C-585/24 P – Rat/ Volkskreditbank

C-585/24 P – Rat/ Volkskreditbank

CURIA – Documents

Language of document : ECLI:EU:C:2025:507

BESCHLUSS DES PRÄSIDENTEN DES GERICHTSHOFS

30. Juni 2025(*)

„ Rechtsmittel – Streithilfe – Art. 40 Abs. 2 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union – Berufsverband – Berechtigtes Interesse am Ausgang des Rechtsstreits – Zulassung “

In der Rechtssache C‑585/24 P

betreffend ein Rechtsmittel nach Art. 56 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union, eingelegt am 5. September 2024,

Rat der Europäischen Union, vertreten durch J. Bauerschmidt, M. Chavrier, E. d’Ursel und A. Westerhof Löfflerová als Bevollmächtigte,

Rechtsmittelführer,

unterstützt durch:

Europäische Kommission, vertreten durch P. Messina und D. Triantafyllou als Bevollmächtigte,

Streithelferin im Rechtsmittelverfahren,

andere Parteien des Verfahrens:

Volkskreditbank AG mit Sitz in Linz (Österreich), vertreten durch Rechtsanwälte A. Brenneis und G. Eisenberger sowie Rechtsanwältin J. Holzmann,

Klägerin im ersten Rechtszug,

Einheitlicher Abwicklungsausschuss (SRB), vertreten zunächst durch D. Ceran, C. De Falco, H. Ehlers und K. Ph. Wojcik, dann durch D. Ceran, C. De Falco und H. Ehlers als Bevollmächtigte im Beistand der Rechtsanwälte P. Gey und H.‑G. Kamann,

Beklagter im ersten Rechtszug,

Europäisches Parlament, vertreten durch G. C. Bartram, O. Denkov, J. Etienne, M. Menegatti und L. Visaggio als Bevollmächtigte,

Streithelfer im ersten Rechtszug,

erlässt

DER PRÄSIDENT DES GERICHTSHOFS

auf Vorschlag des Berichterstatters B. Smulders,

nach Anhörung des Generalanwalts D. Spielmann

folgenden

Beschluss

1        Mit seinem Rechtsmittel beantragt der Rat der Europäischen Union die Aufhebung des Urteils des Gerichts der Europäischen Union vom 3. Juli 2024, Volkskreditbank/SRB (Im Voraus erhobene Beiträge für 2022) (T‑406/22, EU:T:2024:439), mit dem das Gericht den Beschluss des Einheitlichen Abwicklungsausschusses (Single Resolution Board, im Folgenden: SRB) vom 11. April 2022 über die Berechnung der im Voraus erhobenen Beiträge zum einheitlichen Abwicklungsfonds (Single Resolution Fund, im Folgenden: SRF) für 2022 (SRB/ES/2022/18) für nichtig erklärt hat, soweit er die Volkskreditbank AG betrifft. Die Volkskreditbank beantragt in ihrer Rechtsmittelbeantwortung, das Rechtsmittel zurückzuweisen.

2        Mit Schriftsatz, der am 30. Januar 2025 bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingegangen ist, hat die Fédération bancaire française gemäß Art. 40 Abs. 2 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union beantragt, als Streithelferin zur Unterstützung der Anträge der Volkskreditbank zugelassen zu werden.

3        Nachdem der Kanzler des Gerichtshofs den Parteien den Antrag auf Zulassung zur Streithilfe gemäß Art. 131 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs, der gemäß Art. 190 Abs. 1 der Verfahrensordnung auf das Rechtsmittelverfahren anwendbar ist, zugestellt hatte, haben das Europäische Parlament, der Rat, die Volkskreditbank und der SRB innerhalb der gesetzten Frist Stellungnahmen zu diesem Antrag eingereicht.

4        Der SRB stellt die Entscheidung über den in Rede stehenden Antrag auf Zulassung zur Streithilfe in das Ermessen des Gerichtshofs. Die Volkskreditbank hat keine Einwände gegen die Zulassung, während sich das Parlament und der Rat dagegen aussprechen.

