Vorläufige Fassung
SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS
ANDREA BIONDI
vom 6. Februar 2025(1 )
Rechtssache C ‑17/24
CeramTec GmbH
gegen
Coorstek Bioceramics LLC
(Vorabentscheidungsersuchen der Cour de cassation [Kassationsgerichtshof, Frankreich])
„ Vorlage zur Vorabentscheidung – Unionsmarke – Bösgläubigkeit des Anmelders – Absolute Gründe für die Zurückweisung der Eintragung – Zeichen, das ausschließlich aus der Form der Ware mit funktionellem Charakter besteht – Kein Zusammenhang zwischen der technischen Lösung und den eingetragenen Marken “
I. Einleitung
1. In dem Vorabentscheidungsersuchen, das Gegenstand der vorliegenden Rechtssache ist, fragt die Cour de cassation (Kassationsgerichtshof, Frankreich) den Gerichtshof nach den möglichen Überschneidungen zwischen den jeweiligen Anwendungsbereichen der absoluten Nichtigkeitsgründe der Gemeinschaftsmarke (jetzt Unionsmarke) nach Art. 52 Abs. 1 Buchst. a und b der Verordnung Nr. 207/2009(2 ), die auf dem Vorliegen eines der in Art. 7 Abs. 1 dieser Verordnung genannten absoluten Eintragungshindernisse bzw. auf der Bösgläubigkeit des Anmelders beruhen.
2. Insbesondere möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Absicht, die Rechte an einer technischen Lösung, die sich aus einem abgelaufenen Patent ergibt, fortbestehen zu lassen, ausreicht, um die Bösgläubigkeit des Anmelders zum Zeitpunkt der Anmeldung der Marke anzunehmen, wenn sich nach diesem Zeitpunkt herausstellt, dass das angemeldete Zeichen keine technische Lösung enthält und die fragliche Marke daher nicht auf der Grundlage von Art. 52 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 207/2009 in Verbindung mit dem absoluten Eintragungshindernis von Art. 7 Abs. 1 Buchst. e Ziff. ii dieser Verordnung, das die Eintragung von Zeichen verhindern soll, die dem Markeninhaber ein Monopol für solche Lösungen einräumen, für nichtig erklärt werden kann.
3. Zu diesem Zweck stellt es dem Gerichtshof drei Fragen, von denen die erste das Verhältnis zwischen den absoluten Nichtigkeitsgründen nach Art. 52 Abs. 1 Buchst. a bzw. b der Verordnung Nr. 207/2009 betrifft, die zweite und die dritte die Auslegung von Art. 52 Abs. 1 Buchst. b in Verbindung mit Art. 7 Abs. 1 Buchst. e Ziff. ii dieser Verordnung.
4. Das Vorabentscheidungsersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits über eine von der CeramTec GmbH (im Folgenden: CeramTec) gegen die Coorstek Bioceramics LLC (im Folgenden: Coorstek) erhobene Verletzungsklage, gegen die Coorstek Widerklage auf Nichtigerklärung von drei von CeramTec gehaltenen Unionsmarken erhoben hat.
II. Rechtlicher Rahmen
5. Die Verordnung Nr. 207/2009 wurde durch die am 23. März 2016 in Kraft getretene Verordnung (EU) 2015/2424(3 ) geändert und sodann mit Wirkung vom 1. Oktober 2017 durch die Verordnung (EU) 2017/1001(4 ) aufgehoben und ersetzt. Im vorliegenden Fall fällt der gesamte Sachverhalt des Ausgangsrechtsstreits in zeitlicher Hinsicht in den Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 207/2009 in ihrer ursprünglichen Fassung(5 ).
6. Art. 7 Abs. 1 Buchst. e Ziff. ii der Verordnung Nr. 207/2009 in der auf den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens anwendbaren Fassung bestimmte, dass Zeichen, die ausschließlich bestehen „aus der Form der Ware, die zur Erreichung einer technischen Wirkung erforderlich ist“, von der Eintragung ausgeschlossen sind.
7. Art. 52 Abs. 1 der Verordnung Nr. 207/2009 lautete wie folgt:
„Die [Unions]marke wird auf Antrag beim [Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt (Marken, Muster und Modelle)] oder auf Widerklage im Verletzungsverfahren für nichtig erklärt,
a) wenn sie entgegen den Vorschriften des Artikels 7 eingetragen worden ist;
b) wenn der Anmelder bei der Anmeldung der Marke bösgläubig war.“
III. Ausgangsverfahren, Vorlagefragen und Verfahren vor dem Gerichtshof
8. CeramTec ist eine Gesellschaft mit Sitz in Deutschland, die auf die Entwicklung, die Herstellung und den Vertrieb von technischen Keramikkomponenten spezialisiert ist, die insbesondere für die Zusammensetzung von Hüft- oder Knieimplantaten bestimmt sind, welche sie an Prothesenhersteller verkauft, um komplette Hüftprothesen zu bilden, die dann an Endbenutzer wie Krankenhäuser oder orthopädische Chirurgen verkauft werden.
9. Coorstek ist eine Gesellschaft US-amerikanischen Rechts, die in der Herstellung von medizinischen Komponenten aus hochentwickelter technischer Keramik tätig ist, insbesondere für künstliche Hüft- und Rückengelenke sowie für Zahnprothesen.
10. CeramTec war Inhaberin eines am 5. August 2011 ausgelaufenen europäischen Patents Nr. EP 0 542 815, das Frankreich benennt und sich auf ein keramisches Verbundmaterial bezieht.
