Vorläufige Fassung
SCHLUSSANTRÄGE DER GENERALANWÄLTIN
LEILA MEDINA
vom 5. September 2024(1 )
Rechtssache C ‑233/23
Alphabet Inc.,
Google LLC,
Google Italy Srl
gegen
Autorità Garante della Concorrenza e del Mercato,
Beigeladene:
Enel X Italia Srl,
Enel X Way Srl
(Vorabentscheidungsersuchen des Consiglio di Stato [Staatsrat, Italien])
„ Vorabentscheidungsersuchen – Wettbewerb – Art. 102 AEUV – Missbrauch einer beherrschenden Stellung – Digitale Märkte – Weigerung eines marktbeherrschenden Unternehmens, einem anderen Unternehmen Zugang zu einer Plattform oder digitalen Infrastruktur zu gewähren – Im Urteil Bronner aufgestellte Voraussetzungen – Anwendbarkeit – Objektive Rechtfertigung – Notwendigkeit für das marktbeherrschende Unternehmen, ein Software-Template zu entwickeln – Zeitdruck und Ressourcenknappheit – Bedingungen – Definition des nachgelagerten oder benachbarten Marktes “
I. Einführung
1. Das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 102 AEUV.
2. Das Ersuchen erfolgte durch den Consiglio di Stato (Staatsrat, Italien) im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Alphabet Inc., der Google LLC und der Google Italy Srl einerseits(2 ) und der Autorità Garante della Concorrenza e del Mercato(3 ) andererseits. Gegenstand dieses Rechtsstreits ist die Gültigkeit der Entscheidung, mit der die AGCM festgestellt hat, dass Google ihre marktbeherrschende Stellung missbraucht habe, da sie insbesondere ihre Anwendung Android Auto nicht mit einer anderen Anwendung kompatibel gemacht habe, die von der Enel X Italia Srl(4 ) für mit dem Laden von Elektrofahrzeugen zusammenhängende Dienstleistungen entwickelt worden sei.
3. Wie in den meisten Art. 102 AEUV betreffenden Rechtssachen wird der Gerichtshof (Große Kammer) in der vorliegenden Rechtssache die schmale – und häufig umstrittene – Grenzlinie zwischen lauteren und unlauteren Wettbewerbsmethoden marktbeherrschender Unternehmen festlegen müssen. Zu diesem Zweck – und da sich diese Rechtssache vor dem Hintergrund der derzeitigen Entwicklung der digitalen Märkte stellt – wird der Gerichtshof sein besonderes Augenmerk auf die Notwendigkeit richten müssen, dass diese Märkte offengehalten und dabei die geeigneten Anreize zur Förderung von Innovationen gewahrt bleiben.
4. Dies ist besonders heikel, wenn man berücksichtigt, dass das Zugangsersuchen im vorliegenden Fall eine Plattform betrifft, die so konzipiert und gestaltet ist, dass sie mit von Dritten entwickelten Anwendungen gespeist werden kann, die dazu bestimmt sind, fahrzeuginterne Dienste für sicheres und komfortables Fahren anzubieten. Die erste Frage, mit der sich der Gerichtshof zu befassen hat, ist daher, ob für den vorliegenden Fall die ständige Rechtsprechung einschlägig ist, die für die Verweigerung des Zugangs durch ein marktbeherrschendes Unternehmen gilt – nämlich das Urteil Bronner(5 ) – und die, wie der Gerichtshof selbst feststellt, darauf abzielt, einen gerechten Ausgleich zwischen wettbewerbs- und anreizbezogenen Erwägungen herzustellen.
5. Darüber hinaus muss Google im vorliegenden Fall, um die Interoperabilität der Anwendungen Dritter mit Android Auto zu gewährleisten, zunächst ein als Template bezeichnetes Softwaremodell entwickeln, was wiederum die Bereitstellung eigener finanzieller und personeller Ressourcen zu diesem Zweck erfordert. Der Gerichtshof wird daher zu der Frage Stellung nehmen müssen, ob nach den Zugangsgewährungspflichten, die für marktbeherrschende Unternehmen im Hinblick auf die Interoperabilität bestehen, ein aktives Verhalten wie die Entwicklung einer Software erforderlich ist. Sollte er dies bejahen, wird er auch die Grenzen dieser Pflichten und die in einer solchen Situation geltenden Voraussetzungen festzulegen haben.
6. Schließlich ist zu bedenken, dass diese Rechtssache nach dem Inkrafttreten des Gesetzes über digitale Märkte (DMA)(6 ) entschieden werden wird, was unweigerlich die in diesem Rechtsgebiet häufig gestellte Frage aufwirft, ob die Interoperabilität nicht besser mit gesetzgeberischen Mitteln geregelt werden sollte anstatt mit Sanktionen, die sich auf die wettbewerbsrechtlichen Bestimmungen des Vertrags stützen, wie Google wiederholt geltend macht.
