Vorläufige Fassung
URTEIL DES GERICHTSHOFS (Erste Kammer)
30. April 2025(* )
„ Vorlage zur Vorabentscheidung – Rechtsstaatlichkeit – Richterliche Unabhängigkeit – Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV – Wirksamer Rechtsschutz in den vom Unionsrecht erfassten Bereichen – Justizorgan, das dafür zuständig ist, die Einleitung von Disziplinarverfahren gegen Richter, Staatsanwälte und Strafrechtspfleger zwecks Verhängung von Disziplinarmaßnahmen vorzuschlagen – Fortführung der Amtsgeschäfte durch die Mitglieder des Justizorgans nach Ablauf ihrer Amtszeit – Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten – Verordnung (EU) 2016/679 – Datensicherheit – Zugang eines Justizorgans zu den Daten betreffend die Bankkonten der Richter, Staatsanwälte und Strafrechtspfleger und ihrer Familienangehörigen – Gerichtliche Genehmigung der Aufhebung des Bankgeheimnisses – Gericht, das die Aufhebung des Bankgeheimnisses genehmigt – Art. 4 Nr. 7 – Begriff ‚Verantwortlicher‘ – Art. 51 – Begriff ‚Aufsichtsbehörde‘ “
In den verbundenen Rechtssachen C‑313/23, C‑316/23 und C‑332/23
betreffend drei Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Sofiyski rayonen sad (Rayongericht Sofia, Bulgarien) mit Entscheidungen vom 22. Mai 2023 (C‑313/23 und C‑332/23) und vom 23. Mai 2023 (C‑316/23), beim Gerichtshof eingegangen am 22. Mai 2023 (C‑313/23), 23. Mai 2023 (C‑316/23) und 25. Mai 2023 (C‑332/23), in den Verfahren, die eingeleitet wurden vom
Inspektorat kam Visshia sadeben savet ,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten des Gerichtshofs K. Lenaerts in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Ersten Kammer, des Vizepräsidenten des Gerichtshofs T. von Danwitz (Berichterstatter), des Richters A. Kumin sowie der Richterinnen I. Ziemele und O. Spineanu‑Matei,
Generalanwalt: P. Pikamäe,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
– des Inspektorat kam Visshia sadeben savet, vertreten durch T. Tochkova als Bevollmächtigte,
– der bulgarischen Regierung, vertreten durch T. Mitova, S. Ruseva und R. Stoyanov als Bevollmächtigte,
– der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna als Bevollmächtigten,
– der Europäischen Kommission, vertreten durch A. Bouchagiar, C. Georgieva, H. Kranenborg und P. Van Nuffel als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 4. Oktober 2024,
folgendes
Urteil
1 Die Vorabentscheidungsersuchen betreffen die Auslegung von Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV und von Art. 2 Abs. 2 Buchst. a, Art. 4 Nr. 7, Art. 32 Abs. 1 Buchst. b, Art. 33 Abs. 3 Buchst. d, Art. 51, Art. 57 Abs. 1 Buchst. b und Art. 79 Abs. 1 der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung) (ABl. 2016, L 119, S. 1, im Folgenden: DSGVO) in Verbindung mit Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta).
2 Sie ergehen in Verfahren, die vom Inspektorat kam Visshia sadeben savet (Aufsichtsbehörde beim Obersten Justizrat, Bulgarien) (im Folgenden: Aufsichtsbehörde) angestrengt wurden, um zu erreichen, dass die Daten betreffend die Bankkonten mehrerer Richter, Staatsanwälte bzw. Rechtspfleger und ihrer Familienangehörigen ihm gegenüber offengelegt werden.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
3 In den Erwägungsgründen 16 und 20 der DSGVO heißt es:
„(16) Diese Verordnung gilt nicht für Fragen des Schutzes von Grundrechten und Grundfreiheiten und des freien Verkehrs personenbezogener Daten im Zusammenhang mit Tätigkeiten, die nicht in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fallen, wie etwa die nationale Sicherheit betreffende Tätigkeiten. …
…
(20) Diese Verordnung gilt zwar unter anderem für die Tätigkeiten der Gerichte und anderer Justizbehörden, doch könnte im Unionsrecht oder im Recht der Mitgliedstaaten festgelegt werden, wie die Verarbeitungsvorgänge und Verarbeitungsverfahren bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch Gerichte und andere Justizbehörden im Einzelnen auszusehen haben. Damit die Unabhängigkeit der Justiz bei der Ausübung ihrer gerichtlichen Aufgaben einschließlich ihrer Beschlussfassung unangetastet bleibt, sollten die Aufsichtsbehörden nicht für die Verarbeitung personenbezogener Daten durch Gerichte im Rahmen ihrer justiziellen Tätigkeit zuständig sein. Mit der Aufsicht über diese Datenverarbeitungsvorgänge sollten besondere Stellen im Justizsystem des Mitgliedstaats betraut werden können, die insbesondere die Einhaltung der Vorschriften dieser Verordnung sicherstellen, Richter und Staatsanwälte besser für ihre Pflichten aus dieser Verordnung sensibilisieren und Beschwerden in Bezug auf derartige Datenverarbeitungsvorgänge bearbeiten sollten.“
4 Art. 2 („Sachlicher Anwendungsbereich“) DSGVO bestimmt in den Abs. 1 und 2:
„(1) Diese Verordnung gilt für die ganz oder teilweise automatisierte Verarbeitung personenbezogener Daten sowie für die nichtautomatisierte Verarbeitung personenbezogener Daten, die in einem Dateisystem gespeichert sind oder gespeichert werden sollen.
(2) Diese Verordnung findet keine Anwendung auf die Verarbeitung personenbezogener Daten
a) im Rahmen einer Tätigkeit, die nicht in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fällt,
…“
5 Art. 4 („Begriffsbestimmungen“) DSGVO bestimmt:
„Im Sinne dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck:
…
2. ‚Verarbeitung‘ jeden mit oder ohne Hilfe automatisierter Verfahren ausgeführten Vorgang oder jede solche Vorgangsreihe im Zusammenhang mit personenbezogenen Daten wie das Erheben, das Erfassen, die Organisation, das Ordnen, die Speicherung, die Anpassung oder Veränderung, das Auslesen, das Abfragen, die Verwendung, die Offenlegung durch Übermittlung, Verbreitung oder eine andere Form der Bereitstellung, den Abgleich oder die Verknüpfung, die Einschränkung, das Löschen oder die Vernichtung;
…
7. ‚Verantwortlicher‘ die natürliche oder juristische Person, Behörde, Einrichtung oder andere Stelle, die allein oder gemeinsam mit anderen über die Zwecke und Mittel der Verarbeitung von personenbezogenen Daten entscheidet; sind die Zwecke und Mittel dieser Verarbeitung durch das Unionsrecht oder das Recht der Mitgliedstaaten vorgegeben, so kann der Verantwortliche beziehungsweise können die bestimmten Kriterien seiner Benennung nach dem Unionsrecht oder dem Recht der Mitgliedstaaten vorgesehen werden;
…“
6 Art. 12 („Transparente Information, Kommunikation und Modalitäten für die Ausübung der Rechte der betroffenen Person“) DSGVO bestimmt in Abs. 1:
„Der Verantwortliche trifft geeignete Maßnahmen, um der betroffenen Person alle Informationen gemäß den Artikeln 13 und 14 und alle Mitteilungen gemäß den Artikeln 15 bis 22 und Artikel 34, die sich auf die Verarbeitung beziehen, in präziser, transparenter, verständlicher und leicht zugänglicher Form in einer klaren und einfachen Sprache zu übermitteln; … Die Übermittlung der Informationen erfolgt schriftlich oder in anderer Form, gegebenenfalls auch elektronisch. …“
7 Art. 14 („Informationspflicht, wenn die personenbezogenen Daten nicht bei der betroffenen Person erhoben wurden“) DSGVO bestimmt in den Abs. 1 und 2:
„(1) Werden personenbezogene Daten nicht bei der betroffenen Person erhoben, so teilt der Verantwortliche der betroffenen Person Folgendes mit:
a) den Namen und die Kontaktdaten des Verantwortlichen sowie gegebenenfalls seines Vertreters;
b) gegebenenfalls die Kontaktdaten des Datenschutzbeauftragten;
c) die Zwecke, für die die personenbezogenen Daten verarbeitet werden sollen, sowie die Rechtsgrundlage für die Verarbeitung;
d) die Kategorien personenbezogener Daten, die verarbeitet werden;
e) gegebenenfalls die Empfänger oder Kategorien von Empfängern der personenbezogenen Daten;
f) gegebenenfalls die Absicht des Verantwortlichen, die personenbezogenen Daten an einen Empfänger in einem Drittland oder einer internationalen Organisation zu übermitteln …
(2) Zusätzlich zu den Informationen gemäß Absatz 1 stellt der Verantwortliche der betroffenen Person die folgenden Informationen zur Verfügung, die erforderlich sind, um der betroffenen Person gegenüber eine faire und transparente Verarbeitung zu gewährleisten:
a) die Dauer, für die die personenbezogenen Daten gespeichert werden oder, falls dies nicht möglich ist, die Kriterien für die Festlegung dieser Dauer;
b) wenn die Verarbeitung auf Artikel 6 Absatz 1 Buchstabe f beruht, die berechtigten Interessen, die von dem Verantwortlichen oder einem Dritten verfolgt werden;
c) das Bestehen eines Rechts auf Auskunft seitens des Verantwortlichen über die betreffenden personenbezogenen Daten sowie auf Berichtigung oder Löschung oder auf Einschränkung der Verarbeitung und eines Widerspruchsrechts gegen die Verarbeitung sowie des Rechts auf Datenübertragbarkeit;
d) wenn die Verarbeitung auf Artikel 6 Absatz 1 Buchstabe a oder Artikel 9 Absatz 2 Buchstabe a beruht, das Bestehen eines Rechts, die Einwilligung jederzeit zu widerrufen, ohne dass die Rechtmäßigkeit der aufgrund der Einwilligung bis zum Widerruf erfolgten Verarbeitung berührt wird;
e) das Bestehen eines Beschwerderechts bei einer Aufsichtsbehörde;
f) aus welcher Quelle die personenbezogenen Daten stammen und gegebenenfalls ob sie aus öffentlich zugänglichen Quellen stammen;
g) das Bestehen einer automatisierten Entscheidungsfindung …“
8 Art. 21 („Widerspruchsrecht“) DSGVO bestimmt in Abs. 1:
„Die betroffene Person hat das Recht, aus Gründen, die sich aus ihrer besonderen Situation ergeben, jederzeit gegen die Verarbeitung sie betreffender personenbezogener Daten, die aufgrund von Artikel 6 Absatz 1 Buchstaben e oder f erfolgt, Widerspruch einzulegen; dies gilt auch für ein auf diese Bestimmungen gestütztes Profiling. Der Verantwortliche verarbeitet die personenbezogenen Daten nicht mehr, es sei denn, er kann zwingende schutzwürdige Gründe für die Verarbeitung nachweisen, die die Interessen, Rechte und Freiheiten der betroffenen Person überwiegen, oder die Verarbeitung dient der Geltendmachung, Ausübung oder Verteidigung von Rechtsansprüchen.“
9 Art. 32 („Sicherheit der Verarbeitung“) DSGVO bestimmt in Abs. 1:
„Unter Berücksichtigung des Stands der Technik, der Implementierungskosten und der Art, des Umfangs, der Umstände und der Zwecke der Verarbeitung sowie der unterschiedlichen Eintrittswahrscheinlichkeit und Schwere des Risikos für die Rechte und Freiheiten natürlicher Personen treffen der Verantwortliche und der Auftragsverarbeiter geeignete technische und organisatorische Maßnahmen, um ein dem Risiko angemessenes Schutzniveau zu gewährleisten; 1 diese Maßnahmen schließen gegebenenfalls unter anderem Folgendes ein:
…
b) die Fähigkeit, die Vertraulichkeit, Integrität, Verfügbarkeit und Belastbarkeit der Systeme und Dienste im Zusammenhang mit der Verarbeitung auf Dauer sicherzustellen;
…“
10 Art. 33 („Meldung von Verletzungen des Schutzes personenbezogener Daten an die Aufsichtsbehörde“) DSGVO bestimmt in den Abs. 1 und 3:
„(1) Im Falle einer Verletzung des Schutzes personenbezogener Daten meldet der Verantwortliche unverzüglich und möglichst binnen 72 Stunden, nachdem ihm die Verletzung bekannt wurde, diese der gemäß Artikel 55 zuständigen Aufsichtsbehörde, es sei denn, dass die Verletzung des Schutzes personenbezogener Daten voraussichtlich nicht zu einem Risiko für die Rechte und Freiheiten natürlicher Personen führt. Erfolgt die Meldung an die Aufsichtsbehörde nicht binnen 72 Stunden, so ist ihr eine Begründung für die Verzögerung beizufügen.
…
(3) Die Meldung gemäß Absatz 1 enthält zumindest folgende Informationen:
…
d) eine Beschreibung der von dem Verantwortlichen ergriffenen oder vorgeschlagenen Maßnahmen zur Behebung der Verletzung des Schutzes personenbezogener Daten und gegebenenfalls Maßnahmen zur Abmilderung ihrer möglichen nachteiligen Auswirkungen.“
11 Kapitel VI („Unabhängige Aufsichtsbehörden“) der DSGVO enthält die Art. 51 bis 59.
12 Art. 51 („Aufsichtsbehörde“) DSGVO bestimmt:
„(1) Jeder Mitgliedstaat sieht vor, dass eine oder mehrere unabhängige Behörden für die Überwachung der Anwendung dieser Verordnung zuständig sind, damit die Grundrechte und Grundfreiheiten natürlicher Personen bei der Verarbeitung geschützt werden und der freie Verkehr personenbezogener Daten in der Union erleichtert wird (im Folgenden ‚Aufsichtsbehörde‘).
…
(3) Gibt es in einem Mitgliedstaat mehr als eine Aufsichtsbehörde, so bestimmt dieser Mitgliedstaat die Aufsichtsbehörde, die diese Behörden im [Europäischen Datenschutzausschuss] vertritt, und führt ein Verfahren ein, mit dem sichergestellt wird, dass die anderen Behörden die Regeln für das Kohärenzverfahren nach Artikel 63 einhalten.
