Vorläufige Fassung
SCHLUSSANTRÄGE DER GENERALANWÄLTIN
JULIANE KOKOTT
vom 22. Mai 2025(1 )
Rechtssache C ‑524/23
Europäische Kommission
gegen
Königreich Belgien
„ Vertragsverletzungsverfahren – Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/1164 – Vorschriften zur Bekämpfung von Steuervermeidungspraktiken mit unmittelbaren Auswirkungen auf das Funktionieren des Binnenmarkts – Gesetzgebungskompetenz der Union – Art. 115 AEUV – Nichtumsetzung von Art. 8 Abs. 7 der Richtlinie – Mindestharmonisierung – Reichweite der Umsetzungspflicht “
I. Einleitung
1. Dieses Vertragsverletzungsverfahren ist im Bereich der Vorschriften zur Bekämpfung von Steuervermeidungspraktiken angesiedelt. Direkte Steuern, wie die vorliegend betroffene Körperschaftsteuer, unterfallen grundsätzlich der Finanz- und Steuerhoheit der Mitgliedstaaten. Dem Rat erschien es allerdings zweckmäßig, Steuervermeidungspraktiken auf Unionsebene zu bekämpfen, um eine Fragmentierung des Binnenmarkts zu verhindern und Inkongruenzen und Marktverzerrungen zu beseitigen. Dazu führte er mit der Richtlinie (EU) 2016/1164 vom 12. Juli 2016(2 ) („Anti-Tax Avoidance Directive“, im Folgenden: ATAD) einen unionsweiten Mindestschutz für die nationalen Körperschaftsteuersysteme gegen Steuervermeidungspraktiken ein.
2. Die ATAD enthält neben einer allgemeinen Vorschrift zur Missbrauchsvermeidung eine spezielle Vorschrift, die sich gegen Steuervorteile durch die Gewinnverlagerung auf eine ausländische Tochtergesellschaft richtet. Der klassische Fall ist die Gründung einer Tochtergesellschaft im niedrigbesteuerten Ausland, welche mit Kapital ausgestattet wird und dann ein Darlehen an die Muttergesellschaft vergibt. Die Zinseinnahmen werden im Ausland niedrig besteuert und sind im höher besteuerten Inland als Betriebsausgaben abziehbar. Damit wird der Gewinn in das niedrig besteuerte Ausland verlagert. Die ATAD verpflichtet Belgien nun zu einer sogenannten Hinzurechnungsbesteuerung. Dabei werden die von der Tochtergesellschaft im Ausland erzielten Einkünfte als Einkünfte der Muttergesellschaft im Inland erfasst (dieser hinzugerechnet) und mit dem (höheren) belgischen Steuersatz belastet. Art. 8 Abs. 7 ATAD beschränkt diese Rechtsfolge aber. So soll die im Ausland gezahlte (niedrigere) Steuer der Tochtergesellschaft von der inländischen (höheren) Steuerschuld der Muttergesellschaft abgezogen werden können.
3. Das Königreich Belgien wollte im Interesse eines stärkeren Schutzes seiner Steuerbemessungsgrundlage jedoch keinen solchen Abzug zulassen und berief sich darauf, dass die ATAD nur eine Mindestharmonisierung regele. Darin sah die Kommission eine Vertragsverletzung.
4. Das daraufhin eingeleitete Vertragsverletzungsverfahren erlangt zum einen dadurch besondere Brisanz, dass die unionsrechtliche Kompetenz für diese Richtlinie nicht zweifelsfrei ist. Auch wenn alle Mitgliedstaaten einer Richtlinie zugestimmt haben, kann dies eine in den Verträgen nicht vorgesehene Unionskompetenz weder begründen noch ersetzen. Zum anderen stellt sich die allgemeine unionsrechtliche Frage, über welchen Spielraum die Mitgliedstaaten bei der Umsetzung von Richtlinien zur Mindestharmonisierung verfügen, die detaillierte Regelungen auch zu Ausnahmetatbeständen enthalten.
II. Rechtlicher Rahmen
A. Unionsrecht
5. Die ATAD führt ausweislich ihrer Überschrift Vorschriften zur Bekämpfung von Steuervermeidungspraktiken mit unmittelbaren Auswirkungen auf das Funktionieren des Binnenmarkts ein.
6. Zum Hintergrund des Erlasses der Richtlinie erläutern deren Erwägungsgründe 1, 2, 3, 5, 11, 12, 14 und 16:
„(1) Die gegenwärtigen politischen Prioritäten im internationalen Steuerwesen stellen darauf ab, eine Besteuerung an dem Ort der Gewinnerwirtschaftung und der Wertschöpfung zu gewährleisten. Es ist daher unbedingt erforderlich, dass das Vertrauen in die Fairness der Steuersysteme wiederhergestellt und den Regierungen eine wirksame Ausübung ihrer Steuerhoheit ermöglicht wird. …
(2) … Damit der Binnenmarkt gut funktionieren kann, müssen die Mitgliedstaaten zumindest ihre BEPS-Verpflichtungen[(3 )] erfüllen und allgemeine Maßnahmen zur Bekämpfung von Steuervermeidungspraktiken und zur Gewährleistung einer fairen und wirksamen Besteuerung in der Union ergreifen und dabei in ausreichend kohärenter und koordinierter Weise vorgehen. …
(3) Es müssen Vorschriften festgelegt werden, um den durchschnittlichen Schutz gegen aggressive Steuerplanung im Binnenmarkt anzuheben. …
(5) Es müssen Vorschriften festgelegt werden, um der Aushöhlung der Steuerbemessungsgrundlage (Gewinnverkürzung) im Binnenmarkt und der Verlagerung von Gewinnen in Drittländer entgegenzuwirken. Hierfür sind Vorschriften in folgenden Bereichen erforderlich: Beschränkung der Abzugsfähigkeit von Zinsen (Zinsschranke), Wegzugsbesteuerung, allgemeine Vorschrift zur Verhinderung von Missbrauch, Vorschriften für beherrschte ausländische Unternehmen und Vorschriften für das Vorgehen gegen hybride Gestaltungen. Führen diese Vorschriften zu Doppelbesteuerung, sollten Steuerpflichtige durch Abzug der in einem anderen Mitgliedstaat oder einem Drittland entrichteten Steuer entlastet werden. Die Vorschriften sollen somit nicht nur Steuervermeidungspraktiken unterbinden, sondern auch verhindern, dass Markthemmnisse wie Doppelbesteuerung entstehen.
(11) Allgemeine Vorschriften zur Verhinderung von Missbrauch dienen in Steuersystemen dazu, gegen missbräuchliche Steuerpraktiken vorzugehen, für die noch keine besonderen Vorschriften bestehen. Allgemeine Vorschriften zur Verhinderung von Missbrauch sollen somit Lücken schließen, ohne sich auf die Anwendbarkeit besonderer Vorschriften zur Verhinderung von Missbrauch auszuwirken. …
(12) Die Vorschriften für beherrschte ausländische Unternehmen bewirken, dass die Einkünfte einer niedrig besteuerten beherrschten Tochtergesellschaft ihrer Muttergesellschaft zugerechnet werden. Damit ist die Muttergesellschaft für diese ihr zugerechneten Einkünfte in dem Staat steuerpflichtig, in dem sie steuerlich ansässig ist. … Um einen höheren Schutz zu gewährleisten, könnten die Mitgliedstaaten den Schwellenwert für die Beherrschung senken oder einen höheren Schwellenwert ansetzen, indem die tatsächlich entrichtete Körperschaftsteuer mit der Körperschaftsteuer, die in dem Mitgliedstaat des Steuerpflichtigen erhoben worden wäre, verglichen wird. …
(16) Ein wesentliches Ziel der vorliegenden Richtlinie ist es, die Resilienz des Binnenmarkts insgesamt gegenüber grenzüberschreitenden Steuervermeidungspraktiken zu stärken, was nicht ausreichend erreicht werden kann, wenn die Mitgliedstaaten einzeln tätig werden. … Stattdessen sollten in Anbetracht der Tatsache, dass Ineffizienz im Binnenmarkt vor allem zu grenzüberschreitenden Problemen führt, Abhilfemaßnahmen auf Unionsebene ergriffen werden. … Entsprechend dem … Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geht die vorliegende Richtlinie nicht über das zur Erreichung des genannten Ziels erforderliche Maß hinaus. Indem sie einen Mindestschutz für den Binnenmarkt vorsieht, wird mit der Richtlinie nur das zur Erreichung dieses Ziels erforderliche Mindestmaß an Koordination innerhalb der Union angestrebt.“
7. Art. 3 ATAD („Mindestschutzniveau“) bestimmt:
„Diese Richtlinie verhindert nicht die Anwendung nationaler oder vertraglicher Bestimmungen zur Wahrung eines höheren Maßes an Schutz der inländischen Körperschaftsteuerbemessungsgrundlagen.“
8. Art. 6 ATAD, überschrieben als „Allgemeine Vorschrift zur Verhinderung von Missbrauch“, bestimmt in seinen Abs. 1 und 2:
„(1) Liegt unter Berücksichtigung aller relevanten Fakten und Umstände eine unangemessene Gestaltung oder eine unangemessene Abfolge von Gestaltungen vor, bei der der wesentliche Zweck oder einer der wesentlichen Zwecke darin besteht, einen steuerlichen Vorteil zu erlangen, der dem Ziel oder Zweck des geltenden Steuerrechts zuwiderläuft, so berücksichtigen die Mitgliedstaaten diese bei der Berechnung der Körperschaftsteuerschuld nicht. Eine Gestaltung kann mehr als einen Schritt oder Teil umfassen.
