C-198/24 – Mr Green

C-198/24 – Mr Green

CURIA – Documents

Language of document : ECLI:EU:C:2025:852

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

NICHOLAS EMILIOU

vom 30. Oktober 2025(1)

Rechtssache C198/24

TQ

gegen

Mr Green Limited

(Vorabentscheidungsersuchen des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien, Österreich)

„ Vorlage zur Vorabentscheidung – Justizielle Zusammenarbeit in Zivil- und Handelssachen – Grenzüberschreitende Eintreibung von Forderungen – Verfahren für einen Europäischen Beschluss zur vorläufigen Kontenpfändung – Verordnung (EU) Nr. 655/2014 – Wesen des Verfahrens zum Erlass des Beschlusses zur vorläufigen Pfändung als Ex-parte-Verfahren (Verfahren ohne vorherige Anhörung des Antragsgegners) – Art. 11 – Folgen eines während dieses Verfahrens vorgelegten Vorabentscheidungsersuchens – Bedingungen für den Erlass eines Beschlusses zur vorläufigen Pfändung – Art. 7 – Periculum in mora – Tatsächliche Gefahr, dass ohne einen Beschluss zur vorläufigen Pfändung die spätere Vollstreckung der Forderung des Gläubigers unmöglich oder sehr erschwert wird – Umstände, die bei der Prüfung dieser Bedingung berücksichtigt werden können“

I.      Einleitung

1.        Das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien (Österreich) gehört zu einer Reihe von Rechtssachen(2), die Online-Glücksspiele betreffen, die von in Malta niedergelassenen Unternehmen angeboten werden. In der Regel sind die von ihnen betriebenen Websites nicht nur aus anderen Mitgliedstaaten zugänglich, sondern (durch die Namen dieser Websites, die dort verwendete Sprache, Werbung usw.) auch auf andere Mitgliedstaaten (in diesem Fall Österreich) ausgerichtet. Diese Unternehmen erbringen ihre Dienstleistungen auf der Grundlage von durch die Maltese Gaming Authority (maltesische Glücksspielbehörde) nach maltesischem Recht erteilten Glücksspiellizenzen. Sie verfügen jedoch nicht immer über eine nach den Glücksspielvorschriften der Zielmitgliedstaaten erforderliche Lizenz der Behörden dieser Staaten für das Anbieten solcher Glücksspiele in ihrem Hoheitsgebiet.

2.        Eine bedeutende Anzahl von Verbrauchern in diesen Zielmitgliedstaaten nimmt an solchen Online-Glücksspielen teil, und viele von ihnen verlieren erhebliche Geldbeträge. In den letzten Jahren versuchten zahlreiche Spieler, ihre Verluste wieder auszugleichen, indem sie vor ihren „örtlichen“ Gerichten(3) Zivilverfahren gegen maltesische Glücksspielunternehmen einleiteten. Typischerweise wird vorgebracht, dass i) der Verbraucher bei Glücksspielen nach einem mit einem dieser Unternehmen geschlossenen Glücksspielvertrag Einsätze geleistet und verloren habe, ii) die angebotenen Glücksspiele mangels einer dem betreffenden Unternehmen von den Behörden des Zielmitgliedstaats erteilten Lizenz rechtswidrig seien und dieser Vertrag damit nach dem „örtlichen“ Vertragsrecht nichtig sei und iii) dieses Unternehmen demzufolge verpflichtet sei, diese Einsätze nach dem Recht der ungerechtfertigten Bereicherung zurückzuzahlen. Offenbar sind in Österreich und Deutschland Tausende solcher Ansprüche bearbeitet worden oder derzeit anhängig. Ferner wird diesen Ansprüchen offenbar bisher von den Gerichten dieser Mitgliedstaaten in der Mehrzahl der Fälle stattgegeben.

3.        Wenig überraschend werden diese Herausgabeansprüche von den maltesischen Glücksspielunternehmen bestritten. Offenbar weigern sie sich auch, den gegen sie ergangenen Urteilen der „örtlichen“ Gerichte der Verbraucher nachzukommen, da sie diese Entscheidungen für offensichtlich falsch halten. Diese Unternehmen vertreten die Ansicht, dass sie, sofern ihre Dienstleistungen aufgrund maltesischer Glücksspiellizenzen erbracht würden – die vielfach das Anbieten von Glücksspielen sowohl in Malta als auch von Malta aus erlaubten – aufgrund der in Art. 56 AEUV verankerten Freiheit berechtigt seien, diese Dienstleistungen überall in der Europäischen Union anzubieten.

4.        Setzten die Zielmitgliedstaaten ihre Glücksspielvorschriften und Erlaubnispflichten gegen sie aus Gründen des Schutzes von Spielern (etwa zur Betrugs- und Suchtvorbeugung sowie damit zusammenhängender Belange) durch, schränkten diese Staaten ihre Dienstleistungsfreiheit in ungerechtfertigter und/oder unverhältnismäßiger Weise ein. Die maltesischen Glücksspielvorschriften und die Aufsicht durch die maltesische Glücksspielbehörde böten Spielern angemessenen Schutz – dies sei ein wichtiger Gesichtspunkt, der von diesen „örtlichen“ Gerichten nicht anerkannt werde.

5.        Die maltesischen Glücksspielanbieter haben insoweit Unterstützung vom maltesischen Gesetzgeber erhalten. Dieser hat, da seiner Ansicht nach die Zielmitgliedstaaten die Dienstleistungsfreiheit dieser Unternehmen nach Art. 56 AEUV behindern und es „langjährige öffentliche Praxis Maltas ist, die Niederlassung von Glücksspielbetreibern, die die örtliche und grenzüberschreitende Erbringung ihrer Dienstleistungen in einer den örtlichen Rechtsvorschriften entsprechenden Weise anbieten, in Malta in dem Bestreben zu unterstützen, private Unternehmen im Einklang mit Art. 18 der maltesischen Verfassung zu fördern“(4), am 12. Juni 2023 die „Bill 55“ erlassen, mit der ein neuer Art. 56A in das maltesische Glücksspielgesetz eingefügt wurde(5). Dieser Artikel sieht im Wesentlichen vor, dass Klagen, mit denen die Rechtmäßigkeit von Dienstleistungen, die von maltesischen Unternehmen aufgrund einer maltesischen Glücksspiellizenz angeboten werden, in Frage gestellt wird, vor den maltesischen Gerichten als unzulässig anzusehen sind. Ferner bestimmt er, dass ausländische Urteile, mit denen einer solchen Klage stattgegeben wird, in Malta weder anerkannt noch vollstreckt werden dürfen.

6.        Vor diesem Hintergrund betrifft das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen die konkrete Frage, ob ein Spieler, der einen Herausgabeanspruch gegen ein maltesisches Glücksspielunternehmen geltend macht, dessen künftige Vollstreckung durch einen Europäischen Beschluss zur vorläufigen Kontenpfändung (im Folgenden: Beschluss zur vorläufigen Pfändung oder einfach Beschluss) nach der Verordnung (EU) Nr. 655/2014(6) sichern kann. Diese einstweilige Maßnahme zielt auf Gelder des Unternehmens, die sich angeblich auf Bankkonten in mehreren Mitgliedstaaten befinden.

7.        In diesem Zusammenhang ersucht das vorlegende Gericht um Klärung einer der Bedingungen für den Erlass eines Beschlusses zur vorläufigen Pfändung (nach Art. 7 der EBzvK-Verordnung), nämlich dass der Antragsteller nachweisen muss, dass diese Maßnahme „dringend erforderlich“ ist (eine Voraussetzung, die gemeinhin als „periculum in mora“ bezeichnet wird und die vom Gerichtshof bislang noch nicht geprüft wurde). Dem vorlegenden Gericht stellt sich die Frage, welche Art von Beweismitteln ein Gläubiger, der eine solche Maßnahme beantragt, insoweit vorzubringen hat. Es ersucht u. a. um Klärung, ob für die Bedingungen für den Erlass eines Beschlusses zur vorläufigen Kontenpfändung ausschließlich Beweisumstände in Betracht kommen, die die subjektive Absicht des Schuldners zur Vereitelung der Vollstreckung der Forderung belegen – etwa Handlungen, mit denen Vermögenswerte aufgebraucht, verschleiert oder veräußert werden –, oder ob bei dieser Bewertung auch objektive Faktoren, einschließlich des sich in der vorliegenden Rechtssache beispielhaft zeigenden Tätigwerdens des nationalen Gesetzgebers, berücksichtigt werden dürfen.