11. Am 23. August 2011 meldete CeramTec drei Unionsmarken (im Folgenden: angegriffene Marken) an:
– die Marke, die die Farbe Pantone rosa 677C, Ausgabe 2010, beansprucht und am 26. März 2013 unter der Nr. 010214195 mit Priorität einer deutschen Marke vom 21. Juli 2011 eingetragen wurde,
– die nachstehend wiedergegebene Bildmarke, die die Farbe Pantone rosa 677 beansprucht und am 12. April 2013 unter der Nr. 010214112 mit der Priorität einer deutschen Marke vom 25. Juli 2011 eingetragen wurde,
– die nachstehend wiedergegebene dreidimensionale Marke, die die Farbe Pantone rosa 677 beansprucht und am 20. Juni 2013 unter der Nr. 010214179 mit Priorität einer deutschen Marke vom 26. Juli 2011 eingetragen wurde.
12. Am 13. Dezember 2013 verklagte CeramTec Coortek wegen Markenverletzung und unlauteren Wettbewerbs. Coorstek erhob Widerklage und machte die Nichtigkeit der streitigen Marken geltend.
13. Mit Urteil vom 25. Juni 2021 erklärte die Cour d’appel de Paris (Berufungsgericht Paris, Frankreich) die streitigen Marken wegen bösgläubiger Anmeldung für nichtig (im Folgenden: Urteil der Cour d’appel de Paris).
14. Dieses Gericht stellte fest, dass CeramTec am Tag der Anmeldung der streitigen Marken von der technischen Wirkung von Chromoxid überzeugt gewesen sei, nämlich dass es Härte und Festigkeit der für die Herstellung der medizinischen Prothesen verwendeten Keramikkugeln gewährleiste, und dass sie versucht habe, die rosa Farbe der Kugeln zu schützen, die sich aus der Wirkung ergebe, die durch das in der Keramik vorhandene Chromoxid hervorgerufen werde. Es schloss daraus, dass diese Gesellschaft die Absicht gehabt habe, ihr Monopol für die zuvor durch ein gerade abgelaufenes Patent geschützte technische Lösung zu verlängern und Wettbewerber daran zu hindern, in den Markt einzutreten, den sie aufgrund dieses Patents beherrschte. CeramTec habe daher die Absicht gehabt, ein ausschließliches Recht für andere Zwecke als die Funktion einer Marke zu erhalten.
15. CeramTec legte gegen das Urteil der Cour d’appel de Paris Kassationsbeschwerde ein. Sie macht geltend, dass eine Auslegung von Art. 52 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009, die es erlauben würde, eine Marke allein mit der Begründung für nichtig zu erklären, dass ihr Anmelder die Absicht gehabt habe, Rechte an einer technischen Lösung auf Dauer zu bewahren, ohne dass nachgewiesen werde, dass das Recht an dieser Marke tatsächlich den Schutz einer solchen technischen Lösung gewährleiste oder auf Dauer bewahre, im Ergebnis bedeuten würde, den Anwendungsbereich von Art. 7 Abs. 1 Buchst. e Ziff. ii dieser Verordnung zu umgehen und die jeweiligen Anwendungsbereiche dieser beiden Bestimmungen zu missachten. Im vorliegenden Fall habe CeramTec nach Auslauf ihres Patents und der Anmeldung der angegriffenen Marken entdeckt, dass das Chromoxid, das die von diesen Marken angemeldete rosa Farbe erzeuge, in Wirklichkeit keinerlei technische Wirkung habe. Unter diesen Umständen hätten die angegriffenen Marken das Markenrecht nicht zweckentfremden können. Sie macht geltend, dass die bloße Absicht des Anmelders nicht ausreiche. Folgte man der gegenteiligen Auffassung, werde der Begriff der Bösgläubigkeit zu einer Hintertür für die Anwendung des auf Art. 7 Abs. 1 Buchst. e Ziff. ii in Verbindung mit Art. 52 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 207/2009 gestützten Nichtigkeitsgrundes, ohne dass die Voraussetzungen für seine Anwendung erfüllt sein müssten.
16. Coorstek macht geltend, dass Art. 52 Abs. 1 Buchst. a in Verbindung mit Art. 7 Abs. 1 Buchst. e Ziff. ii der Verordnung Nr. 207/2009 und Art. 52 Abs. 1 Buchst. b dieser Verordnung unterschiedlichen Zielen dienten und dass nicht davon ausgegangen werden könne, dass ersterer eine Spezialvorschrift mit Vorrang vor letzterem darstelle. Es handele sich um zwei Fälle der Nichtigerklärung einer Marke, die auf völlig unterschiedlichen Grundlagen beruhten. Daher würde Coorstek zufolge die Anmeldung eines Zeichens, um sich eine technische Lösung zu sichern, den fairen Wettbewerb beeinträchtigen, auch wenn sich die patentierte, aber gemeinfrei gewordene technische Wirkung letztlich als unwirksam erweise.
17. Das vorlegende Gericht ist der Ansicht, dass die Kassationsbeschwerde von CeramTec die erstmalig gestellte Frage nach dem Verhältnis zwischen Art. 7 der Verordnung Nr. 207/2009, auf den Art. 52 Abs. 1 Buchst. a dieser Verordnung verweise, und Art. 52 Abs. 1 Buchst. b dieser Verordnung aufwerfe. Es betont, dass CeramTec gegen Coorstek auch in Deutschland, den USA und der Schweiz Klagen wegen Verletzung der angegriffenen Marken erhoben habe und dass das Oberlandesgericht Stuttgart (Deutschland) im Rahmen des in Deutschland eingeleiteten Rechtsstreits mit Urteil vom 13. März 2023 eine andere Auffassung vertreten habe, als sie sich aus dem Urteil der Cour d’appel de Paris ergebe(6 ). Es leitet daraus ab, dass zwischen den Berufungsgerichten der Mitgliedstaaten eine unterschiedliche Auslegung besteht.
18. Unter diesen Umständen hat die Cour de cassation (Kassationsgerichtshof) das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Sind die Nichtigkeitsgründe, die einerseits in der Eintragung einer Marke entgegen den Bestimmungen von Art. 7 der Verordnung Nr. 207/2009 und andererseits in der Bösgläubigkeit des Anmelders am Tag der Anmeldung liegen und Gegenstand von Art. 52 Abs. 1 Buchst. a bzw. b dieser Verordnung sind, eigenständige oder sogar ausschließliche Regelungen?
