C-678/23 – Spitalul Clinic de Pneumoftiziologie Iaşi

C-678/23 – Spitalul Clinic de Pneumoftiziologie Iaşi

CURIA – Documents

Language of document : ECLI:EU:C:2025:309

Vorläufige Fassung

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

ATHANASIOS RANTOS

vom 30. April 2025(1)

Rechtssache C678/23

JU

gegen

Spitalul Clinic de Pneumoftiziologie Iaşi

(Vorabentscheidungsersuchen der Curtea de Apel Iaşi [Berufungsgericht Iaşi, Rumänien])

„ Vorlage zur Vorabentscheidung – Sozialpolitik – Richtlinie 89/391/EWG – Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer bei der Arbeit – Art. 9 – Art. 11 Abs. 6 – Einstufung als Arbeitsplatz, an dem die Arbeitnehmer besonderen Bedingungen ausgesetzt sind – Vorteile in Bezug auf die Altersrente und den bezahlten Jahresurlaub – Arbeitgeber, der seinen Pflichten im Hinblick auf die Erneuerung der Stellungnahme zur Einstufung nicht nachgekommen ist – Fehlen eines Rechtsbehelfs des allgemeinen Rechts für die betroffenen Arbeitnehmer – Effektiver gerichtlicher Rechtsschutz “

I.      Einleitung

1.        Die berufliche Tätigkeit von Frau JU (im Folgenden: Klägerin), die als Ärztin beim Spitalul Clinic de Pneumoftiziologie Iaşi (Klinisches Krankenhaus für Pneumologie und Physiopathologie der Atemwege in Iași, Rumänien) (im Folgenden: Krankenhaus) angestellt ist, wurde als Tätigkeit an einem Arbeitsplatz eingestuft, bei dem die Arbeitnehmer „besonderen Bedingungen“ ausgesetzt sind, d. h. an einem Arbeitsplatz mit besonders hoher Risikoexposition. Aufgrund dieser Tätigkeit erwarb sie zusätzliche soziale Rechte. Nachdem die Einstufung ihrer Tätigkeit als Tätigkeit mit besonderen Arbeitsbedingungen nicht erneuert wurde, was zum Verlust dieser zusätzlichen Rechte führte, erhob die Klägerin Klage bei einem nationalen Gericht, die mit der Begründung abgewiesen wurde, dass es nach den nationalen Vorschriften in der Auslegung durch die nationalen Gerichte keinen Rechtsbehelf des allgemeinen Rechts gebe, der auf die Feststellung der besonderen Bedingungen, unter denen die Arbeitnehmer ihre Tätigkeit ausgeübt hätten, oder die Verurteilung der Arbeitgeber, die Arbeitsplätze als Arbeitsplätze, an denen die Arbeitnehmer besonderen Bedingungen ausgesetzt seien, einzustufen, wenn sie die Stellungnahme zur Einstufung nicht erhalten oder erneuert hätten, gerichtet sei.

2.        In diesem Kontext möchte die Curtea de Apel Iaşi (Berufungsgericht Iaşi, Rumänien) vom Gerichtshof im Wesentlichen wissen, ob Art. 9 und Art. 11 Abs. 6 der Richtlinie 89/391/EWG(2), letztere Bestimmung in Verbindung mit Art. 31 Abs. 1 und Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta), einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden entgegenstehen.

3.        Diese Frage wurde bereits in der Rechtssache geprüft, in der das Urteil Podilă u. a.(3) ergangen ist, das denselben nationalen Rechtsrahmen betraf. Der Gerichtshof wird daher ersucht, zu prüfen, ob die in diesem Urteil angestellten Erwägungen unter den Umständen der vorliegenden Rechtssache anwendbar sind, die sich auf die Voraussetzungen der Gewährung und die Ermittlung der Höhe der Altersrente sowie die Gewährung zusätzlicher bezahlter Jahresurlaubstage bezieht.

II.    Rechtlicher Rahmen

A.      Unionsrecht

1.      Richtlinie 89/391

4.        Art. 1 („Ziel der Richtlinie“) der Richtlinie 89/391 lautet:

„(1)      Ziel dieser Richtlinie ist die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer am Arbeitsplatz.

(2)      Sie enthält zu diesem Zweck allgemeine Grundsätze für die Verhütung berufsbedingter Gefahren, für die Sicherheit und den Gesundheitsschutz, die Ausschaltung von Risiko- und Unfallfaktoren, die Information, die Anhörung, die ausgewogene Beteiligung nach den nationalen Rechtsvorschriften bzw. Praktiken, die Unterweisung der Arbeitnehmer und ihrer Vertreter sowie allgemeine Regeln für die Durchführung dieser Grundsätze.

(3)      Diese Richtlinie berührt nicht bereits geltende oder künftige nationale und gemeinschaftliche Bestimmungen, die für die Sicherheit und den Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer am Arbeitsplatz günstiger sind.“

5.        In Art. 9 („Sonstige Pflichten des Arbeitgebers“) dieser Richtlinie heißt es:

„(1)      Der Arbeitgeber muss

a)      über eine Evaluierung der am Arbeitsplatz bestehenden Gefahren für die Sicherheit und die Gesundheit hinsichtlich der besonders gefährdeten Arbeitnehmergruppen verfügen;

b)      die durchzuführenden Schutzmaßnahmen und, falls notwendig, die zu verwendenden Schutzmittel festlegen;

(2)      Die Mitgliedstaaten legen unter Berücksichtigung der Art der Tätigkeiten und der Größe der Unternehmen die Pflichten der verschiedenen Unternehmenskategorien betreffend die Erstellung der in Absatz 1 Buchstaben a) und b) vorgesehenen Dokumente und bei der Erstellung der in Absatz 1 Buchstaben c) und d) genannten Dokumente fest.“

6.        Art. 11 („Anhörung und Beteiligung der Arbeitnehmer“) Abs. 6 dieser Richtlinie sieht vor:

„Die Arbeitnehmer bzw. ihre Vertreter haben das Recht, sich gemäß den nationalen Rechtsvorschriften bzw. Praktiken an die für die Sicherheit und den Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz zuständige Behörde zu wenden, wenn sie der Auffassung sind, dass die vom Arbeitgeber getroffenen Maßnahmen und bereitgestellten Mittel nicht ausreichen, um die Sicherheit und den Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz sicherzustellen.

Die Vertreter der Arbeitnehmer müssen die Möglichkeit haben, bei Besuchen und Kontrollen der zuständigen Behörde ihre Bemerkungen vorzubringen.“

2.      Richtlinie 2003/88/EG

7.        Art. 1 („Gegenstand und Anwendungsbereich“) der Richtlinie 2003/88/EG(4) bestimmt:

(1)      Diese Richtlinie enthält Mindestvorschriften für Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeitszeitgestaltung.

(2)      Gegenstand dieser Richtlinie sind:

a)      die täglichen und wöchentlichen Mindestruhezeiten, der Mindestjahresurlaub, die Ruhepausen und die wöchentliche Höchstarbeitszeit, …

4.      Die Bestimmungen der Richtlinie 89/391/EWG finden unbeschadet strengerer und/oder spezifischer Vorschriften in der vorliegenden Richtlinie auf die in Absatz 2 genannten Bereiche voll Anwendung.“

8.        Art. 2 („Begriffsbestimmungen“) Nr. 9 der Richtlinie 2003/88 hat folgenden Wortlaut:

„Im Sinne dieser Richtlinie sind:

ausreichende Ruhezeiten: die Arbeitnehmer müssen über regelmäßige und ausreichend lange und kontinuierliche Ruhezeiten verfügen, deren Dauer in Zeiteinheiten angegeben wird, damit sichergestellt ist, dass sie nicht wegen Übermüdung oder wegen eines unregelmäßigen Arbeitsrhythmus sich selbst, ihre Kollegen oder sonstige Personen verletzen und weder kurzfristig noch langfristig ihre Gesundheit schädigen.“

9.        In Art. 7 („Jahresurlaub“) Abs. 1 dieser Richtlinie heißt es:

„Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, damit jeder Arbeitnehmer einen bezahlten Mindestjahresurlaub von vier Wochen nach Maßgabe der Bedingungen für die Inanspruchnahme und die Gewährung erhält, die in den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder nach den einzelstaatlichen Gepflogenheiten vorgesehen sind.“

10.      Art. 15 („Günstigere Vorschriften“) dieser Richtlinie lautet:

„Das Recht der Mitgliedstaaten, für die Sicherheit und den Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer günstigere Rechts- und Verwaltungsvorschriften anzuwenden oder zu erlassen oder die Anwendung von für die Sicherheit und den Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer günstigeren Tarifverträgen oder Vereinbarungen zwischen den Sozialpartnern zu fördern oder zu gestatten, bleibt unberührt.“

B.      Rumänisches Recht

11.      Art. 19 der Legea Nr. 19/2000 privind sistemul public de pensii şi alte drepturi de asigurări sociale (Gesetz Nr. 19/2000 über das öffentliche Rentensystem und andere Sozialversicherungsansprüche) vom 17. März 2000(5) in der auf das Ausgangsverfahren anwendbaren Fassung bestimmt:

„(1)      Für die Zwecke dieses Gesetzes gelten als ‚Arbeitsplätze, an denen die Arbeitnehmer besonderen Bedingungen ausgesetzt sind‘ Arbeitsplätze, die die Arbeitsfähigkeit der Versicherten aufgrund der hohen Risikoexposition dauerhaft oder vorübergehend wesentlich beeinträchtigen können.