(4) Jeder Mitgliedstaat teilt der Kommission bis spätestens 25. Mai 2018 die Rechtsvorschriften, die er aufgrund dieses Kapitels erlässt, sowie unverzüglich alle folgenden Änderungen dieser Vorschriften mit.“
13 Art. 55 („Zuständigkeit“) DSGVO bestimmt:
„(1) Jede Aufsichtsbehörde ist für die Erfüllung der Aufgaben und die Ausübung der Befugnisse, die ihr mit dieser Verordnung übertragen wurden, im Hoheitsgebiet ihres eigenen Mitgliedstaats zuständig.
(2) Erfolgt die Verarbeitung durch Behörden oder private Stellen auf der Grundlage von Artikel 6 Absatz 1 Buchstabe c oder e, so ist die Aufsichtsbehörde des betroffenen Mitgliedstaats zuständig. In diesem Fall findet Artikel 56 keine Anwendung.
(3) Die Aufsichtsbehörden sind nicht zuständig für die Aufsicht über die von Gerichten im Rahmen ihrer justiziellen Tätigkeit vorgenommenen Verarbeitungen.“
14 Art. 57 („Aufgaben“) DSGVO bestimmt in Abs. 1:
„Unbeschadet anderer in dieser Verordnung dargelegter Aufgaben muss jede Aufsichtsbehörde in ihrem Hoheitsgebiet
a) die Anwendung dieser Verordnung überwachen und durchsetzen;
…
h) Untersuchungen über die Anwendung dieser Verordnung durchführen, auch auf der Grundlage von Informationen einer anderen Aufsichtsbehörde oder einer anderen Behörde;
…“
15 In Art. 58 („Befugnisse“) DSGVO sind die Untersuchungsbefugnisse (Abs. 1) und die Abhilfebefugnisse (Abs. 2) genannt, über die jede Aufsichtsbehörde verfügt.
16 Kapitel VIII („Rechtsbehelfe, Haftung und Sanktionen“) der DSGVO enthält die Art. 77 bis 84.
17 Art. 77 („Recht auf Beschwerde bei einer Aufsichtsbehörde“) DSGVO bestimmt in Abs. 1:
„Jede betroffene Person hat unbeschadet eines anderweitigen verwaltungsrechtlichen oder gerichtlichen Rechtsbehelfs das Recht auf Beschwerde bei einer Aufsichtsbehörde, 1 insbesondere in dem Mitgliedstaat ihres gewöhnlichen Aufenthaltsorts, ihres Arbeitsplatzes oder des Orts des mutmaßlichen Verstoßes, wenn die betroffene Person der Ansicht ist, dass die Verarbeitung der sie betreffenden personenbezogenen Daten gegen diese Verordnung verstößt.“
18 Art. 78 („Recht auf wirksamen gerichtlichen Rechtsbehelf gegen eine Aufsichtsbehörde“) DSGVO bestimmt in Abs. 1:
„Jede natürliche oder juristische Person hat unbeschadet eines anderweitigen verwaltungsrechtlichen oder außergerichtlichen Rechtsbehelfs das Recht auf einen wirksamen gerichtlichen Rechtsbehelf gegen einen sie betreffenden rechtsverbindlichen Beschluss einer Aufsichtsbehörde.“
19 Art. 79 („Recht auf wirksamen gerichtlichen Rechtsbehelf gegen Verantwortliche oder Auftragsverarbeiter“) DSGVO bestimmt in Abs. 1:
„Jede betroffene Person hat unbeschadet eines verfügbaren verwaltungsrechtlichen oder außergerichtlichen Rechtsbehelfs einschließlich des Rechts auf Beschwerde bei einer Aufsichtsbehörde gemäß Artikel 77 das Recht auf einen wirksamen gerichtlichen Rechtsbehelf, wenn sie der Ansicht ist, dass die ihr aufgrund dieser Verordnung zustehenden Rechte infolge einer nicht im Einklang mit dieser Verordnung stehenden Verarbeitung ihrer personenbezogenen Daten verletzt wurden.“
Bulgarisches Recht
Bulgarische Verfassung
20 Art. 117 Abs. 2 der Konstitutsia na Republika Bulgaria (Verfassung der Republik Bulgarien) in der auf die Sachverhalte der Ausgangsrechtsstreitigkeiten anwendbaren Fassung (im Folgendem: bulgarische Verfassung) bestimmt:
„Die rechtsprechende Gewalt ist unabhängig. Richter, Schöffen, Staatsanwälte und Strafrechtspfleger sind bei der Ausübung ihres Amtes nur dem Gesetz unterworfen.“
21 Art. 132a der bulgarischen Verfassung in der zum Zeitpunkt der Einreichung der vorliegenden Vorabentscheidungsersuchen geltenden Fassung bestimmt:
„(1) Beim Obersten Justizrat wird eine Aufsichtsbehörde eingerichtet, die mit einem Generalsinspektor und zehn Inspektoren besetzt ist.
(2) Der Generalinspektor wird von der Nationalversammlung mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der Abgeordneten für fünf Jahre gewählt.
(3) Die Inspektoren werden von der Nationalversammlung nach den in Abs. 2 genannten Modalitäten für vier Jahre gewählt.
(4) Der Generalinspekteur und die Inspektoren können wiedergewählt werden, jedoch nicht für zwei aufeinanderfolgende Amtszeiten.
…
(6) Die Aufsichtsbehörde überwacht die Tätigkeiten der rechtsprechenden Gewalt, ohne dass dabei die Unabhängigkeit, über die die Richter, Schöffen, Staatsanwälte und Strafrechtspfleger bei der Ausübung ihres Amtes verfügen, beeinträchtigt wird. Die Aufsichtsbehörde führt Untersuchungen über die Integrität und die Interessenkonflikte der Richter, Staatsanwälte und Strafrechtspfleger, über deren Erklärungen über ihre Vermögensverhältnisse und zur Aufdeckung von Handlungen, die dem Ansehen der Justiz schaden oder mit denen die Unabhängigkeit der Richter, Staatsanwälte und Strafrechtspfleger beeinträchtigt wird, durch. Der Generalinspekteur und die Inspektoren sind bei der Ausübung ihres Amtes unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen.
(7) Die Aufsichtsbehörde wird auf Betreiben von Bürgern, juristischen Personen oder Behörden, einschließlich Richtern, Staatsanwälten und Strafrechtspflegern, von Amts wegen tätig.
…
(10) Die Bedingungen und Modalitäten der Wahl und der Abberufung des Generalinspekteurs und der Inspektoren und die Organisation und die Arbeitsweise der Aufsichtsbehörde werden durch ein Gesetz geregelt.“
ZSV
22 Art. 46 des Zakon za sadebnata vlast (Gerichtsverfassungsgesetz) (DV Nr. 64 vom 7. August 2007) in der auf die Sachverhalte der Ausgangsrechtsstreitigkeiten anwendbaren Fassung (im Folgenden: ZSV) bestimmt:
„Die Nationalversammlung wählt den Generalinspekteur und die Inspektoren jeweils einzeln mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der Abgeordneten.“
23 Art. 54 ZSV bestimmt in den Abs. 1 und 2:
„(1) Die Aufsichtsbehörde
…
2. überwacht die Organisation der Einleitung und des Ablaufs der Gerichtsverfahren, der Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft und der Untersuchungen und die fristgerechte Erledigung der Rechtssachen;
…
6. schlägt Disziplinarmaßnahmen gegen Richter, Staatsanwälte, Strafrechtspfleger und Verwaltungsbedienstete der Justiz vor;
7. weist andere Behörden, einschließlich der Behörden der Justiz, auf Missstände hin, macht ihnen gegenüber Vorschläge und erstellt für sie Berichte.
8. führt Untersuchungen über die Integrität und die Interessenkonflikte der Richter, Staatsanwälte und Strafrechtspfleger, über deren Erklärungen über ihre Vermögensverhältnisse und zur Aufdeckung von Handlungen, die dem Ansehen der Justiz schaden oder mit denen die Unabhängigkeit der Richter, Staatsanwälte und Strafrechtspfleger beeinträchtigt wird, durch;
…
15. überwacht in den in Art. 17 Abs. 1 des Gesetzes über den Schutz personenbezogener Daten genannten Fällen die Verarbeitung personenbezogener Daten.
(2) Bei der Überwachung der Verarbeitung personenbezogener Daten gemäß Abs. 1 Nr. 15 nimmt die Aufsichtsbehörde die Aufgaben wahr und übt die Befugnisse aus, die in dem Gesetz über den Schutz personenbezogener Daten vorgesehen sind.“
24 Art. 175a ZSV bestimmt in Abs. 1:
„Die Richter, Staatsanwälte und Strafrechtspfleger geben gegenüber der [Aufsichtsbehörde] folgende Erklärungen ab:
1. eine Erklärung in zwei Teilen betreffend die Vermögensverhältnisse und die Interessen des Erklärenden;
2. eine Erklärung über eine Änderung der in der Erklärung gemäß Abs. 1 in dem Abschnitt über die in Art. 175b Abs. 1 Nrn. 11 bis 13 genannten Interessen angegebenen Umstände betreffend die Herkunft der Gelder bei vorzeitiger Rückzahlung von Schulden und Darlehen.“
25 Art. 175b Abs. 4 ZSV bestimmt:
„Die Richter, Staatsanwälte und Strafrechtspfleger geben eine Erklärung über die Vermögens- und Einkommensverhältnisse ihres Ehe- oder Lebenspartners und ihrer minderjährigen Kinder ab.“
26 Art. 175d ZSV bestimmt:
„(1) Die [Aufsichtsbehörde] führt und speichert elektronische öffentliche Register, in die eingetragen werden:
1. Erklärungen gemäß Art. 175a Abs. 1 Nrn. 1 und 2;
2. rechtskräftige Entscheidungen über verwaltungsrechtliche Sanktionen.
(2) Die [Aufsichtsbehörde] trägt in das Register gemäß Abs. 1 Nr. 1 die Erklärungen über die Vermögensverhältnisse und Interessen und die Erklärung über eine Änderung der angegebenen Umstände ein. Die Eintragung wird ausschließlich von vom Generalsinspektor hierzu ermächtigten Bediensteten vorgenommen.
…
(4) Jeder hat das Recht auf Auskunft aus dem öffentlichen Register.
(5) Die Auskunft wird unter Berücksichtigung der Anforderungen des Schutzes personenbezogener Daten über die Website der [Aufsichtsbehörde] erteilt.“
27 Art. 175e ZSV bestimmt in den Abs. 1 und 6:
„(1) Die [Aufsichtsbehörde] prüft innerhalb von sechs Monaten nach Ablauf der Frist zur Einreichung der Erklärung, ob die Angaben richtig sind. …
…
(6) Die [Aufsichtsbehörde] kann Auskünfte aus den in den Art. 56 und 56a des Gesetzes über Kreditinstitute genannten Informationssystemen erlangen. Der Generalinspekteur und die Inspektoren der [Aufsichtsbehörde] können beim Rayonen sad [(Rayongericht)] des Bezirks, in dem die betreffende Person ihren Wohnsitz hat, die Aufhebung des Bankgeheimnisses beantragen, wenn keine Einwilligung gemäß Art. 62 Abs. 5 Nr. 1 des Gesetzes über die Kreditinstitute erteilt wurde. Die Einwilligung wird gegenüber der [Aufsichtsbehörde] schriftlich auf einem vom Generalinspekteur genehmigten Vordruck ohne notarielle Beglaubigung der Unterschrift erteilt.“
28 Art. 307 Abs. 2 ZSV bestimmt:
„Ein Dienstvergehen stellt einen schuldhaften Verstoß gegen die Dienstpflichten dar und schadet dem Ansehen der Justiz.“
29 Art. 311 ZSV bestimmt:
„Die Disziplinarmaßnahme wird verhängt
1. bei der Disziplinarmaßnahme gemäß Art. 308 Abs. 1 Nr. 1 durch den Verantwortlichen der Verwaltung;
2. bei den Disziplinarmaßnahmen gemäß Art. 308 Abs. 1 Nrn. 2, 3, 4 und 6 durch die betreffende Kammer des Obersten Justizrats (Kammer der Richter, Staatsanwälte oder Strafrechtspfleger);
…
4. bei den Disziplinarmaßnahmen gemäß Art. 308 Abs. 2, die gegen ein gewähltes Mitglied des Obersten Justizrats verhängt werden, durch das Plenum des Obersten Justizrat.“
30 Art. 312 Abs. 1 ZSV bestimmt:
„Die Einleitung eines Disziplinarverfahrens zwecks Verhängung einer Disziplinarmaßnahme gegen einen Richter, einen Staatsanwalt, einen Strafrechtspfleger, einen Bediensteten der Verwaltung oder einen beigeordneten Bediensteten der Verwaltung kann vorgeschlagen werden durch
…
3. die [Aufsichtsbehörde];
…“
31 Art. 323 Abs. 1 ZSV bestimmt:
„Die Entscheidung des Plenums oder der betreffenden Kammer des Obersten Justizrats kann von der Person, gegen die die Disziplinarmaßnahme verhängt ist, oder, wenn keine Disziplinarmaßnahme verhängt wurde oder eine weniger schwere als die vorgeschlagene, von der Person, die die Einleitung des Disziplinarverfahrens vorgeschlagen hat, beim Varhoven administrativen sad [(Oberstes Verwaltungsgericht, Bulgarien)] innerhalb von 14 Tagen nach ihrer Mitteilung oder Zustellung angefochten werden.“
ZKI
32 Art. 62 des Zakon za kreditnite institutsii (Gesetz über die Kreditinstitute) (DV Nr. 59 vom 21. Juli 2006) in der auf die Sachverhalte der Ausgangsrechtsstreitigkeiten anwendbaren Fassung (im Folgenden: ZKI) bestimmt:
„(1) Beschäftigte und Mitglieder von Geschäftsleitungsorganen und Kontrollgremien von Banken, Bedienstete der [Bulgarischen Nationalbank (BNB)], Beschäftigte und Mitglieder des Verwaltungsrats des Einlagensicherungsfonds, Liquidatoren, vorübergehende Geschäftsführer und Insolvenzverwalter sowie andere Personen, die für eine Bank tätig sind, dürfen Informationen, die unter das Bankgeheimnis fallen, nicht verbreiten oder zum eigenen Nutzen oder zum Nutzen von Familienangehörigen verwenden.