(2) Für die Zwecke von Absatz 1 gilt eine Gestaltung oder eine Abfolge solcher Gestaltungen in dem Umfang als unangemessen, als sie nicht aus triftigen wirtschaftlichen Gründen vorgenommen wurde, die die wirtschaftliche Realität widerspiegeln.“
9. Art. 7 ATAD enthält Regeln über die Hinzurechnung der Einkünfte beherrschter ausländischer Unternehmen in die Steuerbemessungsgrundlage des Steuerpflichtigen. Abs. 1 definiert den Begriff des beherrschten ausländischen Unternehmens; u. a. müssen mehr als 50 % der Stimmrechte, des Kapitals oder der Gewinnrechte auf den Steuerpflichtigen entfallen. Für die Hinzurechnungsbesteuerung überlässt Abs. 2 den Mitgliedstaaten in seinen Buchst. a und b die Wahl zwischen zwei Optionen:
„Wird ein Unternehmen oder eine Betriebsstätte als beherrschtes ausländisches Unternehmen gemäß Absatz 1 behandelt, so wird im Mitgliedstaat des Steuerpflichtigen Folgendes in die Steuerbemessungsgrundlage einbezogen:
a) die nicht ausgeschütteten Einkünfte des Unternehmens oder die Einkünfte der Betriebsstätte aus folgenden Kategorien: …
oder
b) die nicht ausgeschütteten Einkünfte des Unternehmens oder der Betriebsstätte aus unangemessenen Gestaltungen, deren wesentlicher Zweck darin besteht, einen steuerlichen Vorteil zu erlangen.
Für Zwecke dieses Buchstabens gilt eine Gestaltung oder eine Abfolge von Gestaltungen als unangemessen, sofern das Unternehmen oder die Betriebsstätte nicht selbst Eigentümer der Vermögenswerte wäre oder die Risiken, aus denen seine gesamten Einkünfte oder Teile davon erzielt werden, nicht eingegangen wäre, wenn es nicht von einer Gesellschaft beherrscht würde, deren Entscheidungsträger die für diese Vermögenswerte und Risiken relevanten Aufgaben ausführen, die für die Erzielung der Einkünfte des beherrschten Unternehmens ausschlaggebend sind.“
10. Art. 8 Abs. 2 („Berechnung der Einkünfte eines beherrschten ausländischen Unternehmens“) bestimmt:
„Findet Artikel 7 Absatz 2 Buchstabe b Anwendung, so sind die in die Steuerbemessungsgrundlage des Steuerpflichtigen einzubeziehenden Einkünfte auf Beträge begrenzt, die durch Vermögenswerte und Risiken erzielt werden, die mit den Aufgaben von Entscheidungsträgern zusammenhängen, die von der beherrschenden Gesellschaft ausgeführt werden. Die Zurechnung der Einkünfte eines beherrschten ausländischen Unternehmens erfolgt nach dem Fremdvergleichsgrundsatz.“
11. Art. 8 Abs. 7 ATAD sieht insoweit vor:
„Der Mitgliedstaat des Steuerpflichtigen lässt einen Abzug der von dem Unternehmen oder der Betriebsstätte entrichteten Steuer von der Steuerschuld des Steuerpflichtigen in dem Land seines Steuersitzes oder Steuerstandorts zu. Der Abzug wird nach den nationalen Rechtsvorschriften berechnet.“
B. Belgisches Recht
12. Das Königreich Belgien hat die ATAD durch das Gesetz vom 25. Dezember 2017 zur Reform der Körperschaftsteuer (M.B. , 29.12.2017, S. 116422) in nationales Recht umgesetzt. Dadurch wurde insbesondere ein neuer Art. 185/2 in das Einkommensteuergesetzbuch 1992 eingefügt, der – entsprechend der Option von Art. 7 Abs. 2 Buchst. b ATAD – eine Hinzurechnungsbesteuerung allein für unangemessene Gestaltungen vorsah. Von einer Umsetzung der Möglichkeit zum Steuerabzug nach Art. 8 Abs. 7 ATAD wurde abgesehen.
III. Hintergrund des Rechtsstreits
13. Nach Ablauf der Frist zur Umsetzung der Richtlinie am 31. Dezember 2018 (Art. 11 Abs. 1 ATAD) teilte das Königreich Belgien der Kommission die zur Umsetzung der Richtlinie erlassenen Vorschriften mit. Die dabei übermittelte Entsprechungstabelle wies im Hinblick auf Art. 8 Abs. 7 ATAD darauf hin, dass diese Option wegen Art. 3 ATAD (Mindestschutzniveau) nicht gewählt wurde. Mit Schreiben vom 2. Juli 2020 forderte die Kommission das Königreich Belgien nach Art. 258 AEUV auf, zu dem Umstand Stellung zu nehmen, dass die mitgeteilten Maßnahmen keine Vorschriften zur Umsetzung von Art. 4 Abs. 4 Buchst. b, Art. 4 Abs. 7 und Art. 8 Abs. 7 enthielten. Mit Blick auf Art. 4 kündigte das Königreich Belgien in seiner Antwort vom 24. November 2020 an, die erforderlichen Änderungen vorzunehmen, und teilte diese der Kommission am 9. März 2021 mit. Eine Umsetzung von Art. 8 Abs. 7 lehnte das Königreich Belgien hingegen ab.
14. Am 2. Dezember 2021 forderte die Kommission das Königreich Belgien in einer mit Gründen versehenen Stellungnahme dazu auf, binnen zwei Monaten die erforderlichen Maßnahmen zur Umsetzung von Art. 8 Abs. 7 zu erlassen. Das Königreich Belgien kündigte in seiner Antwort vom 2. Februar 2022 an, die erforderlichen Maßnahmen zur Umsetzung von Art. 8 Abs. 7 im ersten Halbjahr 2022 zu erlassen. Am 10. Januar 2023 teilten die belgischen Behörden der Kommission mit, dass die belgische Regierung keinen politischen Konsens über die Annahme der Maßnahmen zur Umsetzung von Art. 8 Abs. 7 erzielen konnte und das Königreich Belgien daher seinen Standpunkt hinsichtlich der Nichtumsetzung von Art. 8 Abs. 7 beibehalten würde. Die belgische Bestimmung werde nur im Fall von Steuermissbrauch angewandt; dort sei der abschreckende Charakter von großer Bedeutung, und es sei unangebracht, einen Abzug ausländischer Steuern zu erlauben. Ohnehin seien solche Einnahmen bisher noch nicht besteuert worden, so dass noch kein Unternehmen mit der Anwendung dieser Bestimmung Nachteile erlitten habe.
IV. Anträge und Verfahren vor dem Gerichtshof
15. Mit Schriftsatz vom 11. August 2023 erhob die Kommission gemäß Art. 258 Abs. 2 AEUV Klage beim Gerichtshof gegen das Königreich Belgien und beantragt,
– festzustellen, dass das Königreich Belgien dadurch gegen seine Verpflichtungen aus der Richtlinie verstoßen hat, dass es nicht die Rechts- und Verwaltungsvorschriften erlassen hat, die erforderlich sind, um Art. 8 Abs. 7 dieser Richtlinie nachzukommen;
– dem Königreich Belgien die Kosten aufzuerlegen.
16. Das Königreich Belgien beantragt,
– die Klage der Kommission als unzulässig, hilfsweise, als unbegründet abzuweisen;
– der Kommission die Kosten aufzuerlegen.
17. Das Königreich der Niederlande unterstützt die Anträge des Königreichs Belgien als Streithelfer.
18. Die Parteien haben sich schriftlich und – mit Ausnahme des Königreichs der Niederlande – in der Verhandlung vom 21. Oktober 2024 mündlich geäußert.
V. Rechtliche Würdigung
A. Zur Zulässigkeit der Klage
19. Das Königreich Belgien hält die Klage für unzulässig, da die Kommission die Klagegründe in der mit Gründen versehenen Stellungnahme und in der Klageschrift nicht hinreichend klar und genau dargelegt habe. Dieses Vorbringen ist zurückzuweisen.
20. Die Klageschrift muss nach Art. 21 Abs. 1 Satz 2 der Satzung des Gerichtshofs und Art. 120 Buchst. c der Verfahrensordnung den Streitgegenstand bezeichnen und eine kurze Darstellung der geltend gemachten Klagegründe enthalten; diese Angaben müssen so klar und deutlich sein, dass sie dem Beklagten die Vorbereitung seines Verteidigungsvorbringens und dem Gerichtshof die Wahrnehmung seiner Kontrollaufgabe ermöglichen.(4 )
21. Nach ständiger Rechtsprechung wird der Gegenstand einer Vertragsverletzungsklage nach Art. 258 AEUV durch die mit Gründen versehene Stellungnahme der Kommission festgelegt, so dass die Klage auf die gleichen Gründe und das gleiche Vorbringen gestützt sein muss wie diese Stellungnahme.(5 ) Dies erfordert jedoch nicht, dass die Anträge in der Klageschrift völlig mit dem Tenor der mit Gründen versehenen Stellungnahme übereinstimmen; die Klageschrift darf den Streitgegenstand, wie er durch die mit Gründen versehene Stellungnahme festgelegt ist, nur nicht erweitern oder ändern.(6 )
22. Die Kommission beantragt in der Klageschrift vom 11. August 2023 festzustellen, dass das Königreich Belgien dadurch gegen seine Verpflichtungen aus der ATAD verstoßen hat, dass es deren Art. 8 Abs. 7 nicht ordnungsgemäß umgesetzt hat. Dass die Kommission in der Klageschrift von einer nicht ordnungsgemäßen Umsetzung von Art. 8 Abs. 7 ATAD spricht, während in der mit Gründen versehenen Stellungnahme noch von einer Nichtumsetzung die Rede war, stellt keine Änderung des Streitgegenstandes dar. Die nicht ordnungsgemäße Umsetzung erfasst auch den Unterfall der gänzlichen Nichtumsetzung, was die Terminologie der Kommission erklärt. Die Kommission rügt in der Klageschrift der Sache nach weiterhin die Nichtumsetzung von Art. 8 Abs. 7 ATAD. Insofern war die Klage auf die gleichen Gründe und das gleiche Vorbringen gestützt wie die mit Gründen versehene Stellungnahme. Die Klage ist daher zulässig.
