Vorläufige Fassung
SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS
ATHANASIOS RANTOS
vom 5. September 2024(1 )
Rechtssachen C ‑367/22 P, C ‑369/22 P, C ‑370/22 P, C ‑375/22 P, C ‑378/22 P, C ‑379/22 P, C ‑380/22 P, C ‑381/22 P, C ‑382/22 P, C ‑385/22 P, C ‑386/22 P, C ‑401/22 P und C ‑403/22 P
Air Canada (C ‑367/22 P), Air France (C ‑369/22 P), Air France-KLM (C ‑370/22 P), LATAM Airlines Group und Lan Cargo (C ‑375/22 P), British Airways (C ‑378/22 P), Singapore Airlines und Singapore Airlines Cargo (C ‑379/22 P), Deutsche Lufthansa u. a. (C ‑380/22 P), Japan Airlines (C ‑381/22 P), Cathay Pacific Airways (C ‑382/22 P), Koninklijke Luchtvaart Maatschappij (C ‑385/22 P), Martinair Holland (C ‑386/22 P), Cargolux Airlines (C ‑401/22 P) sowie SAS Cargo Group u. a. (C ‑403/22 P)
gegen
Europäische Kommission
„ Rechtsmittel – Wettbewerb – Kartelle – Europäischer Markt für Luftfracht – Art. 101 Abs. 1 AEUV und Art. 53 des EWR-Abkommens – Abstimmung von Preisbestandteilen für Luftfrachtdienste – Treibstoffaufschlag, Sicherheitsaufschlag und Verweigerung der Zahlung von Provisionen auf die Aufschläge – Einheitliche und fortgesetzte Zuwiderhandlung – Zuständigkeit der Kommission – Kriterium ‚der qualifizierten Auswirkungen‘ – Teilweise Nichtigerklärung des streitigen Beschlusses – Beweis für die Beteiligung an der Zuwiderhandlung – Gleichbehandlungsgrundsatz – Verjährung der Sanktionsbefugnis der Kommission – Geldbußen – Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung “
Inhaltsverzeichnis
I. Einleitung
II. Vorgeschichte des Rechtsstreits
A. Streitiges Kartell
B. Verfahren vor der Kommission und streitiger Beschluss
C. Verfahren vor dem Gericht und angefochtene Urteile
III. Verfahren vor dem Gerichtshof und Anträge der Parteien
IV. Würdigung
A. Zu den Rechtsmittelgründen betreffend die fehlende Zuständigkeit der Kommission für die Feststellung und Ahndung einer Zuwiderhandlung gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV und Art. 53 des EWR-Abkommens in Bezug auf die eingehenden Frachtdienste
1. Zur Zuständigkeit der Kommission für die Feststellung und Ahndung einer Zuwiderhandlung betreffend die eingehenden Frachtdienste allein im Hinblick auf das Kriterium der „qualifizierten Auswirkungen“
2. Zur Anwendung des Kriteriums der „qualifizierten Auswirkungen“
a) Zur Prüfung der qualifizierten Auswirkungen der Koordinierung der eingehenden Frachtdienste für sich genommen
1) Zum Kriterium der bezweckten Wettbewerbsbeschränkung als irrelevantes Kriterium
2) Zum Nachweis des Vorliegens qualifizierter Auswirkungen
i) Zum relevanten Beweismaß
ii) Zum Vorliegen qualifizierter Auswirkungen im vorliegenden Fall
– Zur Unmittelbarkeit der Wirkungen
– Zur Wesentlichkeit der Wirkungen
– Zur Vorhersehbarkeit der Wirkungen
b) Zur Verwendung des Begriffs der „einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung“ insgesamt
1) Zur Relevanz der Prüfung der qualifizierten Auswirkungen der Koordinierung der eingehenden Frachtdienste im Hinblick auf die einheitliche und fortgesetzte Zuwiderhandlung insgesamt
2) Zum Nachweis der Auswirkungen der einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung insgesamt
3) Zur Verwendung des Begriffs „Kartell auf globaler Ebene“
3. Zu bestimmten Verfahrensfehlern der angefochtenen Urteile
a) Zur Auswechslung der Begründung
b) Zur Verletzung der Verteidigungsrechte
c) Zur Umkehr der Beweislast
B. Zu den Rechtsmittelgründen betreffend die Begründetheit des streitigen Beschlusses
1. Zur Beteiligung an der einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung
a) Zur Haftung von Air Canada für nicht relevante Strecken
b) Zum Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung in Bezug auf Cargolux
c) Zur Haftung von Cargolux für den Sicherheitsaufschlag
d) Zu den Fehlern bei der Beweiswürdigung in Bezug auf Cathay Pacific Airways
2. Zur (nur) teilweisen Nichtigerklärung des streitigen Beschlusses in Bezug auf LATAM Airlines Group und Lan Cargo
3. Zur Verjährung der Sanktionsbefugnis der Kommission in Bezug auf Air Canada und Singapore Airlines
C. Zur Ausübung der Befugnis des Gerichts zu unbeschränkter Nachprüfung in Bezug auf SAS Cargo Group
1. Zum Anspruch auf rechtliches Gehör und zum Grundsatz des kontradiktorischen Verfahrens
2. Zur Begründungspflicht
3. Zum Grundsatz ne ultra petita
4. Zur Unschuldsvermutung und zum Gleichbehandlungsgrundsatz
V. Ergebnis
I. Einleitung
1. Die vorliegenden Schlussanträge betreffen eine Reihe von 13 Rechtsmitteln von Fluggesellschaften (im Folgenden: Rechtsmittelführerinnen)(2 ) gegen Urteile des Gerichts der Europäischen Union vom 30. März 2022 (im Folgenden: angefochtene Urteile)(3 ), die Klagen auf Nichtigerklärung des Beschlusses der Europäischen Kommission vom 17. März 2017 (im Folgenden: streitiger Beschluss)(4 ) zu einem Kartell in Form einer einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung auf dem Markt für Luftfrachtdienste (im Folgenden: streitiges Kartell) betrafen.
2. Das streitige Kartell, das insgesamt in der Zeit vom 7. Dezember 1999 bis zum 14. Februar 2006 durchgeführt wurde, wurde von der Kommission auf der Grundlage von Art. 101 AEUV, Art. 53 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) und Art. 8 des Abkommens zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über den Luftverkehr (im Folgenden: Abkommen EG-Schweiz über den Luftverkehr) geahndet und betrifft die Frachtdienste auf den folgenden Strecken: zwischen Flughäfen innerhalb des EWR (im Folgenden: EWR-interne Strecken), zwischen Flughäfen innerhalb der Europäischen Union und Flughäfen außerhalb des EWR (im Folgenden: Strecken Union-Drittländer), zwischen Flughäfen in Ländern, die Vertragsparteien des EWR-Abkommens und keine Mitglieder der Union sind, und Flughäfen in Drittländern (im Folgenden: Strecken EWR [ohne Union]-Drittländer und – zusammen mit den Strecken Union-Drittländer – Strecken EWR-Drittländer) sowie zwischen Flughäfen innerhalb der Union und schweizerischen Flughäfen (im Folgenden: Strecken Union-Schweiz).
3. Die vorliegenden Schlussanträge, die sich mit verschiedenen Rechtsmittelgründen gezielt befassen, beziehen sich hauptsächlich auf die Zuständigkeit der Kommission für die Feststellung und Ahndung einer einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung gegen Art. 101 AEUV und Art. 53 des EWR-Abkommens betreffend Frachtdienste auf Strecken mit Abflug in Drittländern und Ankunft im EWR (im Folgenden: eingehende Strecken und eingehende Frachtdienste) und insbesondere auf die Anwendung des Kriteriums der „qualifizierten Auswirkungen“ im Gebiet des EWR auf außerhalb des EWR durchgeführte Vereinbarungen. Die Hauptprobleme, die mit diesen Rechtsmitteln aufgeworfen werden, betreffen:
– die Frage, ob das Kriterium „der qualifizierten Auswirkungen“ ausreicht, um die Zuständigkeit der Kommission für die Feststellung und Ahndung einer Zuwiderhandlung gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV und Art. 53 des EWR-Abkommens im Hinblick auf eingehende Frachtdienste zu untermauern, sowie das insoweit erforderliche Beweismaß und die Anwendung dieses Kriteriums im vorliegenden Fall, insbesondere im Licht des Urteils vom 6. September 2017, Intel/Kommission(5 );
– die Frage, ob der Begriff „einheitliche und fortgesetzte Zuwiderhandlung“ implizit voraussetzt, dass jedes Element, das diese Zuwiderhandlung bildet, individuell geprüft eine Zuwiderhandlung gegen Art. 101 AEUV und Art. 53 des EWR-Abkommens darstellen kann, und ob dieser Begriff für die Beurteilung der Zuständigkeit der Kommission für die Feststellung und Ahndung einer Zuwiderhandlung gegen diese Bestimmungen im Hinblick auf eingehende Frachtdienste, insbesondere im Licht des Urteils vom 16. Juni 2022, Sony Corporation und Sony Electronics/Kommission(6 ), relevant ist.
II. Vorgeschichte des Rechtsstreits
4. Soweit für die vorliegenden Schlussanträge relevant, lassen sich der Sachverhalt und der rechtliche Rahmen der Rechtssachen, die Gegenstand der Rechtsmittel sind, wie sie im streitigen Beschluss und in den angefochtenen Urteilen dargestellt sind, wie folgt zusammenfassen.
A. Streitiges Kartell
5. Im Frachtsektor wird der Transport von Ladungen auf dem Luftweg durch Fluggesellschaften (im Folgenden: Transportunternehmen) sichergestellt und in der Regel auf einem Markt auf verschiedenen Ebenen durchgeführt: im Vorfeld erbringen die Transportunternehmen Frachtdienste für Spediteure, im Gegenzug für einen Preis, der sich zum einen aus Tarifen, die pro Kilogramm berechnet werden, und zum anderen aus Aufschlägen zusammensetzt, mit denen bestimmte Kosten abgedeckt werden sollen; danach organisieren die Spediteure die Beförderung dieser Ladungen im Namen der Absender. Damit die Transportunternehmen in der Lage sind, alle wichtigen Frachtdestinationen weltweit in hinreichender Frequenz zu bedienen, haben sie ein System von Vereinbarungen, auch im Rahmen umfassenderer Handelsallianzen zwischen Transportunternehmen, geschlossen.
6. Das streitige Kartell betrifft die folgenden drei Elemente: die Einführung und Verwaltung eines Aufschlags, um den steigenden Treibstoffkosten zu begegnen (im Folgenden: Treibstoffaufschlag)(7 ) und ein Aufschlag, um den Kosten bestimmter nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 angenommener Sicherheitsmaßnahmen zu begegnen (im Folgenden: Sicherheitsaufschlag)(8 ), sowie die Verweigerung der Zahlung von Provisionen auf die Aufschläge (im Folgenden: Verweigerung der Zahlung von Provisionen)(9 ).
B. Verfahren vor der Kommission und streitiger Beschluss
7. Nach einer 2005 eingeleiteten Untersuchung(10 ), und im Anschluss an eine Mitteilung der Beschwerdepunkte vom 19. Dezember 2007 (im Folgenden: Mitteilung der Beschwerdepunkte)(11 ), erließ die Kommission am 9. November 2010 einen ersten Beschluss (im Folgenden: Beschluss von 2010)(12 ) mit dem sie das Vorliegen einer einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung gegen Art. 101 AEUV, Art. 53 des EWR-Abkommens und Art. 8 des Abkommens EG-Schweiz über den Luftverkehr insbesondere betreffend den Treibstoffaufschlag, den Sicherheitsaufschlag und die Verweigerung der Zahlung von Provisionen feststellte(13 ).
8. Nachdem das Gericht den Beschluss von 2010 mit Urteilen vom 16. Dezember 2015(14 ) wegen Begründungsmängeln ganz oder teilweise für nichtig erklärt hatte, nahm die Kommission das Verfahren wieder auf und erließ am 17. März 2017 gegenüber 19 Transportunternehmen (im Folgenden: beschuldigte Transportunternehmen), darunter die Rechtsmittelführerinnen, den streitigen Beschluss(15 ). Mit diesem Beschluss stellte die Kommission eine einheitliche und fortgesetzte Zuwiderhandlung gegen Art. 101 AEUV, Art. 53 des EWR-Abkommens und Art. 8 des Abkommens EG-Schweiz über den Luftverkehr fest, mit der diese Transportunternehmen ihr Verhalten bei der Festsetzung von Preisen für die weltweite Erbringung von Frachtdiensten mittels des Treibstoffaufschlags, des Sicherheitsaufschlags und der Verweigerung der Zahlung von Provisionen untereinander abgestimmt hätten.
9. Erstens beschrieb und analysierte die Kommission die Grundprinzipien und die Struktur des streitigen Kartells, indem sie ausführte, dass die Untersuchung ein weltweit tätiges Kartell ergeben habe, das auf ein Netz bilateraler und multilateraler Kontakte zwischen Wettbewerbern über einen langen Zeitraum gestützt gewesen sei, dessen gemeinsames Ziel darin bestanden habe, ihr Verhalten im Hinblick auf verschiedene Elemente des Preises für Frachtdienste, nämlich den Treibstoffaufschlag, den Sicherheitsaufschlag und die Verweigerung der Zahlung von Provisionen, abzustimmen(16 ).
10. Zweitens wandte die Kommission Art. 101 AEUV, Art. 53 des EWR-Abkommens und Art. 8 des Abkommens EG-Schweiz über den Luftverkehr auf den vorliegenden Sachverhalt an(17 ).
11. Zunächst prüfte sie die Grenzen ihrer räumlichen und zeitlichen Zuständigkeit für die Feststellung und Ahndung eines Verstoßes gegen die Wettbewerbsregeln im vorliegenden Fall und gelangte zu dem Schluss, dass sie zunächst Art. 101 AEUV nicht auf Vereinbarungen und Verhaltensweisen aus der Zeit vor dem 1. Mai 2004 betreffend die Strecken Union-Drittländer(18 ), Art. 53 des EWR-Abkommens nicht auf Vereinbarungen und Verhaltensweisen aus der Zeit vor dem 19. Mai 2005 betreffend die Strecken EWR-Drittländer(19 ) und Art. 8 des Abkommens EG–Schweiz über den Luftverkehr nicht auf Vereinbarungen und Verhaltensweisen aus der Zeit vor dem 1. Juni 2002 betreffend die Strecken Union-Schweiz(20 ) anwende.
12. Außerdem hat die Kommission in Beantwortung des Vorbringens, mit dem die extraterritoriale Anwendung von Art. 101 AEUV und Art. 53 des EWR-Abkommens auf die eingehenden Frachtdienste beanstandet wurde(21 ), nach einem Hinweis darauf, dass diese Bestimmungen auf Vereinbarungen anwendbar seien, die innerhalb der Union oder des EWR durchgeführt werden (nach dem sogenannten Kriterium „der Durchführung“) oder die sofortige, erhebliche und vorhersehbare Wirkungen innerhalb der Union oder des EWR haben (nach dem sogenannten Kriterium „der qualifizierten Auswirkungen“)(22 ), festgestellt, dass diese beiden Kriterien im vorliegenden Fall erfüllt seien.
13. Zum einen war das Kriterium der Durchführung erfüllt, da das streitige Kartell im EWR angewandt wurde: Die fraglichen Dienste wurden teilweise im EWR erbracht, und zahlreiche Kontakte, mit denen die Adressaten die Aufschläge und die Nichtzahlung von Provisionen koordiniert hatten, fanden innerhalb des EWR oder unter Einbeziehung von Teilnehmern statt, die sich im EWR befinden(23 ).
14. Zum anderen war das Kriterium der qualifizierten Auswirkungen aus drei Gründen erfüllt. Die ersten beiden Gründe, die im 1045. Erwägungsgrund des streitigen Beschlusses angeführt sind, betrafen die Auswirkungen der Koordinierung der eingehenden Frachtdienste für sich genommen , während der dritte im 1046. Erwägungsgrund des streitigen Beschlusses angeführte Grund die Auswirkungen der einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung insgesamt betraf. Insbesondere:
– hing der erste Grund damit zusammen, dass sich erhöhte Kosten für den Luftverkehr in den EWR und somit höhere Preise für eingeführte Waren naturgemäß auf die Verbraucher im EWR auswirken konnten;
– betraf der zweite Grund die Auswirkungen der Koordinierung der eingehenden Frachtdienste auch auf die Erbringung von Frachtdiensten innerhalb des EWR – zwischen den von Transportunternehmen aus Drittländern genutzten Luftkreuzen („Hubs“) im EWR und den Zielflughäfen der Sendungen im EWR, die von diesen Unternehmen nicht bedient wurden – durch andere Transportunternehmen;
– bestand der dritte Grund darin, dass das Kartell weltweit umgesetzt worden war und dass die Absprachen dieses Kartells betreffend die eingehenden Strecken wesentlicher Bestandteil der einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung waren(24 ).
15. In erster Linie stellte die Kommission zunächst fest, dass die beschuldigten Transportunternehmen(25 ) ihr Verhalten untereinander abgestimmt oder die Preisgestaltung beeinflusst hätten, was letztlich auf eine Preisabsprache im Zusammenhang mit dem Treibstoffaufschlag, dem Sicherheitsaufschlag und der Verweigerung der Zahlung von Provisionen hinausgelaufen sei(26 ). Sie gelangte zu dem Schluss, dass das fragliche Verhalten eine einheitliche und fortgesetzte Zuwiderhandlung gegen Artikel 101 AEUV darstelle(27 ) sowie eine bezweckte Wettbewerbsbeschränkung zumindest innerhalb der Union, im EWR und in der Schweiz(28 ).
16. Sodann kam die Kommission zu dem Ergebnis, dass die einheitliche und fortgesetzte Zuwiderhandlung geeignet sei, den Handel zwischen Mitgliedstaaten, den Vertragsparteien des EWR-Abkommens und den Vertragsparteien des Abkommens EG–Schweiz über den Luftverkehr spürbar zu beeinträchtigen(29 ) und sie schloss aus, dass das streitige Kartell unter eine Ausnahme im Sinne von Art. 107 Abs. 3 AEUV fallen könne(30 ).
17. Schließlich bestimmte die Kommission die Gesamtdauer der Zuwiderhandlung, indem sie feststellte, dass das streitige Kartell am 7. Dezember 1999 begonnen und bis zum 14. Februar 2006 gedauert habe(31 ), sowie die Dauer dieser Zuwiderhandlung für jede Rechtsmittelführerin(32 ).
18. Drittens verhängte die Kommission schließlich Abhilfemaßnahmen und Geldbußen(33 ).
C. Verfahren vor dem Gericht und angefochtene Urteile
19. Mit Klageschriften, die am 29., 30. und 31. Mai 2017 bei der Kanzlei des Gerichts eingingen, erhoben die Rechtsmittelführerinnen Klagen auf vollständige oder teilweise Nichtigerklärung des streitigen Beschlusses, soweit er sie betrifft, sowie auf Aufhebung oder Herabsetzung der verhängten Geldbuße.
20. Zur Stützung ihrer Klagen machten die Rechtsmittelführerinnen u. a. Klagegründe geltend, die die Zuständigkeit der Kommission(34 ), Verfahrensverstöße und die Begründetheit des streitigen Beschlusses betrafen. Das Gericht hat später von Amts wegen den Klagegrund einer fehlenden Zuständigkeit der Kommission für die Feststellung und Ahndung einer Zuwiderhandlung gegen Art. 53 des EWR-Abkommens auf den Strecken EWR (ohne Union)-Schweiz nach dem Abkommen EG-Schweiz über den Luftverkehr geprüft.
