C-692/23 – AVR-Afvalverwerking

C-692/23 – AVR-Afvalverwerking

CURIA – Documents

Language of document : ECLI:EU:C:2025:310

Vorläufige Fassung

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

ATHANASIOS RANTOS

vom 30. April 2025 (1)

Rechtssache C692/23

AVR-Afvalverwerking BV

gegen

NV BAR-Afvalbeheer,

Gemeente Barendrecht,

Gemeente Albrandswaard,

Gemeente Ridderkerk,

NV Irado,

Afvalsturing Friesland NV

(Vorabentscheidungsersuchen des Gerechtshof Den Haag [Berufungsgericht Den Haag, Niederlande])

„ Vorlage zur Vorabentscheidung – Rechtsangleichung – Öffentliche Aufträge – Richtlinie 2014/24/EU – Art. 12 Abs. 3 – Inhousevergabe eines öffentlichen Auftrags – Bedingungen – Schwelle der Tätigkeiten der kontrollierten juristischen Person, die der Ausführung der Aufgaben dienen, mit denen sie von den öffentlichen Auftraggebern betraut wurde – Berücksichtigung des Umsatzes aller in der Gruppe verbundenen Gesellschaften – Berücksichtigung des Umsatzes, der aus Tätigkeiten im Auftrag der öffentlichen Auftraggeber generiert wird “

I.      Einleitung

1.        Das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 12 Abs. 3 Unterabs. 1 Buchst. b und Abs. 5 der Richtlinie 2014/24/EU über die öffentliche Auftragsvergabe(2).

2.        Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der AVR-Afvalverwerking BV (im Folgenden: AVR) auf der einen Seite und der Gemeente Barendrecht (Gemeinde Barendrecht, Niederlande), der Gemeente Albrandswaard (Gemeinde Albrandswaard, Niederlande), der Gemeente Ridderkerk (Gemeinde Ridderkerk, Niederlande) (im Folgenden zusammen: BAR-Gemeinden), der NV BAR-Afvalbeheer (im Folgenden: BAR), der NV Irado (im Folgenden: Irado) sowie der Afvalsturing Friesland NV (im Folgenden: AF) (im Folgenden zusammen: Beklagte des Ausgangsverfahrens) auf der anderen Seite über im Rahmen der so genannten Inhouseausnahme an Irado und an AF freihändig vergebene öffentliche Aufträge über die Sammlung und Verwertung des aus den Haushalten der BAR-Gemeinden stammenden Restmülls.

3.        Es sei darauf hingewiesen, dass nach dieser vom Gerichtshof im Urteil Teckal(3) verankerten und anschließend namentlich in Art. 12 der Richtlinie 2014/24(4) kodifizierten Ausnahme öffentliche Aufträge, die an juristische Personen vergeben werden, die von einem öffentlichen Auftraggeber kontrolliert werden, von der Anwendung der Vorschriften für die Vergabe öffentlicher Aufträge ausgenommen sind, wenn der öffentliche Auftraggeber über die betreffende juristische Person eine ähnliche Kontrolle ausübt wie über seine eigenen Dienststellen und wenn diese Person ihre Tätigkeit im Wesentlichen für den öffentlichen Auftraggeber ausübt. Die ratio legis dieser Regelung besteht darin, dass bei einer solchen Fallgestaltung der öffentliche Auftraggeber in seinem Handeln in Wirklichkeit auf seine eigenen Mittel zurückgreift und die beauftragte Einrichtung quasi zu seinen internen Dienststellen gehört(5). Während Art. 12 Abs. 1 dieser Richtlinie die Bedingungen für die Anwendung dieser Ausnahme für den Fall aufstellt, dass der Auftrag von einem öffentlichen Auftraggeber vergeben wird, der die alleinige Kontrolle über die juristische Person ausübt, dehnt Abs. 3 dieser Bestimmung diese Ausnahme auf Aufträge aus, die von einem öffentlichen Auftraggeber vergeben werden, der eine solche Kontrolle zusammen mit anderen öffentlichen Auftraggebern ausübt. Die letztgenannte Situation ist in der vorliegenden Rechtssache gegeben, in der die betreffende juristische Person (nämlich AF) von mehreren niederländischen Gemeinden, u. a. den BAR-Gemeinden, kontrolliert wird.

4.        Damit eine Vergabe inhouse(6) erfolgen kann, ist nach Art. 12 Abs. 3 Unterabs. 1 der Richtlinie 2014/24 das Zusammentreffen dreier Bedingungen erforderlich. Dazu zählt die in Art. 12 Abs. 3 Buchst. b dieser Richtlinie genannte Bedingung, um die es im Ausgangsverfahren geht und die verlangt, dass die kontrollierte juristische Person „mehr als 80 % [ihrer] Tätigkeiten“ der Ausführung von Aufgaben widmet, mit denen sie von den die Kontrolle ausübenden öffentlichen Auftraggebern betraut wurde (im Folgenden: Tätigkeitsbedingung). Gemäß Art. 12 Abs. 5 der Richtlinie 2014/24 kann zur Bestimmung des „prozentualen Anteils der Tätigkeiten“ u. a. „der durchschnittliche Gesamtumsatz … während der letzten drei Jahre vor Vergabe des Auftrags“ herangezogen werden.

5.        In diesem Zusammenhang möchte der Gerechtshof Den Haag (Berufungsgericht Den Haag, Niederlande) im Wesentlichen wissen, ob dann, wenn die kontrollierte juristische Person – wie hier AF – zu einer Unternehmensgruppe gehört, bei der Berechnung des „prozentualen Anteils der Tätigkeiten“ ausschließlich der Umsatz der kontrollierten juristischen Person selbst oder aber der konsolidierte Umsatz der Gruppe heranzuziehen ist.

6.        Während der Gerichtshof bereits die Gelegenheit hatte, die Tragweite der Inhouseausnahme im Anschluss an deren Kodifizierung in der Richtlinie 2014/24 zu präzisieren(7), wird er im Rahmen der vorliegenden Rechtssache erstmalig nach der konkreten Anwendung der Tätigkeitsbedingung sowie danach gefragt, welche Relevanz insoweit anderen Bereichen des Unionsrechts, insbesondere dem Begriff „Unternehmen“ im Sinne des Wettbewerbsrechts der Europäischen Union oder dem Begriff „konsolidierter Abschluss“ im Bilanzrecht nach der Richtlinie 2013/34/EU(8), beizumessen ist.

II.    Rechtlicher Rahmen

7.        In den Erwägungsgründen 5, 31 und 32 der Richtlinie 2014/24 heißt es:

„(5)      Es sei darauf hingewiesen, dass die Mitgliedstaaten durch diese Richtlinie in keiner Weise dazu verpflichtet werden, die Erbringung von Dienstleistungen an Dritte oder nach außen zu vergeben, wenn sie diese Dienstleistungen selbst erbringen oder die Erbringung durch andere Mittel als öffentliche Aufträge im Sinne dieser Richtlinie organisieren möchten. …

(31)      Es besteht erhebliche Rechtsunsicherheit darüber, inwieweit Verträge, die zwischen Einrichtungen des öffentlichen Sektors geschlossen werden, von den Vorschriften für die Vergabe öffentlicher Aufträge erfasst werden sollten. Die einschlägige Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union wird nicht nur von den einzelnen Mitgliedstaaten, sondern auch von den einzelnen öffentlichen Auftraggebern unterschiedlich ausgelegt. Daher gilt es zu präzisieren, in welchen Fällen im öffentlichen Sektor geschlossene Verträge von der Anwendung der Vorschriften für die Vergabe öffentlicher Aufträge ausgenommen sind.

Diese Präzisierung sollte sich auf die Grundsätze stützen, die in der einschlägigen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union dargelegt wurden. Der Umstand, dass beide Parteien einer Vereinbarung selbst öffentliche Stellen sind, reicht allein nicht aus, um die Anwendung der Vergabevorschriften auszuschließen. …

Es sollte sichergestellt werden, dass eine vom Anwendungsbereich ausgenommene öffentlich-öffentliche Zusammenarbeit keine Wettbewerbsverzerrung im Verhältnis zu privaten Wirtschaftsteilnehmern zur Folge hat, indem ein privater Dienstleister bessergestellt wird als seine Wettbewerber.

(32)      An kontrollierte juristische Personen vergebene öffentliche Aufträge sollten nicht der Anwendung der in dieser Richtlinie vorgesehenen Verfahren unterliegen, wenn der öffentliche Auftraggeber über die betreffende juristische Person eine Kontrolle ausübt, die mit der vergleichbar ist, die er über seine eigenen Dienststellen ausübt, vorausgesetzt die kontrollierte juristische Person führt mehr als 80 % ihrer Tätigkeiten in Ausführung der Aufgaben aus, mit denen sie von dem kontrollierenden öffentlichen Auftraggeber oder von anderen durch diesen öffentlichen Auftraggeber kontrollierten juristischen Personen betraut worden ist, und zwar ungeachtet des Begünstigten der Ausführung des Auftrags.

Diese Ausnahme sollte sich nicht auf Situationen erstrecken, in denen ein privater Wirtschaftsteilnehmer am Kapital der kontrollierten juristischen Person unmittelbar beteiligt ist, da die Vergabe eines öffentlichen Auftrags ohne Wettbewerbsverfahren dem am Kapital der kontrollierten juristischen Person beteiligten privaten Wirtschaftsteilnehmer einen unzulässigen Vorteil gegenüber seinen Wettbewerbern verschaffen würde. … Es sollte ferner klargestellt werden, dass das entscheidende Element allein die direkte private Beteiligung an der kontrollierten juristischen Person ist. Eine private Kapitalbeteiligung am kontrollierenden öffentlichen Auftraggeber oder den kontrollierenden öffentlichen Auftraggebern schließt daher die Vergabe öffentlicher Aufträge an die kontrollierte juristische Person ohne die Anwendung der in dieser Richtlinie vorgesehenen Verfahren nicht aus, da solche Beteiligungen den Wettbewerb zwischen privaten Wirtschaftsteilnehmern nicht nachteilig beeinflussen.