B. Zur Begründetheit der Klage
23. Zu klären ist, ob das Königreich Belgien, das sich für eine Hinzurechnungsbesteuerung allein in Fällen unangemessener Gestaltungen nach Art. 7 Abs. 2 Buchst. b ATAD entschieden hatte, dadurch gegen seine Umsetzungsverpflichtung aus der Richtlinie verstoßen hat, dass es die Möglichkeit des Steuerabzugs nach Art. 8 Abs. 7 ATAD nicht umgesetzt hat.
24. Dies setzt zunächst voraus, dass das Königreich Belgien zur Umsetzung verpflichtet war. Das ist grundsätzlich nur dann der Fall, wenn der umzusetzende Unionsrechtsakt auch wirksam erlassen wurde. Daher werde ich zunächst auf das Vorliegen einer Unionskompetenz zum Erlass der ATAD sowie darauf eingehen, ob der Gerichtshof im Rahmen eines Vertragsverletzungsverfahrens überhaupt befugt ist, diese Frage unabhängig vom Vorbringen einer entsprechenden Rüge der Parteien zu prüfen (dazu unter 1.). Anschließend werde ich mich mit dem Verteidigungsvorbringen des Königreichs Belgien auseinandersetzen. Dieses beruft sich zunächst darauf, dass Art. 8 Abs. 7 Satz 2 ATAD zur Berechnung des Steuerabzugs auf das nationale Recht verweist (dazu unter 2.). Weiter sei Art. 8 Abs. 7 ATAD auf die Hinzurechnungsbesteuerung nach Art. 7 Abs. 2 Buchst. b ATAD nicht anwendbar, was Fragen zum Verhältnis zur allgemeinen Missbrauchsvermeidungsvorschrift von Art. 6 ATAD aufwirft (dazu unter 3.). Schließlich hindere die Richtlinie die Mitgliedstaaten nach Art. 3 ATAD nicht, einen höheren Schutz der inländischen Körperschaftsteuerbemessungsgrundlagen zu gewährleisten (dazu unter 4.).
1. Unionsk ompetenz zum Erlass der ATAD
25. Im Schrifttum werden erhebliche Zweifel vorgebracht, ob der Erlass der ATAD von den Gesetzgebungskompetenzen der Union gedeckt ist.(7 ) Im Gesetzgebungsverfahren hatten auch Malta(8 ) und Schweden(9 ) durch begründete Stellungnahmen Bedenken im Hinblick auf die Gesetzgebungskompetenz geäußert. In der Tat erscheinen diese Zweifel berechtigt (dazu unter a). Indes kann die Kompetenz der EU für den Erlass der ATAD im vorliegenden Vertragsverletzungsverfahren nicht geklärt werden (dazu unter b).
a) Zweifel an der Kompetenz der Union für den Erlass der ATAD
26. Die Union ist im Einklang mit dem Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 EUV) nur zuständig, sofern ihr die Gesetzgebungszuständigkeit durch eine konkrete Kompetenznorm übertragen wurde. Die Union hat die ATAD auf Art. 115 AEUV gestützt, der dem Rat die Gesetzgebungskompetenz überträgt, „Richtlinien für die Angleichung derjenigen Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten, die sich unmittelbar auf die Errichtung oder das Funktionieren des Binnenmarkts auswirken“, zu erlassen. Eine unmittelbare Auswirkung auf das Funktionieren des Binnenmarkts könnte sich aus einer Beeinträchtigung von Grundfreiheiten(10 ) oder aus spürbaren Verfälschungen des Wettbewerbs zwischen den betroffenen Unternehmen(11 ) herleiten lassen.
27. Der Unionsgesetzgeber scheint den binnenmarktfördernden Effekt primär in der Bekämpfung von Steuervermeidungspraktiken zu sehen.(12 ) Dadurch beseitigt die ATAD allerdings keine Beeinträchtigungen der Grundfreiheiten, die sich aus existierenden nationalen Vorschriften ergeben würden. Indem sie die Mitgliedstaaten zu einem einheitlichen Mindestschutz der nationalen Körperschaftsteuersysteme gegen Steuervermeidungspraktiken verpflichtet, schränkt sie die Möglichkeiten der Unternehmen zum grenzüberschreitenden Handeln vielmehr ein. Sie behindert dadurch die Ausübung der Grundfreiheiten, anstatt sie zu fördern.(13 )
28. Bislang hat der Gerichtshof Maßnahmen zur Bekämpfung von Steuervermeidungspraktiken immer als rechtfertigungsbedürftige Beschränkungen von Grundfreiheiten, meist der Niederlassungs- und der Kapitalfreiheit, angesehen. Insbesondere die Wegzugsbesteuerung(14 ), aber auch die Hinzurechnungsbesteuerung(15 ) waren insoweit schon Gegenstand der Rechtsprechung des Gerichtshofs. Da die Wahrung der Grundfreiheiten des Wirtschaftsteilnehmers gerade dem Funktionieren des Binnenmarktes dient, erscheint es widersprüchlich, anzunehmen, dass eine Beschränkung derselben Grundfreiheiten dasselbe Ziel fördern könne.(16 )
29. Soweit der Unionsgesetzgeber den binnenmarktfördernden Effekt in der Angleichung der Rechtsvorschriften und dem damit einhergehenden Abbau von Marktverzerrungen sieht,(17 ) genügt das allein grundsätzlich nicht zur Begründung der Kompetenz nach Art. 115 AEUV. Harmonisierung ist kein Selbstzweck. Der Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung liefe leer, wenn der Union eine uneingeschränkte Befugnis zur Rechtsvereinheitlichung mit der Begründung gestattet würde, diese fördere per se das Funktionieren des Binnenmarktes. Das Erfordernis der unmittelbaren Auswirkung auf das Funktionieren des Binnenmarktes wäre damit obsolet. Dementsprechend beschränkte der Gerichtshof auch die Rechtsgrundlage von Art. 100a EGV (nun Art. 114 AEUV) auf die Beseitigung spürbarer Wettbewerbsverzerrungen.(18 )
30. Insofern hat der Gerichtshof zu Art. 114 AEUV (damals noch Art. 100a EGV), der die Angleichung von Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten erlaubt, welche das Funktionieren des Binnenmarktes zum Gegenstand haben, im Hinblick auf die erforderliche Spürbarkeit dieser Auswirkung Folgendes ausgeführt:(19 )
„Im Rahmen der Rechtmäßigkeitskontrolle einer auf der Grundlage von Artikel 100a EG-Vertrag erlassenen Richtlinie ist vom Gerichtshof zu prüfen, ob die Wettbewerbsverzerrungen, auf deren Beseitigung der Rechtsakt zielt, spürbar sind (Nachweis). Bestünde diese Voraussetzung nicht, wären der Zuständigkeit des Gemeinschaftsgesetzgebers praktisch keine Grenzen gezogen. Zwischen den nationalen Rechtsvorschriften über die Voraussetzungen der Ausübung bestimmter Tätigkeiten bestehen nämlich vielfach Unterschiede, was sich unmittelbar oder mittelbar auf die Wettbewerbsbedingungen der betroffenen Unternehmen auswirkt. Eine Auslegung des Artikels 100a sowie von Artikel 57 Absatz 2 und Artikel 66 EG-Vertrag dahin, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber diese Bestimmungen auch zur Beseitigung nur geringfügiger Wettbewerbsverzerrungen heranziehen dürfte, wäre deshalb mit dem … Grundsatz unvereinbar, dass die Befugnisse der Gemeinschaft auf Einzelermächtigungen beruhen.“
31. Diese Aussage gilt meines Erachtens auch für die Rechtmäßigkeitskontrolle einer auf Grundlage von Art. 115 AEUV erlassenen Richtlinie. Denn aus dem Vergleich der Kompetenzgrundlagen im Bereich der indirekten (Art. 113 AEUV, „notwendig sein“ für das Funktionieren des Binnenmarktes) und direkten Steuern (Art. 115 AEUV, „unmittelbar … auf das Funktionieren des Binnenmarktes auswirken“) ergibt sich ebenfalls, dass eine unmittelbare Auswirkung auf das Funktionieren des Binnenmarktes bei den direkten Steuern einen höheren Begründungsaufwand erfordert, als bei den indirekten Steuern, deren Harmonisierung nur „notwendig sein“ muss. Wie dies bei den Regelungen der ATAD der Fall sein soll, erschließt sich jedenfalls nicht auf den ersten Blick. Insofern scheint es zweifelhaft, ob die ATAD auf die Rechtsgrundlage von Art. 115 AEUV gestützt werden kann.
