C-415/23 P – OHB System/ Kommission

C-415/23 P – OHB System/ Kommission

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Language of document : ECLI:EU:C:2025:434

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Siebte Kammer)

12. Juni 2025(*)

„ Rechtsmittel – Öffentliche Dienstleistungsaufträge – Ausschreibungsverfahren – Beschaffung von Galileo-Übergangssatelliten – Wettbewerblicher Dialog – Ablehnung des Angebots eines Bieters – Vergabe des betreffenden Auftrags an andere Bieter “

In der Rechtssache C‑415/23 P

betreffend ein Rechtsmittel nach Art. 56 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union, eingelegt am 5. Juli 2023,

OHB System AG mit Sitz in Bremen (Deutschland), vertreten durch Rechtsanwalt W. Würfel,

Rechtsmittelführerin,

andere Parteien des Verfahrens:

Europäische Kommission, vertreten durch L. André, J. Estrada de Solà und L. Mantl als Bevollmächtigte,

Beklagte im ersten Rechtszug,

Italienische Republik,

Airbus Defence and Space GmbH mit Sitz in Taufkirchen (Deutschland), vertreten durch Rechtsanwälte P. E. Partsch, C.‑E. Seestädt und B. ten Seldam,

Streithelferinnen im ersten Rechtszug,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Siebte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Gavalec (Berichterstatter) sowie der Richter Z. Csehi und F. Schalin,

Generalanwalt: M. Campos Sánchez-Bordona,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

aufgrund der nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Entscheidung, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1        Mit ihrem Rechtsmittel beantragt die OHB System AG die Aufhebung des Urteils des Gerichts der Europäischen Union vom 26. April 2023, OHB System/Kommission (T‑54/21, im Folgenden: angefochtenes Urteil, EU:T:2023:210), mit dem das Gericht ihre Klage nach Art. 263 AEUV auf Nichtigerklärung der ihr am 19. und am 22. Januar 2021 mitgeteilten Beschlüsse, ihrem Angebot im Rahmen des in Form des wettbewerblichen Dialogs eingeleiteten Vergabeverfahrens 2018/S 091-206089 betreffend die Beschaffung von Galileo-Übergangssatelliten nicht den Zuschlag zu erteilen und den Auftrag an zwei andere Bieter zu vergeben (im Folgenden: streitige Beschlüsse), abgewiesen hat.

 Rechtlicher Rahmen

 Verordnung (EU, Euratom) 2018/1046

2        Art. 136 („Ausschlusskriterien und Ausschlussentscheidungen“) Abs. 1, 2 und 4 der Verordnung (EU, Euratom) 2018/1046 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Juli 2018 über die Haushaltsordnung für den Gesamthaushaltsplan der Union, zur Änderung der Verordnungen (EU) Nr. 1296/2013, (EU) Nr. 1301/2013, (EU) Nr. 1303/2013, (EU) Nr. 1304/2013, (EU) Nr. 1309/2013, (EU) Nr. 1316/2013, (EU) Nr. 223/2014, (EU) Nr. 283/2014 und des Beschlusses Nr. 541/2014/EU sowie zur Aufhebung der Verordnung (EU, Euratom) Nr. 966/2012 (ABl. 2018, L 193, S. 1, im Folgenden: Haushaltsordnung) bestimmte:

„(1)      Der zuständige Anweisungsbefugte schließt eine in Artikel 135 Absatz 2 genannte Person oder Stelle von der Teilnahme an Gewährungsverfahren nach dieser Verordnung oder von der Auswahl zur Ausführung von Unionsmitteln aus, wenn diese Person oder Stelle sich in einer oder mehrerer der folgenden Ausschlusssituationen befindet:

c)      durch eine rechtskräftige Gerichts- oder eine bestandskräftige Verwaltungsentscheidung festgestellt wurde, dass die Person oder Stelle im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit eine schwere Verfehlung begangen hat aufgrund eines Verstoßes gegen geltende Gesetze, Bestimmungen oder ethische Standards ihres Berufsstandes oder aufgrund jeglicher Form von rechtswidrigem Handeln, das sich auf ihre berufliche Glaubwürdigkeit auswirkt, wenn es vorsätzlich oder grob fahrlässig erfolgt; dazu zählen insbesondere folgende Verhaltensweisen:

ii)      Absprachen mit anderen Personen oder Stellen mit dem Ziel einer Wettbewerbsverzerrung;

v)      Versuch, vertrauliche Informationen über das Verfahren zu erhalten, durch die unzulässige Vorteile beim Gewährungsverfahren erlangt werden könnten;

(2)      In Ermangelung einer rechtskräftigen Gerichts- bzw. bestandskräftige Verwaltungsentscheidung in den Fällen nach Absatz 1 Buchstaben c, d, f, g und h dieses Artikels oder im Fall nach Absatz 1 Buchstabe e dieses Artikels legt der zuständige Anweisungsbefugte bei entsprechendem Verhalten einer in Artikel 135 Absatz 2 genannten Person oder Stelle eine vorläufige rechtliche Bewertung für deren Ausschluss zugrunde, wobei er sich auf die festgestellten Sachverhalte oder sonstigen Erkenntnisse aus der Empfehlung des in Artikel 143 genannten Gremiums [(im Folgenden: Gremium)] stützt.

(4)      Der zuständige Anweisungsbefugte schließt eine in Artikel 135 Absatz 2 genannte Person oder Stelle aus, wenn

a)      sich eine natürliche oder juristische Person, die Mitglied des Verwaltungs‑, Leitungs- oder Aufsichtsorgans einer in Artikel 135 Absatz 2 genannten Person oder Stelle ist oder bezüglich dieser Person oder Stelle Vertretungs‑, Beschluss- oder Kontrollbefugnisse hat, in einer oder mehreren der in Absatz 1 Buchstaben c bis h dieses Artikels genannten Situationen befindet;

…“

3        Art. 141 („Ablehnung in einem Gewährungsverfahren“) Abs. 1 Unterabs. 1 der Haushaltsordnung sah vor:

„Der zuständige Anweisungsbefugte lehnt einen Teilnehmer in einem Gewährungsverfahren ab, wenn dieser

a)      sich in einer Ausschlusssituation nach Artikel 136 befindet;

b)      die Auskünfte, die für die Teilnahme am Verfahren verlangt wurden, verfälscht oder nicht erteilt hat;

c)      zuvor an der Erstellung von Unterlagen für das Gewährungsverfahren mitgewirkt hat, soweit dies einen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz – einschließlich der Wettbewerbsverzerrung – darstellt, der auf andere Weise nicht behoben werden kann.“

4        Art. 143 („Gremium“) der Haushaltsordnung enthielt u. a. Regeln für das Verfahren zur Abgabe einer Empfehlung des Gremiums für einen Ausschluss eines Bieters.

5        In Art. 160 („Grundsätze für Verträge und Anwendungsbereich“) der Verordnung hieß es:

„(1)      Für Verträge, die ganz oder teilweise aus dem Haushalt finanziert werden, gelten die Grundsätze der Transparenz, der Verhältnismäßigkeit, der Gleichbehandlung und der Nichtdiskriminierung.

(2)      Alle Verträge werden auf der Grundlage eines möglichst breiten Wettbewerbs vergeben, außer wenn das Verfahren nach Artikel 164 Absatz 1 Buchstabe d angewendet wird.

…“

6        Art. 167 („Auftragsvergabe“) Abs. 1 der Haushaltsordnung bestimmte:

„Aufträge werden auf der Grundlage von Zuschlagskriterien vergeben, sofern der öffentliche Auftraggeber folgende Bedingungen überprüft hat:

b)      der Bewerber oder Bieter wird nicht nach Artikel 136 ausgeschlossen oder nach Artikel 141 abgelehnt …

…“

7        Art. 170 („Vergabeentscheidung und Unterrichtung der Bewerber oder Bieter“) der Haushaltsordnung sah vor:

„(1)      Der zuständige Anweisungsbefugte entscheidet unter Einhaltung der in den Auftragsunterlagen aufgeführten Eignungs- und Zuschlagskriterien, wem der Zuschlag für den Vertrag erteilt wird.

(2)      Der öffentliche Auftraggeber unterrichtet alle Bewerber oder Bieter, deren Teilnahmeantrag oder Angebot abgelehnt wurde, über die Gründe für die Ablehnung und die Dauer der in Artikel 175 Absatz 2 und Artikel 178 Absatz 1 genannten Stillhaltefristen.