 Zum Antrag auf Zulassung zur Streithilfe

5        Nach Art. 40 Abs. 2 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union können alle natürlichen oder juristischen Personen, die ein berechtigtes Interesse am Ausgang eines beim Gerichtshof anhängigen Rechtsstreits glaubhaft machen, diesem Rechtsstreit beitreten; davon ausgenommen sind Rechtssachen zwischen Mitgliedstaaten, zwischen Organen der Europäischen Union oder zwischen Mitgliedstaaten und den genannten Organen. Der vorliegende Antrag auf Zulassung zur Streithilfe ist zwar nach Ablauf der in Art. 190 Abs. 2 der Verfahrensordnung genannten Frist eingereicht worden, jedoch ist Art. 129 Abs. 4 Satz 1 der Verfahrensordnung, der nach deren Art. 190 Abs. 1 auf das Rechtsmittelverfahren Anwendung findet, zu berücksichtigen, der vorsieht, dass der Präsident des Gerichtshofs einen Antrag auf Zulassung zur Streithilfe berücksichtigen kann, der nach Ablauf dieser Frist, aber vor dem Erlass der Entscheidung über die Eröffnung des mündlichen Verfahrens gestellt wird, was hier der Fall ist. Der Präsident des Gerichtshofs vertritt im Übrigen die Auffassung, dass der in Rede stehende Antrag zu berücksichtigen ist.

6        Nach ständiger Rechtsprechung ist der Begriff „berechtigtes Interesse am Ausgang eines … Rechtsstreits“ im Sinne von Art. 40 Abs. 2 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union anhand des Gegenstands des betreffenden Rechtsstreits zu bestimmen und als ein unmittelbares und gegenwärtiges Interesse daran zu verstehen, wie die Anträge selbst beschieden werden, und nicht als ein Interesse an den geltend gemachten Angriffs- und Verteidigungsmitteln oder Argumenten. Denn unter dem Begriff „Ausgang des Rechtsstreits“ ist die beantragte Endentscheidung zu verstehen, wie sie sich im Tenor des zu erlassenden Urteils oder Beschlusses niederschlagen würde (Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 29. Februar 2024, EDSB/SRB, C‑413/23 P, EU:C:2024:199, Rn. 8 und die dort angeführte Rechtsprechung).

7        Insoweit ist insbesondere zu prüfen, ob derjenige, der einen Antrag auf Zulassung als Streithelfer stellt, von der angefochtenen Handlung unmittelbar betroffen ist und ob sein Interesse am Ausgang des Rechtsstreits erwiesen ist. Grundsätzlich kann ein Interesse eines Wirtschaftsteilnehmers am Ausgang des Rechtsstreits nur dann als hinreichend unmittelbar angesehen werden, wenn dieser Ausgang eine Änderung der Rechtsstellung des Antragstellers bewirken könnte (Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 26. September 2024, Air France-KLM und Air France/Ryanair und Malta Air, C‑192/24 P, EU:C:2024:811, Rn. 8 und die dort angeführte Rechtsprechung).

8        Nach ständiger Rechtsprechung kann jedoch auch ein repräsentativer Branchenverband bzw. Berufsverband, dessen Zweck der Schutz der Interessen seiner Mitglieder ist, zur Streithilfe zugelassen werden, wenn der Rechtsstreit Grundsatzfragen aufwirft, die sich auf diese Interessen auswirken können. Folglich muss das Erfordernis, dass ein solcher Verband ein unmittelbares und gegenwärtiges Interesse am Ausgang des Rechtsstreits hat, als erfüllt angesehen werden, wenn der Verband nachweist, dass er sich in einer solchen Situation befindet, und zwar unabhängig davon, ob der Ausgang des Rechtsstreits eine Änderung der Rechtsstellung des Verbands als solchen zu bewirken vermag (Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 10. März 2023, Illumina/Kommission, C‑611/22 P, EU:C:2023:205, Rn. 8 und die dort angeführte Rechtsprechung).

