C-606/23 – Tallinna Kaubamaja Grupp und KIA Auto

C-606/23 – Tallinna Kaubamaja Grupp und KIA Auto

CURIA – Documents

Language of document : ECLI:EU:C:2024:1004

Vorläufige Fassung

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Zehnte Kammer)

5. Dezember 2024(*)

„ Vorlage zur Vorabentscheidung – Wettbewerb – Kartelle – Art. 101 Abs. 1 AEUV – Vertikale Vereinbarungen – ‚Bewirkte‘ Beschränkung – Vereinbarung, die Beschränkungen der Gewährleistung für Kraftfahrzeuge vorsieht – Verpflichtung der Wettbewerbsbehörde, die wettbewerbswidrigen Wirkungen nachzuweisen – Tatsächliche und potenzielle Wirkungen “

In der Rechtssache C‑606/23

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Administratīvā apgabaltiesa (Regionalverwaltungsgericht, Lettland) mit Entscheidung vom 2. Oktober 2023, beim Gerichtshof eingegangen am 4. Oktober 2023, in dem Verfahren

„Tallinna Kaubamaja Grupp“ AS,

„KIA Auto“ AS

gegen

Konkurences padome

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zehnte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten D. Gratsias, des Präsidenten der Vierten Kammer I. Jarukaitis und des Richters Z. Csehi (Berichterstatter),

Generalanwältin: J. Kokott,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        der „Tallinna Kaubamaja Grupp“ AS und der „KIA Auto“ AS, vertreten durch I. Azanda, Advokāte,

–        der lettischen Regierung, vertreten durch J. Davidoviča und K. Pommere als Bevollmächtigte,

–        der spanischen Regierung, vertreten durch L. Aguilera Ruiz als Bevollmächtigten,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch P. Berghe, I. Naglis und D. Viros als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung der Generalanwältin ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 101 Abs. 1 AEUV.

2        Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der „Tallinna Kaubamaja Grupp“ AS und der „KIA Auto“ AS einerseits und dem Konkurences padome (Wettbewerbsrat, Lettland) andererseits wegen einer Geldbuße, die wegen des Abschlusses einer vertikalen Vereinbarung verhängt wurde, die Beschränkungen der Gewährleistung für Kraftfahrzeuge vorsieht.

 Rechtlicher Rahmen

3        Art. 11 Abs. 1 des Konkurences likums (Wettbewerbsgesetz) vom 4. Oktober 2001 (Latvijas Vēstnesis, 2001, Nr. 151) bestimmt:

„Vereinbarungen zwischen Wirtschaftsbeteiligten, die eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb Lettlands bezwecken oder bewirken, sind verboten und von Anfang an nichtig; dazu gehören insbesondere Vereinbarungen über

7.      Handlungen (oder Unterlassungen), durch die ein anderer Wirtschaftsteilnehmer aus einem bestimmten Markt gedrängt oder der Eintritt eines potenziellen Wirtschaftsteilnehmers in einen bestimmten Markt erschwert wird.“

 Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

4        KIA Auto, eine Gesellschaft estnischen Rechts, ist der einzige zugelassene Importeur von Fahrzeugen der Marke KIA in Lettland. Sie wählt die zugelassenen Vertreter aus, die KIA-Autos vertreiben und diese im Rahmen der vom Hersteller oder Importeur gewährten Gewährleistung in Stand setzen, und bestätigt sie.

5        Mit Entscheidung vom 7. August 2014 verhängte der Wettbewerbsrat gegen KIA Auto wegen Verstoßes gegen Art. 11 Abs. 1 Nr. 7 des Wettbewerbsgesetzes eine Geldbuße in Höhe von 134 514,43 Euro, wovon 96 150,92 Euro gesamtschuldnerisch ihrer Muttergesellschaft Tallinna Kaubamaja Grupp auferlegt wurden.