…“

8.        In Art. 2 („Begriffsbestimmungen“) Abs. 1 dieser Richtlinie heißt es:

„Für die Zwecke dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck

1.      ,öffentliche Auftraggeber‘ den Staat, die Gebietskörperschaften, die Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder die Verbände, die aus einer oder mehreren dieser Körperschaften oder Einrichtungen des öffentlichen Rechts bestehen;

5.      ,öffentliche Aufträge‘ zwischen einem oder mehreren Wirtschaftsteilnehmern und einem oder mehreren öffentlichen Auftraggebern schriftlich geschlossene entgeltliche Verträge über die Ausführung von Bauleistungen, die Lieferung von Waren oder die Erbringung von Dienstleistungen;

10.      ‚Wirtschaftsteilnehmer‘ eine natürliche oder juristische Person oder öffentliche Einrichtung oder eine Gruppe solcher Personen und/oder Einrichtungen, einschließlich jedes vorübergehenden Zusammenschlusses von Unternehmen, die beziehungsweise der auf dem Markt die Ausführung von Bauleistungen, die Errichtung von Bauwerken, die Lieferung von Waren beziehungsweise die Erbringung von Dienstleistungen anbietet;

…“

9.        Art. 12 („Öffentliche Aufträge zwischen Einrichtungen des öffentlichen Sektors“) der Richtlinie 2014/24 bestimmt:

„(1)      Ein von einem öffentlichen Auftraggeber an eine juristische Person des privaten oder öffentlichen Rechts vergebener öffentlicher Auftrag fällt nicht in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie, wenn alle der folgenden Bedingungen erfüllt sind:

a)      Der öffentliche Auftraggeber übt über die betreffende juristische Person eine ähnliche Kontrolle aus, wie über seine eigenen Dienststellen;

b)      mehr als 80 % der Tätigkeiten der kontrollierten juristischen Person dienen der Ausführung der Aufgaben, mit denen sie von dem die Kontrolle ausübenden öffentlichen Auftraggeber oder von anderen von diesem kontrollierten juristischen Personen betraut wurde[,] und

c)      es besteht keine direkte private Kapitalbeteiligung an der kontrollierten juristischen Person, mit Ausnahme nicht beherrschender Formen der privaten Kapitalbeteiligung und Formen der privaten Kapitalbeteiligung ohne Sperrminorität, die in Übereinstimmung mit den Verträgen durch nationale gesetzliche Bestimmungen vorgeschrieben sind und die keinen maßgeblichen Einfluss auf die kontrollierte juristische Person vermitteln.

Bei einem öffentlichen Auftraggeber wird davon ausgegangen, dass er über die betreffende juristische Person eine ähnliche Kontrolle im Sinne von Unterabsatz 1 Buchstabe a ausübt wie über seine eigenen Dienststellen, wenn er einen ausschlaggebenden Einfluss sowohl auf die strategischen Ziele als auch auf die wesentlichen Entscheidungen der kontrollierten juristischen Person ausübt. Solche Kontrolle kann auch durch eine andere juristische Person ausgeübt werden, die vom öffentlichen Auftraggeber auf gleiche Weise kontrolliert wird.

(3)      Ein öffentlicher Auftraggeber, der keine Kontrolle über eine juristische Person des privaten oder öffentlichen Rechts im Sinne von Absatz 1 ausübt, kann einen öffentlichen Auftrag dennoch ohne Anwendung dieser Richtlinie an diese juristische Person vergeben, wenn alle der folgenden Bedingungen erfüllt sind:

a)      Der öffentliche Auftraggeber übt gemeinsam mit anderen öffentlichen Auftraggebern über diese juristische Person eine ähnliche Kontrolle aus wie über ihre eigenen Dienststellen;

b)      mehr als 80 % der Tätigkeiten dieser juristischen Person dienen der Ausführung der Aufgaben, mit denen sie von den die Kontrolle ausübenden öffentlichen Auftraggebern oder von anderen von denselben öffentlichen Auftraggebern kontrollierten juristischen Personen betraut [wurde,] und

c)      es besteht keine direkte private Kapitalbeteiligung an der kontrollierten juristischen Person, mit Ausnahme nicht beherrschender Formen der privaten Kapitalbeteiligung und Formen der privaten Kapitalbeteiligung ohne Sperrminorität, die in Übereinstimmung mit den Verträgen durch nationale gesetzliche Bestimmungen vorgeschrieben sind und die keinen maßgeblichen Einfluss auf die kontrollierte juristische Person vermitteln.

Für die Zwecke von Unterabsatz 1 Buchstabe a üben öffentliche Auftraggeber gemeinsam die Kontrolle über eine juristische Person aus, wenn alle folgenden Bedingungen erfüllt sind:

i)      Die beschlussfassenden Organe der kontrollierten juristischen Person setzen sich aus Vertretern sämtlicher teilnehmender öffentlicher Auftraggeber zusammen. Einzelne Vertreter können mehrere oder alle teilnehmenden öffentlichen Auftraggeber vertreten;

ii)      diese öffentlichen Auftraggeber können gemeinsam einen maßgeblichen Einfluss auf die strategischen Ziele und wesentlichen Entscheidungen der kontrollierten juristischen Person ausüben und

iii)      die kontrollierte juristische Person verfolgt keine Interessen, die denen der kontrollierenden öffentlichen Auftraggeber zuwiderlaufen;

5.      Zur Bestimmung des prozentualen Anteils der Tätigkeiten gemäß Absatz 1 Unterabsatz 1 Buchstabe b, Absatz 3 Unterabsatz 1 Buchstabe b und Absatz 4 Buchstabe c wird der durchschnittliche Gesamtumsatz, oder ein geeigneter alternativer tätigkeitsgestützter Wert wie z. B. Kosten, die der betreffenden juristischen Person oder dem betreffenden öffentlichen Auftraggeber während der letzten drei Jahre vor Vergabe des Auftrags in Bezug auf Dienstleistungen, Lieferungen und Bauleistungen entstanden sind, herangezogen.

…“

III. Ausgangsrechtsstreit, Vorlagefragen und Verfahren vor dem Gerichtshof

10.      Die Gemeinden der Provinz Friesland (Niederlande) gründeten im Jahr 1995 einen gemeinsamen Abfallverwerter ohne Gewinnerzielungsabsicht, und zwar AF. In der Folgezeit kamen weitere, nicht in Friesland belegene Gemeinden als Anteilseigner von AF hinzu.

11.      AF führt eine Gruppe von Tochtergesellschaften an, von denen nach Angaben des vorlegenden Gerichts einige auch auf einem anderen Gebiet als der Ausführung von Aufgaben tätig sind, mit denen AF oder diese Tochtergesellschaften von den Gemeinden, die Anteilseigner von AF sind, betraut wurden(9). AF erstellt konsolidierte Jahresabschlüsse, in denen sie gemäß Art. 22 der Richtlinie 2013/34 ihre eigenen Finanzdaten mit denen ihrer Tochtergesellschaften, auf die sie einen beherrschenden Einfluss ausüben kann oder die ihrer einheitlichen Leitung unterliegen, konsolidiert.

12.      Im Auftrag der Gemeinden der Provinz Friesland betreibt AF im Übrigen selbst eine Mülldeponie (im Folgenden: in Rede stehende Deponie). Auf dieser Deponie wird nicht aus Haushalten stammender Restmüll(10) abgeladen, nämlich u. a. gewerbliche Abfälle und Abfälle aus Vorhaben der Gemeinden wie z. B. der Bodensanierung im Rahmen der Errichtung von Gebäuden oder der Asbestbeseitigung.

13.      Im Jahr 2000 gründeten drei Gemeinden der Provinz Zuid-Holland (Niederlande) die Einrichtung ohne Gewinnerzielungsabsicht Irado, um u. a. die Bewirtschaftung ihrer Abfälle sicherzustellen. Irado wurde im Jahr 2017 Anteilseignerin von AF und lässt seit dem 1. Februar 2017 den von ihr in diesen drei Gemeinden gesammelten, aus den Haushalten stammenden Restmüll durch AF verwerten.

14.      Im Jahr 2015 gründeten die BAR-Gemeinden, die ebenfalls in der Provinz Zuid-Holland liegen, die Einrichtung ohne Gewinnerzielungsabsicht BAR, um die Bewirtschaftung ihrer Abfälle sicherzustellen(11).

15.      Bis zum 31. Dezember 2019 hatte jede BAR-Gemeinde eine eigene Vereinbarung mit verschiedenen Abfallverwertungsunternehmen. Auf der Grundlage dieser Vereinbarungen verwertete AVR, eine in dieser Branche spezialisierte Handelsgesellschaft, zum Teil als Subunternehmer den aus den Haushalten dieser Gemeinden stammenden Restmüll.

16.      Im Jahr 2019 beschlossen die BAR-Gemeinden, dass BAR sich an Irado beteiligen dürfe, sowie, Irado mit der Abholung und Verwertung des aus ihren Haushalten stammenden Restmülls zu beauftragen.

17.      Am 13. Dezember 2019 schlossen Irado und AF einen Vertrag betreffend die Lieferung, die Beförderung und die Verwertung des aus den Haushalten der BAR-Gemeinden stammenden Restmülls ab dem 1. Januar 2020 (im Folgenden: Vergabe Irado – AF).

18.      Am 20. Dezember 2019 schlossen BAR und Irado einen Vertrag ebenfalls betreffend die Verwertung des aus den Haushalten der BAR-Gemeinden stammenden Restmülls (im Folgenden: Vergabe BAR– Irado).

19.      Am 31. Dezember 2019 wurde BAR Anteilseignerin von Irado.

20.      AVR erhob Klage bei der Rechtbank Den Haag (Bezirksgericht Den Haag, Niederlande) auf Nichtigerklärung, hilfsweise auf Auflösung bzw. Nichtausführung der in den Nrn. 17 und 18 der vorliegenden Schlussanträge genannten Vergaben, weil die eine Inhousevergabe zulassenden Bedingungen nicht erfüllt seien. Die Klage richtete sich auch darauf, eine Ausschreibung dieser Aufträge anordnen zu lassen, sollten die BAR-Gemeinden noch deren Vergabe wünschen.

21.      Nachdem diese Klage mit der Begründung abgewiesen worden war, dass die eine Inhousevergabe zulassenden Bedingungen erfüllt seien, legte AVR beim Gerechtshof Den Haag (Berufungsgericht Den Haag), dem vorlegenden Gericht, Berufung gegen das Urteil ein.