b) Zur Prüfung der Kompetenz im Vertragsverletzungsverfahren
32. Allerdings besteht nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs auch im Rahmen einer Vertragsverletzungsklage eine Vermutung der Rechtmäßigkeit der Handlungen der Union.(20 ) So kann sich ein Mitgliedstaat im Fall der Nichtumsetzung einer Richtlinie zu seiner Verteidigung normalerweise nicht auf die Rechtswidrigkeit der Richtlinie berufen.(21 ) Vielmehr ist er auf den Rechtsbehelf der Nichtigkeitsklage verwiesen, um die Rechtmäßigkeit einer Handlung der Union in Frage zu stellen.(22 )
33. Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs ergibt sich jedoch auch, dass etwas anderes gelten könnte, wenn der fragliche Rechtsakt mit besonders schweren und offensichtlichen Fehlern behaftet wäre, so dass er als inexistenter Rechtsakt qualifiziert werden könnte.(23 ) Ob eine fehlende Gesetzgebungskompetenz einen solchen besonders schweren und offensichtlichen Fehler darstellt, hat der Gerichtshof bisher offengelassen.(24 )
34. Eng damit zusammen hängt die Frage, ob der Gerichtshof die Gesetzgebungskompetenz im Hinblick auf den Rechtsakt überhaupt von Amts wegen prüfen kann. Keiner der Beteiligten hat eine fehlende Unionskompetenz vorgetragen. Auch auf dem möglichen Weg der Nichtigkeitsklage(25 ) hat keiner der Mitgliedstaaten die Zuständigkeit der Union für den Erlass der Richtlinie bezweifelt.
35. Für eine Kontrollbefugnis von Amts wegen spricht jedoch die besondere konstitutionelle Bedeutung, die der Kompetenzverteilung in der Union mit Blick auf den Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 EUV) zukommt.(26 ) Da weder dieser Grundsatz noch die Gesetzgebungskompetenzen zur Disposition der Mehrheit stehen, kann auch die im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens erzielte Einstimmigkeit an diesem Ergebnis nichts ändern. Allein eine Vertragsänderung kann der Union nach dem Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung neue Kompetenzen einräumen. Da diese aber stets der Ratifizierung durch die nationalen Parlamente bedarf, steht das Demokratieprinzip (Art. 2 Satz 1 EUV) ebenfalls einer Aufrechterhaltung eines kompetenzwidrigen Rechtsakts der Union entgegen. In der Rechtsprechung gibt es ebenfalls Anhaltspunkte, das im Fall des Fehlens einer ausreichenden Rechtsgrundlage eine richterliche Prüfung der Rechtmäßigkeit von Amts wegen in Betracht kommt.(27 )
36. Die Entscheidung, die Gesetzgebungskompetenz der Union immer von Amts wegen auch im Vertragsverletzungsverfahren zu prüfen, sollte aber durch die Große Kammer des Gerichtshofs getroffen werden. Der Gerichtshof hat sich im Vorfeld bewusst gegen eine Übertragung dieser Rechtssache auf die Große Kammer entschieden. Daher muss diese Frage im vorliegenden Verfahren offenbleiben.
c) Zwischenergebnis
37. Trotz Bedenken an der Gesetzgebungskompetenz der Union für die ATAD muss diese Frage im vorliegenden Vertragsverletzungsverfahren offenbleiben. Die Kompetenzfrage könnte derzeit wohl nur im Wege eines Vorabentscheidungsverfahrens geklärt werden, das die Gültigkeit der ATAD hinterfragt.
2. Bedeutung des Verweises auf das nationale Recht für die Berechnung des Steuerabzugs in Art. 8 Abs. 7 S atz 2 ATAD
38. In materieller Hinsicht bringt das Königreich Belgien zu seiner Verteidigung vor, Art. 8 Abs. 7 Satz 2 ATAD, der für die Berechnung des in Art. 8 Abs. 7 Satz 1 ATAD vorgesehenen Steuerabzugs auf das nationale Recht verweist, räume den Mitgliedstaaten bereits die Möglichkeit ein, auch gänzlich von einem Steuerabzug abzusehen. Schließlich werde der Abzug laut Art. 8 Abs. 7 Satz 2 ATAD „nach den nationalen Rechtsvorschriften berechnet“.
39. Dem kann nicht gefolgt werden, da Art. 8 Abs. 7 Satz 2 ATAD eine andere Funktion hat. Erzielt die Tochtergesellschaft im Ausland nur einen Teil ihrer Einkünfte aus unangemessenen Gestaltungen im Sinne von Art. 7 Abs. 2 Buchst. b ATAD, gibt Art. 8 Abs. 2 ATAD vor, dass auch nur diese Einkünfte in die Steuerbemessungsgrundlage des im Inland ansässigen Steuerpflichtigen (im Beispiel die Muttergesellschaft) einzubeziehen und daher in dessen Ansässigkeitsstaat (hier in Belgien) zu versteuern sind. Die restlichen Einkünfte werden dann weiterhin im Ausland besteuert. Noch nicht geklärt ist damit allerdings, wie zu berechnen ist, in welcher Höhe die vom beherrschten ausländischen Unternehmen in seinem Ansässigkeitsstaat entrichtete Steuerlast auf die unangemessene Gestaltung entfällt und daher von der Steuerschuld des inländischen Steuerpflichtigen abzuziehen ist.
40. Diese Frage klärt Art. 8 Abs. 7 Satz 2 ATAD und vermeidet insoweit, dass die nationalen Finanzbehörden im Ansässigkeitsstaat des beherrschenden Steuerpflichtigen gezwungen sind, eine hypothetische Prüfung der Steuerlast, wie sie sich ohne unangemessene Gestaltung darstellen würde, nach dem Recht des Ansässigkeitsstaats des beherrschten ausländischen Unternehmens vorzunehmen. Er lässt insoweit eine Berechnung nach nationalem Recht zu.
41. Wie die Kommission zutreffend feststellt, räumt Art. 8 Abs. 7 Satz 2 ATAD den Mitgliedstaaten daher nur die Befugnis ein, die Berechnungsmethode für den Steuerabzug festzulegen, nicht hingegen, davon ganz abzusehen. Dies ergibt sich auch aus dem Wortlaut des Absatzes, der von „berechnet“ spricht und damit allein die Frage nach dem „Wie (hoch)“ das Abzugs adressiert, die (bejahende) Antwort auf das „Ob“ aber bereits unterstellt. Das Absehen von einer Abzugsmöglichkeit der im Ausland insoweit gezahlten Steuer war daher nicht bereits aufgrund von Art. 8 Abs. 7 Satz 2 ATAD möglich.
3. Anwendung von Art. 8 Abs. 7 ATAD auf Art. 7 Abs. 2 Buchst. b
42. Das Königreich Belgien ist auch der Auffassung, dass bei Anwendung von Art. 7 Abs. 2 Buchst. b ATAD eine Umsetzung von Art. 8 Abs. 7 ATAD nicht erforderlich sei. Art. 7 Abs. 2 Buchst. b ATAD betreffe allein unangemessene Gestaltungen, deren wesentlicher Zweck darin besteht, einen steuerlichen Vorteil zu erlangen, mithin allein künstliche Konstruktionen aus steuerrechtlichen Motiven. In diesen Fällen finde bereits keine wirkliche Bewegung von Gütern, Dienstleistungen, Kapital und Personen im Binnenmarkt statt. Daher stelle ein Nichtabzug in diesen Fällen kein Markthemmnis dar.
43. Die Mitgliedstaaten sind zur ordnungsgemäßen und vollständigen Umsetzung von Richtlinien verpflichtet.(28 ) Dies meint im Grundsatz die Umsetzung sämtlicher Bestimmungen der Richtlinie.(29 ) Sofern Art. 8 Abs. 7 ATAD aber von vornherein keine Anwendung auf Art. 7 Abs. 2 Buchst. b ATAD fände, wären die Mitgliedstaaten bei der Umsetzung der letztgenannten Option von der Pflicht zur Umsetzung von Art. 8 Abs. 7 ATAD befreit. Dies ist im Wege der Auslegung(30 ) dieser Vorschrift zu ermitteln.
44. Wie die Kommission zutreffend bemerkt, ist Art. 8 Abs. 7 ATAD, im Gegensatz zu Art. 8 Abs. 1 und 2, seinem Wortlaut nach nicht auf einen der beiden Buchstaben von Art. 7 Abs. 2 ATAD beschränkt. Dies spräche dafür, dass die in Art. 8 Abs. 7 ATAD vorgesehene Abzugsmöglichkeit nach dem Willen des Unionsgesetzgebers auch auf die in Art. 7 Abs. 2 Buchst. b ATAD geregelten unangemessenen Gestaltungen angewendet werden sollte und daher auch in nationales Recht umgesetzt werden muss.
45. Gleichwohl halte ich Art. 8 Abs. 7 ATAD systematisch und teleologisch nicht auf Art. 7 Abs. 2 Buchst. b ATAD anwendbar. Denn im Fall unangemessener Gestaltungen findet in aller Regel schon keine Doppelbesteuerung statt, so dass die Regelung leerlaufen würde (dazu unter a). Sofern in der Praxis gleichwohl ein Restrisiko bzw. ein erhöhter Aufwand zur Vermeidung von Doppelbesteuerung verbleibt, dient dies der Abschreckung vor unangemessenen Gestaltungen, die darauf abzielen, Gewinne in das niedrigbesteuerte Ausland zu verlagern (dazu unter b).
a) Die Abzugsmöglichkeit nach Art. 8 Abs. 7 läuft in Fällen von Art. 7 Abs. 2 Buchst. b regelmäßig leer
46. Zu klären ist, ob Art. 8 Abs. 7 ATAD (Steuerabzug) auf Art. 7 Abs. 2 Buchst. b ATAD (unangemessene Gestaltungen, die Gewinne in Niedrigsteuerländer verlagern) überhaupt angewendet werden kann oder ob nicht aus systematischen und teleologischen Gründen davon abzusehen ist.