9        Eine derartige weite Auslegung des Rechts auf Streitbeitritt zugunsten repräsentativer Branchen- bzw. Berufsverbände soll es nämlich ermöglichen, den Kontext, in dem sich die den Unionsgerichten vorgelegten Fälle präsentieren, besser zu beurteilen, und gleichzeitig eine Vielzahl einzelner Streitbeitritte, die die Wirksamkeit und den ordnungsgemäßen Ablauf des Verfahrens gefährden würden, zu vermeiden. Anders als natürliche und juristische Personen, die in eigenem Namen handeln, können repräsentative Branchen- bzw. Berufsverbände beantragen, einem dem Gerichtshof vorgelegten Rechtsstreit mit dem Ziel beizutreten, nicht Individualinteressen, sondern die kollektiven Interessen ihrer Mitglieder zu verteidigen. Denn der Streitbeitritt eines solchen Verbands bietet eine Gesamtschau dieser kollektiven Interessen, die von einer Grundsatzfrage, von der die Entscheidung des Rechtsstreits abhängt, berührt werden, und ist somit geeignet, dem Gerichtshof eine bessere Beurteilung des Kontexts einer ihm vorgelegten Rechtssache zu ermöglichen (Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 10. März 2023, Illumina/Kommission, C‑611/22 P, EU:C:2023:205, Rn. 9 und die dort angeführte Rechtsprechung).

10      So kann ein Verband zur Streithilfe zugelassen werden, wenn er erstens eine beträchtliche Anzahl von Unternehmen, die in dem betreffenden Sektor tätig sind, repräsentiert, wenn zweitens sein Verbandszweck den Schutz der Interessen seiner Mitglieder umfasst, wenn drittens die Rechtssache Grundsatzfragen aufwerfen kann, die das Funktionieren des betreffenden Sektors berühren, und wenn daher viertens die Interessen seiner Mitglieder durch das zu erlassende Urteil in erheblichem Maße beeinträchtigt werden können (Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 10. März 2023, Illumina/Kommission, C‑611/22 P, EU:C:2023:205, Rn. 10).

11      Anhand dieser Voraussetzungen ist die Begründetheit des Streithilfeantrags der Fédération bancaire française zu prüfen.

12      Im vorliegenden Fall ist erstens festzuhalten, dass die Fédération bancaire française eine beträchtliche Anzahl von Unternehmen repräsentiert, die im französischen Finanzsektor tätig sind. Sie hat zur Stützung ihres Antrags auf Zulassung zur Streithilfe u. a. geltend gemacht, dass sie alle in Frankreich niedergelassenen Banken, einschließlich der Tochterunternehmen und Zweigstellen von Banken mit Sitz in anderen Mitgliedstaaten oder in Drittländern vertrete, und insbesondere die sechs wichtigsten französischen Banknetze. Im Übrigen geht aus der dem Antrag auf Zulassung zur Streithilfe beigefügten Satzung der Fédération bancaire française hervor, dass die Zentralinstitute von fünf dieser Netze Mitglieder ihres Exekutivausschusses sind.

13      Des Weiteren führt die Fédération bancaire française aus, dass sie Ansprechpartnerin des SRB in Bezug auf die Modalitäten der Berechnung der Beiträge zum SRF sei, was in der schriftlichen Stellungnahme des SRB nicht bestritten worden ist.

14      In Anbetracht dessen und angesichts des Umstands, dass sie alle Hauptakteure des Bankensektors eines Mitgliedstaats vereinigt, kann die Fédération bancaire française als repräsentativer Branchen- bzw. Berufsverband im Sinne der oben in den Rn. 8 bis 10 angeführten Rechtsprechung angesehen werden (vgl. in diesem Sinne Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 25. Februar 2021, SRB/Landesbank Baden-Württemberg, C‑621/20 P, EU:C:2021:151, Rn. 5 bis 8).

15      Zweitens sieht die Satzung der Fédération bancaire française vor, dass diese u. a. zum Ziel hat, im Interesse ihrer Mitglieder die Bank- und Finanztätigkeit zu fördern, die Positionen und Stellungnahmen des Bank- und Finanzgewerbes gegenüber öffentlichen Stellen im weitesten Sinne zu vertreten und Gerichtsverfahren zum Schutz oder zur Verteidigung der Interessen ihrer Mitglieder einzuleiten. Daraus folgt, dass der Zweck der Fédération bancaire française im Schutz der Interessen ihrer Mitglieder besteht.