6        Der Wettbewerbsrat stellte fest, dass KIA Auto in ihrer Eigenschaft als zugelassener Importeur des Herstellers von Autos der Marke KIA mit den zugelassenen Händlern und Werkstätten für Autos der Marke KIA (im Folgenden: zugelassene Vertreter) Gewährleistungsbedingungen vereinbart hätten, die die Fahrzeughalter verpflichteten oder veranlassten, innerhalb des Gewährleistungszeitraums alle vom Hersteller KIA vorgesehenen routinemäßigen Wartungen und die nicht unter die Gewährleistung fallenden Instandsetzungen bei diesen zugelassenen Vertretern durchzuführen sowie für innerhalb des Gewährleistungszeitraums durchgeführte routinemäßige Wartungen und Instandsetzungen Originalersatzteile von KIA zu verwenden, um weiterhin die Gewährleistung für Kraftfahrzeuge in Anspruch nehmen zu können.

7        Somit liege eine vertikale Vereinbarung über die Gewährleistungsbedingungen innerhalb des KIA-Netzes vor, die zum einen den Zugang unabhängiger Werkstätten zum lettischen Markt für garantieunabhängige Instandsetzungsdienstleistungen innerhalb des Zeitraums der Gewährleistung und zum anderen den Zugang unabhängiger Ersatzteilhersteller zum Markt für den Vertrieb von Ersatzteilen in Lettland behindere und den Wettbewerb zwischen den Händlern von Ersatzteilen einschränke.

8        Der Wettbewerbsrat stufte die fragliche Vereinbarung als bewirkte Wettbewerbsbeschränkung ein und wies darauf hin, dass das anwendbare Beweismaß nicht den Nachweis tatsächlicher Wirkungen erfordere. Die negativen Auswirkungen auf den Wettbewerb ergäben sich nämlich aus der Natur der wettbewerbsbeschränkenden Klauseln, und es sei nicht erforderlich, die tatsächlich eingetretenen Wirkungen nachzuweisen.

9        Die Klägerinnen des Ausgangsverfahrens erhoben gegen die Bußgeldentscheidung Klage bei der Administratīvā apgabaltiesa (Regionalverwaltungsgericht, Lettland), dem vorlegenden Gericht, die die Klage mit Urteil vom 10. März 2017 abwies.

10      Die Klägerinnen des Ausgangsverfahrens legten Kassationsbeschwerde beim Senāta Administratīvo lietu departaments (Oberstes Gericht, Verwaltungsabteilung, Lettland) ein, das das Urteil des vorlegenden Gerichts mit Urteil vom 22. Dezember 2021 aufhob und die Rechtssache zur erneuten Entscheidung an dieses Gericht zurückverwies.

11      Das Senāta Administratīvo lietu departaments (Oberstes Gericht, Verwaltungsabteilung) stellte fest, dass das vorlegende Gericht bei der Prüfung der Frage, ob die Bußgeldentscheidung zu Recht zu dem Schluss gekommen sei, dass es sich bei der Vereinbarung um eine aufgrund ihrer Wirkungen verbotene Vereinbarung gehandelt habe, nicht die Beurteilungskriterien angewendet habe, die bei wettbewerbsbeschränkenden Wirkungen zu berücksichtigen seien. Unter diesen Umständen entschied das Oberste Gericht, dass das vorlegende Gericht nicht ordnungsgemäß habe beurteilen können, ob die Entscheidungsbegründung ausreichend gewesen sei.

12      Das vorlegende Gericht führt unter Berufung auf die ergänzende Stellungnahme des Wettbewerbsrats im Anschluss an das Urteil der obersten Instanz aus, dass sich die Erkenntnisse aus diesem Urteil wesentlich von denen aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs unterschieden, so dass der Inhalt der bewirkten Wettbewerbsbeschränkung und das sich daraus ergebende Beweismaß nicht eindeutig ersichtlich seien. Das vorlegende Gericht hält es daher für erforderlich, dem Gerichtshof die Fragen zum Nachweis von Kartellen mit bewirkten Wettbewerbsbeschränkungen zur Vorabentscheidung vorzulegen.