(2) Unter das Bankgeheimnis fallen die den Saldo und die Umsätze der Konten und Einlagen der Kunden betreffenden Tatsachen und Umstände.
…
(5) Außer an die BNB für die Zwecke und unter den Voraussetzungen von Art. 56 darf die Bank die in Abs. 2 genannten Informationen über bestimmte Kunden nur erteilen,
1. mit Einwilligung des Kunden,
2. aufgrund einer gerichtlichen Entscheidung gemäß den Abs. 6 und 7,
3. aufgrund einer gerichtlichen Anordnung, wenn dies in einer Rechtssache, die bei dem betreffenden Gericht anhängig ist, zur Aufklärung des Sachverhalts erforderlich ist,
4. in den in Abs. 12 genannten Fällen, wenn eine Bank Gegenstand eines Insolvenzverfahrens ist, oder
5. bei einem internationalen Schiedsverfahren, an dem die Republik Bulgarien beteiligt ist.
(6) Das Gericht kann die Offenlegung der Informationen gemäß Abs. 2 auch anordnen auf Antrag
…
12. des Generalinspekteurs oder eines Inspektors der [Aufsichtsbehörde].
(7) Der Rayonen sad ([Rayongericht]) entscheidet über den Antrag gemäß Abs. 6 in der Besetzung als Kammer durch begründete Entscheidung innerhalb von 24 Stunden nach Eingang des Antrags, wobei der Zeitraum angegeben wird, auf den sich die in Abs. 1 genannten Informationen beziehen. Die Entscheidung des Gerichts ist unanfechtbar.
…“
ZZLD
33 Art. 6 Abs. 1 des Zakon za zashtita na lichnite danni (Gesetz über den Schutz personenbezogener Daten) (DV Nr. 1 vom 4. Januar 2002) in der auf die Sachverhalte der Ausgangsrechtsstreitigkeiten anwendbaren Fassung (im Folgenden: ZZLD) bestimmt in Abs. 1:
„Die Komisia za zashtita na lichnite danni [(Datenschutzkommission, Bulgarien) (im Folgenden: KZLD)] ist eine auf Dauer eingerichtete, unabhängige Aufsichtsbehörde, die den Schutz der Personen bei der Verarbeitung der sie betreffenden personenbezogenen Daten und beim Zugang zu diesen Daten und die Überwachung der Einhaltung der [DSGVO] und dieses Gesetzes gewährleistet.“
34 Art. 17 KZLD bestimmt in den Abs. 1 und 2:
„(1) Die [Aufsichtsbehörde] überwacht und kontrolliert die Einhaltung der [DSGVO], dieses Gesetzes und der Handlungen im Bereich des Schutzes personenbezogener Daten, wenn diese verarbeitet werden von
1. dem Gericht in Ausübung seiner Aufgaben als Organ der rechtsprechenden Gewalt oder
2. der Staatsanwaltschaft und den Ermittlungsbehörden in Ausübung ihrer Aufgaben als Organe der rechtsprechenden Gewalt zum Zweck der Verhütung, Aufdeckung, Ermittlung und Verfolgung von Straftaten oder zum Zweck des Vollzugs von Strafen.
(2) Die Modalitäten der Durchführung der in Abs. 1 genannten Tätigkeit, insbesondere die Durchführung von Kontrollen und die Prüfung der Verfahren vor der Aufsichtsbehörde, werden in der in Art. 5 Abs. 8 [ZSV] genannten Verordnung festgelegt.“
35 Art. 17a Abs. 1 ZZLD bestimmt:
„Die Aufsichtsbehörde, wenn sie die Verarbeitung personenbezogener Daten durch ein Gericht in Ausübung seiner Aufgaben als Organ der rechtsprechenden Gewalt überwacht, außer in den Fällen der Verarbeitung personenbezogener Daten gemäß Art. 42 Abs. 1,
1. nimmt die Aufgaben gemäß Art. 57 Abs. 1 Buchst. a bis i, l, u und v und Abs. 2 und 3 der [DSGVO] wahr;
2. übt die Befugnisse gemäß Art. 58 Abs. 1 Buchst. a, b, d, e und f, Abs. 2 Buchst. a bis g, i und j und Abs. 3 Buchst. a, b und c [DSGVO] aus;
3. wendet die Liste an, die die [KZLD] gemäß Art. 35 Abs. 4 der [DSGVO] in Verbindung mit dem Erfordernis einer Datenschutz-Folgenabschätzung erstellt hat;
4. erhebt bei Verletzung der [DSGVO] Klage.“
36 Art. 39 ZZLD bestimmt:
„(1) Bei einer Verletzung ihrer Rechte aus der [DSGVO] und diesem Gesetz kann die betroffene Person die Rechtsakte und Handlungen des Verantwortlichen und des Auftragsverarbeiters nach dem in dem Gesetzbuch über das Verwaltungsverfahren vorgesehenen Verfahren vor Gericht anfechten.
…
(4) Die betroffene Person kann keine Klage erheben, wenn wegen desselben Verstoßes ein Verfahren bei der [KZLD] anhängig ist oder gegen eine Entscheidung der [KZLD], die denselben Verstoß betrifft, Klage erhoben worden ist und es keine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung gibt. Auf Antrag der betroffenen Person oder des Gerichts bestätigt die [KZLD], dass bei ihr in derselben Sache kein Verfahren anhängig ist.
(5) Abs. 4 gilt auch für Verfahren, die bei der Aufsichtsbehörde anhängig sind.“
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
37 Nach Ablauf der Frist gemäß Art. 175a und 175b ZSV für die Abgabe der jährlichen Erklärung über die Vermögensverhältnisse der Richter, Staatsanwälte und Strafrechtspfleger und ihrer Familienangehörigen für das Jahr 2022 beantragte die Aufsichtsbehörde am 15. Mai 2023 beim Sofiyski rayonen sad (Rayongericht Sofia, Bulgarien), dem vorlegenden Gericht, gemäß Art. 62 Abs. 6 Nr. 12 ZKI, bezüglich der Bankkonten mehrerer Richter, Staatsanwälte bzw. Strafrechtspfleger und ihrer Familienangehörigen das Bankgeheimnis aufzuheben.
38 Das vorlegende Gericht weist als Erstes darauf hin, dass es zu prüfen habe, ob die Aufsichtsbehörde für die Einreichung eines solchen Antrags überhaupt zuständig sei. Die Aufsichtsbehörde, die durch eine Änderung der bulgarischen Verfassung von 2007 geschaffen worden sei, habe die Aufgabe, in Fällen einer unzulässigen Einflussnahme auf Richter, Staatsanwälte oder Strafrechtspfleger zu ermitteln, deren Erklärungen über die Vermögensverhältnisse zu überprüfen und etwaige Interessenkonflikte und Eingriffe in die Unabhängigkeit der Justiz aufzudecken.
39 Die Aufsichtsbehörde bestehe aus einem Generalinspekteur und zehn Inspektoren, die von der Nationalversammlung für fünf bzw. vier Jahre gewählt würden. Bei sämtlichen Mitgliedern der Aufsichtsbehörde sei die Amtszeit aber im Laufe des Jahres 2020 abgelaufen, ohne dass die Nationalversammlung neue Mitglieder gewählt habe.
40 Zwar habe der Konstitutsionen sad (Verfassungsgericht, Bulgarien) mit einem Urteil vom 27. September 2022 entschieden, dass die bulgarische Verfassung dahin auszulegen sei, dass der Generalinspekteur und die Inspektoren, deren Amtszeit abgelaufen sei, ihre Amtsgeschäfte fortführen dürften, bis die Nationalversammlung neue Mitglieder der Aufsichtsbehörde gewählt habe, weil die Erfüllung der Aufgaben der Aufsichtsbehörde wichtiger sei als die Gefahr, dass deren Mitglieder, deren Amtszeit abgelaufen sei, ihre Befugnisse missbrauchten. Das Verfassungsgericht sei in diesem Urteil jedoch nicht auf die Frage eingegangen, ob die Mitglieder der Aufsichtsbehörde, die ihre Amtsgeschäfte nach Ablauf ihrer Amtszeit fortführten, einen unzulässigen Einfluss auf die rechtsprechende Gewalt ausüben oder selbst Druck seitens der Abgeordneten ausgesetzt sein könnten.
41 Das vorlegende Gericht fragt sich deshalb, ob das Unionsrecht strengere Anforderungen stellt als die bulgarische Verfassung, wie sie vom Konstitutsionen sad (Verfassungsgericht, Bulgarien) ausgelegt worden sei. Im Hinblick auf das Urteil des Gerichtshofs vom 11. Mai 2023, Inspecția Judiciară (C‑817/21, EU:C:2023:391, Rn. 50 und 51), fragt es sich insbesondere, ob eine Verlängerung der Amtszeit der Mitglieder der Aufsichtsbehörde die Garantien für die Unabhängigkeit der Aufsichtsbehörde als Behörde, die befugt sei, Disziplinarverfahren gegen Richter, Staatsanwälte oder Strafrechtspfleger vorzuschlagen, beeinträchtigen kann und, wenn Ja, anhand welcher Kriterien beurteilt werden kann, ob und für welche Dauer die Verlängerung der Amtszeit zulässig ist.
42 Als Zweites fragt sich das vorlegende Gericht, welche Rolle und welche Pflichten die nationalen Gerichte haben, wenn sie den Zugang der Aufsichtsbehörde zu den personenbezogenen Daten der Richter, Staatsanwälte und Strafrechtspfleger zu genehmigen haben.
43 Im Laufe des Jahres 2019 habe in den bulgarischen Medien ein schwerwiegendes Problem betreffend die Sicherheit der Daten der Aufsichtsbehörde für Aufsehen gesorgt. Die KZLD habe nämlich festgestellt, dass die personenbezogenen Daten von rund 20 Richtern und Staatsanwälten, die bei der Aufsichtsbehörde gespeichert gewesen seien, rechtswidrig in vollem Umfang auf der Website der Aufsichtsbehörde veröffentlicht worden seien, und habe deshalb gegen die Aufsichtsbehörde eine Geldbuße verhängt. Es lägen ihm, dem vorlegenden Gericht, aber keinerlei Information darüber vor, ob seit diesem Vorfall Maßnahmen ergriffen worden seien, um die Datensicherheit zu gewährleisten.
44 Das vorlegende Gericht fragt sich, ob seine Tätigkeit, die darin bestehe, den Zugang der Aufsichtsbehörde zu personenbezogenen Daten, die unter das Bankgeheimnis fielen, zu genehmigen, in den Anwendungsbereich der DSGVO falle und, wenn Ja, was dies für die von ihm vorzunehmende Kontrolle bedeute. Die DSGVO sehe Verpflichtungen für die Personen, die personenbezogene Daten verarbeiteten, die Verantwortlichen und die Aufsichtsbehörden vor.
45 Hingegen seien die Pflichten eines Gerichts, das den Zugang einer Behörde zu solchen Daten genehmige, in der DSGVO nicht unmittelbar geregelt. Es sei daher zu klären, ob ein solches Gericht als „Verantwortlicher“ im Sinne von Art. 4 Nr. 7 DSGVO oder „Aufsichtsbehörde“ im Sinne von Art. 51 DSGVO anzusehen sei, da es der Aufsichtsbehörde eine Genehmigung erteile, ohne die der Zugang zu den betreffenden Daten nicht erfolgen könne. Die Aufsichtsbehörde erhebe und überprüfe Daten betreffend die Vermögensverhältnisse der Richter, Staatsanwälte und Strafrechtspfleger für die in den Art. 175a und 175d ZSV genannten Zwecke, während die Gerichte diese Tätigkeit kontrollierten, indem sie den Zugang zu den betreffenden Daten gewährten oder verweigerten.
46 Seine Kontrolle habe nach der herrschenden Auslegung des nationalen Rechts in Bulgarien rein formal zu sein und sich auf die Prüfung der Frage zu beschränken, ob die Personen, in Bezug auf die die Aufhebung des Bankgeheimnisses beantragt werde, gemäß dem ZSV erklärungspflichtig seien, es sich bei ihnen also um Richter, Staatsanwälte oder Strafrechtspfleger oder Personen handele, die zu diesen in einer Verwandtschaftsbeziehung oder in einer anderen Beziehungen gemäß dem nationalen Recht stünden. Grundsätzlich gelte, dass die Gerichte die Aufhebung des Bankgeheimnisses, wenn diese Voraussetzungen erfüllt seien, stets gewähren müssten. Dies wäre hingegen nicht der Fall, wenn die Gerichte, die die vorherige Kontrolle durchführten, bei den personenbezogenen Daten, zu denen sie Zugang gewährten, als Verantwortliche anzusehen wären, so dass sie nach den Art. 32 bis 34 DSGVO deren Sicherheit zu gewährleisten hätten.
47 Die Gerichte hätten zwar keinen unmittelbaren Zugang zu den personenbezogenen Daten, die unter das Bankgeheimnis fielen, entschieden, indem sie den Zugang zu den Daten genehmigten oder verböten, aber in gewisser Weise über die Zwecke der Verarbeitung. Im Übrigen sei in den nationalen Bestimmungen, die in den Ausgangsverfahren anwendbar seien, nicht bestimmt, welche Behörde die Rechte und Pflichten eines Verantwortlichen habe, wenn die Zwecke der Verarbeitung personenbezogener Daten gesetzlich vorgegeben seien.
48 Außerdem fragt sich das vorlegende Gericht, ob es, bevor es den Zugang zu den Daten genehmige, um nicht lediglich als bloße Registrierungsstelle zu fungieren, prüfen könne, ob die Aufsichtsbehörde Maßnahmen getroffen habe, um eine den gesetzlichen Anforderungen entsprechende Verarbeitung der Daten zu gewährleisten.