22.      Nach Angaben des vorlegenden Gerichts steht zwischen den Parteien außer Streit, dass für die beiden vorgenannten Vergaben grundsätzlich die in der Richtlinie 2014/24 vorgesehene Pflicht zur Durchführung eines wettbewerblichen Vergabeverfahrens gilt, es sei denn, die Inhouseausnahme könne zur Anwendung gelangen.

23.      Mithin sei für die Entscheidung des bei ihm anhängigen Rechtsstreits im Wesentlichen zu beurteilen, ob AF in dem Verhältnis, in dem sie zu den die Kontrolle ausübenden öffentlichen Auftraggebern stehe, den Anforderungen von Art. 12 Abs. 3 Unterabs. 1 Buchst. b und Abs. 5 Unterabs. 1 der Richtlinie 2014/24 genüge. Nach Art. 12 Abs. 3 Unterabs. 1 Buchst. b dieser Richtlinie müsse die juristische Person, an die der Auftrag vergeben werde, mehr als 80 % ihrer Tätigkeiten in Ausführung der Aufgaben ausüben, mit denen sie von den die Kontrolle ausübenden öffentlichen Auftraggebern betraut worden sei. Gemäß Art. 12 Abs. 5 Unterabs. 1 der Richtlinie 2014/24 werde dieser prozentuale Anteil der Tätigkeiten u. a. anhand des durchschnittlichen Gesamtumsatzes bestimmt.

24.      Insoweit hegt das vorlegende Gericht insbesondere hinsichtlich zweier Aspekte Zweifel.

25.      Zum einen stelle sich nämlich die Frage, ob bei der Berechnung des Umsatzes, der für die Beurteilung heranzuziehen sei, ob die Bedingung der Schwelle von 80 % der Tätigkeiten erfüllt sei, allein der von AF erzielte Umsatz oder auch der Umsatz der Gruppe zu berücksichtigen sei, zu der sie gehöre. Im vorliegenden Fall werde nämlich je nach Betrachtungsweise des konsolidierten Umsatzes der Gruppe diese Schwelle erreicht oder eben nicht.

26.      Das vorlegende Gericht weist hierzu darauf hin, dass die Beklagten des Ausgangsverfahrens Folgendes geltend machten: Da Art. 12 Abs. 3 Unterabs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2014/24 ausdrücklich auf die Tätigkeiten der juristischen Person verweise, an die der öffentliche Auftrag vergeben werde, könne der maßgebende Umsatz nur derjenige dieser juristischen Person selbst, also der von AF, sein. Vom konsolidierten Umsatz der Gruppe, zu der sie gehöre, auszugehen, stellte eine Anwendung dieser Bestimmung contra legem dar. Im Übrigen sei der konsolidierte Umsatz kein guter Indikator, weil die Konsolidierungsvorschriften im Bilanzrecht zu technisch und zu kompliziert seien. Demgegenüber sei AVR der Ansicht, dass der Umsatz der Gruppe zu berücksichtigen sei, weil nur dadurch der tatsächlichen und wirtschaftlichen Situation einer zu einer Gruppe gehörenden Person Rechnung getragen werden könne(12). Andernfalls könnte eine von den öffentlichen Auftraggebern kontrollierte juristische Person die in Art. 12 Abs. 3 Unterabs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2014/24 genannte Anforderung umgehen, indem sie innerhalb einer Gruppe tätig wäre, in der diese juristische Person selbst mehr als 80 % ihrer Tätigkeiten zugunsten dieser öffentlichen Auftraggeber ausübte und eine oder mehrere Gesellschaften der Gruppe auf dem freien Markt tätig werden ließe.

27.      Zum anderen wäre – so das vorlegende Gericht weiter –, angenommen der Gerichtshof verträte die Auffassung, dass allein der nicht konsolidierte Umsatz von AF zu berücksichtigen sei, noch zu ermitteln, ob der von AF mit dem Betrieb ihrer Deponie erzielte Umsatz als Umsatz anzusehen sei, den sie im Rahmen der Ausführung der Aufgaben, mit denen sie vom öffentlichen Auftraggeber betraut worden sei, erzielt habe. AVR mache insoweit geltend, dass Deponien für gewerblichen Abfall in den Niederlanden zum Teil durch private Wirtschaftsteilnehmer betrieben würden, sodass bei AF, die bei diesem Betrieb mit diesen Anbietern im Wettbewerb stehe, ihr Umsatz mit dieser Deponie nicht berücksichtigt werden dürfe. Die Beklagten des Ausgangsverfahrens hielten dem entgegen, dass der von AF mit der in Rede stehenden Deponie erzielte Umsatz seinen Ursprung in der Ausführung der Aufgaben habe, mit denen sie von den öffentlichen Auftraggebern betraut worden sei, und deshalb unabhängig davon zu berücksichtigen sei, dass dieser Umsatz bei Drittunternehmen erzielt werde, die dort ihre Abfälle ablüden.

28.      Vor diesem Hintergrund hat der Gerechtshof Den Haag (Berufungsgericht Den Haag) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1)      Ist das Tätigkeitskriterium von Art. 12 Abs. 3 Unterabs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2014/24 in Verbindung mit deren Art. 12 Abs. 5 dahin auszulegen, dass, wenn der dort genannte prozentuale Anteil der Tätigkeiten auf der Grundlage des Umsatzes bestimmt wird und die kontrollierte juristische Person zu einer Gruppe gehört, ausschließlich der Umsatz der kontrollierten juristischen Person selbst zu berücksichtigen ist oder aber der Umsatz aller in der Gruppe verbundenen oder nicht verbundenen Gesellschaften wie beispielsweise

i)      der konsolidierte Umsatz, bei dem der Umsatz der betroffenen juristischen Person gemäß der nationalen Umsetzung der Art. 22 und 24 der Richtlinie 2013/34 zum Umsatz anderer Unternehmen der Gruppe zu addieren ist, oder

ii)      der Umsatz der Unternehmen, mit denen die kontrollierte juristische Person im Sinne des im Wettbewerbsrecht der Union geltenden Begriffs „Unternehmen“ eine wirtschaftliche Einheit bildet?

2)      Ist, falls die Antwort auf die erste Frage lautet, dass ausschließlich der Umsatz der kontrollierten juristischen Person selbst zu berücksichtigen ist, das in dieser Frage genannte Tätigkeitskriterium dahin auszulegen, dass Umsatz, der generiert wird, wenn Dritte als Nutzer Abfälle auf einer Deponie abladen, die die kontrollierte juristische Person im Auftrag der die Kontrolle ausübenden öffentlichen Auftraggeber betreibt, als Umsatz anzusehen ist, der aus der Ausführung von Aufgaben stammt, mit denen diese juristische Person von den die Kontrolle ausübenden öffentlichen Auftraggebern betraut worden ist, wenn berücksichtigt wird, dass die kontrollierte juristische Person hierbei auch mit privaten Anbietern im Wettbewerb steht?

29.      AVR, AF, Irado, BAR, die BAR-Gemeinden, die italienische und die österreichische Regierung sowie die Europäische Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht. Diese Beteiligten mit Ausnahme der österreichischen Regierung haben in der mündlichen Verhandlung vom 5. Februar 2025 auch mündliche Ausführungen gemacht.

IV.    Würdigung

A.      Vorbemerkungen

30.      In der vorliegenden Rechtssache geht es um die Bedingungen für die Inhousevergabe, also die freihändige Vergabe öffentlicher Aufträge ohne wettbewerbliches Vergabeverfahren im Fall der von öffentlichen Auftraggebern gemeinsam ausgeübten Kontrolle über die betreffende juristische Person gemäß Art. 12 Abs. 3 der Richtlinie 2014/24.

31.      Zur Erinnerung: Nach dieser Bestimmung fällt ein von einem öffentlichen Auftraggeber an eine juristische Person des privaten oder des öffentlichen Rechts vergebener öffentlicher Auftrag nicht in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie, wenn erstens der öffentliche Auftraggeber gemeinsam mit anderen öffentlichen Auftraggebern über diese juristische Person eine ähnliche Kontrolle ausübt wie über seine eigenen Dienststellen (erste Bedingung), zweitens mehr als 80 % der Tätigkeiten dieser juristischen Person der Ausführung der Aufgaben dienen, mit denen sie von den die Kontrolle ausübenden öffentlichen Auftraggebern oder von anderen von diesen kontrollierten juristischen Personen betraut wurde (zweite Bedingung), und drittens im Grundsatz keine direkte private Kapitalbeteiligung an dieser juristischen Person besteht (dritte Bedingung).

32.      Im vorliegenden Fall betreffen die Fragen des vorlegenden Gerichts ausschließlich die zweite Bedingung und haben ihren Ursprung in einem Rechtsstreit über die Verwertung von Haushaltsmüll der BAR-Gemeinden mittels einer relativ komplexen rechtlichen Struktur.

33.      In Anbetracht dieser Komplexität halte ich als Erstes einige Erläuterungen für angezeigt, anhand deren sich diese Fragen besser einordnen lassen. So geht es im Ausgangsrechtsstreit im Kern darum, ob es rechtlich zulässig ist, dass die BAR-Gemeinden einen Auftrag über die Lieferung, die Beförderung und die Verwertung des aus den Haushalten dieser Gemeinden stammenden Restmülls freihändig an AF vergeben, und zwar mittels einer ausgeklügelten Gestaltung, die darauf abzielt, durch zwei zwischengeschaltete Einrichtungen, BAR und Irado, eine gemeinsame Kontrolle der BAR-Gemeinden über AF zu begründen. Konkret gründeten die BAR-Gemeinden in einem ersten Schritt BAR, eine Einrichtung ohne Gewinnerzielungsabsicht, um die Bewirtschaftung ihrer Abfälle sicherzustellen. In der Folgezeit schloss BAR mit Irado im Rahmen einer Inhousevergabe einen Vertrag über die Sammlung und Verwertung des aus den Haushalten der drei betroffenen Gemeinden stammenden Restmülls (Vergabe BAR – Irado). Irado ist ihrerseits eine Einrichtung ohne Gewinnerzielungsabsicht, die von drei weiteren, in derselben Provinz wie die BAR-Gemeinden belegenen Gemeinden zur Bewirtschaftung der Abfälle dieser weiteren Gemeinden gegründet wurde. In einem zweiten Schritt vergab auch Irado die Lieferung, die Beförderung und die Verwertung des aus den Haushalten der BAR-Gemeinden stammenden Restmülls freihändig an AF (Vergabe Irado – AF). AF ist eine gemeinsame Abfallverwertungseinrichtung ohne Gewinnerzielungsabsicht, die von Gemeinden aus der Provinz Friesland und weiteren, zwar nicht in dieser Provinz belegenen, aber anschließend auch zu Anteilseignern von AF gewordenen Gemeinden gegründet wurde. AF führt eine Gruppe von Tochtergesellschaften an, die u. a. Strom und Dampf aus der Verbrennung von Restmüll erzeugen oder aus solchem Müll organische Gärung zur Gewinnung von Biogas betreiben. Im Übrigen betreibt AF im Auftrag der Gemeinden der Provinz Friesland selbst eine Deponie. Auf dieser Deponie wird nicht aus Haushalten stammender Restmüll abgeladen, nämlich u. a. gewerbliche Abfälle und Abfälle aus Vorhaben der Gemeinden wie z. B. der Bodensanierung im Rahmen der Errichtung von Gebäuden oder der Asbestbeseitigung.