II.    Rechtlicher Rahmen

A.      EBzvK-Verordnung

8.        Der Beschluss zur vorläufigen Pfändung ist eine „einfrierende“ Sicherungsmaßnahme. Konkret kann diese Maßnahme nach den Art. 2 und 5 der EBzvK-Verordnung bei „grenzüberschreitenden Rechtssachen“ von einer (in der EBzvK-Verordnung als „Gläubiger“ bezeichneten) Person beantragt werden, die in „Zivil- und Handelssachen“ eine „Geldforderung“ gegen eine (in der Verordnung als „Schuldner“ bezeichnete) andere Person geltend macht, und zwar entweder vor Einleitung eines Verfahrens in der Hauptsache, während eines solchen Verfahrens oder nach Erwirken einer gerichtlichen Entscheidung (oder eines gerichtlichen Vergleichs oder einer öffentlichen Urkunde), mit der/dem der Schuldner zur Erfüllung aufgefordert wird. Der Beschluss kann von dem Gericht erlassen werden, das in der Hauptsache zuständig ist, oder von dem Gericht, das die Entscheidung in der Hauptsache erlassen hat(7). Mit dem Erlass wird dem/den betreffenden Finanzinstitut/en durch den Beschluss die zwingende Verpflichtung auferlegt, die Gelder auf einem oder mehreren Bankkonten im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats zu „pfänden“, womit dem Schuldner – oder den zu seiner Vertretung berechtigten Personen – eine Verfügung über diese Vermögenswerte sowie ihre Übertragung oder anderweitige Belastung untersagt wird, um ihre Verfügbarkeit für die Vollstreckung der zugrunde liegenden Forderung durch den Gläubiger zu einem späteren Zeitpunkt zu sichern(8). Um seine schnelle Ausführung zu gewährleisten, ist ein Beschluss zur vorläufigen Pfändung automatisch (und ohne Ausnahmen) in dem Mitgliedstaat vollstreckbar, in dem das Zielkonto/die Zielkonten geführt wird/werden(9). Mit diesem unionsrechtlichen Rechtsbehelf soll die Effizienz der grenzüberschreitenden Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen verbessert und so das Funktionieren des Binnenmarkts gefördert und Gläubigern ein „effektiver Zugang zum Recht“ in der Europäischen Union gewährleistet werden(10).

9.        In der EBzvK-Verordnung werden einheitliche Regelungen für die verschiedenen Fragestellungen im Zusammenhang mit der „Geburt“, dem „Leben“ und dem „Tod“ eines solchen Beschlusses zur vorläufigen Kontenpfändung festgelegt(11). Insbesondere sind in Art. 7 dieser Verordnung materielle Bedingungen für den Erlass eines solchen Beschlusses vorgesehen. Nach Abs. 1 dieser Vorschrift „[erlässt d]as Gericht … einen Beschluss zur vorläufigen Pfändung, wenn der Gläubiger hinreichende Beweismittel vorgelegt hat, die das Gericht zu der berechtigten Annahme veranlassen, dass eine Sicherungsmaßnahme in Form eines Beschlusses zur vorläufigen Pfändung dringend erforderlich ist, weil eine tatsächliche Gefahr besteht, dass ohne diese Maßnahme die spätere Vollstreckung der Forderung des Gläubigers gegenüber dem Schuldner unmöglich oder sehr erschwert wird“.

III. Sachverhalt, Ausgangsverfahren und Vorlagefrage

10.      Die Mr Green Limited (im Folgenden: Mr Green) bietet über die Website www.mrgreen.com von ihrem Sitz in Malta aus Online-Glücksspiele (u. a.) in Österreich an. Dieses Unternehmen ist Inhaberin einer von der maltesischen Glücksspielbehörde nach maltesischem Recht erteilten Glücksspiellizenz. Es hat jedoch keine Konzession nach dem österreichischen Glücksspielgesetz.

11.      TQ, ein Verbraucher mit gewöhnlichem Aufenthalt in Wien (Österreich), nahm im Zeitraum vom 3. Januar 2017 bis 25. April 2019 an Glücksspielen auf der Website von Mr Green teil. In diesem Zeitraum setzte und verlor er schließlich einen Gesamtbetrag von 62 878,00 Euro.

12.      Anschließend erhob TQ gegen Mr Green Klage auf Herausgabe beim Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien. TQ machte geltend, da Mr Green nicht über eine Lizenz nach dem österreichischen Glücksspielgesetz verfügt habe, sei der zugrunde liegende Glücksspielvertrag nichtig und ergebe sich hieraus für dieses Unternehmen die Verpflichtung, ihm seine verlorenen Einsätze zurückzuzahlen.

13.      Mit Urteil vom 2. Dezember 2021 gab das österreichische Gericht der Klage statt und verurteilte Mr Green dementsprechend zur Rückzahlung von 62 878,00 Euro samt Anhang (d. h. einschließlich Zinsen und Kosten). Der Berufung dieses Unternehmens wurde mit Urteil vom 21. Februar 2022 vom Oberlandesgericht Wien (Österreich) nicht Folge gegeben. Beide Urteile sind am 13. April 2022 rechtskräftig und vollstreckbar geworden.

14.      TQ stellte am 13. Februar 2024 für die Forderung, der mit diesen gerichtlichen Entscheidungen stattgegeben wurde, beim Bezirksgericht Innere Stadt Wien (Österreich) einen Antrag auf Erlass eines Beschlusses zur vorläufigen Pfändung gegen Bankkonten, die Mr Green angeblich in Irland, Luxemburg, Malta und Schweden unterhielt.

15.      Zur Bedingung des „periculum in mora“ nach Art. 7 Abs. 1 der EBzvK-Verordnung brachte TQ im Wesentlichen vor, dass i) Mr Green versucht habe, das Vollstreckungsverfahren in Österreich zu vereiteln, indem sie Vermögenswerte aus dieser Rechtsordnung hinaus überwiesen und insbesondere – zu einem nicht näher feststellbaren Zeitpunkt vor dem 16. Februar 2021 – ihr Vertragsverhältnis mit der Dimoco Europe GmbH aufgelöst habe, einem Zahlungsdienstleister, bei dem Mr Green ein Guthaben gehabt habe und der als Drittschuldner bis Anfang Februar 2021 weiter Forderungen gegen Mr Green erfüllt habe; es habe die „tatsächliche Gefahr“ (im Sinne dieser Bestimmung) bestanden, dass Mr Green ähnliche Schritte in anderen Mitgliedstaaten unternehmen und ihre gesamten Vermögenswerte nach Malta übertragen würde. Geschähe dies, würde die Eintreibung der Forderung von TQ im Sinne dieser Bestimmung „unmöglich oder sehr erschwert“, da ii) der vor Kurzem eingeführte Art. 56A des maltesischen Glücksspielgesetzes die Vollstreckung solcher Forderungen gegen ein maltesisches Glücksspielunternehmen in Malta praktisch unmöglich gemacht habe.

16.      Mit Beschluss vom 15. Februar 2024 wies das Bezirksgericht Innere Stadt Wien den Antrag TQs mit der Begründung ab, dass die Bedingung des „periculum in mora“ nach Art. 7 Abs. 1 der EBzvK-Verordnung nicht erfüllt sei. Insbesondere war das vorgenannte Gericht der Auffassung, dass eine solche Maßnahme nicht „dringend erforderlich“ sei, da TQ seinen Antrag über einen Zeitraum von zwei Jahren ab dem Zeitpunkt des Eintretens der Vollstreckbarkeit der gerichtlichen Entscheidungen, derentwegen er die Pfändung begehre, verzögert habe. Jedenfalls i) reichten die von Mr Green im Jahr 2021 unternommenen Handlungen nicht aus, um nachzuweisen, dass die „tatsächliche Gefahr“ bestanden habe, dass ohne einen solchen Beschluss die Vollstreckung der Forderung TQs im Jahr 2024 „unmöglich oder sehr erschwert“ gewesen wäre, und ii) habe die Prim’Awla tal-Qorti Ċivili (Erste Kammer des Zivilgerichts) die Vollstreckung österreichischer gerichtlicher Entscheidungen zwar in der Tat auf der Grundlage von Art. 56A des maltesischen Glücksspielgesetzes abgelehnt, doch sei unklar, ob höhere Gerichte in Malta genauso entschieden hätten oder entscheiden würden.

17.      Gegen diesen Beschluss legte TQ Rekurs beim Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien ein. Das vorgenannte Gericht hat festgestellt, dass die Entscheidung über dieses Rechtsmittel von der richtigen Auslegung von Art. 7 Abs. 1 der EBzvK-Verordnung abhänge, und daher beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Ist die Bestimmung des Art. 7 Abs. 1 der EBzvK-Verordnung dahin auszulegen, dass Handlungen des Schuldners, die drei Jahre oder länger zurückliegen, und/oder Hindernisse bei der Vollstreckung der Entscheidung im Mitgliedstaat des Schuldners nicht zu berücksichtigen sind?

18.      TQ, Mr Green, die belgische und die maltesische Regierung sowie die Europäische Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht. Die vorgenannten Beteiligten waren in der mündlichen Verhandlung vom 19. Juni 2025 vertreten.