49 Auch wenn das Gericht, das den Zugang der Aufsichtsbehörde zu den personenbezogenen Daten, die dem Bankgeheimnis unterlägen, zu genehmigen habe, nicht Verantwortlicher oder Aufsichtsbehörde sein sollte, stelle sich die Frage, ob es solche Kontrollen vornehmen müsse, um den wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz gemäß Art. 79 DSGVO zu gewährleisten. In dieser Bestimmung sei zwar der Fall geregelt, dass die betroffene Person Klage erhebe, um ihre Rechte zu schützen. Erfolge das Verfahren über die Offenlegung der Daten ohne Beteiligung der betroffenen Person und sehe das nationale Recht eine vorherige gerichtliche Kontrolle vor, müsse eine vergleichbare Verpflichtung aber von Amts wegen gelten. Dies ergebe sich auch aus dem Recht auf einen wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz, wie es in Art. 47 der Charta verbürgt sei. Ohne eine solche Verpflichtung würde sich das Gericht stets auf eine rein formale Prüfung und auf eine Bestätigung der Handlung der Verwaltung beschränken, was den Zielen von Art. 79 DSGVO zuwiderlaufen könnte.
50 Der Sofiyski rayonen sad (Rayongericht Sofia, Bulgarien) hat deshalb beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende, in den Rechtssachen C‑313/23, C‑316/23 und C‑332/23 gleichlautende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
1. Ist Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV in Verbindung mit Art. 47 Abs. 2 der Charta dahin auszulegen, dass es an sich oder unter bestimmten Voraussetzungen eine Verletzung der Pflicht der Mitgliedstaaten, wirksame Rechtsbehelfe für eine unabhängige gerichtliche Überprüfung zu gewährleisten, darstellt, wenn die Funktionen einer Behörde, die Disziplinarstrafen gegen Richter verhängen kann und Befugnisse zur Erhebung von Daten in Bezug auf deren Vermögen hat, nach dem Ende der in der Verfassung festgelegten Amtszeit dieser Stelle auf unbestimmte Zeit verlängert werden? Wenn eine derartige Verlängerung dieser Befugnisse zulässig ist, dann unter welchen Voraussetzungen?
2. Ist Art. 2 Abs. 2 Buchst. a DSGVO dahin auszulegen, dass es sich bei der Offenlegung des Bankgeheimnisses zum Zweck der Überprüfung des Vermögens von Richtern, Staatsanwälten und Strafrechtspflegern, welches anschließend öffentlich gemacht wird, um eine Tätigkeit handelt, die nicht in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fällt? Ist die Antwort eine andere, wenn diese Tätigkeit auch die Offenlegung von Daten der Familienangehörigen von Richtern, Staatsanwälten und Strafrechtspflegern umfasst, die selbst keine Richter, Staatsanwälte oder Strafrechtspfleger sind?
3. Ist – falls Frage 2 dahin beantwortet wird, dass das Unionsrecht zur Anwendung kommt – Art. 4 Nr. 7 DSGVO dahin auszulegen, dass eine Gerichtsbehörde, die einer anderen staatlichen Behörde den Zugang zu Daten über die Kontoguthaben von Richtern, Staatsanwälten und Strafrechtspflegern und deren Familienangehörigen gestattet, über die Zwecke oder Mittel der Verarbeitung von personenbezogenen Daten entscheidet und deshalb „Verantwortlicher“ für die Verarbeitung von personenbezogenen Daten ist?
4. Ist – falls Frage 2 dahin beantwortet wird, dass das Unionsrecht zur Anwendung kommt, und Frage 3 verneint wird – Art. 51 DSGVO dahin auszulegen, dass eine Gerichtsbehörde, die einer anderen staatlichen Behörde den Zugang zu Daten über die Kontoguthaben von Richtern, Staatsanwälten und Strafrechtspflegern und deren Familienangehörigen gestattet, für die Überwachung der Anwendung der DSGVO verantwortlich ist und deshalb als „Aufsichtsbehörde“ in Bezug auf diese Daten zu qualifizieren ist?
5. Ist – falls Frage 2 dahin beantwortet wird, dass das Unionsrecht zur Anwendung kommt, und Frage 3 oder 4 bejaht wird – Art. 32 Abs. 1 Buchst. b DSGVO bzw. Art. 57 Abs. 1 Buchst. a DSGVO dahin auszulegen, dass eine Gerichtsbehörde, die einer anderen staatlichen Behörde den Zugang zu Daten über die Kontoguthaben von Richtern, Staatsanwälten und Strafrechtspflegern und deren Familienangehörigen gestattet, verpflichtet ist, wenn Angaben über eine von der Behörde, der dieser Zugang gewährt werden soll, in der Vergangenheit begangene Verletzung des Schutzes personenbezogener Daten vorliegen, Informationen über die für den Schutz der Daten getroffenen Maßnahmen einzuholen und bei seiner Entscheidung über die Gestattung des Zugangs die Angemessenheit dieser Maßnahmen zu berücksichtigen?
6. Ist – falls Frage 2 dahin beantwortet wird, dass das Unionsrecht zur Anwendung kommt, und unabhängig von den Antworten auf die Fragen 3 und 4 – Art. 79 Abs. 1 DSGVO in Verbindung mit Art. 47 der Charta dahin auszulegen, dass, wenn das nationale Recht eines Mitgliedstaats vorsieht, dass bestimmte Kategorien von Daten nur nach einer Gestattung durch ein Gericht offengelegt werden können, das hierfür zuständige Gericht den Personen, deren Daten offengelegt werden, von Amts wegen Rechtsschutz gewähren muss, indem es die Behörde, die den Zugang zu den Daten beantragt hat und von der allgemein bekannt ist, dass sie in der Vergangenheit Verletzungen des Schutzes personenbezogener Daten begangen hat, verpflichtet, Informationen zu den gemäß Art. 33 Abs. 3 Buchst. d DSGVO getroffenen Maßnahmen und deren wirksamer Anwendung zur Verfügung zu stellen?
Verfahren vor dem Gerichtshof
Zur Verbindung
51 Mit Entscheidung des Präsidenten des Gerichtshofs vom 30. Juni 2023 sind die Rechtssachen C‑313/23, C‑316/23 und C‑332/23 zu gemeinsamem schriftlichen und mündlichen Verfahren und zu gemeinsamer Entscheidung verbunden worden.
Zum Antrag auf Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens
52 Mit Schriftsatz, der am 30. Oktober 2024 bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingegangen ist, hat die Aufsichtsbehörde gemäß Art. 83 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs beantragt, die Wiedereröffnung des schriftlichen Verfahrens zu beschließen. Da in Art. 83 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs die Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens geregelt ist und das mündliche Verfahren im vorliegenden Fall nach der Stellung der Schlussanträge des Generalanwalts geschlossen worden ist, ist der Antrag dahin zu verstehen, dass die Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens begehrt wird.
53 Die Aufsichtsbehörde begründet ihren Antrag mit zwei Aspekten, die beide Frage 1 betreffen. Erstens sei eine neue Tatsache eingetreten. Art. 132a Abs. 4 der bulgarischen Verfassung sei im Dezember 2023 dahin geändert worden, dass die Mitglieder der Aufsichtsbehörde nunmehr für zwei aufeinanderfolgende Amtszeiten gewählt werden könnten. Zweitens habe der Generalanwalt den Sachverhalt, um den es in den Ausgangsverfahren gehe, in seinen Schlussanträgen nicht richtig gewürdigt. Es sei dort von einer nationalen Regelung und einer Stellungnahme der Europäischen Kommission für Demokratie durch Recht (sogenannte Venedig-Kommission) die Rede, die für die vorliegenden Rechtssachen nicht relevant seien.
54 Es ist zum einen darauf hinzuweisen, dass die Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union und die Verfahrensordnung keine Möglichkeit für die in Art. 23 der Satzung bezeichneten Beteiligten vorsehen, eine Stellungnahme zu den Schlussanträgen des Generalanwalts einzureichen. Zum anderen stellt der Generalanwalt nach Art. 252 Abs. 2 AEUV öffentlich in völliger Unparteilichkeit und Unabhängigkeit begründete Schlussanträge zu den Rechtssachen, in denen nach der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union seine Mitwirkung erforderlich ist. Der Gerichtshof ist weder an diese Schlussanträge noch an ihre Begründung durch den Generalanwalt gebunden. Dass ein Beteiligter nicht mit den Schlussanträgen des Generalanwalts einverstanden ist, kann folglich unabhängig von den darin untersuchten Fragen für sich genommen kein Grund sein, der die Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens rechtfertigt (Urteil vom 19. Dezember 2024, Ford Italia, C‑157/23, EU:C:2024:1045, Rn. 26 und die dort angeführte Rechtsprechung).
55 Zwar kann der Gerichtshof nach Art. 83 der Verfahrensordnung jederzeit nach Anhörung des Generalanwalts die Eröffnung oder Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens beschließen, insbesondere wenn er sich für unzureichend unterrichtet hält, wenn eine Partei nach Abschluss des mündlichen Verfahrens eine neue Tatsache unterbreitet hat, die von entscheidender Bedeutung für die Entscheidung des Gerichtshofs ist, oder wenn ein zwischen den Beteiligten nicht erörtertes Vorbringen entscheidungserheblich ist.
56 Im vorliegenden Fall verfügt der Gerichtshof aber über sämtliche Angaben, um über die Vorabentscheidungsersuchen entscheiden zu können, und es ist kein zwischen den Beteiligten nicht erörtertes Vorbringen entscheidungserheblich. In dem Antrag auf Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens wird auch keine neue Tatsache genannt, die von entscheidender Bedeutung für die vom Gerichtshof in den vorliegenden Rechtssachen zu erlassende Entscheidung sein könnte.
57 Nach Anhörung des Generalanwaltes hält der Gerichtshof es daher nicht für angebracht, die Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens zu beschließen.
Zur Zulässigkeit der Vorabentscheidungsersuchen
58 Die bulgarische Regierung hat Zweifel an der Zulässigkeit der Vorabentscheidungsersuchen. Sie meint, die Einrichtung, die die Vorabentscheidungsersuchen eingereicht habe, fungiere in den Ausgangsverfahren nicht als Gericht im Sinne von Art. 267 AEUV. Zum einen seien die Verfahren vor dieser Einrichtung nicht kontradiktorisch. Sie würden ohne Beteiligung der betroffenen Personen durchgeführt. Zum anderen dienten sie nicht der Entscheidung eines Rechtsstreits. Es werde lediglich überprüft, ob die Voraussetzungen für die Aufhebung des Bankgeheimnisses erfüllt seien.
59 Bei der Beurteilung der rein unionsrechtlichen Frage, ob es sich bei der vorlegenden Einrichtung um ein „Gericht“ im Sinne von Art. 267 AEUV handelt, stellt der Gerichtshof nach ständiger Rechtsprechung auf eine Reihe von Merkmalen ab, zu denen u. a. die gesetzliche Grundlage der Einrichtung, ihr ständiger Charakter, die obligatorische Gerichtsbarkeit, die Anwendung von Rechtsnormen durch die Einrichtung sowie ihre Unabhängigkeit gehören (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 29. März 2022, Getin Noble Bank, C‑132/20, EU:C:2022:235, Rn. 66, und vom 7. Mai 2024, NADA u. a., C‑115/22, EU:C:2024:384, Rn. 35 die dort angeführte Rechtsprechung).
60 Es entspricht ebenfalls ständiger Rechtsprechung, dass die Anrufung des Gerichtshofs nach Art. 267 AEUV nicht voraussetzt, dass es sich bei dem Verfahren, in dem das nationale Gericht eine Vorlagefrage stellt, um ein kontradiktorisches Verfahren handelt. Die nationalen Gerichte können den Gerichtshof aber nur anrufen, wenn bei ihnen ein Rechtsstreit anhängig ist und sie im Rahmen eines Verfahrens zu entscheiden haben, das auf eine Entscheidung mit Rechtsprechungscharakter abzielt. Die Vorlageberechtigung einer Einrichtung ist also sowohl anhand struktureller als auch anhand funktioneller Kriterien zu prüfen. Eine nationale Einrichtung kann, wenn sie gerichtliche Funktionen ausübt, als „Gericht“ im Sinne von Art. 267 AEUV qualifiziert werden, während dies bei Ausführung anderer Aufgaben, insbesondere administrativer Art, nicht möglich ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 3. Mai 2022, CityRail, C‑453/20, EU:C:2022:341, Rn. 42 und 43 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).
61 Es ist unstreitig, dass das vorlegende Gericht als solches die oben in Rn. 59 genannten Anforderungen an die gesetzliche Grundlage, den ständigen Charakter, die Anwendung von Rechtsnormen und die Unabhängigkeit erfüllt. Die Akten, die dem Gerichtshof vorliegen, enthalten keine gegenteiligen Anhaltspunkte. Fraglich ist nach Auffassung der bulgarischen Regierung, ob das vorlegende Gericht im Rahmen eines Verfahrens zu entscheiden hat, das auf eine Entscheidung mit Rechtsprechungscharakter abzielt. Insoweit ist festzustellen, dass vorlegende Gericht über einen Antrag der Aufsichtsbehörde auf Aufhebung des Bankgeheimnisses gemäß Art. 62 Abs. 6 Nr. 12 ZKI zu entscheiden hat. Auch wenn die bulgarische Regierung geltend macht, dass die Prüfung, die das vorlegende Gericht vorzunehmen habe, rein formaler Natur sei, hat das vorlegende Gericht zu prüfen, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für die Aufhebung des Bankgeheimnisses erfüllt sind, mit einer begründeten Entscheidung zu entscheiden und den Zeitraum festzulegen, für den das Bankgeheimnis aufgehoben wird.
62 Insbesondere ersetzt die Genehmigung, die das vorlegende Gericht erteilen kann, nach Art. 62 Abs. 5 ZKI die Zustimmung der betreffenden Personen. Die Genehmigung ist für die Banken, bei denen die betreffenden Personen Konten haben, verbindlich und bewirkt, dass die Aufsichtsbehörde Zugang zu den diese Konten betreffenden personenbezogenen Daten erhält. Außerdem wird mit ihr in die in den Art. 7 und 8 der Charta verbürgten Grundrechte der betreffenden Personen eingegriffen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 6. Oktober 2020, État luxembourgeois [Rechtsbehelf gegen ein Auskunftsersuchen in Steuersachen], C‑245/19 et C‑246/19, EU:C:2020:795, Rn. 74).
63 Die Aufgaben, die das vorlegende Gericht gemäß Art. 62 Abs. 6 Nr. 12 ZKI wahrnimmt, sind mithin keine Handlungen verwaltungsrechtlicher Natur, die vor Gericht angefochten werden können. Sie sind vielmehr als Aufgaben mit Rechtsprechungscharakter einzustufen. Um zu gewährleisten, dass die Aufhebung des Bankgeheimnisses rechtmäßig ist, hat das Gericht nämlich unabhängig zu entscheiden (vgl. entsprechend Beschluss vom 15. Januar 2004, Saetti und Frediani, C‑235/02, EU:C:2004:26, Rn. 23).