34.      Das vorlegende Gericht ist mit dem Ausgangsrechtsstreit im Wege der Berufung durch AVR, einer auf dem Gebiet der Abfallverwertung tätigen Handelsgesellschaft, befasst worden, die rügt, dass die Vergaben BAR – Irado und Irado – AF im Rahmen der Inhouseausnahme rechtswidrig gewesen seien.

35.      Für die Feststellung, ob eine Berufung auf die Inhouseausnahme möglich ist, kommt es nach Angaben des vorlegenden Gerichts darauf an, ob AF in dem Verhältnis, in dem sie zu BAR und Irado stehe, der zweiten, in Art. 12 Abs. 3 Unterabs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2014/24 festgelegten Bedingung genüge, wonach mehr als 80 % der Tätigkeiten von AF der Ausführung der Aufgaben dienen müssten, mit denen sie von ihren Anteilseignern, also Irado und den weiteren Gemeinden aus Friesland, betraut worden sei. Wie diese Prüfung ausfalle, hänge von zwei Faktoren ab, nämlich zum einen dem für die Bewertung des Tätigkeitskriteriums herangezogenen Umsatz, wobei die Schwelle von „mehr als 80 %“ der Tätigkeiten nur durch den Umsatz von AF für sich genommen und nicht durch den Umsatz der Gruppe, zu der sie gehöre, erreicht werde (erste Vorlagefrage), und zum anderen der Berücksichtigung des von AF mit der Deponie erzielten Umsatzes als Umsatz, der im Rahmen der Ausführung der Aufgaben generiert werde, mit denen AF von den die Kontrolle ausübenden Anteilseignern betraut worden sei (zweite Vorlagefrage).

36.      Nach diesen Klarstellungen halte ich es vor der Prüfung dieser Fragen in der Sache als Zweites für sachdienlich, einige Aspekte im Zusammenhang mit der Anwendung der Inhouseausnahme hervorzuheben, die mir, auch wenn sie nicht Gegenstand des vorliegenden Vorabentscheidungsersuchens sind, für die Zwecke der vorliegenden Würdigung ebenfalls relevant zu sein scheinen.

37.      Erstens spricht das vorlegende Gericht in keiner Weise die erste, in Art. 12 Abs. 3 Unterabs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2014/24 aufgestellte Bedingung an, die verlangt, dass die öffentlichen Auftraggeber gemeinsam über die juristische Person eine ähnliche Kontrolle ausüben wie über ihre eigenen Dienststellen. Wie der Gerichtshof im Urteil Sambre ausgeführt hat, sieht diese Bestimmung im Unterschied zu Art. 12 Abs. 1 und 2 der Richtlinie jedoch nicht vor, dass die Voraussetzungen für die Kontrolle über die den Zuschlag erhaltende juristische Person durch den öffentlichen Auftraggeber mittelbar erfüllt werden können, also wenn die Kontrolle durch eine andere juristische Person ausgeübt wird, die vom öffentlichen Auftraggeber auf gleiche Weise kontrolliert wird(13). Außerdem weist der Begriff „gemeinsame Kontrolle“ im Rahmen der Anwendung von Art. 12 Abs. 3 der Richtlinie 2014/24 die in Unterabs. 2 dieser Bestimmung im Einzelnen aufgeführten Besonderheiten auf, in dem drei kumulative Bedingungen festgelegt werden, die sich auf folgende Faktoren beziehen: i) die Zusammensetzung der beschlussfassenden Organe der kontrollierten juristischen Person, ii) die Fähigkeit, einen maßgeblichen Einfluss auf die Ziele und wesentlichen Entscheidungen dieser Person auszuüben, und iii) die Verfolgung von Interessen, die mit denen der öffentlichen Auftraggeber übereinstimmen(14).

38.      Ich weise insoweit darauf hin, dass im vorliegenden Fall aus den dem Gerichtshof zur Verfügung stehenden Akten nicht hervorgeht, dass die BAR-Gemeinden unmittelbar an den beschlussfassenden Organen von AF beteiligt wären, was es ihnen ermöglicht hätte, einen maßgeblichen Einfluss auf die wesentlichen Entscheidungen von AF auszuüben. Vielmehr sind die BAR-Gemeinden dem Anschein nach mittelbar über Irado dort beteiligt, wobei Irado von BAR kontrolliert wird, die ihrerseits gemeinsam von den BAR-Gemeinden kontrolliert wird(15). Allerdings tue ich mir schwer, im Fall einer solchen mittelbaren Kontrolle mittels zweier zwischengeschalteter Einrichtungen nachzuvollziehen, wie sich diese Art der Kaskadenkontrolle von der mittelbaren Kontrolle unterscheiden soll, die der Gerichtshof bei gemeinsamen Kontrollen ausdrücklich ausgeschlossen hat. Im Übrigen würde eine derartige Kaskadenkontrolle de facto zu einer Verwässerung der ursprünglich ausgeübten Kontrolle führen und sich damit von der ratio legis der Inhouseausnahme entfernen, die auf der Vorstellung beruht, dass die öffentlichen Auftraggeber ihre öffentlichen Aufgaben ausüben, indem sie ihre eigenen Mittel verwenden(16). Das vorlegende Gericht wird daher zu prüfen haben, ob es sich unter den Gegebenheiten des vorliegenden Falles bei der von den BAR-Gemeinden über AF ausgeübten Kontrolle um eine tatsächlich ähnliche Kontrolle wie die handelt, die sie über ihre eigenen Dienststellen ausüben.

39.      Zweitens wirft die Reihenfolge, in der die verschiedenen im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Beziehungen geknüpft wurden, auch einige Fragen in Bezug auf den Zeitpunkt auf, zu dem die Bedingungen für die beiden im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Vergaben erfüllt waren. Denn die Bedingungen für die konforme Anwendung einer von den Unionsrechtsvorschriften über öffentliche Aufträge abweichenden Bestimmung müssen grundsätzlich zum Zeitpunkt des Abschlusses des Vergabevertrags erfüllt sein(17). Wie den Nrn. 17 bis 19 der vorliegenden Schlussanträge zu entnehmen ist, hielten im vorliegenden Fall zum Zeitpunkt der Vergabe der beiden streitigen Aufträge weder die BAR-Gemeinden noch BAR selbst eine Beteiligung an Irado. Die Vergabe Irado – AF erfolgte nämlich am 13. Dezember 2019, und die Vergabe BAR – Irado fand am 20. Dezember 2019 statt, während BAR – und mithin mittelbar die BAR-Gemeinden – erst am 31. Dezember 2019 Anteilseignerin von Irado wurde. Damit hängt die Frage der Anwendung von Art. 12 der Richtlinie 2014/24 auf den Ausgangsrechtsstreit davon ab, ob diese Verträge in Anbetracht der zeitlichen Abfolge, in der sie geschlossen wurden, in ihrer Gesamtheit zu beurteilen sind, so dass als Zeitpunkt der Vergabe der beiden streitigen Aufträge der Zeitpunkt anzusehen ist, zu dem BAR Anteilseignerin von Irado wurde, d. h., der 31. Dezember 2019(18). Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass ein aus mehreren Handlungen bestehender Vorgang für eine etwaige Einstufung als „öffentlicher Auftrag“ in seiner Gesamtheit und unter Berücksichtigung seiner Zielsetzung zu prüfen ist(19). Wenn also der maßgebliche Zeitpunkt für die Berücksichtigung der Voraussetzungen für die Inhouseausnahme der 31. Dezember 2019 ist, würde eine solche Anwendung zumindest die Bestätigung erfordern, dass die Vergabe BAR – Irado nach diesem Zeitpunkt, nämlich am 1. Januar 2020, in Kraft trat(20).

40.      Drittens ist im Zusammenhang mit derselben Problematik, auch wenn das vorlegende Gericht klarstellt, dass sich die Vorlagefragen auf die beiden freihändigen Vergaben, also die Vergaben BAR – Irado und Irado – AF, beziehen, schwer verständlich, aus welchem Grund die Tätigkeiten von AF im vorliegenden Fall für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Vergabe BAR – Irado relevant sein sollen, wo doch AF nicht Partei des Vertrags über diesen Auftrag ist. Diese beiden Vergaben sollten nämlich gesondert geprüft werden, wobei die Vergabe BAR – Irado auf der Grundlage des Umsatzes von Irado zu prüfen ist(21).

41.      Als Drittes und Letztes weise ich in Bezug auf die Fragen des vorlegenden Gerichts darauf hin, dass – wie der Gerichtshof bereits entschieden hat – das Hauptziel der Unionsvorschriften über das öffentliche Auftragswesen, nämlich der freie Waren- und Dienstleistungsverkehr und die Öffnung für einen unverfälschten Wettbewerb in allen Mitgliedstaaten, die Verpflichtung einschließt, die Vorschriften über die Vergabe öffentlicher Aufträge anzuwenden, wenn ein öffentlicher Auftraggeber beabsichtigt, mit einer rechtlich verschiedenen Einrichtung einen entgeltlichen Vertrag zu schließen, wobei unerheblich ist, ob diese Einrichtung selbst ein öffentlicher Auftraggeber ist. Jede Ausnahme von der Geltung dieser Verpflichtung ist eng auszulegen(22).