2. Falls die erste Frage verneint wird: Kann die Bösgläubigkeit des Anmelders allein mit Blick auf das absolute Eintragungshindernis gemäß Art. 7 Abs. 1 Buchst. e Ziff. ii der Verordnung Nr. 207/2009 beurteilt werden, ohne dass festgestellt wird, dass das als Marke angemeldete Zeichen ausschließlich aus der Form der Ware besteht, die zur Erreichung einer technischen Wirkung erforderlich ist?
3. Ist Art. 52 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009 dahin auszulegen, dass er die Bösgläubigkeit eines Anmelders ausschließt, der eine Marke mit der Absicht angemeldet hat, eine technische Lösung zu schützen, wenn sich nach der Anmeldung herausgestellt hat, dass zwischen der fraglichen technischen Lösung und den Zeichen, die die angemeldete Marke bilden, kein Zusammenhang besteht?
19. Die Parteien des Ausgangsverfahrens, die französische Regierung und die Europäische Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht. Diese Beteiligten haben in der Sitzung vom 13. September 2024 mündlich verhandelt.
IV. Würdigung
20. Wie vom Gerichtshof gewünscht, werden sich die vorliegenden Schlussanträge auf die erste und die zweite Vorlagefrage konzentrieren.
21. Vor ihrer Prüfung werde ich kurz die einschlägige Rechtsprechung zur Bösgläubigkeit des Anmelders bei der Eintragung einer Unionsmarke in Erinnerung rufen.
A. Kurzer Überblick über die einschlägige Rechtsprechung
22. Der Begriff „bösgläubig“ in Art. 52 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009 ist ein autonomer Begriff des Unionsrechts(7 ). Mangels einer Definition in dieser Verordnung sind seine Bedeutung und seine Tragweite entsprechend seinem gewöhnlichen Sinn in der Umgangssprache und unter Berücksichtigung des Zusammenhangs, in dem er verwendet wird, und der mit der Verordnung verfolgten Ziele zu bestimmen(8 ).
23. Zwar setzt der Begriff „bösgläubig“ seinem Sinn nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch entsprechend eine unredliche Geisteshaltung oder Absicht voraus, bei seiner Auslegung ist aber der besondere markenrechtliche Kontext, nämlich der des Geschäftslebens, zu berücksichtigen(9 ). Der Gerichtshof hat daher im Urteil Koton klargestellt, dass der absolute Nichtigkeitsgrund im Sinne von Art. 52 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009 Anwendung findet, wenn sich aus schlüssigen und übereinstimmenden Indizien ergibt, dass der Inhaber einer Unionsmarke die Anmeldung dieser Marke nicht mit dem Ziel eingereicht hat, sich in lauterer Weise am Wettbewerb zu beteiligen, sondern mit der Absicht, in einer den redlichen Handelsbräuchen widersprechenden Weise Drittinteressen zu schaden oder mit der Absicht, sich ohne Bezug zu einem konkreten Dritten ein ausschließliches Recht zu anderen als zu den zur Funktion einer Marke gehörenden Zwecken – u. a. der wesentlichen Funktion der Herkunftsangabe – zu verschaffen(10 ).
24. Die Bösgläubigkeit des Anmelders im Sinne von Art. 52 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009 ist umfassend zu beurteilen, wobei alle im gegebenen Fall erheblichen Faktoren zu berücksichtigen sind(11 ). Bei der Absicht des Anmelders einer Marke handelt es sich um ein subjektives Tatbestandsmerkmal, das von den zuständigen Verwaltungs- und Gerichtsbehörden jedoch in objektiver Weise zu bestimmen ist(12 ). Wie der Gerichtshof ausgeführt hat, ist dies die einzige Art und Weise, auf die eine behauptete Bösgläubigkeit objektiv geprüft werden kann(13 ).
25. Zu den für diese Beurteilung relevanten Faktoren gehört u. a., dass der Antragsteller Kenntnis von den Umständen hatte oder hätte haben müssen, die ihm im Rahmen des ihm gegenüber erhobenen Vorwurfs der Bösgläubigkeit entgegengehalten werden(14 ). Wie Generalanwältin Sharpston in ihren Schlussanträgen in der Rechtssache Chocoladefabriken Lindt & Sprüngli(15 ) erläutert hat, kann eine Absicht von vornherein nur dann als unredlich eingestuft werden, wenn der betroffenen Partei der Sachverhalt bekannt ist, in dessen Rahmen diese Qualifizierung angebracht ist(16 ). Jedoch genügt eine solche Kenntnis oder Vermutung der Kenntnis allein noch nicht für die Bejahung der Bösgläubigkeit(17 ).
26. Der Gerichtshof und das Gericht haben zahlreiche andere Faktoren als relevant angesehen, darunter u. a. die Markenanmeldung, wie sie eingereicht wurde, und ihren Schutzumfang(18 ), die Herkunft und die frühere Benutzung des angemeldeten Zeichens(19 ) sowie die Art der angemeldeten Marke(20 ), die zwischen dem Antragsteller im Nichtigkeitsverfahren und dem Inhaber der angegriffenen Marke bestehenden Geschäftsbeziehungen, die unternehmerische Logik, in die sich die Anmeldung einfügt, die Geschehensabfolge bei dieser Anmeldung(21 ) sowie den Bekanntheitsgrad, der dem Zeichen zum Zeitpunkt seiner Anmeldung zukommt(22 ).
27. Alle diese Faktoren sind indes nur Beispiele aus einer Reihe von Gesichtspunkten, die berücksichtigt werden können(23 ). Allgemein lässt sich, wie Generalanwältin Sharpston in ihren Schlussanträgen in der Rechtssache Lindt ausgeführt hat, der Begriff „bösgläubig“ im Sinne von Art. 52 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009 nicht auf eine begrenzte Kategorie besonderer Umstände beschränken(24 ).