64 Die Vorabentscheidungsersuchen sind mithin zulässig.
Zu den Vorlagefragen
Zu Frage 1
65 Nach ständiger Rechtsprechung ist es im Rahmen des durch Art. 267 AEUV eingeführten Verfahrens der Zusammenarbeit zwischen den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof Aufgabe des Gerichtshofs, dem nationalen Gericht eine für die Entscheidung des bei diesem anhängigen Rechtsstreits sachdienliche Antwort zu geben. Hierzu hat er die ihm vorgelegte Frage gegebenenfalls umzuformulieren (Urteil vom 30. Januar 2024, Direktor na Glavna direktsia „Natsionalna politsia“ pri MVR – Sofia, C‑118/22, EU:C:2024:97, Rn. 31 und die dort angeführte Rechtsprechung).
66 Im vorliegenden Fall ist in Frage 1 zwar von einem Justizorgan die Rede, „d[as] Disziplinarstrafen gegen Richter verhängen kann und Befugnisse zur Erhebung von Daten in Bezug auf deren Vermögen hat“. Es geht aber sowohl aus den Vorlageentscheidungen als auch aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten hervor, dass dieses Organ bei den Richtern, Staatsanwälten und Strafrechtspflegern die Amtsausübung, die Integrität und das Fehlen von Interessenkonflikten überwacht und dabei befugt ist, personenbezogene Daten zu erheben, die solche Personen betreffen. Insbesondere ist es befugt, auf solche Kontrollen hin einem anderen Justizorgan die Einleitung eines Disziplinarverfahrens zwecks Verhängung von Disziplinarmaßnahmen gegen solche Personen vorzuschlagen.
67 Wie sich aus den Vorlageentscheidungen ergibt, nimmt das vorlegende Gericht an, dass der Umstand, dass die Mitglieder der Aufsichtsbehörde, die mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der Abgeordneten der Nationalversammlung gewählt werden, ihre Amtsgeschäfte trotz des Ablaufs ihrer Amtszeit fortführten, geeignet sei, Zweifel hinsichtlich des Erfordernisses der Unabhängigkeit der rechtsprechenden Gewalt zu begründen. Es fragt sich, ob unter solchen Umständen nicht die Gefahr besteht, dass die Mitglieder der Aufsichtsbehörde unzulässigen Einfluss auf die Richter, Staatsanwälte oder Strafrechtspfleger ausübten oder ihre Amtsgeschäfte unter dem Druck der Abgeordneten der Nationalversammlung fortführten.
68 Frage 1 betrifft die Auslegung von Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV in Verbindung mit Art. 47 der Charta somit lediglich unter dem Gesichtspunkt der Verlängerung der abgelaufenen Amtszeiten der Mitglieder der Aufsichtsbehörde. Sie bezieht sich nicht auf die Reichweite der Befugnisse der Aufsichtsbehörde als solche.
69 Mit Frage 1 möchte das vorlegende Gericht also im Wesentlichen wissen, ob – und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen – Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV in Verbindung mit Art. 47 der Charta der Praxis eines Mitgliedstaats entgegensteht, wonach die Mitglieder eines Justizorgans dieses Mitgliedstaats, die von dessen Parlament für eine bestimmter Amtszeit gewählt werden und dafür zuständig sind, bei Richtern, Staatsanwälten und Strafrechtspflegern die Amtsausübung, die Integrität und das Fehlen von Interessenkonflikten zu überwachen und einem anderen Justizorgan die Einleitung eines Disziplinarverfahrens zwecks Verhängung von Disziplinarmaßnahmen gegen solche Personen vorzuschlagen, ihre Amtsgeschäfte nach Ablauf der in der Verfassung des Mitgliedstaats festgelegten gesetzlichen Amtszeit fortführen, bis das Parlament neue Mitglieder gewählt hat.
Zur Zuständigkeit des Gerichtshofs
70 Die polnische Regierung meint, der Gerichtshof sei für die Beantwortung von Frage 1 nicht zuständig. Die Union verfüge im Bereich der Organisation der Justiz in den Mitgliedstaaten über keinerlei Zuständigkeiten.
71 Hierzu ist festzustellen, dass die Organisation der Justiz in den Mitgliedstaaten in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fällt. Diese haben bei der Ausübung dieser Zuständigkeit jedoch die Verpflichtungen einzuhalten, die sich für sie aus dem Unionsrecht, insbesondere aus Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV, ergeben (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 9. Januar 2024, G. u. a. [Ernennung von Richtern der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Polen], C‑181/21 und C‑269/21, EU:C:2024:1, Rn. 57 und die dort angeführte Rechtsprechung).
72 Dies gilt auch im Hinblick auf nationale Rechtsvorschriften über die disziplinarrechtliche Verantwortlichkeit der Richter (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 21. Dezember 2021, Euro Box Promotion u. a., C‑357/19, C‑379/19, C‑547/19, C‑811/19 und C‑840/19, EU:C:2021:1034, Rn. 133, und vom 11. Mai 2023, Inspecţia Judiciară, C‑817/21, EU:C:2023:391, Rn. 44 und die dort angeführte Rechtsprechung), und zwar auch im Hinblick auf Vorschriften über die Organisation und die Funktionsweise eines Justizorgans, das – wie die Aufsichtsbehörde – dafür zuständig ist, bei Richtern, Staatsanwälten und Strafrechtspflegern die Amtsausübung, die Integrität und das eventuelle Vorliegen von Interessenkonflikten zu überwachen und einem anderen Justizorgan die Einleitung eines Disziplinarverfahrens zwecks Verhängung von Disziplinarmaßnahmen gegen diese Personen vorzuschlagen.
73 Der Gerichtshof ist daher für die Beantwortung von Frage 1, die auch die Auslegung des Unionsrecht betrifft, zuständig.
Zur Zulässigkeit
74 Die bulgarische Regierung und die Aufsichtsbehörde halten Frage 1 für unzulässig. Sie weisen darauf hin, dass die Aufsichtsbehörde nicht befugt sei, Disziplinarmaßnahmen zu verhängen. Frage 1 habe daher nichts mit dem Gegenstand der Ausgangsverfahren zu tun.
75 Die Aufsichtsbehörde meint weiter, Frage 1 sei rein hypothetischer Natur. Zum einen gehe es in den Ausgangsverfahren überhaupt nicht um Disziplinarverfahren. Zum anderen setze ein Verstoß gegen Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV einen strukturellen Verstoß gegen die Anforderungen an die Unabhängigkeit voraus. Das vorlegende Gericht habe aber nicht dargetan, dass der behauptete Verstoß in den Ausgangsverfahren struktureller Art wäre.
76 Nach ständiger Rechtsprechung ist es allein Sache des nationalen Gerichts, das mit dem Rechtsstreit befasst ist und in dessen Verantwortungsbereich die zu erlassende Entscheidung fällt, anhand der Besonderheiten der Rechtssache sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung für den Erlass seines Urteils als auch die Erheblichkeit der dem Gerichtshof vorzulegenden Fragen zu beurteilen. Daher ist der Gerichtshof grundsätzlich gehalten, über ihm vorgelegte Fragen zu befinden, wenn diese die Auslegung des Unionsrechts betreffen (Urteile vom 16. Februar 2023, Rzecznik Praw Dziecka u. a. [Aussetzung der Rückgabeentscheidung], C‑638/22 PPU, EU:C:2023:103, Rn. 47, und vom 24. Juli 2023, Lin, C‑107/23 PPU, EU:C:2023:606, Rn. 61).
77 Infolgedessen spricht eine Vermutung für die Entscheidungserheblichkeit der Fragen zum Unionsrecht. Der Gerichtshof kann die Beantwortung einer Vorlagefrage eines nationalen Gerichts nur ablehnen, wenn die erbetene Auslegung einer Vorschrift des Unionsrechts offensichtlich in keinem Zusammenhang mit den Gegebenheiten oder dem Gegenstand des Ausgangsverfahrens steht, wenn das Problem hypothetischer Natur ist oder wenn der Gerichtshof nicht über die tatsächlichen und rechtlichen Angaben verfügt, die für eine zweckdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 16. Februar 2023, Rzecznik Praw Dziecka u. a. [Aussetzung der Rückgabeentscheidung], C‑638/22 PPU, EU:C:2023:103, Rn. 48, und vom 24. Juli 2023, Lin, C‑107/23 PPU, EU:C:2023:606, Rn. 62).
78 Im vorliegenden Fall fragt sich das vorlegende Gericht, wie es mit Anträgen der Aufsichtsbehörde auf Genehmigung des Zugangs zu den Daten betreffend die Bankkonten mehrerer Richter, Staatsanwälte oder Strafrechtspfleger und von deren Familienangehörigen verfahren soll. Es möchte insbesondere wissen, ob das Unionsrecht dem entgegensteht, dass ein solches Justizorgan bei ihm solche Anträge stellen kann, obwohl die Amtszeit sämtlicher seiner Mitglieder bereits seit mehreren Jahren abgelaufen ist. Bevor es über die Anträge, die ihm vorliegen, entscheiden kann, hat das vorlegende Gericht also inzident über diese Frage zu entscheiden. Die Auslegung des Unionsrechts, um die es ersucht, ist für seine Entscheidung also objektiv erforderlich (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 18. Mai 2021, Asociaţia „Forumul Judecătorilor din România“ u. a., C‑83/19, C‑127/19, C‑195/19, C‑291/19, C‑355/19 et C‑397/19, EU:C:2021:393, Rn. 118 und 119).
79 Das Vorbringen der Aufsichtsbehörde zu den Befugnissen, über die sie im Kontext der Ausgangsverfahren verfüge, und zum Fehlen eines strukturellen Verstoßes gegen die Anforderungen von Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV (siehe oben, Rn. 75) betrifft in Wirklichkeit nicht die Zulässigkeit von Frage 1, sondern die auf Frage 1 zu gebende Antwort.
80 Frage 1 ist mithin zulässig.
Beantwortung der Frage
81 Nach Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV hat jeder Mitgliedstaat dafür zu sorgen, dass Einrichtungen, die als „Gerichte“ im unionsrechtlichen Sinne dazu berufen sind, über Fragen im Zusammenhang mit der Anwendung oder Auslegung des Unionsrechts zu entscheiden, und damit Bestandteil seines Rechtsbehelfssystems in den vom Unionsrecht erfassten Bereichen sind, den Anforderungen an einen wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz, u. a. dem Erfordernis der Unabhängigkeit, gerecht werden (Urteil vom 11. Juli 2024, Hann‑Invest u. a., C‑554/21, C‑622/21 und C‑727/21, EU:C:2024:594, Rn. 47 und die dort angeführte Rechtsprechung).
82 Schon das Vorhandensein einer wirksamen gerichtlichen Kontrolle, die der Gewährleistung der Einhaltung des Unionsrechts dient, ist einem Rechtsstaat inhärent. Insoweit ist es gemäß Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV Sache der Mitgliedstaaten, ein System von Rechtsbehelfen und Verfahren vorzusehen, das den Einzelnen die Wahrung ihres Rechts auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz in den vom Unionsrecht erfassten Bereichen gewährleistet. Der Grundsatz des wirksamen gerichtlichen Schutzes der dem Einzelnen aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte, von dem in Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV die Rede ist, ist ein allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts, der sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten ergibt. Er ist in den Art. 6 und 13 der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten und nun auch in Art. 47 der Charta verankert (Urteil vom 21. Dezember 2021, Euro Box Promotion u. a., C‑357/19, C‑379/19, C‑547/19, C‑811/19 und C‑840/19, EU:C:2021:1034, Rn. 219 und die dort angeführte Rechtsprechung).
83 Die Wahrung der Unabhängigkeit der Einrichtungen, die zur Entscheidung über Fragen im Zusammenhang mit der Anwendung oder der Auslegung des Unionsrechts angerufen werden können, ist von grundlegender Bedeutung, wie Art. 47 Abs. 2 der Charta bestätigt, wonach zu den Anforderungen im Zusammenhang mit dem Grundrecht auf einen wirksamen Rechtsbehelf u. a. der Zugang zu einem „unabhängigen“ Gericht gehört (Urteil vom 18. Mai 2021, Asociaţia „Forumul Judecătorilor din România“ u. a., C‑83/19, C‑127/19, C‑195/19, C‑291/19, C‑355/19 et C‑397/19, EU:C:2021:393, Rn. 194 und die dort angeführte Rechtsprechung).
84 Dieses Erfordernis der Unabhängigkeit der Gerichte, das dem Auftrag des Richters inhärent ist, gehört zum Wesensgehalt des Rechts auf wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz und des Grundrechts auf ein faires Verfahren, dem als Garant für den Schutz sämtlicher dem Einzelnen aus dem Unionsrecht erwachsender Rechte und für die Wahrung der in Art. 2 EUV genannten Werte, die den Mitgliedstaaten gemeinsam sind, u. a. des Wertes der Rechtsstaatlichkeit, grundlegende Bedeutung zukommt. Nach dem für einen Rechtsstaat kennzeichnenden Grundsatz der Gewaltenteilung ist die Unabhängigkeit der Gerichte u. a. gegenüber der Legislative und der Exekutive zu gewährleisten (Urteil vom 18. Mai 2021, Asociaţia „Forumul Judecătorilor din România“ u. a., C‑83/19, C‑127/19, C‑195/19, C‑291/19, C‑355/19 und C‑397/19, EU:C:2021:393, Rn. 195 und die dort angeführte Rechtsprechung).
85 Nach ständiger Rechtsprechung setzen die nach dem Unionsrecht erforderlichen Garantien der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit voraus, dass es Regeln gibt, die es ermöglichen, bei den Rechtsunterworfenen jeden berechtigten Zweifel an der Unempfänglichkeit der betreffenden Einrichtung für äußere Faktoren und an ihrer Neutralität in Bezug auf die widerstreitenden Interessen auszuräumen (Urteile vom 20. April 2021, Repubblika, C‑896/19, EU:C:2021:311, Rn. 53 und die dort angeführte Rechtsprechung, und vom 18. Mai 2021, Asociaţia „Forumul Judecătorilor din România“ u. a., C‑83/19, C‑127/19, C‑195/19, C‑291/19, C‑355/19 und C‑397/19, EU:C:2021:393, Rn. 196).