42.      Diese Fragen werden daher im Licht dieser Rechtsprechung des Gerichtshofs zu prüfen sein, insbesondere da, wie aus dem 31. Erwägungsgrund der Richtlinie 2014/24 hervorgeht, sich die Präzisierungen in Bezug auf Verträge, die zwischen Einrichtungen des öffentlichen Sektors geschlossen werden, auf die in dieser Rechtsprechung dargelegten Grundsätze stützen sollten(23).

B.      Zur ersten Vorlagefrage

43.      Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 12 Abs. 3 Unterabs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2014/24 in Verbindung mit deren Art. 12 Abs. 5 Unterabs. 1 dahin auszulegen ist, dass die Bedingung, nach der die kontrollierte juristische Person mehr als 80 % ihrer Tätigkeiten in Ausführung der Aufgaben wahrnimmt, mit denen sie von den die Kontrolle ausübenden öffentlichen Auftraggebern betraut wurde, wenn der dort genannte prozentuale Anteil der Tätigkeiten auf der Grundlage des Umsatzes bestimmt wird und diese juristische Person ihrerseits weitere Unternehmen kontrolliert, mit denen sie eine Gruppe bildet, auf der Grundlage allein des Umsatzes dieser juristischen Person oder aber auf der Grundlage des Umsatzes dieser Gruppe zu beurteilen ist. Für den zweitgenannten Fall fragt es nach der Möglichkeit, den konsolidierten Umsatz der Gruppe gemäß den Art. 22 und 24 der Richtlinie 2013/34 oder aber den Umsatz der Einheiten zu berücksichtigen, mit denen die kontrollierte juristische Person im Sinne des dem Wettbewerbsrecht der Union entnommenen Begriffs „Unternehmen“ eine „wirtschaftliche Einheit“ bildet.

44.      Es sei daran erinnert, dass gemäß Art. 12 Abs. 5 Unterabs. 1 der Richtlinie 2014/24 zur Bestimmung des in deren Art. 12 Abs. 3 Unterabs. 1 Buchst. b angesprochenen „prozentualen Anteils der Tätigkeiten“ u. a. „der durchschnittliche Gesamtumsatz … während der letzten drei Jahre vor Vergabe des Auftrags“ herangezogen wird. Nach Angaben des vorlegenden Gerichts liegt im vorliegenden Fall dieser „prozentuale Anteil der Tätigkeiten“ auf der Grundlage des konsolidierten Umsatzes der Gruppe, zu der AF gehört, unter 80 % und wäre bei den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Vergaben daher die zweite in dieser Bestimmung genannte Bedingung nicht erfüllt. Auf der Grundlage allein des (nicht konsolidierten) Umsatzes von AF läge der „prozentuale Anteil der Tätigkeiten“ hingegen höher als 80 % und könnten sich die BAR-Gemeinden zu Recht auf die Inhouseausnahme berufen, da dieser höhere Anteil Beleg dafür sei, dass AF ihre Tätigkeiten im Wesentlichen für Rechnung der BAR-Gemeinden und der anderen die Kontrolle ausübenden öffentlichen Auftraggeber ausführe.

45.      Hierzu ist zunächst festzustellen, dass weder die Wendung „prozentuale[r] Anteil der Tätigkeiten“ noch der Begriff „Umsatz“, die beide in Art. 12 Abs. 5 der Richtlinie 2014/24 verwendet werden, im Rahmen dieser Richtlinie definiert oder erläutert werden(24).

46.      Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs sind die Begriffe einer Vorschrift des Unionsrechts, die für die Ermittlung ihres Sinnes und ihrer Bedeutung nicht ausdrücklich auf das Recht der Mitgliedstaaten verweist, in der Regel in der gesamten Europäischen Union autonom und einheitlich auszulegen, wobei diese Auslegung unter Berücksichtigung nicht nur ihres Wortlauts, sondern auch ihres Regelungszusammenhangs und des mit der Regelung verfolgten Zweckes zu ermitteln ist. Die Entstehungsgeschichte einer Bestimmung des Unionsrechts kann ebenfalls relevante Anhaltspunkte für ihre Auslegung liefern(25).

47.      Was als Erstes den Wortlaut von Art. 12 Abs. 5 Unterabs. 1 der Richtlinie 2014/24 betrifft, wird nach dieser Bestimmung hinsichtlich des prozentualen Anteils der Tätigkeiten „zu [dessen] Bestimmung … der durchschnittliche Gesamtumsatz, oder ein geeigneter alternativer tätigkeitsgestützter Wert wie z. B. Kosten, die der betreffenden juristischen Person oder dem betreffenden öffentlichen Auftraggeber während der letzten drei Jahre vor Vergabe des Auftrags in Bezug auf Dienstleistungen, Lieferungen und Bauleistungen entstanden sind, herangezogen“(26). Ferner genügt es gemäß Unterabs. 2 dieser Bestimmung, „[l]iegen für die letzten drei Jahre keine Angaben über den Umsatz … vor oder sind sie nicht mehr relevant, weil die betreffende juristische Person oder der betreffende öffentliche Auftraggeber gerade gegründet wurde oder erst vor kurzem ihre beziehungsweise seine Tätigkeit aufgenommen hat oder weil sie ihre beziehungsweise er seine Tätigkeiten umstrukturiert hat, … wenn sie beziehungsweise er – vor allem durch Prognosen über die Geschäftsentwicklung – den tätigkeitsgestützten Wert glaubhaft macht“(27).

48.      Dem Wortlaut dieser Bestimmungen nach geht es um den Umsatz der „juristischen Person“ oder des „öffentlichen Auftraggebers“, die bzw. der von der Vergabe betroffen ist. Dies liegt in der Natur von Art. 12 Abs. 5 der Richtlinie 2014/24, der erläutern soll, wie der prozentuale Anteil der in Art. 12 Abs. 1, 3 und 4 dieser Richtlinie angesprochenen Tätigkeiten bestimmt werden soll. Auch dort wird bei der Bezugnahme auf das Tätigkeitskriterium der Begriff „juristische Person“(28) bzw. „öffentlicher Auftraggeber“(29) verwendet. Für die vorliegende Würdigung ist jedoch allein die Bezugnahme auf die „juristische Person“ von Belang.

49.      Daher ist nach der wörtlichen Auslegung der einschlägigen Bestimmungen, auf die sich die Beklagten des Ausgangsverfahrens berufen, der Begriff „Umsatz“ im Sinne dieser Bestimmungen allein anhand des Umsatzes der „betreffenden juristischen Person“, hier AF, und nicht der Gruppe, zu der sie gehört, zu beurteilen.

50.      Gleichwohl kann insbesondere im Hinblick auf den Regelungszusammenhang von Art. 12 der Richtlinie 2014/24 und die Ziele, die mit ihm verfolgt werden, nach meiner Ansicht diese auf der wörtlichen Auslegung beruhende Feststellung für sich genommen nicht ausreichen, um die Nichtberücksichtigung des Umsatzes einer Unternehmensgruppe zu rechtfertigen. Meines Erachtens gibt es nämlich keinen Grund, bei der Auslegung dieser Begriffe übermäßig formalistisch vorzugehen. Ein solcher Ansatz liefe meiner Meinung nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs zuwider, der das nationale Gericht auffordert, bei der Beurteilung, ob eine beauftragte Einrichtung hauptsächlich für die öffentlichen Auftraggeber, die ihre Anteile innehaben, tätig wird, „alle – qualitativen wie quantitativen – Umstände des Einzelfalls“ zu berücksichtigen(30).

51.      Was als Zweites den Regelungszusammenhang und die Entstehungsgeschichte von Art. 12 Abs. 5 Unterabs. 1 der Richtlinie 2014/24 betrifft, so erinnere ich daran, dass nach deren Art. 2 Abs. 1 Nr. 5 „öffentliche Aufträge“ als „zwischen einem oder mehreren Wirtschaftsteilnehmern und einem oder mehreren öffentlichen Auftraggebern schriftlich geschlossene entgeltliche Verträge“ definiert sind(31). „Wirtschaftsteilnehmer“ ist nach Art. 2 Abs. 1 Nr. 10 dieser Richtlinie „eine natürliche oder juristische Person oder öffentliche Einrichtung oder eine Gruppe solcher Personen und/oder Einrichtungen, … die … auf dem Markt die Ausführung von Bauleistungen, die Errichtung von Bauwerken, die Lieferung von Waren beziehungsweise die Erbringung von Dienstleistungen anbietet“(32). Bei der Prüfung von Art. 12 dieser Richtlinie darf daher nicht außer Acht gelassen werden, dass sich diese Bestimmung, soweit sie auf „[ö]ffentliche Aufträge zwischen Einrichtungen des öffentlichen Sektors“ gerichtet ist, der Terminologie bedient, die für die Definition der „öffentlichen Aufträge“ verwendet wird, und zwar unabhängig davon, dass es sich bei dieser Bestimmung um eine Ausnahme von der Anwendung der Vorschriften über die Vergabe öffentlicher Aufträge handelt. Daher verweist Art. 12 in seinen Abs. 1 und 3 ganz offensichtlich auf „eine juristische Person des privaten oder öffentlichen Rechts, um eine terminologische Kohärenz mit dem Begriff „Wirtschaftsteilnehmer“ zu wahren, der u. a. auch „juristische Personen“ erfasst. Da im Übrigen „öffentliche Aufträge“ als „entgeltliche Verträge“ definiert sind, muss die Vergabe selbst im Rahmen der in Art. 12 Abs. 3 der Richtlinie 2014/24 vorgesehenen Ausnahme an eine Vertragspartei erfolgen. Diese Analyse des Regelungszusammenhangs würde mithin die Entscheidung des Unionsgesetzgebers erklären, den Begriff „juristische Person“ zu verwenden und nicht einen weiter gefassten Begriff wie „Unternehmen“ oder „Unternehmensgruppe“, der allein aufgrund des Wortlauts dieser Bestimmung den Schluss zulassen würde, dass der Umfang des relevanten Umsatzes weiter gefasst sein kann als der der betreffenden juristischen Person. Auch wenn der Unionsgesetzgeber natürlich auf den Begriff „Unternehmen“ hätte Bezug nehmen können, geht weder aus dieser Analyse des Regelungszusammenhangs noch aus den Vorarbeiten zur Richtlinie 2014/24 hervor, dass der Begriff „juristische Person“ bewusst als Gegensatz zum Begriff „Unternehmen“ gewählt wurde oder dass diese beiden Begriffe nicht nebeneinander bestehen können(33).