II. Sachverhalt und Verfahren
7. Google ist der Urheber und Entwickler von Android OS, einem Open-Source-Betriebssystem für Android-Mobilgeräte. Dieses System ist kostenlos erhältlich und von jedermann ohne Genehmigung modifizierbar.
8. Im Jahr 2015 brachte Google Android Auto auf den Markt, eine Anwendung für Mobilgeräte mit dem Betriebssystem Android. Sie ermöglicht es den Benutzern, über einen in das Fahrzeug integrierten Bildschirm auf bestimmte Anwendungen auf ihrem Smartphone zuzugreifen. Um die Interoperabilität verschiedener Anwendungen mit Android Auto sicherzustellen und zu diesem Zweck langwierige und kostspielige Einzeltests zu vermeiden, erstellt Google Lösungen für alle Kategorien von Anwendungen in Form von Templates. Diese ermöglichen es Drittentwicklern, Versionen ihrer eigenen Anwendungen zu erstellen, die mit Android Auto kompatibel sind. Ende 2018 waren die Templates nur für Medien- und Messaging-Anwendungen verfügbar. Google entwickelte auch kompatible Versionen ihrer eigenen Karten- und Navigations-Anwendungen – nämlich Google Maps und Waze – und erlaubte in einzelnen Fällen die Entwicklung personalisierter Anwendungen ohne vordefiniertes Template.
9. Enel X erbringt Dienstleistungen für das Laden von Elektrofahrzeugen. Das Unternehmen gehört zur Enel-Gruppe, die mehr als 60 % der in Italien verfügbaren Ladestationen betreibt. Im Mai 2018 brachte es JuicePass auf den Markt, eine Anwendung, die eine Reihe von Funktionen für das Laden von Elektrofahrzeugen anbietet. Diese Anwendung ermöglicht es den Benutzern insbesondere: i) auf einer Karte nach Ladestationen zu suchen und diese zu buchen, ii) die Suche auf Google Maps zu übertragen, um die Navigation zur gewählten Ladestation zu ermöglichen, und iii) den Ladevorgang zu beginnen, zu unterbrechen und zu überwachen sowie die betreffende Bezahlung. JuicePass ist für die Benutzer von Android-Smartphones verfügbar und kann von Google Play heruntergeladen werden.
10. Im September 2018 ersuchte Enel X Google, JuicePass mit Android Auto kompatibel zu machen. Google lehnte dies jedoch mit der Begründung ab, dass in Ermangelung eines spezifischen Templates Medien- und Messaging-Anwendungen die einzigen Anwendungen von Drittanbietern seien, die mit Android Auto kompatibel seien. Auf ein zweites Ersuchen von Enel X im Dezember 2018 hin begründete Google ihre Weigerung mit Sicherheitsbedenken und der Notwendigkeit einer rationalen Zuweisung der für die Erstellung eines neuen Templates erforderlichen Ressourcen.
11. Am 12. Februar 2019 legte Enel X der AGCM einen Bericht vor, in dem das Verhalten von Google als eine Verletzung von Art. 102 AEUV eingestuft wurde. In der Zwischenzeit und nach Einleitung des Verfahrens durch die AGCM brachte Google ein Template für das Erstellen von (experimentellen) Beta-Versionen von Lade-Anwendungen auf den Markt, die mit Android Auto kompatibel sind. Die AGCM vertrat jedoch die Ansicht, dass es ungewiss sei, ob diese Version ausreichen würde, um die Integration aller wesentlichen Funktionen von JuicePass in Android Auto zu ermöglichen.
12. Mit Entscheidung vom 27. April 2021 stellte die AGCM fest, dass das Verhalten von Google, das nach der AGCM darin bestand, die Veröffentlichung von JuicePass auf der Plattform Android Auto zu behindern und zu verzögern, einen Missbrauch einer beherrschenden Stellung im Sinne von Art. 102 AEUV darstelle.
13. Im Einzelnen vertrat die AGCM die Auffassung, dass Android Auto ein unerlässliches Erzeugnis für Entwickler von Anwendungen sei, die sich an Autofahrer richteten. Es ermögliche im Hinblick auf die Benutzerfreundlichkeit und die Sicherheit im Straßenverkehr eine Benutzererfahrung, die als technische Lösung für die Interoperabilität von mobilen Anwendungen mit Infotainment-Systemen von Fahrzeugen keine Entsprechung habe. Darüber hinaus befand die AGCM, dass dem Verhalten von Google die Absicht zugrunde liege, seine eigene Google-Maps-Anwendung zum Nachteil anderer Anwendungen, die möglicherweise mit ihr konkurrierten, zu begünstigen, z. B. in Bezug auf elektrische Ladedienste, wie dies bei JuicePass der Fall gewesen sei. Schließlich vertrat die AGCM die Auffassung, dass das Verhalten von Google mehr als zwei Jahre lang schädigende Wirkungen auf den Markt gehabt habe, die darin bestanden hätten, die Wahlmöglichkeiten der Verbraucher einzuschränken, wofür es nach Ansicht der Behörde keine objektive Rechtfertigung gebe.
