C-482/23 – Kommission/ Dänemark (Transports de cabotage)

C-482/23 – Kommission/ Dänemark (Transports de cabotage)

CURIA – Documents

Language of document : ECLI:EU:C:2025:150

Vorläufige Fassung

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

ATHANASIOS RANTOS

vom 6. März 2025(1)

Rechtssache C482/23

Europäische Kommission

gegen

Königreich Dänemark

„ Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats – Verordnung (EG) Nr. 1073/2009 – Zugang zum grenzüberschreitenden Personenkraftverkehrsmarkt – Art. 2 Nr. 7 – Begriff „Kabotage“ – Art. 15 Buchst. b – Kabotage im Rahmen von Gelegenheitsverkehr – Nationale Durchführungsmaßnahmen – Beförderungen, die innerhalb eines Zeitraums von sieben aufeinander folgenden Tagen in einem Kalendermonat durchgeführt werden müssen – Wertungsspielraum – Verhältnismäßigkeit “

 Einleitung

1.        Mit ihrer Vertragsverletzungsklage beantragt die Europäische Kommission beim Gerichtshof die Feststellung, dass das Königreich Dänemark dadurch gegen seine Verpflichtungen aus den in Art. 15 Buchst. b der Verordnung (EG) Nr. 1073/2009(2) enthaltenen unionsrechtlichen Bestimmungen über den freien Dienstleistungsverkehr im Straßenverkehr verstoßen hat, die die Kabotage für den „Gelegenheitsverkehr“ zulassen, indem es eine Verwaltungspraxis eingeführt hat, die zur Klarstellung des Begriffs der „zeitweiligen“ Kabotage in Art. 2 Nr. 7 der Verordnung die Kabotage mit Kraftomnibussen auf dänischem Hoheitsgebiet auf einen Zeitraum von sieben aufeinanderfolgenden Tagen eines Kalendermonats beschränkt (im Folgenden: streitige Verwaltungspraxis).

2.        Der vorliegende Fall wirft die Frage auf, ob die Mitgliedstaaten befugt sind, Durchführungsmaßnahmen in Bezug auf den Begriff der „zeitweiligen“ Kabotage gemäß der Definition in Art. 2 Nr. 7 der genannten Verordnung zu erlassen, und, wenn dies der Fall ist, ob die streitige Verwaltungspraxis verhältnismäßig ist.

 Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

3.        Art. 1  („Anwendungsbereich“) Abs. 1 der Verordnung Nr. 1073/2009 sieht vor:

„Diese Verordnung gilt für den grenzüberschreitenden Personenverkehr mit Kraftomnibussen im Gebiet der Gemeinschaft, der von in einem Mitgliedstaat gemäß dessen Rechtsvorschriften niedergelassenen Unternehmen gewerblich oder im Werkverkehr mit Fahrzeugen durchgeführt wird, die in diesem Mitgliedstaat zugelassen und die nach ihrer Bauart und Ausstattung geeignet und dazu bestimmt sind, mehr als neun Personen – einschließlich des Fahrers – zu befördern, sowie für Leerfahrten im Zusammenhang mit diesem Verkehr.

Wird die Beförderung durch eine Wegstrecke unterbrochen, die mit einem anderen Verkehrsträger zurückgelegt wird, oder wird bei dieser Beförderung das Fahrzeug gewechselt, so berührt dies nicht die Anwendung dieser Verordnung.“

4.        Nach Art. 2 („Begriffsbestimmungen“) Nrn. 4 und 7 der Verordnung bezeichnet

„4.      ‚Gelegenheitsverkehr‘ den Verkehrsdienst, der nicht der Begriffsbestimmung des Linienverkehrs, einschließlich der Sonderformen des Linienverkehrs, entspricht und dessen Hauptmerkmal die Beförderung vorab gebildeter Fahrgastgruppen auf Initiative eines Auftraggebers oder des Verkehrsunternehmers selbst ist;

7.      ‚Kabotage‘ entweder

–      den gewerblichen innerstaatlichen Personenkraftverkehr, der zeitweilig von einem Kraftverkehrsunternehmer in einem Aufnahmemitgliedstaat durchgeführt wird, oder

–      das Aufnehmen und Absetzen von Fahrgästen im gleichen Mitgliedstaat im grenzüberschreitenden Linienverkehr gemäß den Bestimmungen dieser Verordnung, sofern dies nicht der Hauptzweck des Verkehrsdienstes ist“.