Bei der Vergabe von Einzelverträgen innerhalb eines Rahmenvertrags mit erneutem Aufruf zum Wettbewerb unterrichtet der öffentliche Auftraggeber die Bieter über das Ergebnis der Evaluierung.

(3)      Der öffentliche Auftraggeber unterrichtet auf schriftlichen Antrag jeden Bewerber, für den keine der in Artikel 136 Absatz 1 genannte Ausschlusssituation vorliegt und dessen Angebot den Auftragsunterlagen entspricht, über folgende Aspekte:

a)      den Namen des Bieters bzw. die Namen der Bieter, wenn es sich um einen Rahmenvertrag handelt, dem bzw. denen der Zuschlag für den Vertrag erteilt wurde, sowie – außer im Fall eines Einzelvertrags innerhalb eines Rahmenvertrags mit erneutem Aufruf zum Wettbewerb – die Merkmale und relativen Vorteile des erfolgreichen Angebots, den Preis bzw. den Vertragswert;

b)      die Fortschritte der Verhandlungen und des Dialogs mit den Bietern.

Er kann jedoch beschließen, bestimmte Angaben nicht mitzuteilen, wenn die Offenlegung dieser Angaben den Gesetzesvollzug behindern, dem öffentlichen Interesse zuwiderlaufen, den berechtigten geschäftlichen Interessen von Wirtschaftsteilnehmern schaden oder den lauteren Wettbewerb zwischen den Wirtschaftsteilnehmern verfälschen würde.“

8        Die Haushaltsordnung enthielt einen Anhang I, dessen Nr. 23 („Ungewöhnlich niedrige Angebote“) bestimmte:

„23.1.      Scheinen die bei einem bestimmten Vertrag im Angebot vorgeschlagenen Preise oder Kosten ungewöhnlich niedrig zu sein, so verlangt der öffentliche Auftraggeber schriftlich Aufklärung über die wesentlichen Bestandteile der Preise oder Kosten, die er für relevant hält, und gibt dem Bieter Gelegenheit zur Stellungnahme.

23.2.      Der öffentliche Auftraggeber lehnt das Angebot nur dann ab, wenn die beigebrachten Nachweise das niedrige Niveau des vorgeschlagenen Preises beziehungsweise der vorgeschlagenen Kosten nicht zufriedenstellend erklären.

Der öffentliche Auftraggeber lehnt das Angebot ab, wenn er feststellt, dass das Angebot ungewöhnlich niedrig ist, weil es den geltenden umwelt‑, sozial- und arbeitsrechtlichen Verpflichtungen nicht genügt.

23.3.      Stellt der öffentliche Auftraggeber fest, dass ein Angebot ungewöhnlich niedrig ist, weil der Bieter eine staatliche Beihilfe erhalten hat, so darf er das Angebot allein aus diesem Grund nur ablehnen, sofern der Bieter binnen einer von dem öffentlichen Auftraggeber festzulegenden ausreichenden Frist nicht nachweisen kann, dass die betreffende Beihilfe mit dem Binnenmarkt im Sinne des Artikels 107 AEUV vereinbar war.“

9        In Nr. 31 („Unterrichtung der Bewerber und Bieter“) dieses Anhangs hieß es:

„31.1.      Der öffentliche Auftraggeber unterrichtet nach jeder der folgenden Phasen alle Bewerber und Bieter schnellstmöglich und zeitgleich, aber separat auf elektronischem Wege über die Entscheidungen im Hinblick auf das Ergebnis des Verfahrens:

a)      in den in Artikel 168 Absatz 3 genannten Fällen: nach der Eröffnungsphase;

b)      bei zweistufigen Vergabeverfahren: nachdem eine Entscheidung anhand der Ausschluss- und Eignungskriterien getroffen wurde;

c)      nachdem eine Vergabeentscheidung getroffen wurde.

In jedem dieser Fälle gibt der öffentliche Auftraggeber die Gründe für die Ablehnung des Teilnahmeantrags bzw. des Angebots sowie die Rechtsmittel an, die eingelegt werden können.

Bei der Unterrichtung des erfolgreichen Bieters weist der öffentliche Auftraggeber darauf hin, dass diese mitgeteilte Entscheidung noch keine Verpflichtung seitens des Auftraggebers begründet.

31.2.      Der öffentliche Auftraggeber übermittelt die in Artikel 170 Absatz 3 genannten Informationen so schnell wie möglich und auf jeden Fall innerhalb von 15 Tagen nach Eingang des schriftlichen Antrags. Verträge auf eigene Rechnung vergibt der öffentliche Auftraggeber auf elektronischem Wege. Der Bieter kann seinen Antrag ebenfalls elektronisch übermitteln.

…“

10      Nr. 35 („Stillhaltefrist vor der Unterzeichnung des Vertrags“) des Anhangs bestimmte:

„35.1.      Die Stillhaltefrist läuft ab einem der folgenden Zeitpunkte:

a)      dem Tag, der auf den Tag folgt, an dem die Benachrichtigungen an die abgelehnten und die erfolgreichen Bieter zeitgleich elektronisch übermittelt wurden;

b)      wenn es sich um einen Vertrag oder Rahmenvertrag handelt, der gemäß Nummer 11.1 Unterabsatz 2 Buchstabe b vergeben wird, ab dem Tag, der auf den Tag folgt, an dem die Vergabebekanntmachung gemäß Nummer 2.4 im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht wurde.

Erforderlichenfalls kann der öffentliche Auftraggeber die Vertragsunterzeichnung zwecks ergänzender Prüfung aussetzen, wenn die von den abgelehnten oder beschwerten Bewerbern oder Bietern übermittelten Anträge und Anmerkungen oder anderweitig innerhalb der in Artikel 175 Absatz 3 festgelegten Frist erhaltene stichhaltige Informationen dies rechtfertigen. Wird die Unterzeichnung ausgesetzt, werden sämtliche Bewerber oder Bieter binnen drei Arbeitstagen nach der Aussetzungsentscheidung davon unterrichtet.

Kann der Vertrag oder Rahmenvertrag nicht mit dem vorgesehenen Bieter unterzeichnet werden, so kann der öffentliche Auftraggeber den Vertrag an den auf der Rangliste nachfolgenden Bieter vergeben.

…“

 Richtlinie 2014/24/EU

11      Art. 57 („Ausschlussgründe“) Abs. 4 der Richtlinie 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die öffentliche Auftragsvergabe und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/18/EG (ABl. 2014, L 94, S. 65) bestimmt:

„Öffentliche Auftraggeber können in einer der folgenden Situationen einen Wirtschaftsteilnehmer von der Teilnahme an einem Vergabeverfahren ausschließen oder dazu von den Mitgliedstaaten verpflichtet werden:

c)      der öffentliche Auftraggeber kann auf geeignete Weise nachweisen, dass der Wirtschaftsteilnehmer im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit eine schwere Verfehlung begangen hat, die seine Integrität in Frage stellt;

…“

 Vorgeschichte des Rechtsstreits

12      Die Vorgeschichte des Rechtsstreits ist in den Rn. 2 bis 23 des angefochtenen Urteils dargestellt und lässt sich wie folgt zusammenfassen.

13      OHB System ist eine Gesellschaft deutschen Rechts, die sich mit der Entwicklung und Umsetzung innovativer Raumfahrtsysteme und ‑projekte sowie der Vermarktung spezifischer Luftfahrt‑, Raumfahrt- und Telematikprodukte einschließlich geostationärer und erdnaher Satelliten befasst.

14      Mit dem Galileo-Programm soll ein europäisches System für die satellitengestützte Navigation und Positionsbestimmung aufgebaut und betrieben werden, das speziell für zivile Zwecke konzipiert ist und eine Satellitenkonstellation sowie ein weltweites Netz von Bodenstationen umfasst.

15      Gemäß der Verordnung (EU) Nr. 1285/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Dezember 2013 betreffend den Aufbau und den Betrieb der europäischen Satellitennavigationssysteme und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 876/2002 des Rates und der Verordnung (EG) Nr. 683/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates (ABl. 2013, L 347, S. 1) trägt die Kommission die Gesamtverantwortung für das Programm Galileo und hat für die Errichtungsphase dieses Programms mit der Europäischen Weltraumorganisation (ESA) eine Übertragungsvereinbarung zu schließen, in der die Aufgaben der ESA insbesondere in Bezug auf die das System betreffenden Beschaffungen im Einzelnen aufgeführt sind.