47. Die ATAD stellt in Art. 7 Abs. 2 Buchst. b den Grundsatz auf, dass die Einkünfte des beherrschten ausländischen Unternehmens, die aus unangemessenen Gestaltungen stammen, in die Steuerbemessungsgrundlage des im Inland ansässigen Steuerpflichtigen einbezogen werden. Durch diese Regel soll der Steuerpflichtige im Ergebnis so besteuert werden, wie er ohne die unangemessene Gestaltung besteuert werden würde. Die Einkünfte des beherrschten ausländischen Unternehmens werden daher, soweit sie aus unangemessenen Gestaltungen stammen, den Einkünften des beherrschenden Steuerpflichtigen zugerechnet. Art. 8 Abs. 7 ATAD weicht insofern von diesem Grundsatz ab, als aufgrund des darin vorgesehenen Steuerabzugs die Einkünfte des beherrschten ausländischen Unternehmens im Inland nicht mehr in voller Höhe, sondern nur noch in Höhe der Differenz zwischen den beiden Körperschaftsteuersätzen im In- und Ausland besteuert werden.
1) Wertungswiderspruch zur allgemeinen Rechtsfolge einer unangemessenen Gestaltung
48. Den Vorschriften der ATAD zur Missbrauchsbekämpfung liegt allerdings der allgemeine Gedanke zugrunde, dass künstliche gesellschaftsrechtliche Strukturen, die im Wesentlichen der Erlangung steuerlicher Vorteile dienen, steuerrechtlich gänzlich unberücksichtigt bleiben. Das Steuerrecht knüpft dann für die Steuerbemessung an den wirtschaftlichen Sachverhalt, nicht an die gesellschaftsrechtliche bzw. vertragliche Konstruktion an. Ganz deutlich wird dies in Art. 6 Abs. 1 ATAD, der den allgemeinen Tatbestand der Missbrauchsvermeidung enthält. Dieser sieht vor: „Liegt unter Berücksichtigung aller relevanten Fakten und Umstände eine unangemessene Gestaltung oder eine unangemessene Abfolge von Gestaltungen vor, bei der der wesentliche Zweck oder einer der wesentlichen Zwecke darin besteht, einen steuerlichen Vorteil zu erlangen, der dem Ziel oder Zweck des geltenden Steuerrechts zuwiderläuft, so berücksichtigen die Mitgliedstaaten diese bei der Berechnung der Körperschaftsteuerschuld nicht.“
49. Die Rechtsfolge einer unangemessenen Gestaltung ist mithin deren Negierung. Es ist auf die Lage abzustellen, die ohne sie bestanden hätte, wie der Gerichtshof auch außerhalb des Anwendungsbereichs der ATAD bereits mehrfach festgestellt hat.(31 )
50. Dies gilt sowohl für den Mitgliedstaat, in dem der beherrschende Steuerpflichtige ansässig ist, als auch für denjenigen, in dem das beherrschte Unternehmen ansässig ist, wie sich auch aus dem Wortlaut von Art. 6 Abs. 1 ATAD ergibt („berücksichtigen die Mitgliedstaaten diese … nicht“). Letztlich teilt die Richtlinie in Art. 6 ATAD dadurch die Besteuerungsbefugnisse für grenzüberschreitende Sachverhalte zwischen den betroffenen Mitgliedstaaten auf, indem sie bestimmt, wer für die Besteuerung von Einkünften, die aus unangemessenen Gestaltungen stammen, zuständig ist. Dieselben Einkünfte dürfen von dem anderen Mitgliedstaat (hier in dem das beherrschte Unternehmen ansässig ist) dann nicht noch ein zweites Mal besteuert werden.
51. Der in Art. 6 ATAD zum Ausdruck kommende Grundsatz der Nichtberücksichtigung unangemessener Gestaltungen hat auch für die von Art. 7 Abs. 2 Buchst. b ATAD erfassten unangemessenen Gestaltungen Bedeutung. Die unangemessenen Gestaltungen werden in Art. 6 Abs. 2 ATAD zwar etwas allgemeiner(32 ) als Gestaltungen definiert, die nicht aus triftigen wirtschaftlichen Gründen vorgenommen wurden, die die wirtschaftliche Realität widerspiegeln. Die Definition in Art. 7 Abs. 2 Buchst. b ATAD konkretisiert letztlich aber nur diese allgemeine Definition für den Fall beherrschter ausländischer Unternehmen.
52. Art. 7 Abs. 2 Buchst. b ATAD ist insofern ein spezieller Anwendungsfall von Art. 6 ATAD. Zum einen spricht Art. 7 Abs. 2 Buchst. b Unterabs. 1 ATAD ausdrücklich von solchen „unangemessenen Gestaltungen, deren wesentlicher Zweck darin besteht, einen steuerlichen Vorteil zu erlangen“. Zum anderen stellt Art. 7 Abs. 2 Buchst. b Unterabs. 2 ATAD auf die besondere Situation im Rahmen eines Beherrschungsverhältnisses ab. Denn die Tatsache, dass die beherrschte Gesellschaft ohne die Ausführung von Schlüsselfunktionen durch Entscheidungsträger der beherrschenden Gesellschaft nicht Eigentümerin der Vermögenswerte wäre oder die Risiken, aus denen sie ihre Einkünfte erzielt, nicht eingegangen wäre, stellt gerade einen Fall einer Gestaltung dar, die nicht aus triftigen wirtschaftlichen Gründen, die die wirtschaftliche Realität widerspiegeln, vorgenommen wurde.
53. Die inhaltliche Nähe von Art. 7 Abs. 2 Buchst. b ATAD zu Art. 6 ATAD ist insofern deutlich zu erkennen. Daher müssen auch die Rechtsfolgen aufeinander abgestimmt sein. Die Rechtsfolge von Art. 6 ATAD ist aber, dass die unangemessene Gestaltung von beiden Mitgliedstaaten ignoriert wird und stattdessen die angemessene Gestaltung besteuert wird. Der Ansässigkeitsstaat der beherrschten Gesellschaft, die Einkünfte aus einer unangemessenen Gestaltung bezieht, muss diese Einkünfte daher ebenfalls so behandeln, als wenn sie von vornherein nur im Ansässigkeitsstaat des beherrschenden Steuerpflichtigen angefallen wären.
54. Auf der Tatbestandsebene mag Art. 7 Abs. 2 Buchst. b ATAD als lex specialis der allgemeinen Missbrauchsvermeidungsvorschrift von Art. 6 ATAD vorgehen (vgl. elfter Erwägungsgrund). Auf der Rechtsfolgenebene kann Art. 8 Abs. 7 ATAD aber nicht unbesehen auf Art. 7 Abs. 2 Buchst. b ATAD angewandt werden. Andernfalls ergäbe sich ein Wertungswiderspruch zu der in Art. 6 vorgesehenen Rechtsfolge, die unangemessene Gestaltung gänzlich unberücksichtigt zu lassen.
2) Doppelbesteuerung bei unangemessener Gestaltung denkbar?
55. Insofern stellt sich auch die Frage, ob bei einer unangemessenen Gestaltung im Sinne von Art. 7 Abs. 2 Buchst. b ATAD überhaupt eine Doppelbesteuerung denkbar ist. In diese Richtung geht auch die Argumentation des Königreichs der Niederlande, wenn es vorbringt, dass die Einkünfte des beherrschten ausländischen Unternehmens bereits nach den in der Richtlinie vorgesehenen Mechanismen jeweils nur einmal entweder im Ausland oder im Inland besteuert würden.
56. Die unionsweit einheitliche Auslegung und Anwendung der Missbrauchsvermeidungsvorschriften und damit auch der Hinzurechnungsbesteuerung in Art. 7 ATAD wird letztlich durch den Gerichtshof gewährleistet. Mithin kann es nicht zu einer Doppelbesteuerung kommen. Liegt mit der Einkünfteverlagerung in das Ausland eine unangemessene Gestaltung vor, besteuert Belgien die Einkünfte, da sie ohne unangemessene Gestaltung in Belgien angefallen wären. Liegt keine unangemessene Gestaltung vor, dann findet auch keine Hinzurechnung der Einkünfte nach Belgien statt und sie werden im Ausland besteuert.
57. Sollten dennoch Divergenzen zwischen den Mitgliedstaaten über das Vorliegen einer unangemessenen Gestaltung bestehen, müssten diese wohl nach dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit (Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 EUV) mittels der in der Streitbeilegungsrichtlinie(33 ) enthaltenen Grundsätze gelöst werden.
58. Dadurch erübrigt sich in den von Art. 7 Abs. 2 Buchst. b ATAD erfassten unangemessenen Gestaltungen der Steuerabzug nach Art. 8 Abs. 7 ATAD, wenn die Gewinnverlagerung zwischen zwei Mitgliedstaaten stattfindet. Bei der Gewinnverlagerung in Drittstaaten enthalten hingegen die Doppelbesteuerungsabkommen in der Regel Vorschriften über entsprechende Verständigungsverfahren (vgl. etwa Art. 25 des OECD-Musterabkommens).