5.        Kapitel V der Verordnung betrifft die Kabotage und enthält insbesondere die Art. 14 und 15. Art. 14 („Allgemeiner Grundsatz“) sieht Folgendes vor:

„Jeder gewerbliche Personenkraftverkehrsunternehmer, der Inhaber einer Gemeinschaftslizenz ist, ist unter den in diesem Kapitel festgelegten Bedingungen und ohne Diskriminierung aufgrund seiner Staatsangehörigkeit oder seines Niederlassungsorts zur Kabotage gemäß Artikel 15 berechtigt.“

6.        In Art. 15 („Zugelassene Kabotage“) der Verordnung heißt es:

„Die Kabotage ist für folgende Verkehrsformen zugelassen:

a)      die Sonderformen des Linienverkehrs, sofern hierfür ein Vertrag zwischen dem Veranstalter und dem Verkehrsunternehmer besteht;

b)      den Gelegenheitsverkehr;

c)      den Linienverkehr, der von einem im Aufnahmemitgliedstaat nicht ansässigen Verkehrsunternehmer im Rahmen eines grenzüberschreitenden Linienverkehrsdienstes entsprechend dieser Verordnung durchgeführt wird, ausgenommen Verkehrsdienste, die die Verkehrsbedürfnisse sowohl in einem Stadtgebiet oder einem Ballungsraum als auch zwischen einem Stadtgebiet und seinem Umland befriedigen. Die Kabotage darf nicht unabhängig von diesem grenzüberschreitenden Verkehrsdienst durchgeführt werden.“

 Dänisches Recht

7.        Wie aus der Pressemitteilung des dänischen Verkehrsministeriums vom 11. Oktober 2019 mit dem Titel „Danmark strammer fortolkningen af EU’s regler om cabotage for busser“ („Dänemark verschärft die Auslegung der Unionsvorschriften zur Kabotage mit Kraftomnibussen“) hervorgeht, setzten die dänischen Behörden seit dem 1. November 2019 die streitige Verwaltungspraxis um, wonach der Begriff „zeitweilig“ in Art. 2 Nr. 7 der Verordnung Nr. 1073/2009(3) so ausgelegt wurde, als bedeutete er „innerhalb eines Zeitraums von sieben aufeinanderfolgenden Tagen in einem Kalendermonat“.

 Vorgeschichte des Rechtsstreits und Vorverfahren

8.        Da nach Ansicht der Kommission die seit dem 1. November 2019 verfolgte streitige Verwaltungspraxis eine Beschränkung des freien Verkehrs von Verkehrsdienstleistungen darstellt, hat sie ein Vertragsverletzungsverfahren gegen das Königreich Dänemark eingeleitet.

9.        Nach einem Treffen und einem Briefwechsel zwischen der Kommission und der dänischen Regierung im Jahr 2020 richtete die Kommission am 9. Juni 2021 ein Aufforderungsschreiben und am 19. Mai 2022 eine mit Gründen versehene Stellungnahme an die dänische Regierung, auf die diese mit Schreiben vom 2. August 2021 und 1. Juli 2022 antwortete.

 Verfahren vor dem Gerichtshof und Anträge der Parteien

10.      Mit Klageschrift vom 4. März 2022 erhob die Kommission die vorliegende Vertragsverletzungsklage, da sie von den Argumenten, die die dänische Regierung in jedem Stadium des Vertragsverletzungsverfahrens vorgebracht hatte, nicht überzeugt war.

11.      Die Königreiche Dänemark und Norwegen sowie die Kommission haben beim Gerichtshof schriftliche Erklärungen eingereicht. Diese Parteien sowie die Republik Island und die EFTA-Überwachungsbehörde haben in der mündlichen Verhandlung am 5. Dezember 2024 auch mündliche Erklärungen abgegeben.

12.      Die Kommission, unterstützt von der EFTA-Überwachungsbehörde, beantragt,

–        festzustellen, dass das Königreich Dänemark dadurch gegen seine Verpflichtungen aus Art. 15 Buchst. b der Verordnung Nr. 1073/2009 verstoßen hat, dass es die Kabotage mit Kraftomnibussen im Gelegenheitsverkehr außer für den Fall, dass die Beförderungen innerhalb eines Zeitraums von sieben aufeinanderfolgenden Tagen in einem Kalendermonat stattfinden, nicht zulässt;

–        dem Königreich Dänemark die Kosten aufzuerlegen.

13.      Das Königreich Dänemark, unterstützt von der Republik Island und dem Königreich Norwegen, beantragt,

–        die Klage abzuweisen;

–        der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

 Würdigung

14.      Mit ihrer Vertragsverletzungsklage wirft die Kommission dem Königreich Dänemark vor, gegen seine Verpflichtungen aus Art. 15 Buchst. b der Verordnung Nr. 1073/2009 verstoßen zu haben, indem es die streitige Verwaltungspraxis eingeführt hat, die zur Klarstellung des Begriffs der „zeitweiligen“ Kabotage in Art. 2 Nr. 7 der Verordnung die Kabotage mit Kraftomnibussen im dänischen Hoheitsgebiet auf einen Zeitraum von sieben aufeinanderfolgenden Tagen innerhalb eines Kalendermonats beschränkt.