(2)      Die Kriterien und die Methodik zur Einstufung als Arbeitsplätze, an denen die Arbeitnehmer besonderen Bedingungen ausgesetzt sind, werden durch Regierungsbeschluss auf der Grundlage eines gemeinsamen Vorschlags des Ministeriums für Arbeit, Familie und soziale Sicherheit und des Gesundheitsministeriums festgelegt.

(5)      Die Einstufung der Arbeitsplätze, an denen die Arbeitnehmer besonderen Bedingungen ausgesetzt sind, bedarf der Stellungnahme der örtlichen Arbeitsaufsichtsbehörde.“

12.      Art. 2 Abs. 1 der Hotărârea Guvernului nr. 261/2001 privind criteriile şi metodologia de încadrare a locurilor de muncă în condiţii deosebite (Regierungsbeschluss Nr. 261/2001 über die Kriterien und die Methodik zur Einstufung als Arbeitsplätze, an denen die Arbeitnehmer besonderen Bedingungen ausgesetzt sind) vom 22. Februar 2001(6) sieht vor:

„Für die Einstufung als Arbeitsplatz, an dem die Arbeitnehmer besonderen Bedingungen ausgesetzt sind, gelten folgende Kriterien:

a)      in der Arbeitsumgebung vorhandene physikalische Noxen (Lärm, Vibrationen, elektromagnetische Wellen, Druck, ionisierende Strahlen, Wärmestrahlen, nicht abgeschirmte Strahlung von Hochleistungslasern) sowie chemische oder biologische Noxen, die in den allgemeinen Arbeitsschutzvorschriften aufgeführt sind und die in diesen Vorschriften vorgesehenen zulässigen Grenzwerte nicht einhalten;

b)      die spezifische Reaktion des Organismus auf die Wirkungen von Noxen am Arbeitsplatz, die durch Indikatoren für die Exposition und/oder die biologische Wirkung belegt sind, die durch Verfügung des Ministeriums für Gesundheit und Familie festgelegt werden;

c)      die Morbidität, gemessen anhand von Berufskrankheiten, die in den letzten 15 Jahren an dem betreffenden Arbeitsplatz registriert worden sind.“

13.      Art. 147 Abs. 1 der Legea nr. 53/2003 privind Codul muncii (Gesetz Nr. 53/2003 über das Arbeitsgesetzbuch) vom 24. Januar 2003(7) in der auf das Ausgangsverfahren anwendbaren Fassung (im Folgenden: Arbeitsgesetzbuch) lautet:

„Beschäftigte, die unter schwierigen, gefährlichen oder schädlichen Bedingungen arbeiten, Blinde, andere Personen mit Behinderung und Jugendliche unter 18 Jahren haben das Recht auf einen zusätzlichen Jahresurlaub von mindestens drei Arbeitstagen.“

14.      Art. 12 Abs. 1 und 2 der Legea nr. 319/2006 a securităţii şi sănătăţii în muncă (Gesetz Nr. 319/2006 über Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz) vom 14. Juli 2006(8) in der auf das Ausgangsverfahren anwendbaren Fassung bestimmt:

„(1)      Der Arbeitgeber hat folgende Pflichten:

a)      eine Evaluierung der am Arbeitsplatz bestehenden Gefahren für die Sicherheit und die Gesundheit auch hinsichtlich der für spezifische Risiken anfälligen Gruppen vorzunehmen und darüber zu verfügen;

b)      die durchzuführenden Schutzmaßnahmen und, falls notwendig, die zu verwendende Schutzausrüstung festzulegen;

(2)      Durch Verfügung des Ministers für Arbeit, soziale Solidarität und Familie werden je nach Art der Tätigkeiten und der Größe der Unternehmen die Pflichten der verschiedenen Unternehmenskategorien in Bezug auf die Erstellung der in Abs. 1 genannten Unterlagen festgelegt.“

15.      Art. 18 Abs. 7 dieses Gesetzes sieht vor:

„Die Arbeitnehmervertreter, die besondere Zuständigkeiten im Bereich der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer haben, und/oder die Arbeitnehmer haben das Recht, sich an die zuständigen Behörden zu wenden, wenn sie der Auffassung sind, dass die vom Arbeitgeber getroffenen Maßnahmen und eingesetzten Mittel nicht ausreichen, um die Sicherheit und den Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz sicherzustellen.“

16.      Art. 1 Abs. 1 der Hotărârea Guvernului nr. 246/2007 privind metodologia de reînnoire a avizelor de încadrare a locurilor de muncă în condiții deosebite (Regierungsbeschluss Nr. 246/2007 über die Methodik zur Erneuerung der Stellungnahmen zur Einstufung als Arbeitsplätze, an denen die Arbeitnehmer besonderen Bedingungen ausgesetzt sind) vom 7. März 2007(9) lautet:

„Ab dem Tag des Inkrafttretens des vorliegenden Beschlusses können die bis einschließlich 6. März 2007 gültigen, gemäß dem [Regierungsbeschluss Nr. 261/2001] in dessen geänderter und ergänzter Fassung erteilten Stellungnahmen zur Einstufung als Arbeitsplatz, an dem die Arbeitnehmer besonderen Bedingungen ausgesetzt sind, nach der im vorliegenden Beschluss festgelegten Methodik erneuert werden.“

17.      Art. 55 Abs. 1 der Legea nr. 263/2010 privind sistemul unitar de pensii publice (Gesetz Nr. 263/2010 über das einheitliche System der staatlichen Renten) vom 16. Dezember 2010(10) in der auf das Ausgangsverfahren anwendbaren Fassung bestimmt:

„Personen, die einen vollständigen Beitragszeitraum zurückgelegt haben, haben in folgender Weise Zugang zu einer Altersrente unter Herabsetzung des Renteneintrittsalters:

a)      gemäß Tabelle Nr. 1 im Fall von Personen, die Beitragszeiten unter besonderen Arbeitsbedingungen zurückgelegt haben.

…“

18.      Art. 169 Abs. 1 dieses Gesetzes sieht vor:

„Die Begünstigten des öffentlichen Rentensystems, deren Rentenansprüche nach den vor dem 1. April 2001 geltenden Rechtsvorschriften bestimmt wurden und die Tätigkeiten an Arbeitsplätzen der Arbeitsgruppe I und/oder der Arbeitsgruppe II ausgeübt haben, erhalten wie folgt eine Erhöhung der während dieses Zeitraumes angesammelten jährlichen Rentenpunkte:

a)      50 % für Zeiträume, während deren sie eine Tätigkeit an einem Arbeitsplatz, der in die Arbeitsgruppe I eingestuft ist, ausgeübt haben;

b)      25 % für Zeiträume, während deren sie eine Tätigkeit an einem Arbeitsplatz, der in die Arbeitsgruppe II eingestuft ist, ausgeübt haben.“

19.      Art. 4 der Hotărârea Guvernului nr. 1014/2015 privind metodologia de reînnoire a avizelor de încadrare a locurilor de muncă în condiții deosebite (Regierungsbeschluss Nr. 1014/2015 über die Methodik zur Erneuerung der Stellungnahmen zur Einstufung als Arbeitsplätze, an denen die Arbeitnehmer besonderen Bedingungen ausgesetzt sind) vom 30. Dezember 2015(11) bestimmt:

„Arbeitgeber, die keine Erneuerung der Stellungnahme zur Einstufung als Arbeitsplatz, an dem die Arbeitnehmer besonderen Bedingungen ausgesetzt sind, erhalten haben, können sich nach den gesetzlichen Vorschriften unmittelbar an das zuständige Gericht wenden.“

III. Ausgangsverfahren, Vorlagefragen und Verfahren vor dem Gerichtshof

20.      Das Krankenhaus ist eine gemeinnützige Gesundheitseinrichtung mit eigener Rechtspersönlichkeit und steht unter der Aufsicht der örtlichen Verwaltungsbehörde, des Consiliul Județean Iași (Kreisrat Iași, Rumänien). Die Klägerin, die vom Krankenhaus als Oberärztin mit Spezialisierung in Pneumologie eingestellt wurde, arbeitet seit mehr als 30 Jahren in der Abteilung Pneumologie. Vom 1. Juli 1989 bis 31. März 2001 war ihre berufliche Tätigkeit zu 100 % in die Arbeitsgruppe II eingestuft. Diese Einstufung beruhte auf der Legea nr. 27/1966 privind pensiile de asigurări sociale de stat și pensia suplimentară (Gesetz Nr. 27/1966 über die staatlichen Sozialversicherungsrenten und die Zusatzrente) vom 28. Dezember 1966(12), deren Art. 6 Abs. 1 eine gesetzliche Einstufung der Arbeitsbedingungen unter Aufteilung in drei Gruppen vornahm. Die Arbeitsgruppe I umfasste die Arbeitsplätze, bei denen die Bedingungen sehr schädlich, sehr schwierig oder sehr gefährlich waren, die Arbeitsgruppe II die Arbeitsplätze, bei denen die Bedingungen schädlich, schwierig oder gefährlich waren und die Gruppe III die übrigen Arbeitsplätze.

21.      Die Arbeitnehmer der Arbeitsgruppen I oder II hatten Anspruch auf den Arbeitnehmern der Arbeitsgruppe III nicht zustehende Vorteile in Gestalt von Dienstalterszulagen, die drei Monaten für jedes Jahr tatsächlich an Arbeitsplätzen der Arbeitsgruppe II geleisteter Arbeit entsprachen(13), sowie zusätzlicher Jahresurlaubstage. Nach der Legea nr. 3/1977 privind pensiile de asigurări sociale de stat și asistența socială (Gesetz Nr. 3/1977 über die staatlichen Sozialversicherungsrenten und die Sozialhilfe) vom 30. Juni 1977(14), mit der die früheren Gesetzesbestimmungen übernommen wurden, wurden zusätzliche Aspekte betreffend den Beitragszeitraum und die Rentenpunkte insbesondere in Bezug auf die Arbeitsgruppe II aufgenommen.

22.      Diese Bestimmungen, die die Einstufung in die Arbeitsgruppen I und II regelten, wurden am Tag des Inkrafttretens des Gesetzes Nr. 19/2000, dem 1. April 2001, aufgehoben. In Art. 19 Abs. 1 dieses Gesetzes hieß es, dass als „Arbeitsplätze, an denen die Arbeitnehmer besonderen Bedingungen ausgesetzt sind“ Arbeitsplätze gelten, die sich aufgrund der hohen Risikoexposition wesentlich auf die Arbeitsfähigkeit der Versicherten auswirken können(15). Vom 1. April 2001 bis 31. Dezember 2006 war die Tätigkeit der Klägerin zu 100 % als Tätigkeit, die sie „besonderen Bedingungen“ aussetzte, eingestuft. Den Arbeitnehmern, die diesen Bedingungen ausgesetzt waren, standen auch zusätzliche Rechte in Form erstens einer höheren Zahl bezahlter Jahresurlaubstage, zweitens einer Herabsetzung des Renteneintrittsalters und drittens einer Erhöhung der Rentenpunkte zu, wobei der Arbeitgeber verpflichtet war, im Vergleich zu einem Arbeitsplatz mit normalen Bedingungen prozentual erhöhte Sozialversicherungsbeiträge zu zahlen.

23.      Das Krankenhaus verfügte über eine Stellungnahme des Inspectoratul Teritorial de Muncă Iași (örtliche Arbeitsaufsichtsbehörde Iași, Rumänien) (im Folgenden: ITM) vom 11. Dezember 2001, mit der die Einstufung seiner in einer Anlage genannten Arbeitsplätze als Arbeitsplätze, an denen die Arbeitnehmer „besonderen Bedingungen“ ausgesetzt sind, gebilligt und eine Frist bis 31. März 2004 für die Umsetzung technischer und organisatorischer Maßnahmen zur Normalisierung der Arbeitsbedingungen an diesen Arbeitsplätzen gesetzt worden war. Diese Stellungnahme wurde mit einer weiteren Stellungnahme vom 29. März 2004 unter Fristsetzung bis 31. Dezember 2006 für die Normalisierung der Arbeitsbedingungen verlängert. Mit Schreiben vom 2. Februar 2007 informierte das ITM das Krankenhaus, dass der Zeitraum, für den die Einstufungsstellungnahme erteilt worden sei, abgelaufen sei und dass sie daher seit dem 31. Dezember 2006 keine Wirkungen mehr entfalte. Auf dieses Schreiben hin fasste das Krankenhaus einen Beschluss, wonach sein Personal seine Tätigkeit ab dem 1. Januar 2007 unter normalen Bedingungen ausübte.

24.      Parallel stellte das Krankenhaus bei der Autoritatea de Sănătate Publică Iași (Gesundheitsbehörde Iași, Rumänien) einen Antrag auf Erteilung einer Stellungnahme zur Aufrechterhaltung oder Verlängerung der Einstufung als Arbeitsplatz, an dem die Arbeitnehmer besonderen Bedingungen ausgesetzt sind. Da diese Behörde darauf nicht antwortete, übersandte das Krankenhaus ihr am 19. März 2007 ein zweites Schreiben, mit dem es zwecks Erneuerung der Einstufungsstellungnahme des ITM nochmals um eine Stellungnahme zu den Auswirkungen der an den Arbeitsplätzen bestehenden berufsbedingten Gefahren ersuchte. Dieses Schreiben blieb ebenfalls unbeantwortet. Das Krankenhaus ersuchte auch das ITM mit Schreiben vom 28. Juni 2007 um Erneuerung der Einstufungsstellungnahme ab dem 1. Januar 2007. Das Krankenhaus übersandte der Gesundheitsbehörde Iași am 27. Dezember 2007 ein drittes Schreiben und unternahm weitere Schritte.

25.      Die Klägerin trug vor, sie habe zufällig erfahren, dass ihre Sozialversicherungsbeiträge nicht mehr entsprechend den Arbeitsbedingungen, unter denen sie ihre Tätigkeit tatsächlich ausübe, gezahlt worden seien. Daher erhob sie Klage beim Tribunalul Iași (Regionalgericht Iași, Rumänien) mit dem Antrag, dass ihre Tätigkeit vom Jahr 2007 an als Tätigkeit eingestuft werde, die sie besonderen Bedingungen aussetze, und ihr Arbeitgeber die Differenz der sich daraus ergebenden Sozialversicherungsbeiträge zahle. Mit Urteil vom 15. Juli 2022 wies dieses Gericht die Klage der Klägerin mit der Begründung ab, dass die nationalen Rechtsvorschriften ein vom Arbeitgeber einzuhaltendes Verfahren zur Einstufung als Arbeitsplatz mit besonderen Bedingungen vorsähen. Der Arbeitgeber könne nicht verpflichtet werden, ihre Tätigkeit als Tätigkeit mit besonderen Bedingungen einzustufen, wenn das Verfahren nicht eingehalten und die zu diesem Zweck gesetzlich vorgesehene Stellungnahme nicht eingeholt worden sei. Zudem könne der Arbeitgeber, falls er keine Antwort bezüglich der Einstufung oder irgendeines sonstigen Antrags erhalten habe, die jeweiligen Institutionen auf der Grundlage von Art. 4 des Regierungsbeschlusses Nr. 1014/2015 verklagen und sie mit gerichtlicher Hilfe zur Erfüllung ihrer gesetzlichen Pflichten zu veranlassen, um alle gesetzlich vorgesehenen Verfahrensschritte zur Einstufung der Arbeitsplätze als Arbeitsplätze mit besonderen Bedingungen einzuhalten und somit die Einstufungsstellungnahme zu erhalten.