13      Insbesondere sollte, wie aus der Stellungnahme des Wettbewerbsrats hervorgehe, ein ähnlicher Ansatz bei der Anwendung und Auslegung von Art. 101 AEUV und damit auch von Art. 11 des Wettbewerbsgesetzes verfolgt werden, wie er vom Gericht der Europäischen Union im Urteil vom 10. November 2021, Google und Alphabet/Kommission (Google Shopping) (T‑612/17, EU:T:2021:763), in Bezug auf eine Zuwiderhandlung nach Art. 102 AEUV angewandt worden sei. In jenem Urteil habe das Gericht festgestellt, dass die Europäische Kommission nicht verpflichtet sei, nachzuweisen, dass mögliche Folgen der Ausschaltung oder Beschränkung des Wettbewerbs tatsächlich eingetreten sind, sondern dass es ausreiche, potenzielle Auswirkungen nachzuweisen. So folge aus jenem Urteil, dass bei der Beurteilung der wettbewerblichen Auswirkungen einer Vereinbarung die Berücksichtigung aller relevanten Umstände in einem bestimmten Fall nicht auf die Ermittlung der spezifischen und messbaren negativen Auswirkungen auf den Wettbewerb reduziert werden dürfe, da ein solcher Ansatz de facto die Möglichkeit der betreffenden Wettbewerbsbehörde ausschließen würde, Wettbewerbsbeschränkungen, die noch nicht zu materiell feststellbaren negativen Auswirkungen geführt hätten, zu beenden.

14      Unter diesen Umständen hat die Administratīvā apgabaltiesa (Regionalverwaltungsgericht) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Muss die Wettbewerbsbehörde nach Art. 101 Abs. 1 AEUV das Vorliegen tatsächlicher und konkreter wettbewerbsbeschränkender Auswirkungen (actual/real restrictive effects on competition) nachweisen, um eine verbotene Vereinbarung zu beurteilen, die Beschränkungen der Gewährleistung für Kraftfahrzeuge vorsieht, durch die die Fahrzeughalter verpflichtet oder veranlasst werden, die Instandsetzung und Wartung ihres Fahrzeugs nur durch zugelassene Vertreter des Kraftfahrzeugherstellers durchführen zu lassen und bei der regelmäßigen Wartung die Originalteile des Kraftfahrzeugherstellers zu verwenden, damit die Gewährleistungspflicht für das Kraftfahrzeug bestehen bleibt?

2.      Genügt es nach Art. 101 Abs. 1 AEUV für die Beurteilung der in der ersten Vorlagefrage genannten Vereinbarung, dass die Wettbewerbsbehörde nur das Vorliegen potenzieller wettbewerbsbeschränkender Auswirkungen (potential restrictive effects) nachweist?

 Zur Zuständigkeit des Gerichtshofs

15      Das vorlegende Gericht weist darauf hin, dass die Anwendung von Art. 11 Abs. 1 des Wettbewerbsgesetzes nicht von der des Art. 101 Abs. 1 AEUV abweichen sollte, da beide Bestimmungen einen im Wesentlichen analogen rechtlichen Rahmen festlegten. Folglich sollten die Erwägungen des Gerichtshofs in Bezug auf die Anwendung von Art. 101 Abs. 1 AEUV berücksichtigt werden.