59. Demnach entsteht bei einheitlicher Anwendung des Konzepts der unangemessenen Gestaltung keine Doppelbesteuerung. Mithin ist auch ein Abzug der im Ausland – insoweit dann zu Unrecht – gezahlten Steuer nicht nötig.
3) Steuerabzug bei unangemessener Gestaltung ist kontraproduktiv
60. Auch das Ziel der Richtlinie, die effektive Bekämpfung unangemessener Gestaltungen, spricht dafür, dass Art. 8 Abs. 7 ATAD (d. h. der Steuerabzug) nicht auf die von Art. 7 Abs. 2 Buchst. b ATAD erfassten unangemessenen Gestaltungen Anwendung finden kann.
61. Dies soll folgendes Beispiel verdeutlichen. So ist es – auch nach Ansicht der Kommission – mit dem Ziel der Mindestharmonisierung vereinbar, eine Hinzurechnungsbesteuerung bei einer geringeren Differenz der Steuersätze vorzusehen, die nach Art. 7 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. b ATAD für die Qualifikation als beherrschtes ausländisches Unternehmen erforderlich ist. Damit könnte eine unangemessene Gestaltung bereits bei dem Ausnutzen eines Steuersatzunterschieds von z. B. 5 % angenommen werden. Wenn aber das beherrschte ausländische Unternehmen bereits einen Körperschaftsteuersatz von z. B. 15 % entrichtet hat, im Ansässigkeitsstaat des beherrschenden Steuerpflichtigen aber ebenfalls lediglich 20 % Körperschaftsteuer zu entrichten sind, dann ist der Anreiz, gegen unangemessene Gestaltungen vorzugehen, eher gering, weil sich das eigene Steueraufkommen dann lediglich auf die Differenz (im Beispiel von 5 %) beschränkt. Der Steuerabzug würde den Anreiz zur Bekämpfung unangemessener Gestaltung schlicht reduzieren und wirkt insofern kontraproduktiv.
62. Im Übrigen würde eine Anwendung von Art. 8 Abs. 7 ATAD auf Art. 7 Abs. 2 Buchst. b ATAD insoweit der Steuerhoheit des Ansässigkeitsstaats des beherrschenden Steuerpflichtigen zuwiderlaufen, als er diesen zwingt, auf sein eigentlich bestehendes Besteuerungsrecht in Höhe der im Ausland gezahlten Steuer zu verzichten, obwohl der Steuerpflichtige eine unangemessene Gestaltung gewählt hat. Normalerweise obliegt es nicht dem Steuerpflichtigen, mittels einer unangemessenen Gestaltung zu entscheiden, wem das Steueraufkommen zusteht.
63. Eine Anwendung von Art. 8 Abs. 7 ATAD ist daher in Fällen unangemessener Gestaltungen nach Art. 7 Abs. 2 Buchst. b ATAD nicht erforderlich und auch nicht angebracht. Es würde auch der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs widersprechen, wonach sich niemand in missbräuchlicher Weise auf Vorschriften des Unionsrechts berufen darf.(34 ) Da die Hinzurechnung aufgrund einer unangemessenen Gestaltung nach Art. 7 Abs. 2 Buchst. b ATAD einen Spezialfall von Art. 6 ATAD darstellt (der laut Überschrift einen Missbrauch verhindern will und unangemessene Gestaltungen betrifft), könnte sich nach dieser Rechtsprechung kein Steuerpflichtiger, der eine unangemessene Gestaltung gewählt hat, auf den Vorteil, der aus der Abzugsmöglichkeit nach Art. 8 Abs. 7 ATAD folgt, berufen.
64. Wenn dem aber so ist, dann muss der Mitgliedstaat auch eine solche Möglichkeit im nationalen Recht gar nicht erst vorsehen. Denn – so der Gerichtshof ausdrücklich(35 ) – dieser allgemeine Grundsatz (wonach sich niemand in missbräuchlicher Weise auf Vorschriften des Unionsrechts berufen darf) ist zwingend. Als zwingender allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts kann er auch kaum durch Sekundärrecht verdrängt werden.
4) Zur eigentlichen Bedeutung von Art. 8 Abs. 7 ATAD
65. Diese systematische und teleologische Auslegung macht die Regelung in Art. 8 Abs. 7 ATAD aber nicht überflüssig. Notwendig ist der in Art. 8 Abs. 7 ATAD vorgesehene Steuerabzug nämlich bei Umsetzung der Option von Art. 7 Abs. 2 Buchst. a ATAD. Dort werden passive Einkünfte des beherrschten ausländischen Unternehmens pauschaliert durch den Ansässigkeitsstaat des Steuerpflichtigen besteuert, ohne dass nachgewiesen werden müsste, dass wesentlicher Zweck der Konstruktion die Erlangung eines wirtschaftlichen Vorteils ist.
66. Diese Gewinne unterfallen nicht schon aufgrund des Grundsatzes der Nichtbeachtung künstlicher Konstruktionen, der in Art. 6 ATAD zum Ausdruck kommt, der Besteuerungshoheit des Ansässigkeitsstaats des Steuerpflichtigen. Daher besteht für den Ansässigkeitsstaat des beherrschten ausländischen Unternehmens im Ausgangspunkt kein Anlass, von einer Besteuerung derselben Einkünfte abzusehen. Bei Anwendung von Art. 7 Abs. 2 Buchst. a ATAD könnte es daher ohne Anwendung von Art. 8 Abs. 7 ATAD zu einer Doppelbesteuerung kommen. Folglich behält die Regelung in Art. 8 Abs. 7 ATAD ihren eigenständigen Sinn, auch wenn sie systematisch und teleologisch reduziert werden muss.
b) Faktisch verbleibende Risiken liegen im Interesse der Bekämpfung von unangemessenen Gestaltungen
67. Auch wenn demnach in Fällen unangemessener Gestaltungen – jedenfalls zwischen Mitgliedstaaten – keine Doppelbesteuerung eintreten kann, ist zuzugestehen, dass in der Praxis jedenfalls ein erhöhter Aufwand droht, sich sowohl mit dem Ansässigkeitsstaat des beherrschten ausländischen Unternehmens als auch mit dem Ansässigkeitsstaat des beherrschenden Steuerpflichtigen auseinandersetzen zu müssen. Denn während der Ansässigkeitsstaat des beherrschenden Steuerpflichtigen ein Interesse an einem weiten Verständnis der unangemessenen Gestaltung hat, die bei ihm zu Steuereinnahmen führt, hat der Ansässigkeitsstaat des beherrschten Unternehmens ein Interesse an einem engen Verständnis der unangemessenen Gestaltung, da ansonsten steuerpflichtige Einkünfte seiner Steuerhoheit entzogen werden.
68. Diese faktischen Risiken laufen dem Grundgedanken der Richtlinie aber nicht zuwider. Das Gegenteil ist der Fall. Denn sofern man die Abzugsmöglichkeit nach Art. 8 Abs. 7 auf Fälle von Art. 7 Abs. 2 Buchst. b ATAD anwendet, müsste der beherrschende Steuerpflichtige bei Aufdeckung der unangemessenen Gestaltung lediglich die Steuerlast im eigenen Ansässigkeitsstaat, abzüglich der Steuerlast im Ansässigkeitsstaat des beherrschten ausländischen Unternehmens, tragen.
69. Der beherrschende Steuerpflichtige müsste also schlimmstenfalls Steuern in derselben Höhe entrichten, wie er sie auch ohne unangemessene Gestaltung hätte entrichten müssen; bestenfalls wird die unangemessene Gestaltung nie aufgedeckt, und die Gewinne wurden erfolgreich in ein Niedrigsteuerland verlagert. Dies lädt geradezu dazu ein, unangemessene Gestaltungen „zu versuchen“, weil man nichts zu verlieren, aber etwas zu gewinnen hat. Der Abschreckungseffekt der eben skizzierten praktischen Risiken beugt dem vor.
c) Zwischenergebnis
70. Die Abzugsmöglichkeit nach Art. 8 Abs. 7 ATAD ist daher nicht auf Art. 7 Abs. 2 Buchst. b anzuwenden. Vielmehr ist Art. 8 Abs. 7 ATAD teleologisch zu reduzieren, da der Zweck der Norm, eine Doppelbesteuerung zu vermeiden, hier nicht greift. Außerdem würde andernfalls ein Wertungswiderspruch mit der Rechtsfolge von Art. 6 ATAD (Nichtberücksichtigung der unangemessenen Gestaltung) und auch der Rechtsprechung des Gerichtshofs selbst entstehen, wonach sich niemand missbräuchlich auf Unionsrecht berufen kann. Die Anwendung von Art. 8 Abs. 7 ATAD beschränkt sich daher auf die Hinzurechnung nach Art. 7 Abs. 2 Buchst. a.
71. Das Königreich Belgien, das sich in Bezug auf die Vorschriften über beherrschte ausländische Unternehmen für die Option von Art. 7 Abs. 2 Buchst. b ATAD entschieden hatte, war bereits deshalb nicht zur Umsetzung von Art. 8 Abs. 7 ATAD verpflichtet. Schon aus diesem Grund ist die Klage der Kommission unbegründet.
4. Mindestharmonisierung
72. Das Königreich Belgien bringt zu seiner Verteidigung weiterhin vor, die ATAD ziele nach ihrem Art. 3 lediglich auf eine Mindestharmonisierung der Bestimmungen zum Schutz der inländischen Körperschaftsteuerbemessungsgrundlagen ab. Indem es in Missbrauchsfällen keinen Steuerabzug nach Art. 8 Abs. 7 ATAD vorsehe, werde lediglich ein stärkeres Maß an Schutz der inländischen Körperschaftsteuerbemessungsgrundlagen gewährleistet.