14. In Anbetracht dieses Befunds wies die AGCM Google an, eine endgültige Version des für die Entwicklung von Lade-Anwendungen bestimmten Templates freizugeben und alle von Enel X genannten wesentlichen Funktionen zu integrieren, um JuicePass mit Android Auto vollständig kompatibel zu machen. Außerdem verhängte sie gegen Google eine Geldbuße in Höhe von 102 084 433,91 Euro.
15. Gegen diese Entscheidung der AGCM erhob Google zunächst beim Tribunale amministrativo regionale del Lazio (Regionales Verwaltungsgericht Latium, Italien) Klage, die in vollem Umfang abgewiesen wurde. Anschießend hat Google beim Consiglio di Stato (Staatsrat), dem vorlegenden Gericht in dieser Rechtssache, ein Rechtsmittel gegen dieses Urteil eingelegt.
16. Vor dem Consiglio di Stato (Staatsrat) macht Google geltend, dass die AGCM die Voraussetzungen für die Beurteilung der Missbräuchlichkeit einer Zugangsverweigerung, wie sie sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs ergäben, nicht ordnungsgemäß geprüft habe. Das Unternehmen bezieht sich dabei insbesondere auf das Urteil des Gerichts in der Rechtssache Microsoft(7 ). Google wirft der AGCM außerdem vor, in der angefochtenen Entscheidung den relevanten nachgelagerten Markt und ihre beherrschende Stellung auf diesem Markt nicht identifiziert zu haben. Die AGCM und Enel X widersprechen ihrerseits diesen Argumenten und stützen sich im Wesentlichen auf die Begründung der im Ausgangsverfahren streitigen Entscheidung.
17. Für den Erlass eines Urteils im Ausgangsverfahren hält der Consiglio di Stato (Staatsrat) es für erforderlich, Hinweise zur Auslegung von Art. 102 AEUV und insbesondere zu den im Urteil Bronner aufgestellten Voraussetzungen zu erhalten, die für die Verweigerung des Zugangs zur Infrastruktur eines beherrschenden Unternehmens gelten. Nach diesen Voraussetzungen wird eine solche Verweigerung als missbräuchliches Verhalten betrachtet, wenn: i) das Zugangsersuchen ein Erzeugnis oder eine Dienstleistung betrifft, das/die für die Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit auf einem benachbarten Markt unerlässlich ist, ii) die Verweigerung geeignet ist, jeglichen Wettbewerb auf diesem Markt auszuschalten, und iii) die Verweigerung objektiv nicht gerechtfertigt werden kann. Der Consiglio di Stato (Staatsrat) ist sich im Wesentlichen darüber im Unklaren, ob die Besonderheiten der Funktionsweise der digitalen Märkte es rechtfertigen, in einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens von diesen Voraussetzungen abzuweichen oder sie zumindest flexibel auszulegen. Es hegt auch Zweifel im Hinblick darauf, wie die Wettbewerbsbehörden die relevanten Märkte in einem solchen Fall definieren sollten.
18. Unter diesen Umständen hat der Consiglio di Stato (Staatsrat) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
1. Ist das Erfordernis der Unerlässlichkeit eines Erzeugnisses, dessen Lieferung verweigert wurde, im Sinne von Art. 102 AEUV dahin auszulegen, dass der Zugang für die Ausübung einer bestimmten Tätigkeit auf einem benachbarten Markt unerlässlich sein muss, oder genügt es, dass dieser Zugang für eine erleichterte Verwendung der von dem Unternehmen, das um den Zugang ersucht, angebotenen Erzeugnisse oder Dienstleistungen unerlässlich ist, insbesondere wenn das von der Weigerung betroffene Erzeugnis im Wesentlichen die Funktion hat, die Nutzung bereits bestehender Erzeugnisse oder Dienstleistungen einfacher und leichter zu gestalten?
2. Kann bei einem als Verweigerung einer Lieferung eingestuften Verhalten ein missbräuchliches Verhalten im Sinne von Art. 102 AEUV in einem Kontext angenommen werden, in dem, ungeachtet des fehlenden Zugangs zu dem verlangten Erzeugnis, i) das ersuchende Unternehmen bereits auf dem Markt tätig war und während des gesamten Zeitraums des angeblichen Missbrauchs auf diesem Markt ständig gewachsen ist und ii) andere Wirtschaftsteilnehmer, die mit dem um Zugang zu dem Erzeugnis ersuchenden Unternehmen im Wettbewerb stehen, weiter auf dem Markt tätig waren?