16      Nach ständiger Rechtsprechung ist es im Rahmen der durch Art. 267 AEUV geschaffenen Zusammenarbeit zwischen dem Gerichtshof und den nationalen Gerichten allein Sache des nationalen Gerichts, das mit dem Rechtsstreit befasst ist und in dessen Verantwortungsbereich die zu erlassende Entscheidung fällt, anhand der Besonderheiten der Rechtssache sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung für den Erlass seines Urteils als auch die Erheblichkeit der dem Gerichtshof vorzulegenden Fragen zu beurteilen. Daher ist der Gerichtshof grundsätzlich gehalten, über ihm vorgelegte Fragen zu befinden, wenn diese die Auslegung des Unionsrechts betreffen (Urteil vom 18. November 2021, Visma Enterprise, C‑306/20, EU:C:2021:935, Rn. 42 und die dort angeführte Rechtsprechung).

17      Allerdings hat der Gerichtshof ebenfalls nach ständiger Rechtsprechung zur Prüfung seiner eigenen Zuständigkeit die Umstände zu untersuchen, unter denen er von dem nationalen Gericht angerufen wird (Urteil vom 18. November 2021, Visma Enterprise, C‑306/20, EU:C:2021:935, Rn. 43 und die dort angeführte Rechtsprechung).

18      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof wiederholt seine Zuständigkeit für die Entscheidung über Vorabentscheidungsersuchen bejaht hat, die Vorschriften des Unionsrechts in Fällen betrafen, in denen der Sachverhalt des Ausgangsverfahrens nicht unmittelbar in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fiel, diese Vorschriften aber durch das nationale Recht, das sich zur Regelung rein innerstaatlicher Sachverhalte nach den im Unionsrecht getroffenen Regelungen richtete, für anwendbar erklärt worden waren (Urteil vom 18. November 2021, Visma Enterprise, C‑306/20, EU:C:2021:935, Rn. 44 und die dort angeführte Rechtsprechung).

19      Diese Zuständigkeit wird durch das offensichtliche Interesse der Unionsrechtsordnung daran begründet, dass die aus dem Unionsrecht übernommenen Bestimmungen einheitlich ausgelegt werden, um künftige Auslegungsunterschiede zu vermeiden (Urteil vom 13. Oktober 2022, Baltijas Starptautiskā Akadēmija und Stockholm School of Economics in Riga, C‑164/21 und C‑318/21, EU:C:2022:785, Rn. 35 und die dort angeführte Rechtsprechung).

20      Im vorliegenden Fall geht aus der Vorlageentscheidung hervor, dass Art. 11 Abs. 1 des Wettbewerbsgesetzes einen rechtlichen Rahmen vorsieht, der mit dem des Art. 101 Abs. 1 AEUV identisch ist, und dass Art. 11 Abs. 1 des Wettbewerbsgesetzes in der lettischen Rechtsordnung ebenso ausgelegt wird wie Art. 101 Abs. 1 AEUV. Außerdem hat sich der Gerichtshof bereits für die Entscheidung über Vorabentscheidungsersuchen zur Auslegung von Art. 101 Abs. 1 AEUV bei Sachverhalten für zuständig erklärt, in denen Art. 11 Abs. 1 des Wettbewerbsgesetzes anwendbar war, unabhängig davon, ob eine Auswirkung auf den Handel zwischen den Mitgliedstaaten vorlag (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 18. November 2021, Visma Enterprise, C‑306/20, EU:C:2021:935, Rn. 47 und die dort angeführte Rechtsprechung).

21      Folglich ist der Gerichtshof in der vorliegenden Rechtssache für die Entscheidung über Fragen zur Auslegung von Art. 101 Abs. 1 AEUV zuständig.

 Zu den Vorlagefragen

22      Mit diesen Fragen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 101 Abs. 1 AEUV dahin auszulegen ist, dass er die Wettbewerbsbehörde eines Mitgliedstaats verpflichtet, bei der Prüfung, ob eine Vereinbarung, die Beschränkungen der Gewährleistung für Kraftfahrzeuge vorsieht, die die Fahrzeughalter verpflichten oder veranlassen, die Instandsetzung und Wartung ihres Fahrzeugs nur durch zugelassene Vertreter des Kraftfahrzeugherstellers durchführen zu lassen und bei der regelmäßigen Wartung Originalteile des Kraftfahrzeugherstellers zu verwenden, damit die Gewährleistungspflicht für das Kraftfahrzeug bestehen bleibt, als bewirkte Wettbewerbsbeschränkung im Sinne dieser Bestimmung eingestuft werden kann, das Vorliegen konkreter und tatsächlicher wettbewerbsbeschränkender Wirkungen nachzuweisen, oder ob es genügt, potenzielle wettbewerbsbeschränkende Wirkungen nachzuweisen.