16      Im Rahmen der Übertragungsvereinbarung zwischen der Kommission und der ESA für die Errichtungsphase des Galileo-Programms ist die ESA mit der Durchführung der Verfahren zur Vergabe der dieses Programm betreffenden öffentlichen Aufträge betraut; die Kommission bleibt der öffentliche Auftraggeber.

17      Mit Auftragsbekanntmachung vom 15. Mai 2018, die in der Beilage zum Amtsblatt der Europäischen Union vom 15. Mai 2018 (ABl. 2018/S0 91-206089) und auf der Webseite emits.esa.int veröffentlicht wurde, leitete die im Namen und im Auftrag der Kommission handelnde ESA für die Beschaffung von Galileo-Übergangssatelliten ein Vergabeverfahren in der Form des wettbewerblichen Dialogs (im Folgenden: streitiger wettbewerblicher Dialog) ein. Das Verfahren wurde in dieser Form eingeleitet, da die Kommission bereits ihren Bedarf ermittelt und festgelegt hatte, aber noch nicht die genauen zu dessen Deckung am besten geeigneten Mittel.

18      Der streitige wettbewerbliche Dialog betraf die Beschaffung von zunächst vier (von bis zu zwölf) Galileo-Übergangssatelliten mit weiterentwickelten Spezifikationen, um den Übergang von der ersten Generation der Galileo-Satelliten zur zweiten Generation einzuleiten. Es wurde beschlossen, mehrere Bezugsquellen zu erschließen, so dass für die parallele Beschaffung von voraussichtlich jeweils zwei Satelliten zwei Auftragnehmer ausgewählt und zwei Verträge unterzeichnet werden konnten.

19      Der Zuschlag für den betreffenden Auftrag sollte auf der Grundlage von zwei Kriterien, und zwar dem Preis mit einer Gewichtung von 35 % und der Qualität mit einer Gewichtung von insgesamt 65 %, dem wirtschaftlich günstigsten Angebot erteilt werden. Das Qualitätskriterium bestand aus fünf Unterkriterien.

20      Der streitige wettbewerbliche Dialog verlief in drei Phasen. Der Ablauf der ersten beiden Phasen richtete sich nach den Bestimmungen der Verordnung Nr. 1285/2013 sowie der Verordnung (EU, Euratom) Nr. 966/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2012 über die Haushaltsordnung für den Gesamthaushaltsplan der Union und zur Aufhebung der Verordnung (EG, Euratom) Nr. 1605/2002 des Rates (ABl. 2012, L 298, S. 1) und der Delegierten Verordnung (EU) Nr. 1268/2012 der Kommission vom 29. Oktober 2012 über die Anwendungsbestimmungen für die Verordnung (EU, Euratom) Nr. 966/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Haushaltsordnung für den Gesamthaushaltsplan der Union (ABl. 2012, L 362, S. 1). Die dritte Phase lief nach den Bestimmungen der Verordnung Nr. 1285/2013 und der Verordnung 2018/1046 ab.

21      Die erste Phase des streitigen wettbewerblichen Dialogs begann im Mai 2018 mit der Veröffentlichung einer „Aufforderung zur Einreichung eines Teilnahmeantrags“ durch die ESA.

22      Unter den bei ihr eingegangenen Teilnahmeanträgen wählte die ESA drei Bieter aus, und zwar OHB System, die Airbus Defence and Space GmbH (im Folgenden: ADS) und die Thales Alenia Space Italia (im Folgenden: TASI) (im Folgenden zusammen: Bieter).

23      Die zweite Phase, die im Juli 2018 begann, diente zur Ermittlung und Festlegung der Mittel, mit denen der Bedarf des öffentlichen Auftraggebers am besten erfüllt werden kann. Zunächst forderte die ESA die Bieter zur Einreichung eines „Preliminary Proposal“ (vorläufiges Angebot) auf und übersandte ihnen u. a. die „Special Conditions of Tender for Invitation to Submit a Preliminary Proposal“ (Besondere Vergabebedingungen für die Aufforderung zur Einreichung eines vorläufigen Angebots). Sodann forderte die ESA nach einer Dialogphase die Bieter zur Einreichung eines „Refined Proposal“ (überarbeitetes Angebot) auf und übersandte ihnen die „Conditions of Tender for Invitation to Submit a Refined Proposal“ (Vergabebedingungen für die Aufforderung zur Einreichung eines überarbeiteten Angebots). OHB System reichte am 26. September 2018 ihr vorläufiges Angebot und am 11. Oktober 2019 ihr überarbeitetes Angebot ein.

24      Die dritte Phase begann im August 2020, und nach einer weiteren Dialogphase forderte die ESA die Bieter auf, ihr „Best and Final Offer“ (endgültiges Angebot) abzugeben und übersandte ihnen u. a. die „Conditions of Tender for Invitation to Submit a Best and Final Offer“ (Vergabebedingungen für die Aufforderung zur Einreichung eines endgültigen Angebots). Am 11. Oktober 2020 reichte OHB System ihr endgültiges Angebot ein.

25      Zwischen Oktober und Dezember 2020 wurden die endgültigen Angebote der Bieter von einem Evaluierungsausschuss – bestehend aus Vertretern der ESA, der Agentur für das europäische globale Satellitennavigationssystem (GSA) und der Kommission – evaluiert, der die Ergebnisse der Evaluierung in einem Evaluierungsbericht (im Folgenden: Evaluierungsbericht) darlegte.

26      Mit Schreiben vom 23. Dezember 2020 an die Kommission, von dem u. a. die ESA eine Kopie erhielt (im Folgenden: Schreiben vom 23. Dezember 2020), beantragte OHB System bei der Kommission im Wesentlichen, den streitigen wettbewerblichen Dialog wegen des „Verdachts auf Verletzung [ihrer] Geschäftsgeheimnisse durch einen Mitarbeiter von [ADS]“ auszusetzen, eine Untersuchung durchzuführen und ADS gegebenenfalls von dem streitigen wettbewerblichen Dialog auszuschließen.

27      In dem genannten Schreiben unterrichtete die Rechtsmittelführerin die Kommission im Wesentlichen über Folgendes: Erstens sei ein ehemaliger Mitarbeiter (im Folgenden: ehemaliger Mitarbeiter) vom 22. Dezember 2016 bis Ende November 2019 für OHB System tätig gewesen, habe als Chief Operating Officer (Manager für das operative Geschäft) weitreichenden Zugang zu den Daten des betreffenden Projekts gehabt und sei an der Vorbereitung des Angebots beteiligt gewesen, das OHB System im Rahmen des streitigen wettbewerblichen Dialogs eingereicht habe. Insbesondere sei er in die den technischen Teil ihres Angebots betreffende „Strategie“ sowie in die beim Preis und bei der Berechnung des Preises dieses Angebots verfolgte „Strategie“ einbezogen gewesen. Zweitens hätten der ehemalige Mitarbeiter und OHB System auf seinen Wunsch am 11. November 2019 die vorzeitige Auflösung seines Arbeitsvertrags unterzeichnet. Drittens habe ADS im Dezember 2019 den ehemaligen Mitarbeiter eingestellt und ihn im Jahr 2020 an die Spitze der Abteilung platziert, die für das von ADS im Rahmen des streitigen wettbewerblichen Dialogs eingereichte Angebot zuständig gewesen sei. Ferner gebe es Anhaltspunkte dafür, dass der ehemalige Mitarbeiter sensible Informationen von OHB System erlangt habe, die geeignet gewesen seien, ADS im Rahmen des streitigen wettbewerblichen Dialogs einen unzulässigen Vorteil zu verschaffen. Viertens habe OHB System eine Untersuchung des Computers in Auftrag gegeben, den der ehemalige Mitarbeiter in diesem Unternehmen benutzt habe; dabei seien Belege dafür gefunden worden, dass er seit Juni 2019 die Absicht gehabt habe, den Arbeitgeber zu wechseln, und dass er im Rahmen der Verhandlungen über seine Einstellung ADS u. a. darauf hingewiesen habe, dass ihr durch seine Einstellung bei Projekten, bei denen sie im Wettbewerb mit der Rechtsmittelführerin stehe, Vorteile entstünden, sowie Anhaltspunkte dafür, dass der ehemalige Mitarbeiter vertrauliche Dateien von OHB System kopiert habe. Fünftens seien alle diese Umstände Gegenstand eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens gewesen, das die zuständige Staatsanwaltschaft in Deutschland aufgrund einer von der Rechtsmittelführerin im März 2020 gegen den ehemaligen Mitarbeiter erstatteten Strafanzeige eingeleitet habe.