IV.    Würdigung

19.      Ein Antrag auf Erlass eines Beschlusses zur vorläufigen Pfändung, wie er von TQ bei den österreichischen Gerichten gestellt wurde, ist eindeutig zulässig. Insbesondere fällt die Fallgestaltung in den Anwendungsbereich der EBzvK-Verordnung. TQ begehrt mit seinem Antrag nämlich die Sicherung der Vollstreckung einer „Geldforderung in Zivil- und Handelssachen“(12) bei einer „grenzüberschreitenden Rechtssache“(13).

20.      Das vorlegende Gericht hat hingegen Zweifel, ob ein solcher Antrag unter den Umständen der vorliegenden Rechtssache als begründet angesehen werden kann. Wie in der Einleitung ausgeführt, hängt dies davon ab, ob die Bedingungen für den Erlass eines Beschlusses zur vorläufigen Pfändung (nach Art. 7 der EBzvK-Verordnung) erfüllt sind. Die insoweit gestellte Frage des vorlegenden Gerichts werde ich in Abschnitt B erörtern. Bevor ich jedoch fortfahre, werde ich in Abschnitt A auf eine vor dem Gerichtshof diskutierte Vorfrage eingehen, nämlich wie das Vorabentscheidungsverfahren und das EBzvK-Verfahren optimal miteinander in Einklang gebracht werden können.

A.      Vereinbarkeit von Vorabentscheidungs- und EBzvK-Verfahren

21.      Wenn Maßnahmen des „Einfrierens“ wirksam sein sollen, müssen sie ein Überraschungselement beinhalten. Gelder auf Bankkonten stellen höchst volatile Vermögenswerte dar. Ein säumiger Schuldner könnte, wenn er zuvor Kenntnis erhält, dass sein Konto Gegenstand einer solchen Maßnahme ist, die betroffenen Gelder umgehend mittels eines einfachen elektronischen Bankgeschäftsvorgangs abziehen, bevor die Maßnahme vollstreckt werden kann.

22.      Um dieses Überraschungselement zu gewährleisten und somit zu verhindern, dass die vorgenannte Gefahr sich verwirklicht, hat der Unionsgesetzgeber es als unerlässlich angesehen, dass die Entscheidung über Anträge auf Erlass von Beschlüssen zur vorläufigen Pfändung (und gegebenenfalls ihr Erlass) von den nationalen Gerichten in einem Ex-parte-Verfahren (Verfahren ohne vorherige Anhörung des Antragsgegners), ausschließlich auf der Grundlage der vom Gläubiger vorgelegten Angaben und Beweismittel, erfolgt. Was diese erste Phase des EBzvK-Verfahrens (im Folgenden: Erlassphase) angeht, sieht Art. 11 der EBzvK-Verordnung vor, dass „[d]er Schuldner … vor Erlass des Beschlusses zur vorläufigen Pfändung keine Kenntnis vom Antrag … oder Gelegenheit zur Äußerung [erhält]“. Nach Art. 24, Art. 25 und Art. 28 Abs. 1 der Verordnung ist der Schuldner nämlich erst nach Ausführung des Beschlusses durch die betreffende Bank in Kenntnis zu setzen. Der Schuldner kann dann nach Art. 33 der Verordnung beim erlassenden Gericht den Widerruf des Beschlusses beantragen. In dieser zweiten Phase des EBzvK-Verfahrens (im Folgenden: Prüfungsphase) erhält der Schuldner Gelegenheit zur Äußerung.

23.      Gleichwohl ergeben sich in diesem ansonsten durchdacht ausgestalteten Rahmen Schwierigkeiten, wenn bei nationalen Gerichten – wie dem Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien – Anträge auf Erlass von Beschlüssen zur vorläufigen Pfändung gestellt werden, diesen Gerichten aber die Auslegung der Anforderungen der EBzvK-Verordnung, einschließlich der Bedingungen nach ihrem Art. 7, ungewiss erscheint und sie die Frage durch den Gerichtshof im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens nach Art. 267 AEUV klären lassen möchten.

24.      Es erscheint nur logisch, dass die nationalen Gerichte, wie vorliegend das vorlegende Gericht, eine solche Klärung in der Erlassphase erhalten möchten, bevor sie über den Erlass des Beschlusses zur vorläufigen Pfändung entscheiden (zumal sie nach Art. 17 Abs. 1 der EBzvK-Verordnung verpflichtet sind, zu prüfen, ob diese Voraussetzungen zu diesem Zeitpunkt erfüllt sind). Zudem sind diese Gerichte in dieser Phase absolut befugt, um eine Vorabentscheidung zu ersuchen(14). Problematisch ist jedoch, dass die Einleitung einer Vorabentscheidung in dieser Phase – als unbeabsichtigte Folge aus den Verfahrensvorschriften für das Vorabentscheidungsverfahren vor dem Gerichtshof – die notwendige Vertraulichkeit des anhängigen Antrags auf Erlass eines Beschlusses zur vorläufigen Pfändung beeinträchtigen kann.

25.      Insbesondere ist darauf hinzuweisen, dass nach Art. 23 Abs. 1 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union im Fall der Vorlage eines Vorabentscheidungsersuchens durch ein nationales Gericht die Vorlageentscheidung „den beteiligten Parteien [des Ausgangsrechtsstreits]“ von der Kanzlei des Gerichtshofs zugestellt wird. Ferner können diese „Parteien“ nach Art. 23 Abs. 2 der Satzung und Art. 96 Abs. 1 Buchst. a der Verfahrensordnung des Gerichtshofs beim Gerichtshof Erklärungen abgeben. Was das nationale Verfahren zum Erlass des Beschlusses zur vorläufigen Pfändung nach der EBzvK-Verordnung angeht, schließt der Begriff „Parteien des Ausgangsrechtsstreits“ eindeutig den Schuldner ein.

26.      In Bezug auf den letztgenannten Punkt bin ich mir bewusst, dass bei Verfahren auf nationaler Ebene die Identität der „Parteien des Ausgangsrechtsstreits“ im Allgemeinen nach den anwendbaren nationalen Verfahrensvorschriften und folgerichtig (da es sich um eine Frage des nationalen Rechts handelt) durch das vorlegende Gericht bestimmt wird (wie in Art. 97 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs vorgesehen)(15). Gleichwohl weist das Verfahren zum Erlass des Beschlusses zur vorläufigen Pfändung die Besonderheit auf, dass es in erster Linie den einheitlichen Verfahrensvorschriften unterliegt, die das Unionsrecht in der EBzvK-Verordnung festlegt. Folglich muss die Bestimmung der „Parteien“ nach diesen Vorschriften erfolgen. Da diese Vorschriften Teil des Unionsrechts sind, obliegt es dem Gerichtshof, eine einheitliche Auslegung vorzunehmen, um die Kohärenz in allen Mitgliedstaaten zu gewährleisten(16).

27.      Aus einer systematischen Auslegung der in Rede stehenden Vorschriften ergibt sich, dass der Schuldner in diesem Verfahren ganz eindeutig der Antragsgegner ist, da er nach der Definition in Art. 4 Nr. 7 der EBzvK-Verordnung die Person ist, „gegen die“ der Gläubiger einen Beschluss zur vorläufigen Pfändung erwirken will. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass der Schuldner in der Erlassphase nicht zu informieren ist (bzw. keine Gelegenheit zur Äußerung erhält) oder dass er sich erst in der Prüfungsphase verteidigen kann. Diese beiden Phasen sind nämlich als integrale Bestandteile eines einheitlichen Verfahrensrahmens anzusehen, nämlich des EBzvK-Verfahrens, das grundsätzlich ein kontradiktorisches Verhältnis zwischen Gläubiger und Schuldner im Hinblick auf den Erlass einer Sicherungsmaßnahme beinhaltet(17).

28.      Zusammenfassend ist festzuhalten, dass in dem Fall, dass ein nationales Gericht in der Erlassphase ein Vorabentscheidungsersuchen vorlegt, der Schuldner für gewöhnlich vom Gerichtshof über dieses Ersuchen informiert werden muss und sich am Vorabentscheidungsverfahren beteiligen können muss. Dies führt zwangsläufig zur vorzeitigen Kenntniserlangung des Schuldners von dem beim nationalen Gericht anhängigen Antrag auf Erlass eines Beschlusses zur vorläufigen Pfändung gegen sein Konto/seine Konten. Genau dies ist in der Tat in der vorliegenden Rechtssache in Bezug auf Mr Green geschehen.