15.      Um diese Frage zu klären, werde ich als Erstes einige Klarstellungen zum Begriff der „zeitweiligen“ Kabotage im Sinne der genannten Verordnung vornehmen und sodann als Zweites untersuchen, ob die Mitgliedstaaten über einen Wertungsspielraum verfügen, der es ihnen erlaubt, auf der Grundlage der Verordnung Durchführungsmaßnahmen zur Präzisierung dieses Begriffs zu erlassen; als Drittes werde ich schließlich die Verhältnismäßigkeit der streitigen Verwaltungspraxis prüfen.

 Begriff zeitweilige Kabotage im Sinne der Verordnung Nr. 1073/2009

16.      Einleitend möchte ich darauf hinweisen, dass der freie Dienstleistungsverkehr im Bereich des Verkehrs nicht durch Art. 56 AEUV, der den freien Dienstleistungsverkehr im Allgemeinen betrifft, sondern auch durch die spezielle Bestimmung des Art. 58 Abs. 1 AEUV geregelt wird, wonach „[f]ür den freien Dienstleistungsverkehr auf dem Gebiet des Verkehrs … die Bestimmungen des Titels über den Verkehr [gelten]“. Die Anwendung des Grundsatzes der Dienstleistungsfreiheit muss daher gemäß dem AEU-Vertrag durch die Verwirklichung der gemeinsamen Verkehrspolitik erreicht werden(4).

17.      Auf der Grundlage von Art. 71 Abs. 1 Buchst. a EG (jetzt Art. 91 Abs. 1 Buchst. a AEUV), der den Rat der Europäischen Union dazu ermächtigte, nach dem in dieser Bestimmung vorgesehenen Verfahren gemeinsame Regeln für den internationalen Verkehr aus oder nach dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats oder für den Durchgangsverkehr durch das Hoheitsgebiet eines oder mehrerer Mitgliedstaaten aufzustellen, hat der Rat die Verordnung (EWG) Nr. 684/92(5) erlassen, die ursprünglich durch die Verordnung (EG) Nr. 12/98(6) und später durch die Verordnung Nr.1073/2009, die Gegenstand der vorliegenden Rechtssache ist, geändert wurde.

18.      Art. 14 der letztgenannten Verordnung besagt im Wesentlichen, dass jeder gewerbliche Personenkraftverkehrsunternehmer, der Inhaber einer Gemeinschaftslizenz ist, zur Kabotage und insbesondere zur Kabotage für den gemäß Art. 15 Buchst. b der Verordnung zugelassenen „Gelegenheitsverkehr“ berechtigt ist.

19.      In Art. 2 Nr. 7 der Verordnung wird „Kabotage“ so definiert, dass sie unter anderem den gewerblichen innerstaatlichen Personenkraftverkehr umfasst, der „zeitweilig“ von einem Kraftverkehrsunternehmer in einem Aufnahmemitgliedstaat durchgeführt wird. Genauer gesagt, unterscheidet sich der in Art. 2 Nr. 7 der Verordnung Nr. 1073/2009 der dänischen Sprachfassung verwendete Ausdruck („während eines begrenzten Zeitraums“) von demjenigen, der im Wesentlichen in allen anderen Sprachfassungen dieser Bestimmung verwendet wird („zeitweilig“)(7). Ich stimme indessen mit der Kommission darin überein, dass unter Berücksichtigung aller Sprachfassungen der genannten Bestimmung – und um eine einheitliche Anwendung der genannten Bestimmung zu gewährleisten – der Ausdruck „während eines begrenzten Zeitraums“ als dem Ausdruck „zeitweilig“ gleichbedeutend auszulegen ist(8).

20.      Hinsichtlich der Auslegung des Ausdrucks „zeitweilig“ weise ich darauf hin, dass grundsätzlich, wie aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs zur Erbringung von Dienstleistungen hervorgeht, der vorübergehende Charakter einer Tätigkeit im Sinne von Art. 57 AEUV nicht nur unter Berücksichtigung der Dauer dieser Leistung, sondern auch ihrer Häufigkeit, regelmäßigen Wiederkehr oder Kontinuität zu beurteilen ist(9) und dass der AEU-Vertrag keine Vorschrift enthält, die eine abstrakte Bestimmung der Dauer oder Häufigkeit ermöglicht, ab der die Erbringung einer Dienstleistung oder einer bestimmten Art von Dienstleistung in einem anderen Mitgliedstaat nicht mehr als eine Dienstleistung im Sinne dieses Vertrags angesehen werden kann(10).