28      Die Kommission beschloss auf der Grundlage des Evaluierungsberichts, den Zuschlag nicht dem Angebot von OHB System, sondern den Angeboten von TASI und ADS zu erteilen. Die streitigen Beschlüsse wurden OHB System von der ESA mit Schreiben vom 19. Januar 2021 und mit Fax vom 22. Januar 2021 übermittelt.

29      Mit dem Schreiben vom 19. Januar 2021 teilte die ESA der Rechtsmittelführerin mit, dass sie ihrem Angebot nicht den Zuschlag erteilen werde, da es nicht das wirtschaftlich günstigste Angebot sei. Diesem Schreiben war als Anlage ein Auszug aus der vom Evaluierungsausschuss anhand der fünf Unterkriterien des Qualitätskriteriums vorgenommenen Evaluierung ihres endgültigen Angebots beigefügt.

30      In der Folge forderte OHB System die ESA mit Fax vom 20. Januar 2021 auf, ihr Informationen über die erfolgreichen Bieter, die Merkmale und Vorteile ihrer Angebote und den zur Festlegung der Rangfolge herangezogenen Gesamtpreis sowie die detaillierte Evaluierung ihres eigenen Angebots zu übermitteln.

31      Mit Schreiben vom 20. Januar 2021 teilte die Kommission OHB System unter Bezugnahme auf das Schreiben vom 23. Dezember 2020 mit, dass erstens derzeit keine ausreichenden Gründe für eine Aussetzung des streitigen wettbewerblichen Dialogs vorlägen, zweitens das Vorbringen einer rechtswidrigen Aneignung von Geschäftsgeheimnissen der Rechtsmittelführerin bereits Gegenstand einer Untersuchung durch die nationalen Behörden sei, gestützt auf deren Ergebnisse die Kommission gegebenenfalls zusätzliche Maßnahmen ergreifen könne, und drittens dieses Vorbringen nicht durch eine rechtskräftige Gerichts- oder eine bestandskräftige Verwaltungsentscheidung im Sinne von Art. 136 Abs. 1 der Haushaltsordnung bestätigt worden sei, so dass kein Anlass bestehe, ADS von dem streitigen wettbewerblichen Dialog auszuschließen.

32      Mit Fax vom 22. Januar 2021 teilte die ESA OHB System die Namen der erfolgreichen Bieter, nämlich TASI und ADS, den Gesamtpreis und die endgültige Rangfolge ihrer Angebote sowie deren Rangfolge bei den fünf Unterkriterien des Qualitätskriteriums mit. Als Anlage zu diesem Fax übersandte die ESA OHB System die detaillierten Ergebnisse der Evaluierung ihres Angebots anhand dieser fünf Unterkriterien.

33      Die Angebote der Bieter nahmen folgenden Rang ein: Das Angebot von TASI befand sich an erster Stelle, das Angebot von ADS an zweiter Stelle und das Angebot von OHB System an dritter Stelle. Ihre Angebote wurden anhand der beiden in Rn. 19 des vorliegenden Urteils genannten Vergabekriterien bewertet. Beim Qualitätskriterium befand sich das Angebot von TASI an erster Stelle, das Angebot von ADS an zweiter Stelle und das Angebot OHB System an dritter Stelle. Beim Preiskriterium nahm das Angebot von ADS mit einem Gesamtpreis von 707 679 174,75 Euro die erste Stelle, das Angebot von TASI mit einem Gesamtpreis von 804 127 000,00 Euro die zweite Stelle und das Angebot von OHB System mit einem Gesamtpreis von 822 786 000,00 Euro die dritte Stelle ein.

34      Mit Schreiben vom 28. Januar 2021 (im Folgenden: Rügeschreiben) beantragte OHB System bei der Kommission erstens, ADS von dem streitigen wettbewerblichen Dialog auszuschließen, zweitens, die streitigen Beschlüsse dahin abzuändern, dass der Auftrag an sie vergeben werde, drittens, ihr umfassende Einsicht in die Akte des streitigen wettbewerblichen Dialogs und in den Evaluierungsbericht zu gewähren, sowie viertens, die Verträge nicht zu unterzeichnen, bis über ihre Beanstandungen entschieden worden sei. In ihrem Schreiben trug OHB System vor, ADS sei auszuschließen, da sie durch die Einbeziehung des ehemaligen Mitarbeiters in die Ausarbeitung ihres Angebots gegen den Grundsatz des geheimen Wettbewerbs verstoßen habe und da ihr Angebot ungewöhnlich niedrig sei.

 Klage vor dem Gericht und angefochtenes Urteil

35      Mit Klageschrift, die am 29. Januar 2021 bei der Kanzlei des Gerichts einging, erhob die Rechtsmittelführerin eine Klage, mit der sie zum einen beantragte, die streitigen Beschlüsse für nichtig zu erklären, und zum anderen, die Kommission aufzufordern, die Akte über die Vergabe des betreffenden Auftrags vorzulegen und OHB System umfassende Einsicht in diese Akte zu gewähren.

36      OHB System stützte ihre Klage auf fünf Klagegründe. Mit dem ersten Klagegrund wurde ein Verstoß gegen die in Art. 136 der Haushaltsordnung vorgesehenen Ausschlusskriterien sowie gegen die Grundsätze der Gleichbehandlung und des „geheimen Wettbewerbs“ gerügt. Mit dem zweiten Klagegrund wurde eine Verletzung der Pflicht zur Prüfung ungewöhnlich niedriger Angebote gerügt. Mit dem dritten Klagegrund wurden offensichtliche Beurteilungsfehler bei der Evaluierung des Angebots von OHB System gerügt. Mit dem vierten Klagegrund wurde eine Verletzung der Pflicht der Kommission zur eigenständigen Entscheidung über die Vergabe des betreffenden Auftrags gerügt. Mit dem fünften Klagegrund schließlich wurde eine Verletzung der Begründungspflicht der Kommission gerügt.

37      Mit gesondertem Schriftsatz, der am 29. Januar 2021 bei der Kanzlei des Gerichts einging, reichte OHB System einen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz ein, der auf Aussetzung des Vollzugs der in Rn. 29 des vorliegenden Urteils genannten Entscheidung gerichtet war. Mit Beschluss vom 31. Januar 2021, der auf der Grundlage von Art. 157 Abs. 2 der Verfahrensordnung des Gerichts erging, setzte der Präsident des Gerichts den Vollzug dieser Entscheidung bis zum Erlass der das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes beendenden Beschlusses aus. Mit Beschluss vom 26. Februar 2021, der ebenfalls auf der Grundlage der genannten Bestimmung erging, stellte der Präsident des Gerichts klar, dass sich der Beschluss vom 31. Januar 2021 nur auf die Erteilung des Zuschlags für den betreffenden Auftrag an ADS beziehe. Mit Beschluss vom 26. Mai 2021, OHB System/Kommission (T‑54/21 R, EU:T:2021:292), wies der Präsident des Gerichts den Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz zurück und hob die vorgenannten Beschlüsse auf.

38      Mit dem angefochtenen Urteil hat das Gericht die fünf in Rn. 36 des vorliegenden Urteils angeführten Klagegründe als unbegründet zurückgewiesen.

39      In den Rn. 58 bis 100 des angefochtenen Urteils hat das Gericht den ersten Teil des ersten Klagegrundes geprüft, mit dem ein Verstoß gegen die in Art. 136 der Haushaltsordnung vorgesehenen Ausschlusskriterien gerügt wurde, und ihn als unbegründet zurückgewiesen.

