URTEIL DES GERICHTSHOFS (Fünfte Kammer)
19. Dezember 2024(* )
„ Vorlage zur Vorabentscheidung – Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts – Grenzkontrollen, Asyl und Einwanderung – Asylpolitik – Richtlinie 2013/32/EU – Gemeinsame Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes – Antrag auf internationalen Schutz – Unzulässigkeitsgründe – Art. 2 Buchst. q – Begriff ‚Folgeantrag‘ – Art. 33 Abs. 2 Buchst. d – Ablehnung eines Antrags auf internationalen Schutz als unzulässig durch einen Mitgliedstaat wegen der Ablehnung eines früheren, in einem anderen Mitgliedstaat gestellten Antrags oder wegen der Einstellung des Verfahrens über den früheren Antrag durch einen anderen Mitgliedstaat “
In den verbundenen Rechtssachen C‑123/23 und C‑202/23 [Khan Yunis und Baabda](i )
betreffend zwei Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Verwaltungsgericht Minden (Deutschland) mit Entscheidungen vom 28. Oktober 2022, beim Gerichtshof eingegangen am 1. März 2023 (C‑123/23) und am 28. März 2023 (C‑202/23), in den Verfahren
N. A. K.,
E. A. K.,
Y. A. K. (C‑123/23),
M. E. O. (C‑202/23)
gegen
Bundesrepublik Deutschland
erlässt
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten der Vierten Kammer I. Jarukaitis in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Fünften Kammer sowie der Richter D. Gratsias (Berichterstatter) und E. Regan,
Generalanwalt: N. Emiliou,
Kanzler: A. Juhász-Tóth, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 29. Februar 2024,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
– der deutschen Regierung, vertreten durch J. Möller, A. Hoesch und R. Kanitz als Bevollmächtigte,
– der französischen Regierung, vertreten durch R. Bénard und J. Illouz als Bevollmächtigte,
– der Europäischen Kommission, vertreten durch A. Azéma, J. Hottiaux, B. Schima und J. Vondung als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 27. Juni 2024
folgendes
Urteil
1 Die Vorabentscheidungsersuchen betreffen die Auslegung von Art. 33 Abs. 2 Buchst. d in Verbindung mit Art. 2 Buchst. q der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes (ABl. 2013, L 180, S. 60).
2 Sie ergehen im Rahmen zweier Rechtsstreitigkeiten zwischen N. A. K., E. A. K. und Y. A. K. (Rechtssache C‑123/23) sowie M. E. O. (Rechtssache C‑202/23) einerseits und der Bundesrepublik Deutschland andererseits über die Rechtmäßigkeit zweier Bescheide des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Deutschland) (im Folgenden: Bundesamt), mit denen die Asylanträge der genannten Personen als unzulässig abgelehnt wurden.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Richtlinie 2011/95/EU
3 Art. 2 („Begriffsbestimmungen“) der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. 2011, L 337, S. 9) sieht vor:
„Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck
a) ‚internationaler Schutz‘ die Flüchtlingseigenschaft und den subsidiären Schutzstatus im Sinne der Buchstaben e und g;
b) ‚Person, der internationaler Schutz zuerkannt wurde‘ eine Person, der die Flüchtlingseigenschaft gemäß Buchstabe e oder der subsidiäre Schutzstatus gemäß Buchstabe g zuerkannt wurde;
…
d) ‚Flüchtling‘ einen Drittstaatsangehörigen, der aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will, oder einen Staatenlosen, der sich aus denselben vorgenannten Gründen außerhalb des Landes seines vorherigen gewöhnlichen Aufenthalts befindet und nicht dorthin zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht dorthin zurückkehren will und auf den Artikel 12 keine Anwendung findet;
e) ‚Flüchtlingseigenschaft‘ die Anerkennung eines Drittstaatsangehörigen oder eines Staatenlosen als Flüchtling durch einen Mitgliedstaat;
f) ‚Person mit Anspruch auf subsidiären Schutz‘ einen Drittstaatsangehörigen oder einen Staatenlosen, der die Voraussetzungen für die Anerkennung als Flüchtling nicht erfüllt, der aber stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass er bei einer Rückkehr in sein Herkunftsland oder, bei einem Staatenlosen, in das Land seines vorherigen gewöhnlichen Aufenthalts tatsächlich Gefahr liefe, einen ernsthaften Schaden im Sinne des Artikel 15 zu erleiden, und auf den Artikel 17 Absätze 1 und 2 keine Anwendung findet und der den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Gefahr nicht in Anspruch nehmen will;
g) ‚subsidiärer Schutzstatus‘ die Anerkennung eines Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen durch einen Mitgliedstaat als Person, die Anspruch auf subsidiären Schutz hat;
h) ‚Antrag auf internationalen Schutz‘ das Ersuchen eines Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen um Schutz durch einen Mitgliedstaat, wenn davon ausgegangen werden kann, dass der Antragsteller die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder die Gewährung des subsidiären Schutzstatus anstrebt, und wenn er nicht ausdrücklich um eine andere, gesondert zu beantragende Form des Schutzes außerhalb des Anwendungsbereichs dieser Richtlinie ersucht;
…“
Richtlinie 2013/32
4 Im 13. Erwägungsgrund der Richtlinie 2013/32 heißt es:
„Die Angleichung der Rechtsvorschriften über die Verfahren zur Zuerkennung und Aberkennung internationalen Schutzes soll dazu beitragen, die Sekundärmigration von Antragstellern zwischen Mitgliedstaaten, soweit sie auf rechtliche Unterschiede zurückzuführen ist, einzudämmen, und gleiche Bedingungen für die Anwendung der Richtlinie [2011/95] in den Mitgliedstaaten zu schaffen.“
5 Art. 2 („Begriffsbestimmungen“) der Richtlinie 2013/32 sieht vor:
„Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck
…
b) ‚Antrag auf internationalen Schutz‘ oder ‚Antrag‘ das Ersuchen eines Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen um Schutz durch einen Mitgliedstaat, bei dem davon ausgegangen werden kann, dass er die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder die Gewährung des subsidiären Schutzstatus anstrebt, und der nicht ausdrücklich um eine andere, gesondert zu beantragende Form des Schutzes außerhalb des Anwendungsbereichs der Richtlinie [2011/95] ersucht;
…
e) ‚bestandskräftige Entscheidung‘ eine Entscheidung darüber, ob einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen gemäß der Richtlinie [2011/95] die Flüchtlingseigenschaft oder der subsidiäre Schutzstatus zuzuerkennen ist, und gegen die kein Rechtsbehelf nach Kapitel V der vorliegenden Richtlinie mehr eingelegt werden kann, unabhängig davon, ob ein solcher Rechtsbehelf zur Folge hat, dass Antragsteller sich bis zur Entscheidung über den Rechtsbehelf in dem betreffenden Mitgliedstaat aufhalten dürfen;
f) ‚Asylbehörde‘ jede gerichtsähnliche Behörde beziehungsweise jede Verwaltungsstelle eines Mitgliedstaats, die für die Prüfung von Anträgen auf internationalen Schutz zuständig und befugt ist, erstinstanzliche Entscheidungen über diese Anträge zu erlassen;
…
q) ‚Folgeantrag‘ einen weiteren Antrag auf internationalen Schutz, der nach Erlass einer bestandskräftigen Entscheidung über einen früheren Antrag gestellt wird, auch in Fällen, in denen der Antragsteller seinen Antrag ausdrücklich zurückgenommen hat oder die Asylbehörde den Antrag nach der stillschweigenden Rücknahme durch den Antragsteller gemäß Artikel 28 Absatz 1 abgelehnt hat.“
6 Art. 6 („Zugang zum Verfahren“) der Richtlinie 2013/32 bestimmt:
„(1) Stellt eine Person einen Antrag auf internationalen Schutz bei einer Behörde, die nach nationalem Recht für die Registrierung solcher Anträge zuständig ist, so erfolgt die Registrierung spätestens drei Arbeitstage nach Antragstellung.
Wird der Antrag auf internationalen Schutz bei anderen Behörden gestellt, bei denen derartige Anträge wahrscheinlich gestellt werden, die aber nach nationalem Recht nicht für die Registrierung zuständig sind, so gewährleisten die Mitgliedstaaten, dass die Registrierung spätestens sechs Arbeitstage nach Antragstellung erfolgt.
…
(2) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass eine Person, die einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, tatsächlich die Möglichkeit hat, diesen so bald wie möglich förmlich zu stellen. Stellt der Antragsteller keinen förmlichen Antrag, so können die Mitgliedstaaten Artikel 28 entsprechend anwenden.