21.      Indessen muss der Wertungsspielraum der Mitgliedstaaten bei der Auslegung und Anwendung des Begriffs der „zeitweiligen“ Kabotage untersucht werden.

 Bestehen eines Wertungsspielraums, der die Mitgliedstaaten berechtigt, Durchführungsmaßnahmen zum Begriff der zeitweiligen Kabotage im Sinne der Verordnung Nr. 1073/2009 zu erlassen

22.      Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs haben Bestimmungen von Verordnungen gemäß Art. 288 AEUV zwar aufgrund ihrer Rechtsnatur und ihrer Funktion im Rechtsquellensystem des Unionsrechts im Allgemeinen unmittelbare Wirkung in den nationalen Rechtsordnungen, ohne dass nationale Durchführungsmaßnahmen erforderlich wären, doch kann es vorkommen, dass manche Verordnungsbestimmungen zu ihrer Durchführung des Erlasses von Durchführungsmaßnahmen durch die Mitgliedstaaten bedürfen(11).

23.      In dieser Hinsicht wird den Mitgliedstaaten zwar generell nicht die Befugnis abgesprochen, Verfahrensmodalitäten für die Anwendung der unmittelbar geltenden Normen des Unionsrechts zu erlassen, doch verbietet ihnen das Unionsrecht, zusätzliche Bedingungen für die Anwendung einer Vorschrift einer Verordnung festzulegen oder ergänzende Maßnahmen zu erlassen, die den Inhalt einer Verordnung berühren. In diesem Zusammenhang findet die institutionelle und verfahrensrechtliche Autonomie der Mitgliedstaaten gemäß dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit ihre Grenze in der Notwendigkeit, die praktische Wirksamkeit des Unionsrechts und insbesondere seine einheitliche Anwendung in allen Mitgliedstaaten zu gewährleisten(12).

24.      Daher können die Mitgliedstaaten, soweit die Durchführung bestimmter Vorschriften einer Verordnung es erfordert, Maßnahmen zu deren Durchführung erlassen, wenn sie deren unmittelbare Anwendbarkeit nicht vereiteln, deren unionsrechtliche Natur nicht verbergen und die Ausübung des ihnen durch diese Verordnung verliehenen Wertungsspielraums innerhalb der Grenzen dieser Vorschriften konkretisieren(13).

25.      Insbesondere muss die Auslegung unbestimmter Begriffe, die in Rechtsakten des Unionsrechts enthalten sind, im Kontext der Rolle und der Ziele der gegebenen Bestimmung erfolgen(14). Insofern ist unter Bezugnahme auf die einschlägigen Bestimmungen der Verordnung Nr. 1073/2009, die im Lichte ihrer Ziele auszulegen sind, festzustellen, ob diese Bestimmungen es den Mitgliedstaaten verbieten, gebieten oder gestatten, bestimmte Durchführungsmaßnahmen zu erlassen, und, insbesondere im letztgenannten Fall, ob sich die betreffende Maßnahme in den Rahmen des dem einzelnen Mitgliedstaat eingeräumten Wertungsspielraums einfügt(15).

26.      In den folgenden Abschnitten werde ich die Tragweite der einschlägigen Vorschriften dieser Verordnung untersuchen und dabei im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs sowohl ihren Wortlaut als auch ihren Kontext sowie die Ziele, die mit der Regelung, zu der sie gehören, verfolgt werden, und im vorliegenden Fall die Entstehungsgeschichte dieser Regelung berücksichtigen(16).

27.      Was erstens den Wortlaut der einschlägigen Bestimmungen der Verordnung Nr. 1073/2009, d. h. im vorliegenden Fall Art. 2 Nr. 7 sowie Art. 14 und 15, betrifft, so ermächtigt zwar keine dieser Bestimmungen die Mitgliedstaaten ausdrücklich zum Erlass nationaler Durchführungsmaßnahmen zur Auslegung des Begriffs „Kabotage“, aber verbietet auch nicht den Erlass solcher Maßnahmen durch die Mitgliedstaaten.