23      Nach Art. 101 Abs. 1 AEUV sind alle Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, welche den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen geeignet sind und eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Binnenmarkts bezwecken oder bewirken, mit dem Binnenmarkt unvereinbar und verboten.

24      Damit in einem konkreten Fall davon ausgegangen werden kann, dass eine Vereinbarung, ein Beschluss einer Unternehmensvereinigung oder eine abgestimmte Verhaltensweise unter das Verbot von Art. 101 Abs. 1 AEUV fällt, muss schon nach dem Wortlaut dieser Bestimmung nachgewiesen werden, dass das Verhalten eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezweckt oder eine solche Wirkung hat (Urteil vom 21. Dezember 2023, International Skating Union/Kommission, C‑124/21 P, EU:C:2023:1012, Rn. 98 und die dort angeführte Rechtsprechung).

25      Dabei ist in einem ersten Schritt der Zweck des fraglichen Verhaltens zu prüfen. Stellt sich am Ende einer solchen Prüfung heraus, dass mit dem Verhalten ein wettbewerbswidriger Zweck verfolgt wird, braucht nicht geprüft zu werden, wie es sich auf den Wettbewerb auswirkt. Nur wenn nicht davon ausgegangen werden kann, dass mit ihm ein wettbewerbswidriger Zweck verfolgt wird, ist daher in einem zweiten Schritt seine Wirkung zu prüfen (Urteil vom 21. Dezember 2023, International Skating Union/Kommission, C‑124/21 P, EU:C:2023:1012, Rn. 99 und die dort angeführte Rechtsprechung).

26      Die vorzunehmende Prüfung hängt davon ab, ob das in Rede stehende Verhalten eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs „bezweckt“ oder „bewirkt“, da für jeden dieser beiden Begriffe gesonderte Rechts- und Beweisregeln gelten (Urteil vom 21. Dezember 2023, International Skating Union/Kommission, C‑124/21 P, EU:C:2023:1012, Rn. 100 und die dort angeführte Rechtsprechung).

27      Im vorliegenden Fall geht das vorlegende Gericht von der – von ihm zu prüfenden – Prämisse aus, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Vereinbarung keine Beschränkung des Wettbewerbs bezwecke, und weist darauf hin, dass es zu beurteilen habe, ob die Vereinbarung eine wettbewerbsbeschränkende Wirkung habe.

28      Nach ständiger Rechtsprechung erfasst der Begriff des Verhaltens, das eine wettbewerbswidrige „Wirkung“ hat, jedes Verhalten, dem kein wettbewerbswidriger „Zweck“ beigemessen werden kann, sofern nachgewiesen wird, dass es tatsächlich oder potenziell eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bewirkt, die spürbar sein muss (Urteil vom 21. Dezember 2023, International Skating Union/Kommission, C‑124/21 P, EU:C:2023:1012, Rn. 109 und die dort angeführte Rechtsprechung).

29      Hierfür ist es erforderlich, den Wettbewerb so zu betrachten, wie er ohne die betreffende Vereinbarung, den betreffenden Beschluss der Unternehmensvereinigung oder die betreffende abgestimmte Verhaltensweise bestünde (Urteile vom 18. November 2021, Visma Enterprise, C‑306/20, EU:C:2021:935, Rn. 74, und vom 21. Dezember 2023, International Skating Union/Kommission, C‑124/21 P, EU:C:2023:1012, Rn. 110 und die dort angeführte Rechtsprechung), indem der oder die Märkte bestimmt werden, auf denen dieses Verhalten seine Wirkungen entfalten soll, und sodann diese Wirkungen, seien sie real oder potenziell, ermittelt werden. Dabei sind wiederum alle relevanten Umstände zu berücksichtigen.