86 Was insbesondere die Vorschriften über die Disziplinarregelung der Richter betrifft, so verlangt das sich aus Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV ergebende Erfordernis der Unabhängigkeit der Gerichte nach ständiger Rechtsprechung, dass diese Regelung die erforderlichen Garantien aufweist, damit jegliche Gefahr verhindert wird, dass eine solche Regelung als System zur politischen Kontrolle des Inhalts justizieller Entscheidungen eingesetzt wird. Insoweit bilden Regeln, die insbesondere festlegen, welche Verhaltensweisen Disziplinarvergehen begründen und welche Sanktionen konkret anwendbar sind, die die Einschaltung einer unabhängigen Instanz gemäß einem Verfahren vorsehen, das die in den Art. 47 und 48 der Charta niedergelegten Rechte, namentlich die Verteidigungsrechte, in vollem Umfang sicherstellt, und die die Möglichkeit festschreiben, die Entscheidungen der Disziplinarorgane vor Gericht anzufechten, eine Reihe von Garantien, die wesentlich sind, um die Unabhängigkeit der Justiz zu wahren (Urteile vom 18. Mai 2021, Asociaţia „Forumul Judecătorilor din România“ u. a., C‑83/19, C‑127/19, C‑195/19, C‑291/19, C‑355/19 und C‑397/19, EU:C:2021:393, Rn. 198 und die dort angeführte Rechtsprechung, und vom 11. Mai 2023, Inspecţia Judiciară, C‑817/21, EU:C:2023:391, Rn. 48 und die dort angeführte Rechtsprechung).
87 Da die Aussicht auf die Einleitung einer Disziplinaruntersuchung als solche geeignet ist, Druck auf diejenigen auszuüben, deren Aufgabe es ist, zu entscheiden, hat der Gerichtshof entschieden, dass es wesentlich ist, dass eine für die Durchführung von Untersuchungen und die Erhebung von Disziplinarklagen zuständige Einrichtung bei der Erfüllung ihrer Aufgaben objektiv und unparteiisch handelt und zu diesem Zweck frei von jeder äußeren Beeinflussung ist (Urteile vom 18. Mai 2021, Asociaţia „Forumul Judecătorilor din România“ u. a., C‑83/19, C‑127/19, C‑195/19, C‑291/19, C‑355/19 und C‑397/19, EU:C:2021:393, Rn. 199, und vom 11. Mai 2023, Inspecţia Judiciară, C‑817/21, EU:C:2023:391, Rn. 49). Das gilt insbesondere für ein Justizorgan, das – wie die Aufsichtsbehörde – über weitreichende Befugnisse verfügt, nämlich dafür zuständig ist, bei Richtern, Staatsanwälten und Strafrechtspflegern die Amtsausübung, die Integrität und das Fehlen von Interessenkonflikten zu überwachen und einem anderen Justizorgan auf solche Kontrollen hin die Einleitung eines Disziplinarverfahrens zwecks Verhängung von Disziplinarmaßnahmen gegen solche Personen vorzuschlagen.
88 Deshalb müssen sämtliche Vorschriften über die Organisation und Arbeitsweise einer solchen Einrichtung, u. a. die über das Verfahren der Ernennung seiner Mitglieder, so gestaltet sein, dass sie bei den Rechtsunterworfenen keinen berechtigten Verdacht aufkommen lassen können, dass die Befugnisse und Aufgaben der Einrichtung als Instrument zur Ausübung von Druck auf die Rechtsprechungstätigkeit oder zur Ausübung politischer Kontrolle über diese Tätigkeit benutzt werden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 11. Mai 2023, Inspecţia Judiciară, C‑817/21, EU:C:2023:391, Rn. 50 und 51 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).
89 Solche Vorschriften sind nämlich im Allgemeinen geeignet, die Praxis der betreffenden Einrichtung direkt zu beeinflussen und somit zu verhindern oder sogar zu fördern, dass Disziplinarklagen erhoben werden, mit denen bezweckt oder bewirkt wird, Druck insbesondere auf diejenigen auszuüben, deren Aufgabe es ist, Recht zu sprechen, oder eine politische Kontrolle ihrer Tätigkeit sicherzustellen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 11. Mai 2023, Inspecţia Judiciară, C‑817/21, EU:C:2023:391, Rn. 52).
90 Die Entscheidung über die Unempfänglichkeit der betreffenden Einrichtung für äußere Faktoren und über ihre Objektivität und Unparteilichkeit bei der Ausübung ihrer Aufgaben ist letztlich Sache des vorlegenden Gerichts, nachdem es die dafür erforderliche Würdigung vorgenommen hat. Art. 267 AEUV gibt dem Gerichtshof nämlich nicht die Befugnis, die Normen des Unionsrechts auf einen Einzelfall anzuwenden, sondern nur die, sich zur Auslegung der Verträge und der Rechtsakte der Organe der Europäischen Union zu äußern. Nach ständiger Rechtsprechung kann der Gerichtshof das Unionsrecht im Rahmen der durch Art. 267 AEUV begründeten Zusammenarbeit zwischen den Gerichten aber unter Berücksichtigung der Akten auslegen, soweit dies dem innerstaatlichen Gericht bei der Beurteilung der Wirkungen einer unionsrechtlichen Bestimmung dienlich sein könnte (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 11. Mai 2023, Inspecţia Judiciară, C‑817/21, EU:C:2023:391, Rn. 58).
91 Im vorliegenden Fall besteht die Aufsichtsbehörde aus einem Generalinspekteur und zehn Inspektoren, die von der Nationalversammlung mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der Abgeordneten für eine Amtszeit von fünf bzw. vier Jahren gewählt werden. Nach den nationalen Rechtsvorschriften, wie sie zum Zeitpunkt der Einreichung der vorliegenden Vorabentscheidungsersuchen galten, konnten die Mitglieder der Aufsichtsbehörde nicht für eine unmittelbar folgende zweite Amtszeit wiedergewählt werden.
92 Für den Fall, um den es in den Ausgangsverfahren geht, nämlich, dass die Amtszeiten der Mitglieder der Aufsichtsbehörde abgelaufen sind, ohne dass die Nationalversammlung neue Mitglieder gewählt hat, enthält die nationale Regelung offenbar keine Vorschriften über eine mögliche Fortführung der Amtsgeschäfte durch die Mitglieder der Aufsichtsbehörde, deren Amtszeit abgelaufen ist. Den Vorlageentscheidungen zufolge führen die Mitglieder der Aufsichtsbehörde ihre Amtsgeschäfte in einem solchen Fall nach der Rechtsprechung des Konstitutsionen sad (Verfassungsgericht, Bulgarien) zwar fort, bis die Nationalversammlung neue Mitglieder gewählt hat. Das bulgarische Recht enthält aber nicht nur keine Regelung über eine solche Fortführung der Amtsgeschäfte, sondern auch keine Regelung, mit der eine etwaige Blockade bei dem Verfahren der Ernennung der neuen Mitglieder der Aufsichtsbehörde beendet werden kann. Für die Verlängerung der Amtszeit der ehemaligen Mitglieder gibt es deshalb praktisch keine zeitliche Beschränkung.
93 Auch wenn es allein Sache der Mitgliedstaaten ist, zu entscheiden, ob sie die Fortführung der Amtsgeschäfte von Mitgliedern eines Justizorgans, das dafür zuständig ist, die Tätigkeit der Richter, Staatsanwälte und Strafrechtspfleger zu überwachen und die Einleitung von Disziplinarverfahren gegen solche Personen vorzuschlagen, nach Ablauf der gesetzlichen Amtszeit vorsehen wollen, um die Kontinuität des Funktionierens des Organs zu gewährleisten, müssen sie, wenn sie sich für eine solche Verlängerung der Amtszeit entscheiden, dafür sorgen, dass es im innerstaatlichen Recht für die Fortführung der Amtsgeschäfte nach Ablauf der Amtszeit eine ausdrückliche Rechtsgrundlage mit klaren und präzisen Vorschriften gibt, mit denen eine solche Fortführung der Amtsgeschäfte geregelt wird.
94 Außerdem müssen die Mitgliedstaaten dafür sorgen, dass die Bedingungen und Modalitäten einer solchen Fortführung der Amtsgeschäfte so gestaltet sind, dass die betreffenden Mitglieder eines solchen Justizorgans bei der Erfüllung ihrer Aufgaben objektiv und unparteiisch handeln können und zu diesem Zweck frei von jeder äußeren Beeinflussung sind, wie es die oben in den Rn. 87 und 88 dargestellte Rechtsprechung verlangt.
95 Im Hinblick auf die Bedeutung der Aufgaben, die das Organ erfüllt, mag die Fortführung der Amtsgeschäfte unter bestimmten Umständen durchaus geboten sein. Das ändert aber nichts daran, dass das betreffende Justizorgan nach Ablauf der gesetzlichen Amtszeit ohne eine ausdrückliche Rechtsgrundlage im innerstaatlichen Recht mit klaren und präzisen Vorschriften, mit den die Ausübung der Amtsgeschäfte geregelt wird, handelt. Wie der Generalanwalt im Wesentlichen in Nr. 58 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, kommt eine solche Fortführung der Amtsgeschäfte deshalb nur ausnahmsweise unter der Voraussetzung in Betracht, dass sie durch klare und präzise Vorschriften geregelt ist, mit denen ausgeschlossen wird, dass sie in der Praxis unbegrenzt fortdauert.
96 Jedoch darf ein Mitgliedstaat, wenn er die Fortführung der Amtsgeschäfte nach Ablauf der gesetzlichen Amtszeit regelt, weder seine Rechtsvorschriften noch seine Verfassung dergestalt ändern, dass der Schutz des Wertes der Rechtsstaatlichkeit vermindert wird, eines Wertes, der namentlich durch Art. 19 EUV konkretisiert wird, insbesondere was die Garantien für die Unabhängigkeit der Richter gegenüber der gesetzgebenden und der rechtsprechenden Gewalt angeht (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 20. April 2021, Repubblika, C‑896/19, EU:C:2021:311, Rn. 63 und 65).
97 Somit ist auf Frage 1 zu antworten, dass Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV in Verbindung mit Art. 47 der Charta dahin auszulegen ist, dass der Grundsatz der richterlichen Unabhängigkeit der Praxis eines Mitgliedstaats entgegensteht, wonach die Mitglieder eines Justizorgans dieses Mitgliedstaats, die von dessen Parlament für eine bestimmter Amtszeit gewählt werden und dafür zuständig sind, bei Richtern, Staatsanwälten und Strafrechtspflegern die Amtsausübung, die Integrität und das Fehlen von Interessenkonflikten zu überwachen und einem anderen Justizorgan die Einleitung eines Disziplinarverfahrens zwecks Verhängung von Disziplinarmaßnahmen gegen solche Personen vorzuschlagen, ihre Amtsgeschäfte nach Ablauf der in der Verfassung des Mitgliedstaats festgelegten gesetzlichen Amtszeit fortführen, bis das Parlament neue Mitglieder gewählt hat, ohne dass es hierfür im nationalen Recht eine ausdrückliche gesetzliche Grundlage mit klaren und präzisen Vorschriften gibt, mit denen eine solche Fortführung der Amtsgeschäfte geregelt wird, und ohne dass gewährleistet ist, dass die Fortführung der Amtsgeschäfte in der Praxis zeitlich beschränkt ist.
Zu Frage 2
98 Mit Frage 2 möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 2 DSGVO dahin auszulegen ist, dass die Offenlegung von personenbezogenen Daten gegenüber einem Justizorgan in den sachlichen Anwendungsbereich der DGSVO fällt, wenn diese Daten dem Bankgeheimnis unterliegen und Richter, Staatsanwälte, Strafrechtspfleger sowie ihre Familienangehörige betreffen, und die Offenlegung der Überprüfung der Erklärungen der Richter, Staatsanwälte und Strafrechtspfleger über ihre Vermögensverhältnisse und die ihrer Familienangehörigen, die veröffentlicht werden, dient.
99 Nach ständiger Rechtsprechung definiert Art. 2 Abs. 1 DSGVO deren sachlichen Anwendungsbereich sehr weit. Die DSGVO gilt vorbehaltlich der in ihrem Art. 2 Abs. 2 und 3 genannten Fälle sowohl für Verarbeitungen, die durch Privatpersonen erfolgen, als auch für Verarbeitungen, die durch Behörden – einschließlich Justizbehörden (vgl. 20. Erwägungsgrund der Verordnung) – erfolgen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 24. März 2022, Autoriteit Persoonsgegevens, C‑245/20, EU:C:2022:216, Rn. 25, und vom 16. Januar 2024, Österreichische Datenschutzbehörde, C‑33/22, EU:C:2024:46, Rn. 33 und 36).
100 Zudem hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass weder der Umstand, dass nationalen Bestimmungen unterliegende Informationen Richter betreffen, noch die Tatsache, dass die Informationen einen gewissen Zusammenhang mit der Ausübung ihrer Ämter aufweisen können, als solche geeignet sind, die nationalen Bestimmungen aus dem Anwendungsbereich der DSGVO auszunehmen (Urteil vom 5. Juni 2023, Kommission/Polen [Unabhängigkeit und Privatleben von Richtern], C‑204/21, EU:C:2023:442, Rn. 315).
101 Art. 2 DSGVO enthält in den Abs. 2 und 3 nämlich eine abschließende Aufzählung der Ausnahmen von der in Abs. 1 enthaltenen Regel, in der der sachliche Anwendungsbereich der Verordnung definiert wird, und diese Ausnahmen, insbesondere die in Abs. 2 vorgesehenen, sind eng auszulegen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 22. Juni 2021, Latvijas Republikas Saeima [Strafpunkte], C‑439/19, EU:C:2021:504, Rn. 62, vom 5. Juni 2023, Kommission/Polen [Unabhängigkeit und Privatleben von Richtern], C‑204/21, EU:C:2023:442, Rn. 316, und vom 16. Januar 2024, Österreichische Datenschutzbehörde, C‑33/22, EU:C:2024:46, Rn. 37).