26.      Die Klägerin legte gegen dieses Urteil bei der Curtea de Apel Iaşi (Berufungsgericht Iaşi), dem vorlegenden Gericht, Berufung ein, mit der sie geltend machte, dass das Vorgehen des Krankenhauses den gesetzlich vorgesehenen Anforderungen nicht entsprochen habe und es somit entweder aus Nachlässigkeit oder Bösgläubigkeit de facto nicht das Verfahren angestrengt habe, um die Stellungnahme zur Einstufung ihrer beruflichen Tätigkeit als Tätigkeit mit besonderen Bedingungen seit dem Jahr 2007 zu erhalten. Ihr Arbeitsplatz, ihre Arbeitsbedingungen sowie die Risiken und ihre Verantwortlichkeiten hätten sich seit ihrer Einstellung nicht verändert und dass sie, ganz im Gegenteil, in einer Abteilung gearbeitet habe, in der die aufgenommenen Patienten mit COVID-19 infiziert gewesen seien, wodurch ihre Arbeit sehr viel intensiver und fordernder geworden sei und ihr Leben und das Leben der ihr nahestehenden Personen täglich in Gefahr gebracht worden seien.

27.      Das vorlegende Gericht weist darauf hin, dass der Ausgang des von der Klägerin angestrengten Berufungsverfahrens ausschließlich davon abhänge, welche Bedeutung und welchen Umfang der Gestaltungsspielraum der Mitgliedstaaten bei der Umsetzung von Art. 11 Abs. 6 der Richtlinie 89/391 in Verbindung mit deren Art. 9 sowie mit Art. 31 Abs. 1 und Art. 47 der Charta habe. Nach dem Willen des rumänischen Gesetzgebers erfolge die Einstufung als Arbeitsplatz, an dem die Arbeitnehmer besonderen Bedingungen ausgesetzt seien, im Rahmen der positiven Maßnahmen, die geeignet seien, die langfristigen Wirkungen beruflicher Aufgaben an einem Arbeitsplatz auszugleichen, der trotz aller zum Schutz der Gesundheit und Sicherheit der Arbeitnehmer ergriffenen Maßnahmen weiterhin große berufsbedingte Gefahren aufweise. Vor diesem Hintergrund gewähre die Einstufung als Arbeitsplatz mit besonderen Bedingungen den betroffenen Arbeitnehmer zusätzliche kompensatorische Vorteile. So ermögliche das Recht auf Zusatzurlaub eine längere Erholungsphase, um sich zu regenerieren, und der verkürzte Beitragszeitraum für die Altersrente, der in Abhängigkeit von der unter solchen Bedingungen ausgeübten Arbeit berechnet werde, bedeute einen kürzeren Zeitraum der Berufstätigkeit, als wenn die Arbeit unter normalen Bedingungen erbracht werde.

28.      Das vorlegende Gericht verweist auf das Urteil Nr. 12/2016 der Înalta Curte de Casație și Justiție (Oberster Kassations- und Gerichtshof, Rumänien) vom 23. Mai 2016(16), in dem diese auf ein Rechtsmittel zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung entschieden habe, dass Art. 1  des Regierungsbeschlusses Nr. 246/2007 die Möglichkeit vorsehe, die Einstufungsstellungnahmen gemäß der in diesem Beschluss festgelegten Methodologie zu erneuern, und dass nur die Arbeitgeber, die über bis zum 6. März 2007 gültige Stellungnahmen einschließlich solcher zur Einstufung als Arbeitsplatz mit besonderen Bedingungen verfügt und die Normalisierung der Arbeitsbedingungen nicht mittels der bis zum 9. März 2007, dem Datum des Inkrafttretens dieses Beschlusses, erlassenen Maßnahmen durchgeführt hätten, in den Anwendungsbereich dieses Rechtsakts fielen. Weiter führte dieses Gericht aus, dass es nach dem 9. März 2007 nicht mehr möglich gewesen sei, Stellungnahmen zur Einstufung als Arbeitsplatz, an dem die Arbeitnehmer besonderen Bedingungen ausgesetzt seien, auszustellen, sondern lediglich die bereits erteilten Stellungnahmen schrittweise zu erneuern. Ferner gebe es nach der nationalen Regelung keinen Rechtsbehelf des allgemeinen Rechts, der auf die Feststellung der besonderen Bedingungen, unter denen die Arbeitnehmer ihre Tätigkeit nach dem 1. April 2001 ausgeübt hätten, oder die Verurteilung der Arbeitgeber, die Arbeitsplätze als Arbeitsplätze mit besonderen Bedingungen einstufen zu lassen, wenn sie die Stellungnahmen bezüglich dieser Einstufung nicht erhalten oder gegebenenfalls nicht erneuert hätten, gerichtet sei(17).

29.      Das vorlegende Gericht führt aus, dass die Anwendung des nationalen Rechts nach der bindenden Auslegung der Înalta Curte de Casație și Justiție (Oberster Kassations- und Gerichtshof) zwar in der innerstaatlichen Rechtsprechung keine Diskussion auslöse, selbst hege es jedoch Zweifel an der Vereinbarkeit der nationalen Praxis mit dem Unionsrecht. Art. 11 Abs. 6 der Richtlinie 89/391 sei durch Art. 18 Abs. 7 des Gesetzes Nr. 319/2006 in rumänisches Recht umgesetzt worden, ohne dass ergänzende verfahrensrechtliche Maßnahmen erlassen worden seien. Obschon die allgemeine nationale Regelung ausdrücklich ein Recht der Arbeitnehmer vorsehe, sich an jede zuständige Behörde zu wenden, um zu prüfen, ob die vom Arbeitgeber getroffenen Maßnahmen und bereitgestellten Mittel nicht ausreichen, um die Sicherheit und den Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz sicherzustellen, sei diese Regelung im niederrangigen Recht, das sich auf die Bewertung der mittel- oder langfristigen berufsbedingten Gefahren für die Arbeitnehmer beziehe, nicht übernommen worden.

30.      Im vorliegenden Fall sei das Klagebegehren der Klägerin im Unterschied zu der Rechtssache, in der das Urteil Podilă u. a. ergangen sei, nicht auf die Feststellung von Rentenansprüchen gerichtet, sondern auf die Anerkennung der spezifischen berufsbedingten Gefahren der besonderen Bedingungen ihrer beruflichen Tätigkeit. Die Einstufung des Arbeitsplatzes als Arbeitsplatz mit besonderen Bedingungen habe zwar mittelbare Folgen im Hinblick auf das öffentliche System der sozialen Sicherung, die Klägerin übe ihre Beschäftigung jedoch weiterhin aus. Die Klägerin mache geltend, dass ihr Arbeitsplatz permanent mit erheblichen Risikofaktoren, die die Grenzwerte für die Exposition am Arbeitsplatz überschritten, oder mit anderen biologischen Wirkstoffen, die schädliche Wirkungen auf ihren Gesundheitszustand gehabt hätten, belastet gewesen sei und diese Belastung fortdauere. Ihr Zugang zu den Gerichten sei jedoch nach der nationalen Regelung und Praxis weder für die Vergangenheit noch für die Zukunft möglich.

31.      Außerdem sei zwar mit Art. 12 des Gesetzes Nr. 319/2006 Art. 9 der Richtlinie 89/391 in rumänisches Recht umgesetzt worden, es sei jedoch nicht ersichtlich, dass die Pflichten der Arbeitgeber mit der Pflicht zur genauen und gewissenhaften Einstufung der Arbeitsbedingungen auf Unternehmensebene verknüpft seien. Ferner gebe es keinen späteren niederrangigen Rechtsakt, der die Folgen der Nichteinhaltung der Verpflichtung zur Evaluierung und Überwachung der berufsbedingten Gefahren durch diejenigen Unternehmen festlege, in denen erhebliche Gefahren für die Gesundheit der Arbeitnehmer bestünden. Auch wenn die Verletzung der in Art. 12 des Gesetzes Nr. 319/2006 genannten Pflichten dazu führen könne, dass dem Arbeitgeber eine verwaltungsrechtliche Geldbuße auferlegt werde, seien keine weiteren Rechtswirkungen an das Unterbleiben einer korrekten Evaluierung der berufsbedingten Gefahren am Arbeitsplatz geknüpft.