16      Drittens ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof in der vorliegenden Rechtssache über die Frage zu entscheiden hat, ob der SRB bei der Berechnung der einzelnen für das Jahr 2022 im Voraus erhobenen Beiträge zum SRF zu Recht entscheiden konnte, dass die Beiträge, die von allen im Hoheitsgebiet aller teilnehmenden Mitgliedstaaten zugelassenen Instituten zu entrichten sind, die in Art. 70 Abs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 806/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Juli 2014 zur Festlegung einheitlicher Vorschriften und eines einheitlichen Verfahrens für die Abwicklung von Kreditinstituten und bestimmten Wertpapierfirmen im Rahmen eines einheitlichen Abwicklungsmechanismus und eines einheitlichen Abwicklungsfonds sowie zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1093/2010 (ABl. 2014, L 225, S. 1) genannte Obergrenze von 12,5 % der Zielausstattung übersteigen, damit bis zum Ende der in Art. 69 Abs. 1 dieser Verordnung genannten Aufbauphase und im Einklang mit der letztgenannten Bestimmung die verfügbaren Mittel dieses Fonds mindestens 1 % der gedeckten Einlagen aller in allen teilnehmenden Mitgliedstaaten zugelassenen Kreditinstitute erreichen.

17      Diese Rechtssache wirft somit eine Grundsatzfrage auf, die sich auf den französischen und mithin europäischen Finanzsektor und insbesondere auf die Banken, zu denen die Mitglieder der Fédération bancaire française zählen, auswirken könnte. Die Berechnung der einzelnen Beiträge zum SRF während dieser Phase berührt nämlich möglicherweise das Funktionieren des französischen und des europäischen Finanzsektors.

18      Viertens unterliegt zumindest ein Teil der Mitglieder der Fédération bancaire française der Verpflichtung, jährlich Beiträge zum SRF zu entrichten, so dass sich die Antwort auf die in der vorliegenden Rechtssache aufgeworfene Grundsatzfrage auf die Interessen dieser Mitglieder auswirken kann.

19      In Anbetracht der vorstehenden Ausführungen ist davon auszugehen, dass die Fédération bancaire française rechtlich hinreichend nachgewiesen hat, dass sie ein unmittelbares und gegenwärtiges Interesse daran hat, wie die Anträge der Volkskreditbank auf Zurückweisung des Rechtsmittels des Rates gegen das Urteil vom 3. Juli 2024, Volkskreditbank/SRB (Im Voraus erhobene Beiträge für 2022) (T‑406/22, EU:T:2024:439), beschieden werden, und dass sie daher ein berechtigtes Interesse am Ausgang des Rechtsstreits im Sinne von Art. 40 Abs. 2 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union hat.

20      Daher ist die Streithilfe der Fédération bancaire française zur Unterstützung der Anträge der Volkskreditbank zuzulassen.

21      Allerdings ist der Fédération bancaire française angesichts der Tatsache, dass ihr Antrag auf Zulassung zur Streithilfe nach Ablauf der in Art. 190 Abs. 2 der Verfahrensordnung genannten Frist und vor der Entscheidung über die Eröffnung des mündlichen Verfahrens gestellt worden ist, nach Art. 129 Abs. 4 der Verfahrensordnung, der nach deren Art. 190 Abs. 1 auf das Rechtsmittelverfahren Anwendung findet, eine Stellungnahme lediglich in der mündlichen Verhandlung, wenn eine solche stattfindet, zu gestatten.

 Kosten

22      Nach Art. 137 der Verfahrensordnung, der nach Art. 184 Abs. 1 dieser Verfahrensordnung auf das Rechtsmittelverfahren Anwendung findet, wird über die Kosten im Endurteil oder in dem das Verfahren beendenden Beschluss entschieden.

23      Da im vorliegenden Fall dem Antrag der Fédération bancaire française auf Zulassung zur Streithilfe stattgegeben wird, ist die Entscheidung über die mit ihrer Streithilfe verbundenen Kosten vorzubehalten.

Aus diesen Gründen hat der Präsident des Gerichtshofs beschlossen:

1.      Die Fédération bancaire française wird in der Rechtssache C585/24 P als Streithelferin zur Unterstützung der Anträge der Volkskreditbank AG zugelassen.

2.      Die Fédération bancaire française ist berechtigt, ihre Erklärungen in der mündlichen Verhandlung abzugeben, wenn eine solche stattfindet.

3.      Die Entscheidung über die mit der Streithilfe der Fédération bancaire française verbundenen Kosten bleibt vorbehalten.

Luxemburg, den 30. Juni 2025

Der Kanzler

 

Der Präsident

A. Calot Escobar

 

K. Lenaerts



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