28.      Wie unter Nr. 19 der vorliegenden Schlussanträge ausgeführt, definiert Art. 2 Nr. 7 der Verordnung Nr. 1073/2009 den Begriff „Kabotage“ dahin gehend, dass er unter anderem „den gewerblichen innerstaatlichen Personenkraftverkehr, der zeitweilig von einem Kraftverkehrsunternehmer in einem Aufnahmemitgliedstaat durchgeführt wird“, umfasst(17). Es ist daher zu prüfen, ob der Begriff „Kabotage“, wie er in der genannten Verordnung definiert wird, nicht hinreichend genau ist, und zwar insbesondere in Bezug auf die Frage, inwieweit eine solche Beförderung „zeitweilig“ durchgeführt wird, so dass der Erlass nationaler Durchführungsmaßnahmen zur Präzisierung der Tragweite dieses Begriffs notwendig oder gerechtfertigt erscheint.

29.      Insoweit ergibt sich zwar aus der Formulierung „zeitweilig“, dass die Kabotage nicht dauerhaft durchgeführt werden darf, jedoch liefert diese Bestimmung keine weiteren Hinweise, insbesondere nicht – um die Kriterien aufzugreifen, die in der in Nr. 20 der vorliegenden Schlussanträge zitierten Rechtsprechung des Gerichtshofs aufgestellt wurden – in Bezug auf die Dauer, die Häufigkeit, die regelmäßige Wiederkehr oder die Kontinuität der Leistung, anhand deren die nach dieser Verordnung zulässigen Grenzen beachtet werden könnten.

30.      Auch wenn das Unionsrecht unbestimmte oder offene Begriffe verwenden kann, die eine Anwendung im Einzelfall erfordern(18), hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass die Tatsache, dass eine Bestimmung einer Verordnung allgemein oder ungenau formuliert ist, einen Hinweis darauf darstellt, dass innerstaatliche Durchführungsmaßnahmen erforderlich sind(19). Daher bin ich der Ansicht, dass der generische Charakter von Art. 2 Nr. 7 der Verordnung Nr. 1073/2009 grundsätzlich den Erlass von Durchführungsmaßnahmen erlauben kann, soweit diese Maßnahmen im Lichte des Kontexts oder der Ziele dieser Verordnung gerechtfertigt sind.

31.      Zweitens ist in Bezug auf den Kontext, in den sich die Verordnung Nr. 1073/2009 einfügt, und ihre Entstehungsgeschichte insbesondere darauf hinzuweisen, dass diese Verordnung über die grenzüberschreitende Personenbeförderung mit Kraftomnibussen im Rahmen desselben „Pakets“ von Rechtsvorschriften erlassen wurde wie die Verordnung (EG)  Nr. 1072/2009(20), die eine besonders genaue Definition des Begriffs „Kabotage“ im Hinblick auf den grenzüberschreitenden Güterkraftverkehr enthält. Art. 8 Abs. 2 Unterabs. 1 der letztgenannten Verordnung berechtigt nämlich Güterkraftverkehrsunternehmer, im Anschluss an eine grenzüberschreitende Beförderung aus einem anderen Mitgliedstaat oder einem Drittland in den Aufnahmemitgliedstaat nach Auslieferung der Güter bis zu drei Kabotagebeförderungen mit demselben Fahrzeug durchzuführen, vorausgesetzt, dass bei Kabotagebeförderungen die letzte Entladung, bevor der Aufnahmemitgliedstaat verlassen wird, innerhalb von sieben Tagen nach der letzten Entladung der in den Aufnahmemitgliedstaat eingeführten Lieferung erfolgt(21).

32.      Daraus folgt meiner Meinung nach, dass, wenn die Verordnung Nr. 1072/2009 eine genaue Definition der „Güterkabotage“ enthält, während die Verordnung Nr.1073/2009 ihrerseits keine gleichen oder ähnlichen Bestimmungen für die Kabotagebeförderung von Personen enthält, vernünftigerweise angenommen werden kann, dass der Unionsgesetzgeber bewusst unterschiedliche Regelungen in diesem Bereich erlassen hat(22).

33.      Diese Feststellung mag zwar darauf hindeuten, dass der Unionsgesetzgeber insbesondere im Licht der Erkenntnisse, die sich aus der Anwendung der früheren Verordnung ergeben(23), die Notwendigkeit empfunden hat, den Begriff „Güterkabotage“ genauer zu definieren als den Begriff „Kabotagebeförderung von Personen“; diese Feststellung kann jedoch für sich genommen nicht die Befugnis der Mitgliedstaaten ausschließen, Durchführungsmaßnahmen zu erlassen, soweit sich diese als erforderlich oder gerechtfertigt erweisen.