52.      Was als Drittes die mit Art. 12 der Richtlinie 2014/24 verfolgten Ziele betrifft, soll, wie der Gerichtshof erläutert hat, das Erfordernis, dass die juristische Person ihre Tätigkeit im Wesentlichen für den oder die öffentlichen Auftraggeber verrichtet, die ihre Anteile innehaben, sicherstellen, dass diese Richtlinie anwendbar bleibt, wenn diese juristische Person auf dem Markt tätig ist und daher mit anderen Unternehmen in Wettbewerb treten kann. Eine solche juristische Person wird aber nicht unbedingt allein deshalb ihrer Handlungsfreiheit beraubt, weil die sie betreffenden Entscheidungen von den öffentlichen Auftraggebern kontrolliert werden, die ihre Anteile innehaben, sofern sie noch einen bedeutenden Teil ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit mit anderen Wirtschaftsteilnehmern abwickeln kann. Werden – so der Gerichtshof weiter – die Leistungen dieser juristischen Person im Wesentlichen nur für diese öffentlichen Auftraggeber erbracht, ist es hingegen gerechtfertigt, dass die juristische Person nicht den Zwängen der Richtlinie 2014/24 unterliegt, da diese durch das Anliegen der Bewahrung eines Wettbewerbs diktiert werden, für das es in dem entsprechenden Fall keinen Grund mehr gibt(34). Denn im Einklang mit dem 31. Erwägungsgrund dieser Richtlinie darf die Ausnahme von der Pflicht zur Durchführung eines wettbewerblichen Vergabeverfahrens keine Wettbewerbsverzerrung im Verhältnis zu privaten Wirtschaftsteilnehmern zur Folge haben, indem ein privater Dienstleister bessergestellt wird als seine Wettbewerber.

53.      Die Analyse zwecks Beurteilung des Umfangs des relevanten Umsatzes sollte meines Erachtens durch dieses Ziel geleitet sein. Daher muss die Wahl zwischen konsolidierten und nicht konsolidierten Umsätzen im Rahmen der Anwendung der zweiten, in Art. 12 Abs. 3 der Richtlinie 2014/24 aufgestellten Bedingung danach erfolgen, ob diese Umsätze erkennen lassen können, ob die kontrollierte juristische Person einen wesentlichen Teil ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit für die die Kontrolle ausübenden öffentlichen Auftraggeber ausführt oder, umgekehrt, nur einen nebensächlichen Teil ihrer Tätigkeit bei anderen privaten Wirtschaftsteilnehmern ausübt(35).

54.      Führt, wie im vorliegenden Fall, die kontrollierte juristische Person eine Gruppe an und agiert somit als Muttergesellschaft, können meiner Ansicht nach insoweit die konsolidierten Umsätze dieser Gruppe eher widerspiegeln, ob die von dieser juristischen Person erbrachten Leistungen im Wesentlichen für den öffentlichen Auftraggeber bestimmt sind oder nicht.

55.      Denn erstens liefert der konsolidierte Umsatz in einem solchen Fall in der Regel ein getreueres Bild der tatsächlichen und effektiven Größe der kontrollierten juristischen Person, so dass beurteilt werden kann, ob sie mit weiteren Unternehmen, sei es auch nur mittelbar, d. h. mit Unternehmen, die Wettbewerber der von ihr kontrollierten Tochtergesellschaften sind, im Wettbewerb stehen kann. Aufgrund dieser über die Tochtergesellschaften ausgeübten Kontrolle können nämlich unter Wettbewerbsgesichtspunkten die von den Tochtergesellschaften erwirtschafteten Umsätze der Muttergesellschaft „zugerechnet“ werden, so dass es logisch erscheint, dass die Beurteilung des prozentualen Anteils der Tätigkeiten, die in Ausführung der Aufgaben wahrgenommen werden, mit denen die kontrollierte juristische Person von diesen öffentlichen Auftraggebern betraut wurde, in Bezug auf diesen konsolidierten Umsatz erfolgt. In dieser Hinsicht ist nicht auszuschließen, dass die Tätigkeiten der kontrollierten Tochtergesellschaften der Gruppe mit der Ausführung der Aufgaben, mit denen die Muttergesellschaft betraut wurde, untrennbar verbunden, ja sogar hierfür unerlässlich sind, so dass der von diesen Tochtergesellschaften erwirtschaftete Umsatz als Umsatz zu berücksichtigen ist, der im Rahmen der Ausführung dieser Aufgaben erzielt wurde(36).

56.      Zweitens ist es, wenn eine Muttergesellschaft durch eine Inhousevergabe unterstützt wird, durchaus denkbar, dass dies einer Tochtergesellschaft, selbst wenn sie auf einem anderen Markt tätig ist, in materieller Hinsicht zugutekommt, indem sie bessergestellt wird als ihre Wettbewerber. In der Praxis könnte diese dann auf die Zahlungskraft sowie die personellen und materiellen Ressourcen der Muttergesellschaft zurückgreifen. In ähnlicher Weise könnte eine kontrollierte juristische Person es sich erlauben, den öffentlichen Anteilseignern höhere als die marktüblichen Preise zu berechnen, und über ihre Tochtergesellschaften den Nichtanteilseignern niedrigere Preise in Rechnung stellen, was zu unlauterem Wettbewerb gegenüber privaten Betreibern führen würde, die konkurrierende Dienstleistungen an Nichtanteilseigner erbringen(37).

57.      Drittens und vor allem ließe sich durch die Wahl des konsolidierten Gruppenumsatzes die Gefahr eingrenzen, dass öffentliche Einrichtungen den Grundsatz der Durchführung eines wettbewerblichen Vergabeverfahrens im Sinne der Richtlinie 2014/24 umgehen können, indem sie die Struktur der kontrollierten Unternehmen künstlich aufteilen, um fiktiv den Schwellenwert von 80 % der Tätigkeiten einzuhalten. Denn die öffentlichen Betreiber könnten sich dem Marktgeschehen einfach dadurch entziehen, dass sie ein Unternehmen rein formal in mehrere Tochtergesellschaften aufteilen und diesen den Teil des Umsatzes zuweisen, der auf dem privaten Markt erzielt wird, um diesen Schwellenwert zu umgehen. Dies würde de facto zu einer unangemessen hohen Zahl von Ausnahmen von der Anwendung dieser Richtlinie und damit zu einer Verringerung des Wettbewerbs führen. Somit wären die mit der Richtlinie verfolgten Ziele und insbesondere die Öffnung für einen unverfälschten Wettbewerb in allen Mitgliedstaaten gefährdet, wenn die öffentlichen Auftraggeber eine Verfahrensgestaltung wählen könnten, die die Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge an gemischtwirtschaftliche Unternehmen verschleiern soll(38). Durch die Verwendung des konsolidierten Umsatzes ließen sich daher die Möglichkeiten für eine solche Umgehung begrenzen.

58.      In Anbetracht der vorstehenden Erwägungen ist dann, wenn die kontrollierte juristische Person Muttergesellschaft einer Unternehmensgruppe ist, der „durchschnittliche Gesamtumsatz“ im Sinne von Art. 12 Abs. 5 Unterabs. 1 der Richtlinie 2014/24 dieser kontrollierten juristischen Person dem konsolidierten Umsatz dieser Gruppe gleichzusetzen. Dagegen ist der Umsatz einer Unternehmensgruppe ohne Belang, wenn die kontrollierte juristische Person nur eine der Tochtergesellschaften dieser Gruppe ist und keine Kontrolle über die anderen Unternehmen derselben Gruppe ausübt.

59.      Was als Viertes und Letztes die Fragen angeht, die das vorlegenden Gericht im Wesentlichen danach aufgeworfen hat, welche Relevanz den Bestimmungen der Richtlinie 2013/34 oder dem dem Wettbewerbsrecht der Union entnommenen Begriff „Unternehmen“ bei der Bestimmung des konsolidierten Umsatzes der Gruppe beizumessen ist, halte ich aus den folgenden Gründen einen funktionellen Ansatz für vorzugswürdig.

60.      In Bezug auf erstens die Richtlinie 2013/34, geht aus deren 31. Erwägungsgrund hervor, dass „[k]onsolidierte Abschlüsse … die Tätigkeiten eines Mutterunternehmens und seiner Tochterunternehmen als die einer einzigen wirtschaftlichen Einheit (einer Gruppe) darstellen sollten. Vom Mutterunternehmen kontrollierte Unternehmen sollten als Tochterunternehmen betrachtet werden. Die Kontrolle sollte darin bestehen, dass eine Mehrheit der Stimmrechte gehalten wird; eine Kontrolle kann aber auch gegeben sein, wenn entsprechende Vereinbarungen mit anderen Mitaktionären oder Mitgesellschaftern geschlossen wurden. Unter bestimmten Bedingungen kann eine tatsächliche Kontrolle ausgeübt werden, auch wenn das Mutterunternehmen nur eine Minderheitsbeteiligung oder keine Beteiligung am Tochterunternehmen hält“(39).

61.      Die Richtlinie 2013/34  zielt demnach nicht nur auf Situationen der kapitalbezogenen, sondern auch der vertraglichen und administrativen Kontrolle ab und spricht somit für einen funktionalen Ansatz. Nach Art. 22 dieser Richtlinie schreiben die Mitgliedstaaten Mutterunternehmen nämlich vor, einen  „konsolidierten Abschluss“ und einen  „konsolidierten Lagebericht“ zu erstellen, wenn sie eine Kontrolle über ein Tochterunternehmen ausüben. Diese Kontrolle wird auf der Grundlage verschiedener Faktoren festgestellt, und zwar u. a. danach, ob das Mutterunternehmen die Mehrheit der Stimmrechte der Aktionäre oder Gesellschafter eines Tochterunternehmens hält, ob es das Recht hat, die Mehrheit der Mitglieder des Verwaltungs‑, Leitungs- oder Aufsichtsorgans des Tochterunternehmens zu bestellen oder abzuberufen, oder auch, ob es das Recht hat, auf das Tochterunternehmen einen beherrschenden Einfluss aufgrund eines Vertrags auszuüben.