40      In den Rn. 58 bis 65 dieses Urteils hat das Gericht die drei in Art. 136 Abs. 1 Buchst. c Ziff. ii und v, Art. 136 Abs. 4 Buchst. a bzw. Art. 136 Abs. 2 Unterabs. 1 der Haushaltsordnung vorgesehenen Ausschlusskriterien dargestellt. In den Rn. 66 und 69 des Urteils hat es zunächst festgestellt, dass die Voraussetzungen für die Anwendung der ersten beiden Kriterien nicht erfüllt seien, und sodann geprüft, ob die Voraussetzungen für die Anwendung des dritten dieser Ausschlusskriterien erfüllt sind. Insoweit stelle sich die Frage, ob die Kommission dadurch, dass sie das Gremium nicht befasst habe, gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 136 Abs. 2 Unterabs. 1 und Art. 143 der Haushaltsordnung verstoßen habe. In diesem Zusammenhang hat das Gericht zunächst in den Rn. 72 bis 76 des angefochtenen Urteils einige Ausführungen zur Befassung des Gremiums gemacht und in Rn. 77 dieses Urteils auf den Inhalt von Art. 136 Abs. 2 Unterabs. 4 der Haushaltsordnung hingewiesen und sodann in Rn. 78 des Urteils festgestellt, dass der öffentliche Auftraggeber das Gremium nur dann befassen müsse, wenn die festgestellten Sachverhalte, die ihm vorlägen, ausreichende Anhaltspunkte für die Vermutung der Schuld des Bieters darstellten. In Rn. 79 des angefochtenen Urteils hat das Gericht weiter ausgeführt, dass das Erfordernis solcher Anhaltspunkte den Zielen eines Systems entspreche, das u. a. zur Früherkennung und zum Ausschluss von Bietern diene, deren Verhalten ein Risiko für die finanziellen Interessen der Union darstelle, dass es sich aus dem Grundsatz der Wirtschaftlichkeit der Haushaltsführung ergebe, da es verhindere, dass ein Vergabeverfahren ohne triftigen Grund verzögert werde, dass es aus der dem Gremium übertragenen Rolle folge und dass es sich aus der Tragweite der in Art. 136 Abs. 2 Unterabs. 1 der Haushaltsordnung genannten vorläufigen rechtlichen Bewertung ergebe, da sie das Verhalten eines Bieters im Fall des Fehlens einer rechtskräftigen Gerichts- oder einer bestandskräftigen Verwaltungsentscheidung betreffe und sich folglich nicht auf einen bloßen Verdacht stützen könne.

41      In den Rn. 80 bis 96 des angefochtenen Urteils hat das Gericht geprüft, ob die Kommission über ausreichende Anhaltspunkte dafür verfügte, dass ADS im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit eine schwere, die finanziellen Interessen der Union bedrohende Verfehlung in Form einer Absprache mit anderen Personen oder Stellen mit dem Ziel einer Wettbewerbsverzerrung oder des Versuchs, vertrauliche Informationen über das Verfahren zu erhalten, durch die sie bei dem streitigen wettbewerblichen Dialog unzulässige Vorteile hätte erlangen können, begangen hatte.

42      In den Rn. 81 bis 86 dieses Urteils hat das Gericht jedoch festgestellt, dass der Kommission in Bezug auf ein mutmaßlich rechtswidriges Verhalten von ADS nur das Schreiben vom 23. Dezember 2020 vorgelegen habe und dass das Vorbringen darin nicht als festgestellte Sachverhalte oder Erkenntnisse angesehen werden könne, die ausreichende, eine Befassung des Gremiums rechtfertigende Anhaltspunkte für eine Vermutung der Schuld von ADS darstellen könnten, und dass dieses Vorbringen nicht untermauert worden sei.

43      In den Rn. 87 bis 95 des angefochtenen Urteils hat das Gericht geprüft, ob die Kommission gleichwohl verpflichtet war, wegen dieses Vorbringens Untersuchungen anzustellen. Hierzu hat es in den Rn. 88 und 89 dieses Urteils ausgeführt, dass im Schreiben vom 23. Dezember 2020 kein ADS zurechenbares Verhalten erwähnt werde, sondern es lediglich heiße, dass ADS den ehemaligen Mitarbeiter eingestellt habe, was für sich allein keinen Anhaltspunkt für ein Verhalten von ADS darstelle, bei dem es sich um eine schwere Verfehlung im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit handeln könnte. In Rn. 90 des angefochtenen Urteils hat das Gericht festgestellt, dass OHB System mit diesem Schreiben geltend gemacht habe, dass dieser ehemalige Mitarbeiter das Geschäftsgeheimnis dadurch verletzt habe, dass er sich rechtswidrig sensible Informationen über sie beschafft habe, die geeignet gewesen seien, ADS im streitigen wettbewerblichen Dialog einen unzulässigen Vorteil zu verschaffen. Insoweit hat das Gericht in Rn. 91 des angefochtenen Urteils weiter ausgeführt, dass ein solcher Verstoß – sein Vorliegen unterstellt – jedenfalls kein Anhaltspunkt für ein Verhalten von ADS selbst wäre und daher nicht geeignet wäre, die Vermutung zu begründen, dass ADS sich schuldhaft verhalten habe. Außerdem enthielt dieses Schreiben nach Ansicht des Gerichts nur die vage und hypothetische Behauptung, dass ADS solche Informationen hätte erhalten können. Dieses Schreiben enthalte nämlich keine konkreten Angaben, mit denen sich diese angeblichen Informationen identifizieren ließen, vielmehr werde darin nur allgemein erwähnt, dass der ehemalige Mitarbeiter an der „Strategie“ des technischen Teils und der „Strategie“ in Bezug auf den Preis und die Preiskalkulation für das Angebot von OHB System beteiligt gewesen sei. Außerdem hat das Gericht in Rn. 95 des angefochtenen Urteils festgestellt, dass der ehemalige Mitarbeiter zwar bei OHB System kurz nach Abgabe ihres überarbeiteten Angebots im Rahmen der zweiten Phase des streitigen wettbewerblichen Dialogs ausgeschieden sei, er aber keine Informationen über den Inhalt des endgültigen Angebots von OHB System habe haben können, das am Ende der dritten Phase dieses Dialogs, in der die Kommission die Vergabebedingungen wesentlich geändert habe, fast ein Jahr nach dem Ausscheiden des ehemaligen Mitarbeiters abgegeben worden sei. Nach dieser Prüfung hat das Gericht in Rn. 96 des angefochtenen Urteils festgestellt, dass die Kommission somit nicht verpflichtet gewesen sei, Untersuchungen zu dem im Schreiben vom 23. Dezember 2020 enthaltenen Vorbringen anzustellen, da dieses Vorbringen – seine Stichhaltigkeit unterstellt – keine ausreichenden Anhaltspunkte geboten habe, um die Vermutung zu begründen, dass ADS sich schuldhaft verhalten hätte, was die Befassung des Gremiums gerechtfertigt hätte.

44      In Rn. 97 des angefochtenen Urteils hat das Gericht festgestellt, dass seine Beurteilung durch das Vorbringen von OHB System, die ESA habe ADS erst am 29. Januar 2021, also nach Erlass der streitigen Beschlüsse, um Informationen über den ehemaligen Mitarbeiter ersucht, nicht in Frage gestellt werde. Hierzu hat das Gericht ausgeführt, dass dies abgesehen davon, dass sich dieses Ersuchen an das Rügeschreiben, das seinerseits jüngeren Datums sei als die streitigen Beschlüsse, angeschlossen habe, nichts daran ändere, dass der Umstand, dass ADS nach Erlass dieser Beschlüsse um diese Informationen ersucht worden sei, keine Auswirkungen auf die Rechtmäßigkeit der Beschlüsse habe, da keine Pflicht zur Befassung des Gremiums bestanden habe und da das Vorbringen von OHB System keinen Bereich betroffen habe, für den es eine Untersuchungsbefugnis der Organe, Einrichtungen oder sonstigen Stellen der Union gebe.

45      Schließlich hat das Gericht in Rn. 98 des angefochtenen Urteils festgestellt, dass die Rechtsmittelführerin ihren Verdacht der Kommission erst im Schreiben vom 23. Dezember 2020 mitgeteilt habe, obwohl sie bereits im November 2019 die Untersuchung des Computers des ehemaligen Mitarbeiters angeordnet gehabt habe, und bereits im März 2020 bei den zuständigen deutschen Behörden Strafanzeige gegen den ehemaligen Mitarbeiter erstattet gehabt habe. In diesem Zeitraum (November 2019 bis Dezember 2020) sei der streitige wettbewerbliche Dialog aber von seiner zweiten Phase in seine dritte Phase übergegangen, die im August 2020 begonnen habe, und im Oktober 2020 habe OHB System ihr endgültiges Angebot eingereicht. Nach Ansicht des Gerichts zeigt dieses Verhalten der Rechtsmittelführerin, dass sie – zumindest während eines längeren Zeitraums und auch bei der Einreichung ihres endgültigen Angebots – nicht davon ausging, dass das mutmaßliche Verhalten des ehemaligen Mitarbeiters ADS im Rahmen des streitigen wettbewerblichen Dialogs einen unzulässigen Vorteil verschaffen konnte.