34.      Zwar wäre es zu einfach, aus der Existenz einer sehr detaillierten Bestimmung im Unionsrecht zur Definition des Begriffs „Güterkabotage“ abzuleiten, dass diese Definition im nationalen Recht auch in Bezug auf die Kabotagebeförderung von Personen erforderlich und gerechtfertigt wäre. Denn Art. 8 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1072/2009 enthält zwar eine genauere (und restriktive) Definition des Begriffs „Kabotage“ als Art. 2 Nr. 7 der Verordnung Nr. 1073/2009, doch stand der Erlass einer solchen Bestimmung zum einen völlig im Einklang mit der dem Rat auf Grundlage von Art. 71 Abs. 1 Buchst. a EG (jetzt Art. 91 Abs. 1 Buchst. a AEUV) erteilten Ermächtigung und schuf zum anderen einen harmonisierten Rahmen, der in der gesamten Union anwendbar ist; hingegen birgt der Erlass nationaler Rechtsvorschriften oder die Einführung einer nationalen Verwaltungspraxis, in der die innerhalb eines einzigen Mitgliedstaats erfolgende Anwendung dieses Begriffs detailliert festgelegt ist, unweigerlich das Risiko, dass innerhalb der Union uneinheitliche nationale Regeln angewandt werden(24).

35.      Das Bestehen eines solchen Risikos kann jedoch, für sich genommen, nicht der Befugnis der Mitgliedstaaten entgegenstehen, nationale Durchführungsmaßnahmen zu erlassen, da jede nationale Anwendung einer Rechtsvorschrift per definitionem ein solches Risiko birgt(25).

36.      Drittens und letztens unterscheiden sich die Standpunkte der Parteien hinsichtlich der Ziele, die mit der Verordnung Nr. 1073/2009 in Bezug auf die Kabotage verfolgt werden. Der Kommission zufolge zielt die Verordnung nämlich darauf ab, die Durchführung bestimmter Arten des Personenkraftverkehrs zu liberalisieren – und somit zu ermöglichen – und die Bedingungen festzulegen, unter denen nicht ansässige Verkehrsunternehmer im Rahmen der gemeinsamen Verkehrspolitik der Union zeitweilig zur Durchführung von innerstaatlichen Personenbeförderungen in einem Mitgliedstaat berechtigt sind. In Anwendung der Rechtsprechung des Gerichtshofs zur klassischen Unterscheidung zwischen Dienstleistungsfreiheit und Niederlassungsfreiheit würde die genannte Verordnung diesen Verkehrsunternehmern somit ein Recht gewähren, dessen einzige Grenze die Niederlassung in dem Mitgliedstaat wäre, in dem die Dienstleistung erbracht wird(26). So betrachtet, würde jede restriktive Präzisierung das Recht der Verkehrsunternehmer auf Kabotage einschränken und somit dem Ziel zuwiderlaufen, eine möglichst umfassende Ausübung der Freiheit, die betreffende Dienstleistung zu erbringen, zu ermöglichen. Die dänische Regierung bringt ihrerseits vor, dass die Verordnung das Recht der Verkehrsunternehmer, Kabotagedienste zu erbringen, beschränke, so dass die Mitgliedstaaten verpflichtet seien, die Durchführung von Kabotage über einen „begrenzten Zeitraum“ hinaus zu sanktionieren.

37.      In dieser Hinsicht teile ich den von der Kommission geäußerten Standpunkt, dass die Verordnung Nr. 1073/2009, wenn auch in begrenztem Umfang, die freie Erbringung von Kabotagediensten fördert. Soweit diese Verordnung jedoch den Zeitraum, während dessen die Kabotage durchgeführt werden kann, nicht genau festlegt, ist den Mitgliedstaaten in dieser Hinsicht ein gewisser Wertungsspielraum einzuräumen(27). Wie die dänische Regierung vorbringt, müssen die Mitgliedstaaten nämlich in der Lage sein, die wirksame Anwendung des Unionsrechts durch die nationalen Behörden zu gewährleisten, und zwar erst recht in einer Situation wie der vorliegenden, in der die Straßenverkehrsvorschriften, einschließlich der Kabotage, Gegenstand einer aktiven Überwachung und Sanktionsbefugnis durch die Polizei sind(28).

38.      In dieser Hinsicht verlangt der Grundsatz der Rechtssicherheit zum einen, dass Rechtsvorschriften klar und bestimmt sind, und zum anderen, dass ihre Anwendung für den Normadressaten vor allem dann, wenn sie nachteilige Folgen für Einzelne und Unternehmen haben können, vorhersehbar ist – umso mehr, wenn sie repressiven Charakter haben –(29) und dass das Unionsrecht es den Betroffenen ermöglicht, ihre Rechte und Pflichten eindeutig zu erkennen und sich darauf einstellen zu können(30). Im vorliegenden Fall ist festzustellen, dass die streitige Verwaltungspraxis Kriterien aufstellt, die die Vorhersehbarkeit der in der Verordnung Nr. 1073/2009 vorgesehenen Anforderungen erhöhen und damit sowohl zu deren Einhaltung durch die betroffenen Wirtschaftsteilnehmer als auch zur Wirksamkeit und Objektivität der Kontrollen der zuständigen Behörden beitragen(31).