62.      Hierzu stelle ich zum einen fest, dass es zwar zutrifft, dass das wesentliche Ziel, das mit der obligatorischen Erstellung eines „konsolidierten Abschlusses“ verfolgt wird, in der Transparenz der Rechnungslegung und der Information liegt, d. h. in der Notwendigkeit, sicherzustellen, dass die Anteilsinhaber des Mutterunternehmens und des Tochterunternehmens sowie interessierte Dritte, wie Investoren und Vertragspartner, ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild von der wirtschaftlichen und finanziellen Leistungsfähigkeit der betroffenen Unternehmen haben(40), doch scheint mir in Anbetracht der bei der Feststellung des vorgenannten Kontrollverhältnisses berücksichtigten Faktoren der Umstand, dass das Mutterunternehmen einen konsolidierten Abschluss erstellen muss, geeignet zu sein, das Vorliegen einer „einheitlichen wirtschaftlichen Tätigkeit“ zu offenbaren, die für die Beurteilung des „prozentualen Anteils der Tätigkeiten“ von Relevanz ist. Die Konsolidierungsvorschriften beruhen nämlich letztlich auf einer Logik, die derjenigen gleicht, die dem aus dem Wettbewerbsrecht abgeleiteten Begriff „Unternehmen“ zugrunde liegt.

63.      Zum anderen weise ich darauf hin, dass es eine Auslegung, die bei der Prüfung des prozentualen Anteils der Tätigkeiten für die Berücksichtigung der Jahresabschlüsse spricht, wie sie in der Richtlinie 2013/34 festgelegt sind, auch in den Rechtsvorschriften über die Vergabe von Aufträgen durch Auftraggeber, die in den Sonderbereichen tätig sind (Richtlinie 2014/25), und über die Konzessionsvergabe (Richtlinie 2014/23/EU(41)) gibt. Denn für die Überprüfung, ob ein Unternehmen mit einem bestimmten Auftraggeber „verbunden“ ist und somit unmittelbar oder mittelbar dessen beherrschendem Einfluss unterliegt, sehen diese beiden Richtlinien ausdrücklich vor, dass der konsolidierte Abschluss ein „möglichst einfaches“ Mittel zur Durchführung einer solchen Überprüfung darstellt(42). So ist nach diesen beiden Richtlinien ein „verbundenes Unternehmen“ jedes Unternehmen, „dessen Jahresabschlüsse gemäß den Bestimmungen der Richtlinie 2013/34… mit denen des Auftraggebers konsolidiert werden“, und werden, wenn gleiche Dienstleistungen von „mehr als einem mit dem Auftraggeber verbundenen und mit ihm wirtschaftlich zusammengeschlossenen Unternehmen erbracht“ werden, die Prozentsätze „unter Berücksichtigung des Gesamtumsatzes errechnet, den diese verbundenen Unternehmen mit der Erbringung von Dienstleistungen, Lieferungen beziehungsweise Bauleistungen erzielen“(43). Es gibt keinen Grund, der es rechtfertigen könnte, dass diese Vorschriften im Rahmen der Richtlinie 2014/24 nicht in derselben Weise gelten und ausgelegt werden(44).

64.      Dementsprechend halte ich konsolidierte Abschlüsse gemäß der Richtlinie 2013/34 für geeignet, ergänzende Anhaltspunkte für die Auslegung der u. a. in Art. 12 Abs. 3 Unterabs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2014/24 vorgesehenen Tätigkeitsbedingung zu liefern.

65.      Dieses Ergebnis wird meines Erachtens auch nicht durch das Vorbringen der Beklagten des Ausgangsverfahrens in Frage gestellt, wonach der konsolidierte Umsatz kein guter Indikator sei, weil die Konsolidierungsvorschriften im Bilanzrecht zu technisch und zu kompliziert seien, zu denen auch zahlreichen Ausnahmen gehörten. Gerade weil Muttergesellschaften verpflichtet sind, die Abschlüsse der Unternehmen, bei denen sie die Mehrheit der Stimmrechte der Anteilseigner halten, die Mehrheit der Mitglieder des Verwaltungsorgans bestellen können oder auf die sie einen beherrschenden Einfluss auszuüben berechtigt sind, mit ihren eigenen Abschlüssen zu konsolidieren, vermittelt der Umfang der Konsolidierung vielmehr ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild von der tatsächlichen und effektiven Größe des Unternehmens(45). Im Übrigen entspricht es gerade dem Geist der Richtlinie 2013/34, Rechtssicherheit zu gewährleisten, indem ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der Vermögens‑, Finanz- und Ertragslage eines Unternehmens vermittelt wird, was auch dazu beiträgt, die praktische Wirksamkeit der Richtlinie 2014/24 sicherzustellen, indem die Möglichkeiten zu deren Umgehung eingeschränkt werden(46).

66.      In Bezug auf zweitens die Verwendung der Begriffe „Unternehmen“ und „wirtschaftliche Einheit“ aus dem Wettbewerbsrecht stelle ich fest, dass die Unionsvorschriften über den konsolidierten Abschluss in einigen Fällen nicht anwendbar sind, z. B. aufgrund der Größe der betroffenen Unternehmen oder weil bestimmte Bedingungen in Bezug auf ihre Rechtsform nicht erfüllt sind(47). Außerdem ist es nicht ausgeschlossen, dass eine „kontrollierte juristische Person“ eine andere juristische Person, an der die „kontrollierte juristische Person“ eine Minderheitsbeteiligung hält, mit der Ausführung der ihr übertragenen Aufgaben beauftragt, so dass diese Gesellschaft der Konsolidierungspflicht entginge. In einem solchen Fall kann daher ein alternatives Kriterium in Betracht gezogen werden, um für eine kohärente Anwendung der Tätigkeitsbedingung zu sorgen, und es könnte in der Tat sachdienlich sein, sich auf die Begriffe „Unternehmen“ und „wirtschaftliche Einheit“ im Sinne des Wettbewerbsrechts der Union zu stützen. Der in den Art. 101 und 102 AEUV verwendete Begriff „Unternehmen“ ist nämlich ein autonomer Begriff, der den Urheber einer Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht bestimmt und „unabhängig von der Rechtsform und der Art der Finanzierung jede eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübende Einheit personeller, materieller und immaterieller Mittel“(48) umfasst. In Anlehnung an einen funktionalen Ansatz ist der Gerichtshof davon ausgegangen, dass der Begriff „Unternehmen“ eine wirtschaftliche Einheit bezeichnet, auch wenn diese aus rechtlicher Sicht aus mehreren natürlichen oder juristischen Personen besteht. Denn indem das Wettbewerbsrecht der Union auf die Tätigkeiten von Unternehmen abstellt, legt es als entscheidendes Kriterium das Vorhandensein eines einheitlichen Verhaltens auf dem Markt fest, ohne dass die formale Trennung zwischen verschiedenen Unternehmen, die sich aus der Verschiedenheit ihrer Rechtspersönlichkeiten ergibt, eine solche Einheit für die Anwendung der Wettbewerbsregeln ausschließen kann(49). Der Begriff „wirtschaftliche Einheit“ wurde im Hinblick auf eine doppelte Zielsetzung entwickelt und herangezogen, nämlich zum einen, um Vereinbarungen zwischen Einheiten, die demselben Unternehmen angehören, vom Anwendungsbereich des Art. 101 AEUV auszunehmen, und zum anderen, um innerhalb einer Unternehmensgruppe das wettbewerbswidrige Verhalten einer Tochtergesellschaft der Muttergesellschaft zuzurechnen.

67.      Das erste dieser beiden Ziele entspricht analog den vom Begriff „juristische Person“ im Sinne von Art. 12 der Richtlinie 2014/24 gestellten Anforderungen, da es ebenfalls auf „Vereinbarungen“ – öffentliche Aufträge als entgeltliche Verträge mit einem oder mehreren Wirtschaftsteilnehmern – abzielt, so dass dann, wenn eine solche juristische Person als Muttergesellschaft zusammen mit den von ihr kontrollierten Tochtergesellschaften eine einzige wirtschaftliche Einheit bildet, der Umsatz dieses Unternehmens die Tätigkeiten dieser juristischen Person erkennen lässt und bei der Prüfung der Erfüllung der Tätigkeitsbedingung zu berücksichtigen ist (und zwar auch dann, wenn keine Konsolidierung stattfindet). Die Anwendung alternativer Kriterien, um für die volle Wirksamkeit der Tätigkeitsbedingung zu sorgen, kann daher die Anwendung des Begriffs „Unternehmen“ im Sinne des Wettbewerbsrechts nicht ausschließen (z. B. wenn zwischen den Unternehmen keine kapitalbezogene Verbindung, sondern nur vertragliche Beziehungen bestehen). Der Begriff „wirtschaftliche Einheit“ im Wettbewerbsrecht trägt nämlich dazu bei, zu verhindern, dass sich eine Muttergesellschaft einfach deshalb den Auswirkungen dieses Rechts entziehen kann, weil nur ihre Tochtergesellschaft eine Zuwiderhandlung begeht. Dieses Argument lässt sich auch in Bezug auf das Tätigkeitskriterium anführen. Wenn die Muttergesellschaft und ihre Tochtergesellschaft eine einzige wirtschaftliche Einheit bilden, dann ist der Umsatz dieser wirtschaftlichen Einheit bei der Prüfung der Einhaltung des Tätigkeitskriteriums auch dann zu berücksichtigen, wenn keine Konsolidierung stattfindet.