3. Ist Art. 102 AEUV im Zusammenhang mit einem Missbrauch, der in der Verweigerung des Zugangs zu einem Erzeugnis oder einer Dienstleistung besteht, die unerlässlich sein soll, dahin auszulegen, dass das Nichtvorhandensein des Erzeugnisses oder der Dienstleistung zum Zeitpunkt des Ersuchens um Lieferung als objektive Rechtfertigung dieser Weigerung zu berücksichtigen ist, oder ist zumindest eine Wettbewerbsbehörde verpflichtet, anhand objektiver Elemente zu beurteilen, wie lange ein beherrschendes Unternehmen benötigt, das Erzeugnis oder die Dienstleistung zu entwickeln, die Gegenstand des Zugangsersuchens ist, oder kann vielmehr vom beherrschenden Unternehmen angesichts der Verantwortung, die ihm auf dem Markt zukommt, verlangt werden, dem um Zugang Ersuchenden den für die Entwicklung des Erzeugnisses erforderlichen zeitlichen Rahmen mitzuteilen?
4. Ist Art. 102 AEUV dahin auszulegen, dass ein beherrschendes Unternehmen, das die Kontrolle über eine digitale Plattform innehat, dazu verpflichtet sein kann, seine eigenen Erzeugnisse anzupassen oder neue Erzeugnisse zu entwickeln, so dass diejenigen, die darum ersuchen, Zugang zu diesen Erzeugnissen erhalten können? Ist ein beherrschendes Unternehmen in einem solchen Fall verpflichtet, die allgemeinen Marktanforderungen oder die Bedürfnisse eines einzelnen Unternehmens, das um Zugang zu dem angeblich unerlässlichen Input ersucht, zu berücksichtigen, oder muss es zumindest angesichts seiner besonderen Verantwortung, die ihm auf dem Markt zukommt, objektive Kriterien für die Prüfung der entsprechenden Zugangsersuchen und für deren Ordnung nach Priorität festlegen?
5. Ist Art. 102 AEUV im Zusammenhang mit einem Missbrauch, der in der Verweigerung des Zugangs zu einem Erzeugnis oder einer Dienstleistung besteht, die unerlässlich sein soll, dahin auszulegen, dass eine Wettbewerbsbehörde vorab den von dem Missbrauch betroffenen relevanten nachgelagerten Markt bestimmen und identifizieren muss, und kann es sich dabei auch um einen nur potenziellen Markt handeln?
19. Das Vorabentscheidungsersuchen ist am 13. April 2023 bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingegangen. Die italienische Regierung, die griechische Regierung, die Europäische Kommission und die Parteien des Ausgangsverfahrens haben schriftliche Erklärungen abgegeben. Eine mündliche Verhandlung, an der auch die Überwachungsbehörde der EFTA (Europäische Freihandelszone) teilgenommen hat, hat am 23. April 2024 stattgefunden.
III. Würdigung
20. Mit seinen Fragen ersucht der Consiglio di Stato (Staatsrat) den Gerichtshof um Hinweise zur Auslegung von Art. 102 AEUV, insbesondere was die Rechtsprechung des Gerichtshofs zu Fällen betrifft, in denen ein marktbeherrschendes Unternehmen einem anderen Unternehmen, das auf einem benachbarten Markt tätig ist, Zugang zu seiner Infrastruktur verweigert. Der Consiglio di Stato (Staatsrat) stellt diese Fragen im Hinblick auf die Besonderheiten, die nach Ansicht dieses Gerichts die Funktionsweise der digitalen Märkte kennzeichnen.
21. Konkret fragt der Consiglio di Stato (Staatsrat) erstens, ob in Anbetracht der Funktion von Android Auto sowie der gegenwärtigen Entwicklung der digitalen Märkte die Voraussetzung der Unerlässlichkeit der Infrastruktur, zu der um Zugang ersucht wird, als erfüllt anzusehen ist, wenn dieser Zugang für den benachbarten Markt nicht unbedingt erforderlich ist, aber dennoch die Nutzung von Erzeugnissen oder Dienstleistungen auf diesem Markt im Hinblick auf die Sicherheit im Straßenverkehr und die Benutzerfreundlichkeit erleichtert.
22. Zweitens fragt der Consiglio di Stato (Staatsrat), ob die Verweigerung des Zugangs durch ein marktbeherrschendes Unternehmen im Sinne der im Urteil Bronner aufgestellten Voraussetzungen als missbräuchlich angesehen werden kann, wenn das ersuchende Unternehmen sowie auch andere Marktteilnehmer trotz des fehlenden Zugangs weiterhin auf dem benachbarten Markt tätig sind und ihren Marktanteil vergrößern.
23. Drittens stellt der Consiglio di Stato (Staatsrat) im Wesentlichen die Frage, ob das Fehlen eines für die Gewährung des ersuchten Zugangs erforderlichen Elements – z. B. das Nichtvorhandensein eines Software-Templates – eine objektive Rechtfertigung für eine Verweigerung seitens des marktbeherrschenden Unternehmens darstellt. Hilfsweise fragt dieses Gericht, ob eine Wettbewerbsbehörde verpflichtet ist, anhand objektiver Kriterien zu prüfen, wie viel Zeit für die Entwicklung dieses Elements benötigt wird, oder ob es dem marktbeherrschenden Unternehmen in Anbetracht seiner besonderen Verantwortung auf dem Markt obliegt, das ersuchende Unternehmen über die Zeitdauer zu informieren.