29.      Dies stellt meines Erachtens einen bedauerlichen Zustand dar, da er genau die Gefahr erneut eintreten lässt, die der Gesetzgeber mit Art. 11 der EBzvK-Verordnung begrenzen wollte – nämlich die Gefahr, dass der Schuldner die Zielvermögenswerte vor Vollstreckung des Beschlusses verschleiert oder aufbraucht. Hierdurch könnte dem Gläubiger, der den Antrag gestellt hat, unter Verstoß gegen sein Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf nach Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) nicht wiedergutzumachender Schaden entstehen. Die Wirksamkeit des durch Art. 267 AEUV geschaffenen Systems wird ebenfalls beeinträchtigt(18). Es könnte sich nämlich herausstellen, dass die Vorabentscheidung, die der Gerichtshof erlässt, für das nationale Gericht letztlich im konkreten Fall von begrenztem Nutzen ist, insbesondere wenn der Erlass eines Beschlusses zur vorläufigen Pfändung im Licht dieser Entscheidung als berechtigt anzusehen ist, der Schuldner indes in der Zwischenzeit seine Vermögenswerte verschleiert oder aufgebraucht und somit den Antrag wirkungslos gemacht hat.

30.      Dieser Zustand sollte in künftigen Rechtssachen nicht erneut eintreten. Es muss eine pragmatische Lösung gefunden werden, die i) das Recht der nationalen Gerichte gewährleistet, Vorabentscheidungsersuchen zu den in der EBzvK-Verordnung festgelegten Anforderungen vorzulegen (was auch zur Gewährleistung der einheitlichen Anwendung dieses Instruments in der gesamten Europäischen Union unerlässlich ist), und zugleich ii) die Wirksamkeit der EBzvK-Verordnung sowie die Interessen des Gläubigers wahrt.

31.      Eine mögliche Lösung könnte darin bestehen, dass der Gerichtshof Art. 23 der Satzung und Art. 96 Abs. 1 Buchst. a seiner Verfahrensordnung dahin (neu) auslegt, dass in dem Fall, dass ein nationales Gericht in der Erlassphase ein Vorabentscheidungsersuchen zur EBzvK-Verordnung vorlegt, der Schuldner – obwohl er formal „Partei des Ausgangsrechtsstreits“ ist – von diesem Ersuchen nicht in Kenntnis gesetzt wird und erst recht vor dem Gerichtshof keine Erklärungen abgeben kann. Diesem Ansatz ist eine „symmetrische“ Logik zu eigen, die auf den ersten Blick überzeugt: Die „Parteien“ (wie etwa der Schuldner) könnten sich am Vorabentscheidungsverfahren beteiligen, wenn und soweit sie sich am Ausgangsverfahren beteiligen können. Gleichwohl ist eine solche Lösung meines Erachtens weder durchführbar noch angemessen.

32.      Sie widerspricht eindeutig dem Wortlaut von Art. 23 der Satzung und Art. 96 Abs. 1 Buchst. a der Verfahrensordnung des Gerichtshofs (im Folgenden: Verfahrensordnung), wonach allen „Parteien“ eines nationalen Verfahrens das Recht gewährt wird, von einem im Laufe dieses Verfahrens vorgelegten Vorabentscheidungsersuchen in Kenntnis gesetzt zu werden und vor dem Gerichtshof Erklärungen abzugeben. Es ist keine Ausnahme für diejenigen vorgesehen, die vom Ausgangsverfahren nicht informiert werden und/oder im Verfahren vor dem vorlegenden Gericht zum Erscheinen nicht berechtigt sind(19).

33.      Außerdem ist darauf hinzuweisen, dass die Verfasser von Art. 23 der Satzung und Art. 96 Abs. 1 Buchst. a der Verfahrensordnung den „Parteien des Ausgangsrechtsstreits“ gestattet haben, sich am Vorabentscheidungsverfahren zu beteiligen, um ihr Recht auf rechtliches Gehör aufgrund ihres Grundrechts auf ein faires Verfahren (geschützt durch Art. 47 der Charta) zu gewährleisten. Die Auslegung des Unionsrechts, die der Gerichtshof in Beantwortung eines Vorabentscheidungsersuchens vornimmt, hat nämlich in der Regel einen wichtigen, wenn nicht gar entscheidenden Einfluss auf den Ausgang des nationalen Verfahrens. Eine Ausnahme für „Parteien“, die sich in der Situation eines Schuldners während der Erlassphase befinden, wäre im Licht dieses Ziels fragwürdig.

34.      Insbesondere wird im Kontext des Verfahrens auf der nationalen Ebene zum Erlass eines Beschlusses zur vorläufigen Pfändung das Recht des Schuldners auf rechtliches Gehör nur (bis nach seiner Ausführung) aufgeschoben. Der Schuldner wird schließlich (in der Prüfungsphase) die Gelegenheit haben, das nationale Gericht davon zu überzeugen, dass die Voraussetzungen für den Erlass des Beschlusses tatsächlich nicht erfüllt waren.

35.      Wenn dagegen das nationale Gericht ein Vorabentscheidungsersuchen in der Erlassphase vorlegt und der Schuldner von diesem Ersuchen weder in Kenntnis gesetzt wird noch berechtigt ist, vor dem Gerichtshof Erklärungen abzugeben, wird der Gerichtshof eine verbindliche Auslegung der EBzvK-Verordnung vornehmen, die sehr wahrscheinlich die Rechtmäßigkeit des beantragten Beschlusses zur vorläufigen Pfändung für alle Zeiten festlegen wird, ohne dass der Schuldner eine Gelegenheit hatte, seine Ansichten hierzu vorzutragen. Diese Auslegung wird für das nationale Gericht für den restlichen Teil des EBzvK-Verfahrens verbindlich sein. Ist diese Auslegung den Interessen des Schuldners abträglich, wird er keine realistische Gelegenheit haben, in der Prüfungsphase vor dem nationalen Gericht oder dem Gerichtshof eine andere Auslegung vorzubringen (abgesehen von dem unwahrscheinlichen Fall, dass er das nationale Gericht davon überzeugt, in dieser Phase ein weiteres Vorabentscheidungsersuchen zu dem-/denselben Punkt/en des Unionsrechts vorzulegen). Insoweit wird dem Schuldner sein Recht auf rechtliches Gehör verweigert.

36.      Meines Erachtens läge ein vorzugswürdiger Ansatz darin, dass die nationalen Gerichte in der Erlassphase von der Vorlage von Vorabentscheidungsersuchen absehen und diese stattdessen erforderlichenfalls erst nach der etwaigen Ausführung des Beschlusses zur vorläufigen Pfändung vorlegen(20).

37.      Ein nationales Gericht muss in der Erlassphase keine absolute Gewissheit darüber haben, dass die in der EBzvK-Verordnung vorgesehenen Bedingungen für den Erlass eines Beschlusses zur vorläufigen Pfändung vollständig erfüllt sind. Was beispielsweise die Bedingung nach ihrem Art. 7 Abs. 1 betrifft, hat das nationale Gericht, wie im folgenden Abschnitt dargelegt werden wird, den Beschluss zu erlassen, wenn der Gläubiger hinreichende Beweismittel dafür vorgelegt hat, dass eine tatsächliche Gefahr für die Vollstreckung seiner Forderung besteht. Ein vollständiger Nachweis ist zu diesem Zeitpunkt nicht erforderlich, und ein gewisses Maß an Unsicherheit kann fortbestehen. Dieser Grundsatz gilt auch für die Auslegung dieser Bedingung: Sofern die vom Gläubiger geltend gemachte Auslegung im Licht der Rechtsprechung des Gerichtshofs zu Art. 7 Abs. 1 begründet erscheint und die Bedingung im Großen und Ganzen erfüllt ist, ist jeder verbleibende Zweifel des nationalen Gerichts im Hinblick auf die ihr genau zukommende Bedeutung einer späteren Prüfung vorzubehalten und der Beschluss zur vorläufigen Pfändung zu erlassen(21).

38.      Die Entscheidung, die das nationale Gericht in der Erlassphase trifft, ist nämlich letztlich nur „vorläufig“. Die Rechtmäßigkeit des Beschlusses zur vorläufigen Pfändung wird von diesem nationalen Gericht vielmehr in der Prüfungsphase erneut geprüft. In dieser Phase wird eine eingehende Erörterung dieser Anforderungen inter partes (mit Anhörung des Antragsgegners) stattfinden. Wenn diese Erörterung die Zweifel, die das nationale Gericht hatte, bestätigt, wird es die Gelegenheit haben, ein Vorabentscheidungsersuchen hierzu vorzulegen, um die verbindliche Auslegung dieser Anforderungen zu erhalten. Erst danach wird das nationale Gericht, gegebenenfalls im Licht der Auslegung durch den Gerichtshof, eine endgültige und vollständige Entscheidung über die Rechtmäßigkeit des Beschlusses zur vorläufigen Pfändung erlassen.