39.      Demnach bin ich abschließend der Ansicht, dass dem Königreich Dänemark nicht vorgeworfen werden kann, durch die streitige Verwaltungspraxis nationale Maßnahmen zur Durchführung der Verordnung Nr. 1073/2009 in Bezug auf den Begriff der in Art. 2 Nr. 7 dieser Verordnung verankerten „zeitweiligen“ Kabotage ergriffen zu haben.

40.      Daher ist zu prüfen, ob diese nationalen Durchführungsmaßnahmen im Lichte der in Nr. 24 dieser Schlussanträge zitierten Rechtsprechung des Gerichtshofs mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar sind.

 Verhältnismäßigkeit der streitigen Verwaltungspraxis

41.      Nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs sind die Mitgliedstaaten beim Erlass von Maßnahmen zur Durchführung einer Verordnung verpflichtet, den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten, den ihre gesetz- und verordnungsgebenden Stellen bei der Anwendung des Unionsrechts befolgen müssen und der verlangt, dass die aufgrund einer Bestimmung angewandten Mittel geeignet sind, das mit der fraglichen Unionsregelung angestrebte Ziel zu erreichen, und nicht über das zu dessen Erreichung Erforderliche hinausgehen(32).

42.      Daher ist als Erstes zu beurteilen, ob die streitige Verwaltungspraxis mit den Zielen der Verordnung Nr. 1073/2009 vereinbar ist.

43.      Die Verordnung zielt im Wesentlichen darauf ab, einen einheitlichen Rahmen für die grenzüberschreitende Personenbeförderung mit Kraftomnibussen in der gesamten Union zu gewährleisten, indem insbesondere die Dienstleistungsfreiheit im Bereich des Personenkraftverkehrs gewährleistet und die Bedingungen festgelegt werden, unter denen nicht ansässige Verkehrsunternehmen Kabotagebeförderungen erbringen dürfen(33). Sie berechtigt somit grundsätzlich zur Erbringung von Kabotage, betont aber den zeitlich begrenzten Charakter dieser Dienste.

44.      Das von der dänischen Verwaltung mit der streitigen Verwaltungspraxis verfolgte Ziel besteht darin, die Kabotage einzuschränken oder zumindest deren Missbrauch zu begrenzen, indem verhindert wird, dass diese Tätigkeit den Rahmen einer zeitweiligen Tätigkeit verlässt und zu einer ständigen oder kontinuierlichen Tätigkeit wird(34); somit würden die Bedingungen für die Durchführung der Kabotage rechtlich klar, vorhersehbar und leicht durchsetzbar. Darüber hinaus habe sich die dänische Verwaltung, wie die dänische Regierung in der mündlichen Verhandlung bestätigt hat, bei der Einführung der streitigen Verwaltungspraxis an der Definition für die Güterkabotage in Art. 8 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1072/2009 orientiert(35).

45.      Insoweit bin ich der Auffassung, dass die streitige Verwaltungspraxis insofern grundsätzlich mit dem mit der Verordnung Nr. 1073/2009 verfolgten Ziel vereinbar ist, als sie durch die Festlegung einer zeitlichen Begrenzung der Kabotage durch Kraftomnibusse auf dänischem Hoheitsgebiet innerhalb eines Zeitraums von einem Kalendermonat geeignet erscheint, das Erfordernis, diese Dienstleistung nur „zeitweilig“ zu erbringen, zu gewährleisten sowie die Vorhersehbarkeit und die Einhaltung dieses Erfordernisses sicherzustellen.

46.      Somit bleibt als Zweites zu prüfen, ob die streitige Verwaltungspraxis über das hinausgeht, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist. Meines Erachtens ist diese Frage nicht auf Anhieb eindeutig zu beantworten.

47.      Insoweit trifft es zu, dass diese Praxis eine sehr starke Einschränkung der Ausübung der hier in Rede stehenden Tätigkeit einführt und dass das erklärte Ziel mit weniger restriktiven Mitteln erreicht werden könnte(36). So etwa hätte eine Begrenzung der Dauer der Kabotage auf zwei Wochen innerhalb eines Monats oder eine Begrenzung der Anzahl der in einer Woche zulässigen Beförderungen ebenfalls verhindern können, dass diese Tätigkeit zu einer ständigen oder kontinuierlichen Tätigkeit wird, wobei es sich um eine weniger restriktive Maßnahme gehandelt hätte(37). Dass die streitige Verwaltungspraxis die Dienstleistungshäufigkeit nicht berücksichtigt, tut ferner der Einheitlichkeit dieser Praxis auch insofern keinen Abbruch, als sie einem Verkehrsunternehmen zwar erlaubt, eine potenziell unbegrenzte Anzahl von Fahrten innerhalb einer Kalenderwoche durchzuführen, aber dazu führt, dass ein Verkehrsunternehmen, das eine innerstaatliche Personenbeförderung in Dänemark durchführt, innerhalb desselben Monats keine weiteren innerstaatlichen Personenbeförderungen mehr innerhalb eines Zeitraums von acht oder mehr Tagen durchführen darf(38).