24. Viertens fragt der Consiglio di Stato (Staatsrat), ob Art. 102 AEUV ein marktbeherrschendes Unternehmen, das eine digitale Plattform kontrolliert, im Fall eines Zugangsersuchens verpflichtet, sein eigenes Erzeugnis anzupassen, um diesen Zugang zu gewähren. In diesem Zusammenhang stellt das Gericht die Frage, ob das marktbeherrschende Unternehmen in Anbetracht seiner Marktposition allgemeinen Anforderungen des Marktes oder denjenigen des antragstellenden Unternehmens Vorrang einräumen sollte und ob dieses Unternehmen vorab festgelegte objektive Kriterien für die Bewertung und Priorisierung von Zugangsersuchen aufstellen sollte.
25. Fünftens möchte der Consiglio di Stato (Staatsrat) wissen, ob Art. 102 AEUV im Zusammenhang mit einem missbräuchlichen Verhalten, das in der Verweigerung des Zugang zu einem angeblich unerlässlichen Erzeugnis besteht, dahin auszulegen ist, dass eine Wettbewerbsbehörde verpflichtet ist, vorab den von dem Missbrauch betroffenen relevanten nachgelagerten Markt konkret zu definieren.
26. In den folgenden Nummern der vorliegenden Schlussanträge werde ich in erster Linie prüfen, ob davon auszugehen ist, dass die vom Gerichtshof im Urteil Bronner aufgestellten Voraussetzungen auf einen Fall wie den des Ausgangsverfahrens anwendbar sind. Auch wenn dieses Problem nicht ausdrücklich Gegenstand einer der Vorlagefragen ist, stellt es doch den zentralen Zweifel dar, den das vorlegende Gericht in der Vorlageentscheidung formuliert. Es ist auch die grundlegende Prämisse, auf der die ersten beiden Vorlagefragen beruhen, weshalb die Parteien diese Frage vor dem Gerichtshof eingehend erörtert haben. Auf der Grundlage dieser Prüfung werde ich mich sodann mit den Fragen des vorlegenden Gerichts befassen, wobei ich die erste und die zweite Frage und die dritte und die vierte Frage jeweils zusammen prüfen werde. Die fünfte Frage wird für sich allein geprüft.
A. Anwendbarkeit der im Urteil Bronner aufgestellten Voraussetzungen. Zur ersten und zur zweiten Frage
27. Art. 102 AEUV verbietet die missbräuchliche Ausnutzung einer beherrschenden Stellung auf dem Binnenmarkt oder auf einem wesentlichen Teil desselben durch ein oder mehrere Unternehmen und erklärt einen solchen Missbrauch für mit dem Binnenmarkt unvereinbar, soweit dies dazu führen kann, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen(8 ). Hiervon können unter bestimmten Umständen Fälle erfasst sein, in denen ein marktbeherrschendes Unternehmen sich weigert, mit einem anderen Unternehmen in Geschäftsbeziehung zu treten, oder, genauer gesagt, in denen das marktbeherrschende Unternehmen sich weigert, einem anderen Unternehmen, das auf einem benachbarten Markt tätig ist, Zugang zu einem eigenen Erzeugnis, einer eigenen Dienstleistung oder einer eigenen Infrastruktur zu gewähren(9 ).
28. Wie bereits erwähnt, werden Fälle, in denen sich ein marktbeherrschendes Unternehmen weigert, mit einem anderen Unternehmen Verträge zu schließen oder ihm Zugang zu gewähren, herkömmlicherweise im Licht der vom Gerichtshof im Urteil Bronner aufgestellten Doktrin(10 ) geprüft. Nach diesem Urteil müssen drei Voraussetzungen erfüllt sein, damit ein missbräuchliches Verhalten im Sinne von Art. 102 AEUV festgestellt werden kann. Diese Voraussetzungen verlangen, dass erstens der ersuchte Zugang ein Erzeugnis oder eine Dienstleistung betreffen muss, das bzw. die für die Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit auf einem benachbarten Markt unerlässlich ist, zweitens die Weigerung des marktbeherrschenden Unternehmens geeignet sein muss, jeglichen Wettbewerb auf diesem Markt auszuschalten, und drittens darf die Weigerung nicht objektiv zu rechtfertigen sein(11 ).