73. Dem entgegnet die Kommission, dass eine ordnungsgemäße Umsetzung der ATAD in nationales Recht auch eine Umsetzung ihres Art. 8 Abs. 7 erfordere. Die Mindestharmonisierung erlaube lediglich die Ergänzung bzw. Verschärfung der in der Richtlinie vorgesehenen Maßnahmen, etwa durch die Senkung von Schwellenwerten für die Beherrschung im Sinne von Art. 7 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. a ATAD (vgl. zwölfter Erwägungsgrund), aber nicht deren gänzliche Nichtumsetzung.
74. Nach Art. 288 Abs. 3 AEUV sind Richtlinien hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich, überlassen jedoch den innerstaatlichen Stellen die Wahl der Form und der Mittel. Wie oben bereits ausgeführt, sind die Mitgliedstaaten zur ordnungsgemäßen und vollständigen Umsetzung von Richtlinien verpflichtet,(36 ) d. h. im Grundsatz zur Umsetzung sämtlicher Bestimmungen der Richtlinie.(37 )
75. Im Fall von Richtlinien zur Mindestharmonisierung räumt der Unionsgesetzgeber den Mitgliedstaaten aber bewusst die Möglichkeit ein, strengere Maßnahmen beizubehalten oder zu erlassen. Der Erlass oder die Beibehaltung strengerer Vorschriften steht unter dem Vorbehalt, dass diese nicht geeignet sind, die Erreichung des von der fraglichen Richtlinie vorgeschriebenen Ergebnisses ernstlich in Frage zu stellen, und dass sie im Übrigen im Einklang mit dem Primärrecht stehen.(38 ) Die sich daraus ergebenden Beschränkungen der Grundfreiheiten können im Bereich der Mindestharmonisierung durch die Richtlinienziele als Gründe der öffentlichen Ordnung gerechtfertigt werden,(39 ) sofern sie nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung des verfolgten Ziels erforderlich ist.(40 )
76. In der Regel betrifft dies den Fall, dass der Mitgliedstaat eine allgemein gehaltene Richtlinienvorschrift durch Erlass einer spezifischeren, strengeren Regelung umsetzt oder etwa einen in der Richtlinie als Mindeststandard festgelegten Schwellenwert bei der Umsetzung verändert und dadurch die rechtlichen Anforderungen verschärft.
77. Von diesen Fällen unterscheidet sich der vorliegende dadurch, dass das Königreich Belgien nicht lediglich eine Richtlinienbestimmung strenger umgesetzt hat, sondern mit Art. 8 Abs. 7 eine konkrete Bestimmung der ATAD überhaupt nicht umgesetzt hat. Insoweit beruft sich das Königreich Belgien darauf, dass lediglich Art. 7 und Art. 8 Abs. 1 bis 4 ATAD den von den Mitgliedstaaten zwingend umzusetzenden Mindeststandard zum Schutz der inländischen Körperschaftsteuerbemessungsgrundlagen enthielten. Die in Art. 8 Abs. 5 bis 7 ATAD festgelegten Ausnahmen von der Einbeziehung in die Bemessungsgrundlage, die eine Doppelbesteuerung verhindern sollen, schränkten die Verwirklichung dieses Ziels hingegen ein und seien von den Mitgliedstaaten daher nicht zwingend umzusetzen. Denn wenn ein Mitgliedstaat etwa in Fällen einer unangemessenen Gestaltung keinen Steuerabzug nach Art. 8 Abs. 7 ATAD vorsehe, werde lediglich ein höheres Maß an Schutz der inländischen Körperschaftsteuerbemessungsgrundlage gewährleistet.
78. Der Gerichtshof musste sich schon mit Richtlinien, die nur eine Mindestharmonisierung vorsahen – allerdings im Verbraucherschutzrecht – beschäftigen. Auch hier wollte das nationale Umsetzungsgesetz das Richtlinienziel in einem höheren Maße verwirklichen und hat daher – so wie hier – eine in der Richtlinie vorgesehene Ausnahme nicht umgesetzt.
79. Dies hatte der Gerichtshof z. B. in der Rechtssache Caja de Ahorros y Monte de Piedad de Madrid(41 ) zu beurteilen. Darin ging es um die Richtlinie 93/13/EWG über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen,(42 ) deren Art. 4 Abs. 2 bestimmt, dass sich die Missbräuchlichkeit einer Klausel weder aus dem Hauptgegenstand des Vertrages noch aus dem Verhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung ergeben kann, sofern die Klausel klar und verständlich abgefasst ist. Nach Art. 8 der Richtlinie können die Mitgliedstaaten auf dem durch diese Richtlinie geregelten Gebiet mit dem Vertrag vereinbare strengere Bestimmungen erlassen, um ein höheres Schutzniveau für die Verbraucher zu gewährleisten. Die spanische Regelung, mit der die Richtlinie 93/13/EWG in innerstaatliches Recht umgesetzt wurde, hat die in Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie vorgesehenen Ausnahmen nicht übernommen. Vielmehr kann auf ihrer Grundlage auch eine klar und verständlich abgefasste Klausel aufgrund ihres Hauptgegenstands oder ihres Preis-Leistungs-Verhältnisses als missbräuchlich beurteilt werden. Diese Nichtumsetzung der Ausnahmeregelung wertete der Gerichtshof, im Anschluss an die Schlussanträge der Generalanwältin Trstenjak,(43 ) als zulässig, da die spanische Regelung im Einklang mit dem Ziel der Mindestharmonisierung(44 ) auf einen höheren Verbraucherschutz abzielte.(45 )
80. Hieraus lässt sich ableiten, dass die Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Umsetzung der Richtlinie im Fall bloßer Mindestharmonisierung solche Ausnahmevorschriften nicht umfasst, durch deren Nichtumsetzung das mit der Richtlinie verfolgte Ziel in höherem Maße verwirklicht wird, als dies bei ihrer Umsetzung der Fall wäre. Mit anderen Worten muss im Fall einer Richtlinie zur Mindestharmonisierung eine Ausnahmeregelung, die die Verwirklichung des Richtlinienziels einschränkt, nicht zwingend umgesetzt werden.
81. So wie im Fall Caja de Ahorros y Monte de Piedad de Madrid die Richtlinie 93/13 strengere mitgliedstaatliche Bestimmungen zuließ, „um ein höheres Schutzniveau für die Verbraucher zu gewährleisten“,(46 ) eröffnet im vorliegenden Fall Art. 3 ATAD die Möglichkeit der „Anwendung nationaler oder vertraglicher Bestimmungen zur Wahrung eines höheren Maßes an Schutz der inländischen Körperschaftsteuerbemessungsgrundlagen“. Auch die ATAD ist damit nur mindestharmonisierend.
82. Um zu ermitteln, ob es sich bei dem nicht umgesetzten Art. 8 Abs. 7 ATAD um eine Ausnahmeregelung handelt, die die Verwirklichung des Richtlinienziels einschränkt, ist wieder auf den Regelungsmechanismus einzugehen. Die ATAD stellt in Art. 7 Abs. 2 Buchst. b den Grundsatz auf, dass die Einkünfte des beherrschten ausländischen Unternehmens, die aus unangemessenen Gestaltungen stammen, in die Steuerbemessungsgrundlage des im Inland ansässigen Steuerpflichtigen einbezogen werden. Durch diese Regel soll der Steuerpflichtige im Ergebnis so besteuert werden, wie er ohne die unangemessene Gestaltung besteuert werden würde. Die Einkünfte des beherrschten ausländischen Unternehmens werden daher, soweit sie aus unangemessenen Gestaltungen stammen, den Einkünften des beherrschenden Steuerpflichtigen zugerechnet. Art. 8 Abs. 7 ATAD weicht insofern von diesem Grundsatz ab, als aufgrund des darin vorgesehenen Steuerabzugs die Einkünfte des beherrschten ausländischen Unternehmens im Inland nicht mehr in voller Höhe besteuert werden. Damit wird das Regelungsziel (Schutz der inländischen Körperschaftsteuerbemessungsgrundlage) eingeschränkt. Das „Opfer“ einer unangemessenen Gestaltung erhält weniger Steueraufkommen, als wenn eine angemessene Steuergestaltung gewählt worden wäre.
83. Insofern ist der oben genannte Grundsatz, der sich aus der Rechtssache Caja de Ahorros y Monte de Piedad de Madrid ableiten lässt, vorliegend anwendbar. Danach würde die Nichtumsetzung von Art. 8 Abs. 7 ATAD keine Vertragsverletzung des Königreichs Belgien darstellen, sofern diese zu einer weiter gehenden Verwirklichung des Richtlinienziels beiträgt (dazu unter a) und dabei nicht über das hinausgeht, was hierzu erforderlich ist (dazu unter b).
a) Weiter gehende Verwirklichung des Richtlinienziels durch die Nichtumsetzung von Art. 8 Abs. 7
84. Die Nichtumsetzung von Art. 8 Abs. 7 ATAD müsste zunächst zu einer weiter gehenden Verwirklichung des Richtlinienziels der ATAD beitragen. Zu entscheiden ist daher, woraus das Ziel der ATAD zu entnehmen ist.
85. In der bereits erwähnten Rechtssache Caja de Ahorros y Monte de Piedad de Madrid wurde insoweit allein auf den in Art. 8 der Richtlinie 93/13, der den bloßen Mindestharmonisierungsstandard festlegt, in Bezug genommenen Verbraucherschutz abgestellt. Insofern müsste man hier auf Art. 3 ATAD abstellen.