21. In den angefochtenen Urteilen wies das Gericht die Klagen von Martinair, KLM, Cargolux, Air France-KLM, Air France, Lufthansa und Singapore Airlines Cargo ab(35 ). Dagegen erklärte es den streitigen Beschluss teilweise für nichtig und setzte die Geldbuße im Hinblick auf die Beteiligung bestimmter Transportunternehmen an der Zuwiderhandlung auf folgenden Strecken herab:
– betreffend Japan Airlines und Cathay Pacific Airways auf den EWR-internen Strecken und den Strecken Union-Schweiz(36 );
– betreffend Air Canada auf den EWR-internen Strecken, den Strecken Union-Drittländer und den Strecken EWR (ohne Union)-Drittländer hinsichtlich des Bestandteils der einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung im Zusammenhang mit der Verweigerung der Zahlung von Provisionen(37 );
– betreffend British Airways zum einen auf den EWR-internen Strecken und den Strecken Union-Drittländer hinsichtlich des Bestandteils der einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung im Zusammenhang mit der Verweigerung der Zahlung von Provisionen und zum anderen auf den Strecken EWR (ohne Union)-Drittländer(38 );
– betreffend LATAM Airlines Group und Lan Cargo zum einen auf den EWR-internen Strecken und den Strecken EWR (ohne Union)-Drittländer und zum anderen auf den Strecken Union-Drittländer hinsichtlich des Sicherheitsaufschlags und der Verweigerung der Zahlung von Provisionen sowie des Treibstoffaufschlags vor dem 22. Juli 2005(39 );
– betreffend SAS Cargo Group zum einen auf den EWR-internen Strecken, den Strecken Union-Drittländer und den Strecken EWR (ohne Union)-Drittländer hinsichtlich der Verweigerung der Zahlung von Provisionen und zum anderen auf den Strecken Union-Drittländer und den Strecken EWR (ohne Union)-Drittländer von Thailand aus zwischen dem 20. Juli 2005 und dem 14. Februar 2006 betreffend den Treibstoffaufschlag(40 ).
III. Verfahren vor dem Gerichtshof und Anträge der Parteien
22. Mit Schriftsätzen, die zwischen dem 7. und 17. Juni 2023 bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingegangen sind, haben die Rechtsmittelführerinnen Rechtsmittel gegen die angefochtenen Urteile eingelegt. Sie beantragen im Wesentlichen,
– die angefochtenen Urteile aufzuheben;
– folglich den streitigen Beschluss, soweit er sie betrifft, für nichtig zu erklären oder hilfsweise die Geldbuße herabzusetzen;
– hilfsweise, die Rechtssache an das Gericht zurückzuverweisen, und
– der Kommission die Kosten beider Rechtszüge auferlegen.
23. Die Kommission beantragt,
– die Rechtsmittel zurückzuweisen und den Rechtsmittelführerinnen die Kosten aufzuerlegen;
– hilfsweise, falls den Rechtsmitteln stattgegeben wird, die Rechtssachen an das Gericht zurückzuverweisen und die Kostenentscheidung vorzubehalten.
24. Die Parteien haben auch in den mündlichen Verhandlungen, die vom 10. bis 22. April 2024 stattgefunden haben, die Fragen des Gerichtshofs beantwortet.
IV. Würdigung
25. Die von den Rechtsmittelführerinnen eingelegten Rechtsmittel gliedern sich in eine Reihe von Rechtsmittelgründen, die sich weitgehend überschneiden. Die vorliegenden Schlussanträge beziehen sich auf folgende Rechtsmittelgründe:
– die Rechtsmittelgründe betreffend die Zuständigkeit der Kommission (Abschnitt A), nämlich die Zuständigkeit der Kommission für die Feststellung einer Zuwiderhandlung betreffend die eingehenden Frachtdienste allein im Hinblick auf das Kriterium der „qualifizierten Auswirkungen“ (1), die Anwendung dieses Kriteriums der „qualifizierten Auswirkungen“ (2), sowie bestimmte formale Mängel der angefochtenen Urteile (3);
– bestimmte Rechtsmittelgründe, die die Prüfung der Begründetheit des streitigen Beschlusses durch das Gericht betreffen (Abschnitt B), nämlich die Beteiligung an der „einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung“ (1), die (nur) teilweise Nichtigerklärung dieses Beschlusses (2), die Verjährung der Sanktionsbefugnis der Kommission (3);
– die Rechtsmittelgründe betreffend die Ausübung der Befugnis des Gerichts zu unbeschränkter Nachprüfung (Abschnitt C).
A. Zu den Rechtsmittelgründen betreffend die fehlende Zuständigkeit der Kommission für die Feststellung und Ahndung einer Zuwiderhandlung gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV und Art. 53 des EWR-Abkommens in Bezug auf die eingehenden Frachtdienste
26. Im streitigen Beschluss bestätigte die Kommission ihre Zuständigkeit für die Feststellung und Ahndung einer Zuwiderhandlung gegen Art. 101 AEUV und Art. 53 des EWR-Abkommens in Bezug auf die Koordinierung der eingehenden Frachtdienste (im Folgenden: extraterritoriale Zuständigkeit der Kommission(41 )), da sowohl das Kriterium der Durchführung als auch das der qualifizierten Auswirkungen erfüllt seien(42 ).
27. In den angefochtenen Urteilen hat das Gericht entschieden, dass sich die extraterritoriale Zuständigkeit der Kommission entweder mit dem Kriterium der Durchführung oder mit dem Kriterium der qualifizierten Auswirkungen begründen lasse(43 ) und dass diese Kriterien alternativ seien(44 ). Es schloss daraus, dass im vorliegenden Fall das Kriterium der qualifizierten Auswirkungen erfüllt und daher die Anwendung des Kriteriums der Durchführung nicht zu prüfen sei(45 ).
28. Die Rechtsmittelführerinnen treten dieser Analyse entgegen und machen im Wesentlichen zwei Reihen von Argumenten geltend. Mit der ersten wird geltend gemacht, dass die Zuständigkeit der Kommission nicht allein auf die Anwendung des Kriteriums der qualifizierten Auswirkungen habe gestützt werden dürfen (1) und mit der zweiten werden Fehler bei der Anwendung dieses Kriteriums gerügt (2). Sie machen auch Rechtsmittelgründe oder Rügen in Bezug auf bestimmte Verfahrensfehler der angefochtenen Urteile geltend, die zuletzt zu prüfen sind (3).
1. Zur Zuständigkeit der Kommission für die Feststellung und Ahndung einer Zuwiderhandlung betreffend die eingehenden Frachtdienste allein im Hinblick auf das Kriterium der „qualifizierten Auswirkungen“
29. Mehrere Rechtsmittelführerinnen(46 ) werfen dem Gericht vor, einen Rechtsfehler begangen zu haben, indem es die extraterritoriale Zuständigkeit der Kommission allein anhand des Kriteriums der qualifizierten Auswirkungen beurteilt habe, das eine notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung für die Feststellung dieser Zuständigkeit darstelle, ohne die wettbewerbswidrigen Auswirkungen innerhalb des Binnenmarkts anhand des Kriteriums der Durchführung zu prüfen(47 ). Zum einen sei das Kriterium der qualifizierten Auswirkungen nur ein Kriterium des Völkerrechts zur Bestimmung des für die Regulierung eines Verhaltens in einem Drittland anwendbaren nationalen Rechts (im vorliegenden Fall das Unionsrecht) und kein Kriterium, das es erlaube, die extraterritoriale Zuständigkeit der Kommission nach dem Unionsrecht zu prüfen(48 ). Zum anderen sei das Kriterium der Durchführung, das vom Gericht nicht geprüft worden sei, das für die Feststellung der extraterritorialen Zuständigkeit der Kommission unerlässliche Kriterium des Unionsrechts(49 ), was die Definition des relevanten Marktes, die Analyse des wirtschaftlichen und rechtlichen Zusammenhangs und die Prüfung des kontrafaktischen Szenarios erfordere.
30. Es ist daher zu prüfen, ob das Gericht zu Recht entschieden hat, dass das Kriterium der qualifizierten Auswirkungen als solches unter den Umständen des vorliegenden Falles als Grundlage für die Zuständigkeit der Kommission dienen konnte.
31. Ich weise darauf hin, dass das Kriterium der qualifizierten Auswirkungen , auch wenn es an einer gefestigten und geteilten Formulierung fehlt(50 ), im Völkerrecht allgemein(51 ) als gerichtlicher Grundsatz anerkannt ist, der es erlaubt, das nationale Wettbewerbsrecht anzuwenden, wenn im Inland wirtschaftliche Auswirkungen von Verhaltensweisen außerhalb dieses Gebiets von ebenfalls außerhalb dieses Gebiets ansässigen Unternehmen vorliegen (d. h. die „extraterritoriale“ Anwendung dieses Rechts)(52 ), was von den Parteien nicht in Frage gestellt zu werden scheint(53 ).
32. Dagegen sind der Ursprung und die Natur des Kriteriums der Durchführung umstritten. Nach Ansicht der Rechtsmittelführerinnen ergebe sich dieses Kriterium hauptsächlich aus dem Zellstoff-Urteil und sei kein Kriterium des Völkerrechts, sondern ein Begriff des Unionsrechts, den der Gerichtshof entwickelt habe, um die Anwendung von Art. 101 AEUV festzustellen. Ich habe jedoch nicht den Eindruck, dass der Gerichtshof im Zellstoff-Urteil ein zusätzliches Kriterium einführen wollte, um diese Zuständigkeit zu begründen(54 ) oder jedenfalls weder ein ausschließliches, kumulatives oder höherrangiges Kriterium als das der qualifizierten Auswirkungen für die Begründung der Zuständigkeit der Kommission einführen wollte, wie der Gerichtshof dies im Urteil Intel implizit anerkannt hat(55 ).
33. Nach dieser Klarstellung scheint mir, dass die Rechtsmittelführerinnen zum einen die Frage der extraterritorialen Zuständigkeit der Kommission nach dem Völkerrecht und zum anderen die Anwendung von Art. 101 AEUV und Art. 53 des EWR-Abkommens auf den vorliegenden Fall, d. h. die Frage des wettbewerbswidrigen Charakters des streitigen Kartells innerhalb des Binnenmarkts, verwechseln(56 ).
34. Die Kommission ist nämlich für die Anwendung der Wettbewerbsregeln der Union und des EWR zuständig, soweit der AEU-Vertrag und das EWR-Abkommen anwendbar sind. Zwar unterliegt die „extraterritoriale“ Anwendung dieser Regeln den Voraussetzungen des Völkerrechts und damit u. a. dem Kriterium der qualifizierten Auswirkungen, doch unterliegt die Zuständigkeit der Kommission für die Feststellung und Ahndung eines Verstoßes gegen Art. 101 AEUV und Art. 53 des EWR-Abkommens im Sinne des Unionsrechts nur dem (materiellen) Kriterium der (bezweckten oder bewirkten) Wettbewerbsbeschränkung innerhalb des Binnenmarkts.
35. Die Klägerinnen versuchen, diesen Aspekt zu umgehen, indem sie geltend machen, dass die Bezugnahme in Art. 101 AEUV und Art. 53 des EWR-Abkommens auf die Einschränkung des Wettbewerbs „innerhalb des Binnenmarkts“ im Wesentlichen ein Zuständigkeitskriterium einführe, das die Kommission verpflichte, nachzuweisen, dass das beanstandete Verhalten konkrete Auswirkungen auf den Binnenmarkt habe, bevor sie nach diesen Bestimmungen das Vorliegen einer bezweckten oder bewirkten Wettbewerbsbeschränkung beurteilen könne. Diese Auslegung scheint mir dem Wortlaut und dem Zweck dieser Bestimmungen zuwiderzulaufen, da sie eine künstliche Unterscheidung zwischen den Auswirkungen des beanstandeten Verhaltens innerhalb des Binnenmarkts zum einen (Kriterium, das angeblich die Zuständigkeit der Kommission zur Verfolgung eines solchen Verhaltens betrifft) und dem Vorliegen einer bezweckten oder bewirkten Wettbewerbsbeschränkung zum anderen (materielles Kriterium betreffend die Anwendung der fraglichen Bestimmung) einführt. Die Bezugnahme in diesen Bestimmungen auf die Auswirkungen auf den Binnenmarkt stellt meines Erachtens aber kein Kriterium dar, das speziell die Zuständigkeit der Kommission regelt(57 ), sondern ist vielmehr eines der Elemente des materiellen Kriteriums für die Anwendung der fraglichen Bestimmungen.
36. Meines Erachtens war die Kommission nur im Hinblick auf das Völkerrecht (und damit im Licht des Kriteriums der qualifizierten Auswirkungen) verpflichtet, ihre extraterritoriale Zuständigkeit zu begründen. Nachdem die Kommission festgestellt hatte, dass diese Voraussetzung erfüllt war, konnte sie anschließend jeden Verstoß gegen Art. 101 AEUV und Art. 53 des EWR-Abkommens feststellen und ahnden, vorausgesetzt, das beanstandete Verhalten erfüllt die in diesen Bestimmungen vorgesehenen materiellen Voraussetzungen, einschließlich der einer bezweckten oder bewirkten Wettbewerbsbeschränkung innerhalb des Binnenmarkts.
37. Im Ergebnis bin ich der Ansicht, dass das Gericht keinen Rechtsfehler begangen hat, als es die extraterritoriale Zuständigkeit der Kommission allein im Hinblick auf das Kriterium der qualifizierten Auswirkungen festgestellt hat. Daher ist nunmehr zu prüfen, ob das Gericht Fehler begangen hat, als es feststellte, dass die Kommission dieses Kriterium richtig angewandt habe.
2. Zur Anwendung des Kriteriums der „qualifizierten Auswirkungen“
38. In den angefochtenen Urteilen hat das Gericht festgestellt, dass sich die Kommission im streitigen Beschluss für ihre Feststellung, dass das Kriterium der qualifizierten Auswirkungen erfüllt sei, auf drei Gründe gestützt habe, wobei die ersten beiden Gründe die Auswirkungen der Koordinierung der eingehenden Frachtdienste für sich genommen betroffen hätten (1045. Erwägungsgrund des streitigen Beschlusses) und der dritte Grund die Auswirkungen der einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung insgesamt (1046. Erwägungsgrund dieses Beschlusses)(58 ). In diesen Urteilen stellte das Gericht den ersten und den dritten Grund fest und ging davon aus, dass der zweite nicht zu prüfen sei(59 ).
39. Die Rechtsmittelführerinnen wenden sich gegen die Würdigung des Gerichts zum einen hinsichtlich des Nachweises der qualifizierten Auswirkungen der Koordinierung der eingehenden Frachtdienste für sich genommen (der erste von der Kommission angeführte Grund) (a) und zum anderen die Verwendung des Begriffs der „einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung“ insgesamt (der dritte von der Kommission angeführte Grund) (b)(60 ).
a) Zur Prüfung der qualifizierten Auswirkungen der Koordinierung der eingehenden Frachtdienste für sich genommen
40. In Bezug auf den ersten von der Kommission im 1045. Erwägungsgrund des streitigen Beschlusses angeführten Grund werfen mehrere Rechtsmittelführerinnen(61 ) dem Gericht vor, Rechtsfehler begangen zu haben, indem es erstens die Feststellung der Kommission bestätigt habe, dass die Koordinierung der eingehenden Frachtdienste als bezweckte Wettbewerbsbeschränkung eingestuft werden könne, so dass sie nicht verpflichtet gewesen sei, eine Beurteilung der wettbewerbswidrigen Wirkungen vorzunehmen (1), und zweitens indem es davon ausgegangen sei, dass die Kommission nachgewiesen habe, dass dieses Verhalten qualifizierte Auswirkungen habe, d. h. sofortige, erhebliche und vorhersehbare Wirkungen im EWR (2).
1) Zum Kriterium der bezweckten Wettbewerbsbeschränkung als irrelevantes Kriterium
41. Nach Ansicht der Rechtsmittelführerinnen ist das Vorliegen einer bezweckten Wettbewerbsbeschränkung, wie es von der Kommission festgestellt und vom Gericht bestätigt worden sei, für die Prüfung des Kriteriums der qualifizierten Auswirkungen bei der Beurteilung der extraterritorialen Zuständigkeit der Kommission kein relevantes Kriterium. Die Prüfung dieser Zuständigkeit verfolge ein anderes Ziel als die Beurteilung des Vorliegens einer bezweckten Wettbewerbsbeschränkung und erfordere daher höhere Beweisanforderungen als diese. Folglich habe sich die Kommission einer Analyse der konkreten Auswirkungen der Koordinierung der eingehenden Frachtdienste nicht allein deshalb entziehen können, weil das beanstandete Verhalten eine bezweckte Wettbewerbsbeschränkung darstelle(62 ), und sie hätte prüfen müssen, ob zwischen diesem Verhalten und der behaupteten wettbewerbswidrigen Wirkung innerhalb des EWR ein Kausalzusammenhang bestehe(63 ).
42. Wie ich in den Nrn. 33 und 34 der vorliegenden Schlussanträge ausgeführt habe, ist zwischen der extraterritorialen Zuständigkeit der Kommission nach dem Völkerrecht zum einen und der Frage des wettbewerbswidrigen Charakters des streitigen Kartells innerhalb des Binnenmarkts zum anderen zu unterscheiden. Das Kriterium der qualifizierten Auswirkungen, auf das sich das Völkerrecht für die Zwecke der extraterritorialen Anwendung der Wettbewerbsregeln stützt, deckt sich nicht mit der Prüfung der bezweckten oder bewirkten Wettbewerbsbeschränkung im Hinblick auf die Anwendung dieser Bestimmungen(64 ). Es handelt sich schlicht um zwei verschiedene Elemente der Prüfung(65 ).
43. Im vorliegenden Fall hat die Kommission das Vorliegen völkerrechtlich qualifizierter Auswirkungen in den Erwägungsgründen 1045 und 1046 des streitigen Beschlusses geprüft, die zu dessen Abschnitt 5.3.8 gehören, der ihrer extraterritorialen Zuständigkeit gewidmet ist(66 ). In diesen Erwägungsgründen hat sich die Kommission nicht auf das Vorliegen einer bezweckten Wettbewerbsbeschränkung gestützt. In anderen Erwägungsgründen dieses Beschlusses vertrat die Kommission zwar die Auffassung, dass sie die konkreten wettbewerbswidrigen Auswirkungen des Verhaltens der beschuldigten Transportunternehmen nicht zu beurteilen brauche, da sie sich auf den wettbewerbswidrigen Zweck dieses Verhaltens gestützt habe, doch erfolgte dies in einem anderen Kontext und mit einem anderen Ziel. So vertrat die Kommission z. B. im 917. Erwägungsgrund dieses Beschlusses die Auffassung, dass es nicht erforderlich sei, tatsächliche wettbewerbswidrige Wirkungen darzutun, um einen Verstoß gegen Art. 101 AEUV und Art. 53 des EWR-Abkommens festzustellen. Sie hat dieses Argument nicht herangezogen, um vorab die extraterritoriale Anwendung dieser Bestimmungen im Hinblick auf das Völkerrecht zu untermauern. Im Übrigen findet sich diese Erwägung in Abschnitt 5.3.3 des streitigen Beschlusses, der der (materiellen) Prüfung der Wettbewerbsbeschränkung gewidmet ist(67 ).
44. In den angefochtenen Urteilen hat das Gericht das Kriterium der qualifizierten Auswirkungen im Wesentlichen dahin ausgelegt, dass dieses Kriterium „nicht den Nachweis [verlangt], dass das streitige Verhalten Wirkungen entfaltet hat, die sich tatsächlich im Binnenmarkt oder innerhalb des EWR materialisiert haben“, sondern dass „[es n]ach der Rechtsprechung … vielmehr aus[reicht], die wahrscheinlichen Auswirkungen dieses Verhaltens auf den Wettbewerb zu berücksichtigen“(68 ).
45. Im Licht dieser Ausführungen teile ich das Vorbringen der Rechtsmittelführerinnen nicht, wonach das Gericht davon ausgegangen sei, dass die Kommission, nachdem sie das fragliche Verhalten als bezweckte Wettbewerbsbeschränkung eingestuft habe, nicht mehr habe nachweisen müssen, dass dieses Verhalten qualifizierte Auswirkungen gehabt habe.
46. Zwar hat das Gericht in einer Passage, die zu Verwirrung führen könnte, ausgeführt, dass „[b]ei einem Verhalten, in Bezug auf das die Kommission, wie im vorliegenden Fall, die Auffassung vertreten hat, dass es eine solche Beeinträchtigung des Wettbewerbs im Binnenmarkt oder innerhalb des EWR darstelle, dass es als ‚bezweckte‘ Wettbewerbsbeschränkung im Sinne von Art. 101 AEUV und Art. 53 des EWR-Abkommens eingestuft werden könne, … die Anwendung des Kriteriums der qualifizierten Auswirkungen auch nicht den Nachweis der konkreten Auswirkungen verlangen [darf], den die Einstufung eines Verhaltens als ‚bezweckte‘ Wettbewerbsbeschränkung im Sinne dieser Vorschriften voraussetzt“(69 ).