29. Die Überlegungen, die der Einstufung einer Verweigerung des Zugangs als missbräuchliches Verhalten zugrunde liegen, wurden erstmals von Generalanwalt Jacobs in seinen Schlussanträgen in der Rechtssache Bronner dargelegt(12 ). Mehr als zwei Jahrzehnte nach ihrer Veröffentlichung wird seine juristische Analyse immer noch in der maßgeblichen juristischen Literatur zu dieser Frage zitiert, und zwar insbesondere um zu verdeutlichen, dass es nur unter engen Voraussetzungen möglich sein sollte, marktbeherrschenden Unternehmen gemäß Art. 102 AEUV Zugangsgewährungspflichten aufzuerlegen(13 ).
30. In den genannten Schlussanträgen führte Generalanwalt Jacobs aus, dass das Recht, den Handelspartner auszuwählen und über das Eigentum frei zu verfügen, allgemein anerkannten Grundsätzen der Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten entspreche, in manchen Fällen mit verfassungsrechtlichem Status. Eingriffe in diese Rechte seien daher sorgfältig zu begründen(14 ). Außerdem fördere es im Allgemeinen langfristig den Wettbewerb und liege im Interesse der Verbraucher, wenn einem marktbeherrschenden Unternehmen erlaubt werde, die Früchte seiner umfangreichen Investitionen für sich zu behalten. Andernfalls gäbe es für ein solches Unternehmen nicht genügend Anreize, weiterhin effiziente Erzeugnisse oder Dienstleistungen zu entwickeln(15 ). Demgegenüber wies Generalanwalt Jacobs auch darauf hin, dass die Verweigerung des Zugangs in bestimmten Fällen sowohl kurz- als auch langfristig zu einer Ausschaltung oder erheblichen Abnahme des Wettbewerbs zum Nachteil der Verbraucher führen könne(16 ).
31. Ich stelle fest, dass sich der Gerichtshof die von Generalanwalt Jacobs dargestellte Argumentation ausdrücklich zu eigen gemacht hat, zuletzt im Urteil Slovak Telecom, in dem er feststellte, dass es einen schweren Eingriff in die Vertragsfreiheit und das Eigentumsrecht des Unternehmens in beherrschender Stellung darstellt, wenn es gezwungen wird, Zugang zu gewähren. Deshalb müsse es marktbeherrschenden Unternehmen grundsätzlich freistehen, den Zugang zu einem Erzeugnis, einer Dienstleistung oder einer Infrastruktur, die es für eigene Zwecke entwickelt habe, zu verweigern(17 ). Diese Unternehmen in beherrschender Stellung wären nämlich weniger leicht dazu bereit, in effiziente Erzeugnisse oder Anlagen zu investieren, wenn sie auf bloßes Anfordern ihrer Wettbewerber hin gezwungen werden könnten, die Früchte ihrer eigenen Investitionen mit diesen Wettbewerbern zu teilen(18 ).
32. Daraus ergibt sich, dass die anhand von Art. 102 AEUV vorzunehmende Beurteilung eines Falles, in dem ein marktbeherrschendes Unternehmen den Zugang verweigert, letztlich auf einem empfindlichen Gleichgewicht zwischen dem Interesse der Wettbewerber und der Verbraucher an einer geeigneten Entwicklung des benachbarten Marktes und einem fruchtbaren Wettbewerb auf diesem Markt einerseits und der Achtung der Vertragsfreiheit und des Eigentumsrechts des marktbeherrschenden Unternehmens als Mittel zur Förderung ausreichender Anreize für eine effiziente Ausübung seiner Tätigkeit andererseits beruht(19 ). Nach dem Gerichtshof soll das Urteil Bronner dieses empfindliche Gleichgewicht herstellen, indem es die drei bereits erwähnten Voraussetzungen aufstellt(20 ).
33. Eine Untersuchung der jüngeren Rechtsprechung des Gerichtshofs in Fällen, in denen er die im Urteil Bronner aufgestellten Voraussetzungen auszulegen hatte, ergibt jedoch, dass der Anwendungsbereich dieser Kriterien eher begrenzt ist. Wie Generalanwältin Kokott kürzlich in ihren Schlussanträgen in der Rechtssache Google Shopping(21 ) ausgeführt hat, haben diese Voraussetzungen Ausnahmecharakter und taugen nicht generell, um das Vorliegen eines Missbrauchs in allen Fällen, die Fragen des Zugangs betreffen, festzustellen(22 ).
34. Es ist nämlich darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof klargestellt hat, dass die im Urteil Bronner aufgestellten Voraussetzungen durch die besonderen Umstände dieser Rechtssache bedingt waren, die in der Weigerung eines beherrschenden Unternehmens, einem Wettbewerber Zugang zu der Infrastruktur zu gewähren, die es für seine eigene Tätigkeit entwickelt hatte. Dies hat der Gerichtshof nicht nur in der oben angeführten Rechtssache Slovak Telekom(23 ), sondern auch in dem erst kürzlich ergangenen Urteil Baltic Rail besonders hervorgehoben(24 ). Aus dem letztgenannten Urteil ergibt sich zweifelsfrei, dass die im Urteil Bronner aufgestellten Voraussetzungen nur in den Fällen gelten, in denen die fragliche Infrastruktur für die eigene Tätigkeit des marktbeherrschenden Unternehmens entwickelt wurde und unter Ausschluss aller anderen Wettbewerber für dessen eigene Nutzung bestimmt ist(25 ).