32.      Schließlich weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass das Zusammenspiel von Unionsrecht und nationalem Recht klärungsbedürftig sei. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs verlange nämlich der Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts von den nationalen Gerichten, die unionsrechtlichen Bestimmungen, die unmittelbare Wirkung hätten, anzuwenden und dabei alle Regelungen des innerstaatlichen Rechts unangewendet zu lassen, die damit unvereinbar seien(18). Daher bedürfe es einer Entscheidung, ob Art. 11 Abs. 6 der Richtlinie 89/391 vertikale unmittelbare Wirkung entfalte. Bejahendenfalls stelle sich die Frage, ob diese Bestimmung in Verbindung mit Art. 31 Abs. 1 und Art. 47 der Charta den Arbeitnehmern das Recht auf gerichtlichen Rechtsschutz einräume, wenn die Adressaten der gesetzlichen Pflichten diesen nicht nachkämen.

33.      Daher hat die Curtea de Apel Iaşi (Berufungsgericht Iaşi) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Stehen Art. 9 und Art. 11 Abs. 6 der Richtlinie 89/391 einer zwingenden nationalen Regelung und Praxis entgegen, nach denen Arbeitnehmer nicht das Recht haben, sich unmittelbar an die für die Sicherheit und den Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz zuständige Behörde zu wenden, wenn sie der Auffassung sind, dass die vom Arbeitgeber getroffenen Maßnahmen und bereitgestellten Mittel nicht ausreichen, um die Sicherheit und den Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz sicherzustellen, und nicht vor Gericht klagen können, wenn sie der Auffassung sind, dass die Arbeitgeber ihren Pflichten in Bezug auf die Einstufung als Arbeitsplatz, an dem die Arbeitnehmer besonderen Bedingungen ausgesetzt sind, weder für den bereits abgeleisteten Zeitraum noch für die künftige Dauer des Arbeitsverhältnisses nachgekommen sind?

2.      Hat Art. 11 Abs. 6 der Richtlinie 89/391 vertikale unmittelbare Wirkung und entsteht in Verbindung mit Art. 31 Abs. 1 und Art. 47 der Charta das Recht der Arbeitnehmer auf gerichtlichen Rechtsschutz, wenn die Rechtsinhaber den in der Regelung vorgesehenen Pflichten nicht nachkommen?

34.      Die rumänische Regierung und die Kommission haben schriftliche Erklärungen beim Gerichtshof eingereicht und in der Sitzung vom 30. Januar 2025 vor dem Gerichtshof mündlich verhandelt.

IV.    Würdigung

A.      Zur ersten Vorlagefrage

35.      Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 9 und Art. 11 Abs. 6 der Richtlinie 89/391 dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung in der Auslegung durch die nationalen Gerichte entgegenstehen, die Verfahren festlegt, die den Arbeitnehmern keine Möglichkeit bieten, sich an die für die Sicherheit und den Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz zuständige Behörde und an die nationalen Gerichte zu wenden, um die Einstufung der Tätigkeiten der Arbeitnehmer in verschiedene Risikogruppen überprüfen oder feststellen zu lassen.

36.      Vorab weise ich darauf hin, dass sich sowohl aus dem Titel und der Präambel als auch aus Art. 1 der Richtlinie 89/391 ergibt, dass ihr Ziel die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer am Arbeitsplatz ist. Zu diesem Zweck stellt diese Richtlinie laut ihrem Art. 1 Abs. 2 allgemeine Grundsätze für die Verhütung berufsbedingter Gefahren, für die Sicherheit und den Gesundheitsschutz, die Ausschaltung von Risiko- und Unfallfaktoren, die Information, die Anhörung, die ausgewogene Beteiligung nach den nationalen Rechtsvorschriften bzw. Praktiken, die Unterweisung der Arbeitnehmer und ihrer Vertreter sowie allgemeine Regeln für die Durchführung dieser Grundsätze auf(19).

37.      Im vorliegenden Fall wurde die berufliche Tätigkeit der Klägerin nach der nationalen Regelung in die „Arbeitsgruppe II“ eingestuft(20), sodann als Tätigkeit, die sie „besonderen Bedingungen“ aussetzt(21). Wie das vorlegende Gericht ausführt, standen den Arbeitnehmern, die diesen Kategorien angehörten, zusätzliche Rechte hinsichtlich der Zahl der Jahresurlaubstage sowie der Altersrente in Form zum einen einer Herabsetzung des Renteneintrittsalters und zum anderen einer Erhöhung der Rentenpunkte zu, wobei der Arbeitgeber verpflichtet war, erhöhte Sozialversicherungsbeiträge zu zahlen. Da die Stellungnahme zur Einstufung des Arbeitsplatzes als Arbeitsplatz mit besonderen Bedingungen nicht erneuert worden war, fasste das Krankenhaus einen Beschluss, wonach sein Personal ab dem 1. Januar 2007 seine Tätigkeit unter normalen Bedingungen ausübte. Die Klägerin erhob daher Klage mit dem Antrag, ihre Tätigkeit vom Jahr 2007 an als Tätigkeit einzustufen, die sie besonderen Bedingungen aussetzt, und das Krankenhaus zu verurteilen, die sich daraus ergebenden Differenzbeträge der Sozialversicherungsbeiträge zu zahlen.

38.      Das vorlegende Gericht weist darauf hin, dass es nach der Rechtsprechung der Înalta Curte de Casaţie şi Justiţie (Oberster Kassations- und Gerichtshof) zur Auslegung der nationalen Regelung keinen Rechtsbehelf des allgemeinen Rechts gebe, der auf die Feststellung der besonderen Bedingungen, unter denen die Arbeitnehmer ihre Tätigkeit nach dem 1. April 2001 ausgeübt hätten, oder die Verurteilung des Arbeitgebers zur Einstufung der Arbeitsplätze als Arbeitsplätze mit besonderen Bedingungen, wenn sie die Stellungnahme bezüglich dieser Einstufung nicht erhalten hätten oder diese nicht erneuert worden sei, gerichtet sei. In diesem Kontext hegt das vorlegende Gericht Zweifel an der Vereinbarkeit der nationalen Regelung, wie sie von dieser Rechtsprechung ausgelegt wird, mit der Richtlinie 89/391, insbesondere mit deren Art. 9 und Art. 11 Abs. 6.

39.      Um die Fragen des vorlegenden Gerichts zu beantworten, erscheint es mir zweckmäßig, auf die Erwägungen hinzuweisen, die der Gerichtshof im Urteil Podilă hinsichtlich der Frage angestellt hat, ob die Richtlinie 89/391 insbesondere einer nationalen Regelung entgegensteht, die strenge Fristen und Verfahren festlegt, die es den nationalen Gerichten nicht erlauben, die Einstufung der Tätigkeiten von Arbeitnehmern in verschiedene Risikogruppen, auf deren Grundlage die Altersrenten dieser Arbeitnehmer berechnet werden, zu überprüfen oder festzustellen.

40.      Hierzu hat der Gerichtshof in diesem Urteil darauf hingewiesen, dass die Kläger mit ihren jeweiligen Klagen weder die Feststellung begehrten, dass ihre Arbeitgeber ihre Pflichten in Bezug auf die Sicherheit und den Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz nicht erfüllten, noch dass die Bedingungen, unter denen sie ihre Arbeit zuletzt ausgeübt hatten, den Anforderungen in Bezug auf die Sicherheit und den Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz nicht entsprachen, sondern die Anerkennung begehrten, dass die Arbeitsplätze, an denen sie ihre Tätigkeiten ausübten, als Arbeitsplätze, die die Arbeitnehmer speziellen Bedingungen aussetzen, hätten eingestuft werden müssen, um in den Genuss einer Erhöhung ihrer Altersrente zu kommen. Der Gerichtshof hat ausgeführt, dass nicht von vornherein ausgeschlossen werden kann, dass ein System zur Einstufung der Tätigkeiten der Arbeitnehmer in verschiedene Kategorien zum Zweck der Berechnung der Altersrenten nach spezifischen Verwaltungsverfahren und unter Geltung strenger Fristen Auswirkungen auf die Einhaltung der Pflichten der Arbeitgeber nach der Richtlinie 89/391 haben kann und dass dies insbesondere der Fall sein könnte, wenn die zum Zweck der Berechnung der Altersrenten erfolgende Einstufung der Tätigkeiten bei einem Arbeitgeber als Tätigkeiten, bei denen die Arbeitnehmer keinen besonderen Bedingungen ausgesetzt sind, die Zuordnung dieses Arbeitgebers zu den Unternehmenskategorien, die die Mitgliedstaaten gemäß Art. 9 Abs. 2 dieser Richtlinie vorzunehmen haben, direkt zu beeinflussen vermag und ihn damit bestimmter Pflichten, die sich aus dieser Richtlinie ergeben, entbinden kann(22).