47. Meines Erachtens wollte das Gericht in dieser Passage jedoch wahrscheinlich darauf hinweisen, dass es paradox wäre, eine Prüfung der bewirkten Wettbewerbsbeschränkung im Hinblick auf ein Verhalten zu verlangen, das als bezweckte Wettbewerbsbeschränkung eingestuft werden kann(70 ). Jedenfalls hat diese Passage keine Auswirkung auf den Kern der Erwägungen des Gerichts, da das Gericht in den folgenden Randnummern der angefochtenen Urteile zu Recht die Anwendung des Kriteriums der qualifizierten Auswirkungen durch die Kommission im Licht seiner Schlüsselelemente geprüft hat, d. h. der Vorhersehbarkeit, Wesentlichkeit und Unmittelbarkeit der Auswirkungen und nicht des etwaigen Vorliegens einer bezweckten Wettbewerbsbeschränkung(71 ).
48. Im Übrigen ist das Vorbringen der Rechtsmittelführerinnen, wonach eine Verhaltensweise, wenn sie außerhalb des EWR durchgeführt werde, keine Beschränkung des Wettbewerbs innerhalb des EWR bezwecken könne(72 ), nicht stichhaltig, da es die Richtigkeit der Tatsachenwürdigung des Gerichts hinsichtlich des Vorliegens einer Wettbewerbsverzerrung betrifft(73 ). Jedenfalls bin ich der Ansicht, dass es den Rechtsmittelführerinnen nicht gelungen ist, die Begründetheit dieses Arguments darzutun, da das Kartell, wie die Kommission festgestellt und das Gericht bestätigt hat, weltweit umgesetzt worden war und den gemeinsamen Zweck hatte, den Wettbewerb weltweit, einschließlich des EWR, zu beschränken.
49. Im Ergebnis bin ich der Ansicht, dass weder die Kommission noch das Gericht das Kriterium der bezweckten Wettbewerbsbeschränkung als relevantes Kriterium für die Beurteilung der extraterritorialen Zuständigkeit der Kommission herangezogen haben und dass das Vorbringen der Rechtsmittelführerinnen hierzu ins Leere geht.
2) Zum Nachweis des Vorliegens qualifizierter Auswirkungen
50. Nach Ansicht der Rechtsmittelführerinnen ist das Gericht zu Unrecht zu dem Ergebnis gelangt, dass die Kommission, die die Beweislast trage, im streitigen Beschluss nachgewiesen habe, dass das beanstandete Verhalten qualifizierte Auswirkungen habe, d. h. sofortige, erhebliche und vorhersehbare Wirkungen im EWR. Insbesondere habe sich das Gericht zum einen mit der Feststellung begnügt, dass die von der Kommission angeführten Auswirkungen lediglich auftreten „können“, indem es im Wesentlichen ein unangemessenes Beweismaß angewandt habe (i), und zum anderen sei die Würdigung der qualifizierten Auswirkungen durch das Gericht jedenfalls fehlerhaft, da die Auswirkungen des beanstandeten Verhaltens auf den Wettbewerb im EWR nicht sofortig, erheblich und vorhersehbar seien (ii).
i) Zum relevanten Beweismaß
51. Mit dem ersten im 1045. Erwägungsgrund des streitigen Beschlusses angeführten Grund gelangte die Kommission zu dem Schluss, dass die wettbewerbswidrigen Verhaltensweisen in Drittländern in Bezug auf die eingehenden Frachtdienste geeignet seien, sofortige, erhebliche und vorhersehbare Wirkungen innerhalb der Union und des EWR zu haben, da sich im Wesentlichen erhöhte Kosten für den Luftverkehr in den EWR und somit höhere Preise für eingeführte Waren „naturgemäß“ auf die Verbraucher im EWR auswirken „können“.
52. In den angefochtenen Urteilen führte das Gericht dieses Argument aus, indem es sich auf die Erwägungsgründe 14, 17 und 70 des streitigen Beschlusses und auf die Antworten der Parteien auf die prozessleitenden Maßnahmen stützte. Es stellte fest, dass die Transportunternehmen ihre Frachtdienste (nahezu) ausschließlich an Spediteure verkauften und dass die Spediteure beim Erwerb dieser Dienste insbesondere in ihrer Eigenschaft als Mittler auftraten und die Dienste in ein Dienstleistungspaket schnürten, dessen Zweck es war, den integrierten Warentransport in das EWR-Gebiet im Namen von Absendern zu organisieren, wobei es sich bei den Absendern u. a. um die Käufer oder die Eigentümer der beförderten Waren handeln konnte, die wahrscheinlich im EWR niedergelassen waren. Das Gericht vertrat die Ansicht, dass „sofern“ die Spediteure die etwaigen sich aus dem streitigen Kartell ergebenden Mehrkosten auf den Preis ihrer Dienstleistungspakete aufschlügen, sich die einheitliche und fortgesetzte Zuwiderhandlung auf den eingehenden Strecken u. a. auf den Wettbewerb auswirken könne, den sich die Spediteure lieferten, um die Klientel dieser Absender abzuschöpfen, wobei sich die fragliche Wirkung später im Binnenmarkt oder innerhalb des EWR konkretisieren könnte. Dementsprechend bestünden die Wirkungen des streitigen Verhaltens in den Mehrkosten, die die Spediteure möglicherweise zu tragen hatten, und in der Verteuerung der in den EWR eingeführten Waren, die sich daraus ergeben haben könne(74 ). Das Gericht schloss u. a. daraus, dass diese Wirkungen „zum gewöhnlichen Lauf der Dinge gehört [haben] und wirtschaftlich vernünftig gewesen [sind]“ oder zum „normalen Funktionieren des Marktes“ gehört hätten(75 ).
53. Die Rechtsmittelführerinnen beanstanden im Wesentlichen die „tolerante“ Haltung des Gerichts in Bezug auf das von der Kommission angewandte Beweismaß, das es der Kommission gestattet habe, ihre Zuständigkeit auf der Grundlage rein hypothetischer Auswirkungen zu begründen, was es ihr gestatte, jede beliebige Verletzung des Wettbewerbs weltweit zu verfolgen. Die Kommission habe keine Wettbewerbsbeschränkungen im Binnenmarkt festgestellt, obwohl sie hätte dartun müssen, dass die Auswirkungen nicht lediglich auftreten „können“, sondern „wahrscheinlich“ oder jedenfalls „eher wahrscheinlich als unwahrscheinlich“ seien.
54. Insoweit bin ich der Ansicht, dass sich die Kommission darauf stützen durfte, dass das beanstandete Verhalten, das außerhalb des EWR an den Tag gelegt wurde, qualifizierte Auswirkungen im EWR haben „konnte“. Um das Vorliegen qualifizierter Auswirkungen (und damit ihre extraterritoriale Zuständigkeit) nachzuweisen, war die Kommission daher nicht verpflichtet, das Vorliegen konkreter Auswirkungen, wie z. B. derjenigen, die für den Nachweis einer bewirkten Wettbewerbsbeschränkung im Sinne von Art. 101 AEUV erforderlich sind, nachzuweisen. Wie der Gerichtshof im Urteil Intel festgestellt hat, verfolgt das Kriterium der qualifizierten Auswirkungen den Zweck, Verhaltensweisen zu erfassen, die zwar nicht im Gebiet der Union stattgefunden haben, deren wettbewerbswidrige Auswirkungen aber auf dem Unionsmarkt zu spüren sein „können“(76 ).
55. Diese Feststellung wird nicht durch die Bezugnahme des Gerichts in den angefochtenen Urteilen auf Rn. 51 des Urteils Intel in Frage gestellt, die sich auf die „wahrscheinlichen Auswirkungen“ des beanstandeten Verhaltens auf den Wettbewerb bezieht(77 ). Die Rechtsmittelführerinnen ziehen daraus den Schluss, dass es nicht ausreiche, dass diese Auswirkungen auftreten „können“ (entgegen dem Beweismaß, das für den Nachweis einer bezweckten Wettbewerbsbeschränkung erforderlich sei), sondern dass die Wahrscheinlichkeitsschwelle nur erreicht werde, wenn nachgewiesen worden sei, dass es „eher wahrscheinlich als unwahrscheinlich“ sei, dass die Verhaltensweise eine wettbewerbswidrige Auswirkung habe. Nach der Systematik des Urteils Intelfügt sich jedoch die Prüfung der Vorhersehbarkeit der Auswirkungen ebenso wie die Prüfung ihrer Unmittelbarkeit und Wesentlichkeit in die Gesamtanalyse des Kriteriums der qualifizierten Auswirkungen ein, für die der Gerichtshof u. a. in Rn. 45 dieses Urteils klargestellt hat, dass es sich um Auswirkungen handelt, die auf dem Binnenmarkt auftreten „können“. In diesem Sinne ist meines Erachtens die Bezugnahme auf Rn. 51 dieses Urteils in den angefochtenen Urteilen auszulegen.
56. Wenn sich die Kommission außerdem in Bezug auf den Nachweis eines wettbewerbswidrigen Verhaltens auf die Feststellung beschränken kann, dass die beanstandete Verhaltensweise einen wettbewerbswidrigen Zweck verfolgt, ohne dass sie das Vorliegen konkreter Auswirkungen auf den Markt nachweisen müsste, erscheint es mir umso vernünftiger, dass die Kommission zum vorherigen Nachweis ihrer Zuständigkeit nicht verpflichtet ist, nachzuweisen, dass das außerhalb des Binnenmarkts durchgeführte beanstandete Verhalten dort konkrete Auswirkungen hat. Andernfalls wäre es paradox, dass z. B. selbst eine bezweckte Wettbewerbsbeschränkung im Wesentlichen als bewirkte Wettbewerbsbeschränkung behandelt würde, wenn sie in einem extraterritorialen Kontext erfolgt.
57. Im Ergebnis bin ich der Ansicht, dass es entgegen dem Vorbringen der Parteien Sache der Kommission war, anzugeben, dass die in Rede stehenden Verhaltensweisen qualifizierte Auswirkungen auf den Wettbewerb innerhalb des Binnenmarkts haben „können“, ohne dass sie verpflichtet wäre, den Nachweis dafür zu erbringen, dass diese Auswirkungen eingetreten sind oder dass ihre Verwirklichung „eher wahrscheinlich als unwahrscheinlich“ war. Daher ist im Licht des oben definierten Beweismaßes zu prüfen, ob das Gericht Rechtsfehler begangen hat, als es feststellte, dass die Kommission im vorliegenden Fall das Vorliegen qualifizierter Auswirkungen nachgewiesen habe.
ii) Zum Vorliegen qualifizierter Auswirkungen im vorliegenden Fall
58. Wie die Rechtsmittelführerinnen ausführen, stützte sich die Kommission im 1045. Erwägungsgrund des streitigen Beschlusses mit einer sehr knappen Begründung auf eine relativ lange Kette von Ereignissen, deren Verwirklichung sie vermutete. Es trifft zwar zu, dass die Kommission ihre Argumentation, die relativ kurz erscheint, nicht detailliert dargelegt hat. Es ist jedoch zu prüfen, ob diese Argumentation gleichwohl ausreicht, um ihre Zuständigkeit im Licht des in den Nrn. 54 bis 57 der vorliegenden Schlussanträge festgelegten Beweismaßes zu begründen.
59. Im Wesentlichen hat die Kommission mit einer ziemlich vereinfachenden Formulierung meines Erachtens eine Vermutung angewandt, die wie folgt lautet: Zunächst wirkte sich die Koordinierung der Transportunternehmen über die Aufschläge und die Verweigerung der Zahlung von Provisionen auf die Preise für die an die Spediteure verkauften Luftfrachtdienste aus, sodann umfasste diese Erhöhung ihrerseits eine Erhöhung der Preise, die diese von den Absendern verlangten, was sich schließlich auf die Preise auswirkte, die diese den Verbrauchern im EWR in Rechnung stellten.
60. Es stellt sich daher die Frage, ob, wie das Gericht in den angefochtenen Urteilen festgestellt hat, die von der Kommission ins Auge gefassten Wirkungen „zum gewöhnlichen Lauf der Dinge gehört [haben] und wirtschaftlich vernünftig gewesen [sind]“(78 ). Kann mit anderen Worten auf der Grundlage einer Argumentation, die im Wesentlichen auf einer Vermutung beruht, der Schluss gezogen werden, dass die Koordinierung der Transportunternehmen betreffend die Aufschläge und die Verweigerung der Zahlung von Provisionen in Bezug auf eingehende Frachtdienste, als sofortige, erhebliche und vorhersehbare Wirkung die Erhöhung der Preise der Beförderungsleistungen für die Verbraucher im EWR haben kann?
61. Insoweit bin ich in Anbetracht der erforderlichen Vorsicht bei der Heranziehung von Vermutungen als Beweismittel im Wettbewerbsrecht(79 ), aber auch unter Berücksichtigung des Umstands, dass die Feststellung der extraterritorialen Zuständigkeit der Kommission im vorliegenden Fall nur eine Vorstufe zur Prüfung der Begründetheit ihres Beschlusses war, der Ansicht, dass das Gericht, sobald festgestellt war, dass eine solche Abfolge von Ereignissen nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge auftreten „konnte“, zumindest prima facie, den Schluss ziehen konnte, dass die Kommission zumindest die ihr obliegende ursprüngliche Beweislast erfüllt hatte(80 ) und dass es somit den Rechtsmittelführerinnen oblag, den Gegenbeweis zu erbringen.
62. Daher ist zu prüfen, ob das Gericht Rechtsfehler begangen hat, als es davon ausging, dass die von den Rechtsmittelführerinnen vorgebrachten Argumente und Beweise, mit denen das Vorliegen qualifizierter Auswirkungen bestritten werden sollte, nicht geeignet waren, die Schlussfolgerung der Kommission in Bezug auf die Unmittelbarkeit, Wesentlichkeit und Vorhersehbarkeit dieser Wirkungen in Frage zu stellen(81 ).
– Zur Unmittelbarkeit der Wirkungen
63. Nach Ansicht der Rechtsmittelführerinnen waren die Auswirkungen des Verhaltens der Transportunternehmen auf den Wettbewerb im EWR nicht direkt oder unmittelbar, da sie von unabhängigen Handlungen anderer Akteure der Wertschöpfungskette, nämlich der Spediteure und der Absender, abhängig gewesen seien, was jeden Kausalzusammenhang zwischen dem Verhalten der Transportunternehmen und seinen vermuteten Auswirkungen ausschließe. Die Kommission habe in ihrer Analyse, die das Gericht bestätigt habe, nur mittelbare Auswirkungen als „qualifiziert“ definiert, d. h. die etwaige Auswirkung der sich aus dem streitigen Kartell ergebenden Mehrkosten auf die Preise, die die Spediteure den Absendern und diese ihren eigenen Kunden berechneten, ohne eine Untersuchung der relevanten Märkte, insbesondere auf dem nachgelagerten Markt, vorzunehmen und auch nur eine Definition des Marktes vorzunehmen, die für die Feststellung, ob die Kartellmitglieder Wettbewerber seien, von grundlegender Bedeutung sei(82 ).
64. In den angefochtenen Urteilen bestätigte das Gericht die sehr knappe Argumentation der Kommission im streitigen Beschluss im Wesentlichen mit der Feststellung, dass das Erfordernis einer „unmittelbaren Kausalität“ zwischen dem betreffenden Verhalten und der untersuchten Wirkung nicht mit einer „Monokausalität“ verwechselt werden darf, für die immer und pauschal eine Unterbrechung der Kausalkette festgestellt werden müsste, wenn die Handlung eines Dritten für die fraglichen Auswirkungen mitursächlich geworden ist(83 ). Im vorliegenden Fall mag das Hinzutreten der Spediteure, von denen zu erwarten war, dass sie die Mehrkosten, die sie hatten begleichen müssen, eigenverantwortlich auf die Absender abwälzen würden, zwar mitursächlich für die fragliche Wirkung gewesen sein, es war für sich genommen aber nicht geeignet, die Kausalkette, die sich aus dem streitigen Kartell ergab, „bei normalem Funktionieren des Marktes“ zu unterbrechen(84 ).
65. Insoweit beschränken sich die Rechtsmittelführerinnen meines Erachtens darauf, den spekulativen oder oberflächlichen Charakter dieser Feststellungen zu beanstanden.
66. Zwar ist die Analyse der Kommission, die das Gericht bestätigt hat, sehr einfach und würde z. B. einem Beweismaß, wie es für den Nachweis der bewirkten Wettbewerbsbeschränkung erforderlich ist, wahrscheinlich nicht genügen, geschweige denn dem im Rahmen einer Schadensersatzklage erforderlichen. Im Licht des in den Nrn. 51 bis 57 der vorliegenden Schlussanträge festgelegten Beweismaßes gelingt es den Rechtsmittelführerinnen meines Erachtens jedoch weder, nachzuweisen, dass die von der Kommission vermutete Abfolge von Ereignissen nicht zumindest eintreten „kann“(85 ), noch, dass die vom Gericht hierzu getroffenen Feststellungen die Tatsachen verfälschten.
– Zur Wesentlichkeit der Wirkungen
67. Nach Ansicht der Rechtsmittelführerinnen hat die Kommission nicht nachgewiesen, dass die Auswirkungen des Verhaltens der Transportunternehmen auf den Wettbewerb im EWR wesentlich gewesen seien, da sie nicht geprüft habe, ob die Frachtdienste einen erheblichen Teil der Kosten der im EWR ansässigen Absender ausmachten(86 ).
68. Insoweit trifft es zwar zu, dass die Kommission im streitigen Beschluss die Auswirkungen der angeblichen Erhöhung der Preise für eingehende Luftfrachtdienste auf die letztlich von den im EWR ansässigen Absendern gezahlten Preise oder auf die von ihren im EWR ansässigen Kunden gezahlten Preise nicht quantifizierte.
69. In den angefochtenen Urteilen bestätigte das Gericht gleichwohl die Schlussfolgerung der Kommission, indem es sich im Wesentlichen auf sich aus dem Kontext ergebende Anhaltspunkte stützte, die nicht im 1045. Erwägungsgrund des streitigen Beschlusses erwähnt werden, die aber aus dessen Gesamtanalyse hervorgehen. Als Erstes nahm es auf die erhebliche Dauer der Zuwiderhandlung Bezug, die im 1146. Erwägungsgrund dieses Beschlusses angeführt ist; als Zweites wies es auf die Tragweite dieser Zuwiderhandlung hin, die, wie aus dem 889. Erwägungsgrund dieses Beschlusses hervorgeht, allgemein anwendbare Maßnahmen betraf, wie den Treibstoff- und den Sicherheitsaufschlag, die nicht spezifisch für eine Strecke waren und auf alle Strecken weltweit angewandt werden sollten, auch auf Strecken mit Ankunft im EWR; als Drittes stützte es sich auf die Art dieser Zuwiderhandlung und führte, wie sich aus den Erwägungsgründen 1030 und 1208 dieses Beschlusses ergibt, aus, dass diese Zuwiderhandlung bezweckt habe, den Wettbewerb einzuschränken und eine besonders schwerwiegende Beschränkung betreffe, nämlich die Festlegung verschiedener Preiselemente(87 ). Das Gericht wies darüber hinaus zum einen auf den Umstand hin, dass die Aufschläge, die Gegenstand des streitigen Kartells waren, während des Zeitraums der Zuwiderhandlung einen wesentlichen Teil des Gesamtpreises der Frachtdienste ausmachten, wie die Kommission im 1031. Erwägungsgrund des streitigen Beschlusses feststellte(88 ), und zum anderen auf die Bedeutung der an der beanstandeten Verhaltensweise beteiligten Unternehmen , deren gemeinsame Marktanteile auf dem Weltmarkt sich laut dem 1209. Erwägungsgrund dieses Beschlusses auf 34 % im Jahr 2005 beliefen, einschließlich auf den globalen (ausgehenden und eingehenden) Strecken EWR-Drittländer(89 ).
70. Insoweit beschränken sich die Rechtsmittelführerinnen darauf, das Fehlen einer genauen Berechnung in der von der Kommission vorgenommenen und vom Gericht bestätigten Analyse geltend zu machen. In Anbetracht des in den Nrn. 51 bis 57 der vorliegenden Schlussanträge festgelegten Beweismaßes bin ich jedoch der Ansicht, dass die Kommission nicht verpflichtet war, bei der Beurteilung in ihrer eigenen Zuständigkeit, eine solche Berechnung vorzunehmen(90 ). Die Frage der Berechnung der konkreten wirtschaftlichen Auswirkungen auf den verschiedenen Stufen der Kette stellt sich gegebenenfalls im Zusammenhang mit einer Analyse der bewirkten Wettbewerbsbeschränkung, der Bemessung der Geldbuße oder von Schadensersatzklagen.