102 Art. 2 Abs. 2 Buchst. a DSGVO, auf den sich Frage 2 bezieht, sieht vor, dass die Verordnung auf die Verarbeitung personenbezogener Daten „im Rahmen einer Tätigkeit, die nicht in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fällt“, keine Anwendung findet.
103 Nach ständiger Rechtsprechung sollen mit Art. 2 Abs. 2 Buchst. a DSGVO, wie sich auch aus dem 16. Erwägungsgrund der Verordnung ergibt, von deren Anwendungsbereich allein Verarbeitungen personenbezogener Daten ausgenommen werden, die von staatlichen Stellen im Rahmen einer Tätigkeit, die der Wahrung der nationalen Sicherheit dient, oder einer Tätigkeit, die derselben Kategorie zugeordnet werden kann, vorgenommen werden. Die Tätigkeiten, die der Wahrung der nationalen Sicherheit dienen, umfassen insbesondere solche, die den Schutz der grundlegenden Funktionen des Staates und der grundlegenden Interessen der Gesellschaft bezwecken. Der bloße Umstand, dass eine Tätigkeit eine spezifische Tätigkeit des Staates oder einer Behörde ist, reicht deshalb nicht dafür aus, dass diese Ausnahme automatisch für sie gilt (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 22. Juni 2021, Latvijas Republikas Saeima [Strafpunkte], C‑439/19, EU:C:2021:504, Rn. 66 und 67, vom 8. Dezember 2022, Inspektor v Inspektorata kam Visshia sadeben savet [Zwecke der Verarbeitung personenbezogener Daten – Strafrechtliche Ermittlungen], C‑180/21, EU:C:2022:967, Rn. 79, und vom 5. Juni 2023, Kommission/Polen [Unabhängigkeit und Privatleben von Richtern], C‑204/21, EU:C:2023:442, Rn. 317 und 318).
104 Zwar fällt die Sicherstellung einer geordneten Rechtspflege in den Mitgliedstaaten und insbesondere der Erlass von Vorschriften zum Status der Richter, Staatsanwälte und Strafrechtspfleger, insbesondere zur Ausübung des Richteramts in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 5. Juni 2023, Kommission/Polen [Unabhängigkeit und Privatleben von Richtern], C‑204/21, EU:C:2023:442, Rn. 319). Eine Datenverarbeitung wie die, um die es in den Ausgangsverfahren geht, die dazu dient, bei Richtern, Staatsanwälten und Strafrechtspflegern die Integrität und das Bestehen etwaiger Interessenkonflikte zu überwachen, ist aber weder eine Tätigkeit, die der Wahrung der nationalen Sicherheit dient, noch eine Tätigkeit, die derselben Kategorie zugeordnet werden kann.
105 Im Übrigen ist festzustellen, dass es eine Verarbeitung im Sinne von Art. 4 Nr. 2 DSGVO darstellt, wenn zur Überprüfung der Erklärungen der Richter, Staatsanwälte und Strafrechtspfleger über ihre Vermögensverhältnisse und die ihrer Familienangehörigen, die veröffentlicht werden, diese Personen und ihre Familienangehörigen betreffende personenbezogenen Daten, die dem Bankgeheimnis unterliegen, gegenüber einem Justizorgan offengelegt werden. Eine solche Offenlegung stellt nämlich eine Bereitstellung der betreffenden personenbezogenen Daten zugunsten dieses Organs dar.
106 Auf Frage 2 ist somit zu antworten, dass Art. 2 DSGVO dahin auszulegen ist, dass die Offenlegung von personenbezogenen Daten gegenüber einem Justizorgan in den sachlichen Anwendungsbereich der DGSVO fällt, wenn diese Daten dem Bankgeheimnis unterliegen und Richter, Staatsanwälte, Strafrechtspfleger sowie ihre Familienangehörige betreffen, und die Offenlegung der Überprüfung der Erklärungen der Richter, Staatsanwälte und Strafrechtspfleger über ihre Vermögensverhältnisse und die ihrer Familienangehörigen, die veröffentlicht werden, dient.
Zu Frage 3
107 Mit Frage 3 möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 4 Nr. 7 DSGVO dahin auszulegen ist, dass ein Gericht, das dafür zuständig ist, auf Antrag eines anderen Justizorgans die Offenlegung von Daten über die Bankkonten der Richter, Staatsanwälte und Strafrechtspfleger und ihrer Familienangehörigen durch eine Bank gegenüber diesem Justizorgan zu genehmigen, als Verantwortlicher im Sinne von Art. 4 Nr. 7 DSGVO eingestuft werden kann.
108 Nach Art. 4 Nr. 7 DSGVO fallen unter den Begriff des „Verantwortlichen“ die natürlichen oder juristischen Personen, Behörden, Einrichtungen oder anderen Stellen, die allein oder gemeinsam mit anderen über die Zwecke und Mittel der Verarbeitung von personenbezogenen Daten entscheiden, und kann der Verantwortliche beziehungsweise können die bestimmten Kriterien seiner Benennung, wenn die Zwecke und Mittel dieser Verarbeitung durch das Recht der Mitgliedstaaten vorgegeben sind, u. a. nach dem Recht der Mitgliedstaaten vorgesehen werden.
109 Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs soll durch diese Bestimmung im Einklang mit dem Ziel der DSGVO durch eine weite Definition des Begriffs „Verantwortlicher“ ein wirksamer und umfassender Schutz der Grundfreiheiten und Grundrechte natürlicher Personen und insbesondere ein hohes Schutzniveau für das Recht jeder Person auf Schutz der sie betreffenden personenbezogenen Daten gewährleistet werden (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 5. Dezember 2023, Nacionalinis visuomenės sveikatos centras, C‑683/21, EU:C:2023:949, Rn. 28 und 29, und vom 7. März 2024, IAB Europe, C‑604/22, EU:C:2024:214, Rn. 53 bis 55 und die dort angeführte Rechtsprechung).
110 Um festzustellen, ob eine Person oder eine Einrichtung als Verantwortlicher im Sinne von Art. 4 Nr. 7 DSGVO einzustufen ist, ist zu prüfen, ob sie allein oder gemeinsam mit anderen über die Zwecke und Mittel der Verarbeitung entscheidet oder ob diese durch das nationale Recht vorgegeben werden. Erfolgt durch das nationale Recht eine solche Vorgabe, ist zu prüfen, ob dieses Recht den Verantwortlichen bzw. die bestimmten Kriterien seiner Benennung vorsieht (Urteil vom 27. Februar 2025, Amt der Tiroler Landesregierung, C‑638/23, EU:C:2025:127, Rn. 27).
111 Angesichts der weiten Definition des Ausdrucks „Verantwortlicher“ im Sinne von Art. 4 Nr. 7 DSGVO kann die Vorgabe der Zwecke und Mittel der Verarbeitung und gegebenenfalls die Benennung des Verantwortlichen durch das nationale Recht nicht nur explizit, sondern auch implizit erfolgen. Im letzteren Fall ist es jedoch erforderlich, dass sich diese Vorgabe der Zwecke und Mittel der Verarbeitung mit hinreichender Bestimmtheit aus der Rolle, dem Auftrag und den Aufgaben der betroffenen Person oder Einrichtung ergibt (Urteil vom 27. Februar 2025, Amt der Tiroler Landesregierung, C‑638/23, EU:C:2025:127, Rn. 28).
112 Der Schutz der betroffenen Personen würde nämlich gemindert, wenn Art. 4 Nr. 7 DSGVO eng ausgelegt wird, um lediglich die Fälle zu erfassen, in denen die Zwecke und Mittel einer Datenverarbeitung durch eine Person, Behörde, Einrichtung oder Stelle ausdrücklich durch das nationale Recht vorgegeben werden, selbst wenn sich diese Zwecke und Mittel im Wesentlichen aus den Rechtsvorschriften ergeben, die die Tätigkeit der betreffenden Einrichtung regeln (Urteil vom 11. Januar 2024, État belge [Von einem Amtsblatt verarbeitete Daten], C‑231/22, EU:C:2024:7, Rn. 30).
113 Im vorliegenden Fall fragt sich das vorlegende Gericht, ob es als Verantwortlicher der Datenverarbeitung, um die es in den Ausgangsverfahren geht, nämlich der Offenlegung dem Bankgeheimnis unterliegender personenbezogener Daten gegenüber der Aufsichtsbehörde, anzusehen ist, weil es nach dem Gesetz dafür zuständig ist, eine solche Offenlegung zu genehmigen.
114 Nach der nationalen Regelung, die in den Ausgangsverfahren anwendbar ist, ist die Aufsichtsbehörde insbesondere dafür zuständig, bei Richtern, Staatsanwälten und Strafrechtspflegern die Integrität und das Fehlen von Interessenkonflikten zu überwachen und die Erklärung über die Vermögensverhältnisse zu überprüfen. Hierzu ist sie nach dieser Regelung befugt, Zugang zu den Daten über die Bankkonten der Richter, Staatsanwälte und Strafrechtspfleger und ihrer Familienangehörigen zu beantragen. In den Fällen, in denen die betreffenden Personen dem Zugang zu den Daten nicht zugestimmt haben, ist die Aufsichtsbehörde nach der Regelung befugt, für den Zugang zu den Daten eine vorherige gerichtliche Genehmigung zu beantragen.
115 Der Kreis der Personen und die Daten, die Gegenstand der Verarbeitung sein können, die Zwecke der Verarbeitung und das für deren Erreichung zuständige Organ, nämlich die Aufsichtsbehörde, werden also durch die in den Ausgangsverfahren anwendbare nationale Regelung bestimmt. Das Gericht, bei dem ein Antrag auf Genehmigung einer Offenlegung gestellt wird, wird nur auf Antrag der Aufsichtsbehörde tätig, die hierbei von den Befugnissen Gebrauch macht, die das nationale Recht ihr einräumt. Es prüft lediglich, ob die durch das nationale Recht festgelegten Voraussetzungen der Gesetzmäßigkeit erfüllt sind. Ebenso werden die Personen, zu deren Daten die Aufsichtsbehörde in Ausübung der Befugnisse, die das nationale Recht ihr einräumt, Zugang haben will und in Bezug auf die sie bei dem Gericht einen Antrag auf Genehmigung stellt, nicht durch das Gericht, sondern durch die Aufsichtsbehörde bestimmt, und zwar nach den einschlägigen nationalen Rechtsvorschriften.
116 Auch wenn das Gericht zu prüfen hat, ob und inwieweit die Voraussetzungen der Gesetzmäßigkeit der Verarbeitung in einem ganz bestimmten Fall erfüllt sind, bestimmt es selbst also weder den Zweck der Verarbeitung noch die betroffenen Personen und Daten. Verantwortlicher im Sinne von Art. 4 Nr. 7 DSGVO ist demnach nicht das Gericht, sondern das Organ, das für die Verwirklichung der verfolgten Zwecke zuständig ist.
117 Somit ist auf Frage 3 zu antworten, dass Art. 4 Nr. 7 DSGVO dahin auszulegen ist, dass ein Gericht, das dafür zuständig ist, auf Antrag eines anderen Justizorgans die Offenlegung von Daten über die Bankkonten der Richter, Staatsanwälte und Strafrechtspfleger und ihrer Familienangehörigen durch eine Bank gegenüber diesem Justizorgan zu genehmigen, nicht als Verantwortlicher im Sinne von Art. 4 Nr. 7 DSGVO eingestuft werden kann.
Zu Frage 4
118 Mit Frage 4 möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 51 DSGVO dahin auszulegen ist, dass ein Gericht, das dafür zuständig ist, die Offenlegung personenbezogener Daten gegenüber einem anderen Justizorgan zu genehmigen, eine Aufsichtsbehörde im Sinne von Art. 51 DSGVO ist.
119 Nach Art. 51 Abs. 1 DSGVO sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, eine oder mehrere unabhängige Behörden vorzusehen, die für die Überwachung der Anwendung der Verordnung zuständig sind. Die Einrichtung solcher Behörden, die auch im Primärrecht der Union (Art. 8 Abs. 3 der Charta und Art. 16 Abs. 2 AEUV) vorgesehen ist, stellt ein wesentliches Element des Schutzes der Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten dar (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 8. April 2014, Kommission/Ungarn, C‑288/12, EU:C:2014:237, Rn. 48, und Gutachten 1/15 [PNR-Abkommen EU-Kanada], vom 26. Juli 2017, EU:C:2017:592, Rn. 229).
120 Nach Art. 51 Abs. 1 und 2 und Art. 57 Abs. 1 Buchst. a und g DSGVO besteht die Hauptaufgabe der Aufsichtsbehörde darin, die Anwendung der Verordnung zu überwachen und durchzusetzen und gleichzeitig zu ihrer einheitlichen Anwendung in der Union beizutragen, und zwar mit dem Ziel, die Grundrechte und Grundfreiheiten natürlicher Personen bei der Verarbeitung ihrer personenbezogenen Daten zu schützen und den freien Verkehr solcher Daten in der Union zu erleichtern. Zu diesem Zweck verfügt die Aufsichtsbehörde über die verschiedenen Befugnisse, die ihr nach Art. 58 DSGVO übertragen sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 4. Juli 2023, Meta Platforms u. a. [Allgemeine Nutzungsbedingungen eines sozialen Netzwerks], C‑252/21, EU:C:2023:537, Rn. 45).
121 Nach Art. 51 Abs. 4 DSGVO sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, der Kommission die Rechtsvorschriften – und deren folgende Änderungen – mitzuteilen, die sie aufgrund des Kapitels VI der Verordnung erlassen, insbesondere die, die die Aufsichtsbehörde oder die Aufsichtsbehörden, die sie mit der Überwachung der Anwendung der Verordnung betraut haben, betreffen.
122 Im vorliegenden Fall ist aus den Akten, die dem Gerichtshof vorliegen, nicht ersichtlich, dass das vorlegende Gericht nach bulgarischem Recht mit der Überwachung der Anwendung der DSGVO betraut wäre und insbesondere über die Befugnisse verfügte, über die eine Aufsichtsbehörde nach Art. 58 der Verordnung verfügen muss.
123 Somit ist auf Frage 4 zu antworten, dass Art. 51 DSGVO dahin auszulegen ist, dass ein Gericht, das dafür zuständig ist, die Offenlegung personenbezogener Daten gegenüber einem anderen Justizorgan zu genehmigen, keine Aufsichtsbehörde im Sinne von Art. 51 DSGVO ist, wenn es von dem Mitgliedstaat, zu dem es gehört, nicht mit der Aufgabe betraut ist, die Anwendung der Verordnung zu überwachen, damit insbesondere die Grundrechte und Grundfreiheiten natürlicher Personen bei der Verarbeitung der sie betreffenden personenbezogenen Daten geschützt werden.