41.      Der Gerichtshof hat hinzugefügt, dass die Richtlinie 89/391 in rumänisches Recht umgesetzt wurde, wobei insbesondere Art. 9 Abs. 1 und 2 sowie Art. 11 Abs. 6 dieser Richtlinie durch das Gesetz Nr. 319/2006 übernommen wurden, und dass sich aus Art. 39 Abs. 4 dieses Gesetzes ergibt, dass der nationale Gesetzgeber für den Fall, dass der Arbeitgeber den Pflichten nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. a und b der Richtlinie 89/391 nicht nachkommt, Sanktionen vorgesehen hat(23). Da sich der Vorlageentscheidung keinerlei Anhaltspunkte dafür entnehmen lassen, dass die Umsetzung dieser Richtlinie in rumänisches Recht unvollständig ist oder dass die nationalen Rechtsvorschriften von den zuständigen Behörden in einer mit den Anforderungen dieser Richtlinie nicht konformen Weise, wenn nicht sogar in einer Weise angewandt werden, die sich direkt auf die Zuordnung des Arbeitgebers zu den Unternehmenskategorien auswirkt, fällt eine Situation wie die dort in Rede stehende nicht in den Anwendungsbereich der Bestimmungen dieser Richtlinie(24).

42.      Somit hat der Gerichtshof im Urteil Podilă u. a., was die den Arbeitnehmern verliehenen Rechte anbelangt, eine Unterscheidung zwischen zwei parallel anwendbaren nationalen Rechtsrahmen getroffen. Der erste betrifft die Richtlinie 89/391 und ihre Umsetzung in nationales Recht. Aus diesem Urteil ergibt sich, dass in Anbetracht der Informationen, über die der Gerichtshof verfügte, Art. 9 Abs. 1 und 2 sowie Art. 11 Abs. 6 dieser Richtlinie korrekt in rumänisches Recht umgesetzt worden waren. Der zweite rechtliche Rahmen bezieht sich auf die Einstufung als Arbeitsplatz, an dem die Arbeitnehmer besonderen Bedingungen ausgesetzt sind; er wurde von Rumänien in Ausübung nationaler Kompetenzen erlassen und weist keine Verbindung zur Richtlinie 89/391 auf(25). Diese Richtlinie regelt nämlich nicht die an die Einstufung von Arbeitsplätzen in Abhängigkeit von den Gefahren, denen die Arbeitnehmer ausgesetzt sind, geknüpften finanziellen Ansprüche.

43.      Nach Auffassung des vorlegenden Gerichts unterscheidet sich die vorliegende Rechtssache von derjenigen, in der das Urteil Podilă u. a. ergangen ist; es begründet dies damit, dass die Klägerin im vorliegenden Fall nicht die Feststellung von Rentenansprüchen begehre, sondern die Anerkennung der spezifischen berufsbedingten Gefahren der besonderen Bedingungen, unter denen sie ihre Tätigkeit ausübe. Wie die rumänische Regierung und die Kommission folge ich dieser Beurteilung nicht. Denn auch wenn die Klägerin ihre Beschäftigung noch ausübt, erscheinen die Erwägungen, die der Gerichtshof in dem Urteil Podilă u. a. angestellt hat, gleichwohl ohne Weiteres auf die vorliegende Rechtssache übertragbar.

44.      Erstens ergibt sich aus der Vorlageentscheidung, dass die Klägerin mit ihrer Klage begehrt, ihre Tätigkeit als Tätigkeit einzustufen, die sie besonderen Bedingungen aussetzt, und ihren Arbeitgeber zu verurteilen, die Differenz der sich daraus ergebenden Sozialversicherungsbeiträge zu zahlen, um finanzielle Ansprüche zu erwerben, d. h. eine höhere Altersrente zu erhalten. An dieser Stelle erscheint mir der Hinweis angebracht, dass die rumänische Regierung in der mündlichen Verhandlung betont hat, dass es Beschäftigungen gebe, bei denen die Arbeitnehmer naturgemäß Risikofaktoren ausgesetzt und die daher weniger attraktiv seien. Für diese Beschäftigungen habe der rumänische Gesetzgeber, auch wenn der Arbeitgeber all die sich aus der Richtlinie 89/391 ergebenden Maßnahmen ergreifen müsse, Leistungen für die Arbeitnehmer auch hinsichtlich der Voraussetzungen für die Gewährung und die Ermittlung der Höhe der Altersrente vorgesehen, die eine Form der Kompensation für die diesen Beschäftigungen inhärenten Nachteile darstellten und die Steigerung der Attraktivität dieser Beschäftigungen zum Ziel hätten. Dementsprechend seien die in Rede stehenden rentenrechtlich verliehenen Ansprüche, die von der Einstufung als Arbeitsplatz, an dem die Arbeitnehmer besonderen Bedingungen ausgesetzt seien, abhängen, im Gesetz Nr. 263/2010 über das einheitliche System der staatlichen Renten und nicht im Gesetz über Sicherheit und Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer vorgesehen.

45.      Was zweitens die Pflichten der Arbeitgeber in Bezug auf die Sicherheit und die Gesundheit der Arbeitnehmer anbelangt, ergibt sich aus Art. 9 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 89/391 zum einen, dass die Arbeitgeber u. a. über eine Evaluierung der am Arbeitsplatz bestehenden Gefahren für die Sicherheit und die Gesundheit auch hinsichtlich der besonders gefährdeten Arbeitnehmergruppen verfügen sowie die durchzuführenden Schutzmaßnahmen, gegebenenfalls auch die zu verwendenden Schutzmittel festlegen müssen, und zum anderen, dass die Mitgliedstaaten unter Berücksichtigung der Art der Tätigkeiten und der Größe der Unternehmen die Pflichten der verschiedenen Unternehmenskategorien betreffend die Erstellung der von dieser Richtlinie vorgesehenen Dokumente festlegen müssen(26). Wie die Kommission in ihren schriftlichen Erklärungen ausgeführt hat, erlegen weder die Richtlinie 89/391 noch irgendeine andere Unionsrichtlinie über die Sicherheit und den Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer am Arbeitsplatz den Mitgliedstaaten die Pflicht auf, dafür zu sorgen, dass die Arbeitgeber die Arbeitsplätze nach dem bestehenden Gefahrenniveau einstufen oder den Arbeitnehmern, die größeren berufsbedingten Gefahren ausgesetzt sind, Kompensationsleistungen sozialrechtlicher Art gewähren.

46.      Drittens sieht Art. 11 Abs. 6 der Richtlinie 89/391, was die Anhörung und Beteiligung der Arbeitnehmer betrifft, vor, dass die Arbeitnehmer bzw. ihre Vertreter das Recht haben, sich gemäß den nationalen Rechtsvorschriften bzw. Praktiken an die für die Sicherheit und den Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz zuständige Behörde zu wenden, wenn sie der Auffassung sind, dass die vom Arbeitgeber getroffenen Maßnahmen und bereitgestellten Mittel nicht ausreichen, um die Sicherheit und den Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz sicherzustellen. Das vorlegende Gericht bestätigt jedoch, dass Art. 9 und Art. 11 Abs. 6 dieser Richtlinie, auf die seine Vorlagefragen abstellen, durch Art. 12 bzw. Art. 18 Abs. 7 des Gesetzes Nr. 319/2006 in rumänisches Recht umgesetzt wurden. Mithin kommen den Arbeitnehmern die von dieser Richtlinie verliehenen Rechte, was zum einen die Pflichten der Arbeitgeber insbesondere in Bezug auf die Evaluierung der Risiken für die Sicherheit und die Gesundheit am Arbeitsplatz sowie die zu ergreifenden Schutzmaßnahmen und zum anderen die Anhörung und Beteiligung der Arbeitnehmer betrifft, unabhängig von der Einstufung als Arbeitsplatz, an dem die Arbeitnehmer besonderen Bedingungen ausgesetzt sind, zugute. Aus der Vorlageentscheidung ergibt sich im Übrigen nicht, dass für die Klägerin keine Möglichkeit bestand, sich an die für die Sicherheit und den Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz zuständige Behörde zu wenden, um eine etwaige Unzulänglichkeit der von ihrem Arbeitgeber getroffenen Maßnahmen zu beanstanden.