– Zur Vorhersehbarkeit der Wirkungen
71. Nach Ansicht der Rechtsmittelführerinnen waren die von der Kommission geschätzten und vom Gericht anerkannten Auswirkungen nicht vorhersehbar oder wahrscheinlich, da die Annahme, dass die Erhöhung der Preise für die eingehenden Frachtdienste von den Spediteuren auf die im Binnenmarkt ansässigen Absender abgewälzt werde, unwahrscheinlich sei(91 ). Die Kommission habe die Auswirkungen der beanstandeten Verhaltensweisen (begrenzt auf die Aufschläge) auf den Verkaufspreis der Frachtdienste, auf die den Absendern von den Spediteuren in Rechnung gestellten Gesamtkosten der Beförderung und auf den von den Absendern gegenüber den Verbrauchern angewandten Preis nicht geprüft. Die mutmaßlichen Auswirkungen des beanstandeten Verhaltens blieben hypothetisch oder unbedeutend, und das vom Gericht erwähnte Vorliegen eines Kausalzusammenhangs sei weder relevant noch begründet(92 ).
72. In den angefochtenen Urteilen wies das Gericht darauf hin, dass Wirkungen, mit deren Eintritt die Beteiligten des streitigen Kartells nach der allgemeinen Lebenserfahrung vernünftigerweise rechnen müssen, dem Erfordernis der Vorhersehbarkeit genügen(93 ) und stützte sich erneut auf sich aus dem Kontext ergebende Anhaltspunkte, die nicht im 1045. Erwägungsgrund des streitigen Beschlusses erwähnt werden, aber in anderen Teilen dieses Beschlusses, um zu dem Schluss zu gelangen, dass dieses Erfordernis im vorliegenden Fall erfüllt gewesen sei. Nachdem das Gericht unter Bezugnahme auf die Erwägungsgründe 846, 909, 1199 und 1208 dieses Beschlusses daran erinnert hatte, dass nach der Erfahrung eine kollusive Verhaltensweise der horizontalen Festsetzung der Preise Preiserhöhungen nach sich zieht(94 ), prüfte das Gericht die Vorhersehbarkeit der Auswirkungen des beanstandeten Verhaltens zum einen auf die von den Transportunternehmen angewandten Preise und zum anderen auf die von den Spediteuren angewandten Preise. Was zum einen die von den Transportunternehmen angewandten Preise betrifft, sah das Gericht es als vorhersehbar an, dass die horizontale Festsetzung des Treibstoff- und des Sicherheitsaufschlags deren Erhöhung nach sich ziehen würde, verstärkt durch die Verweigerung der Zahlung von Provisionen, und dass dadurch der Preis für Frachtdienste erhöht wird(95 ). Was zum anderen die Auswirkungen der Preise für eingehende Frachtdienste auf die von den Spediteuren angewandten Preise betrifft, kam es zu dem Schluss, dass der Preis für Frachtdienste für Spediteure ein Inputpreis sei, variable Kosten, deren Anstieg grundsätzlich zu einer Erhöhung der Grenzkosten führten, anhand deren die Spediteure ihre eigenen Preise festlegten(96 ), und dass es für die Transportunternehmen vernünftigerweise vorhersehbar gewesen sei, dass die Spediteure diese Mehrkosten auf die Absender abwälzen würden(97 ). Diese Umstände reichten nach Ansicht des Gerichts aus, um den Schluss zu ziehen, dass die Wirkung des beanstandeten Verhaltens zum „gewöhnlichen Lauf der Dinge“ gehört habe und „wirtschaftlich vernünftig“ gewesen sei(98 ).
73. Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof in Rn. 51 des Urteils Intel, klargestellt hat, dass es, damit das Erfordernis der Vorhersehbarkeit erfüllt ist, ausreicht, die wahrscheinlichen Auswirkungen eines Verhaltens auf den Wettbewerb zu berücksichtigen. Außerdem sind, wie Generalanwältin Kokott in ihren Schlussanträgen in der Rechtssache Kone u. a.(99 )ausgeführt hat, vorhersehbar (oder adäquat kausal verursacht) alle Schäden, mit deren Eintritt die Kartellbeteiligten nach der allgemeinen Lebenserfahrung vernünftigerweise rechnen müssen, im Gegensatz zu Schäden, die auf einer völlig außergewöhnlichen Verkettung von Umständen und damit auf einem atypischen Kausalverlauf beruhen. Wie der Gerichtshof entschieden hat, sind Verhaltensweisen, die zur horizontalen Festsetzung der Preise durch Kartelle führen, besonders geeignet, den Wettbewerb zu beeinträchtigen(100 ).
74. Meines Erachtens sind diese Grundsätze auf den vorliegenden Fall anwendbar, insbesondere da es äußerst wahrscheinlich war, dass die durch das Kartell ausgelösten Erhöhungen der Aufschläge zu einer Erhöhung der Preise für die von den Spediteuren erbrachten Frachtdienste beitragen, und da die Preise für Frachtdienste, die einen Inputpreis für die Spediteure darstellen, zu einer Erhöhung der Grenzkosten führen, anhand deren die Spediteure ihre eigenen Preise festlegen, und danach zu einer Erhöhung der Kosten der Absender und damit der von ihnen angewandten Preise führen. Im Übrigen deutet die Tatsache, dass ein Teil des streitigen Kartells darauf abzielte, die Verweigerung der Zahlung von Provisionen durch die Spediteure zu koordinieren, auf deren Neigung hin, die Aufschläge systematisch weiterzugeben(101 ).
75. Im Ergebnis bin ich nicht der Ansicht, dass es den Rechtsmittelführerinnen gelungen ist, die in Nr. 59 der vorliegenden Schlussanträge zusammengefasste Vermutung zu widerlegen und nachzuweisen, dass das beanstandete Verhalten keine sofortigen, erheblichen und vorhersehbaren Wirkungen im Binnenmarkt haben konnte oder dass die Feststellungen der Kommission hierzu die Tatsachen verfälschten.
b) Zur Verwendung des Begriffs der „einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung“ insgesamt
76. Was den dritten Grund betrifft, auf den sich die Kommission im 1046. Erwägungsgrund des streitigen Beschlusses stützte, um darzutun, dass das Kriterium der qualifizierten Auswirkungen auch im Hinblick auf die Auswirkungen der einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung insgesamt erfüllt gewesen sei, werfen die Rechtsmittelführerinnen dem Gericht vor, Rechtsfehler begangen zu haben, als es die Schlussfolgerungen der Kommission bestätigt habe, die sich zunächst auf die Relevanz der Prüfung der qualifizierten Auswirkungen der Koordinierung der eingehenden Frachtdienste im Hinblick auf die einheitliche und fortgesetzte Zuwiderhandlung insgesamt beziehen (1), sodann auf den Nachweis der Auswirkungen der einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung insgesamt (2) und schließlich auf die Verwendung des atypischen Begriff des „Kartells auf globaler Ebene“ (3).
1) Zur Relevanz der Prüfung der qualifizierten Auswirkungen der Koordinierung der eingehenden Frachtdienste im Hinblick auf die einheitliche und fortgesetzte Zuwiderhandlung insgesamt
77. Mehrere Rechtsmittelführerinnen(102 ) machen geltend, das Gericht habe in den angefochtenen Urteilen entschieden, dass die Kommission im 1046. Erwägungsgrund des streitigen Beschlusses ihre extraterritoriale Zuständigkeit unter Berücksichtigung der qualifizierten Auswirkungen der einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung insgesamt und nicht jedes einzelnen Verhaltens habe begründen können, obwohl, um diese Zuständigkeit feststellen zu können, jedes Element einer einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung für sich genommen geeignet sein müsse, solche Wirkungen zu entfalten und das einzige Ziel zu verfolgen, den Wettbewerb innerhalb des EWR zu beschränken (und somit einen Verstoß gegen die fraglichen Bestimmungen darstellen zu können)(103 ). Im Übrigen könne ein Verhalten auf Märkten außerhalb des EWR keine Beschränkung des Wettbewerbs innerhalb des EWR bezwecken. Auch die Verwendung des Begriffs „Kartell auf globaler Ebene“ im 1046. Erwägungsgrund des streitigen Beschlusses zur Beschreibung der einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung berühre nicht die rechtliche Einstufung des Verhaltens im Hinblick auf Art. 101 Abs. 1 AEUV und Art. 53 des EWR-Abkommens.
78. In den angefochtenen Urteilen wies das Gericht darauf hin, dass auf der Grundlage der Rechtsprechung des Gerichtshofs nichts einer Prüfung der Frage entgegensteht, ob die Kommission über die erforderliche Zuständigkeit zur Anwendung das Wettbewerbsrechts der Union (oder des EWR) im Einzelfall anhand einer Gesamtbetrachtung des fraglichen Verhaltens der Unternehmen unter Berücksichtigung der einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung verfügt(104 ). Im vorliegenden Fall stellte es fest, dass die Kommission in den Erwägungsgründen 869 und 1046 des streitigen Beschlusses im Wesentlichen das streitige Verhalten, auch soweit es eingehende Frachtdienste betroffen habe, als „einheitliche und fortgesetzte Zuwiderhandlung“ eingestuft habe, und dass sie die Auswirkungen dieser Zuwiderhandlung insgesamt, als ein weltweit umgesetztes Kartell, geprüft habe(105 ). Nachdem es diese Feststellungen durch die Prüfung des Klagegrundes bestätigt hat, der sich auf die Begründetheit der Zurechnung der Verantwortung für die einheitliche und fortgesetzte Zuwiderhandlung an die Rechtsmittelführerinnen bezog, ist das Gericht zu dem Ergebnis gelangt, dass die einheitliche und fortgesetzte Zuwiderhandlung insgesamt vorhersehbar unmittelbare und wesentliche Auswirkungen im Binnenmarkt hervorrufen würde, da, wie die Kommission in den Erwägungsgründen 903, 1209 und 1146 dieses Beschlusses ausgeführt hat, die beanstandeten Verhaltensweisen eine Wettbewerbsbeschränkung u. a. innerhalb der Union und des EWR bezweckt hätten, an denen Transportunternehmen mit beträchtlichen Marktanteilen beteiligt gewesen seien und von denen sich ein bedeutender Teil auf EWR-interne Strecken über einen Zeitraum von mehr als sechs Jahren bezogen habe.
79. Insoweit ist zu prüfen, ob, wie die Rechtsmittelführerinnen geltend machen, der Begriff „einheitliche und fortgesetzte Zuwiderhandlung“ implizit voraussetzt, dass jedes Element, das diese Zuwiderhandlung bildet, getrennt geprüft eine Zuwiderhandlung darstellt und das Ziel verfolgt, den Wettbewerb innerhalb des EWR zu behindern, oder ob dieser Begriff, wie das Gericht entschieden hat, die Berücksichtigung des wettbewerbswidrigen Ziels der einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung als Ganzes ermöglicht.
80. Im Urteil Sony ist der Gerichtshof – nachdem er auf die Merkmale des Begriffs „einheitliche und fortgesetzte Zuwiderhandlung“ hingewiesen(106 ) und ausgeführt hat, dass ein Unternehmen, das sich an einer solchen Zuwiderhandlung beteiligt hat, für die gesamte Zeit seiner Beteiligung an der Zuwiderhandlung auch für das Verhalten verantwortlich sein kann, das andere Unternehmen im Rahmen der Zuwiderhandlung an den Tag legten, ohne dass seine unmittelbare Beteiligung an dem gesamten wettbewerbswidrigen Verhalten, das diese Zuwiderhandlung bildet, erforderlich ist(107 ) – zu dem Ergebnis gekommen, dass zwar der Begriff der einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung eine Gesamtheit von Verhaltensweisen voraussetzt, die ihrerseits wiederum einen Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV (das Gleiche gilt für Art. 53 des EWR-Abkommens) darstellen können, dies jedoch noch lange nicht heißt, dass diese Verhaltensweisen für sich genommen und isoliert betrachtet jeweils zwangsläufig als gesonderte Zuwiderhandlung gegen diese Bestimmungen eingestuft werden könnten(108 ).
81. Auch wenn diese Grundsätze im Rahmen eines Vorbringens betreffend die Verletzung der Verteidigungsrechte entwickelt worden sind(109 ), sehe ich keinen Grund, der es rechtfertigen würde, sie im Rahmen der Beurteilung der extraterritorialen Zuständigkeit der Kommission nicht anzuwenden(110 ).
82. Im Ergebnis bin ich der Ansicht, dass das Gericht keinen Fehler begangen hat, als es entschieden hat, dass die Kommission ihre extraterritoriale Zuständigkeit im Hinblick auf die Auswirkungen der einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung insgesamt zu Recht begründen konnte. Somit ist zu prüfen, ob es ebenfalls zu Recht entschieden hat, dass die Kommission das Vorliegen der Auswirkungen dieser einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung auf den Binnenmarkt nachgewiesen hat.
2) Zum Nachweis der Auswirkungen der einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung insgesamt
83. Air Canada und SAS Cargo Group(111 ) machen geltend, die vom Gericht gebilligte Anwendung des Kriteriums der qualifizierten Auswirkungen auf die einheitliche und fortgesetzte Zuwiderhandlung durch die Kommission sei fehlerhaft, da der 1046. Erwägungsgrund des streitigen Beschlusses keine Analyse dieser Auswirkungen enthalte.
84. In diesem Erwägungsgrund stellte die Kommission im Wesentlichen fest, dass das Kartell weltweit umgesetzt worden war und dass die Absprachen dieses Kartells betreffend die eingehenden Strecken wesentlicher Bestandteil der einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung waren(112 ).
85. Insoweit trifft es zwar zu, dass dieser Erwägungsgrund keine spezifische Analyse der Auswirkungen der einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung insgesamt auf den Binnenmarkt im Hinblick auf das Verhalten in Bezug auf eingehende Frachtdienste enthält. Gleichwohl hat sich das Gericht, um die Schlussfolgerung der Kommission zu bestätigen, erneut auf andere Erwägungsgründe dieses Beschlusses bezogen, aus denen hervorgeht, dass die Kommission davon ausgegangen ist, dass die fraglichen Verhaltensweisen zunächst eine bezweckte Wettbewerbsbeschränkung darstellten (903. Erwägungsgrund dieses Beschlusses), sodann Transportunternehmen mit beträchtlichen Marktanteilen betrafen (1209. Erwägungsgrund dieses Beschlusses) und sich schließlich zu einem bedeutenden Teil auf EWR-interne Strecken bezogen und über einen Zeitraum von mehr als sechs Jahren durchgeführt worden waren (1146. Erwägungsgrund des streitigen Beschlusses)(113 ).
86. Erneut ist darauf hinzuweisen, dass die Analyse der Kommission im 1046. Erwägungsgrund des streitigen Beschlusses z. B. nicht dem Beweismaß genügt, das für den Nachweis des Vorliegens einer bewirkten Wettbewerbsbeschränkung erforderlich ist. Im Licht des in den Nrn. 51 bis 57 der vorliegenden Schlussanträge festgelegten Beweismaßes und unter Berücksichtigung dessen, was sich aus dem streitigen Beschluss insgesamt ergibt, bin ich jedoch der Ansicht, dass das Gericht keinen Rechtsfehler begangen hat, als es feststellte, dass die Kommission zumindest den anfänglichen Beweis für die qualifizierten Auswirkungen der einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung insgesamt erbracht hat.
87. Die Rechtsmittelführerinnen beschränken sich darauf, das Fehlen einer Analyse der konkreten Auswirkungen des beanstandeten Verhaltens zu rügen, ohne darzutun, dass die Feststellungen der Kommission die Tatsachen verfälschten. Was ferner das Vorbringen betrifft, das beanstandete Verhalten müsse, um Art. 101 AEUV und Art. 53 des EWR-Abkommens anwenden zu können, das spezifische Ziel haben, den Wettbewerb im EWR zu behindern, genügt der Hinweis, dass mit dem Kartell eine einheitliche Anwendung der Aufschläge weltweit erreicht werden sollte, um deren Umgehung durch den Rückgriff auf andere (eingehende) Strecken zu verhindern, was die Absicht erkennen lässt, den Wettbewerb auch im EWR zu beschränken(114 ). Im Übrigen birgt diese Auslegung entgegen dem Vorbringen der Rechtsmittelführerinnen meines Erachtens für sich genommen nicht die Gefahr, dass die Kommission den Begriff der einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung verwenden könnte, um ihre Zuständigkeit auf ein irgendwo in der Welt an den Tag gelegtes Verhalten ohne Bezug zum EWR auszudehnen, und so als „Schiedsrichter des Wettbewerbs“ weltweit tätig zu werden. Die Kommission muss nämlich gleichwohl nachweisen, dass dieses Verhalten, mit dem ein gemeinsames Ziel verfolgt wird, sowohl im Hinblick auf das (die Zuständigkeit betreffende) Kriterium der qualifizierten Auswirkungen als auch im Hinblick auf das (materielle) Kriterium der bezweckten oder bewirkten Wettbewerbsbeschränkung innerhalb des Binnenmarkts(115 ) wettbewerbswidrige Auswirkungen im EWR haben kann.
88. Daher hat das Gericht meines Erachtens keinen Rechtsfehler begangen, als es entschieden hat, dass die Koordinierung der eingehenden Frachtdienste nicht nur als solche qualifizierte Auswirkungen haben könne, sondern auch im Kontext der einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung und des wettbewerbswidrigen Zwecks dieser Zuwiderhandlung.
3) Zur Verwendung des Begriffs „Kartell auf globaler Ebene“
89. LATAM Airlines Group und Lan Cargo werfen dem Gericht vor, nicht auf den Klagegrund eingegangen zu sein, wonach die Kommission für die Feststellung des Vorliegens eines „Kartells auf globaler Ebene“ nicht zuständig gewesen sei(116 ). Das Gericht habe angenommen, dass dieser Klagegrund von der falschen Prämisse ausgehe, dass die Kommission im verfügenden Teil des streitigen Beschlusses eine Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln in Bezug auf Strecken zwischen Flughäfen außerhalb des EWR festgestellt habe, während die Rechtsmittelführerinnen geltend gemacht hätten, dass die Kommission für die Feststellung des globalen Charakters des Kartells nicht zuständig gewesen sei, eine Feststellung, die, ob es sich um eine Tatsachenfeststellung oder eine rechtliche Feststellung „sui generis “ handele, nachteilige Auswirkungen habe, da sie insbesondere für die nationalen Gerichte verbindlich sei, die über zivilrechtliche Schadensersatzklagen in Bezug auf dieses Kartell zu entscheiden hätten.
90. Insoweit weise ich darauf hin, dass die Kommission in Art. 1 des streitigen Beschlusses klargestellt hat, dass die Rechtsmittelführerinnen die einheitliche und fortgesetzte Zuwiderhandlung gegen Art. 101 AEUV, Art. 53 des EWR-Abkommens und Art. 8 des Abkommens EG-Schweiz über den Luftverkehr „[d]urch die Abstimmung ihres Verhaltens bei der Festsetzung von Preisen für die weltweite Erbringung von [Fracht‑]Diensten“ begangen haben. In der Begründung dieses Beschlusses stufte die Kommission dieses Verhalten als „Kartell auf globaler Ebene“ ein(117 ).
91. Wie das Gericht in den Rn. 151 und 358 des Urteils LATAM Airlines Group und Lan Cargo festgestellt hat, handelt es sich bei der Bezugnahme in Art. 1 dieses Beschlusses auf das Vorliegen einer „weltweiten“ Abstimmung (und das Gleiche gilt für die Bezugnahme auf das „Kartell auf globaler Ebene“ in der Begründung dieses Beschlusses) nur um eine Tatsachenfeststellung, aus der die Kommission auf das Vorliegen einer einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung gegen die angeführten Bestimmungen geschlossen hat(118 ). Folglich bin ich nicht der Ansicht, dass die Kommission die Grenzen ihrer Zuständigkeit überschritten hat. Sie hat sich darauf beschränkt, den (globalen) Kontext des Kartells zu definieren und hat daraus die Schlussfolgerungen gezogen, indem sie Feststellungen getroffen hat, für die sie ohne jeden Zweifel zuständig ist.