…“
7 Art. 28 („Verfahren bei stillschweigender Rücknahme des Antrags oder Nichtbetreiben des Verfahrens“) der Richtlinie 2013/32 sieht vor:
„(1) Besteht Grund zu der Annahme, dass ein Antragsteller seinen Antrag stillschweigend zurückgenommen hat oder das Verfahren nicht weiter betreibt, so stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass die Asylbehörde entweder entscheidet, die Antragsprüfung einzustellen oder, sofern die Asylbehörde den Antrag nach angemessener inhaltlicher Prüfung gemäß Artikel 4 der Richtlinie [2011/95] als unbegründet ansieht, den Antrag abzulehnen.
Die Mitgliedstaaten können insbesondere dann davon ausgehen, dass der Antragsteller seinen Antrag auf internationalen Schutz stillschweigend zurückgezogen hat oder das Verfahren nicht weiter betreibt, wenn er nachweislich
a) den Aufforderungen zur Vorlage von für den Antrag wesentlichen Informationen gemäß Artikel 4 der Richtlinie [2011/95] oder einer Aufforderung zur persönlichen Anhörung gemäß den Artikeln 14 bis 17 dieser Richtlinie nicht nachgekommen ist, es sei denn, er weist innerhalb einer angemessenen Frist nach, dass sein Versäumnis auf Umstände zurückzuführen war, auf die er keinen Einfluss hatte;
b) untergetaucht ist oder seinen Aufenthaltsort oder Ort seiner Ingewahrsamnahme ohne Genehmigung verlassen und nicht innerhalb einer angemessenen Frist die zuständige Behörde kontaktiert hat … oder seinen Melde- und anderen Mitteilungspflichten nicht innerhalb einer angemessenen Frist nachgekommen ist, es sei denn, der Antragsteller weist nach, dass dies auf Umstände zurückzuführen war, auf die er keinen Einfluss hatte.
…
(2) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass ein Antragsteller, der sich nach Einstellung der Antragsprüfung gemäß Absatz 1 wieder bei der zuständigen Behörde meldet, berechtigt ist, um Wiedereröffnung des Verfahrens zu ersuchen oder einen neuen Antrag zu stellen, der nicht nach Maßgabe der Artikel 40 und 41 geprüft wird.
Die Mitgliedstaaten können eine Frist von mindestens neun Monaten vorschreiben, nach deren Ablauf das Verfahren nicht wieder eröffnet werden darf beziehungsweise der neue Antrag als Folgeantrag behandelt und nach Maßgabe der Artikel 40 und 41 geprüft werden kann. Die Mitgliedstaaten können vorschreiben, dass das Verfahren des Antragstellers nur ein Mal wieder eröffnet werden darf.
Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die betreffende Person nicht entgegen dem Grundsatz der Nicht-Zurückweisung abgeschoben wird.
Die Mitgliedstaaten können der Asylbehörde die Wiederaufnahme der Prüfung in dem Verfahrensabschnitt gestatten, in dem sie eingestellt wurde.
(3) Dieser Artikel gilt unbeschadet der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 [des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (ABl. 2013, L 180, S. 31, im Folgenden: Dublin‑III-Verordnung)].“
8 Art. 33 („Unzulässige Anträge“) der Richtlinie 2013/32 bestimmt:
„(1) Zusätzlich zu den Fällen, in denen nach Maßgabe der [Dublin‑III-Verordnung] ein Antrag nicht geprüft wird, müssen die Mitgliedstaaten nicht prüfen, ob dem Antragsteller der internationale Schutz im Sinne der Richtlinie [2011/95] zuzuerkennen ist, wenn ein Antrag auf der Grundlage des vorliegenden Artikels als unzulässig betrachtet wird.
(2) Die Mitgliedstaaten können einen Antrag auf internationalen Schutz nur dann als unzulässig betrachten, wenn
…
d) es sich um einen Folgeantrag handelt, bei dem keine neuen Umstände oder Erkenntnisse zu der Frage, ob der Antragsteller nach Maßgabe der Richtlinie [2011/95] als Person mit Anspruch auf internationalen Schutz anzuerkennen ist, zutage getreten oder vom Antragsteller vorgebracht worden sind, …
…“
9 Art. 40 („Folgeanträge“) der Richtlinie 2013/32 bestimmt:
„(1) Wenn eine Person, die einen Antrag auf internationalen Schutz in einem Mitgliedstaat gestellt hat, in demselben Mitgliedstaat weitere Angaben vorbringt oder einen Folgeantrag stellt, prüft dieser Mitgliedstaat diese weiteren Angaben oder die Elemente des Folgeantrags im Rahmen der Prüfung des früheren Antrags oder der Prüfung der Entscheidung, gegen die ein Rechtsbehelf eingelegt wurde, insoweit die zuständigen Behörden in diesem Rahmen alle Elemente, die den weiteren Angaben oder dem Folgeantrag zugrunde liegen, berücksichtigen können.
(2) Für die Zwecke der gemäß Artikel 33 Absatz 2 Buchstabe d zu treffenden Entscheidung über die Zulässigkeit eines Antrags auf internationalen Schutz wird ein Folgeantrag auf internationalen Schutz zunächst daraufhin geprüft, ob neue Elemente oder Erkenntnisse betreffend die Frage, ob der Antragsteller nach Maßgabe der Richtlinie [2011/95] als Person mit Anspruch auf internationalen Schutz anzuerkennen ist, zutage getreten oder vom Antragsteller vorgebracht worden sind.
…
(5) Wird ein Folgeantrag nach diesem Artikel nicht weiter geprüft, so wird er gemäß Artikel 33 Absatz 2 Buchstabe d als unzulässig betrachtet.
…
(7) Wenn eine Person, gegen die ein Überstellungsbeschluss gemäß der [Dublin‑III-Verordnung] zu vollstrecken ist, in dem überstellenden Mitgliedstaat weitere Angaben vorbringt oder einen Folgeantrag stellt, prüft der gemäß der genannten Verordnung zuständige Mitgliedstaat diese weiteren Angaben oder Folgeanträge im Einklang mit dieser Richtlinie.“
10 Art. 41 („Ausnahmen vom Recht auf Verbleib bei Folgeanträgen“) Abs. 1 der Richtlinie 2013/32 sieht vor:
„Die Mitgliedstaaten können Ausnahmen vom Recht auf Verbleib im Hoheitsgebiet machen, wenn eine Person
a) nur zur Verzögerung oder Behinderung der Durchsetzung einer Entscheidung, die zu ihrer unverzüglichen Abschiebung aus dem betreffenden Mitgliedstaat führen würde, förmlich einen ersten Folgeantrag gestellt hat, der gemäß Artikel 40 Absatz 5 nicht weiter geprüft wird, oder
b) nach einer bestandskräftigen Entscheidung, einen ersten Folgeantrag gemäß Artikel 40 Absatz 5 als unzulässig zu betrachten, oder nach einer bestandskräftigen Entscheidung, einen ersten Folgeantrag als unbegründet abzulehnen, in demselben Mitgliedstaat einen weiteren Folgeantrag stellt.
Die Mitgliedstaaten können eine solche Ausnahme nur dann machen, wenn die Asylbehörde die Auffassung vertritt, dass eine Rückkehrentscheidung keine direkte oder indirekte Zurückweisung zur Folge hat, die einen Verstoß gegen die völkerrechtlichen und unionsrechtlichen Pflichten dieses Mitgliedstaats darstellt.“
Dublin ‑III-Verordnung
11 Gemäß Art. 48 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung wurde mit dieser Verordnung die Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (ABl. 2003, L 50, S. 1) aufgehoben. Letztere Verordnung hatte gemäß ihrem Art. 24 das am 15. Juni 1990 in Dublin unterzeichnete Übereinkommen über die Bestimmung des zuständigen Staates für die Prüfung eines in einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften gestellten Asylantrags (ABl. 1997, C 254, S. 1) ersetzt.
12 Nach ihrem Art. 1 („Gegenstand“) legt die Dublin‑III-Verordnung die Kriterien und Verfahren fest, die bei der Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist, zur Anwendung gelangen („zuständiger Mitgliedstaat“).
13 Der zu Kapitel II („Allgemeine Grundsätze und Schutzgarantien“) dieser Verordnung gehörende Art. 3 („Verfahren zur Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz“) der Dublin‑III-Verordnung bestimmt in Abs. 1:
„Die Mitgliedstaaten prüfen jeden Antrag auf internationalen Schutz, den ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats einschließlich an der Grenze oder in den Transitzonen stellt. Der Antrag wird von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III als zuständiger Staat bestimmt wird.“
14 Art. 17 („Ermessensklauseln“) Abs. 1 Unterabs. 1 und 2 der Dublin‑III-Verordnung sieht vor:
„Abweichend von Artikel 3 Absatz 1 kann jeder Mitgliedstaat beschließen, einen bei ihm von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen gestellten Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist.