28. Im Ergebnis gibt die Rechtsprechung des Gerichtshofs und des Gerichts zwar klare Hinweise darauf, wie die Bösgläubigkeit des Anmelders einer Unionsmarke zu beurteilen ist, doch bleibt dieser Begriff bislang unbestimmt. Dies spiegelt das im Allgemeininteresse liegende Ziel wider, das dem entsprechenden absoluten Nichtigkeitsgrund zugrunde liegt und darin besteht, missbräuchliche oder den anständigen Gepflogenheiten in Gewerbe und Handel zuwiderlaufende Markeneintragungen zu verhindern. Dieses Ziel würde nämlich gefährdet, wenn Bösgläubigkeit abschließend definiert und nur durch erschöpfend aufgezählte Umstände nachgewiesen werden könnte(25 ).
B. Zur ersten Vorlagefrage
29. Mit seiner ersten Vorlagefrage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob die in Art. 52 Abs. 1 Buchst. a bzw. b der Verordnung Nr. 207/2009 vorgesehenen absoluten Nichtigkeitsgründe „eigenständig“ und „ausschließlich“ sind.
30. Ich werde zunächst die Frage der Eigenständigkeit dieser Nichtigkeitsgründe und dann die Frage ihres etwaigen ausschließlichen Charakters behandeln.
1. Sind die in Art. 52 Abs. 1 der Verordnung Nr. 207/2009 vorgesehenen absoluten Nichtigkeitsgründe eigenständig?
31. Wie alle Beteiligten, die im vorliegenden Verfahren Erklärungen abgegeben haben, bin ich der Ansicht, dass die in Art. 52 Abs. 1 der Verordnung Nr. 207/2009 genannten absoluten Nichtigkeitsgründe in dem Sinne voneinander unabhängig und eigenständig sind, dass die Anwendung des einen die Anwendung oder Nichtanwendung des anderen weder voraussetzt noch davon abhängt. Jeder von ihnen hat seinen eigenen Anwendungsbereich und rechtfertigt für sich allein die Nichtigerklärung einer Unionsmarke, wenn die Voraussetzungen für seine Anwendung erfüllt sind.
32. Zunächst geht eine solche Unabhängigkeit aus dem Wortlaut und der Struktur von Art. 52 Abs. 1 der Verordnung Nr. 207/2009 hervor. Die beiden absoluten Nichtigkeitsgründe sind dort Gegenstand unterschiedlicher Formulierungen, die in den beiden Unterabsätzen einer Aufzählung enthalten sind, deren einzige Bestandteile sie sind. Sie sind durch ein Semikolon voneinander getrennt, das semantisch die Absicht des Unionsgesetzgebers widerspiegelt, die beiden Fälle klar zu unterscheiden. Im Übrigen enthält diese Bestimmung weder in ihrem einleitenden Satz noch in der folgenden Aufzählung Hinweise darauf, dass ihre Bestandteile kumulativ sind.
33. Sodann wird die Eigenständigkeit der in Art. 52 Abs. 1 der Verordnung Nr. 207/2009 aufgezählten absoluten Nichtigkeitsgründe durch eine Analyse des Regelungszusammenhangs und der mit ihnen verfolgten Ziele bestätigt.
34. Was den Regelungszusammenhang betrifft, ergibt sich eine solche Eigenständigkeit zunächst daraus, dass der unter Buchst. a vorgesehene Nichtigkeitsgrund im Gegensatz zu dem unter Buchst. b dieser Bestimmung vorgesehenen Nichtigkeitsgrund auf die absoluten Eintragungshindernisse in Art. 7 der Verordnung verweist und in Verbindung mit diesem Artikel zu lesen und auszulegen ist. Sodann ist, wie mehrere Beteiligte, die im vorliegenden Verfahren Erklärungen abgegeben haben, bemerkt haben, jedes der in Art. 7 Abs. 1 der Verordnung Nr. 207/2009 genannten Eintragungshindernisse von den anderen unabhängig und bedarf einer gesonderten Prüfung(26 ), so dass Art. 52 Abs. 1 Buchst. a dieser Verordnung selbst auf absolute Nichtigkeitsgründe abstellt, die voneinander unabhängig sind und jeweils ihren eigenen Anwendungsbereich haben. Eine solche Eigenständigkeit sollte erst recht in Bezug auf den Nichtigkeitsgrund nach Buchst. b dieser Bestimmung anerkannt werden. Schließlich enthält Art. 52 Abs. 1 der Verordnung Nr. 207/2009 zwar in seiner Gesamtheit eine abschließende Aufzählung der Nichtigkeitsgründe einer Unionsmarke(27 ), doch sind die in den Buchst. a und b vorgesehenen Bestimmungen unterschiedlicher Natur, da die erste einen geschlossenen Charakter hat und nur in den in Art. 7 Abs. 1 dieser Verordnung abschließend aufgezählten Fällen Anwendung findet, während die zweite auf den offenen und sich ständig weiterentwickelnden Begriff „bösgläubig“ verweist, der in einer unbestimmten Zahl von Situationen Anwendung finden kann.
35. Was die Ziele betrifft, so haben die in Art. 52 Abs. 1 Buchst. a und b der Verordnung Nr. 207/2009 vorgesehenen absoluten Nichtigkeitsgründe zwar dasselbe Ziel wie die Unionsvorschriften im Bereich der Marken, nämlich das Ziel, zu einem System des unverfälschten Wettbewerbs in der Union beizutragen(28 ), sie verfolgen jedoch unterschiedliche Zwecke.
36. Der in Buchst. a dieser Bestimmung vorgesehene absolute Nichtigkeitsgrund soll Marken für ungültig erklären, die eingetragen wurden, obwohl sie nicht alle Voraussetzungen von Art. 7 Abs. 1 dieser Verordnung erfüllen und daher nicht eintragungsfähig sind. Er beanstandet einen Mangel der Marke und zielt darauf ab, das Allgemeininteresse zu schützen, das dem absoluten Eintragungshindernis, auf das er Bezug nimmt, zugrunde liegt.