92. Insoweit ist der Umstand, dass das Gericht in Rn. 362 des Urteils LATAM Airlines Group und Lan Cargo davon ausgegangen ist, dass das Vorbringen der Rechtsmittelführerinnen von der falschen Prämisse ausgegangen sei, dass die Kommission eine Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln festgestellt habe, die die Strecken zwischen Flughäfen außerhalb des EWR umfasse, nur ein Hinweis darauf, dass nach Ansicht des Gerichts nur die rechtliche Feststellung einer Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln auf globaler Ebene – was vorliegend nicht der Fall war (hinsichtlich der bloßen tatsächlichen Feststellung einer Abstimmung des Verhaltens der Rechtsmittelführerinnen auf globaler Ebene) – in die Zuständigkeit der Kommission fallen konnte(119 ).
93. Im Übrigen kann die Möglichkeit der Kommission, Tatsachenfeststellungen zu treffen, auch nicht auf der Grundlage einer etwaigen Bindungswirkung oder Überzeugungswirkung dieser Feststellungen auf die Entscheidungen der nationalen Behörden und Gerichte, einschließlich nach Art. 16 der Verordnung Nr. 1/2003(120 ), ausgeschlossen werden, da diese Feststellungen nicht zu einer über die Befugnisse der Kommission hinausgehenden Anwendung der Wettbewerbsregeln führen(121 ). Es ist Sache dieser Behörden oder Gerichte, den Beweiswert zu beurteilen, den sie den Tatsachenfeststellungen der Kommission beimessen müssen.
94. Jedenfalls geht es nicht um die Frage, ob die Kommission den Ausdruck „Kartell auf globaler Ebene“ verwenden konnte, sondern darum, ob die Verwendung dieser Begriffe einen Rechts- oder Beurteilungsfehler aufweist oder aber die Folge einer Verfälschung der Tatsachen ist, was im vorliegenden Fall nicht dargetan worden ist.
3. Zu bestimmten Verfahrensfehlern der angefochtenen Urteile
95. Nach Ansicht einiger Rechtsmittelführerinnen hat das Gericht, indem es die Beurteilung der extraterritorialen Zuständigkeit der Kommission durch diese geprüft habe, zunächst die – unzureichende – Beurteilung der Kommission durch seine eigene ersetzt, und damit die Begründung ausgewechselt (a), sodann die Rechtmäßigkeit des streitigen Beschlusses unter Verletzung der Verteidigungsrechte der Rechtsmittelführerinnen auf der Grundlage von Umständen beurteilt, die nach diesem eingetreten seien (b), und schließlich die der Kommission obliegende Beweislast umgekehrt, indem es diese den Rechtsmittelführerinnen auferlegt habe (c).
a) Zur Auswechslung der Begründung
96. Mehrere Rechtsmittelführerinnen(122 ) machen geltend, das Gericht habe hinsichtlich der Anwendung des Kriteriums der qualifizierten Auswirkungen die Begründung der Kommission durch seine eigene ersetzt. Während die Kommission nur den 1045. Erwägungsgrund des streitigen Beschlusses der Analyse der qualifizierten Auswirkungen der Koordinierung der eingehenden Frachtdienste gewidmet und sich darauf beschränkt habe, in allgemeinen Worten die „sofortigen, erheblichen und vorhersehbaren Wirkungen“ der Koordinierung der eingehenden Frachtdienste zu erwähnen, habe das Gericht der Anwendung dieses Kriteriums zahlreiche Randnummern der angefochtenen Urteile gewidmet und dabei insbesondere die Relevanz und die Vorhersehbarkeit, Wesentlichkeit und Unmittelbarkeit der Auswirkungen berücksichtigt. Außerdem habe es auch den 1046. Erwägungsgrund des streitigen Beschlusses dahin ausgelegt, dass er sich auch auf das Kriterium der qualifizierten Auswirkungen stütze(123 ). Das Gericht habe darüber hinaus Lücken des streitigen Beschlusses geschlossen, indem es sich auf neue Tatsachen, u. a. in Bezug auf die Auswirkungen auf den Wettbewerb zwischen den Spediteuren sowie auf die Absender und die Waren, und auch auf Beweise gestützt habe, die sich aus Erwägungsgründen ergäben, die außerhalb des Abschnitts des streitigen Beschlusses über die qualifizierten Auswirkungen lägen oder nicht in diesem enthalten gewesen seien. Das Gericht habe somit die Beurteilung der Kommission durch seine eigene ersetzt.
97. Insoweit trifft es zu, dass, wie ich in den Nrn. 58 und 85 der vorliegenden Schlussanträge ausgeführt habe, die Prüfung der eigenen extraterritorialen Zuständigkeit durch die Kommission in den Erwägungsgründen 1045 und 1046 des streitigen Beschlusses besonders knapp ist, während das Gericht in den angefochtenen Urteilen mehrere Randnummern der Analyse dieses Kriteriums gewidmet hat und erhebliche Anstrengungen unternommen hat, um im Hinblick auf das Vorbringen der Parteien die Stichhaltigkeit der relativ einfachen Argumentation der Kommission zu erläutern und näher darzulegen. Bevor jedoch eine Auswechslung der Begründung festgestellt werden kann, ist zunächst zu prüfen, inwieweit die Kommission verpflichtet war, ihre eigene extraterritoriale Zuständigkeit im streitigen Beschluss zu begründen, sodann, ob die Begründung dieses Beschlusses in Bezug auf die extraterritoriale Zuständigkeit als angemessen angesehen werden kann, und schließlich, ob die Länge der angefochtenen Urteile in diesem Punkt damit gerechtfertigt werden kann, dass das Gericht auf das Vorbringen der Rechtsmittelführerinnen eingehen musste.
98. Zunächst erscheint es mir wahrscheinlich, dass, wie die Kommission im Rahmen der vorliegenden Rechtssachen hervorgehoben hat, Abschnitt 5.3.8 des streitigen Beschlusses, der die Anwendbarkeit von Art. 101 AEUV und von Art. 53 des EWR-Abkommens auf die eingehenden Strecken (und damit die extraterritoriale Zuständigkeit der Kommission) betrifft, in Beantwortung des Vorbringens der Parteien eingeführt wurde, mit dem die Zuständigkeit der Kommission für diese Strecken bestritten wurde. Kein Abschnitt dieses Beschlusses betrifft nämlich die Zuständigkeit der Kommission für die EWR-internen Strecken und die ausgehenden Strecken, was nicht beanstandet worden ist. Im Übrigen bin ich nicht der Ansicht, dass die Kommission beim Erlass eines Beschlusses grundsätzlich verpflichtet ist, ihre eigene Zuständigkeit unabhängig von den Argumenten, die die Parteien im Verwaltungsverfahren vorgebracht haben, systematisch zu begründen.
99. Sodann weise ich zum einen darauf hin, dass das Gericht in den angefochtenen Urteilen die Schlussfolgerung der Kommission im 1045. Erwägungsgrund des streitigen Beschlusses bestätigt hat, die, wie ich in Nr. 59 der vorliegenden Schlussanträge ausgeführt habe, in einer Vermutung besteht, die sich ebenso auf aus dem Kontext ergebende Anhaltspunkte stützt, die zwar nicht in diesem Erwägungsgrund erwähnt werden, aber dennoch aus der von der Kommission in anderen Passagen dieses Beschlusses vorgenommenen Analyse hervorgehen. Zum anderen hat die Kommission im 1046. Erwägungsgrund dieses Beschlusses meines Erachtens ihre extraterritoriale Zuständigkeit lediglich an ihre allgemeine Zuständigkeit zur Feststellung und Ahndung der in Rede stehenden einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung geknüpft. Wie ich in den Nrn. 83 bis 87 der vorliegenden Schlussanträge ausgeführt habe, hat das Gericht diese Analyse lediglich bestätigt und sich dabei auf spätere Erwägungsgründe dieses Beschlusses gestützt.
100. Da der streitige Beschluss in seiner Gesamtheit Gesichtspunkte enthält, die belegen, dass das Verhalten in Bezug auf eingehende Frachtdienste gemäß dem in den Nrn. 51 bis 57 der vorliegenden Schlussanträge festgelegten Beweismaß qualifizierte Auswirkungen auf den Binnenmarkt haben konnte, lässt diese Feststellung meines Erachtens für sich genommen den Schluss zu, dass die Gründe dieses Beschlusses ausreichen, um die Schlussfolgerung der Kommission zu stützen. Aus den Nrn. 58 bis 75 der vorliegenden Schlussanträge geht nämlich hervor, dass das Gericht keinen Rechtsfehler begangen hat, als es feststellte, dass die Prüfung des Vorliegens von qualifizierten Auswirkungen durch die Kommission ausreiche, um ihre Schlussfolgerung zu diesem Aspekt zu untermauern.
101. Schließlich ließe sich unter diesen Umständen das Ungleichgewicht zwischen der sehr knappen Erklärung der Kommission im streitigen Beschluss und den langen Ausführungen des Gerichts zu diesem Gesichtspunkt in den angefochtenen Urteilen durchaus damit erklären, dass das Gericht das Vorbringen der Rechtsmittelführerinnen beantworten musste(124 ).
b) Zur Verletzung der Verteidigungsrechte
102. Air Canada, Cargolux und SAS Cargo Group werfen dem Gericht vor, die Rechtmäßigkeit des streitigen Beschlusses auf der Grundlage von Umständen geprüft zu haben, die nach der Mitteilung der Beschwerdepunkte(125 ) oder nach diesem Beschluss eingetreten seien(126 ). Das Gericht habe die Zuständigkeit der Kommission auf das Kriterium der qualifizierten Auswirkungen gestützt, das weder in der Mitteilung der Beschwerdepunkte noch im streitigen Beschluss enthalten gewesen sei, und damit ihre Verteidigungsrechte verletzt(127 ).
103. Insoweit sieht die Verordnung Nr. 1/2003 vor, dass die Kommission an ein Unternehmen, gegen das sie eine Sanktion wegen Verstoßes gegen die Wettbewerbsregeln zu verhängen beabsichtigt, eine Mitteilung der Beschwerdepunkte richtet, die die wesentlichen diesem Unternehmen zur Last gelegten Gesichtspunkte wie den ihm vorgeworfenen Sachverhalt, dessen Einstufung und die von der Kommission herangezogenen Beweismittel enthält, damit sich das Unternehmen im Rahmen des Verwaltungsverfahrens, das gegen es eingeleitet worden ist, sachgerecht äußern kann(128 ).
104. Zwar kann die Kommission in der endgültigen Entscheidung eine rechtliche Einstufung des Sachverhalts, von der sie in der Mitteilung der Beschwerdepunkte vorläufig ausgegangen ist, präzisieren, indem sie die Ergebnisse des Verwaltungsverfahrens berücksichtigt, sei es, um bestimmte Beschwerdepunkte fallen zu lassen, die sich als nicht ausreichend begründet erwiesen haben, sei es, um ihre Argumente, auf die sie die aufrechterhaltenen Beschwerdepunkte stützt, in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht neu zu ordnen oder zu ergänzen, doch muss die Kommission in der Mitteilung der Beschwerdepunkte jede rechtliche Einstufung des Sachverhalts, die sie in der endgültigen Entscheidung vornehmen will, angeben(129 ).
105. Die Verteidigungsrechte des betreffenden Unternehmens sind daher wegen eines Abweichens der endgültigen Entscheidung von der Mitteilung der Beschwerdepunkte nur dann verletzt, wenn ein Vorwurf, der in der endgültigen Entscheidung erhoben wird, in der Mitteilung der Beschwerdepunkte überhaupt nicht angesprochen worden ist oder nicht so angesprochen worden ist, dass die Adressaten der Mitteilung der Beschwerdepunkte in der Lage waren, in dem gegen sie eingeleiteten Verfahren ihre Argumente wirksam geltend zu machen(130 ).
106. Insoweit bin ich der Ansicht, dass die Rechtsmittelführerinnen, da in der Mitteilung der Beschwerdepunkte klargestellt wurde, dass die von der Kommission beanstandete einheitliche und fortgesetzte Zuwiderhandlung Strecken in Drittländer umfasste, ihre Argumente wirksam geltend machen konnten.
107. In Bezug auf den streitigen Beschluss machen Air Canada und Cargolux geltend, die eingehenden und detaillierten Erwägungen und Auslegungen des Gerichts zur Anwendung des Kriteriums der qualifizierten Auswirkungen seien nicht Teil dieses Beschlusses gewesen(131 ). Wie sich jedoch aus der vorstehenden Analyse ergibt, bezieht sich der streitige Beschluss, insbesondere im 1045. Erwägungsgrund, ausdrücklich auf die sofortigen, erheblichen und vorhersehbaren Wirkungen des beanstandeten Verhaltens auf den Binnenmarkt, was diesen Rechtsmittelführerinnen die Gelegenheit gegeben hat, vor dem Gericht sehr detaillierte Klagegründe oder Rügen vorzubringen(132 ).
c) Zur Umkehr der Beweislast
108. Einige Rechtsmittelführerinnen(133 ) werfen dem Gericht vor, den Klagegrund des Fehlens qualifizierter Auswirkungen der Zuwiderhandlung mit der Begründung zurückgewiesen zu haben, dass sie das Vorliegen dieser Auswirkungen, die die Kommission jedoch nicht nachgewiesen habe, nicht widerlegt hätten(134 ). Damit habe das Gericht die der Kommission obliegende Beweislast umgekehrt, indem es sie den Rechtsmittelführerinnen auferlegt habe(135 ).
109. Insoweit weise ich darauf hin, dass nach ständiger Rechtsprechung, auch wenn die Beweislast der Kommission obliegt, wenn sie den Vorwurf einer Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln erhebt, die tatsächlichen Gesichtspunkte, auf die sie sich beruft, die andere Partei zu einer Erläuterung oder Rechtfertigung zwingen können, da sonst der Schluss zulässig ist, dass den Anforderungen an die Beweislast genügt wurde(136 ).
110. Meines Erachtens hängt das fragliche Argument von demjenigen betreffend den Nachweis des Vorliegens qualifizierter Auswirkungen in dem Sinne ab, dass, wenn das Gericht in den angefochtenen Urteilen zwar zu Recht festgestellt hat, dass die Argumentation der Kommission im streitigen Beschluss zu den qualifizierten Auswirkungen des beanstandeten Verhaltens auf den Binnenmarkt zutreffend war(137 ), vernünftigerweise davon ausgegangen werden kann, dass die Kommission ihrer (ursprünglichen) Beweislast nachgekommen ist und dass es den Parteien oblag, Beweise beizubringen, die geeignet sind, die Beurteilungen der Kommission in Frage zu stellen, indem sie nachweisen, dass der streitige Beschluss in diesem Punkt mit Rechtsfehlern behaftet war.
111. Folglich bin ich der Ansicht, dass das Gericht, als es das Vorbringen der Parteien hierzu zurückgewiesen hat, die Beweislast nicht umgekehrt, sondern lediglich festgestellt hat, dass es ihnen unmöglich war, den Gegenbeweis zu erbringen.
112. Im Ergebnis bin ich der Ansicht, dass das Gericht keine Rechtsfehler begangen hat, als es die Zuständigkeit der Kommission für die Feststellung und Ahndung einer Zuwiderhandlung gegen Art. 101 AEUV und Art. 53 des EWR-Abkommens in Bezug auf die eingehenden Frachtdienste festgestellt hat.
B. Zu den Rechtsmittelgründen betreffend die Begründetheit des streitigen Beschlusses
113. Einige Rechtsmittelführerinnen machen Rechtsmittelgründe geltend, die Folgendes betreffen: die Beteiligung an der einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung (1), die nur teilweise Nichtigerklärung des streitigen Beschlusses in Bezug auf LATAM Airlines Group und Lan Cargo (2) und die Verjährung der Sanktionsbefugnis der Kommission in Bezug auf Air Canada und Singapore Airlines (3).
1. Zur Beteiligung an der einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung
114. Mit den nachfolgend geprüften Rechtsmittelgründen beanstanden einige Rechtsmittelführerinnen unter verschiedenen Gesichtspunkten ihre Beteiligung an der von der Kommission geahndeten einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung. Es handelt sich um die Haftung von Air Canada für Strecken, die diese nie betrieben habe oder nicht rechtmäßig hätte betreiben können, nämlich die EWR-internen Strecken und die Strecken Union-Schweiz (im Folgenden: nicht relevante Strecken) (a), den Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung in Bezug auf Cargolux (b), die Haftung für den Sicherheitsaufschlag auch in Bezug auf Cargolux (c) sowie Fehler bei der Beweiswürdigung in Bezug auf Cathay Pacific Airways (d).
a) Zur Haftung von Air Canada für nicht relevante Strecken
115. Mit ihrem zweiten Rechtsmittelgrund macht Air Canada geltend, das Gericht habe Rechtsfehler begangen, als es ihre Haftung für die nicht relevanten Strecken festgestellt habe.
116. Im streitigen Beschluss wies die Kommission das Vorbringen einiger Parteien zur Relevanz der Kontakte in Bezug auf die nicht relevanten Strecken zurück, wobei sie sich im Wesentlichen auf den Begriff der einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung stützte. Insbesondere stellte die Kommission erstens fest, dass „alle Kontakte Aufschläge betrafen …, parallel stattgefunden haben … und zum großen Teil dieselben Transportunternehmen betrafen“ (888. Erwägungsgrund), zweitens, dass „es sich bei den Aufschlägen um allgemein anwendbare Maßnahmen [handelte], die nicht spezifisch für eine Strecke [waren]“ (889. Erwägungsgrund) und, drittens, dass „die Kontakte betreffend Strecken, die die Transportunternehmen nie bedient hatten oder nicht rechtmäßig hätten bedienen können, für die Feststellung einer einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung relevant [waren], da die Parteien durch keine unüberwindliche Barriere daran gehindert würden, Frachtdienste auf diesen Strecken zu erbringen“ (890. Erwägungsgrund)(138 ).
117. Im Urteil Air Canada wies das Gericht das Vorbringen der Rechtsmittelführerin zurück, dass sie mit „unüberwindlichen Barrieren“ konfrontiert gewesen sei, die sie daran gehindert hätten, auf nicht relevanten Strecken Luftfrachtdienste zu erbringen(139 ).
118. Die Rechtsmittelführerin ist der Ansicht, dass das Gericht dieses Argument, gestützt auf eine falsche Prämisse, mit der Begründung zurückgewiesen habe, dass die Eigenschaft als potenzielle Wettbewerberin keine Voraussetzung dafür sei, die Rechtsmittelführerin für diese Strecken zur Verantwortung zu ziehen, und erhebt vier Rügen.
119. Erstens habe das Gericht in den Rn. 376 bis 379 des Urteils Air Canada, indem es seine Antwort allein auf die Frage nach der Eigenschaft als potenzielle Wettbewerberin konzentriert habe, eine Auswechslung der Begründung vorgenommen. Insoweit stelle ich fest, dass das Gericht in den fraglichen Randnummern nur darlegte, dass die Eigenschaft als potenzielle Wettbewerberin, auf die die Kommission im 890. Erwägungsgrund des streitigen Beschlusses hingewiesen hat, angesichts der anderen in diesem Beschluss geprüften Gesichtspunkte, insbesondere des gemeinsamen wettbewerbswidrigen Ziels sowie der Beteiligung der Rechtsmittelführerin an der Abstimmung über die nicht relevanten Strecken und der Kenntnis der Rechtsmittelführerin von den Tätigkeiten auf diesen Strecken, an denen sie nicht unmittelbar beteiligt war, kein entscheidender Gesichtspunkt war. Daher bin ich nicht der Ansicht, dass das Gericht die Beurteilung der Kommission durch seine eigene ersetzt hat.
120. Zweitens habe das Gericht ihre Verteidigungsrechte verletzt, da es sich in den Rn. 364 bis 377 des Urteils Air Canada auf eine Rechtsprechung und eine Argumentation gestützt habe, die im streitigen Beschluss nicht enthalten gewesen seien. Insoweit weise ich darauf hin, dass sich das Gericht in diesen Passagen darauf beschränkt hat, die für eine bezweckte Wettbewerbsbeschränkung geltenden Grundsätze im Zusammenhang mit einer einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung anzuführen, ohne die Verteidigungsrechte der Rechtsmittelführerin zu verletzen(140 ).