46      Das Gericht ist in den Rn. 99 und 100 des angefochtenen Urteils zu dem Ergebnis gelangt, dass die Kommission nicht gegen ihre Pflicht zur Befassung des Gremiums verstoßen habe und erst recht nicht das in Rn. 65 dieses Urteils genannte dritte Ausschlusskriterium verletzt habe, so dass es den ersten Teil des ersten Klagegrundes als unbegründet zurückgewiesen hat.

47      In den Rn. 103 bis 112 des angefochtenen Urteils hat das Gericht den zweiten Teil des ersten Klagegrundes geprüft, mit dem ein Verstoß gegen die Grundsätze der Gleichbehandlung und des geheimen Wettbewerbs gerügt wurde, und ihn als unbegründet zurückgewiesen.

48      Das Gericht hat zunächst in Rn. 104 des angefochtenen Urteils auf den Inhalt des Grundsatzes der Gleichbehandlung der Bieter hingewiesen und sodann in Rn. 106 dieses Urteils das Vorbringen von OHB System, wonach die Kommission ADS vom streitigen wettbewerblichen Dialog hätte ausschließen müssen, unter Verweis auf Rn. 100 des angefochtenen Urteils, aus dem hervorgehe, dass die Kommission im Fall von ADS die Ausschlusskriterien in Art. 136 der Haushaltsordnung nicht verletzt habe und dass es keinen Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung darstellen könne, dass ADS nicht ausgeschlossen worden sei, zurückgewiesen.

49      In Rn. 107 des angefochtenen Urteils hat das Gericht zunächst festgestellt, dass im vorliegenden Fall nicht dargetan worden sei, dass Zweifel an der Eigenständigkeit und Unabhängigkeit des Angebots von ADS bestünden, wozu OHB System „im Übrigen nichts Konkretes vorgetragen“ habe, und sodann in Rn. 108 dieses Urteils festgestellt, dass die Kommission nicht verpflichtet gewesen sei, das behauptete wettbewerbswidrige Verhalten von ADS aufzuklären, was erst recht für das Verhalten des ehemaligen Mitarbeiters gelte.

50      In den Rn. 109 und 110 des angefochtenen Urteils hat das Gericht festgestellt, dass diese Beurteilung nicht durch das auf mehrere Urteile des Gerichtshofs gestützte Vorbringen von OHB System in Frage gestellt werde, da die Sachverhalte, um die es in den Rechtssachen gegangen sei, in denen diese Urteile ergangen seien, keine dem in der vorliegenden Rechtssache in Rede stehenden Sachverhalt ähnliche Sach- oder Rechtslage aufwiesen.

51      In Rn. 111 des angefochtenen Urteils hat das Gericht das auf das Beweismaß und die Beweislastverteilung gestützte Vorbringen von OHB System zurückgewiesen. Unter Verweis auf die Rn. 78 und 79 dieses Urteils hat das Gericht festgestellt, dass die Befassung des Gremiums voraussetze, dass der öffentliche Auftraggeber ausreichende Anhaltspunkte dafür habe, dass der Bieter im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit eine schwere, die finanziellen Interessen der Union bedrohende Verfehlung begangen habe. Wie sich aus Rn. 96 des Urteils ergebe, hätten jedoch keine solchen Anhaltspunkte vorgelegen.

52      In den Rn. 115 bis 136 des angefochtenen Urteils hat das Gericht den zweiten Klagegrund, mit dem eine Verletzung der Pflicht zur Prüfung ungewöhnlich niedriger Angebote gerügt wurde, als unbegründet zurückgewiesen.

53      Das Gericht hat zunächst in den Rn. 115 bis 118 des angefochtenen Urteils auf den Inhalt der Nrn. 23.1 und 23.2 des Anhangs I der Haushaltsordnung sowie auf die Beurteilung in zwei Schritten hingewiesen, die der öffentliche Auftraggeber vorzunehmen habe, um sich zu vergewissern, dass ein Angebot nicht ungewöhnlich niedrig sei, und sodann in Rn. 119 dieses Urteils darauf hingewiesen, dass der Begriff „ungewöhnlich niedriges Angebot“ in der Haushaltsordnung zwar nicht definiert werde, das Vorliegen eines ungewöhnlich niedrigen Angebots aber anhand der Einzelposten des Angebots und der betreffenden Leistung zu beurteilen sei, und in Rn. 120 des Urteils darauf, dass Hinweise, die den Verdacht erwecken könnten, dass ein Angebot ungewöhnlich niedrig sei, u. a. dann vorliegen könnten, wenn es ungewiss erscheine, ob das Angebot die Rechtsvorschriften im Bereich der Vergütung des Personals, der Sozialversicherungsbeiträge, der Einhaltung der Bestimmungen über die Sicherheit und den Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz und des Verkaufs unter Selbstkosten des Landes beachte, in dem die Leistungen erbracht werden müssten, und ob der angebotene Preis alle mit den technischen Aspekten des Angebots einhergehenden Kosten umfasse. Gleiches gelte, wenn der in einem eingereichten Angebot angeführte Preis erheblich niedriger sei als der Preis bei den anderen Angeboten oder als der übliche Marktpreis.

54      In Rn. 122 des angefochtenen Urteils hat das Gericht festgestellt, dass aus der Erteilung des Zuschlags für das Angebot von ADS implizit, aber zwangsläufig folge, dass die Kommission ebenso wie der Evaluierungsausschuss keine Hinweise dafür gesehen habe, dass dieses Angebot ungewöhnlich niedrig gewesen sei, so dass kein Anlass bestanden habe, Aufklärung darüber zu verlangen. Diese Beurteilung werde durch das Vorbringen von OHB System nicht in Frage gestellt. In den Rn. 123 und 124 dieses Urteils hat das Gericht festgestellt, dass der Unterschied zwischen dem Preis des endgültigen Angebots von ADS und dem der übrigen eingereichten Angebote für sich allein angesichts der Besonderheiten des betreffenden Auftrags kein Hinweis dafür sein können, dass das Angebot von ADS ungewöhnlich niedrig sei. Der streitige wettbewerbliche Dialog habe nämlich den Erwerb von Produkten betroffen, für die es keinen Marktpreis gebe.

55      In Rn. 127 des angefochtenen Urteils hat das Gericht festgestellt, dass die Rechtsmittelführerin außer dem Preisunterschied nichts Konkretes zur Stützung ihrer Behauptung vorgebracht habe, dass das Angebot von ADS ungewöhnlich niedrig hätte erscheinen müssen. Insbesondere habe sie nicht geltend gemacht, dass die Rechtsvorschriften des Landes, in dem die Dienstleistungen erbracht werden sollten, nicht eingehalten worden seien oder dass in den von ADS angebotenen Preis nicht alle durch die technischen Aspekte ihres Angebots verursachten Kosten eingeflossen seien.

56      In den Rn. 132 und 133 des angefochtenen Urteils hat das Gericht festgestellt, dass OHB System nicht dargetan habe, dass Hinweise vorgelegen hätten, die bei der Kommission den Verdacht hätten erwecken können, dass das Angebot von ADS ungewöhnlich niedrig sein könnte, und daraus geschlossen, dass die Kommission nicht zu einer Überprüfung der Einzelposten des Angebots von ADS verpflichtet gewesen sei und ihre Pflichten hinsichtlich der Prüfung ungewöhnlich niedriger Angebote nicht verletzt habe.

57      Schließlich hat das Gericht in den Rn. 134 und 135 des angefochtenen Urteils das von OHB System in der mündlichen Verhandlung vorgebrachte Argument zurückgewiesen, wonach mit ihrem Vorbringen, die Kommission habe sich nicht auf die Angabe beschränken dürfen, dass ihr das Angebot von ADS nicht ungewöhnlich niedrig erscheine, ein Begründungsmangel habe geltend gemacht werden sollen. Hierzu hat das Gericht festgestellt, dass die Rechtsmittelführerin kein eigenständiges Argument zur Stützung dieser Rüge eines gerügten Begründungsmangels vorgetragen habe, sondern der Kommission lediglich vorgeworfen habe, nicht geprüft zu haben, ob ungewöhnlich niedrige Angebote vorlägen; dies stelle keine Rüge der Verletzung wesentlicher Formvorschriften – insbesondere eines Begründungsmangels der angefochtenen Beschlüsse – dar, sondern betreffe die Begründetheit dieser Beschlüsse.