Der Mitgliedstaat, der gemäß diesem Absatz beschließt, einen Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen, wird dadurch zum zuständigen Mitgliedstaat und übernimmt die mit dieser Zuständigkeit einhergehenden Verpflichtungen. …“
15 Art. 18 („Pflichten des zuständigen Mitgliedstaats“) der Dublin‑III-Verordnung bestimmt:
„(1) Der nach dieser Verordnung zuständige Mitgliedstaat ist verpflichtet:
a) einen Antragsteller, der in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat, nach Maßgabe der Artikel 21, 22 und 29 aufzunehmen;
b) einen Antragsteller, der während der Prüfung seines Antrags in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat oder der sich im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats ohne Aufenthaltstitel aufhält, nach Maßgabe der Artikel 23, 24, 25 und 29 wieder aufzunehmen;
c) einen Drittstaatsangehörigen oder einen Staatenlosen, der seinen Antrag während der Antragsprüfung zurückgezogen und in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat oder der sich ohne Aufenthaltstitel im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats aufhält, nach Maßgabe der Artikel 23, 24, 25 und 29 wieder aufzunehmen;
d) einen Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen, dessen Antrag abgelehnt wurde und der in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat oder der sich im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats ohne Aufenthaltstitel aufhält, nach Maßgabe der Artikel 23, 24, 25 und 29 wieder aufzunehmen.
(2) …
Hat der zuständige Mitgliedstaat in den in den Anwendungsbereich von Absatz 1 Buchstabe c fallenden Fällen die Prüfung nicht fortgeführt, nachdem der Antragsteller den Antrag zurückgezogen hat, bevor eine Entscheidung in der Sache in erster Instanz ergangen ist, stellt dieser Mitgliedstaat sicher, dass der Antragsteller berechtigt ist, zu beantragen, dass die Prüfung seines Antrags abgeschlossen wird, oder einen neuen Antrag auf internationalen Schutz zu stellen, der nicht als Folgeantrag im Sinne der Richtlinie [2013/32] behandelt wird. In diesen Fällen gewährleisten die Mitgliedstaaten, dass die Prüfung des Antrags abgeschlossen wird.“
16 Art. 27 („Rechtsmittel“) Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung sieht vor:
„Der Antragsteller oder eine andere Person im Sinne von Artikel 18 Absatz 1 Buchstabe c oder d hat das Recht auf ein wirksames Rechtsmittel gegen eine Überstellungsentscheidung in Form einer auf Sach- und Rechtsfragen gerichteten Überprüfung durch ein Gericht.“
17 Art. 29 („Modalitäten und Fristen“) Abs. 1 und 2 der Dublin‑III-Verordnung bestimmt:
„(1) Die Überstellung des Antragstellers oder einer anderen Person im Sinne von Artikel 18 Absatz 1 Buchstabe c oder d aus dem ersuchenden Mitgliedstaat in den zuständigen Mitgliedstaat erfolgt gemäß den innerstaatlichen Rechtsvorschriften des ersuchenden Mitgliedstaats nach Abstimmung der beteiligten Mitgliedstaaten, sobald dies praktisch möglich ist und spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach der Annahme des Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuchs durch einen anderen Mitgliedstaat oder der endgültigen Entscheidung über einen Rechtsbehelf oder eine Überprüfung, wenn diese gemäß Artikel 27 Absatz 3 aufschiebende Wirkung hat.
…
(2) Wird die Überstellung nicht innerhalb der Frist von sechs Monaten durchgeführt, ist der zuständige Mitgliedstaat nicht mehr zur Aufnahme oder Wiederaufnahme der betreffenden Person verpflichtet und die Zuständigkeit geht auf den ersuchenden Mitgliedstaat über. Diese Frist kann höchstens auf ein Jahr verlängert werden, wenn die Überstellung aufgrund der Inhaftierung der betreffenden Person nicht erfolgen konnte, oder höchstens auf achtzehn Monate, wenn die betreffende Person flüchtig ist.“
Deutsches Recht
AsylG
18 § 26a („Sichere Drittstaaten“) Abs. 2 des Asylgesetzes (BGBl. 2008 I S. 1798) in seiner auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Fassung (im Folgenden: AsylG) bestimmt:
„Sichere Drittstaaten sind außer den Mitgliedstaaten der … Union die in Anlage I bezeichneten Staaten.“
19 § 29 („Unzulässige Anträge“) Abs. 1 AsylG sieht vor:
„Ein Asylantrag ist unzulässig, wenn
…
5. im Falle eines Folgeantrags nach § 71 oder eines Zweitantrags nach § 71a ein weiteres Asylverfahren nicht durchzuführen ist.“
20 § 31 („Entscheidungen des Bundesamtes über Asylanträge“) Abs. 2 AsylG bestimmt:
„In Entscheidungen über zulässige Asylanträge … ist ausdrücklich festzustellen, ob dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft oder der subsidiäre Schutz zuerkannt wird und ob er als Asylberechtigter anerkannt wird. …“
21 § 71 („Folgeantrag“) Abs. 1 AsylG sieht vor:
„Stellt der Ausländer nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung eines früheren Asylantrags erneut einen Asylantrag (Folgeantrag), so ist ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen, wenn die Voraussetzungen des § 51 Absatz 1 bis 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes [(BGBl. 2003 I S. 102, im Folgenden: VwVfG)] vorliegen; die Prüfung obliegt dem Bundesamt. …“
22 § 71a („Zweitantrag“) Abs. 1 AsylG sieht vor:
„Stellt der Ausländer nach erfolglosem Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat (§ 26a), für den Rechtsvorschriften der [Union] über die Zuständigkeit für die Durchführung von Asylverfahren gelten oder mit dem die Bundesrepublik Deutschland darüber einen völkerrechtlichen Vertrag geschlossen hat, im Bundesgebiet einen Asylantrag (Zweitantrag), so ist ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen, wenn die Bundesrepublik Deutschland für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist und die Voraussetzungen des § 51 Absatz 1 bis 3 [VwVfG] vorliegen; die Prüfung obliegt dem Bundesamt.“
VwVfG
23 § 51 Abs. 1 und 2 VwVfG sieht vor:
„(1) Die Behörde hat auf Antrag des Betroffenen über die Aufhebung oder Änderung eines unanfechtbaren Verwaltungsaktes zu entscheiden, wenn
1. sich die dem Verwaltungsakt zugrunde liegende Sach- oder Rechtslage nachträglich zugunsten des Betroffenen geändert hat;
2. neue Beweismittel vorliegen, die eine dem Betroffenen günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden;
…
(2) Der Antrag ist nur zulässig, wenn der Betroffene ohne grobes Verschulden außerstande war, den Grund für das Wiederaufgreifen in dem früheren Verfahren, insbesondere durch Rechtsbehelf, geltend zu machen.“
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
Rechtssache C ‑123 / 23
24 N. A. K. ist die Mutter der minderjährigen Kinder E. A. K. und Y. A. K. und deren gesetzliche Vertreterin. Sie sind staatenlose Palästinenser aus dem Gazastreifen. Ihren Angaben zufolge reisten sie am 11. November 2019 nach Deutschland ein und beantragten am 15. November 2019 Asyl. Ihre Anträge wurden am 22. November 2019 registriert. Zur Stützung der Anträge machte N. A. K. geltend, sie selbst und ihre Kinder seien aufgrund der politischen Tätigkeit ihres Ehemanns von der Hamas verfolgt worden. Zudem hätten ihre Eltern sie zwingen wollen, ihre Kinder der Familie des Ehemanns zu übergeben und alleine in den elterlichen Haushalt zurückzukehren.
25 Aus den Angaben von N. A. K. und Nachforschungen des Bundesamts geht hervor, dass N. A. K. zuvor bei den zuständigen Behörden des Königreichs Spanien und des Königreichs Belgien Asylanträge gestellt hatte. Ein Wiederaufnahmegesuch des Bundesamts an die zuständige spanische Behörde wurde von dieser abgelehnt. Ein Wiederaufnahmegesuch an die zuständige belgische Behörde wurde nicht gestellt.