47.      Viertens lässt sich der Vorlageentscheidung auch nicht entnehmen, dass die Klägerin in ihrer Klage behauptet hätte, dass das Krankenhaus seinen nationalrechtlichen Pflichten zur Sicherstellung ihrer Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz nicht nachgekommen wäre. Hierzu hat das vorlegende Gericht angemerkt, dass die Einstufung als Arbeitsplatz, an dem die Arbeitnehmer besonderen Bedingungen ausgesetzt seien, nur vorgenommen werde, wenn der Arbeitgeber technische und organisatorische Maßnahmen insbesondere gemäß dem Gesetz Nr. 319/2006 getroffen hat, mit dem die Richtlinie 89/391 umgesetzt wurde.

48.      Fünftens hebt das vorlegende Gericht hervor, dass zwar, was Art. 18 Abs. 7 des Gesetzes Nr. 319/2006 betrifft, die allgemeine innerstaatliche Vorschrift ausdrücklich ein Recht der Arbeitnehmer vorsieht, sich an die zuständigen Behörden zu wenden, diese Vorschrift jedoch im niederrangigen Recht, das sich auf die Bewertung der berufsbedingten Gefahren für die Arbeitnehmer auf mittlere oder lange Sicht bezieht, nicht übernommen wurde. Außerdem gebe es in Bezug auf Art. 12 des Gesetzes Nr. 319/2006 auch keinen späteren niederrangigen Rechtsakt, der die Folgen der Verletzung der Pflichten zur Bewertung und Überwachung der berufsbedingten Gefahren festlegen würde. Allerdings kann die Verletzung der in diesem Art. 12 genannten Pflichten insbesondere die vom vorlegenden Gericht angesprochene Verhängung einer verwaltungsrechtlichen Geldbuße gegen den Arbeitgeber nach sich ziehen(27). Darüber hinaus erklärt das vorlegende Gericht nicht, inwiefern diese Situation zur Folge haben sollte, dass die Einstufung der Arbeitsplätze als Arbeitsplätze mit besonderen Bedingungen in den Anwendungsbereich der Richtlinie 89/391 fiele.

49.      Sechstens ist, allgemeiner betrachtet, Ziel der Richtlinie 89/391 die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer am Arbeitsplatz. Die Erhöhung der Rentenpunkte betrifft jedoch definitionsgemäß nicht das Erwerbsleben, sondern den darauffolgenden Zeitraum. Ferner gewährt die nationale Regelung zwar den Vorteil einer Herabsetzung des Renteneintrittsalters für Arbeitnehmer, die besonderen Bedingungen ausgesetzt sind, was die Dauer der Exposition gegenüber berufsbedingten Gefahren begrenzt, eine solche Herabsetzung steht indes ebenfalls in keinem Zusammenhang mit der Umsetzung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer am Arbeitsplatz.

50.      Nach alledem fällt die Einstufung als Arbeitsplatz, an dem die Arbeitnehmer besonderen Bedingungen ausgesetzt sind, wie in der Rechtssache, in der das Urteil Podilă u. a. ergangen ist, nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie 89/391, was die Voraussetzungen für die Gewährung und die Ermittlung der Höhe der Altersrente betrifft.

51.      In der vorliegenden Rechtssache weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass die betroffenen Angestellten auch Anspruch auf zusätzlichen bezahlten Jahresurlaub hätten. Auf eine Frage des Gerichtshofs in der mündlichen Verhandlung hat die rumänische Regierung erklärt, dass es, um in den Genuss dieses Urlaubs zu kommen, nicht notwendig sei, dass der Arbeitsplatz als Arbeitsplatz mit besonderen Bedingungen eingestuft werde. Da das vorlegende Gericht in der Vorlageentscheidung keinen Zusammenhang zwischen diesem Urlaub und einer solchen Einstufung nachgewiesen hat, wird es zu prüfen haben, inwieweit die Gewährung dieses Urlaubs voraussetzt, dass der Arbeitsplatz als Arbeitsplatz mit besonderen Bedingungen eingestuft wurde.

52.      Unter der Annahme, dass dies der Fall ist, weise ich darauf hin, dass die Richtlinie 89/391 in Verbindung mit der Richtlinie 2003/88 zu lesen ist(28), durch die Mindestvorschriften festgelegt werden sollen, die dazu bestimmt sind, die Lebens- und Arbeitsbedingungen hinsichtlich der Dauer der Arbeitszeit durch die Gewährung u. a. von Mindestruhezeiten zu verbessern(29). Dementsprechend definiert Art. 2 Nr. 9 der Richtlinie 2003/88 „ausreichende Ruhezeiten“ dahin, dass „die Arbeitnehmer … über regelmäßige und ausreichend lange und kontinuierliche Ruhezeiten verfügen [müssen], deren Dauer in Zeiteinheiten angegeben wird, damit sichergestellt ist, dass sie nicht wegen Übermüdung oder wegen eines unregelmäßigen Arbeitsrhythmus sich selbst, ihre Kollegen oder sonstige Personen verletzen und weder kurzfristig noch langfristig ihre Gesundheit schädigen“. Das vorlegende Gericht merkt in diesem Sinne an, dass die Gewährung zusätzlicher Jahresurlaubstage den Arbeitnehmern eine längere Ruhezeit verschafft, um sich zu erholen. Der Ansicht, dass eine solche Gewährung von Zusatzurlaub einen Bezug zum Schutz der Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer am Arbeitsplatz aufweist, schließe ich mich an.

53.      Es stellt sich jedoch die Frage, ob das Unionsrecht dahin auszulegen ist, dass es die Mitgliedstaaten verpflichtet, Arbeitnehmern, die einer berufsbedingten Gefahr ausgesetzt sind, solche zusätzlichen Jahresurlaubstage zu gewähren. Meines Erachtens ist dies klar zu verneinen. Zum Jahresurlaub heißt es nämlich in Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88, dass die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen treffen, damit jeder Arbeitnehmer einen bezahlten Mindestjahresurlaub von vier Wochen nach Maßgabe der Bedingungen für die Inanspruchnahme und die Gewährung erhält, die in den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder nach den einzelstaatlichen Gepflogenheiten vorgesehen sind.

54.      Im vorliegenden Fall haben gemäß Art. 147 Abs. 1 des Arbeitsgesetzbuchs diejenigen Beschäftigten, die unter schwierigen, gefährlichen oder schädlichen Bedingungen arbeiten, u. a. das Recht auf einen zusätzlichen Jahresurlaub von mindestens drei Arbeitstagen. Was dies anbelangt, steht die Richtlinie 2003/88 nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs innerstaatlichen Rechtsvorschriften nicht entgegen, nach denen ein Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub von mehr als den in Art. 7 Abs. 1 dieser Richtlinie vorgesehenen vier Wochen besteht, wobei die Voraussetzungen für den Anspruch auf Urlaub und dessen Gewährung im nationalen Recht geregelt sind, denn aus dem Wortlaut von Art. 1 Abs. 1 und Abs. 2 Buchst. a, Art. 7 Abs. 1 und Art. 15 der Richtlinie 2003/88 geht ausdrücklich hervor, dass diese Richtlinie lediglich Mindestvorschriften für Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeitszeitgestaltung enthält und das Recht der Mitgliedstaaten unberührt bleibt, für den Schutz der Arbeitnehmer günstigere nationale Vorschriften anzuwenden(30). Nach Ansicht des Gerichtshofs sind in solchen Fällen die Ansprüche auf bezahlten Jahresurlaub, die über das in Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88 vorgesehene Mindestmaß hinausgehen, nicht durch die Richtlinie geregelt, sondern durch das nationale Recht, außerhalb der Regelung der Richtlinie, wobei jedoch derartige für die Arbeitnehmer günstigere nationale Bestimmungen nicht dazu dienen dürfen, eine Beeinträchtigung des durch diese Bestimmung des Unionsrechts gewährleisteten Mindestschutzes, etwa in Gestalt einer Kürzung des Entgelts für den durch sie garantierten bezahlten Mindestjahresurlaub, zu kompensieren(31). Aus dieser Rechtsprechung ergibt sich, dass die Gewährung zusätzlicher bezahlter Jahresurlaubstage nach Art. 147 des Arbeitsgesetzbuchs allein durch das nationale Recht geregelt wird.