 Anträge der Parteien des Rechtsmittelverfahrens

58      Mit ihrem Rechtsmittel beantragt OHB System,

–        das angefochtene Urteil aufzuheben und die streitigen Beschlüsse für nichtig zu erklären;

–        hilfsweise, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache an das Gericht zurückzuverweisen;

–        der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

59      Die Kommission beantragt,

–        den ersten Rechtsmittelgrund zurückzuweisen;

–        den zweiten und den dritten Rechtsmittelgrund als unzulässig, hilfsweise als unbegründet, zurückzuweisen;

–        OHB System die Kosten aufzuerlegen.

 Zum Rechtsmittel

60      Die Rechtsmittelführerin stützt ihr Rechtsmittel auf drei Gründe. Mit dem ersten Rechtsmittelgrund wird eine fehlerhafte Auslegung und Anwendung des Gleichheitsgrundsatzes gerügt. Mit dem zweiten Rechtsmittelgrund wird eine unvollständige Subsumtion mangels Berücksichtigung des Rügeschreibens gerügt. Mit dem dritten Rechtsmittelgrund wird die fehlende Prüfung eines Begründungsmangels gerügt.

 Vorbringen der Parteien

61      Mit ihrem ersten Rechtsmittelgrund macht OHB System im Wesentlichen geltend, das Gericht habe den in Art. 160 Abs. 1 der Haushaltsordnung genannten Grundsatz der Gleichbehandlung rechtsfehlerhaft ausgelegt und angewandt. Dieser Rechtsmittelgrund gliedert sich in zwei Teile.

62      Mit dem ersten Teil dieses Rechtsmittelgrundes macht OHB System im Wesentlichen geltend, das Gericht habe in Rn. 106 des angefochtenen Urteils zu Unrecht festgestellt, dass ein Angebotsausschluss nur dann erfolgen könne, wenn die Ausschlusskriterien in Art. 136 der Haushaltsordnung erfüllt seien, obwohl nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs unabhängig vom Vorliegen konkreter Ausschlussgründe ein Angebotsausschluss erforderlich sei, wenn das Angebot entgegen dem Grundsatz der Gleichbehandlung nicht eigenständig und unabhängig erstellt worden sei (Urteile vom 17. Mai 2018, Specializuotas transportas, C‑531/16, EU:C:2018:324, und vom 11. Juli 2019, Telecom Italia, C‑697/17, EU:C:2019:599). Dies sei aber der Fall, wenn ein Bieter bei der Angebotsabgabe über ungerechtfertigte Vorteile gegenüber den anderen Bietern verfüge, was zwangsläufig zu einer Beeinträchtigung von deren Wettbewerbssituation führe. Das Gericht habe es somit zu Unrecht unterlassen, zu prüfen, ob ein Ausschluss des Angebots von ADS aufgrund eines Verstoßes gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung hätte erfolgen müssen.

63      Mit dem zweiten Teil dieses Rechtsmittelgrundes wirft OHB System dem Gericht erstens vor, in Rn. 111 des angefochtenen Urteils den geltend gemachten Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung nicht auf der Grundlage der dafür geltenden Maßstäbe geprüft zu haben. Anstatt nämlich zu beurteilen, ob der öffentliche Auftraggeber in jedem Abschnitt des Verfahrens aktiv für die Einhaltung des Grundsatzes der Gleichbehandlung und der Chancengleichheit der Bieter gesorgt habe, indem er etwaige Interessenkonflikte geprüft und geeignete Maßnahmen ergriffen habe, um sie zu verhindern, aufzudecken und zu beheben, habe sich das Gericht darauf beschränkt, gemäß Art. 136 der Haushaltsordnung zu prüfen, ob ausreichende Anhaltspunkte dafür vorlägen, dass ADS im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit eine schwere, die finanziellen Interessen der Union bedrohende Verfehlung begangen habe, die geeignet gewesen sei, eine Befassung des Gremiums zu rechtfertigen.

64      Zweitens habe das Gericht in den Rn. 108 bis 110 des angefochtenen Urteils zwei Rechtsfehler begangen. Zum einen habe es – in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht – nicht begründet, weshalb die in Rn. 109 des angefochtenen Urteils angeführte Rechtsprechung nicht einschlägig sein sollte, obwohl sich der Präsident des Gerichts in seinem Beschluss vom 26. Mai 2021, OHB System/Kommission (T‑54/21 R, EU:T:2021:292), bei der Beurteilung der Voraussetzung des Vorliegens eines fumus boni iuris auf diese Rechtsprechung bezogen habe. Zum anderen habe das Gericht die Rechtsprechung zum Beweismaß, mit dem sich nachweisen lasse, dass weder eigenständige noch unabhängige Angebote vorlägen (Urteil vom 17. Mai 2018, Specializuotas transportas, C‑531/16, EU:C:2018:324), nicht berücksichtigt, aus der sich ergebe, dass es einem abgelehnten Bieter nicht obliege, einen Vollbeweis für eine Störung des Wettbewerbs zu erbringen, sondern dass es genüge, dass er dem öffentlichen Auftraggeber die Indizien für diese Störung zur Kenntnis bringe, damit dieser verpflichtet sei, eine Prüfung vorzunehmen und den anderen Bieter, im vorliegenden Fall ADS, aufzufordern, den Beweis des Gegenteils zu erbringen. Hätte das Gericht diese Grundsätze berücksichtigt, wäre es zu dem Ergebnis gelangt, dass OHB System solche Indizien beigebracht habe.

65      Die Kommission hält beide Teile des ersten Rechtsmittelgrundes für unbegründet.

 Würdigung durch den Gerichtshof

66      Mit ihrem ersten Rechtsmittelgrund, der sich auf die Rn. 106 und 109 bis 111 des angefochtenen Urteils bezieht, wirft OHB System dem Gericht im Wesentlichen vor, dadurch einen Rechtsfehler begangen zu haben, dass es die Einhaltung des Grundsatzes der Gleichbehandlung nur anhand der in Art. 136 der Haushaltsordnung vorgesehenen Ausschlusskriterien und nicht auch anhand der Rechtsprechung des Gerichtshofs zum Erfordernis der Eigenständigkeit und Unabhängigkeit des Angebots sowie zum Beweismaß geprüft habe, das von einem konkurrierenden Bieter verlangt werde, damit der öffentliche Auftraggeber verpflichtet sei, die von diesem Bieter insoweit vorgelegten Indizien zu prüfen.

67      Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass gemäß Art. 160 Abs. 1 der Haushaltsordnung für Verträge, die ganz oder teilweise aus dem Unionshaushalt finanziert werden, die Grundsätze der Transparenz, der Verhältnismäßigkeit, der Gleichbehandlung und der Nichtdiskriminierung gelten. Nach Abs. 2 dieses Artikels werden alle Verträge auf der Grundlage eines möglichst breiten Wettbewerbs vergeben.

68      Nach ständiger Rechtsprechung bedeuten der Gleichbehandlungsgrundsatz und die Transparenzpflicht u. a., dass die Bieter sowohl zu dem Zeitpunkt, zu dem sie ihre Angebote vorbereiten, als auch zu dem Zeitpunkt, zu dem diese vom öffentlichen Auftraggeber beurteilt werden, gleichbehandelt werden müssen, und dass sie die Grundlage der Unionsvorschriften über die Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge bilden (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 11. Juli 2019, Telecom Italia, C‑697/17, EU:C:2019:599, Rn. 32, und vom 13. Juni 2024, BibMedia, C‑737/22, EU:C:2024:495, Rn. 30 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

69      Daraus folgt, dass der Grundsatz der Gleichbehandlung der Bieter, der die Entwicklung eines gesunden und effektiven Wettbewerbs zwischen den sich um einen öffentlichen Auftrag bewerbenden Unternehmen fördern soll, gebietet, dass alle Bieter bei der Abfassung ihrer Angebote die gleichen Chancen haben, was voraussetzt, dass die Angebote aller Wettbewerber den gleichen Bedingungen unterworfen sein müssen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 12. März 2015, eVigilo, C‑538/13, EU:C:2015:166, Rn. 33, und vom 8. Juni 2023, ANAS, C‑545/21, EU:C:2023:451, Rn. 32 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

70      Somit ist der öffentliche Auftraggeber in jedem Abschnitt eines Ausschreibungsverfahrens verpflichtet, für die Einhaltung dieses Grundsatzes und damit der Chancengleichheit aller Bieter zu sorgen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 29. April 2004, Kommission/CAS Succhi di Frutta, C‑496/99 P, EU:C:2004:236, Rn. 108 bis 110, und vom 12. März 2015, eVigilo, C‑538/13, EU:C:2015:166, Rn. 33).