48.      Es ist jedoch auch richtig, dass sich der sehr ungenaue Charakter des Begriffs im vorliegenden Fall zu keiner eindeutigen Anwendung eignet. Daher scheint es in Ermangelung eines Referenzkriteriums sehr schwierig zu sein, eine Lösung zu finden, die nicht eine weniger restriktive Alternative bietet(39). Darüber hinaus hat die streitige Verwaltungspraxis in Ermangelung eines solchen Referenzkriteriums eine ähnliche Regel wie diejenige für die Güterkabotage in Art. 8 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1072/2009 eingeführt, die im selben „Paket“ von Rechtsvorschriften wie die Verordnung Nr. 1073/2009 enthalten ist. Zwar kann aus den in den Nrn. 32 und 33 der vorliegenden Schlussanträge dargelegten Gründen aus dieser Erwägung allein nicht abgeleitet werden, dass die streitige Verwaltungspraxis verhältnismäßig ist, doch ist der Verweis auf ähnliche Unionsvorschriften ein Indiz für den Willen der dänischen Verwaltung, eine Regel einzuführen, die so weit wie möglich mit dem Unionsrecht vereinbar ist(40).

49.      Darüber hinaus hat sich die Kommission, bei der die Beweislast für das Vorliegen des geltend gemachten Verstoßes liegt(41), in ihrem Plädoyer darauf beschränkt, allgemeine Punkte zu erwähnen, ohne irgendwelche konkreten Punkte zur Stützung ihrer Klage vorzubringen(42). Denn die einzige Lösung, die die Kommission in Betracht zieht, besteht darin, jede Maßnahme zur Anwendung des Begriffs der „zeitweiligen“ Kabotage zu untersagen und seine Anwendung einer Einzelfallbewertung zu überlassen, die gemäß dem Urteil vom 30. November 1995, Gebhard (C‑55/94, EU:C:1995:411)(43), nicht nur von der Dauer der Leistung, sondern auch von ihrer Häufigkeit, ihrer regelmäßigen Wiederkehr oder ihrer Kontinuität abhängt.

50.      Meiner Ansicht nach ist diese Rechtsprechung, die zwischen der Erbringung von Dienstleistungen in einem anderen Mitgliedstaat als dem, in dem der Dienstleistungserbringer niedergelassen ist, und der Ausübung des Niederlassungsrechts in diesem Mitgliedstaat unterscheidet, jedoch schlichtweg nicht auf den vorliegenden Fall übertragbar. Die Verordnung Nr. 1073/2009 sieht nämlich keine vollständige Liberalisierung der Kabotage vor, sondern lässt diese u. a. als „zeitweilig“ durchgeführte Beförderungen gemäß Art. 2 Nr. 7 der Verordnung zu, insbesondere in Bezug auf den „Gelegenheitsverkehr“ im Sinne von Art. 15 Buchst. b dieser Verordnung. Andernfalls wäre die Klarstellung, dass es sich bei der Kabotage unter anderem um „zeitweilig“ durchgeführte Beförderungen handelt, überflüssig(44).

51.      Nach alledem bin ich der Ansicht, dass die Kommission nicht nachgewiesen hat, dass das Königreich Dänemark durch die Einführung der streitigen Verwaltungspraxis, wonach der Begriff der „zeitweiligen“ Kabotage in Art. 2 Nr. 7 der Verordnung Nr. 1073/2009 dahin auszulegen ist, dass er sich auf Kabotage mit Kraftomnibussen auf dänischem Hoheitsgebiet innerhalb eines Zeitraums von sieben aufeinanderfolgenden Tagen in einem Kalendermonat bezieht, gegen seine Verpflichtungen aus Art. 15 Buchst. b dieser Verordnung verstoßen hat.

 Kosten

52.      Nach Art. 138 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da das Königreich Dänemark die Verurteilung der Kommission beantragt hat und diese mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

 Ergebnis

53.      Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, die Klage abzuweisen und der Europäischen Kommission die Kosten aufzuerlegen.














































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