Zu Frage 5
124 Frage 5 ist nur für den Fall gestellt, dass der Gerichtshof auf Frage 3 oder Frage 4 mit Ja antworten sollte. Die Fragen 3 und 4 sind aber mit Nein zu beantworten (siehe oben, Rn. 117 und 123).
125 Frage 5 ist daher nicht zu beantworten.
Zu Frage 6
126 Mit Frage 6 möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 79 Abs. 1 DSGVO in Verbindung mit Art. 47 der Charta dahin auszulegen ist, dass ein Gericht, das dafür zuständig ist, die Offenlegung personenbezogener Daten gegenüber einem anderen Justizorgan zu genehmigen, wenn bei ihm kein Rechtsbehelf gemäß Art. 79 Abs. 1 DSGVO eingelegt worden ist, von Amts wegen den Schutz der Personen, deren Daten betroffen sind, hinsichtlich der Beachtung der Bestimmungen der DSGVO über die Sicherheit der personenbezogenen Daten zu gewährleisten hat, wenn allgemein bekannt ist, dass das betreffende Justizorgan in der Vergangenheit gegen diese Bestimmungen verstoßen hat.
127 Das vorlegende Gericht weist darauf hin, dass Frage 6 gestellt werde, weil das bei ihm eingeleitete Verfahren ohne Beteiligung der Personen durchgeführt werde, deren personenbezogene Daten betroffen seien, und die gerichtliche Genehmigung der Offenlegung dieser Daten gegenüber der Aufsichtsbehörde die Zustimmung dieser Personen ersetze und nicht anfechtbar sei. Würde es sich auf eine rein formale Prüfung des Antrags der Aufsichtsbehörde auf Genehmigung beschränken, ohne sich zu vergewissern, dass diese die Sicherheit der betreffenden personenbezogenen Daten gewährleiste, sei deren gerichtlicher Rechtsschutz, wie er in Art. 79 DSGVO vorgesehen sei, praktisch nicht wirksam. Das vorlegende Gericht fragt sich deshalb, ob es von Amts wegen zu gewährleisten habe, dass die Aufsichtsbehörde die Vorschriften betreffend die Sicherheit personenbezogener Daten beachtet, indem es von dieser verlange, ihm Informationen über die gemäß Art. 33 Abs. 3 Buchst. d DSGVO ergriffenen Sicherheitsmaßnahmen zu erteilen.
128 Die DSGVO enthält eine Gesamtheit materieller und prozessualer Vorschriften über die Datensicherheit, die der Verantwortliche einzuhalten hat, und sieht in Kapitel VIII die Rechtsbehelfe vor, mit denen die Rechte der Personen geschützt werden sollen, deren personenbezogene Daten Gegenstand einer Verarbeitung gewesen sind, die gegen die Bestimmungen der DSGVO verstoßen soll. Diese Rechtsbehelfe können von diesen Personen nebeneinander und unabhängig voneinander eingelegt werden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. Januar 2023, Nemzeti Adatvédelmi és Információszabadság Hatóság, C‑132/21, EU:C:2023:2, Rn. 35).
129 Da das von der DSGVO angestrebte Schutzniveau von den Sicherheitsmaßnahmen abhängt, die von den für die Verarbeitung dieser Daten Verantwortlichen getroffen werden, müssen diese – mittels der ihnen obliegenden Beweislast für die Geeignetheit dieser Maßnahmen – dazu angehalten werden, alles zu unternehmen, um Verarbeitungsvorgänge zu verhindern, die nicht im Einklang mit der DSGVO stehen (Urteil vom 14. Dezember 2023, Natsionalna agentsia za prihodite, C‑340/21, EU:C:2023:986, Rn. 55).
130 Die Kontrolle der Einhaltung der Anforderungen an die Sicherheit, die die DSGVO vorschreibt, obliegt zum einen den Aufsichtsbehörden und zum anderen den nationalen Gerichten, bei denen ein Rechtsbehelf gemäß Art. 78 Abs. 1 oder Art. 79 Abs. 1 DSGVO eingelegt wird.
131 Wie bereits ausgeführt (siehe oben, Rn. 120), besteht die Hauptaufgabe der Aufsichtsbehörden darin, die Anwendung der DSGVO zu überwachen und durchsetzen. Insbesondere haben ihnen die Verantwortlichen Verletzungen des Schutzes personenbezogener Daten gemäß Art. 33 DSGVO zu melden.
132 Zudem verfügen die Aufsichtsbehörden nach Art. 58 Abs. 1 und 2 DSGVO über weitreichende Untersuchungs- und Abhilfebefugnisse. Sie sind zum Einschreiten verpflichtet, wenn das Ergreifen einer oder mehrerer der in Art. 58 Abs. 2 DSGVO vorgesehenen Abhilfemaßnahmen unter Berücksichtigung aller Umstände des konkreten Falles geeignet, erforderlich und verhältnismäßig ist, um der festgestellten Unzulänglichkeit abzuhelfen und die umfassende Einhaltung der Verordnung zu gewährleisten (Urteil vom 26. September 2024, Land Hessen [Handlungspflicht der Datenschutzbehörde], C‑768/21, EU:C:2024:785, Rn. 42).
133 Es ist von besonderer Bedeutung, dass die Aufsichtsbehörden über wirksame Befugnisse verfügen, um effektiv gegen Verstöße gegen die DSGVO vorzugehen und insbesondere, um solche Verstöße zu beenden, und zwar auch in den Fällen, in denen die betroffenen Personen nicht über die Verarbeitung ihrer personenbezogenen Daten informiert wurden, ihnen diese nicht bekannt ist oder sie jedenfalls keine Beschwerde gemäß Art. 77 Abs. 1 DSGVO eingelegt haben (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 14. März 2024, Újpesti Polgármesteri Hivatal, C‑46/23, EU:C:2024:239, Rn. 41).
134 Die Aufsichtsbehörden und die nationalen Gerichte, bei denen ein Rechtsbehelf gemäß Art. 78 Abs. 1 oder Art. 79 Abs. 1 DSGVO eingelegt wurde, haben sich zu vergewissern, dass die technischen und organisatorischen Maßnahmen, die der Verantwortliche getroffen hat, geeignet sind, um ein dem Risiko angemessenes Schutzniveau zu gewährleisten, wie es Art. 32 Abs. 1 DSGVO verlangt. In dem Zusammenhang haben sie die konkreten Maßnahmen im Hinblick auf die Umstände des Einzelfalls materiellrechtlich nach Maßgabe der in Art. 32 Abs. 1 DSGVO genannten Kriterien zu prüfen, und zwar anhand der Beweismittel, die ihnen insoweit zur Verfügung stehen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 14. Dezember 2023, Natsionalna agentsia za prihodite, C‑340/21, EU:C:2023:986, Rn. 43 und 45 und vom 28. November 2024, Másdi, C‑169/23, EU:C:2024:988, Rn. 71).
135 Hingegen sind die nationalen Gerichte, wenn bei ihnen kein Rechtsbehelf gemäß Art. 78 Abs. 1 oder Art. 79 Abs. 1 DSGVO eingelegt wurde und es keine Vorschriften gibt, mit den ihnen ausdrücklich Kontrollbefugnisse eingeräumt werden, nicht verpflichtet, die Einhaltung der materiellen Vorschriften der DSGVO zu überwachen, um deren praktische Wirksamkeit zu gewährleisten.
136 Da die Frage des vorlegenden Gerichts insbesondere die Wirksamkeit des in Art. 79 Abs. 1 DSGVO vorgesehenen gerichtlichen Rechtsbehelfs betrifft, ist, um ihm eine nützliche Antwort zu geben, noch darauf hinzuweisen, dass die Mitgliedstaaten sicherstellen müssen, dass die konkreten Modalitäten für die Ausübung der in Art. 77 Abs. 1, Art. 78 Abs. 1 und Art. 79 Abs. 1 DSGVO vorgesehenen Rechtsbehelfe tatsächlich den Anforderungen des in Art. 47 der Charta verbürgten Rechts auf einen wirksamen gerichtlichen Rechtsbehelf entsprechen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. Januar 2023, Nemzeti Adatvédelmi és Információszabadság Hatóság, C‑132/21, EU:C:2023:2, Rn. 51).
137 Hierzu muss der Verantwortliche – also das zuständige Justizorgan, dem der Zugang zu den personenbezogenen Daten genehmigt wurde – den Personen, deren Daten betroffen sind, nach den Modalitäten gemäß Art. 12 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 3 DSGVO die in Art. 14 Abs. 1 und 2 DSGVO genannten Informationen erteilen. Dies ist erforderlich, um ihnen zu ermöglichen, gegebenenfalls die Rechte, die ihnen die DSGVO gewährt, insbesondere das Recht auf Widerspruch gegen die Verarbeitung sie betreffender personenbezogener Daten (Art. 21 DSGVO) und das Recht, Klage auf Ersatz des erlittenen Schadens zu erheben (Art. 79 und 82 DSGVO), auszuüben (vgl. entsprechend Urteil vom 22. Juni 2023, Pankki S, C‑579/21, EU:C:2023:501, Rn. 58 und die dort angeführte Rechtsprechung).
138 Somit ist auf Frage 6 zu antworten, dass Art. 79 Abs. 1 DSGVO in Verbindung mit Art. 47 der Charta dahin auszulegen ist, dass ein Gericht, das dafür zuständig ist, die Offenlegung personenbezogener Daten gegenüber einem anderen Justizorgan zu genehmigen, wenn bei ihm kein Rechtsbehelf gemäß Art. 79 Abs. 1 DSGVO eingelegt worden ist, nicht von Amts wegen den Schutz der Personen, deren Daten betroffen sind, hinsichtlich der Beachtung der Bestimmungen der DSGVO über die Sicherheit der personenbezogenen Daten zu gewährleisten hat, und zwar auch dann nicht, wenn allgemein bekannt ist, dass das betreffende Justizorgan in der Vergangenheit gegen diese Bestimmungen verstoßen hat.
Kosten
139 Für die Beteiligten der Ausgangsverfahren ist das Verfahren Teil der beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahren; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt:
1. Art. 19 Abs. 1 und Abs. 2 AEUV
ist in Verbindung mit Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union wie folgt auszulegen:
Der Grundsatz der richterlichen Unabhängigkeit steht der Praxis eines Mitgliedstaats entgegen, wonach die Mitglieder eines Justizorgans dieses Mitgliedstaats, die von dessen Parlament für eine bestimmter Amtszeit gewählt werden und dafür zuständig sind, bei Richtern, Staatsanwälten und Strafrechtspflegern die Amtsausübung, die Integrität und das Fehlen von Interessenkonflikten zu überwachen und einem anderen Justizorgan die Einleitung eines Disziplinarverfahrens zwecks Verhängung von Disziplinarmaßnahmen gegen solche Personen vorzuschlagen, ihre Amtsgeschäfte nach Ablauf der in der Verfassung des Mitgliedstaats festgelegten gesetzlichen Amtszeit fortführen, bis das Parlament neue Mitglieder gewählt hat, ohne dass es hierfür im nationalen Recht eine ausdrückliche gesetzliche Grundlage mit klaren und präzisen Vorschriften gibt, mit denen eine solche Fortführung der Amtsgeschäfte geregelt wird, und ohne dass gewährleistet ist, dass die Fortführung der Amtsgeschäfte in der Praxis zeitlich beschränkt ist.
2. Art. 2 der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung)
ist wie folgt auszulegen:
Die Offenlegung von personenbezogenen Daten gegenüber einem Justizorgan fällt in den sachlichen Anwendungsbereich der Verordnung 2016/679, wenn diese Daten dem Bankgeheimnis unterliegen und Richter, Staatsanwälte, Strafrechtspfleger sowie ihre Familienangehörige betreffen, und die Offenlegung der Überprüfung der Erklärungen der Richter, Staatsanwälte und Strafrechtspfleger über ihre Vermögensverhältnisse und die ihrer Familienangehörigen, die veröffentlicht werden, dient.
3. Art. 4 Nr. 7 der Verordnung 2016/679
ist wie folgt auszulegen:
Ein Gericht, das dafür zuständig ist, auf Antrag eines anderen Justizorgans die Offenlegung von Daten über die Bankkonten der Richter, Staatsanwälte und Strafrechtspfleger und ihrer Familienangehörigen durch eine Bank gegenüber diesem Justizorgan zu genehmigen, kann nicht als Verantwortlicher im Sinne von Art. 4 Nr. 7 der Verordnung 2016/679 eingestuft werden.
4. Art. 51 der Verordnung 2016/679
ist wie folgt auszulegen:
Ein Gericht, das dafür zuständig ist, die Offenlegung personenbezogener Daten gegenüber einem anderen Justizorgan zu genehmigen, ist keine Aufsichtsbehörde im Sinne von Art. 51 der Verordnung 2016/679, wenn es von dem Mitgliedstaat, zu dem es gehört, nicht mit der Aufgabe betraut ist, die Anwendung der Verordnung zu überwachen, damit insbesondere die Grundrechte und Grundfreiheiten natürlicher Personen bei der Verarbeitung der sie betreffenden personenbezogenen Daten geschützt werden.
5. Art. 79 Abs. 1 der Verordnung 2016/679
ist in Verbindung mit Art. 47 der Charta der Grundrechte wie folgt auszulegen:
Ein Gericht, das dafür zuständig ist, die Offenlegung personenbezogener Daten gegenüber einem anderen Justizorgan zu genehmigen, hat, wenn bei ihm kein Rechtsbehelf gemäß Art. 79 Abs. 1 der Verordnung 2016/679 eingelegt worden ist, nicht von Amts wegen den Schutz der Personen, deren Daten betroffen sind, hinsichtlich der Beachtung der Bestimmungen der Verordnung 2016/679 über die Sicherheit der personenbezogenen Daten zu gewährleisten, und zwar auch dann nicht, wenn allgemein bekannt ist, dass das betreffende Justizorgan in der Vergangenheit gegen diese Bestimmungen verstoßen hat.
Unterschriften