26 Ein Informationsersuchen des Bundesamts an die zuständige belgische Behörde beantwortete diese am 5. März 2021 dahin gehend, dass der Antrag von N. A. K. auf internationalen Schutz vom 21. August 2018 am 5. Juli 2019 zurückgewiesen und dagegen kein Rechtsmittel eingelegt worden sei. Die zuständige belgische Behörde war u. a. der Auffassung, es sei nicht glaubhaft gemacht worden, dass N. A. K. in ihrem Herkunftsland eine Verfolgung bzw. ein ernsthafter Schaden gedroht habe.
27 Mit Bescheid vom 25. Mai 2021 lehnte das Bundesamt die Asylanträge von N. A. K., E. A. K. und Y. A. K. im Wesentlichen mit der Begründung ab, dass § 71a AsylG anzuwenden sei und dass die Voraussetzungen für die Eröffnung eines weiteren Asylverfahrens nicht erfüllt seien. Gegen diesen Bescheid erhoben N. A. K., E. A. K. und Y .A. K. am 9. Juni 2021 Klage beim Verwaltungsgericht Minden (Deutschland), dem vorlegenden Gericht.
28 Das vorlegende Gericht führt aus, dass aus den Urteilen vom 20. Mai 2021, L. R. (Von Norwegen abgelehnter Asylantrag) (C‑8/20, EU:C:2021:404), und vom 22. September 2022, Bundesrepublik Deutschland (Von Dänemark abgelehnter Asylantrag) (C‑497/21, EU:C:2022:721), hervorgehe, dass eine Bestimmung wie § 71a AsylG keine Anwendung finden könne, wenn der Erstantrag auf Asyl desselben Betroffenen entweder von einem Drittstaat oder von einem Mitgliedstaat, der nicht derjenige sei, bei dem der Zweitantrag auf Asyl gestellt worden sei und der nicht an die Richtlinie 2011/95 gebunden sei, abgelehnt worden sei. Dagegen habe der Gerichtshof die Frage, ob eine solche Bestimmung im Fall der Ablehnung eines Erstantrags auf Asyl durch einen anderen Mitgliedstaat, der an die Richtlinie 2011/95 gebunden sei, bisher ausdrücklich offengelassen. Diese Frage sei jedoch im Ausgangsverfahren entscheidungserheblich, da die Kläger im vorliegenden Fall keine neuen Umstände oder Erkenntnisse vorgetragen hätten, die nach Art. 33 Abs. 2 Buchst. d der Richtlinie 2013/32 und nach Art. 71a Abs. 1 AsylG in Verbindung mit Art. 51 Abs. 1 und 2 VwVfG zur Prüfung ihres Antrags führen würden.
29 Insoweit ist das vorlegende Gericht der Auffassung, dass der Begriff „Folgeantrag“ im Sinne von Art. 2 Buchst. q der Richtlinie 2013/32 auch die Fälle umfasse, in denen ein Antrag auf internationalen Schutz nach Erlass der bestandskräftigen Entscheidung eines anderen Mitgliedstaats der Union über einen entsprechenden früheren Antrag desselben Antragstellers gestellt werde, so dass Art. 33 Abs. 2 Buchst. d der Richtlinie 2013/32 auf diesen Antrag anwendbar sei.
30 Vor diesem Hintergrund hat das Verwaltungsgericht Minden beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:
Ist Art. 33 Abs. 2 Buchst. d der Richtlinie 2013/32 in Verbindung mit Art. 2 Buchst. q dieser Richtlinie dahin gehend auszulegen, dass er der Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, wonach ein in diesem Mitgliedstaat gestellter Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig abzulehnen ist, wenn ein zuvor in einem anderen Mitgliedstaat gestellter Antrag auf internationalen Schutz von dem anderen Mitgliedstaat bestandskräftig als unbegründet abgelehnt wurde?
Rechtssache C ‑202 / 23
31 Am 2. März 2020 reiste der libanesische Staatangehörige M. E. O. nach Deutschland ein und stellte einen Antrag auf Asyl, der vom Bundesamt am 30. April 2020 registriert wurde. Nachforschungen des Bundesamts ergaben, dass M. E. O. vor seiner Einreise nach Deutschland einen Antrag auf internationalen Schutz in Polen gestellt hatte.
32 Mit Schreiben vom 29. April 2020 stimmten die polnischen Behörden einer Wiederaufnahme von M. E. O. zu. Mit Bescheid vom 25. Juni 2020, der M. E. O. am 1. Juli 2020 ausgehändigt wurde, lehnte das Bundesamt dessen Asylantrag als unzulässig ab und ordnete seine Abschiebung nach Polen an. M. E. O. erhob gegen diesen Bescheid Klage und stellte zusätzlich einen Eilantrag. Letzterer wurde am 31. Juli 2020 abgelehnt. Aus den Ausführungen des vorlegenden Gerichts geht jedoch hervor, dass die Anordnung der Abschiebung von M. E. O. nach Polen nicht vollstreckt werden konnte, wobei M. E. O. nicht als flüchtig im Sinne von Art. 29 Abs. 2 der Dublin‑III-Verordnung angesehen werden konnte.
33 Am 2. Februar 2021 hob das Bundesamt den Bescheid vom 25. Juni 2020 mit der Begründung auf, dass die Frist für die Überstellung von M. E. O. nach Polen abgelaufen sei. Auf ein vom Bundesamt an die polnischen Behörden gerichtetes Informationsersuchen teilten diese zudem mit, dass das von M. E. O. in Polen betriebene Verfahren betreffend den Antrag auf internationalen Schutz am 20. April 2020 eingestellt worden sei, weil M. E. O. sich in Deutschland aufgehalten habe. Das vorlegende Gericht führt aus, dass dieses Verfahren gemäß den polnischen Rechtsvorschriften auf Antrag von M. E. O. mit einer Frist von neun Monaten ab seiner Einstellung, d. h. bis zum 20. Januar 2021, hätte wieder aufgenommen werden können.
34 Mit Bescheid vom 14. Juli 2021 lehnte das Bundesamt den Asylantrag von M. E. O. als unzulässig ab und drohte ihm die Abschiebung in den Libanon an. Am 27. Juli 2021 erhob M. E. O. beim vorlegenden Gericht Klage gegen diesen Bescheid. Dieses ordnete mit Beschluss vom 31. August 2021 die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung an.
35 Das vorlegende Gericht führt aus, die Voraussetzungen für die Anwendung von § 71a AsylG seien mit Blick auf die Sachlage im Ausgangsverfahren erfüllt, so dass der Asylantrag von M. E. O. als unzulässig abzulehnen sei. Zum einen sei diese Bestimmung nämlich dahin auszulegen, dass sie anzuwenden sei, wenn ein Asylverfahren in einem sicheren Drittstaat im Sinne von § 26a AsylG zum Zeitpunkt des Übergangs der Zuständigkeit für die Bearbeitung eines Antrags auf internationalen Schutz gemäß Art. 29 Abs. 2 der Dublin‑III-Verordnung auf die Bundesrepublik Deutschland eingestellt gewesen sei. Dies treffe im vorliegenden Fall zu, da die Frist für die Wiederaufnahme des Verfahrens bezüglich des von M. E. O. in Polen gestellten Antrags auf internationalen Schutz am 20. Januar 2021 abgelaufen sei, während die Bundesrepublik Deutschland mit Ablauf der in Art. 29 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung vorgesehenen Frist von sechs Monaten ab der am 31. Juli 2020 getroffenen Entscheidung über den Eilantrag von M. E. O. gegen den Bescheid, mit dem dessen Abschiebung nach Polen angeordnet worden sei, d. h. am 31. Januar 2021, für die Bearbeitung des Antrags auf internationalen Schutz von M. E. O. zuständig geworden sei.
36 Zum anderen sei § 51 Abs. 1 und 2 VwVfG im vorliegenden Fall nicht anwendbar, da der von M. E. O. in Deutschland gestellte Asylantrag auf eine seiner Abreise aus dem Libanon vorgelagerte Sachlage gestützt sei. Es sei anzunehmen, dass M. E. O. dieselbe Sachlage zur Stützung seines Antrags auf internationalen Schutz in Polen vorgetragen habe oder dies jedenfalls habe tun können, so dass diese Sachlage keine neuen Elemente darstelle, zu deren Geltendmachung M. E. O. ohne grobes Verschulden außerstande gewesen sei.
37 Sollte sich jedoch erweisen, dass das Unionsrecht einer Bestimmung wie § 71a AsylG aus dem Grund entgegenstehe, dass ein neuer Antrag auf internationalen Schutz nicht als „Folgeantrag“ im Sinne von Art. 2 Buchst. q der Richtlinie 2013/32 angesehen werden könne, wenn eine bestandskräftige Entscheidung über einen früheren Antrag desselben Antragstellers in einem anderen Mitgliedstaat der Union erlassen worden sei, so sei der Klage von M. E. O. stattzugeben.