86. Den von Art. 3 ATAD in Bezug genommenen „Schutz der inländischen Körperschaftsteuerbemessungsgrundlagen“ verwirklicht eine Nichtumsetzung der Steuerabzugsmöglichkeit nach Art. 8 Abs. 7 in höherem Maße. Vor allem aber schreckt die Gefahr, sich gegen eine zusätzliche Besteuerung durch den Ansässigkeitsstaat des beherrschten Unternehmens wehren zu müssen, in ihrer Wirkung vor der Verlagerung von Einkünften ins Ausland ab und schützt dadurch zusätzlich die inländische Körperschaftsteuerbemessungsgrundlage.
87. Entgegen dem Vorbringen der Kommission, die insoweit allein auf den fünften Erwägungsgrund verweist, kann die dort erwähnte gleichzeitige Verhinderung von Markthemmnissen wie eine Doppelbesteuerung nicht als ein eigenständiges Ziel der Richtlinie angesehen werden. Insbesondere resultiert die Doppelbesteuerung erst aus der Richtlinie selbst, nämlich aus der Pflicht zur Hinzurechnungsbesteuerung, und dies auch nur, wenn unterstellt wird, dass dem Niedrigsteuerstaat aufgrund der unangemessenen Gestaltung ein eigenes Besteuerungssubstrat zusteht. Es wäre daher inkohärent, der Richtlinie das Ziel der Vermeidung der Doppelbesteuerung zu unterstellen, wenn das Risiko erst aus der Richtlinie selbst (hier durch die Pflicht zur Hinzurechnungsbesteuerung) resultiert.
88. Dies bestätigt eine tiefer gehende Betrachtung der ATAD. Die ATAD legt nach ihrem Namen „Vorschriften zur Bekämpfung von Steuervermeidungspraktiken mit unmittelbaren Auswirkungen auf das Funktionieren des Binnenmarkts“ fest. Davon beschreibt allein die „Bekämpfung von Steuervermeidungspraktiken“ das Ziel der Richtlinie. Der Zusatz „mit unmittelbaren Auswirkungen auf das Funktionieren des Binnenmarkts“ beschränkt den Kreis der erfassten Steuervermeidungspraktiken mit Blick auf die Rechtsgrundlage von Art. 115 AEUV (siehe oben unter 1.), ohne ein eigenes Ziel zu definieren.
89. Bereits im ersten Erwägungsgrund wird die Notwendigkeit angemerkt, „das Vertrauen in die Fairness der Steuersysteme“ wiederherzustellen und „den Regierungen eine wirksame Ausübung ihrer Steuerhoheit“ zu ermöglichen. Auch die Erwägungsgründe 2, 3, 5, 14 und 16 beziehen sich auf die Bekämpfung der Steuervermeidung als Ziel der Richtlinie.
90. Im Übrigen sieht die Richtlinie das Markthemmnis in erster Linie in den Steuervermeidungspraktiken selbst. Dies ist bereits im Namen der Richtlinie („Steuervermeidungspraktiken mit unmittelbaren Auswirkungen auf das Funktionieren des Binnenmarkts“) angelegt und wird durch den zweiten Erwägungsgrund der Richtlinie bestätigt, der besagt: „Damit der Binnenmarkt gut funktionieren kann, müssen die Mitgliedstaaten zumindest ihre BEPS-Verpflichtungen erfüllen und allgemeine Maßnahmen zur Bekämpfung von Steuervermeidungspraktiken und zur Gewährleistung einer fairen und wirksamen Besteuerung in der Union ergreifen …“ Auch der 16. Erwägungsgrund geht in diese Richtung, wenn er ausführt: „Ein wesentliches Ziel der vorliegenden Richtlinie ist es, die Resilienz des Binnenmarkts insgesamt gegenüber grenzüberschreitenden Steuervermeidungspraktiken zu stärken …“
91. Von der Verhinderung von „Markthemmnisse[n] wie Doppelbesteuerung“ ist allein im fünften Erwägungsgrund die Rede. Es würde aber die Bedeutung eines einzelnen Erwägungsgrundes überzeichnen, wenn man daraus ein weiteres, eigenständiges Ziel der Richtlinie ableiten würde, während das unstreitige Hauptziel der Richtlinie in mindestens fünf Erwägungsgründen, im Titel und in der Regelung selbst (siehe Art. 3 ATAD) Niederschlag gefunden hat. Keine der materiellen Regelungen in der ATAD beschäftigt sich näher mit dem Problem der Doppelbesteuerung zwischen den Mitgliedstaaten, wenn man von Art. 8 Abs. 7 absieht, der aber auch „nur“ die selbstgeschaffene Doppelbesteuerung betrifft. Näher liegt es, die Vermeidung der Doppelbesteuerung in den Fällen, in denen eine solche aufgrund der Richtlinie auftreten kann, als Ausdruck des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes anzusehen.
92. In Satz 3 des fünften Erwägungsgrundes heißt es: „Führen diese Vorschriften zu Doppelbesteuerung, sollten Steuerpflichtige durch Abzug der in einem anderen Mitgliedstaat oder einem Drittland entrichteten Steuer entlastet werden.“ In Bezug auf die in Art. 7 Abs. 2 ATAD geregelte Hinzurechnungsbesteuerung bei beherrschten ausländischen Unternehmen wird dadurch jedoch nur die Option von Buchst. a adressiert, in der überhaupt eine Doppelbesteuerung durch zwei Mitgliedstaaten entstehen kann. In Fällen von Buchst. b hingegen kann nach dem oben Gesagten (Nrn. 46 ff.) jedenfalls zwischen Mitgliedstaaten gar keine Doppelbesteuerung entstehen.
93. Damit kann offenbleiben, ob die Union für den Erlass einer Richtlinie zur allgemeinen Beseitigung der Doppelbesteuerung im direkten Steuerrecht der Mitgliedstaaten überhaupt eine Kompetenz zusteht. Denn eine Doppelbesteuerung resultiert aus der Ausübung der Steuerhoheit durch die Mitgliedstaaten. Insoweit hat der Gerichtshof schon mehrfach betont, dass die Nachteile, die sich aus der parallelen Ausübung der Besteuerungsbefugnisse der verschiedenen Mitgliedstaaten ergeben können, keine nach den Verträgen verbotenen Beschränkungen darstellen, sofern eine solche Ausübung der Steuerhoheit nicht diskriminierend ist.(47 )
94. Im Ergebnis führt die Nichtumsetzung von Art. 8 Abs. 7 ATAD zu einer weiter reichenden Verwirklichung des durch Art. 3 definierten Richtlinienziels des Schutzes der inländischen Körperschaftsteuerbemessungsgrundlage, als dies bei Umsetzung der Fall wäre.
b) Wahrung des Gebots der Erforderlichkeit
95. Die Nichtumsetzung ist auch erforderlich, da in Fällen von Art. 7 Abs. 2 Buchst. b ATAD in aller Regel bereits keine Gefahr der Doppelbesteuerung besteht (siehe bereits oben, Nrn. 46 ff.). Aus der Nichtumsetzung von Art. 8 Abs. 7 ATAD resultiert für die betroffenen Unternehmen, die eine entsprechend unangemessene Gestaltung gewählt haben, eine Mehrbelastung im Hinblick auf praktische Schwierigkeiten (dazu oben, Nrn. 67 ff.). Insoweit dient dieser Mehraufwand der Abschreckung, indem er den wirtschaftlichen Anreiz zur Gewinnverlagerung in andere Staaten mit niedrigeren Körperschaftsteuersätzen in sein Gegenteil verkehrt. Damit geht die Maßnahme nicht über das hinaus, was zur Erreichung des mit ihr verfolgten Ziels erforderlich ist.
c) Zwischenergebnis
96. Der in Art. 8 Abs. 7 vorgesehene Abzug der im Ausland durch das beherrschte ausländische Unternehmen entrichteten Steuer war daher als eine Ausnahmevorschrift, die die Erreichung ebendieses Richtlinienziels einschränkt, nicht von der Umsetzungsverpflichtung der mindestharmonisierenden ATAD erfasst. Durch die Nichtumsetzung von Art. 8 Abs. 7 hat das Königreich Belgien folglich nicht gegen seine Umsetzungsverpflichtung verstoßen. Auch aus diesem Grund ist die Klage der Kommission unbegründet.
C. Zusammenfassung
97. Damit ist der Vorwurf der Vertragsverletzung durch Nichtumsetzung von Art. 8 Abs. 7 ATAD bei Wahl der Hinzurechnungsbesteuerung nach Art. 7 Abs. 2 Buchst. b ATAD schon bei teleologischer Auslegung dieser Norm, jedenfalls aber aufgrund der bloßen Mindestharmonisierung der Richtlinie nach ihrem Art. 3 unbegründet.
VI. Kosten
98. Nach Art. 138 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Kommission mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr gemäß dem Antrag des Königreichs Belgien die Kosten aufzuerlegen.
99. Gemäß Art. 140 Abs. 1 der Verfahrensordnung tragen die Mitgliedstaaten und die Organe der Union, die dem Rechtsstreit als Streithelfer beigetreten sind, ihre eigenen Kosten. In Anwendung dieser Bestimmung trägt das Königreich der Niederlande seine eigenen Kosten.
VII. Ergebnis
100. In Anbetracht der vorstehenden Erwägungen schlage ich dem Gerichtshof vor, wie folgt zu entscheiden:
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kommission trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Das Königreich der Niederlande trägt seine eigenen Kosten.