkeit, während dieser Bereitschaftszeiten die Zeit, in der ihre beruflichen Dienste nicht in Anspruch genommen werden, frei zu gestalten und sie ihren eigenen Interessen zu widmen, objektiv gesehen ganz erheblich beeinträchtigen.

 Kosten

66      Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Sechste Kammer) für Recht erkannt:

1.      Art. 1 Abs. 3 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung in Verbindung mit Art. 31 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ist dahin auszulegen, dass Staatsanwälte in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fallen.

2.      Art. 2 der Richtlinie 89/391/EWG des Rates vom 12. Juni 1989 über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer bei der Arbeit, auf den Art. 1 Abs. 3 der Richtlinie 2003/88 verweist, ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, die die Tätigkeit von Staatsanwälten vom Anwendungsbereich der Richtlinie 2003/88 ausnimmt, sofern diese Tätigkeit, wenn sie unter normalen Bedingungen ausgeübt wird, einer Arbeitszeitplanung unterworfen werden kann, die die Vorgaben der Richtlinie 2003/88 beachtet.

3.      Art. 2 der Richtlinie 2003/88 ist dahin auszulegen, dass Bereitschaftszeiten außerhalb der regulären Dienstzeiten der Staatsanwälte, die die zwingende Anwesenheit dieser Staatsanwälte am Arbeitsplatz voraussetzen, oder Bereitschaftszeiten in Form von Rufbereitschaft, die eine solche Anwesenheit an ihrem Wohnsitz voraussetzen, als „Arbeitszeit“ im Sinne dieses Art. 2 einzustufen sind, soweit die den Staatsanwälten während dieser Bereitschaftszeiten auferlegten Einschränkungen ihre Möglichkeit, während dieser Bereitschaftszeiten die Zeit, in der ihre beruflichen Dienste nicht in Anspruch genommen werden, frei zu gestalten und sie ihren eigenen Interessen zu widmen, objektiv gesehen ganz erheblich beeinträchtigen.

Unterschriften




Leave a Comment

Schreibe einen Kommentar