39.      Hiergegen könnte eingewendet werden, dass die Phase der Prüfung des Beschlusses zur vorläufigen Pfändung nicht automatisch stattfindet, sondern nur dann, wenn der Schuldner nach Art. 33 der EBzvK-Verordnung den Widerruf dieser Maßnahme beantragt. Ein nationales Gericht – insbesondere ein Gericht im Sinne von Art. 267 Abs. 3 AEUV, das somit zur Vorlage von Fragen des Unionsrechts verpflichtet ist – könnte zu Recht Bedenken dahin haben, dass es, wenn es von der Vorlage eines Vorabentscheidungsersuchens in der Erlassphase absieht, später hierzu keine Gelegenheit mehr haben könnte, wenn der Schuldner den Beschluss zur vorläufigen Pfändung nicht anficht.

40.      Es ist jedoch zum einen darauf hinzuweisen, dass die Wahrscheinlichkeit, dass ein Schuldner keinen Widerruf des Beschlusses beantragt, relativ gering ist. Das Einfrieren ihres Bankkontos ist in der Regel keine Maßnahme, die von Schuldnern tendenziell unbeachtet bleibt. Ferner wird der Schuldner, wenn ein Beschluss zur vorläufigen Pfändung erlassen wird, in der ihm mitgeteilten Entscheidung ausdrücklich darauf hingewiesen, dass er den Widerruf beantragen kann. Zudem wird dem Schuldner dies durch dieses Instrument besonders einfach gemacht. Der Widerruf kann jederzeit unter Verwendung eines einfachen Standardformulars beantragt werden(22).

41.      Zum anderen kann sich in dem unwahrscheinlichen Fall, dass ein nationales Gericht wirklich Bedenken hinsichtlich eines möglichen Untätigbleibens des Schuldners hat, aus einer umsichtigen und kreativen Anwendung der Bestimmungen der EBzvK-Verordnung ein wirksamer verfahrensrechtlicher Rechtsbehelf ergeben. Insbesondere kann das erlassende Gericht nach Art. 35 Abs. 2 dieser Verordnung, wenn dies nach seinem nationalen Verfahrensrecht zulässig ist, den Beschluss zur vorläufigen Pfändung auf der Grundlage „veränderter Umstände“ von Amts wegen widerrufen. Dieser Begriff wird in der EBzvK-Verordnung weder definiert noch eingegrenzt und ist meines Erachtens so weit gefasst, dass er Fallgestaltungen einschließt, in denen der Gerichtshof nach Erlass des Beschlusses eine Auslegung dieser Verordnung verkündet, die für die Rechtmäßigkeit der erlassenen Maßnahme von Bedeutung ist. Demnach könnte das nationale Gericht i) einen Beschluss zur vorläufigen Pfändung erlassen, sodann ii) ein Vorabentscheidungsersuchen dazu vorlegen, die Rechtmäßigkeit des Beschlusses nach Art. 35 Abs. 2 von Amts wegen zu prüfen, und iii) diesen Beschluss im Licht der Antwort des Gerichtshofs widerrufen oder bestätigen.

42.      Zwar kann die von mir vorgeschlagene Lösung dazu führen, dass es der Schuldner hinnehmen muss, dass sein Konto über einen längeren – nämlich der Dauer des Vorabentscheidungsverfahrens entsprechenden – Zeitraum aufgrund eines Beschlusses zur vorläufigen Pfändung eingefroren ist, der möglicherweise letztlich auf einer Auslegung des Unionsrechts beruht, die sich später als falsch erweist. Indes könnte der Gerichtshof der prekären Lage des Schuldners Rechnung tragen und Vorabentscheidungsersuchen, die die EBzvK-Verordnung betreffen, vorrangig bearbeiten. Außerdem könnte der Gerichtshof in Ausnahmefällen, in denen ein Beschluss zur vorläufigen Pfändung die Fähigkeit des Schuldners, seinen grundlegenden Lebensunterhalt zu bestreiten, ernsthaft gefährden würde, vom Eilvorabentscheidungsverfahren (PPU) oder zumindest vom beschleunigten Vorabentscheidungsverfahren (PPA) Gebrauch machen, die die Dauer des Verfahrens vor dem Gerichtshof mit verschiedenen Mitteln auf nur wenige Wochen verkürzen.

B.      Art. 7 Abs. 1 der EBzvK-Verordnung

43.      Art. 7 der EBzvK-Verordnung enthält materielle Bedingungen für den Erlass eines Beschlusses zur vorläufigen Pfändung. Diese Bedingungen unterscheiden sich je nachdem, ob der Gläubiger zum Zeitpunkt der Stellung seines Antrags einen vollstreckbaren Titel erwirkt hatte, mit dem der Schuldner aufgefordert wird, die zugrunde liegende Forderung zu erfüllen.

44.      Hatte der Gläubiger, wie im Fall von TQ, einen solchen Titel bereits erwirkt, findet nur Art. 7 Abs. 1 Anwendung. Nach dieser Bestimmung „erlässt“ das angerufene Gericht den Beschluss zur vorläufigen Pfändung, wenn „der Gläubiger hinreichende Beweismittel vorgelegt hat, die das Gericht zu der berechtigten Annahme veranlassen, dass [diese] Sicherungsmaßnahme … dringend erforderlich ist, weil eine tatsächliche Gefahr besteht, dass ohne diese Maßnahme die spätere Vollstreckung der Forderung des Gläubigers gegenüber dem Schuldner unmöglich oder sehr erschwert wird“.

45.      Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob in diesem Zusammenhang „Handlungen des Schuldners, die drei Jahre oder länger zurück liegen“, und „Hindernisse bei der Vollstreckung der Entscheidung im Mitgliedstaat des Schuldners“ berücksichtigt werden können. Diese ziemlich konkrete Frage spiegelt die Umstände wider, die von TQ zur Stützung seines Antrags auf Erlass eines Beschlusses zur vorläufigen Pfändung angeführt werden und oben in Nr. 15 zusammengefasst sind, nämlich i) die Auflösung eines Vertrags mit einem österreichischen Zahlungsdienstleister (Dimoco Europe) durch Mr Green im Jahr 2021 und ii) den Erlass von Art. 56A des maltesischen Glücksspielgesetzes durch den maltesischen Gesetzgeber.

46.      Anstatt eine auf diesen konkreten Sachverhalt zugeschnittene Antwort zu geben, sollte der Gerichtshof meiner Ansicht nach einen allgemeineren Ansatz zu der vorliegenden Frage verfolgen, insbesondere weil er Art. 7 Abs. 1 der EBzvK-Verordnung bislang noch nicht ausgelegt hat. Demnach sollte der Gerichtshof, wie in den folgenden Abschnitten dargelegt, allgemeine Klarstellungen dazu vornehmen, 1) welche Bedeutung der in dieser Bestimmung genannten Bedingung zukommt und 2) welche Arten von Beweismitteln ein Gläubiger vorlegen kann, um nachzuweisen, dass die Bedingung erfüllt ist. In diesem Zusammenhang ist auch auf die mögliche Relevanz der vom vorlegenden Gericht in seiner Frage genannten Umstände einzugehen. Eine solche Beantwortung wird nicht nur für das vorlegende Gericht von Nutzen sein, sondern auch dazu führen, dass Vorabentscheidungsersuchen anderer Gerichte zu Art. 7 Abs. 1 in künftigen Fällen weniger wahrscheinlich werden.

1.      „Dringende Erforderlichkeit“ eines Beschlusses zur vorläufigen Pfändung

47.      Ich beginne mit dem Offensichtlichen. Da Art. 7 Abs. 1 der EBzvK-Verordnung nicht auf das nationale Recht der Mitgliedstaaten verweist, ist diese Bestimmung autonom auszulegen, um ihre einheitliche Anwendung in der gesamten Union zu gewährleisten.

48.      Diese Klarstellung vorausgeschickt, dürfte meines Erachtens im Licht der in der Vorlageentscheidung genannten Erläuterung und den Erörterungen vor dem Gerichtshof für die Auslegung von Art. 7 Abs. 1 der EBzvK-Verordnung auf zwei miteinander verknüpfte Fragen – die für das wirksame Funktionieren des mit diesem Instrument eingeführten Systems von entscheidender Bedeutung sind – einzugehen sein.

49.      Erstens werden, entgegen der Annahme des vorlegenden Gerichts und den Erklärungen von Mr Green und der maltesischen Regierung, in Art. 7 Abs. 1 nicht zwei unterschiedliche Bedingungen aufgestellt, nämlich die „dringliche Erforderlichkeit“ eines Beschlusses zur vorläufigen Pfändung und die „tatsächliche Gefahr“, dass ohne diese Maßnahme die spätere Vollstreckung der Forderung des Gläubigers unmöglich oder sehr erschwert wird. Vielmehr ergibt sich aus dem Wortlaut dieser Bestimmung eindeutig, dass diese Begriffe zwei voneinander untrennbare Aspekte einer einheitlichen Bedingung darstellen: Der Gläubiger muss nachweisen, dass eine Maßnahme „dringend erforderlich“ ist, „weil“ eine „tatsächliche Gefahr“ für die spätere Vollstreckung seiner Forderung besteht (die dringende Erforderlichkeit muss mit anderen Worten eine Folge dieser tatsächlichen Gefahr sein). Hierin kommt im Wesentlichen die Voraussetzung des „periculum in mora“ („Gefahr im Verzug“ oder „Dringlichkeit“) zum Ausdruck, die vielen Rechtsbehelfen gemeinsam ist(23).