38 Für den Fall, dass ein neuer Antrag auf internationalen Schutz auch dann als „Folgeantrag“ im Sinne von Art. 2 Buchst. q eingestuft werden kann, wenn das Verfahren über einen früheren, in einem anderen Mitgliedstaat gestellten Antrag desselben Antragstellers von diesem Mitgliedstaat eingestellt wurde, weil der Antragsteller dieses nicht weiterbetrieben hat, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 33 Abs. 2 Buchst. d der Richtlinie 2013/32 der Ablehnung des neuen Antrags als unzulässig entgegensteht, solange die Wiedereröffnung des Verfahrens über den früheren Antrag noch möglich ist. Bejahendenfalls möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Frist, innerhalb deren der Antragsteller die Wiedereröffnung des Verfahrens über seinen früheren Antrag beantragen kann, nach nationalem Recht oder nach dem Unionsrecht zu bestimmen ist, und, falls sie nach dem Unionsrecht zu bestimmen ist, welche Frist dieses Recht vorsieht.
39 Vor diesem Hintergrund hat das Verwaltungsgericht Minden beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
1. Ist Art. 33 Abs. 2 Buchst. d der Richtlinie 2013/32 in Verbindung mit Art. 2 Buchst. q dieser Richtlinie dahin gehend auszulegen, dass er der Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, wonach ein in diesem Mitgliedstaat gestellter Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig abzulehnen ist, wenn der Antragsteller bereits zuvor in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat und das Verfahren von dem anderen Mitgliedstaat eingestellt wurde, weil der Antragsteller das Verfahren in diesem Mitgliedstaat nicht weiterbetrieben hat?
2. Falls Frage 1 zu verneinen ist:
Ist Art. 33 Abs. 2 Buchst. d der Richtlinie 2013/32 in Verbindung mit Art. 2 Buchst. q dieser Richtlinie dahin gehend auszulegen, dass er der Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, wonach ein in diesem Mitgliedstaat gestellter Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig abzulehnen ist, wenn der Antragsteller bereits zuvor in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat und das Verfahren von dem anderen Mitgliedstaat eingestellt wurde, weil der Antragsteller das Verfahren in dem anderen Mitgliedstaat nicht weiterbetrieben hat, obwohl das Asylverfahren in dem anderen Mitgliedstaat von dem anderen Mitgliedstaat noch wiedereröffnet werden kann, wenn der Antragsteller dies in dem anderen Mitgliedstaat beantragt?
3. Falls Frage 2 zu bejahen ist:
Gibt das Unionsrecht vor, welcher Zeitpunkt bei der Entscheidung über einen Antrag auf internationalen Schutz dafür maßgebend ist, ob ein zuvor in einem anderen Mitgliedstaat eingestelltes Asylverfahren noch wiedereröffnet werden kann, oder richtet sich diese Frage allein nach nationalem Recht?
4. Falls Frage 3 dahin gehend zu beantworten ist, dass das Unionsrecht entsprechende Vorgaben enthält:
Welcher Zeitpunkt ist nach den Vorgaben des Unionsrechts bei der Entscheidung über einen Antrag auf internationalen Schutz dafür maßgebend, ob ein zuvor in einem anderen Mitgliedstaat eingestelltes Asylverfahren noch wiedereröffnet werden kann?
Verfahren vor dem Gerichtshof
40 In der Rechtssache C‑123/23 hat das vorlegende Gericht die vorrangige Behandlung der Rechtssache nach Art. 53 Abs. 3 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs angeregt. Mit Beschluss vom 18. April 2023 hat der Präsident des Gerichtshofs entschieden, diesem Antrag nicht stattzugeben.
41 Mit Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 10. Mai 2023 sind die Rechtssachen C‑123/23 und C‑202/23 zu gemeinsamem schriftlichen und mündlichen Verfahren und zu gemeinsamer Entscheidung verbunden worden.
Zur Frage in der Rechtssache C ‑123/23
42 Mit seiner Frage in der Rechtssache C‑123/23 möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 33 Abs. 2 Buchst. d in Verbindung mit Art. 2 Buchst. q der Richtlinie 2013/32 dahin auszulegen ist, dass er einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, nach der ein Antrag auf internationalen Schutz im Sinne von Art. 2 Buchst. b dieser Richtlinie, der in diesem Mitgliedstaat von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen gestellt worden ist, dessen zuvor in einem anderen Mitgliedstaat gestellter Antrag auf internationalen Schutz durch eine bestandskräftige Entscheidung dieses anderen Mitgliedstaats abgelehnt wurde, als unzulässig abgelehnt werden kann.
43 Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs sind bei der Auslegung einer unionsrechtlichen Vorschrift nicht nur ihr Wortlaut, sondern auch ihr Kontext und die Ziele zu berücksichtigen, die mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgt werden (Urteil vom 28. Oktober 2022, Generalstaatsanwaltschaft München [Auslieferung und ne bis in idem ], C‑435/22 PPU, EU:C:2022:852, Rn. 67 und die dort angeführte Rechtsprechung).
44 Was als Erstes den Wortlaut von Art. 33 Abs. 2 der Richtlinie 2013/32 betrifft, der die Situationen, in denen die Mitgliedstaaten einen Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig betrachten können, abschließend aufzählt (Urteil vom 20. Mai 2021, L. R. [Von Norwegen abgelehnter Asylantrag], C‑8/20, EU:C:2021:404, Rn. 31 und die dort angeführte Rechtsprechung), ist darauf hinzuweisen, dass diese Vorschrift unter Buchst. d vorsieht, dass die Mitgliedstaaten eine solche Entscheidung treffen können, wenn es sich um einen „Folgeantrag“ handelt, bei dem keine neuen Umstände oder Erkenntnisse zu der Frage, ob der Antragsteller nach Maßgabe der Richtlinie 2011/95 als Person mit Anspruch auf internationalen Schutz anzuerkennen ist, zutage getreten oder vom Antragsteller vorgebracht worden sind.
45 Der Begriff „Folgeantrag“ bezeichnet gemäß der Definition in Art. 2 Buchst. q der Richtlinie 2013/32 „einen weiteren Antrag auf internationalen Schutz, der nach Erlass einer bestandskräftigen Entscheidung über einen früheren Antrag gestellt wird“.
46 Diese Definition greift also die Begriffe „Antrag auf internationalen Schutz“ und „bestandskräftige Entscheidung“ auf, die ebenfalls in Art. 2 der Richtlinie 2013/32 definiert werden, nämlich in den Buchst. b und e.
47 Was zum einen den Begriff „Antrag auf internationalen Schutz“ bzw. „Antrag“ anbelangt, so bezeichnet dieser gemäß der Definition in Art. 2 Buchst. b der Richtlinie 2013/32 das Ersuchen eines Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen um Schutz „durch einen Mitgliedstaat“, bei dem davon ausgegangen werden kann, dass er die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder die Gewährung des subsidiären Schutzstatus im Sinne der Richtlinie 2011/95 anstrebt.
48 Was zum anderen den Begriff „bestandskräftige Entscheidung“ betrifft, so bezeichnet dieser gemäß der Definition in Art. 2 Buchst. e der Richtlinie 2013/32 eine Entscheidung darüber, ob einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen gemäß der Richtlinie 2011/95 die Flüchtlingseigenschaft oder der subsidiäre Schutzstatus zuzuerkennen ist und gegen die kein Rechtsbehelf nach Kapitel V der Richtlinie 2013/32 mehr eingelegt werden kann.
49 Somit ist festzustellen, dass der Wortlaut von Art. 33 Abs. 2 Buchst. d der Richtlinie 2013/32 in Verbindung mit den in den Rn. 45 bis 48 des vorliegenden Urteils genannten Bestimmungen keine Voraussetzung aufstellt, wonach ein neuer Antrag auf internationalen Schutz bei den Behörden desselben Mitgliedstaats, der die bestandskräftige Entscheidung über einen früheren Antrag desselben Antragstellers erlassen hat, gestellt worden sein müsste, um als „Folgeantrag“ eingestuft und mangels neuer Umstände oder Erkenntnisse als unzulässig abgelehnt zu werden.