121. Drittens habe das Gericht dadurch gegen die Begründungspflicht verstoßen, dass es die Relevanz der angeführten Rechtsprechung nicht erläutert habe, um zu dem in Rn. 377 des Urteils Air Canada gezogenen Schluss zu gelangen. Insoweit genügt der Hinweis, dass sich das Gericht in der Passage dieses Urteils darauf beschränkt hat, auf der Grundlage derselben in den Rn. 364 bis 376 dieses Urteils angeführten Rechtsprechung die Voraussetzungen zusammenzufassen, unter denen die Kommission die Rechtsmittelführerin hinsichtlich der nicht relevanten Strecken für eine einheitliche und fortgesetzte Zuwiderhandlung zur Verantwortung ziehen konnte. Diese Zusammenfassung stellt jedoch keine Begründung für seine anschließend in den Rn. 378 bis 385 dieses Urteils vorgenommene Beurteilung der Verantwortlichkeit der Rechtsmittelführerin dar.
122. Viertens habe das Gericht einen Rechtsfehler begangen, indem es angenommen habe, dass diese Rechtsprechung die Schlussfolgerung stützen könne, dass das Bestehen eines zumindest potenziellen Wettbewerbsverhältnisses zwischen den Transportunternehmen, auf das im 890. Erwägungsgrund des streitigen Beschlusses implizit Bezug genommen werde, keine Voraussetzung dafür sei, die Rechtsmittelführerin für die in Rede stehende einheitliche und fortgesetzte Zuwiderhandlung zur Verantwortung zu ziehen. Meines Erachtens wendet sich die Rechtsmittelführerin mit dieser Rüge, ohne die ersten beiden Gründe in Frage zu stellen, mit denen die Kommission die Kontakte betreffend die nicht relevanten Strecken berücksichtigt hat (Erwägungsgründe 888 und 889 des streitigen Beschlusses), gegen die Beurteilung des dritten Grundes durch das Gericht (890. Erwägungsgrund dieses Beschlusses), und macht geltend, dass entgegen der Ansicht der Kommission „unüberwindliche Barrieren“ bestanden hätten, die sie daran hinderten, Dienstleistungen auf diesen Strecken zu erbringen (und daher als „potenzielle Wettbewerberin“ eingestuft zu werden). Insoweit vertreten die Parteien unterschiedliche Auffassungen zu der Frage, ob die drei Gründe, auf die sich die Kommission in den Erwägungsgründen 888 bis 890 des streitigen Beschlusses gestützt hat, kumulativ sind, wie Air Canada geltend macht, oder ob sie hingegen, wie die Kommission in ihren Schriftsätzen vorträgt, alternativ sind.
123. Meines Erachtens hat sich die Kommission in den Erwägungsgründen 888 bis 890 des streitigen Beschlusses darauf beschränkt, die verschiedenen Gesichtspunkte aufzuführen, auf deren Grundlage sie im vorliegenden Fall die Verantwortlichkeit der Parteien, die das streitige Argument geltend gemacht haben, festgestellt hat. Im Übrigen ergibt sich, wie das Gericht in Rn. 377 des Urteils Air Canada zusammengefasst hat, aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs, das die Zurechnung der Verantwortung an ein Unternehmen im Rahmen einer einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung hauptsächlich von zwei Gesichtspunkten abhängt, nämlich zum einen, dass das Unternehmen durch sein eigenes Verhalten zur Erreichung der von allen Beteiligten verfolgten gemeinsamen Ziele beitragen wollte und zum anderen, dass es von dem von anderen Unternehmen in Verfolgung dieser Ziele beabsichtigten oder an den Tag gelegten rechtswidrigen Verhalten wusste oder es vernünftigerweise vorhersehen konnte und bereit war, die daraus erwachsende Gefahr auf sich zu nehmen(141 ). Insoweit ist, wie das Gericht in Rn. 379 des Urteils Air Canada ausgeführt hat, die Eigenschaft als (potenzielle) Wettbewerberin für die Zurechnung der Verantwortlichkeit kein entscheidender Gesichtspunkt.
124. Folglich gehörte das Argument, es fehle an „unüberwindlichen Barrieren“ für die Erbringung von Luftfrachtdiensten auf den nicht relevanten Strecken, zwar zu den Gesichtspunkten, auf deren Grundlage die Kommission die Verantwortlichkeit der Rechtsmittelführerin für das Verhalten auf diesen Strecken bejahte, doch war dieser Gesichtspunkt insoweit nicht entscheidend. Mir scheint daher, dass das Gericht keinen Rechtsfehler begangen hat, als es in den Rn. 380 bis 385 des Urteils Air Canada die Schlussfolgerung der Kommission bestätigt und die Verantwortlichkeit der Rechtsmittelführerin mit der Begründung anerkannt hat, dass sie zum einen an der Abstimmung über die nicht relevanten Strecken beteiligt gewesen sei und zum anderen von den wettbewerbswidrigen Aktivitäten in Bezug auf diese Strecken, an denen sie nicht unmittelbar beteiligt gewesen sei, gewusst habe.
b) Zum Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung in Bezug auf Cargolux
125. Mit dem zweiten Teil ihres vierten Rechtsmittelgrundes macht Cargolux geltend, das Gericht habe gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung verstoßen(142 ) indem es zum einen die Beteiligung von British Airways an dem die Verweigerung der Zahlung von Provisionen betreffenden Teil der Zuwiderhandlung ausgeschlossen und die Geldbuße gegen diese Gesellschaft und nicht gegen Cargolux herabgesetzt habe, obwohl ähnliche Beweise vorgelegen hätten, und zum anderen die Geldbuße von SAS Cargo Group wegen ihrer begrenzten Beteiligung an dem die Verweigerung der Zahlung von Provisionen betreffenden Teil der Zuwiderhandlung und nicht die von Cargolux, trotz der ähnlichen Dauer des streitigen Verhaltens, herabgesetzt habe.
126. Zum angeblichen Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung von Cargolux gegenüber British Airways genügt zunächst die Feststellung, dass nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs eine Entscheidung, mit der das Vorliegen eines Kartells festgestellt wird, ein Bündel von Entscheidungen darstellt, die an ihre individuellen Adressaten gerichtet sind, wobei die Gültigkeit einer dieser Entscheidungen die der anderen nicht berührt(143 ). Außerdem muss der Grundsatz der Gleichbehandlung nach ebenso ständiger Rechtsprechung mit der Beachtung des Gebots rechtmäßigen Handelns in Einklang gebracht werden, wonach sich niemand zu seinem Vorteil auf eine zugunsten eines anderen begangene Rechtsverletzung berufen kann(144 ). Sodann kommt es, wie die Kommission geltend macht, nicht auf die Anzahl der Beweise an, die für den Nachweis der Beteiligung berücksichtigt wurden, sondern darauf, ob das von der Kommission angeführte Bündel von Indizien bei einer Gesamtwürdigung hinreichend genau und übereinstimmend ist, um die feste Überzeugung zu begründen, dass das Unternehmen an der einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung beteiligt war(145 ). Schließlich betreffen die Beweise im vorliegenden Fall die Beteiligung der verschiedenen Transportunternehmen an der einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung. Diese Beweise sind daher von der Kommission im Hinblick auf die besondere Situation jedes einzelnen Unternehmens zu prüfen und können unabhängig von ihrem Kontext nicht eindeutig ausgelegt werden(146 ). Dieses Vorbringen ist daher zurückzuweisen.
127. Zum behaupteten Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung von Cargolux gegenüber SAS Cargo Group genügt der Hinweis, dass das Gericht zwar im Rahmen der Ausübung seiner Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung u. a. die Begründungspflicht sowie den Grundsatz der Gleichbehandlung zu beachten hat(147 ), es im vorliegenden Fall aber rechtlich hinreichend die Gesichtspunkte dargelegt hat, die es bei der Festsetzung der gegen Cargolux zu verhängenden Geldbuße zugrunde gelegt hat(148 ). Da es in der fraglichen Rechtssache nur im Hinblick auf den streitigen Beschluss, soweit er Cargolux betrifft, befasst wurde, kann nicht davon ausgegangen werden, dass es verpflichtet war, die Situation anderer Unternehmen, die Gegenstand dieses Beschlusses sind, zu berücksichtigen, zumal die Rechtsmittelführerin, wie sich aus dem Urteil Cargolux Airlines ergibt, vor dem Gericht ihr auf die Ungleichbehandlung gestütztes Argument nicht geltend gemacht hat.
c) Zur Haftung von Cargolux für den Sicherheitsaufschlag
128. Mit dem dritten Teil ihres vierten Rechtsmittelgrundes macht Cargolux geltend, das Gericht habe zu Unrecht entschieden, dass die Kommission zu der Annahme berechtigt gewesen sei, dass sich Cargolux an dem Bestandteil der einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung betreffend den Sicherheitsaufschlag in den Zeiträumen weiter beteiligt habe, in denen unstreitig gewesen sei, dass nichts das Bestehen von Kontakten, an denen sie beteiligt gewesen sei, beweise (im Folgenden: Lückenzeiträume).
129. Im Urteil Cargolux Airlines hat das Gericht nämlich anerkannt, dass sich aus dem streitigen Beschluss eine „Leere“ in den Schriftstücken, die die fragliche Beteiligung belegen sollen, ergebe (Rn. 467)(149 ). Gleichwohl kam das Gericht, indem es sich auf die Umstände des vorliegenden Falles stützte (Rn. 473 bis 476), zu dem Ergebnis, dass die Kommission zu Recht festgestellt hat, dass die Beteiligung der Rechtsmittelführerin an dem Bestandteil der einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung betreffend den Sicherheitsaufschlag während dieser Zeiträume fortgesetzt worden war (Rn. 477). Die Relevanz all dieser Umstände wird von der Rechtsmittelführerin mit einem Vorbringen bestritten, das mich jedoch nicht überzeugt.
130. Vorab ist festzustellen, dass nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs, wenn ein Nachweis für das Vorliegen einer Vereinbarung oder zumindest für ihre Durchführung durch ein Unternehmen für bestimmte Zeiträume nicht erbracht wurde, davon ausgegangen werden kann, dass die Zuwiderhandlung während eines längeren Gesamtzeitraums fortbestand, sofern eine solche Feststellung auf objektiven und übereinstimmenden Indizien beruht. Im Rahmen einer Zuwiderhandlung, die sich über mehrere Jahre erstreckt, bleibt die Tatsache, dass sich das Kartell während verschiedener Zeitabschnitte manifestiert, die durch mehr oder weniger lange Zwischenräume voneinander getrennt sein können, ohne Einfluss auf den Bestand dieses Kartells, sofern mit den verschiedenen Maßnahmen, die Teil dieser Zuwiderhandlung sind, im Rahmen einer einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung das gleiche Ziel verfolgt wird(150 ).
131. Was das Vorbringen der Rechtsmittelführerin betrifft, weist sie erstens die Feststellung des Gerichts in Rn. 473 des Urteils Cargolux Airlines zurück, wonach der Treibstoffaufschlag (für den die Beteiligung der Rechtsmittelführerin während des gesamten maßgeblichen Zeitraums fortbestand) und der Sicherheitsaufschlag Teil ein und derselben Zuwiderhandlung waren, mit der ein einheitliches Ziel verfolgt wurde, indem sie die im Rahmen des zweiten Teils des dritten Rechtsmittelgrundes vorgebrachten Argumente wiederholt, die im Rahmen der vorliegenden gezielten Schlussanträge nicht geprüft werden(151 ).
132. Zweitens wendet sich die Rechtsmittelführerin gegen die Feststellung des Gerichts in Rn. 474 des Urteils Cargolux Airlines, wonach die Umsetzung des Sicherheitsaufschlags deutlich seltenere Kontakte als die Durchführung des Treibstoffzuschlags erforderte, da dieser nicht auf einem Index beruhte, dessen Entwicklung regelmäßige Anpassungen verlangt hätte. Damit beanstandet sie Tatsachenwürdigungen des Gerichts, ohne eine Verfälschung von Tatsachen oder Beweismitteln darzutun.
133. Drittens macht die Rechtsmittelführerin geltend, das Gericht habe in Rn. 475 des Urteils Cargolux Airlines die Beweislast umgekehrt, als es entschieden habe, sie habe weder bestritten, dass die Auswirkungen der Koordinierung in Bezug auf den Sicherheitsaufschlag während der Lückenzeiträume fortgedauert hätten, noch behauptet, keine Kenntnis davon gehabt zu haben, dass sich die anderen beschuldigten Luftfahrtunternehmen in diesem Zeitraum weiterhin über den Sicherheitsaufschlag abstimmten. Mir scheint jedoch, dass das Gericht mit diesen Ausführungen lediglich darauf hinweisen wollte, dass es, nachdem die Kommission entsprechend der ihr obliegenden Beweislast dargetan hatte, dass der Sicherheitsaufschlag seine Wirkungen bis zum Ende des maßgeblichen Zeitraums entfaltet habe und dass in diesem Zeitraum Kontakte zwischen den Transportunternehmen stattgefunden hätten, der Rechtsmittelführerin oblag, gegebenenfalls den Gegenbeweis zu erbringen.
134. Viertens wendet sich die Rechtsmittelführerin gegen das Argument in Rn. 476 des Urteils Cargolux Airlines, wonach sie nicht nachgewiesen oder auch nur behauptet habe, dass sie sich in den Lückenzeiträumen offen von der Koordinierung in Bezug auf den Sicherheitsaufschlag distanziert habe, oder dargetan habe, dass sie in diesen Zeiträumen ein lauteres und unabhängiges Wettbewerbsgebaren auf dem relevanten Markt wieder aufgenommen habe. Sie trägt jedoch nichts vor, woraus sich ergäbe, dass diese Feststellung die Tatsachen verfälscht. Im Übrigen geht dieses Argument meines Erachtens ins Leere, da das Fehlen einer offenen Distanzierung nicht der einzige Gesichtspunkt ist, auf den das Gericht seine Schlussfolgerung gestützt hat(152 ).
135. Ich schlage daher vor, diesen Teil des Rechtsmittelgrundes zurückzuweisen.
d) Zu den Fehlern bei der Beweiswürdigung in Bezug auf Cathay Pacific Airways
136. Mit ihrem vierten und ihrem fünften Rechtsmittelgrund macht Cathay Pacific Airways geltend, das Gericht habe einen Rechtsfehler begangen, indem es Beweise für das Verhalten zugelassen habe, das vor dem Zeitraum der Zuwiderhandlung an den Tag gelegt worden sei oder nicht der geografischen Zuständigkeit der Kommission unterliege, um seine Schlussfolgerung zu untermauern, dass die Rechtsmittelführerin an der einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung beteiligt gewesen sei(153 ). Mit ihrem Hauptargument macht die Rechtsmittelführerin im Wesentlichen geltend, das Gericht habe die von der Kommission herangezogenen Beweise bestätigt, ohne zu erläutern, ob es diese Beweise als Beweismittel zur „Erhärtung“ anderer (unmittelbarer) Beweise angesehen habe oder ob es diese Beweise als unmittelbare Beweise für die Beteiligung der Rechtsmittelführerin an der einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung angesehen habe(154 ).
137. Insoweit hat das Gericht im Urteil Cathay Pacific Airways bei der Prüfung der ersten Rüge des dritten Teils des dritten Klagegrundes, mit dem Fehler bei der Zurechnung der einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung an die Rechtsmittelführerin geltend gemacht wurden, geprüft, ob u. a. Kontakte aus der Zeit vor der Zuwiderhandlung und außerhalb der geografischen Zuständigkeit der Kommission berücksichtigt wurden(155 ).
138. Was erstens die Kontakte aus der Zeit vor der Zuwiderhandlung betrifft, hat das Gericht zum einen festgestellt, dass mehrere der von der Rechtsmittelführerin bestrittenen Kontakte Strecken betroffen hätten, für die es zuständig gewesen sei (Rn. 315 bis 321). Zum anderen war es der Ansicht, dass die übrigen bestrittenen Kontakte, auch wenn sie in Drittländern oder unter Beteiligung lokaler Mitarbeiter der beschuldigten Transportunternehmen in diesen Ländern stattgefunden hätten, dennoch relevant sein könnten (Rn. 322)(156 ) und dass im Wesentlichen die Beurteilung dieser Kontakte für die gewählte Lösung nicht entscheidend sei (Rn. 323). Nur in diesem Zusammenhang hat das Gericht im Wesentlichen die Relevanz dieser Kontakte im Zusammenhang mit der in Rede stehenden einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung geprüft (Rn. 325 bis 327)(157 ) und ist zu dem Ergebnis gelangt, dass die Rechtsmittelführerin „nicht vor[trägt], diese Kontakte untermauerten nicht den Ansatz im Zusammenhang mit anderen Beweismitteln“, und dass nicht behauptet wurde, „dass sie nicht in die Zuständigkeit der Kommission fielen“. Es führte aus, dass die rund 40 von der Rechtsmittelführerin bestrittenen Kontakte zu den rund 90 streitigen Kontakten gehörten, die die Kommission im streitigen Beschluss geprüft hatte (Rn. 328).
139. Was zweitens die Kontakte außerhalb der geografischen Zuständigkeit der Kommission betrifft, hat das Gericht in ähnlicher Weise zum einen klargestellt, dass der Kommission, da diese Kontakte unterschiedslos die von der Schweiz ausgehenden Strecken betrafen, nicht vorgeworfen werden kann, davon ausgegangen zu sein, dass sie auch die Strecken Union-Schweiz betrafen (Rn. 332), und zum anderen, dass diese Kontakte auch die rund 90 Kontakte untermauern sollten, die die Kommission herangezogen hat, um die Beteiligung der Rechtsmittelführerin an der einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung nachzuweisen (Rn. 333 und 334).
140. Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass im Unionsrecht hinsichtlich der Beweiskraft von Beweismitteln der Grundsatz der freien Beweiswürdigung gilt und dass das alleinige Kriterium für die Beurteilung von Beweismitteln ihre Glaubhaftigkeit ist(158 ). Zwar muss die Kommission genaue und übereinstimmende Beweise beibringen, die die feste Überzeugung begründen, dass die Zuwiderhandlung begangen wurde, doch muss nicht jeder der von der Kommission beigebrachten Beweise notwendigerweise diesem Kriterium in Bezug auf jedes Element der Zuwiderhandlung genügen. Es genügt, dass das Bündel der von der Kommission angeführten Indizien bei einer Gesamtbetrachtung dieses Erfordernis erfüllt(159 ).
141. Im vorliegenden Fall bin ich der Ansicht, dass das Gericht nicht verpflichtet war, für jedes im Urteil Cathay Pacific Airways geprüfte Beweismittel anzugeben, ob es ein unmittelbarer Beweis oder ein erhärtendes Beweismittel war, da die geprüften Beweise ausreichten, um nach dem in der vorstehenden Nummer der vorliegenden Schlussanträge angeführten Grundsatz der freien Beweiswürdigung die feste Überzeugung zu begründen, dass die Zuwiderhandlung begangen wurde.
142. Im Urteil Cathay Pacific Airways hat das Gericht nämlich zum einen auf die Relevanz einiger der von der Rechtsmittelführerin beanstandeten Beweismittel hingewiesen (Rn. 315 bis 321), was von der Rechtsmittelführerin im Rahmen des geprüften Vorbringens nicht in Frage gestellt wird, und zum anderen erläutert, dass die anderen von der Rechtsmittelführerin bestrittenen Beweise relevant sein könnten (Rn. 322 und 332), wobei es darauf hingewiesen hat, dass diese Kontakte jedenfalls nützlich sein könnten, um die anderen Beweise zu „untermauern“, da diese Kontakte nur ein Teil der rund 90 Kontakte waren, auf die sich die Kommission im streitigen Beschluss gestützt habe (Rn. 328 und 333).
143. Das Gericht hat die Einstufung von Kontakten, die die anderen Beweise „untermauern“ sollten, daher hilfsweise und in Bezug auf einen Teil der streitigen Kontakte vorgenommen, was durch das Vorbringen der Rechtsmittelführerin nicht in Frage gestellt wird.
144. Unter den Umständen des vorliegenden Falles bin ich daher der Ansicht, dass das Gericht nicht verpflichtet war, den Beweiswert jedes einzelnen dieser Beweismittel einzustufen, um die Beurteilung der Relevanz dieser Kontakte durch die Kommission zu bestätigen, und dass das Vorbringen der Rechtsmittelführerin zurückzuweisen ist.