37. Was insbesondere das in Art. 7 Abs. 1 Buchst. e Ziff. ii der Verordnung Nr. 207/2009 enthaltene Eintragungshindernis betrifft, das für die vorliegende Rechtssache allein in Betracht kommt(29 ), hat der Gerichtshof für Recht erkannt, dass das diesem zugrunde liegende Allgemeininteresse darin besteht, zu verhindern, dass einem Unternehmen durch das Markenrecht letztlich ein Monopol für technische Lösungen oder Gebrauchseigenschaften einer Ware eingeräumt wird(30 ). Der Gerichtshof hat auch klargestellt, dass diese Vorschrift zwei Erfordernisse gegeneinander abwägt, von denen jedes zur Verwirklichung eines gesunden und lauteren Wettbewerbssystems beitragen kann, nämlich zum einen, zu verhindern, dass der Schutz einer patentierten technischen Lösung über den Ablauf des Patents hinaus aufrechterhalten wird, und zum anderen, die fehlende Eintragungsfähigkeit auf Marken zu beschränken, die die Verwendung einer technischen Lösung durch andere Unternehmen tatsächlich behindern würden(31 ).
38. Der in Art. 52 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009 vorgesehene absolute Nichtigkeitsgrund soll seinerseits sicherstellen, dass die Wirtschaftsteilnehmer, die das System der Unionsmarke nutzen wollen, in lauterer Weise am Wettbewerb teilnehmen. Er zielt somit darauf ab, einen der Anmeldung innewohnenden Mangel zu ahnden und nicht einen Mangel der Marke als solcher(32 ).
39. Die Eigenständigkeit der in Art. 52 Abs. 1 Buchst. a und b der Verordnung Nr. 207/2009 vorgesehenen Nichtigkeitsgründe bedeutet nicht zwangsläufig, dass sie auch ausschließlich sind.
2. Sind die in Art. 52 Abs. 1 der Verordnung Nr. 207/2009 vorgesehenen absoluten Nichtigkeits gründe ausschließlich?
40. Vorab weise ich darauf hin, dass der Wortlaut von Art. 52 Abs. 1 der Verordnung Nr. 207/2009 weder im einleitenden Satz noch in der sich anschließenden Aufzählung Hinweise darauf enthält, dass die beiden Bestandteile dieser Aufzählung sich gegenseitig ausschließen oder dass sie umgekehrt nebeneinander bestehen können. Die Frage, ob zwischen diesen Bestandteilen ein logisches Ausschließlichkeitsverhältnis besteht, ist daher insbesondere im Licht des Regelungszusammenhangs und der Ziele zu prüfen, in die sich diese Bestimmung einfügt.
41. Insoweit bin ich erstens der Ansicht, dass nichts in der Verordnung Nr. 207/2009 der Nichtigerklärung einer Unionsmarke auf der Grundlage mehrerer absoluter Nichtigkeitsgründe im Sinne von Art. 52 Abs. 1 Buchst. a oder Buchst. a und b dieser Verordnung entgegensteht. Eine solche Möglichkeit wird wahrscheinlich nicht häufig vorkommen, da es für die Nichtigerklärung der Unionsmarke ausreicht, dass die Voraussetzungen eines dieser Nichtigkeitsgründe erfüllt sind(33 ) und die Nichtigkeit unabhängig von dem Grund, auf dessen Grundlage sie erklärt wurde, dieselben Folgen hat(34 ). Eine kumulative Anwendung von Art. 52 Abs. 1 Buchst. a und b der Verordnung Nr. 207/2009 kann jedoch insbesondere deshalb nicht ausgeschlossen werden, da die Unionsmarke gemäß Art. 52 Abs. 3 dieser Verordnung nicht in vollem Umfang für nichtig erklärt werden kann, wenn ihr Nichtigkeitsgrund nur für einen Teil der Waren oder Dienstleistungen vorliegt, für die sie eingetragen ist(35 ).
42. Zweitens enthält die Verordnung Nr. 207/2009 auch keinen Anhaltspunkt dafür, dass die Feststellung der Nichtanwendbarkeit eines der in Art. 52 Abs. 1 Buchst. a oder b der Verordnung Nr. 207/2009 genannten absoluten Nichtigkeitsgründe der Anwendung des anderen entgegensteht. Aus den Nrn. 31 bis 38 der vorliegenden Schlussanträge geht hervor, dass sich diese Nichtigkeitsgründe sowohl hinsichtlich ihrer Anwendungsvoraussetzungen als auch hinsichtlich ihres Gegenstands und ihres Zwecks unterscheiden. Es kann daher nicht von vornherein ausgeschlossen werden, dass, wenn sie zur Stützung einer Widerklage auf Nichtigerklärung zusammen geltend gemacht wurden und der eine geprüft und zurückgewiesen wurde, der andere gleichwohl anwendbar ist. So steht z. B. der Umstand, dass nach Art. 52 Abs. 2 der Verordnung Nr. 207/2009 einem auf Abs. 1 Buchst. a in Verbindung mit Art. 7 Abs. 1 Buchst. b, c oder d dieser Verordnung gestützten Antrag auf Nichtigerklärung nicht stattgegeben werden kann, weil die angegriffene Marke zwischenzeitlich Unterscheidungskraft erlangt hat, der Nichtigerklärung dieser Marke gemäß dem ebenfalls zur Stützung des Antrags angeführten Art. 52 Abs. 1 Buchst. b dieser Verordnung nicht entgegen, wenn sich herausstellt, dass ihr Inhaber sie bösgläubig eingetragen hat.
3. Ergebnis zur ersten Vorlagefrage
43. Im Ergebnis bin ich in Anbetracht der vorstehenden Erwägungen der Ansicht, dass auf die erste Vorlagefrage zu antworten ist, dass die in Art. 52 Abs. 1 Buchst. a bzw. b der Verordnung Nr. 207/2009 vorgesehenen absoluten Nichtigkeitsgründe eigenständig, aber nicht ausschließlich sind.