50.      Zweitens ist, wie vom vorlegenden Gericht diesmal zu Recht angenommen und wie auch von den Beteiligten, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben (mit Ausnahme der belgischen Regierung), vorgetragen, die „tatsächliche Gefahr“ im Sinne von Art. 7 Abs. 1 der EBzvK-Verordnung dahin zu verstehen, dass sie sich im Wesentlichen auf die Gefahr bezieht, dass der Schuldner Maßnahmen – wie etwa das Aufbrauchen, das Verschleiern oder die Vernichtung von Vermögenswerten oder ihre Veräußerung unter Wert – ergreift, um sich der Begleichung der Schuld zu entziehen.

51.      Zwar ist der Wortlaut von Art. 7 Abs. 1 der EBzvK-Verordnung in dieser Hinsicht nicht eindeutig. Wie oben ausgeführt, ist dort lediglich die Rede von einer „tatsächlichen Gefahr“, dass die spätere Vollstreckung der Forderung des Gläubigers „unmöglich oder sehr erschwert wird“. Isoliert betrachtet, könnte unter diesen vagen Wortlaut nicht nur die Gefahr fallen, dass ein (säumiger) Schuldner Maßnahmen ergreift, um sich der Zahlung zu entziehen, sondern auch (wie von der belgischen Regierung vorgebracht) jede andere tatsächliche Gefahr für die Eintreibung der Forderung, wie etwa die Gefahr, dass ein (gutwilliger) Schuldner vor der Vollstreckung insolvent wird, weil die finanzielle Lage im Verlauf der normalen Geschäftstätigkeit schlecht ist oder schlechter wird oder der Schuldner mehrere Gläubiger zu befriedigen hat.

52.      Der 14. Erwägungsgrund der EBzvK-Verordnung stellt indes klar, dass die oben in Nr. 50 genannte engere Auslegung der Absicht des Gesetzgebers entspricht. Insbesondere heißt es im dritten Absatz dieses Erwägungsgrundes, dass ein Beschluss zur vorläufigen Pfändung nur gerechtfertigt ist, wenn ohne diese Maßnahme die spätere Vollstreckung oder Eintreibung der Forderung des Gläubigers wahrscheinlich unmöglich oder erheblich erschwert würde, „weil eine tatsächliche Gefahr besteht, dass der Schuldner seine Vermögenswerte aufbraucht, verschleiert oder vernichtet oder aber unter Wert oder in einem unüblichen Ausmaß oder durch unübliche Handlungen veräußert, noch bevor der Gläubiger die Vollstreckung der bestehenden oder einer künftigen gerichtlichen Entscheidung erwirken kann“. Dieser Ansatz wird durch den vierten Absatz untermauert, soweit dort klargestellt wird, dass „die bloße Tatsache, dass der Schuldner mehr als einen Gläubiger hat“, oder „die bloße Tatsache, dass die finanzielle Situation des Schuldners schlecht ist oder schlechter wird“, an sich nicht als ausreichende Gründe gelten, um den Erlass eines Beschlusses zur vorläufigen Pfändung zu rechtfertigen.

53.      Die Entstehungsgeschichte und die Vorarbeiten der EBzvK-Verordnung sprechen ebenfalls für diese Absicht des Gesetzgebers. Ursprünglich war im damaligen Art. 7 Abs. 1 Buchst. b des Kommissionsvorschlags für die EBzvK-Verordnung die Voraussetzung des „periculum in mora“ weit dahin formuliert, dass „die spätere Vollstreckung … unter Umständen unmöglich oder sehr erschwert würde, unter anderem weil die Gefahr besteht, dass der Antragsgegner von dem oder den Bankkonten, die vorläufig gepfändet werden sollen, Geld abhebt oder die Gelder anderweitig verwendet oder verschiebt“. Während der Verhandlungen im Rat sprachen sich einige Delegationen für die Beibehaltung dieses weiten Ansatzes aus. Die Mehrheit der Delegationen war jedoch der Ansicht, dass angesichts der möglichen „drakonischen“ Wirkungen eines Beschlusses zur vorläufigen Pfändung auf einen Schuldner – mit Blick darauf, dass das Grundrecht des Schuldners auf Eigentum durch ihn schwerwiegend eingeschränkt wird und seine wirtschaftliche Tätigkeit sogar gelähmt werden kann – ein „angemessenes Gleichgewicht“ zwischen den Interessen des Gläubigers und des Schuldners hergestellt werden sollte. Dementsprechend wurde eine Einigung dahin erzielt, dass diese Maßnahme nur erlassen werden sollte, wenn eine „tatsächliche Gefahr“ besteht, dass der Schuldner Schritte ergreift, um sich der Zahlung zu entziehen(24). Die Voraussetzung des „periculum in mora“ wurde entsprechend formuliert. Nach mehreren Überarbeitungen von Art. 7 Abs. 1 der EBzvK-Verordnung wurde schließlich entschieden, dass i) die Bestimmung selbst knapp bleiben und lediglich das Bestehen einer „tatsächlichen Gefahr“ für die Vollstreckung vorsehen sollte, während ii) „spezifische erläuternde Klarstellungen [specific explanatory clarifications]“ zur Art dieser Gefahr in einen Erwägungsgrund aufgenommen werden sollten, die schließlich zum 14. Erwägungsgrund wurden(25).

54.      Aus den vorstehenden Erwägungen folgt, dass Art. 7 Abs. 1 der EBzvK-Verordnung eine einheitliche Voraussetzung festlegt, die dem traditionellen Begriff des periculum in mora entspricht. Im Licht ihres 14. Erwägungsgrundes ist diese Bestimmung dahin zu verstehen, dass die in Rede stehende Bedingung erfüllt ist, wenn der Gläubiger hinreichende Beweismittel vorgebracht hat, die das angerufene Gericht zu der berechtigten Annahme veranlassen, dass ein Beschluss zur vorläufigen Pfändung dringend erforderlich ist, weil eine tatsächliche Gefahr besteht, dass, wenn diese Maßnahme nicht ergriffen wird, der Schuldner seine Vermögenswerte aufbraucht, verschleiert oder vernichtet oder aber unter Wert veräußert, noch bevor der Gläubiger die Vollstreckung einer bestehenden oder einer künftigen gerichtlichen Entscheidung erwirken kann, und hierdurch die Eintreibung der Forderung des Gläubigers behindert oder zumindest sehr erschwert wird.

2.      Womit kann eine solche „dringende Erforderlichkeit“ nachgewiesen werden?

55.      Wie in Art. 7 Abs. 1 der EBzvK-Verordnung hervorgehoben, obliegt es dem Gläubiger, „hinreichende Beweismittel“ vorzutragen, um nachzuweisen, dass, wenn der beantragte Beschluss zur vorläufigen Pfändung nicht erlassen wird, im konkreten Fall eine „tatsächliche Gefahr“ besteht, dass der Schuldner seine Vermögenswerte aufbraucht, verschleiert oder vernichtet oder aber unter Wert veräußert, noch bevor der Gläubiger die Vollstreckung einer bestehenden oder einer künftigen gerichtlichen Entscheidung erwirken kann.

56.      Die den Gläubiger treffende Beweislast muss jedoch das oben in Nr. 53 genannte „angemessene Gleichgewicht“ wahren. Einerseits kann entgegen dem Vorbringen der maltesischen Regierung vom Gläubiger nicht verlangt werden, dass er den vollständigen Nachweis dafür erbringt, dass der Schuldner die Absicht hat, sich der Zahlung zu entziehen, oder dass er gegenwärtig bereits dabei ist, dies zu versuchen. Eine solche Anforderung wäre in der Praxis häufig unmöglich zu erfüllen und würde den Nutzen der EBzvK-Verordnung erheblich beeinträchtigen. Andererseits kann, um den Erlass eines Beschlusses zur vorläufigen Pfändung gegen einen Schuldner, der nicht die Absicht hat, sich der Zahlung zu entziehen, zu vermeiden, der Antrag des Gläubigers auch nicht auf einer bloßen Vermutung oder allgemeinen Behauptungen beruhen. Meines Erachtens liegt der „ausgewogene“ Ansatz darin, vom Gläubiger zu verlangen, dass er konkrete Anhaltspunkte vorbringt, aus denen sich eine hinreichende Wahrscheinlichkeit ergibt, dass der Schuldner, falls der Beschluss nicht erlassen wird, seine Vermögenswerte aufbraucht, verschleiert oder vernichtet oder aber unter Wert veräußert, noch bevor die Vollstreckung stattfindet.