2. Zur (nur) teilweisen Nichtigerklärung des streitigen Beschlusses in Bezug auf LATAM Airlines Group und Lan Cargo
145. Mit ihrem ersten Rechtsmittelgrund machen LATAM Airlines Group und Lan Cargo geltend, das Gericht habe, nachdem es die Haftung der Rechtsmittelführerinnen für die Bestandteile der einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung im Zusammenhang mit dem Sicherheitsaufschlag und der Verweigerung der Zahlung von Provisionen ausgeschlossen habe, den streitigen Beschluss zu Unrecht nur teilweise für nichtig erklärt, da diese Bestandteile nicht vom anderen Bestandteil der einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung, nämlich dem Treibstoffaufschlag, getrennt werden könnten. Insbesondere habe das Gericht die Trennbarkeit dieser Bestandteile nicht begründet und die Beweislast für ihre fehlende Haftung für den Treibstoffaufschlag umgekehrt, indem sie sie den Rechtsmittelführerinnen auferlegt habe. Jedenfalls habe es einen Fehler in Bezug auf die Trennbarkeit der Bestandteile begangen.
146. Hierzu hat der Gerichtshof im Wesentlichen entschieden, dass im Rahmen einer einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung die Kommission lediglich berechtigt ist, ein Unternehmen für die Verhaltensweisen, an denen es sich unmittelbar beteiligt hat, und die Verhaltensweisen zur Verantwortung zu ziehen, die die anderen Kartellbeteiligten in Verfolgung der gleichen wie der von ihm verfolgten Ziele beabsichtigten oder an den Tag legten und für die nachgewiesen ist, dass es von ihnen wusste oder sie vernünftigerweise vorhersehen konnte und bereit war, die daraus erwachsende Gefahr auf sich zu nehmen. Der Gerichtshof hat klargestellt, dass dies jedoch nicht zu einer Entlastung dieses Unternehmens von seiner Verantwortlichkeit für die Verhaltensweisen führen darf, an denen seine Beteiligung feststeht und für die es tatsächlich zur Verantwortung gezogen werden kann(160 ). Eine solche Aufteilung einer Entscheidung der Kommission, in der ein Gesamtkartell als einheitliche und fortgesetzte Zuwiderhandlung eingestuft wird, kommt jedoch nur in Betracht, wenn das genannte Unternehmen im Verwaltungsverfahren in die Lage versetzt wurde, zu erkennen, dass ihm auch jede der Verhaltensweisen, aus denen sie besteht, vorgeworfen wird, und es sich mithin in diesem Punkt verteidigen konnte, und wenn die Entscheidung insoweit hinreichend klar ist(161 ).
147. Wie die Kommission in ihren schriftlichen Erklärungen ausführt, werden die beiden letztgenannten Voraussetzungen im vorliegenden Fall nicht bestritten, da die Mitteilung der Beschwerdepunkte und der streitige Beschluss klar darlegten, dass sich die Rechtsmittelführerinnen an den einzelnen Bestandteilen der einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung beteiligt hätten.
148. Allerdings machen die Rechtsmittelführerinnen geltend, dass im vorliegenden Fall der Sicherheitsaufschlag und die Verweigerung der Zahlung von Provisionen nicht vom Treibstoffaufschlag getrennt werden könnten, da es sich um „gleichwertige Bestandteile“ der einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung handele, für die die Kommission im streitigen Beschluss keine Hierarchie aufgestellt habe(162 ). Sie habe im Übrigen selbst eingeräumt, dass die beiden fraglichen Bestandteile nicht voneinander getrennt werden könnten, als sie im 863. Erwägungsgrund dieses Beschlusses zu dem Ergebnis gekommen sei, dass „es widersinnig wäre, ein solches durch einen einzigen Zweck bestimmtes fortgesetztes Verhalten in verschiedene getrennte Zuwiderhandlungen zu unterteilen, während es sich um eine einzige Zuwiderhandlung handelte, die sich nach und nach sowohl in Form von Vereinbarungen als auch in Form aufeinander abgestimmter Verhaltensweisen manifestiert“(163 ).
149. Ich weise darauf hin, dass, wie die Kommission in ihren schriftliche Erklärungen hervorhebt, das Erfordernis, nachzuweisen, dass die Teile, deren teilweise Nichtigerklärung beantragt wird, sich vom Rest des Rechtsakts „trennen lassen“, nicht bedeutet, dass diese Teile zwangsläufig als „untergeordnet“ eingestuft werden müssten(164 ). Somit stellt sich die Frage, ob das Verhalten in Bezug auf den Treibstoffaufschlag, für das das Gericht die Haftung der Rechtsmittelführerinnen festgestellt hat, sich von dem Verhalten in Bezug auf den Sicherheitsaufschlag „trennen lässt“, für das das Gericht die Haftung der Rechtsmittelführerinnen ausgeschlossen hat.
150. Außerdem scheint mir der von der Kommission im 863. Erwägungsgrund des streitigen Beschlusses verwendete Ausdruck, wonach es „es widersinnig wäre, ein solches … fortgesetztes Verhalten … zu unterteilen …, indem es so behandelt würde, als ob es aus getrennten Zuwiderhandlungen bestehe“, für die Einstufung der in Rede stehenden Zuwiderhandlung nicht entscheidend zu sein. Mit diesem Ausdruck wollte die Kommission nämlich die Umrisse des Begriffs der einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung präzisieren, wie er auf die verschiedenen Verhaltensweisen angewandt wird, die die Parteien an den Tag gelegt haben und mit denen dasselbe wettbewerbswidrige Ziel verfolgt wird, unabhängig davon, ob es sich um gesonderte Zuwiderhandlungen handelte oder nicht, wie sie im 862. Erwägungsgrund dieses Beschlusses klar ausführt(165 ). Im Übrigen beruht, wie die Kommission im Verfahren vor dem Gerichtshof ausgeführt hat, jede Feststellung einer einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung auf der Prämisse, dass es künstlich wäre, ihre verschiedenen Bestandteile voneinander zu trennen.
151. Zwar trifft es zu, dass die Kommission in der Mitteilung der Beschwerdepunkte und im streitigen Beschluss nachgewiesen hat, dass sich die Rechtsmittelführerinnen an dem Bestandteil der einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung betreffend den Treibstoffaufschlag beteiligt hatten(166 ) (was im Rahmen des geprüften Klagegrundes nicht bestritten wird), doch trifft es auch zu, dass die Kommission in diesem Beschluss nicht klargestellt hat, dass die Koordinierung in Bezug auf den Treibstoffaufschlag, für die die Haftung der Rechtsmittelführerinnen festgestellt wurde, nicht nur einen Bestandteil der einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung, sondern auch eine gesonderte Zuwiderhandlung darstellte.
152. Im Urteil LATAM Airlines Group und Lan Cargo hat das Gericht den streitigen Beschluss für nichtig erklärt, soweit den Rechtsmittelführerinnen darin die Bestandteile der einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung im Zusammenhang mit dem Sicherheitsaufschlag und der Verweigerung der Zahlung von Provisionen zugerechnet wurden, entschied aber, dass der streitige Beschluss nicht insgesamt für nichtig zu erklären sei, da die Rechtsmittelführerinnen nicht nachgewiesen hätten, dass die Kommission mit der Feststellung, dass sie an dieser Zuwiderhandlung beteiligt gewesen seien, einen Rechtsfehler begangen habe(167 ). Das Gericht erläutert jedoch nicht, ob das Verhalten in Bezug auf den Treibstoffaufschlag eine vom Verhalten in Bezug auf den Sicherheitsaufschlag und die Verweigerung der Zahlung von Provisionen gesonderte Zuwiderhandlung darstellte.
153. Konzentriert man sich jedoch auf den Kern der Beurteilung der Kommission, geht aus dem streitigen Beschluss insgesamt hervor, dass die Verhaltensweisen, die die einzelnen Bestandteile der einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung betreffen, von der Kommission als Zuwiderhandlungen gegen Art. 101 AEUV und Art. 53 des EWR-Abkommens angesehen wurden. Beispielsweise erläuterte die Kommission im 846. Erwägungsgrund dieses Beschlusses, dass dessen Adressaten bilaterale und multilaterale Kontakte unterhalten hätten, in deren Rahmen sie ihr Verhalten untereinander abgestimmt oder die Preisgestaltung beeinflusst hätten, was letztlich auf eine Preisabsprache im Zusammenhang mit dem Treibstoffaufschlag, dem Sicherheitsaufschlag und der Verweigerung der Zahlung von Provisionen hinausliefe. Aus dieser Passage geht somit klar hervor, dass das beanstandete Verhalten, das als „Preisabsprache“ und damit implizit als Zuwiderhandlung gegen die angeführten Bestimmungen eingestuft wurde, aus den drei Elementen der einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung bestand. Ich bezweifle, dass keiner der betroffenen Parteien bewusst war, dass ihr Verhalten in Bezug auf die einzelnen Bestandteile der Zuwiderhandlung oder zumindest die Koordinierung in Bezug auf die beiden Aufschläge(168 ) als solche eine „Preisabsprache“ und somit eine Zuwiderhandlung gegen oben angeführte Bestimmungen darstellte(169 ).
154. Mir scheint daher, dass das Gericht nicht verpflichtet war, seinen Standpunkt zur Frage, ob der Treibstoffaufschlag ganz einfach eine „Zuwiderhandlung“ darstellte, ausdrücklich zu begründen, da die Rechtsmittelführerinnen im Verwaltungsverfahren in die Lage versetzt worden waren, zu erkennen, dass ihnen auch jede der gesonderten Verhaltensweisen, aus denen die einheitliche und fortgesetzte Zuwiderhandlung besteht, vorgeworfen wurde, und sie sich mithin in diesem Punkt verteidigen konnten, und da der streitige Beschluss insoweit hinreichend klar war(170 ).
155. Was schließlich das Vorbringen der Rechtsmittelführerinnen zur Umkehr der Beweislast betrifft, genügt der Hinweis, dass das Gericht in Rn. 632 des Urteils LATAM Airlines Group und Lan Cargo, der von den Rechtsmittelführerinnen beanstandet wird, mit seinen Ausführungen, dass die Rechtsmittelführerinnen „nicht nachgewiesen [hatten], dass die Kommission mit der Feststellung, dass sie an dieser Zuwiderhandlung beteiligt gewesen seien, einen Rechtsfehler begangen hatte“ auf Rn. 581 dieses Urteils verweist, der die frühere Analyse des Gerichts hinsichtlich der Beteiligung der Rechtsmittelführerinnen an dem Bestandteil der einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung im Zusammenhang mit dem Treibstoffaufschlag ab dem 22. Juli 2005 abschließt, wie in Rn. 580 dieses Urteils dargelegt. Folglich hat das Gericht nach der Feststellung, dass die Kommission den Beweis für diese Beteiligung erbracht hatte, hinzugefügt, dass die Rechtsmittelführerinnen den Gegenbeweis nicht erbracht hätten. Damit hat es die Beweislast nicht umgekehrt, sondern lediglich festgestellt, dass die Rechtsmittelführerinnen angesichts der von der Kommission vorgelegten Beweise keinen Gegenbeweis erbracht hätten.
3. Zur Verjährung der Sanktionsbefugnis der Kommission in Bezug auf Air Canada und Singapore Airlines
156. Mit ihrem dritten und ihrem vierten Rechtsmittelgrund machen Air Canada bzw. Singapore Airlines geltend, das Gericht hätte von Amts wegen feststellen müssen, dass die Sanktionsbefugnis in Bezug auf ihre Verhaltensweisen betreffend die EWR-internen Strecken und die Strecken Union-Schweiz ab dem 14. Februar 2016 verjährt gewesen sei(171 ), wie es dies auf Antrag der Verfahrensbeteiligten gegenüber Japan Airlines, Cathay Pacific Airways und LATAM Airlines Group getan habe(172 ). Der Klagegrund der Verjährung der Sanktionsbefugnis der Kommission nach Art. 25 der Verordnung Nr. 1/2003 sei nämlich aufgrund mehrerer tragender Grundsätze(173 ) ein Gesichtspunkt zwingenden Rechts.
157. Vorab weise ich darauf hin, dass, wie einige Generalanwälte ausgeführt haben(174 ), es sich um einen Gesichtspunkt zwingenden Rechts handelt, wenn zum einen die Regel, gegen die verstoßen wurde, einem grundlegenden Ziel oder Wert der Unionsrechtsordnung dient und eine bedeutende Rolle bei der Erreichung dieses Ziels oder Wertes spielt und wenn zum anderen diese Regel nicht nur im Interesse der unmittelbar betroffenen Personen, sondern auch im Interesse Dritter oder im Allgemeininteresse ergangen ist.
158. Auch wenn sich der Unionsrichter bisher nicht zu der Frage geäußert hat, ob das Gericht befugt ist, von Amts wegen die Verjährung einer Entscheidung über die Verhängung einer Geldbuße wegen Verstoßes gegen das Wettbewerbsrecht zu prüfen, schlage ich vor, diese Frage zu verneinen. Die in Rede stehende Verjährungsfrist kann nämlich zwar in gewissem Maße grundlegenden Zielen der Unionsrechtsordnung dienen. Diese wird jedoch nicht im Interesse Dritter oder der Allgemeinheit festgelegt, sondern allein im Interesse der betroffenen Personen.
159. Erstens handelt es sich bei dieser Frist meines Erachtens nicht um eine Verfahrensfrist, sondern vielmehr um eine Frist, die zum Untergang der Klage führt.
160. Insoweit weise ich darauf hin, dass der Gerichtshof, auch wenn es sich um unterschiedliche Bereiche handelt, u. a. entschieden hat, dass die Verjährung eine Einrede der Unzulässigkeit darstellt, die im Unterschied zu den Verfahrensfristen kein zwingendes Recht ist, sondern die Haftungsklage nur auf Antrag des Beklagten untergehen lässt(175 ), und im Rahmen einer Klage im Bereich des öffentlichen Dienstes, dass der Klagegrund der Missachtung einer Verjährungsfrist kein zwingendes Recht war(176 ). Der Sinn und Zweck dieser Entscheidungen ist meines Erachtens im vorliegenden Fall anwendbar. Das Ziel der fraglichen Regel ist nämlich nicht, das öffentliche Interesse zu schützen, sondern die Interessen der Einzelnen.
161. Folglich ist die in Rede stehende Verjährungsfrist entgegen dem Vorbringen der Rechtsmittelführerinnen nicht mit der Klagefrist nach Art. 263 AEUV vergleichbar, deren Natur zwingenden Rechts unstreitig ist. Im letztgenannten Fall besteht nämlich ein insbesondere aus dem Grundsatz der Rechtssicherheit hergeleitetes öffentliches Interesse daran, dass Nichtigkeitsklagen gegen Entscheidungen nicht nach Ablauf der geltenden Frist erhoben werden, was die Rechtssicherheit, die Dritte in Bezug auf die Rechtmäßigkeit einer Handlung eines Unionsorgans nach Ablauf dieser Frist genießen, erheblich beeinträchtigen würde(177 ).
162. Zweitens kann die Überschreitung der fraglichen Frist meines Erachtens nicht zur Unzuständigkeit des betreffenden Organs führen.
163. Zwar hat der Gerichtshof festgestellt, dass bestimmte Ausschlussfristen Gründe zwingenden Rechts darstellen, da sie die zeitliche Zuständigkeit des Organs, das die streitigen Rechtsakte erlassen hat, betreffen(178 ), doch knüpft diese Folge nicht einfach an den Ablauf der Frist für den Erlass des Rechtsakts an, sondern vielmehr an das Fehlen oder die Aufhebung der Rechtsgrundlage, die den Urheber des Rechtsakts zum Tätigwerden ermächtigt(179 ). Folglich bewirkt der Ablauf der in Rede stehenden Verjährungsfrist an sich keine Unzuständigkeit der Kommission für die Verhängung von Sanktionen.
164. Drittens kann die Natur zwingenden Rechts des Klagegrundes betreffend den Ablauf der Verjährungsfrist nicht mit dem im Wesentlichen strafrechtlichen Charakter der Geldbußen im Bereich des Wettbewerbs im Rahmen der Anwendung von Art. 6 Abs. 1 der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (im Folgenden: EMRK) gerechtfertigt werden(180 ).
165. Zwar hat der Gerichtshof, ungeachtet der Bestimmungen von Art. 23 Abs. 5 der Verordnung Nr. 1/2003, aus denen hervorgeht, dass die Entscheidungen, mit denen Geldbußen wegen Verstößen gegen das Wettbewerbsrecht verhängt werden, keinen strafrechtlichen Charakter haben, zumindest implizit anerkannt, dass Sanktionen wegen Verstoßes gegen das Wettbewerbsrecht der Union für die Zwecke der Anwendung des strafrechtlichen Teils von Art. 6 Abs. 1 der EMRK de facto strafrechtlicher Natur sind(181 ), doch bin ich der Ansicht, dass das Wettbewerbsrecht nicht zum „harten Kern“ des Strafrechts gehört, so dass die im Strafrecht im engeren Sinne vorgesehenen Garantien nicht in ihrer vollen Strenge zur Anwendung kommen(182 ). Daraus folgt, dass die de facto strafrechtliche Natur der Geldbußen nicht für sich genommen ein öffentliches Interesse an der Verjährung der Sanktionsbefugnis nach Art. 25 der Verordnung Nr. 1/2003 impliziert.
166. Viertens gilt das Gleiche für die in der Rechtsprechung des Gerichtshofs enthaltenen Bezugnahmen auf das Wesen des Wettbewerbsrechts als Teil der öffentlichen Ordnung(183 ) und insbesondere der öffentlichen Wirtschaftsordnung(184 ). Der Umstand, dass das Wettbewerbsrecht im Wesentlichen zugunsten der öffentlichen (Wirtschafts‑)Ordnung wirkt, bedeutet nämlich nicht, dass alle diese Bestimmungen zu dieser öffentlichen Ordnung gehören(185 ).
167. Schließlich ist zum Gleichbehandlungsgrundsatz auf zwei Umstände hinzuweisen: Zum einen stellt nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs eine Entscheidung, mit der das Vorliegen eines Kartells festgestellt wird, im Wesentlichen ein Bündel von Entscheidungen dar, die an ihre individuellen Adressaten gerichtet sind, wobei die Gültigkeit einer dieser Entscheidungen die der anderen nicht berührt(186 ). Zum anderen befinden sich zwar nach ständiger Rechtsprechung die Unternehmen, die Klage erhoben haben, nicht in der gleichen verfahrensrechtlichen Lage wie die Unternehmen, die sie nicht erhoben haben(187 ), doch sollte derselbe Grundsatz meines Erachtens auf Unternehmen Anwendung finden, die keinen die Verjährung betreffenden Klagegrund geltend gemacht haben.
168. Im Übrigen weise ich darauf hin, dass die Prüfung einer Verjährungsfrist normalerweise mit der Würdigung von Tatsachen verbunden ist, die mangels von der betroffenen Partei vorgeschlagener tatsächlicher Beweismittel gegen den Dispositionsgrundsatz verstößt und nicht geeignet ist, vom Unionsrichter von Amts wegen geprüft zu werden(188 ). Außerdem frage ich mich, ob die Möglichkeit, eine Entscheidung, mit der eine Zuwiderhandlung festgestellt wird, über die Frist für die Einlegung eines Rechtsbehelfs hinaus von Amts wegen für nichtig zu erklären, nicht die Gefahr mit sich bringt, die Schadensersatzklagen der Privatpersonen (private enforcement ) ungewisser zu machen(189 ).
169. Im Ergebnis bin ich der Ansicht, dass die Verjährungsfrist nicht als ein Gesichtspunkt zwingenden Rechts ausgelegt werden sollte, den der Unionsrichter von Amts wegen prüfen muss. Die fraglichen Rechtsmittelgründe sind folglich zurückzuweisen.