68.      In Anbetracht der vorstehenden Erwägungen schlage ich vor, auf die erste Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 12 Abs. 3 Unterabs. 1 Buchst. b und Abs. 5 Unterabs. 1 der Richtlinie 2014/24 dahin auszulegen ist, dass die Bedingung, nach der die kontrollierte juristische Person mehr als 80 % ihrer Tätigkeiten in Ausführung der Aufgaben wahrnimmt, mit denen sie von den die Kontrolle ausübenden öffentlichen Auftraggebern betraut wurde, wenn der dort genannte prozentuale Anteil der Tätigkeiten auf der Grundlage des Umsatzes bestimmt wird und die kontrollierte juristische Person eine Gruppe anführt, für die konsolidierte Abschlüsse erstellt werden, grundsätzlich auf der Grundlage des konsolidierten Umsatzes dieser Gruppe gemäß den Art. 22 und 24 der Richtlinie 2013/34 oder, insbesondere dann, wenn diese Richtlinie nicht gilt, auf der Grundlage von Kriterien zu beurteilen ist, die aus dem dem Wettbewerbsrecht der Union entnommenen Begriff „Unternehmen“ hergeleitet werden.

C.      Zur zweiten Vorlagefrage

69.      Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 12 Abs. 3 Unterabs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2014/24 in Verbindung mit deren Art. 12 Abs. 5 Unterabs. 1 dahin auszulegen ist, dass bei der Bestimmung des Umsatzes, den die kontrollierte juristische Person in Ausführung der Aufgaben erzielt, mit denen sie von den die Kontrolle ausübenden öffentlichen Auftraggebern betraut wurde, der Umsatz zu berücksichtigen ist, der bei Drittnutzern auf Märkten generiert wird, auf denen sie auch mit privaten Anbietern im Wettbewerb steht.

70.      Es sei daran erinnert, dass das vorlegende Gericht im vorliegenden Fall die Frage aufwirft, ob Umsatz, der generiert wird, wenn Dritte als Nutzer Abfälle auf einer Deponie abladen, die AF betreibt, als Umsatz anzusehen ist, der aus der Ausführung von Aufgaben stammt, mit denen AF von den BAR-Gemeinden betraut wurde. Zwar wird diese Frage für den Fall gestellt, dass die Antwort auf die erste Frage lautet, dass ausschließlich der Umsatz der kontrollierten juristischen Person selbst zu berücksichtigen ist, was meines Erachtens nicht der Fall ist, doch lässt sich nicht ausschließen, dass das vorlegende Gericht Tatsachenbeurteilungen vornehmen muss und eine Antwort auf die zweite Frage für das Gericht daher von Nutzen sein könnte. Ich halte es daher für notwendig, sie zu beantworten.

71.      Zunächst möchte ich klarstellen, dass diese zweite Frage im Gegensatz zur ersten Vorlagefrage nicht darauf abzielt, ob der durch die Deponie von AF erzielte Umsatz als von AF generierter Umsatz zu berücksichtigen ist, da dies unstreitig der Fall ist, sondern vielmehr darauf, ob dieser Umsatz als Teil der „Aufgaben, mit denen sie von de[n] öffentlichen Auftraggeber[n] betraut wurde“, im Sinne von Art. 12 Abs. 3 Unterabs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2014/24 und damit als Teil des Schwellenwerts von 80 % des Umsatzes, der für die Erfüllung der vom öffentlichen Auftraggeber übertragenen Aufgaben aufgewendet wird, anzusehen ist.

72.      In diesem Zusammenhang weise ich darauf hin, dass weder diese Bestimmung noch Art. 2 Abs. 1 Nr. 1 dieser Richtlinie, der den Begriff „öffentliche Auftraggeber“ definiert, erläutert, wie die „Aufgaben, mit denen sie von de[n] öffentlichen Auftraggeber[n] betraut wurde“, zu verstehen sind. Die Beurteilung dieses Ausdrucks ist nämlich rein ein tatsächlicher Art. Zwar obliegt die Prüfung der Frage, ob der Betrieb einer Deponie zu den „Aufgaben, mit denen sie von de[n] die Kontrolle ausübenden öffentlichen Auftraggeber[n] betraut wurde“, zählt, ausschließlich dem vorlegenden Gericht, doch bin ich der Ansicht, dass die in den nachstehenden Nummern darzulegenden Prüfungsgesichtspunkte für das vorlegende Gericht von Nutzen sein könnten.

73.      Wie als Erstes der Gerichtshof im Urteil Carbotermo entschieden hat, „sind … alle Tätigkeiten [zu berücksichtigen], die ein Unternehmen als Auftragnehmer im Rahmen einer Vergabe durch den öffentlichen Auftraggeber verrichtet, ohne dass die Person des Begünstigten – sei es der öffentliche Auftraggeber selbst oder der Nutzer der Leistungen – von Bedeutung wäre“(50). Mithin hat der Umstand, dass Drittnutzer für die mit der Deponie erbrachten Dienstleistungen zahlen, im Grundsatz keinerlei Auswirkungen auf die Berücksichtigung des Umsatzes bei der Beurteilung des „prozentualen Anteils der Tätigkeiten“. Es kommt also nicht darauf an, wem die Dienstleistung zugutekommt oder wer sie finanziert, wohl aber darauf, ob sich diese Dienstleistung tatsächlich aus der Ausführung der Aufgaben ergibt, mit denen die juristische Person von den die Kontrolle ausübenden öffentlichen Auftraggebern betraut wurde. Ist dies der Fall, handelt es sich bei dem durch die von Drittnutzern geleisteten Zahlungen ergebenden Umsatz tatsächlich um Umsatz, der aus der Ausführung der übertragenen Aufgaben stammt.

74.      Im vorliegenden Fall braucht daher nicht dem Umstand Rechnung getragen zu werden, dass auf der in Rede stehenden Deponie ausschließlich von Dritten Abfälle abgeladen werden. Das vorlegende Gericht wird jedoch zu prüfen haben, ob AF im Namen der sie kontrollierenden Gemeinden zum Zweck der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben mit dem Betrieb dieser Deponie beauftragt wurde. Aus der Vorlageentscheidung scheint allerdings hervorzugehen, dass diese Deponie nicht aus Haushalten stammenden Restmüll aufnimmt, nämlich u. a. gewerbliche Abfälle und Abfälle aus der Bodensanierung. Die Vergaben BAR – Irado und Irado – AF betrafen hingegen nur die Verwertung von Hausmüll aus den BAR-Gemeinden(51). Diese Umstände würden in Ermangelung weiterer tatsächlicher Anhaltspunkte auf den ersten Blick bedeuten, dass die Aufgaben, die von AF im Rahmen der von ihr betriebenen Deponie ausgeführt werden, nicht im Sinne von Art. 12 Abs. 3 Unterabs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2014/24 zu den Aufgaben gehörten, mit denen sie von den öffentlichen Auftraggebern betraut wurde.

75.      Als Zweites enthält die Ausnahme für Inhousevergaben keine Bedingung, die ihren Anwendungsbereich auf die Sektoren beschränkt, die nicht für den Wettbewerb geöffnet sind. Es ist nämlich allein die Frage zu prüfen, ob der Betrieb der Deponie von AF (einschließlich der Verwertung von nicht aus Haushalten stammenden Abfällen, die auch von privaten Betreibern durchgeführt wird) tatsächlich zur Ausführung einer Aufgabe gehört, mit der AF von den die Kontrolle ausübenden öffentlichen Auftraggebern betraut wurde. Daher ist der Umstand, dass AF in unmittelbarem Wettbewerb mit privaten Anbietern steht, für sich genommen ohne Belang, da die Deponierung aus Haushalten stammenden Restmülls nach niederländischem Recht verboten ist und nur gewerbliche Abfälle dort deponiert werden dürfen, und da der Betrieb von Deponien für gewerbliche Abfälle in den Niederlanden eine Tätigkeit darstellt, die teilweise von privaten Anbietern ausgeübt wird.

76.      Demnach schlage ich vor, auf die zweite Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 12 Abs. 3 Unterabs. 1 Buchst. b und Abs. 5 Unterabs. 1 der Richtlinie 2014/24 dahin auszulegen ist, dass bei der Bestimmung des Umsatzes, den die kontrollierte juristische Person in Ausführung der Aufgaben erzielt, mit denen sie von den die Kontrolle ausübenden öffentlichen Auftraggebern betraut wurde, der Umsatz zu berücksichtigen ist, der bei Drittnutzern auf Märkten generiert wird, auf denen diese juristische Person auch mit privaten Anbietern im Wettbewerb steht, sofern dargetan ist, dass sie tatsächlich von diesen öffentlichen Auftraggebern mit diesen Aufgaben betraut wurde.

V.      Ergebnis

77.      Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, die Vorlagefragen des Gerechtshof Den Haag (Berufungsgericht Den Haag, Niederlande) wie folgt zu beantworten:

Art. 12 Abs. 3 Unterabs. 1 Buchst. b und Abs. 5 Unterabs. 1 der Richtlinie 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die öffentliche Auftragsvergabe und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/18/EG

ist dahin auszulegen, dass

–        die Bedingung, nach der die kontrollierte juristische Person mehr als 80 % ihrer Tätigkeiten in Ausführung der Aufgaben wahrnimmt, mit denen sie von den die Kontrolle ausübenden öffentlichen Auftraggebern betraut wurde, wenn der dort genannte prozentuale Anteil der Tätigkeiten auf der Grundlage des Umsatzes bestimmt wird und die kontrollierte juristische Person eine Gruppe anführt, für die konsolidierte Abschlüsse erstellt werden, grundsätzlich auf der Grundlage des konsolidierten Umsatzes dieser Gruppe gemäß den Art. 22 und 24 der Richtlinie 2013/34/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 über den Jahresabschluss, den konsolidierten Abschluss und damit verbundene Berichte von Unternehmen bestimmter Rechtsformen und zur Änderung der Richtlinie 2006/43/EG und zur Aufhebung der Richtlinien 78/660/EWG und 83/349/EWG oder, insbesondere dann, wenn diese Richtlinie nicht gilt, auf der Grundlage der Kriterien zu beurteilen ist, die aus dem dem Wettbewerbsrecht der Union entnommenen Begriff „Unternehmen“ hergeleitet werden, und

–        bei der Bestimmung des Umsatzes, den die kontrollierte juristische Person in Ausführung der Aufgaben erzielt, mit denen sie von den die Kontrolle ausübenden öffentlichen Auftraggebern betraut wurde, der Umsatz zu berücksichtigen ist, der bei Drittnutzern auf Märkten generiert wird, auf denen diese juristische Person auch mit privaten Anbietern im Wettbewerb steht, sofern dargetan ist, dass sie tatsächlich von diesen öffentlichen Auftraggebern mit diesen Aufgaben betraut wurde.





















































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