57.      Im vierten Absatz des 14. Erwägungsgrundes der EBzvK-Verordnung sind eine Reihe von Umständen aufgeführt, die als solche Anhaltspunkte dienen können. Folgerichtig sind in dieser Aufzählung insbesondere Handlungen des Schuldners im Zusammenhang mit seinen Vermögenswerten genannt, die „unüblich“, d. h. wirtschaftlich oder geschäftlich ungerechtfertigt, erscheinen – z. B. „Kontoabhebungen und Ausgaben“ des Schuldners, die „zur Erhaltung seiner normalen Geschäftstätigkeit oder [zur Bestreitung] regelmäßige[r] Ausgaben für seine Familie“ nicht erforderlich erscheinen. Ein solches Verhalten kann den hinreichenden Verdacht begründen, dass der Schuldner tatsächlich dabei ist, Schritte zu ergreifen, um seine Vermögenswerte zu verschleiern oder zu verbrauchen. Diese Aufzählung wird anschließend eingehend geprüft. Vorläufig genügt die Feststellung, dass die fragliche Aufzählung, wie der in diesem Absatz verwendete Ausdruck „beispielsweise“ zeigt, nicht abschließend ist, sondern lediglich Hinweischarakter hat. Wie von der Kommission zu Recht vorgebracht, kann jeder Umstand, der entweder für sich genommen oder in Verbindung mit anderen geeignet ist, auf eine „tatsächliche Gefahr“, dass der Schuldner sich der Zahlung zu entziehen versucht, hinzudeuten, ein relevantes Beweismittel darstellen. Wie in diesem Absatz des betreffenden Erwägungsgrundes weiter klargestellt, sind die nationalen Gerichte verpflichtet, auf der Grundlage des Einzelfalls eine „Gesamtbewertung“ aller Umstände vorzunehmen, die insoweit von Gläubigern geltend gemacht werden.

58.      Es ist nicht Sache des Gerichtshofs, sondern des vorlegenden Gerichts, im Ausgangsrechtsstreit eine solche „Gesamtbewertung“ auf der Grundlage der von TQ zur Stützung seines Antrags vorgebrachten Beweismittel vorzunehmen. Da die vorliegende Rechtssache indes die erste ist, die Art. 7 Abs. 1 der EBzvK-Verordnung betrifft, erscheint es angezeigt, dem vorlegenden Gericht alle Umstände für die Auslegung des Unionsrechts zu nennen, die für diese Beurteilung von Nutzen sein könnten.

59.      Ich beginne mit dem auffallendsten Umstand, der von TQ geltend gemacht wird, nämlich dem Erlass von Art. 56A des maltesischen Glücksspielgesetzes durch den maltesischen Gesetzgeber – den das vorlegende Gericht in seiner Frage als „Hindernis bei der Vollstreckung der Entscheidung im Mitgliedstaat des Schuldners“ bezeichnet. Entgegen dem Vorbringen von Mr Green und der maltesischen Regierung ist dieser Umstand meines Erachtens bei der vom nationalen Gericht vorzunehmenden „Gesamtbewertung“ eindeutig relevant.

60.      In der Regel reicht die bloße Tatsache, dass der Schuldner über Vermögenswerte in einem anderen Mitgliedstaat als dem des Gerichts, das den Titel des Gläubigers erlassen hat, verfügt oder dass der Schuldner seine Vermögenswerte von einem Mitgliedstaat in einen anderen übertragen hat oder dabei ist, dies zu tun, für sich genommen nicht aus, um das Bestehen einer „tatsächlichen Gefahr“ für die Eintreibung der Forderung des Gläubigers zu bejahen. Unabhängig von den Absichten, die der Schuldner insoweit hat, kann er sich nämlich der Zahlung seiner Schulden in der Regel dadurch nicht entziehen. Denn der Gläubiger kann nach den Mechanismen der Brüssel‑Ia-Verordnung diesen Titel grundsätzlich in diesem anderen Mitgliedstaat vollstrecken, und zwar fast so leicht wie im Ursprungsmitgliedstaat(26). Nach den Regelungen jener Verordnung und dem Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens, auf dem sie beruhen, ist eine in einem Mitgliedstaat ausgestellte Entscheidung oder öffentliche Urkunde grundsätzlich automatisch in allen anderen Mitgliedstaaten vollstreckbar.

61.      Anders verhält es sich jedoch, wie von der belgischen Regierung und der Kommission vorgebracht, wenn ein Mitgliedstaat eine Rechtsvorschrift (hier Art. 56A des maltesischen Glücksspielgesetzes) erlässt, die seinen Gerichten vorschreibt, die Vollstreckung ausländischer gerichtlicher Entscheidungen, wie etwa derjenigen, mit der der Forderung des Gläubigers stattgegeben wird, in seinem Hoheitsgebiet abzulehnen.

62.      Ob Art. 56A des maltesischen Glücksspielgesetzes mit der Brüssel‑Ia-Verordnung vereinbar ist – eine Frage, die vor dem Gerichtshof zu erheblichen Diskussionen Anlass gegeben hat – ist für die vorliegende Würdigung unerheblich(27). Entscheidend ist, dass sich die Prim’Awla tal-Qorti Ċivili (Erste Kammer des Zivilgerichts) derzeit offenbar an diese Vorschrift hält. Gegen ihr Urteil sollen offenbar Rechtsmittel bei der Qorti tal-Appell (Berufungsgericht, Malta) anhängig sein, die zu gegebener Zeit zu einer anderen Auffassung gelangen könnte. Es bleibt gleichwohl festzustellen, dass aufgrund dieses Gesetzes zumindest eine hinreichende Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass sich die Vollstreckung der Forderung TQs in Malta als unmöglich erweist.

63.      Da im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats keine Vollstreckungsmaßnahmen gegen den Schuldner ergriffen werden können, werden die Vermögenswerte, die er dort hält (d. h. für die in diesem Mitgliedstaat niedergelassenen und von dort aus tätigen Glücksspielunternehmen wahrscheinlich der größte Teil ihrer Vermögenswerte), gegenüber dem Gläubiger letztlich „verschleiert“. Außerdem lässt eine Vorschrift wie Art. 56A des maltesischen Glücksspielgesetzes, wie von der maltesischen Regierung vorgetragen, zwar für den Gläubiger die Möglichkeit unberührt, die zu seinen Gunsten ergangene gerichtliche Entscheidung in anderen Mitgliedstaaten vollstrecken zu lassen. Sie schafft jedoch, wie von TQ geltend gemacht, auch einen Anreiz für den Schuldner, die Vermögenswerte, über die er möglicherweise in diesen anderen Mitgliedstaaten verfügt, in den betreffenden Mitgliedstaat zu transferieren, um so sein Vermögen vollständig gegenüber dem Gläubiger zu „verschleiern“.

64.      Entgegen dem Vorbringen von Mr Green und der maltesischen Regierung stellt die Berücksichtigung dieses Umstands das vom Gesetzgeber angestrebte „angemessene Gleichgewicht“ zwischen den Interessen des Gläubigers und des Schuldners nicht in Frage. Auch wenn die EBzvK-Verordnung, wie ausgeführt, den Gläubiger nicht gegen jede Gefahr für die Eintreibung seiner Forderung sichern soll, sondern vielmehr gegen die Gefahr, dass der Schuldner sich der Zahlung entzieht, folgt daraus nicht, dass bei der Bewertung dieser Gefahr nur vergangene oder gegenwärtige Handlungen des Schuldners berücksichtigt werden dürfen. Auch wenn die im vierten Absatz des 14. Erwägungsgrundes der EBzvK-Verordnung genannten Umstände überwiegend(28) folgerichtig an das Verhalten des Schuldners anknüpfen, haben sie, wie oben erwähnt, lediglich Hinweischarakter. Damit der Beschluss zur vorläufigen Pfändung seinen Zweck erreicht, muss die Gefahr, dass der Schuldner sich der Zahlung entzieht, realistisch bewertet werden. Dementsprechend sollte jeder Anhaltspunkt für eine solche Gefahr berücksichtigt werden(29).