50 Als Zweites ist festzustellen, dass diese Auslegung durch den Kontext dieser Bestimmung bestätigt wird.
51 Art. 40 der Richtlinie 2013/32, in dem das auf Folgeanträge anzuwendende Verfahren im Einzelnen festgelegt ist, sieht nämlich in Abs. 7 u. a. vor, dass, wenn eine Person, gegen die ein Überstellungsbeschluss gemäß der Dublin‑III-Verordnung zu vollstrecken ist, in dem überstellenden Mitgliedstaat einen Folgeantrag stellt, der gemäß der genannten Verordnung zuständige Mitgliedstaat diesen Folgeantrag prüft.
52 Aus Art. 17 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung ergibt sich jedoch, dass ein Überstellungsbeschluss nach dieser Verordnung nicht erlassen werden kann, wenn der Mitgliedstaat, in dem sich die betroffene Person befindet, einen von dieser Person gestellten Antrag auf internationalen Schutz selbst geprüft hat, da die Vornahme einer solchen Prüfung durch diesen Mitgliedstaat zur Folge hat, dass er zum „zuständigen Mitgliedstaat“ im Sinne der genannten Verordnung geworden ist und keine Überstellung des Antragstellers in einen anderen Mitgliedstaat mehr beantragen kann.
53 Daraus folgt denknotwendig, dass der in Art. 40 Abs. 7 der Richtlinie 2013/32 genannte „Folgeantrag“ ein neuer Antrag ist, der in dem Mitgliedstaat, der die Überstellung beantragt hat, gestellt wird, nachdem derjenige Mitgliedstaat, in den die betroffene Person überstellt werden soll, eine Entscheidung über einen früheren Antrag desselben Antragstellers erlassen hat. Diese Bestimmung bestätigt somit, dass der Begriff „Folgeantrag“, wie er in Art. 2 Buchst. q der Richtlinie 2013/32 definiert ist, auch den Fall eines neuen Antrags umfasst, der nach dem Erlass der Entscheidung eines anderen Mitgliedstaats über einen früheren Antrag desselben Antragstellers gestellt wird.
54 Art. 40 Abs. 1 der Richtlinie 2013/32, in dem u. a. der etwaige von einer Person, die einen Antrag auf internationalen Schutz in einem bestimmten Mitgliedstaat gestellt hat, „in demselben Mitgliedstaat [gestellte] Folgeantrag“ genannt ist, bestätigt ebenfalls die in Rn. 49 des vorliegenden Urteils dargelegte Auslegung. Wäre es nämlich für die Einstufung als „Folgeantrag“ im Sinne von Art. 2 Buchst. q der Richtlinie 2013/32 erforderlich, dass ein Antrag auf internationalen Schutz bei den zuständigen Behörden desjenigen Mitgliedstaats gestellt wird, der über einen früheren Antrag desselben Antragstellers entschieden hat, so wäre der Hinweis in Art. 40 Abs. 1 der Richtlinie 2013/32 auf einen „in demselben Mitgliedstaat“ gestellten Folgeantrag überflüssig gewesen.
55 Als Drittes ist festzustellen, dass die Auslegung von Art. 33 Abs. 2 Buchst d der Richtlinie 2013/32 dahin, dass ein Mitgliedstaat einen neuen Antrag auf internationalen Schutz, der von einem Antragsteller gestellt wird, dessen früherer Antrag durch eine bestandskräftige Entscheidung eines anderen Mitgliedstaats abgelehnt wurde, als „Folgeantrag“ einstufen und als unzulässig ablehnen kann, wenn er nicht durch neue Umstände oder Erkenntnisse untermauert wird, auch mit dem Zweck der Eindämmung der Sekundärmigration von internationalen Schutz beantragenden Personen zwischen Mitgliedstaaten im Einklang steht, der mit der Richtlinie 2013/32 verfolgt wird, wie sich aus ihrem 13. Erwägungsgrund ergibt.
56 Wie der Generalanwalt in den Nrn. 82 bis 84 seiner Schlussanträge im Wesentlichen ausgeführt hat, könnte eine Auslegung von Art. 33 Abs. 2 Buchst. d der Richtlinie 2013/32 dahin, dass ein neuer, bei den zuständigen Behörden eines Mitgliedstaats gestellter Antrag auf internationalen Schutz nur in dem Fall als „Folgeantrag“ eingestuft und mangels neuer Umstände oder Erkenntnisse als unzulässig abgelehnt werden kann, in dem ein früherer Antrag desselben Antragstellers durch eine bestandskräftige Entscheidung desselben Mitgliedstaats abgelehnt wurde, die Antragsteller, deren Anträge auf internationalen Schutz durch die zuständigen Behörden eines Mitgliedstaats bestandskräftig abgelehnt wurden, nämlich dazu veranlassen, sich in einen zweiten oder sogar dritten Mitgliedstaat zu begeben, um dort erneut einen entsprechenden Antrag zu stellen, in der Hoffnung, dass die vollständige Prüfung des Antrags, die nach dieser Auslegung Sache der Behörden des zweiten bzw. dritten Mitgliedstaats wäre, zu einem für sie vorteilhaften Ergebnis führen möge.
57 Es ist ferner hervorzuheben, dass die Möglichkeit, einen neuen Antrag auf internationalen Schutz, der nicht auf neue Umstände oder Erkenntnisse gestützt wird und der auch keine neuen Umstände oder Erkenntnisse zutage bringt, in dem Fall abzulehnen, in dem ein früherer Antrag desselben Antragstellers durch eine Entscheidung eines anderen Mitgliedstaats abgelehnt wurde, mit dem Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens zwischen den Mitgliedstaaten im Einklang steht, der nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs dem gemeinsamen europäischen Asylsystem zugrunde liegt und im Unionsrecht fundamentale Bedeutung hat, da er die Schaffung und Aufrechterhaltung eines Raums ohne Binnengrenzen ermöglicht (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 10. Dezember 2020, Minister for Justice and Equality [Antrag auf internationalen Schutz in Irland], C‑616/19, EU:C:2020:1010, Rn. 48 und die dort angeführte Rechtsprechung).
58 Darüber hinaus steht die in Rn. 55 des vorliegenden Urteils dargelegte Auslegung von Art. 33 Abs. 2 Buchst. d der Richtlinie 2013/32 mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs im Urteil vom 22. September 2022, Bundesrepublik Deutschland (Von Dänemark abgelehnter Asylantrag) (C‑497/21, EU:C:2022:721), im Einklang.
59 In diesem Urteil hat der Gerichtshof zwar entschieden, dass Art. 33 Abs. 2 Buchst. d der Richtlinie 2013/32 in Verbindung mit Art. 2 Buchst. q dieser Richtlinie sowie mit Art. 2 des dem EU-Vertrag und dem AEU-Vertrag beigefügten Protokolls (Nr. 22) über die Position Dänemarks dahin auszulegen ist, dass er der Regelung eines anderen Mitgliedstaats als des Königreichs Dänemark entgegensteht, wonach ein Antrag auf internationalen Schutz im Sinne von Art. 2 Buchst. b der Richtlinie 2013/32 als unzulässig abgelehnt werden kann, der in diesem anderen Mitgliedstaat von einem Drittstaatsangehörigen oder einem Staatenlosen gestellt wird, dessen früherer, im Königreich Dänemark gestellter Antrag auf internationalen Schutz von letzterem Mitgliedstaat abgelehnt wurde.
60 Wie aus den Rn. 35 und 43 des genannten Urteils hervorgeht, hat der Gerichtshof diese Auslegung von Art. 33 Abs. 2 Buchst. d der Richtlinie 2013/32 jedoch mit der besonderen Stellung begründet, die das Königreich Dänemark gemäß dem in der vorstehenden Randnummer genannten Protokoll in Bezug auf den Dritten Teil Titel V des AEU-Vertrags innehat, zu dem u. a. die Politik im Bereich Grenzkontrollen, Asyl und Einwanderung gehört. Gemäß dem genannten Protokoll findet die Richtlinie 2011/95 auf diesen Mitgliedstaat nämlich keine Anwendung, so dass ein bei dessen zuständigen Behörden gestellter Antrag auf internationalen Schutz kein Ersuchen darstellen kann, mit dem der Antragsteller im Sinne der Richtlinie 2011/95 „die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder die Gewährung des subsidiären Schutzstatus anstrebt“.
61 Im Übrigen hat der Gerichtshof in Rn. 46 des Urteils vom 22. September 2022, Bundesrepublik Deutschland (Von Dänemark abgelehnter Asylantrag) (C‑497/21, EU:C:2022:721), hervorgehoben, dass die Auslegung von Art. 33 Abs. 2 Buchst. d der Richtlinie 2013/32 in diesem Urteil unbeschadet der davon zu unterscheidenden Frage vorgenommen wurde, ob der Begriff „Folgeantrag“ auf einen weiteren Antrag auf internationalen Schutz anwendbar ist, der in einem Mitgliedstaat gestellt wird, nachdem ein anderer Mitgliedstaat als das Königreich Dänemark einen früheren Antrag durch eine bestandskräftige Entscheidung abgelehnt hat.