30      Die Beurteilung der Wirkungen einer Vereinbarung zwischen Unternehmen im Hinblick auf Art. 101 AEUV erfordert daher eine Berücksichtigung des jeweiligen konkreten Rahmens, in den sich die Vereinbarung einfügt, nämlich des wirtschaftlichen und rechtlichen Zusammenhangs, in dem die betreffenden Unternehmen tätig sind, der Natur der betroffenen Waren und Dienstleistungen, der auf dem betreffenden Markt oder den betreffenden Märkten bestehenden tatsächlichen Bedingungen und der Struktur dieses Marktes oder dieser Märkte. Das kontrafaktische Szenario, bei dem die Vereinbarung weggedacht wird, muss also realistisch und plausibel sein (Urteil vom 27. Juni 2024, Kommission/Servier u. a., C‑176/19 P, EU:C:2024:549, Rn. 341 und die dort angeführte Rechtsprechung).

31      Mit der Ermittlung des kontrafaktischen Szenarios soll bestimmt werden, welche realistischen Verhaltensmöglichkeiten die Wirtschaftsteilnehmer gehabt hätten, wenn die betreffende Vereinbarung nicht geschlossen worden wäre, und mithin, wie sich der Markt ohne die Vereinbarung wahrscheinlich verhalten hätte und welche Struktur er dann gehabt hätte (Urteile vom 30. Januar 2020, Generics [UK] u. a., C‑307/18, EU:C:2020:52, Rn. 120, und vom 18. November 2021, Visma Enterprise, C‑306/20, EU:C:2021:935, Rn. 76).

32      Der realistische und zugleich plausible Charakter des kontrafaktischen Szenarios hindert jedoch nicht daran, bei der Prüfung der Frage, ob eine Vereinbarung zwischen Unternehmen eine bewirkte Wettbewerbsbeschränkung darstellt, die rein potenziellen Wirkungen dieser Vereinbarung zu berücksichtigen. Der Gerichtshof hat insbesondere entschieden, dass die Annahme, dass die potenziellen Wirkungen einer Vereinbarung zwischen Unternehmen bei der Beurteilung ihrer wettbewerbsbeschränkenden Wirkungen nicht berücksichtigt werden könnten, wenn die Vereinbarung durchgeführt worden sei, sowohl die Merkmale der kontrafaktischen Methode verkennt, die bei der Beurteilung einer bewirkten Einschränkung des Wettbewerbs durchzuführen ist, als auch die Rechtsprechung, wonach die den Wettbewerb einschränkenden Wirkungen sowohl tatsächlich als auch potenziell sein können, aber hinreichend spürbar sein müssen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 27. Juni 2024, Kommission/Servier u. a., C‑176/19 P, EU:C:2024:549, Rn. 345 bis 353).

33      Es genügt somit, nach einer angemessenen Prüfung des Wettbewerbs, wie er ohne die betreffende Vereinbarung bestehen würde, potenzielle wettbewerbsbeschränkende Auswirkungen festzustellen, die hinreichend spürbar sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 28. Mai 1998, Deere/Kommission, C‑7/95 P, EU:C:1998:256, Rn. 77 und 78, sowie vom 28. Mai 1998, New Holland Ford/Kommission, C‑8/95 P, EU:C:1998:257, Rn. 91 und 92).