65.      Allerdings kann, wie von der Kommission vorgebracht, dieser Umstand für sich genommen für den Nachweis, dass die Bedingung des „periculum in mora“ nach Art. 7 Abs. 1 der EBzvK-Verordnung erfüllt ist, nicht ausreichen. Denn im Ausgangsverfahren kann vernünftigerweise nicht pauschal davon ausgegangen werden, dass ausnahmslos jedes maltesische Glücksspielunternehmen von der Möglichkeit Gebrauch machen wird, die Art. 56A des maltesischen Glücksspielgesetzes bietet, und all seine Vermögenswerte in Malta „verschleiern“ wird, um sich der Befriedigung von Herausgabeansprüchen von Spielern – wie dem Anspruch von TQ – zu entziehen. Dies hängt meines Erachtens von einer auf der Grundlage des Einzelfalls vorzunehmenden „Gesamtbewertung“ anderer Umstände ab, die auf eine hinreichende Wahrscheinlichkeit hindeuten, dass, wenn der Beschluss zur vorläufigen Pfändung nicht erlassen wird, das betroffene Unternehmen so verfahren könnte (was wiederum das „Einfrieren“ potenzieller Gelder, die dieses Unternehmen in anderen Mitgliedstaaten hält, rechtfertigen könnte, um dieser Gefahr zu begegnen). Diese Erwägung führt mich zu den anderen Umständen des Ausgangsrechtsstreits.

66.      Erstens ist nach dem vierten Absatz des 14. Erwägungsgrundes der EBzvK-Verordnung „das Verhalten des Schuldners hinsichtlich der Forderung des Gläubigers“ in diesem Zusammenhang relevant. Im Ausgangsverfahren weigert sich Mr Green ausdrücklich, den rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidungen der österreichischen Gerichte zugunsten von TQ nachzukommen, und es gibt allen Grund zu der Annahme – nicht zuletzt, weil Mr Green dies vor dem Gerichtshof erklärt hat –, dass dieses Unternehmen sich auf Art. 56A des maltesischen Glücksspielgesetzes berufen wird, um sich der Vollstreckung dieser gerichtlichen Entscheidungen in Malta zu widersetzen. Wie von der belgischen Regierung zu Recht hervorgehoben, können diese Umstände im Rahmen der „Gesamtbewertung“ zum Nachweis des Bestehens der erforderlichen „tatsächlichen Gefahr“ beitragen.

67.      Zweitens sind nach diesem vierten Absatz des 14. Erwägungsgrundes auch „die Art der Vermögenswerte des Schuldners“ und „alle jüngst vorgenommenen Handlungen des Schuldners im Zusammenhang mit seinen Vermögenswerten“ relevant. Unternehmen, die z. B. über unbewegliches Vermögen in mehreren Mitgliedstaaten verfügen, wären nicht unbedingt in der Lage, es ohne Weiteres zu veräußern und somit ihre Vermögenswerte vollständig im Mitgliedstaat ihrer Niederlassung zu „verschleiern“. Umgekehrt ist dies eher wahrscheinlich, wenn die Forderung des Gläubigers ein Unternehmen betrifft, das, von dem betreffenden Mitgliedstaat aus, online tätig ist und nur über begrenzte oder gar keine Vermögenswerte anderswo verfügt. In diesem Zusammenhang können Schritte, die dieses Unternehmen in Bezug auf diese potenziellen Vermögenswerte unternimmt, wie die Übertragung von Geldern von Bankkonten, die das Unternehmen möglicherweise in anderen Mitgliedstaaten unterhält, oder die Schließung solcher Bankkonten, Anhaltspunkte für eine solche Gefahr der „Verschleierung“ sein, soweit diese Schritte „unüblich“, d. h. wirtschaftlich oder geschäftlich ungerechtfertigt, erscheinen.

68.      Ebenso ist im Ausgangsverfahren auch die von Mr Green vollzogene Auflösung seiner Geschäftsbeziehung zu einem in Österreich ansässigen Zahlungsdienstleister (Dimoco Europe) zu berücksichtigen, in deren Folge das Guthaben, das dieses Unternehmen bei diesem Dienstleister hatte, übertragen wurde. Insbesondere bei online tätigen Unternehmen, die nur über begrenzte oder gar keine physischen Vermögenswerte in den Zielmitgliedstaaten verfügen, kann ein Guthaben bei einem solchen Zahlungsdienstleister einer der wenigen Vermögenswerte sein, über die sie außerhalb des Mitgliedstaats ihrer Niederlassung verfügen. Soweit eine solche Auflösung, wie von der Kommission geltend gemacht, „unüblich“ erscheint, kann sie auf eine umfassendere Strategie des Schuldners hindeuten, seine gesamten Vermögenswerte in Malta zu „verschleiern“. Zwischen beidem muss jedoch ein zeitlicher Zusammenhang bestehen. Daher bezieht sich der 14. Erwägungsgrund der EBzvK-Verordnung auf die „jüngst vorgenommenen Handlungen“ des Schuldners im Zusammenhang mit seinen Vermögenswerten. Eine zu lange zurückliegende Handlung ist möglicherweise nicht mehr als Anhaltspunkt dafür anzusehen, dass die Gefahr zum Zeitpunkt der Prüfung des Antrags auf Erlass eines Beschlusses zur vorläufigen Pfändung fortbesteht. Dies ist jedoch im Licht der anderen, im Rahmen der „Gesamtbewertung“ berücksichtigten Umstände zu beurteilen. Es wird Sache des vorlegenden Gerichts sein, dies im Ausgangsverfahren zu prüfen.

69.      Bevor ich zum Schluss komme, möchte ich noch auf einen letzten Punkt eingehen, der zu umfangreichen Diskussionen vor dem Gerichtshof geführt hat, nämlich den Zeitpunkt des von TQ gestellten Antrags auf Erlass eines Beschlusses zur vorläufigen Pfändung. Die Forderung TQs dürfte auf das Jahr 2019 zurückgehen (als er an den von Mr Green angebotenen Glücksspielen teilnahm). Der Vertrag mit Dimoco Europe wurde von Mr Green im Februar 2021 aufgelöst. Die gerichtlichen Entscheidungen der österreichischen Gerichte, mit denen der Forderung TQs stattgegeben wurde, wurden am 13. April 2022 rechtskräftig und vollstreckbar. Art. 56A des maltesischen Glücksspielgesetzes wurde am 12. Juni 2023 erlassen. TQ hat diesen Antrag indes am 13. Februar 2024 gestellt. Nach Ansicht von Mr Green und der maltesischen Regierung soll diese Verzögerung für sich genommen eine Ablehnung des beantragten Erlasses des Beschlusses zur vorläufigen Pfändung rechtfertigen(30).

70.      Der EBzvK-Verordnung ist jedoch nichts dafür zu entnehmen, dass ein Gläubiger verpflichtet wäre, seinen Antrag genau zu dem Zeitpunkt zu stellen, zu dem eine „tatsächliche Gefahr“ für die Vollstreckung seiner Forderung entsteht. Relevant ist nur, ob diese Gefahr zu dem Zeitpunkt, zu dem der Gläubiger seinen Antrag stellt, fortbesteht. Ob er seinen Antrag früher hätte stellen können, ist für sich genommen nicht von Bedeutung. Die Tatsache, dass bestimmte Umstände mehrere Jahre zurückliegen, kann zwar, wie oben angedeutet, je nach den Umständen ein Anhaltspunkt dafür sein, dass die in Rede stehende Gefahr nicht mehr besteht – entweder weil nichts darauf hindeutet, dass der Schuldner weiterhin Maßnahmen ergreifen wird, um sich der Vollstreckung zu entziehen, oder weil der Schuldner solche Maßnahmen bereits ergriffen hat und es jetzt für einen Beschluss zur vorläufigen Pfändung zu spät ist, um Wirksamkeit zu entfalten. Hierüber in der vorliegenden Rechtssache zu entscheiden, wäre aber Sache des vorlegenden Gerichts.

V.      Ergebnis

71.      Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, die vom Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien (Österreich) vorgelegte Frage wie folgt zu beantworten:

Art. 7 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 655/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 zur Einführung eines Verfahrens für einen Europäischen Beschluss zur vorläufigen Kontenpfändung im Hinblick auf die Erleichterung der grenzüberschreitenden Eintreibung von Forderungen in Zivil- und Handelssachen ist dahin auszulegen, dass

–        die in dieser Vorschrift vorgesehene Bedingung erfüllt ist, wenn der Gläubiger hinreichende Beweismittel vorgebracht hat, die das angerufene Gericht zu der berechtigten Annahme veranlassen, dass ein Beschluss zur vorläufigen Pfändung „dringend erforderlich“ ist. Dies ist der Fall, wenn eine „tatsächliche Gefahr“ besteht, dass, wenn die Maßnahme nicht ergriffen wird, der Schuldner seine Vermögenswerte aufbraucht, verschleiert oder vernichtet oder aber unter Wert veräußert, noch bevor der Gläubiger die Vollstreckung einer bestehenden oder einer künftigen gerichtlichen Entscheidung erwirken kann, und hierdurch die Eintreibung der Forderung des Gläubigers behindert oder zumindest sehr erschwert wird.
































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