C. Zur zweiten Vorlagefrage
44. Mit seiner zweiten Vorlagefrage, die für den Fall gestellt wird, dass der Gerichtshof die erste Frage verneint, möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob die Bösgläubigkeit eines Anmelders, der ein Zeichen schützen will, das ausschließlich aus der Form besteht, die zur Erreichung einer technischen Wirkung erforderlich ist, unabhängig davon festgestellt werden kann, ob die Eintragung dieses Zeichens gegen das in Art. 7 Abs. 1 Buchst. e Ziff. ii der Verordnung Nr. 207/2009 enthaltene absolute Eintragungshindernis verstößt.
45. Aus der Prüfung der ersten Vorlagefrage ergibt sich, dass der auf die Bösgläubigkeit des Anmelders gestützte absolute Nichtigkeitsgrund der Unionsmarke einen eigenen Anwendungsbereich und Zweck im Vergleich zu den absoluten Nichtigkeitsgründen hat, die sich auf das Vorliegen eines absoluten Eintragungshindernisses beziehen.
46. Die Feststellung der Bösgläubigkeit hängt nicht davon ab, ob das als Marke angemeldete Zeichen eintragungsfähig ist oder nicht, sondern erfordert es, die Absicht des Anmelders im Licht aller relevanten Umstände zu beurteilen und zu prüfen, ob sie mit den Normen eines im besonderen Kontext des Markenrechts und des Geschäftslebens als akzeptabel anerkannten Verhaltens übereinstimmt(36 ).
47. Wie die Kommission in ihren Erklärungen zu Recht geltend macht, kann die Bösgläubigkeit nicht allein aus dem objektiven Umstand abgeleitet werden, dass die Markenanmeldung eingereicht wurde, um ein Zeichen zu schützen, dessen Eintragung aufgrund eines der in Art. 7 der Verordnung Nr. 207/2009 vorgesehenen absoluten Eintragungshindernisse ausgeschlossen ist. Dies liefe sowohl der Eigenständigkeit der absoluten Nichtigkeitsgründe in Art. 52 Abs. 1 Buchst. a bzw. b dieser Verordnung als auch dem Grundsatz zuwider, dass die Gutgläubigkeit bis zum Beweis des Gegenteils zu vermuten ist(37 ). Umgekehrt setzt die Feststellung, dass ein Zeichen entgegen einem absoluten Eintragungshindernis eingetragen worden ist, voraus, dass unabhängig von der Absicht des Anmelders alle objektiven Voraussetzungen für die Anwendung dieses Eintragungshindernisses erfüllt sind.
48. Die Eigenständigkeit der absoluten Nichtigkeitsgründe schließt jedoch mögliche Überschneidungen bei der Beurteilung der Gültigkeit der Marke in einem konkreten Fall nicht aus.
49. Bösgläubige Eintragungen können ihrem Wesen nach durch verschiedene tatsächliche und rechtliche Umstände gekennzeichnet sein. Dies macht es besonders schwierig, abstrakt zu bestimmen, was eine solche Eintragung kennzeichnet, und führt, wie wir gesehen haben, dazu, dass jeder Vorwurf der Bösgläubigkeit auf der Grundlage aller relevanten Gesichtspunkte beurteilt wird, die der Antragsteller im Nichtigkeitsverfahren vorgebracht hat.
50. In diesem Zusammenhang ist nicht ausgeschlossen, dass bestimmte Gesichtspunkte, die im Rahmen dieser Beurteilung zu berücksichtigen sind, auch bei der Beurteilung, ob die Marke unter Verstoß gegen eines der absoluten Eintragungshindernisse eingetragen worden ist, berücksichtigt werden können, ohne dass dies jedoch voraussetzt, dass alle Tatbestandsvoraussetzungen dieses Eintragungshindernisses erfüllt sind.
51. Zu einem ähnlichen Ergebnis kam der Gerichtshof im Übrigen im Urteil Koton, als er sich mit etwaigen Überschneidungen zwischen dem absoluten Nichtigkeitsgrund der Bösgläubigkeit des Anmelders und dem in Art. 53 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 207/2009 vorgesehenen relativen Nichtigkeitsgrund, der sich auf das Bestehen einer mit dem angemeldeten Zeichen verwechselbaren älteren Marke bezieht, befasste(38 ).
52. In einer Situation wie der des Ausgangsrechtsstreits, in der dem Inhaber einer Unionsmarke im Rahmen einer Widerklage auf Nichtigerklärung im Wesentlichen vorgeworfen wird, mit der Eintragung dieser Marke eine Strategie verfolgt zu haben, die darauf abzielt, seine Wettbewerber daran zu hindern, auf dem Markt Waren anzubieten, die eine technische Lösung verkörpern, für die er aufgrund eines inzwischen abgelaufenen Patents ein Monopol innehatte, ist die Frage, ob eine solche Eintragung als bösgläubig anzusehen ist, von jener Frage zu unterscheiden, ob die betreffende Marke ausschließlich aus der Form besteht, die zur Erreichung einer technischen Wirkung erforderlich ist, und daher in den Anwendungsbereich des absoluten Nichtigkeitsgrundes nach Art. 52 Abs. 1 Buchst. a in Verbindung mit Art. 7 Abs. 1 Buchst. e Ziff. ii der Verordnung Nr. 207/2009 fällt. Im ersten Fall wird die Legitimität der vom Antragsteller verfolgten Ziele in Frage gestellt, während im zweiten Fall die Gültigkeit der Marke in Frage gestellt wird.