35. Daraus folgt nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass für die Beurteilung der Frage, ob die im Urteil Bronner aufgestellten Voraussetzungen auf einen Fall der Zugangsverweigerung anwendbar sind, zu prüfen ist, ob die Infrastruktur, zu der um Zugang ersucht wird, dem eigenen Betrieb und der eigenen Nutzung des marktbeherrschenden Unternehmens vorbehalten ist und diesem ausschließlich zur Verfügung stehen soll, damit ihm die Vorteile der für die Entwicklung dieser Infrastruktur getätigten Investitionen zufließen. Dagegen sollen diese Voraussetzungen nicht gelten, wenn die betreffende Infrastruktur anderen Marktteilnehmern zur Verfügung steht, was sich nach dem Gerichtshof aus der Anwendung von regulatorischen Verpflichtungen ergeben kann, wie dies im Urteil Slovak Telekom der Fall war(26 ). Dies muss erst recht im Hinblick auf eine Infrastruktur gelten, die bewusst für die Nutzung durch Drittanbieter entwickelt wurde.
36. Insoweit geht aus der Darstellung des vorlegenden Gerichts in der Vorlageentscheidung hervor, dass die vorliegende Rechtssache das Ersuchen eines Dritten gegenüber Google betrifft, der wollte, dass eine von ihm entwickelte Anwendung mit Android Auto kompatibel sei. Nach dieser Darstellung ist Android Auto auch ein „Smartphone-Projektionstool“, das es Benutzern von Mobilgeräten mit dem Betriebssystem Android ermöglicht, über einen in ein Fahrzeug integrierten Bildschirm auf bestimmte Anwendungen auf ihrem Smartphone zuzugreifen. So gesehen erfüllt es die Funktion einer Plattform, was eine Einstufung ist, die zwar vom vorlegenden Gericht bei der Entscheidung über den Ausgangsrechtsstreit zu überprüfen ist, die – nach dem Wortlaut der Vorlagefragen zu urteilen – aber von diesem Gericht als zutreffend angesehen wird(27 ).
37. Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass Android Auto wie viele andere Plattformen oder digitale Infrastrukturen einen Mehrwert erzeugt, indem es seinen Benutzern Zugang zu einer Vielzahl interoperabler und komplementärer Erzeugnisse und Dienste ermöglicht(28 ). Tatsächlich wurde Android Auto entwickelt, um es Drittanbietern nicht nur zu ermöglichen, sondern um sie dazu anzuhalten, von ihren eigenen Anwendungen Versionen zu entwickeln, die mit dem System kompatibel sind(29 ). Hierzu führt das vorlegende Gericht unter Verweis auf die Entscheidung der AGCM aus, dass Android Auto den Kern eines „Ökosystems“ bilden solle(30 ), was ein Begriff ist, der in der Informatik ein Betriebsmodell bezeichnet, bei dem Daten und Dienste vom Eigentümer einer digitalen Plattform mit externen Entwicklern im Dienst einer Nutzergemeinschaft geteilt werden(31 ).
38. Daraus folgt, wie die italienische Regierung und die Kommission feststellen, dass die vom vorlegenden Gericht beschriebene Plattform, zu der im vorliegenden Fall Zugang begehrt wird, weder als für die eigene Tätigkeit eines marktbeherrschenden Unternehmens entwickelt im Sinne der oben in Nr. 34 angeführten Rechtsprechung noch als für dessen ausschließliche Nutzung bestimmt angesehen werden kann. Ganz im Gegenteil ist Android Auto bewusst offen und so konzipiert, dass es frei geteilt werden kann und Dritten zur Verfügung steht, was dem Ziel von Google entspricht, für möglichst viele fahrzeuginterne Anwendungen attraktiv zu sein, damit Autofahrer möglichst viel Assistenz erhalten, derweil sie sich auf das Fahren konzentrieren(32 ).
39. Daraus ergibt sich in erster Linie, dass die Abwägung der Interessen und Anreize, die bei einem Sachverhalt wie dem des Urteils Bronner vorzunehmen ist, nicht zu den Merkmalen des vorliegenden Falles passt. Mit anderen Worten könnte der Entwickler oder Eigentümer der Plattform nicht dadurch, dass er gezwungen würde, Zugang für eine von einem Dritten entwickelte Anwendung zu gewähren, davon abgeschreckt werden, seine Tätigkeit auszuüben oder weitere Investitionen zu tätigen. Wie ich weiter unten erläutern werde, kann diese Abschreckungsgefahr nur als Folge einer unangemessenen Gewichtung der objektiven Rechtfertigung entstehen, die das Unternehmen zur Begründung der Verweigerung des Zugangs vorbringt, was meines Erachtens den eigentlichen Schwerpunkt der in einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens vorzunehmenden Prüfung bildet.