62 Nach alledem ist auf die Vorlagefrage in der Rechtssache C‑123/23 zu antworten, dass Art. 33 Abs. 2 Buchst. d in Verbindung mit Art. 2 Buchst. q der Richtlinie 2013/32 dahin auszulegen ist, dass er einer Regelung eines Mitgliedstaats, nach der ein Antrag auf internationalen Schutz im Sinne von Art. 2 Buchst. b dieser Richtlinie, der in diesem Mitgliedstaat von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen gestellt worden ist, dessen zuvor in einem anderen Mitgliedstaat – auf den die Richtlinie 2011/95 Anwendung findet – gestellter Antrag auf internationalen Schutz durch eine bestandskräftige Entscheidung dieses anderen Mitgliedstaats abgelehnt wurde, als unzulässig abgelehnt werden kann, nicht entgegensteht.
Zu den Fragen in der Rechtssache C ‑202/23
63 Einleitend ist darauf hinzuweisen, dass es nach ständiger Rechtsprechung im Rahmen des durch Art. 267 AEUV eingeführten Verfahrens der Zusammenarbeit zwischen den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof Aufgabe des Gerichtshofs ist, dem nationalen Gericht eine für die Entscheidung des bei diesem anhängigen Rechtsstreits sachdienliche Antwort zu geben. Hierzu hat er die ihm vorgelegten Fragen gegebenenfalls umzuformulieren. Außerdem kann der Gerichtshof veranlasst sein, unionsrechtliche Vorschriften zu berücksichtigen, die das nationale Gericht in seiner Frage nicht angeführt hat (Urteil vom 15. Juli 2021, Ministrstvo za obrambo, C‑742/19, EU:C:2021:597, Rn. 31 und die dort angeführte Rechtsprechung).
64 Der Umstand, dass das vorlegende Gericht in seinen Fragen formal bestimmte Vorschriften des Unionsrechts angeführt hat, hindert den Gerichtshof nicht daran, diesem Gericht alle Hinweise zur Auslegung des Unionsrechts zu geben, die ihm bei der Entscheidung des Ausgangsverfahrens von Nutzen sein können, indem er aus dem gesamten von dem Gericht vorgelegten Material, insbesondere der Begründung der Vorlageentscheidung, diejenigen Elemente des Unionsrechts herausarbeitet, die unter Berücksichtigung des Gegenstands des Rechtsstreits einer Auslegung bedürfen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22. April 2021, Profi Credit Slovakia, C‑485/19, EU:C:2021:313, Rn. 50 und die dort angeführte Rechtsprechung).
65 Im vorliegenden Fall geht aus den Angaben des vorlegenden Gerichts, die in den Rn. 31 bis 35 des vorliegenden Urteils zusammenfassend dargestellt sind, hervor, dass M. E. O. zunächst einen Antrag auf internationalen Schutz bei den polnischen Behörden stellte, danach am 2. März 2020 nach Deutschland einreiste und dort einen Asylantrag stellte, der vom Bundesamt am 30. April 2020 registriert wurde. In der Zwischenzeit hatte die zuständige polnische Behörde am 20. April 2020 das durch den Antrag von M. E. O. eröffnete Verfahren eingestellt, weil M. E. O. sich in Deutschland aufhielt.
66 Das Bundesamt lehnte seinerseits mit Bescheid vom 14. Juli 2021 den in der Rechtssache C‑202/23 in Rede stehenden Asylantrag von M. E. O. mit der Begründung als unzulässig ab, dass die zuständige polnische Behörde das Verfahren über dessen früheren Antrag auf internationalen Schutz zum Zeitpunkt des Übergangs der Zuständigkeit für die Bearbeitung des Antrags von M. E. O. auf internationalen Schutz gemäß Art. 29 Abs. 2 der Dublin‑III-Verordnung auf die Bundesrepublik Deutschland, d. h. am 31. Januar 2021, bereits durch eine bestandskräftige Entscheidung gemäß Art. 28 Abs. 1 der Richtlinie 2013/32 eingestellt habe, da der frühere Antrag nach Auffassung der polnischen Behörde Gegenstand einer stillschweigenden Rücknahme gewesen sei.
67 Daraus ergibt sich, dass sich das Bundesamt für die Ablehnung des Antrags von M. E. O. auf internationalen Schutz als unzulässig auf die Prämisse stützte, dass es unter Umständen wie den in den Rn. 65 und 66 des vorliegenden Urteils beschriebenen möglich war, den neuen Antrag von M. E. O. auf internationalen Schutz als „Folgeantrag“ im Sinne von Art. 2 Buchst. q der Richtlinie 2013/32 einzustufen und auf diesen Antrag Art. 33 Abs. 2 Buchst. d der Richtlinie 2013/32 anzuwenden. Die Fragen in der Rechtssache C‑202/23 beruhen auf derselben Prämisse.
68 Vor diesem Hintergrund sind die Fragen in der Rechtssache C‑202/23 umzuformulieren und ist davon auszugehen, dass das vorlegende Gericht damit im Wesentlichen wissen möchte, ob Art. 33 Abs. 2 Buchst. d in Verbindung mit Art. 2 Buchst. q der Richtlinie 2013/32 dahin auszulegen ist, dass er einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, nach der ein Antrag auf internationalen Schutz im Sinne von Art. 2 Buchst. b dieser Richtlinie als unzulässig abgelehnt werden kann, wenn er in diesem Mitgliedstaat von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen, der bereits in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hatte, gestellt worden war, bevor die zuständige Behörde dieses anderen Mitgliedstaats gemäß Art. 28 Abs. 1 der Richtlinie die Prüfung des früheren Antrags wegen dessen stillschweigender Rücknahme eingestellt hat.
69 Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass Art. 2 Buchst. q der Richtlinie 2013/32 ausdrücklich die Möglichkeit vorsieht, einen weiteren Antrag auf internationalen Schutz als „Folgeantrag“ einzustufen, wenn er nach Erlass einer bestandskräftigen Entscheidung im Sinne von Art. 2 Buchst. e der Richtlinie 2013/32 über einen früheren Antrag „gestellt“ wird, und zwar auch in Fällen, in denen der Antragsteller seinen Antrag ausdrücklich zurückgenommen hat oder die Asylbehörde im Sinne von Art. 2 Buchst. f der Richtlinie 2013/32 den Antrag nach der stillschweigenden Rücknahme durch den Antragsteller gemäß Art. 28 Abs. 1 der Richtlinie 2013/32 abgelehnt hat
70 Nach Art. 28 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie 2013/32 stellen die Mitgliedstaaten, wenn Grund zu der Annahme besteht, dass ein Antragsteller seinen Antrag stillschweigend zurückgenommen hat oder das Verfahren nicht weiter betreibt, sicher, dass die Asylbehörde entweder entscheidet, die Antragsprüfung einzustellen oder, sofern die Asylbehörde den Antrag nach angemessener inhaltlicher Prüfung gemäß Art. 4 der Richtlinie 2011/95 als unbegründet ansieht, den Antrag abzulehnen.
71 Gemäß Art. 28 Abs. 1 Unterabs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2013/32 können die Mitgliedstaaten davon ausgehen, dass der Antragsteller seinen Antrag auf internationalen Schutz stillschweigend zurückgezogen hat oder das Verfahren nicht weiter betreibt, wenn er nachweislich untergetaucht ist oder seinen Aufenthaltsort oder den Ort seiner Ingewahrsamnahme ohne Genehmigung verlassen und nicht innerhalb einer angemessenen Frist die zuständige Behörde kontaktiert hat, oder seinen Melde- und anderen Mitteilungspflichten nicht innerhalb einer angemessenen Frist nachgekommen ist, es sei denn, der Antragsteller weist nach, dass dies auf Umstände zurückzuführen war, auf die er keinen Einfluss hatte.