53. Daraus folgt, dass das Fehlen der Voraussetzungen für die Anwendung von Art. 52 Abs. 1 Buchst. a in Verbindung mit Art. 7 Abs. 1 Buchst. e Ziff. ii der Verordnung Nr. 207/2009 für sich genommen kein Hindernis dafür darstellt, dass das mit einer solchen Klage befasste nationale Gericht feststellt, dass die betreffende Marke bösgläubig eingetragen wurde, sofern sich aus schlüssigen und übereinstimmenden Indizien ergeben sollte, dass ihr Inhaber die Anmeldung dieser Marke nicht mit dem Ziel eingereicht hat, sich in lauterer Weise am Wettbewerb zu beteiligen, sondern in unredlicher Absicht.
54. Im Rahmen der Beurteilung des Vorliegens einer solchen Absicht kann das angerufene nationale Gericht Umstände berücksichtigen, die bei der Prüfung der Gültigkeit der betreffenden Marke im Hinblick auf Art. 52 Abs. 1 Buchst. a in Verbindung mit Art. 7 Abs. 1 Buchst. e Ziff. ii der Verordnung Nr. 207/2009 hätten berücksichtigt werden können, wie z. B. die Art der betreffenden Marke und die Tatsache, dass bestimmte Merkmale dieser Marke durch ein inzwischen abgelaufenes Patent geschützt waren. Die Anerkennung einer solchen Möglichkeit führt weder dazu, die Bösgläubigkeit des Anmelders „allein im Hinblick auf das absolute Eintragungshindernis des Art. 7 Abs. 1 Buchst. e Ziff. ii der Verordnung Nr. 207/2009“ zu beurteilen, noch dazu, eine „kombinierte“ Lesart von dieser Bestimmung und Art. 52 Abs. 1 Buchst. b dieser Verordnung zu befürworten(39 ) oder das Fehlen der Voraussetzungen für die Anwendung dieses Eintragungshindernisses durch einen Verweis auf den Begriff „bösgläubig“ auszugleichen.
55. Allerdings kann unter Umständen wie denen, die ich soeben beschrieben habe, die Bösgläubigkeit meines Erachtens nicht allein aus dem Umstand abgeleitet werden, dass die Eintragung dieses Zeichens zu dem Zweck beantragt wurde, Erscheinungsmerkmale eines durch ein früheres Patent geschützten Erzeugnisses zu schützen, wenn sich herausstellt, dass dieses Zeichen nicht in den Anwendungsbereich von Art. 7 Abs. 1 Buchst. e Ziff. ii der Verordnung Nr. 207/2009(40 ) fällt. Vielmehr müssen weitere relevante Gesichtspunkte die Behauptung stützen, dass der Antragsteller nicht mit dem Ziel gehandelt hat, sich in lauterer Weise am Wettbewerb zu beteiligen, sondern in unredlicher Absicht.
56. Ich räume ein, dass sich in einem solchen Kontext die Trennlinie zwischen einer legitimen Geschäftsstrategie und der Bösgläubigkeit im konkreten Fall recht schmal sein kann.
57. Um die wirkliche Absicht des Anmelders festzustellen, wird das angerufene nationale Gericht sämtliche Faktoren des Einzelfalls zu beurteilen haben, zu denen insbesondere die Art der in Rede stehenden Marke(41 ), die Herkunft des geschützten Zeichens und seine Benutzung seit seiner Schaffung, der Umfang des Patents sowie die Chronologie der Ereignisse gehören. Für die Bösgläubigkeit können, sofern sie belegt werden, neben der Überzeugung des Anmelders zum Zeitpunkt der Anmeldung der Marke, dass das angemeldete Zeichen die zuvor durch sein Patent geschützte technische Lösung umfasst, auch der Umstand sprechen, dass diese Überzeugung zum selben Zeitpunkt von seinen Wettbewerbern, den Benutzern der fraglichen Waren und dem wissenschaftlichen Umfeld geteilt wurde, sowie der Umstand, dass der Anmelder versucht hat, eine solche Überzeugung bei seinen Kunden aufrechterhalten, indem er z. B. das von seiner Marke erfasste Zeichen absichtlich mit der durch sein Patent geschützten technischen Lösung in Verbindung brachte und so die Marke von ihren Funktionen, insbesondere der eines Herkunftshinweises, ablenkte. Im Allgemeinen kann bei einer solchen Beurteilung jedes Verhalten des Anmelders berücksichtigt werden, mit dem seine Absicht belegt werden kann, die angemeldete Eintragung zu anderen Zwecken als den mit den Rechtsvorschriften der Union im Bereich der Marken verfolgten zu verwenden, insbesondere um zu verhindern, dass Wettbewerber durch die Verwendung der technischen Lösung, für die er aufgrund seines Patents ein Monopol innehatte, in den Markt eintreten.
58. Liegen Indizien vor, die eine unredliche Absicht belegen und die Vermutung der Anmeldung in gutem Glauben widerlegen können, obliegt es dem Markeninhaber, nachzuweisen, dass die Eintragung der Marke Teil einer legitimen Geschäftsstrategie ist oder dass er aus Gründen der Verteidigung seiner berechtigten Interessen gehandelt hat(42 ). In diesem Zusammenhang kann die Bösgläubigkeit jedoch nicht allein deshalb ausgeschlossen werden, weil sich die vom Markeninhaber zum Zeitpunkt der Anmeldung vermutete technische Lösung nach diesem Zeitpunkt als objektiv nicht vorhanden erwiesen hat. Umstände, die erst nach dem für die Beurteilung der Bösgläubigkeit maßgeblichen Zeitpunkt eintreten, können nämlich nur insoweit berücksichtigt werden, als sie einen Hinweis auf die Absicht des Antragstellers zu diesem Zeitpunkt darstellen(43 ). Im Übrigen stellt der bloße Umstand, dass eine bösgläubig eingetragene Marke die einer Marke eigenen Funktionen, insbesondere die Herkunftsfunktion, erfüllt, für sich genommen kein Hindernis für ihre Nichtigerklärung dar, wie die Nichtanwendbarkeit der in Art. 52 Abs. 2 der Verordnung Nr. 207/2009 enthaltenen Regel auf bösgläubige Eintragungen klar zeigt.