55.      In diesem Rahmen hat die rumänische Regierung in der mündlichen Verhandlung geltend gemacht, dass Zusatzurlaub als Maßnahme zum Schutz der Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz gewährt werden könne, nachdem der Arbeitgeber die Bewertung der Gefahren, denen der Arbeitnehmer ausgesetzt sei, vorgenommen habe, und dass der Arbeitnehmer sich in diesem Fall auf Art. 18 Abs. 7 des Gesetzes Nr. 319/2006 stützen könne, um bei der Arbeitsaufsichtsbehörde die unterbliebene Gewährung eines solchen Zusatzurlaubs oder die Unangemessenheit der getroffenen Maßnahme zu beanstanden, und anschließend das zuständige nationale Gericht anrufen könne, wenn diese Behörde die erforderlichen Maßnahmen nicht ergreife.

56.      Aus alledem schließe ich, dass eine Situation wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinien 89/391 und 2003/88 fällt.

57.      Daher schlage ich vor, auf die erste Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 9 und Art. 11 Abs. 6 der Richtlinie 89/391 sowie die Richtlinie 2003/88 dahin auszulegen sind, dass sie auf eine nationale Regelung in der Auslegung der nationalen Gerichte, die Verfahren festlegt, die den Arbeitnehmern keine Möglichkeit bieten, sich an die für die Sicherheit und den Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz zuständige Behörde und an die nationalen Gerichte zu wenden, um die Einstufung der Tätigkeiten der Arbeitnehmer in verschiedene Risikogruppen, auf deren Grundlage Rechte in Bezug auf die Rente dieser Arbeitnehmer sowie zusätzliche bezahlte Jahresurlaubstage über das nach Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88 erforderliche Mindestmaß hinaus gewährt werden, überprüfen oder feststellen zu lassen, keine Anwendung finden.

B.      Zur zweiten Vorlagefrage

58.      Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 11 Abs. 6 der Richtlinie 89/391 unmittelbare Wirkung hat und ob diese Bestimmung in Verbindung mit Art. 31 Abs. 1 und Art. 47 der Charta den Arbeitnehmern das Recht auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz einräumt, wenn die für die Erfüllung der durch die nationalen Rechtsvorschriften festgelegten Pflichten rechtlich Verantwortlichen diesen Pflichten nicht nachkommen.

59.      Aus der Antwort, die ich auf die erste Vorlagefrage zu geben vorschlage, ergibt sich, dass die Richtlinie 89/391 auf eine Einstufung der Arbeitsplätze wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende keine Anwendung findet. Daher erübrigt sich meines Erachtens eine Prüfung, ob Art. 11 Abs. 6 dieser Richtlinie unmittelbare Wirkung hat, da die Antwort auf diese Frage der Entscheidung des vorlegenden Gerichts über den bei ihm anhängigen Rechtsstreit nicht dienlich wäre.

60.      Für den Fall, dass der Gerichtshof meiner Beurteilung nicht folgen sollte, weise ich darauf hin, dass sich der Einzelne nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs in all den Fällen, in denen die Bestimmungen einer Richtlinie inhaltlich unbedingt und hinreichend genau sind, vor nationalen Gerichten gegenüber dem Staat auf diese Bestimmungen berufen kann, wenn dieser die Richtlinie nicht fristgemäß oder nur unzulänglich in das nationale Recht umgesetzt hat(32). Wie sich aus der Vorlageentscheidung ergibt, scheint Art. 11 Abs. 6 der Richtlinie 89/391 jedoch durch Art. 18 Abs. 7 des Gesetzes Nr. 319/2006 korrekt in nationales Recht umgesetzt worden zu sein. Daher erscheint die Frage, ob diese Bestimmung unmittelbare Wirkung hat, auch insoweit der Entscheidung des vorlegenden Gerichts über den bei ihm anhängigen Rechtsstreit nicht dienlich.

61.      Jedenfalls kann eine Bestimmung einer Richtlinie nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs nur dann unmittelbare Wirkung entfalten, wenn sie inhaltlich unbedingt und hinreichend genau ist. Eine Bestimmung ist unbedingt, wenn sie eine Verpflichtung normiert, die an keine Bedingung geknüpft ist und zu ihrer Durchführung oder Wirksamkeit auch keiner weiteren Maßnahmen der Unionsorgane oder der Mitgliedstaaten bedarf. Eine Bestimmung ist als hinreichend genau anzusehen, um von einem Einzelnen geltend gemacht und vom Gericht angewandt zu werden, wenn sie in unzweideutigen Worten eine Verpflichtung festlegt. Eine Bestimmung einer Richtlinie kann auch dann, wenn die Richtlinie den Mitgliedstaaten einen gewissen Gestaltungsspielraum beim Erlass der Durchführungsvorschriften lässt, als unbedingt und genau angesehen werden, wenn sie den Mitgliedstaaten unmissverständlich eine Verpflichtung zur Erreichung eines bestimmten Ergebnisses auferlegt, die im Hinblick auf die Anwendung der dort aufgestellten Regel durch keinerlei Bedingungen eingeschränkt ist(33).

62.      In dieser Hinsicht bestimmt zwar Art. 11 Abs. 6 der Richtlinie 89/391 die Arbeitnehmer bzw. ihre Vertreter als diejenigen Personen, die das Recht haben, sich an die für die Sicherheit und den Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz zuständige Behörde zu wenden, allerdings heißt es in dieser Bestimmung, dass dieses Recht „gemäß den nationalen Rechtsvorschriften bzw. Praktiken“ auszuüben ist. Da diese Bestimmung ein Eingreifen der Mitgliedstaaten erfordert und ihnen einen beträchtlichen Gestaltungsspielraum verleiht, kann sie somit nicht als inhaltlich unbedingt und hinreichend genau angesehen werden und hat daher keine unmittelbare Wirkung(34).

63.      Schließlich weise ich hinsichtlich Art. 31 Abs. 1 und Art. 47 der Charta, die das vorlegende Gericht in seiner zweiten Frage in Bezug nimmt, darauf hin, dass der Anwendungsbereich der Charta, was das Handeln der Mitgliedstaaten betrifft, in Art. 51 Abs. 1 der Charta definiert wird, wonach deren Bestimmungen für die Mitgliedstaaten bei der Durchführung des Rechts der Union gelten. Daraus folgt, dass die in der Rechtsordnung der Union garantierten Grundrechte dazu bestimmt sind, in allen Fällen angewandt zu werden, die das Unionsrecht regelt, jedoch nicht außerhalb dieser Fälle. Da ich die in Rede stehende Einstufung nicht als vom Unionsrecht geregelt erachte, erübrigt sich eine Antwort auf die zweite Frage im Licht der Charta. Jedenfalls entfaltet Art. 47 der Charta, der den Grundsatz des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes bekräftigt, zwar aus sich heraus Wirkung und muss nicht durch Bestimmungen des Unionsrechts oder des nationalen Rechts konkretisiert werden, um dem Einzelnen ein Recht zu verleihen, das er als solches geltend machen kann(35), gleichwohl setzt die Anwendung dieses Artikels voraus, dass der Anwendungsbereich des Unionsrechts eröffnet ist.

64.      Daher schlage ich für den Fall, dass die Richtlinie 89/391 nach Ansicht des Gerichtshofs auf eine Einstufung von Arbeitsplätzen wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Anwendung findet, vor, auf die zweite Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 11 Abs. 6 dieser Richtlinie keine unmittelbare Wirkung hat.

V.      Ergebnis

65.      Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, die Vorlagefragen der Curtea de Apel Iaşi (Berufungsgericht Iaşi, Rumänien) wie folgt zu beantworten:

1.      Art. 9 und Art. 11 Abs. 6 der Richtlinie 89/391/EWG des Rates vom 12. Juni 1989 über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer bei der Arbeit sowie die Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung

sind dahin auszulegen, dass

sie auf eine nationale Regelung in der Auslegung der nationalen Gerichte, die Verfahren festlegt, die den Arbeitnehmern keine Möglichkeit bieten, sich an die für die Sicherheit und den Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz zuständige Behörde und an die nationalen Gerichte zu wenden, um die Einstufung der Tätigkeiten der Arbeitnehmer in verschiedene Risikogruppen, auf deren Grundlage Rechte in Bezug auf die Rente dieser Arbeitnehmer sowie zusätzliche bezahlte Jahresurlaubstage über das nach Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88 erforderliche Mindestmaß hinaus gewährt werden, überprüfen oder feststellen zu lassen, keine Anwendung finden.

2.      Art. 11 Abs. 6 der Richtlinie 89/391

ist dahin auszulegen, dass

er keine unmittelbare Wirkung hat.





































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