71      Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs ergibt sich, dass der öffentliche Auftraggeber in Anbetracht seiner Pflicht, den Grundsatz der Gleichbehandlung und der Chancengleichheit aller Bieter zu beachten, die zum Kern der Unionsvorschriften über die Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge gehört, in jedem Fall zu prüfen hat, ob etwaige Interessenkonflikte bestehen, und geeignete Maßnahmen zu ergreifen hat, um Interessenkonflikte zu verhindern, aufzudecken und zu beheben (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 17. Mai 2018, Specializuotas transportas, C‑531/16, EU:C:2018:324, Rn. 32 und die dort angeführte Rechtsprechung).

72      In Anbetracht der in Rn. 68 des vorliegenden Urteils angeführten Grundsätze ist diese Rechtsprechung entgegen den Feststellungen des Gerichts in den Rn. 109 und 110 des angefochtenen Urteils auf einen Sachverhalt wie den im vorliegenden Fall in Rede stehenden übertragbar, der dadurch gekennzeichnet ist, dass ein Bieter während eines wettbewerblichen Dialogs einen Manager für das operative Geschäft eines konkurrierenden Bieters mit weitreichendem Zugang zu den Projektdaten von dessen Angebot einstellt, insbesondere soweit dieser Manager anschließend an die Spitze der Abteilung gesetzt wurde, die dafür zuständig war, im Rahmen des wettbewerblichen Dialogs das Angebot zu erstellen, das der Bieter, der die Einstellung vorgenommen hat, einreichte.

73      Denn zwar wird der Gleichheitsgrundsatz nicht allein dadurch verletzt, dass während eines wettbewerblichen Dialogs ein leitender Mitarbeiter eines konkurrierenden Bieters eingestellt wird, der dem ersten Anschein nach über vertrauliche Informationen über dessen Angebot, insbesondere über die technische Strategie und die Preisberechnung, verfügen kann, doch lässt sich nicht ausschließen, dass der einstellende Bieter diese Informationen mittels dieser Einstellung erlangt hat und dass diese ihm somit im Vergabeverfahren einen unzulässigen Vorteil verschafft hat. Dies könnte dem einstellenden Bieter aber ungerechtfertigte Vorteile gegenüber den anderen Bietern verschaffen und zwangsläufig zu einer Beeinträchtigung von deren Wettbewerbssituation führen. Eine solche Situation würde grundsätzlich sogar ausreichen, um zu rechtfertigen, dass das Angebot des einstellenden Bieters vom öffentlichen Auftraggeber nicht berücksichtigt wird (vgl. entsprechend Urteil vom 11. Juli 2019, Telecom Italia, C‑697/17, EU:C:2019:599, Rn. 51 und 52).

74      Mithin hat in einer solchen Situation ein öffentlicher Auftraggeber, der von objektiven Anhaltspunkten Kenntnis erlangt, die Zweifel an der Eigenständigkeit und Unabhängigkeit eines Angebots aufkommen lassen, alle relevanten Umstände zu prüfen, die zur Einreichung des betreffenden Angebots geführt haben, um Faktoren, die das Vergabeverfahren beeinträchtigen könnten, zu verhindern, aufzudecken und zu beheben, gegebenenfalls auch dadurch, dass die Parteien aufgefordert werden, bestimmte Informationen und Beweise vorzulegen (Urteil vom 17. Mai 2018, Specializuotas transportas, C‑531/16, EU:C:2018:324, Rn. 33 und die dort angeführte Rechtsprechung).

75      Im vorliegenden Fall beruhen die Erwägungen des Gerichts in den Rn. 106, 109 und 110 des angefochtenen Urteils auf einer unzutreffenden Auslegung der in den Rn. 67 bis 71 des vorliegenden Urteils angeführten Grundsätze.

76      Was im Übrigen das Beweismaß angeht, mit dem sich nachweisen lässt, dass weder eigenständige noch unabhängige Angebote vorliegen, so verlangt der Effektivitätsgrundsatz, dass der Nachweis für einen Verstoß gegen das Vergaberecht der Union nicht nur durch unmittelbare Beweise erbracht werden kann, sondern auch mittels Indizien, sofern diese objektiv und übereinstimmend sind, und dass die miteinander verbundenen Bieter in der Lage sind, den Beweis des Gegenteils zu erbringen (Urteil vom 17. Mai 2018, Specializuotas transportas, C‑531/16, EU:C:2018:324, Rn. 37 und die dort angeführte Rechtsprechung).

77      Daraus folgt, dass der öffentliche Auftraggeber bei Vorliegen jedweden objektiven Anhaltspunkts, der Zweifel an der Eigenständigkeit und Unabhängigkeit eines Angebots aufkommen lässt, nicht nur, wenn er durch unmittelbare Beweise nachgewiesen wird, sondern auch, wenn er mittels Indizien nachgewiesen wird, verpflichtet ist, alle relevanten Umstände zu prüfen, die zur Einreichung dieses Angebots geführt haben, einschließlich des Vorliegens etwaiger Interessenkonflikte.

78      Daher hat das Gericht einen Rechtsfehler begangen, indem es in Rn. 111 des angefochtenen Urteils unter Verkennung der in den Rn. 74 und 76 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung zur Verpflichtung des öffentlichen Auftraggebers, ein wettbewerbswidriges Verhalten zu prüfen, wenn ein solches behauptet und ihm zur Kenntnis gebracht worden ist, festgestellt hat, dass das auf das Beweismaß und die Beweislastverteilung gestützte Vorbringen von OHB System allein deshalb zurückzuweisen sei, weil die Befassung des Gremiums voraussetze, dass der öffentliche Auftraggeber ausreichende Anhaltspunkte dafür habe, dass der Bieter im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit eine schwere, die finanziellen Interessen der Union bedrohende Verfehlung begangen habe.

79      Nach alledem ist dem ersten Rechtsmittelgrund stattzugeben und das angefochtene Urteil folglich aufzuheben, ohne dass der zweite und der dritte Rechtsmittelgrund, die nicht zu einer weiter gehenden Aufhebung des angefochtenen Urteils führen können, geprüft zu werden bräuchten.

 Zur Klage vor dem Gericht

80      Nach Art. 61 Abs. 1 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union hebt der Gerichtshof, wenn das Rechtsmittel begründet ist, die Entscheidung des Gerichts auf. Er kann sodann den Rechtsstreit selbst endgültig entscheiden, wenn dieser zur Entscheidung reif ist, oder die Sache zur Entscheidung an das Gericht zurückverweisen.

81      In Rn. 78 des vorliegenden Urteils ist festgestellt worden, dass das Gericht einen Rechtsfehler begangen hat, indem es das Vorbringen von OHB System nicht geprüft hat, mit dem sie rügt, dass die Kommission ihre Pflicht verkannt habe, bei Vorliegen eines objektiven Anhaltspunkts, der Zweifel an der Eigenständigkeit und Unabhängigkeit eines Angebots aufkommen lasse, alle relevanten Umstände zu prüfen, die zur Einreichung dieses Angebots geführt hätten, einschließlich etwaiger Interessenkonflikte, und geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um solche zu verhindern, aufzudecken und zu beheben.

82      Da das Gericht diese Prüfung, zu der es nach ständiger Rechtsprechung verpflichtet war, nicht vorgenommen hat, stellt der Gerichtshof fest, dass der vorliegende Rechtsstreit nicht zur Entscheidung reif ist. Die Sache ist daher an das Gericht zurückzuverweisen.

 Kosten

83      Da die Sache an das Gericht zurückverwiesen wird, ist die Entscheidung über die Kosten des vorliegenden Rechtsmittelverfahrens vorzubehalten.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Siebte Kammer) für Recht erkannt und entschieden:

1.      Das Urteil des Gerichts der Europäischen Union vom 26. April 2023, OHB System/Kommission (T54/21, EU:T:2023:210) wird aufgehoben.

2.      Die Sache wird an das Gericht der Europäischen Union zurückverwiesen.

3.      Die Kostenentscheidung bleibt vorbehalten.

Gavalec

Csehi

Schalin

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 12. Juni 2025 .

Der Kanzler

 

Der Kammerpräsident

A. Calot Escobar

 

M. Gavalec



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