59. Bevor ich zum Schluss komme, möchte ich mich kurz einem von CeramTec in ihren Erklärungen angesprochenen Punkt zuwenden. CeramTec argumentierte, Bösgläubigkeit sei in dem Zusammenhang durch ein missbräuchliches Verhalten gekennzeichnet und erfordere eine objektive Beeinträchtigung des Wettbewerbs, die ausgeschlossen sei, wenn die betroffene Marke einerseits Wettbewerber des Markeninhabers nicht daran hindere, eine technische Lösung zu verwenden, und andererseits die herkunftskennzeichnende Funktion einer Marke erfülle.
60. Insoweit erinnere ich daran, dass im Markenrecht Bösgläubigkeit durch eine „Absicht“ gekennzeichnet ist, entweder „in einer den redlichen Handelsbräuchen widersprechenden Weise Drittinteressen zu schaden“ oder „sich ohne Bezug zu einem konkreten Dritten ein ausschließliches Recht zu anderen als zu den zur Funktion einer Marke gehörenden Zwecken … zu verschaffen“(44 ). Der Gerichtshof hat daher zwei Kategorien von Fällen unterschieden, die die Anwendung von Art. 52 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009 rechtfertigen können, wobei die zweite Kategorie Situationen umfasst, in denen das mit der Anmeldung angestrebte ausschließliche Recht nicht Teil der Logik einer der Funktionen der Marke ist.
61. Zwar umfasst diese Kategorie jede missbräuchliche Anmeldungsstrategie(45 ), aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs und des Gerichts geht jedoch nicht hervor, dass sie auf Verhaltensweisen beschränkt ist, die als „Rechtsmissbrauch“ eingestuft werden können(46 ). Ebenso wenig geht aus dieser Rechtsprechung hervor, dass die Feststellung der Bösgläubigkeit in Fällen, die unter diese zweite Kategorie fallen, dem Nachweis einer Beeinträchtigung oder der Gefahr einer Beeinträchtigung des Wettbewerbs oder dem Nachweis, dass der Markeninhaber einen unlauteren Vorteil aus seinem missbräuchlichen Verhalten ziehen konnte, unterliegt(47 ). Da der relevante Zeitpunkt für die Beurteilung, ob der Anmelder bösgläubig ist, der Zeitpunkt der Einreichung der Anmeldung durch den Betroffenen ist(48 ), sollte auf jeden Fall im Licht der zu diesem Zeitpunkt bestehenden Umstände sowohl die objektive Gefahr einer Wettbewerbsbeeinträchtigung als auch die Möglichkeit des Markeninhabers, aus der Eintragung der Marke einen unlauteren Vorteil zu ziehen, beurteilt werden und nicht, wie CeramTec vorzuschlagen scheint, zu einem späteren Zeitpunkt(49 ).
62. Im Ergebnis bin ich in Anbetracht der vorstehenden Erwägungen der Ansicht, dass auf die zweite Vorlagefrage zu antworten ist, dass Art. 52 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009 dahin auszulegen ist, dass für die Beurteilung der Bösgläubigkeit des Anmelders Gesichtspunkte berücksichtigt werden können, die auf der Grundlage von Art. 52 Abs. 1 Buchst. a in Verbindung mit Art. 7 Abs. 1 Buchst. e Ziff. ii dieser Verordnung zur Feststellung der absoluten Nichtigkeit der angegriffenen Marke beitragen könnten. Der bloße Umstand, dass die Voraussetzungen für die Anwendung des in der letztgenannten Bestimmung vorgesehenen absoluten Eintragungshindernisses nicht vollständig erfüllt sind, steht weder einer solchen Berücksichtigung noch der Löschung der genannten Marke aufgrund der Bösgläubigkeit des Anmelders entgegen, wenn sich auf der Grundlage aller relevanten Faktoren, die für den konkreten Fall spezifisch sind und zum Zeitpunkt der Einreichung der Markenanmeldung vorlagen, ergibt, dass diese Anmeldung nicht mit dem Ziel eingereicht wurde, sich in lauterer Weise am Wettbewerb zu beteiligen, sondern in unredlicher Absicht.
V. Ergebnis
63. Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, auf die erste und zweite Vorlagefrage der Cour de cassation (Kassationsgerichtshof, Frankreich) wie folgt zu antworten:
1. Art. 52 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 207/2009 des Rates vom 26. Februar 2009 über die Unionsmarke
ist dahin auszulegen, dass
die in den Buchst. a und b dieser Bestimmung vorgesehenen absoluten Nichtigkeitsgründe, die sich auf die Eintragung einer Unionsmarke entgegen Art. 7 der Verordnung und auf die Bösgläubigkeit des Anmelders bei der Anmeldung der Marke beziehen, eigenständig, aber nicht ausschließlich sind.
2. Bei der Beurteilung der Bösgläubigkeit des Anmelders können Gesichtspunkte berücksichtigt werden, die auf der Grundlage von Art. 52 Abs. 1 Buchst. a in Verbindung mit Art. 7 Abs. 1 Buchst. e Ziff. ii dieser Verordnung zur Feststellung der absoluten Nichtigkeit der angegriffenen Marke beitragen könnten. Der bloße Umstand, dass die Voraussetzungen für die Anwendung des in der letztgenannten Bestimmung vorgesehenen absoluten Eintragungshindernisses nicht vollständig erfüllt sind, steht weder einer solchen Berücksichtigung noch der Nichtigerklärung der genannten Marke aufgrund der Bösgläubigkeit des Anmelders entgegen, wenn sich auf der Grundlage aller relevanten Faktoren des Einzelfalls, die zum Zeitpunkt der Einreichung der Markenanmeldung vorlagen, ergibt, dass diese Anmeldung nicht mit dem Ziel eingereicht wurde, sich in lauterer Weise am Wettbewerb zu beteiligen, sondern in unredlicher Absicht.