C. Zur Ausübung der Befugnis des Gerichts zu unbeschränkter Nachprüfung in Bezug auf SAS Cargo Group
170. Im Urteil SAS Cargo Group hat das Gericht, nachdem es dem zweiten Klageantrag der Klägerinnen auf Herabsetzung der verhängten Geldbuße stattgegeben hatte, den streitigen Beschluss teilweise für nichtig erklärt, soweit er die Gesellschaften der SAS Cargo Group betrifft, und seine Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung ausgeübt(190 ), um die gegen diese verhängte Geldbuße herabzusetzen. Bei der Berechnung des Grundbetrags der Geldbuße berücksichtigte es jedoch den auf Strecken innerhalb eines einzigen Mitgliedstaats erzielten Umsatz (im Folgenden: interne Verkäufe(191 )) im Wert der Verkäufe dieser Gesellschaften und wies darauf hin, dass dieser Umsatz von der Kommission „versehentlich“(192 ) ausgeschlossen worden sei. Das Gericht ist so vorgegangen, da der Umsatz aus den internen Verkäufen in den Anwendungsbereich der einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung fiel(193 ) und „auch um die Gleichbehandlung der beschuldigten Transportunternehmen, die Klage gegen den angefochtenen Beschluss erhoben haben, zu gewährleisten“(194 ), und zwar obwohl die Kommission, vom Gericht zur Vereinbarkeit eines solches Ausschlusses mit dem Grundsatz der Gleichbehandlung und mit Ziff. 13 ihrer Leitlinien für die Festsetzung von Geldbußen befragt(195 ), die Ansicht vertreten hatte, dass dieser Umsatz bei der Berechnung der Geldbuße nicht zu berücksichtigen sei(196 ). Folglich hat das Gericht eine niedrigere Herabsetzung der Geldbuße vorgenommen, als dies ohne diese Berichtigung der Fall gewesen wäre.
171. Mit ihrem fünften Rechtsmittelgrund machen die Rechtsmittelführerinnen in der Rechtssache SAS Cargo Group geltend, das Gericht habe bei der Ausübung seiner Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung den Anspruch auf rechtliches Gehör und den Grundsatz des kontradiktorischen Verfahrens (1), die Begründungspflicht (2), den Grundsatz ne ultra petita (3) sowie die Unschuldsvermutung und den Gleichbehandlungsgrundsatz (4) verletzt.
1. Zum Anspruch auf rechtliches Gehör und zum Grundsatz des kontradiktorischen Verfahrens
172. Was erstens den Anspruch auf rechtliches Gehör und den Grundsatz des kontradiktorischen Verfahrens angeht, machen die Rechtsmittelführerinnen in der Rechtssache SAS Cargo Group geltend, sie seien nicht in die Lage versetzt worden, die Feststellung des Gerichts, dass die Geldbuße diskriminierend sei, anzugreifen, da kein Verfahrensbeteiligter diesen Punkt aufgeworfen habe.
173. Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass der Anspruch auf rechtliches Gehör und der Grundsatz des kontradiktorischen Verfahrens zu den Verteidigungsrechten gehören und für jedes Verfahren gelten, das zu einer Entscheidung eines Unionsorgans führen kann, durch die Interessen eines Dritten spürbar beeinträchtigt werden(197 ).
174. Im Allgemeinen garantiert das Recht auf Anhörung jeder Person die Möglichkeit, im Verwaltungsverfahren, bevor ihr gegenüber eine für ihre Interessen nachteilige Entscheidung erlassen wird, sachdienlich und wirksam ihren Standpunkt vorzutragen(198 ), während der Grundsatz des kontradiktorischen Verfahrens zum einen das Recht der Verfahrensbeteiligten umfasst, Kenntnis von den Beweismitteln und den beim Gericht eingereichten Erklärungen zu nehmen und diese zu erörtern, und zum anderen das Verbot, eine gerichtliche Entscheidung auf Tatsachen und Schriftstücke zu gründen, von denen die Parteien – oder eine von ihnen – keine Kenntnis nehmen und zu denen sie auch nicht Stellung nehmen konnten(199 ).
175. Wie das Gericht in Rn. 937 des Urteils SAS Cargo Group, ausführt und wie die Rechtsmittelführerinnen in der Rechtssache SAS Cargo Group selbst in ihren schriftlichen Erklärungen darlegen, hat das Gericht sie aufgefordert, sich zu den Antworten der Kommission auf die Fragen des Gerichts zu äußern, einschließlich einer Frage zu den Umsätzen, auf die die Kommission ihre Berechnungen in Bezug auf die verhängten Geldbußen gestützt hatte, und mit der das Gericht ausdrücklich gefragt hat, aus welchem Grund die Kommission die Umsätze betreffend die internen Verkäufe ausgeschlossen hat.
176. Unter diesen Umständen hat das Gericht meines Erachtens den Anspruch der Rechtsmittelführerinnen in der Rechtssache SAS Cargo Group auf rechtliches Gehör oder den Grundsatz des kontradiktorischen Verfahrens nicht verletzt, da diese, nachdem sie einen Klagegrund betreffend die Überprüfung der über sie verhängten Geldbuße geltend gemacht hatten, zur Berücksichtigung des Umsatzes betreffend die internen Verkäufe im Wert der Verkäufe gehört wurden und zu diesem Aspekt sachgerecht Stellung nehmen konnten.
177. Zu dem Vorbringen der Rechtsmittelführerinnen in der Rechtssache SAS Cargo Group, die ihnen gestellte Frage sei so inhaltsleer gewesen, dass nicht davon ausgegangen werden könne, dass der Anspruch auf rechtliches Gehör erfüllt worden sei, ist festzustellen, dass sich die der Kommission gestellte Frage, zu der sich die Rechtsmittelführerinnen zu äußern hatten, ausdrücklich auf den Umstand bezog, dass die Umsätze die sogenannte „Kabotage in Skandinavien“ ausschlossen. Es war daher vorhersehbar, dass das Gericht diesen Gesichtspunkt unabhängig vom Standpunkt der Kommission bei seiner Analyse überdenken könnte(200 ). Außerdem hat das Gericht zwar die Verteidigungsrechte der Parteien zu wahren, es kann aber nicht verpflichtet sein, sie um Stellungnahme zu den Erwägungen zu bitten, die es zur Entscheidung über den bei ihm anhängigen Rechtsstreit anzustellen beabsichtigt(201 ).
2. Zur Begründungspflicht
178. Nach Ansicht der Rechtsmittelführerinnen in der Rechtssache SAS Cargo Group hat das Gericht seine Begründungspflicht verletzt, indem es nicht auf ihre Ausführungen eingegangen sei, wonach sie sich nicht in einer ähnlichen Lage wie die anderen Transportunternehmen befunden hätten und kein rechtswidriges Verhalten auf den internen Strecken die Einbeziehung des Umsatzes aus den internen Verkäufen in den Wert der Verkäufe rechtfertige.
179. In den Rn. 935, 936 und 939 des Urteils SAS Cargo Group hat das Gericht jedoch erstens festgestellt, dass Art. 1 Abs. 1 des streitigen Beschlusses auf Verhaltensweisen abzielte, die sowohl auf Strecken zwischen Mitgliedstaaten oder Vertragsparteien des EWR-Abkommens als auch auf Strecken auftreten, die innerhalb nur eines Mitgliedstaats oder nur einer Vertragspartei bedient werden, zweitens, dass daher die internen Verkäufe in den Anwendungsbereich der einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung fielen, und drittens, dass es „versehentlich“ geschehen ist, dass der Umsatz aus den internen Verkäufen nicht in den Wert der Verkäufe einbezogen worden war. Das Gericht ist in Rn. 940 dieses Urteils zu dem Ergebnis gelangt, dass es – „auch um die Gleichbehandlung der beschuldigten Transportunternehmen, die Klage gegen den angefochtenen Beschluss erhoben haben, zu gewährleisten“ – den Umsatz aus den internen Verkäufen in die Verkaufswerte einzubeziehen hatte.
180. Insoweit scheint mir das Gericht die von ihm angestellten Erwägungen klar zum Ausdruck gebracht zu haben, was es den Rechtsmittelführerinnen in dieser Rechtssache im Übrigen ermöglicht hat, ihre Argumente gegen die Schlussfolgerungen des Gerichts vorzutragen(202 ). Zwar scheinen die Erwägungen des Gerichts nicht kohärent zu sein, wenn es in Rn. 932 des Urteils SAS Cargo Group aus der Antwort der Kommission auf seine Fragen den Schluss zieht, dass der Umsatz aus den internen Verkäufen möglicherweise nicht von dem auf die anderen beschuldigten Transportunternehmen angewandten Wert der Verkäufe abgezogen worden sei und in Rn. 939 dieses Urteils zu dem Ergebnis gelangt, dass diese Zahl nicht in den Wert der Verkäufe einbezogen worden sei. Diese Feststellung scheint jedoch eher die Stichhaltigkeit der Begründung des Gerichts zu betreffen(203 ) und wird später geprüft(204 ).
3. Zum Grundsatz ne ultra petita
181. Nach Ansicht der Rechtsmittelführerinnen in der Rechtssache SAS Cargo Group hat das Gericht gegen den Grundsatz ne ultra petita verstoßen, indem es den Grundbetrag der Geldbuße zulasten der Rechtsmittelführerinnen, über die Anträge der Kommission hinaus (ja sogar gegen diese) berichtigt habe und damit eine Prüfung von Amts vorgenommen habe, die nicht in seine Zuständigkeit falle.
182. Zunächst ist, wie in meinen Schlussanträgen in der Rechtssache Westfälische Drahtindustrie und Pampus Industriebeteiligungen/Kommission(205 ), darauf hinzuweisen, dass das Unionsgericht, wenn es seine Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung gemäß den von Art. 31 der Verordnung Nr. 1/2003 übertragenen Befugnissen ausübt, über die Kontrolle der Rechtmäßigkeit der Zwangsmaßnahme hinaus befugt ist, die Beurteilung der Kommission als Urheberin des Rechtsakts, in dem der Betrag der Zwangsmaßnahme ursprünglich festgelegt wurde, bei der Ermittlung dieses Betrags durch seine eigene Beurteilung zu ersetzen. Das Unionsgericht kann daher den angefochtenen Rechtsakt, auch ohne ihn für nichtig zu erklären, unter Berücksichtigung aller tatsächlichen Umstände abändern und so die verhängte Geldbuße aufheben, herabsetzen oder erhöhen (umfassende Überprüfung)(206 ). Daraus folgt, dass das Unionsgericht, auch wenn der Umfang dieser Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung im Gegensatz zur Rechtmäßigkeitskontrolle strikt auf die Ermittlung des Betrags der Geldbuße beschränkt ist(207 ), seine Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung nur ausüben kann, wenn ihm die Frage der Höhe einer Geldbuße zur Beurteilung vorgelegt worden ist(208 ), und ihre Ausübung bewirkt, dass die Befugnis zur Verhängung von Sanktionen endgültig auf das Gericht übergeht(209 ).
183. Es ist jedoch auch darauf hinzuweisen, dass laut dem Gerichtshof die Ausübung der Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung nicht einer Prüfung von Amts wegen entspricht, da das Verfahren vor den Gerichten der Union ein streitiges Verfahren ist. Mit Ausnahme der Gründe zwingenden Rechts, die der Richter von Amts wegen zu berücksichtigen hat, ist es folglich Sache des Klägers, gegen die angefochtene Entscheidung Klagegründe vorzubringen und für diese Beweise beizubringen(210 ). Daraus folgt, dass die Befugnisse zu unbeschränkter Nachprüfung des Gerichts dem Dispositionsgrundsatz nicht entzogen sind, wobei der Grundsatz ne ultra petita eine unmittelbare Folge des Dispositionsgrundsatzes ist(211 ).
184. Über diese Hinweise hinaus ist der Umfang der Ausübung seiner Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung durch den Unionsrichter in Bezug auf die Höhe einer von der Kommission verhängten Geldbuße im Sinne der Art. 101 und 102 AEUV Gegenstand einer Debatte(212 ), insbesondere was die Möglichkeit betrifft, die Geldbuße ohne einen entsprechenden Antrag zu erhöhen („reformatio in pejus “)(213 ) oder bestimmte Fragen von Amts wegen aufzuwerfen(214 ), wobei der Gerichtshof diese Debatte bisher noch nicht entschieden hat(215 ).
185. Im Urteil SAS Cargo Group hat das Gericht die Anträge der Rechtsmittelführerinnen auf Änderung (konkret auf Herabsetzung) des Betrags der Geldbuße geprüft (Rn. 911 bis 917) und ihnen teilweise stattgegeben, indem es diesen Betrag herabsetzte (Rn. 961 und 962), wobei es einen nicht bestrittenen tatsächlichen Umstand zulasten dieser Rechtsmittelführerinnen und entgegen den Standpunkten beider Parteien berücksichtigte, nämlich den Umsatz aus den internen Verkäufen.
186. Damit hat das Gericht, das gemäß seiner Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung angerufen wurde, im Rahmen eines von den Rechtsmittelführerinnen in der Rechtssache SAS Cargo Group geltend gemachten Klagegrundes betreffend die Herabsetzung der Geldbuße entschieden und alle die Berechnung der Geldbuße betreffenden Komponenten überprüft, indem es sein Ermessen ausgeübt(216 ) und alle relevanten tatsächlichen Umstände berücksichtigt hat(217 ).
187. Zwar ist das Gericht, das gemäß seiner Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung angerufen wurde, im Rahmen eines Klagegrundes betreffend die Herabsetzung der Geldbuße zunächst nicht über die Anträge (petitum ) der Rechtsmittelführerinnen in der Rechtssache SAS Cargo Group hinausgegangen(218 ), doch frage ich mich, ob es nicht die Grenzen seiner Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung überschritten hat, indem es die Bestandteile des Grundwertes der Verkäufe entgegen dem Standpunkt der beiden Parteien geändert hat. Das Gericht kann nämlich, wenn es im Rahmen eines von den Parteien geltend gemachten Klagegrundes entscheidet, zwar alle Bestandteile, die die Berechnung der Geldbuße betreffen, in Ausübung seines Ermessens überprüfen, doch kann es Tatsachenfeststellungen, die von den Parteien nicht bestritten worden sind, nicht in Frage stellen. Wäre dies der Fall, hätte der Dispositionsgrundsatz entgegen der in Nr. 183 der vorliegenden Schlussanträge angeführten Rechtsprechung im Rahmen der Befugnis des Gerichts zu unbeschränkter Nachprüfung keine Daseinsberechtigung(219 ).
188. Im Übrigen frage ich mich auch, ob ein Gesichtspunkt wie der Umsatz aus den internen Verkäufen, der zur geografischen Tragweite des streitigen Kartells gehört und nicht nur die Berechnung der Geldbuße, sondern auch die Feststellung der Zuwiderhandlung betrifft, vom Gericht von Amts wegen, über seine Beurteilung der Rechtmäßigkeit des streitigen Beschlusses hinaus, in Frage gestellt werden kann. Obwohl auch diese Frage bis heute sehr umstritten bleibt, beschränkt der Gerichtshof meines Erachtens die Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung des Gerichts auf die Bestimmung des Betrags der von der Kommission verhängten Geldbuße, unter Ausschluss der Tatbestandsmerkmale, die Einfluss auf die Feststellung der Zuwiderhandlung haben(220 ).
189. Im vorliegenden Fall bin ich der Ansicht, dass die Kommission die Umrisse der geografischen Tragweite der Zuwiderhandlung, betreffend die zwischenstaatlichen Flüge, nicht klar definiert hat. Die Kommission hat nämlich erst in Nr. 5.3.7 des streitigen Beschlusses über die „Auswirkungen auf den Handel zwischen den Mitgliedstaaten, zwischen den Vertragsparteien des EWR-Abkommens und zwischen den Vertragsparteien des Schweizer Abkommens“ die geografische Tragweite der Zuwiderhandlung behandelt. Insoweit erläuterte die Kommission in diesem Beschluss, dass „die Abmachungen des Kartells sich auf das gesamte Gebiet des EWR und die Schweiz erstreckten“ und im Wesentlichen bezweckten, den Wettbewerb zwischen den Transportunternehmen, „auf Strecken innerhalb des EWR, auf Strecken zwischen den Vertragsparteien des Abkommens Union-Schweiz sowie auf Strecken zwischen Vertragsparteien des EWR-Abkommens und Drittländern“ einzuschränken (1030. Erwägungsgrund). Entgegen den Feststellungen des Gerichts in den Rn. 935 und 936 des Urteils SAS Cargo Group geht aus diesen Passagen aber nicht hervor, dass der Umsatz aus den internen Verkäufen „offenkundig in den Anwendungsbereich der einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung [fällt]“.
4. Zur Unschuldsvermutung und zum Gleichbehandlungsgrundsatz
190. Nach Ansicht der Rechtsmittelführerinnen in der Rechtssache SAS Cargo Group hat das Gericht gegen die Unschuldsvermutung(221 ) und den Gleichbehandlungsgrundsatz(222 ) verstoßen, weil es den Umsatz aus den internen Verkäufen in den Wert der Verkäufe einbezogen habe, um sie gegenüber den anderen Transportunternehmen gleichzubehandeln, obwohl es lediglich für „möglich“ gehalten habe (und nicht rechtlich hinreichend nachgewiesen), dass diese anderen Transportunternehmen diesen Umsatz nicht ausgeschlossen hätten.
191. In den Rn. 935 bis 937 des Urteils SAS Cargo Group hat das Gericht im Wesentlichen festgestellt, dass die internen Verkäufe in den Anwendungsbereich der einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung fielen und daher in den Wert der Verkäufe hätten einbezogen werden müssen, was laut dem Gericht auch die Absicht der Kommission war.
192. Unter Berücksichtigung der Grenzen, die für die Kontrolle der Handlungen des Gerichts durch den Gerichtshof im Rechtsmittel bestehen(223 ), ist jedoch darauf hinzuweisen, dass sich diese Schlussfolgerung auf keinen zuverlässigen Beweis stützt. Wie die Rechtsmittelführerinnen ausführen, hat das Gericht nämlich in Rn. 932 des Urteils SAS Cargo Group festgestellt, dass, wie sich aus der Antwort der Kommission auf ihre Fragen ergab, der Umsatz aus den internen Verkäufen möglicherweise nicht von dem auf die anderen beschuldigten Transportunternehmen angewandten Wert der Verkäufe abgezogen worden war(224 ). Allerdings kommt das Gericht in Rn. 939 dieses Urteils im Wesentlichen zu dem Ergebnis, dass dieser Umsatz nicht in den Wert der Verkäufe einbezogen worden ist, und nimmt in Rn. 940 dieses Urteils eine Einbeziehung dieses Umsatzes vor. Mit anderen Worten hat die Prämisse, dass diese Verkäufe möglicherweise vom Wert der Verkäufe durch die anderen Rechtsmittelführerinnen ausgeschlossen worden seien, das Gericht zu der Schlussfolgerung geführt, dass diese Verkäufe tatsächlich in diesen Wert einbezogen worden seien, was es verpflichtet habe, diese Verkäufe in den Wert der Verkäufe der Rechtsmittelführerinnen in der Rechtssache SAS Cargo Group einzubeziehen. Damit hat das Gericht meines Erachtens Beweismittel verfälscht(225 ).
193. Nach alledem schlage ich vor, dem fünften Rechtsmittelgrund der Rechtsmittelführerinnen in der Rechtssache SAS Cargo [Group] stattzugeben und folglich die Sache zur Entscheidung über die Begründetheit des zweiten Klageantrags auf Herabsetzung der Geldbuße an das Gericht zurückzuverweisen.
V. Ergebnis
194. Aufgrund der vorstehenden Erwägungen schlage ich dem Gerichtshof vor,
– die Rechtsmittel in den Rechtssachen Air Canada/Kommission (C‑367/22 P), Air France/Kommission (C‑369/22 P), Air France-KLM/Kommission (C‑370/22 P), LATAM Airlines Group und Lan Cargo/Kommission (C‑375/22 P), British Airways/Kommission (C‑378/22 P), Singapore Airlines und Singapore Airlines Cargo/Kommission (C‑379/22 P), Deutsche Lufthansa u. a./Kommission (C‑380/22 P), Japan Airlines/Kommission (C‑381/22 P), Cathay Pacific Airways/Kommission (C‑382/22 P), Koninklijke Luchtvaart Maatschappij/Kommission (C‑385/22 P), Martinair Holland/Kommission (C‑386/22 P) und Cargolux Airlines/Kommission (C‑401/22 P) zurückzuweisen;
– das Urteil des Gerichts der Europäischen Union vom 30. März 2022, SAS Cargo Group u. a./Kommission (T‑324/17, EU:T:2022:175), aufzuheben, was den zweiten Klageantrag auf Herabsetzung der Geldbuße betrifft;
– die Sache zur Entscheidung über die Begründetheit des zweiten Klageantrags an das Gericht zurückzuverweisen;
– das Rechtsmittel im Übrigen abzuweisen.