72 Zudem stellen die Mitgliedstaaten gemäß Art. 28 Abs. 2 Unterabs. 1 der Richtlinie 2013/32 sicher, dass ein Antragsteller, der sich nach Einstellung der Antragsprüfung gemäß Abs. 1 dieses Art. 28 wieder bei der zuständigen Behörde meldet, berechtigt ist, um Wiedereröffnung des Verfahrens zu ersuchen oder einen neuen Antrag zu stellen, der nicht nach Maßgabe der Art. 40 und 41 der Richtlinie 2013/32 geprüft wird. Nach Art. 28 Abs. 2 Unterabs. 2 der Richtlinie 2013/32 können die Mitgliedstaaten zum einen eine Frist von mindestens neun Monaten vorschreiben, nach deren Ablauf das Verfahren nicht wieder eröffnet werden darf bzw. der neue Antrag als Folgeantrag behandelt und nach Maßgabe der Art. 40 und 41 der Richtlinie 2013/32 geprüft werden kann, und zum anderen vorschreiben, dass das Verfahren des Antragstellers nur einmal wieder eröffnet werden darf.
73 Auch wenn Art. 2 Buchst. q der Richtlinie 2013/32 nicht ausdrücklich auf den Fall abstellt, dass der Mitgliedstaat, in dem der Antragsteller seinen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hatte, entschieden hat, die Prüfung dieses Antrags infolge der stillschweigenden Rücknahme desselben einzustellen, kann ein nach Erlass einer solchen Entscheidung gestellter weiterer Antrag als „Folgeantrag“ im Sinne dieser Bestimmung eingestuft werden. Andernfalls wäre es nämlich nicht erforderlich gewesen, in Art. 28 Abs. 2 Unterabs. 1 der Richtlinie 2013/32 vorzusehen, dass ein neuer Antrag, der nach Erlass einer Entscheidung über die in Art. 28 Abs. 1 genannte Einstellung der Prüfung von einem Antragsteller gestellt wird, der sich wieder bei der zuständigen Behörde meldet, nicht nach Maßgabe der Art. 40 und 41 der Richtlinie 2013/32, die Folgeanträge betreffen, geprüft wird.
74 Aus dem Wortlaut von Art. 2 Buchst. q der Richtlinie 2013/32 ergibt sich jedoch, dass ein weiterer Antrag auf internationalen Schutz, der von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen gestellt wird, der bereits einen solchen Antrag gestellt hat, nur dann als „Folgeantrag“ eingestuft und gemäß Art. 33 Abs. 2 Buchst. d der Richtlinie 2013/32 als unzulässig abgelehnt werden kann, wenn er nach Erlass einer bestandskräftigen Entscheidung über den früheren Antrag gestellt wird. Folglich ist die Einstufung eines neuen Antrags desselben Antragstellers als „Folgeantrag“ ausgeschlossen, wenn der neue Antrag vor Erlass einer bestandskräftigen Entscheidung über einen früheren Antrag dieses Antragstellers gestellt wird.
75 Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass Art. 6 der Richtlinie 2013/32 zwischen der Stellung des Antrags auf internationalen Schutz, dessen Registrierung, die nach Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 und 2 dieser Richtlinie Sache des betreffenden Mitgliedstaats ist, und dessen förmlicher Stellung unterscheidet, die grundsätzlich von der Person, die internationalen Schutz beantragt, verlangt, dass sie gemäß Art. 6 Abs. 3 und 4 der Richtlinie ein dafür vorgesehenes Formblatt ausfüllt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 25. Juni 2020, Ministerio Fiscal [Behörde, bei der ein Antrag auf internationalen Schutz wahrscheinlich gestellt wird], C‑36/20 PPU, EU:C:2020:495, Rn. 87 und 93).
76 Wie der Gerichtshof bereits entschieden hat, erfordert die Handlung, einen Antrag auf internationalen Schutz zu „stellen“, keine Verwaltungsformalität, da die besagten Formalitäten bei der „förmlichen Stellung“ des Antrags zu beachten sind (Urteil vom 25. Juni 2020, Ministerio Fiscal [Behörde, bei der ein Antrag auf internationalen Schutz wahrscheinlich gestellt wird], C‑36/20 PPU, EU:C:2020:495, Rn. 93).
77 Im Hinblick auf die Verwendung des Begriffs „gestellt“ in Art. 2 Buchst. q der Richtlinie 2013/32 ist festzustellen, dass für die Einstufung eines Antrags auf internationalen Schutz als „Folgeantrag“ im Sinne dieser Bestimmung allein das Datum der Stellung des Antrags maßgeblich ist.
78 Des Weiteren kann die von der Asylbehörde gemäß Art. 28 Abs. 1 der Richtlinie 2013/32 getroffene Entscheidung, die Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz einzustellen, weil der Antragsteller seinen Antrag stillschweigend zurückgenommen hat, nicht als bestandskräftige Entscheidung im Sinne von Art. 2 Buchst. e der Richtlinie 2013/32 angesehen werden, solange der Antragsteller noch die in Art. 28 Abs. 2 der Richtlinie 2013/32 vorgesehene Möglichkeit hat, um Wiedereröffnung des Verfahrens zu ersuchen oder einen neuen Antrag zu stellen, der nicht nach Maßgabe der Art. 40 und 41 der Richtlinie 2013/32 geprüft wird. Daher kann ein von einem Antragsteller unter diesen Umständen gestellter Antrag nicht als „Folgeantrag“ im Sinne von Art. 2 Buchst. q der Richtlinie 2013/32 eingestuft und gemäß Art. 33 Abs. 2 Buchst. d dieser Richtlinie als unzulässig abgelehnt werden.
79 Im vorliegenden Fall geht aus der dem Gerichtshof vorliegenden Akte hervor, dass M. E. O. bei den deutschen Behörden am 2. März 2020 einen Asylantrag stellte, während die Entscheidung der zuständigen polnischen Behörde, das Verfahren über den bei den polnischen Behörden gestellten Antrag von M. E. O. auf internationalen Schutz einzustellen, erst am 20. April 2020 erlassen wurde und dieses Verfahren darüber hinaus noch wieder aufgenommen werden konnte. Sollte dies tatsächlich der Fall sein, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist, wäre festzustellen, dass die Einstufung des von M. E. O. bei den deutschen Behörden gestellten Asylantrags als „Folgeantrag“ und die Ablehnung dieses Antrags als unzulässig mit der Begründung, dass M. E. O. keine gegenüber seinem früheren Antrag neuen Umstände oder Erkenntnisse vorgebracht hat, nicht mit Art. 2 Buchst. q und Art. 33 Abs. 2 Buchst. d der Richtlinie 2013/32 im Einklang steht.
80 Nach alledem ist dem vorlegenden Gericht zu antworten, dass Art. 33 Abs. 2 Buchst. d in Verbindung mit Art. 2 Buchst. q der Richtlinie 2013/32 dahin auszulegen ist, dass er einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, nach der ein Antrag auf internationalen Schutz im Sinne von Art. 2 Buchst. b dieser Richtlinie als unzulässig abgelehnt werden kann, wenn er in diesem Mitgliedstaat von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen, der bereits in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hatte, gestellt worden war, bevor die zuständige Behörde dieses anderen Mitgliedstaats gemäß Art. 28 Abs. 1 der Richtlinie die Prüfung des früheren Antrags wegen dessen stillschweigender Rücknahme eingestellt hat.
Kosten
81 Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Fünfte Kammer) für Recht erkannt:
1. Art. 33 Abs. 2 Buchst. d der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes ist in Verbindung mit Art. 2 Buchst. q dieser Richtlinie
dahin auszulegen, dass
er einer Regelung eines Mitgliedstaats, nach der ein Antrag auf internationalen Schutz im Sinne von Art. 2 Buchst. b dieser Richtlinie, der in diesem Mitgliedstaat von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen gestellt worden ist, dessen zuvor in einem anderen Mitgliedstaat – auf den die Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes Anwendung findet – gestellter Antrag auf internationalen Schutz durch eine bestandskräftige Entscheidung dieses anderen Mitgliedstaats abgelehnt wurde, als unzulässig abgelehnt werden kann, nicht entgegensteht.
2. Art. 33 Abs. 2 Buchst. d der Richtlinie 2013/32 ist in Verbindung mit Art. 2 Buchst. q dieser Richtlinie
dahin auszulegen, dass
er einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, nach der ein Antrag auf internationalen Schutz im Sinne von Art. 2 Buchst. b dieser Richtlinie als unzulässig abgelehnt werden kann, wenn er in diesem Mitgliedstaat von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen, der bereits in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hatte, gestellt worden war, bevor die zuständige Behörde dieses anderen Mitgliedstaats gemäß Art. 28 Abs. 1 der Richtlinie die Prüfung des früheren Antrags wegen dessen stillschweigender Rücknahme eingestellt hat.
Jurakaitis
Gratsias
Regan
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 19. Dezember 2024.
Der Kanzler
Der Präsident
A. Calot Escobar
K. Lenaerts