34      Daher hat das vorlegende Gericht zu beurteilen, ob der Wettbewerbsrat ordnungsgemäß den Wettbewerb betrachtet hat, wie er ohne die Auswirkungen der fraglichen Vereinbarung bestehen würde, und hierfür die Märkte, auf die sich die Vereinbarung auswirkt, definiert und die spürbaren Auswirkungen bestimmt hat, unabhängig davon, ob es sich um tatsächliche oder potenzielle Auswirkungen handelt.

35      Im Übrigen hat der Gerichtshof in den Rn. 65 und 66 des Urteils vom 6. Oktober 2015, Post Danmark (C‑23/14, EU:C:2015:651), entschieden, dass die Feststellung der Missbräuchlichkeit einer nach Art. 82 EG (jetzt Art. 102 AEUV) geprüften Praxis den Nachweis voraussetzt, dass sie eine wettbewerbsschädigende Wirkung auf dem Markt hat, wenn auch nicht unbedingt im konkreten Fall, denn es genügt der Nachweis einer potenziellen wettbewerbsschädigenden Wirkung, durch die zumindest ebenso leistungsfähige Wettbewerber wie das beherrschende Unternehmen verdrängt werden könnten.

36      Somit entspricht die Auslegung von Art. 101 AEUV, wie sie sich aus der oben in den Rn. 28 und 33 angeführten Rechtsprechung ergibt, wonach es genügt, das Vorliegen potenzieller wettbewerbswidriger Auswirkungen nachzuweisen, insbesondere solcher, die geeignet sind, den Marktzutritt potenzieller Wettbewerber zu behindern, der Auslegung von Art. 102 AEUV in der in der vorstehenden Randnummer angeführten Rechtsprechung.

37      Nach alledem ist auf die Vorlagefragen zu antworten, dass Art. 101 Abs. 1 AEUV dahin auszulegen ist, dass er die Wettbewerbsbehörde eines Mitgliedstaats nicht verpflichtet, bei der Prüfung, ob eine Vereinbarung, die Beschränkungen der Gewährleistung für Kraftfahrzeuge vorsieht, die die Fahrzeughalter verpflichten oder veranlassen, die Instandsetzung und Wartung ihres Fahrzeugs nur durch zugelassene Vertreter des Kraftfahrzeugherstellers durchführen zu lassen und bei der regelmäßigen Wartung Originalteile des Kraftfahrzeugherstellers zu verwenden, damit die Gewährleistungspflicht für das Kraftfahrzeug bestehen bleibt, als bewirkte Wettbewerbsbeschränkung im Sinne dieser Bestimmung eingestuft werden kann, das Vorliegen konkreter und tatsächlicher wettbewerbsbeschränkender Wirkungen nachzuweisen. Es genügt, dass die Behörde gemäß dieser Bestimmung potenzielle wettbewerbsbeschränkende Wirkungen nachweist, sofern diese hinreichend spürbar sind.

 Kosten

38      Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zehnte Kammer) für Recht erkannt:

Art. 101 Abs. 1 AEUV ist dahin auszulegen, dass er die Wettbewerbsbehörde eines Mitgliedstaats nicht verpflichtet, bei der Prüfung, ob eine Vereinbarung, die Beschränkungen der Gewährleistung für Kraftfahrzeuge vorsieht, die die Fahrzeughalter verpflichten oder veranlassen, die Instandsetzung und Wartung ihres Fahrzeugs nur durch zugelassene Vertreter des Kraftfahrzeugherstellers durchführen zu lassen und bei der regelmäßigen Wartung Originalteile des Kraftfahrzeugherstellers zu verwenden, damit die Gewährleistungspflicht für das Kraftfahrzeug bestehen bleibt, als bewirkte Wettbewerbsbeschränkung im Sinne dieser Bestimmung eingestuft werden kann, das Vorliegen konkreter und tatsächlicher wettbewerbsbeschränkender Wirkungen nachzuweisen. Es genügt, dass die Behörde gemäß dieser Bestimmung potenzielle wettbewerbsbeschränkende Wirkungen nachweist, sofern diese hinreichend spürbar sind.

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