40. Meines Erachtens sollte daher der im Urteil Bronner angewandte Test, der aus den dort aufgestellten Voraussetzungen besteht, im vorliegenden Fall nicht angewandt werden, wie dies offenbar auch das vorlegende Gericht gesehen hat und wie es die italienische und die griechische Regierung und die Kommission vertreten.
41. Im Gegensatz zu diesem Ansatz beruft sich Google auf das Urteil des Gerichts in der Rechtssache Microsoft. Wie allgemein bekannt, ging es in dieser Rechtssache um die Anwendung des ehemaligen Art. 82 EG (jetzt Art. 102 AEUV) auf die Weigerung der Offenlegung technologischer Standards, die durch Rechte des geistigen Eigentums geschützt sind(33 ). In seinem Urteil bestätigte das Gericht im Wesentlichen die von der Kommission in der angefochtenen Entscheidung vertretene Argumentation, wonach Microsoft mit seinem marktbeherrschenden Windows-Betriebssystem die Interoperabilität der Erzeugnisse von Wettbewerbern eingeschränkt habe. Dabei ging das Gericht auch auf die Voraussetzungen ein, die zuvor in der Rechtsprechung des Gerichtshofs für die Feststellung eines missbräuchlichen Verhaltens bei der Verweigerung des Zugangs festgelegt worden waren(34 ).
42. Das Urteil Microsoft betraf jedoch einen Fall, in dem es um die Erteilung von Zwangslizenzen für Rechte des geistigen Eigentums ging, bei der es, ähnlich wie bei körperlichen Gegenständen, zu Spannungen kommt, die im Hinblick auf die Interessen und Anreize den im Urteil Bronner beschriebenen entsprechen(35 ). Selbst wenn man deshalb davon ausginge, dass der dem Urteil Microsoft zugrunde liegende Fall aus einer allgemeinen Perspektive betrachtet als ein Beispiel für eine Verweigerung des Zugangs zu einer digitalen Infrastruktur angesehen werden könnte, würde dies nichts daran ändern, dass das in dieser Rechtssache in Rede stehende Betriebssystem nicht in erster Linie darauf ausgelegt war, anderen Softwareentwicklern zur Verfügung zu stehen, was den Hauptunterschied im Verhältnis zu einer Plattform wie der hier in Rede stehenden ausmacht.
43. Daher bin ich der Ansicht, dass sich der Gerichtshof nicht auf dieses Urteil als gültigen Präzedenzfall für die Beurteilung der vorliegenden Rechtssache stützen sollte, ganz abgesehen davon, dass er mangels eines Rechtsmittels bisher keine Gelegenheit hatte, sich zu dem vom Gericht in der Rechtssache Microsoft gewählten Ansatz zu äußern.
44. Natürlich könnte man einwenden, dass das Fehlen eines spezifischen Templates, das die Interoperabilität von Android Auto mit Anwendungen zum Laden von Elektrofahrzeugen sicherstellt, wie es hier der Fall ist, zeige, dass Google diese Dienste für sich selbst vorbehalten möchte. Dieses Argument ist jedoch in Anbetracht der oben in den Nrn. 36 und 37 beschriebenen Funktionen von Android Auto nicht überzeugend. Im Übrigen möchte ich lediglich anmerken, dass Google einen solchen Einwand offenbar weder vor dem vorlegenden Gericht – dem Wortlaut der Vorlageentscheidung nach zu urteilen – noch vor dem Gerichtshof erhoben hat. Die von Google vorgetragenen Gründe für die Verweigerung des Zugangs betreffen nämlich die aus Gründen der Sicherheit sowie des Zeitdrucks und der Ressourcenknappheit bestehenden Schwierigkeiten bei der Entwicklung eines Softwaretemplates, das die Interoperabilität zwischen Android Auto und der Anwendung eines Drittentwicklers gewährleisten würde.
45. In Anbetracht des Vorstehenden lege ich dem Gerichtshof nahe, dass insoweit, als ein marktbeherrschendes Unternehmen Drittanbietern eine Plattform zur Verfügung stellt, die für die von diesen Anbietern entwickelten Anwendungen konzipiert und gestaltet ist, zur Feststellung eines missbräuchlichen Verhaltens nach Art. 102 AEUV nicht geprüft werden muss, ob die vom Gerichtshof im Urteil Bronner entwickelte Doktrin erfüllt ist. Dies gilt insbesondere hinsichtlich der Voraussetzungen, die sich zum einen auf die Unerlässlichkeit des ersuchten Zugangs zu dem benachbarten Markt und zum anderen auf die Ausschaltung jeglichen Wettbewerbs auf diesem Markt beziehen.
46. Vielmehr sollte zu diesem Zweck die Prüfung sich auf die Frage konzentrieren, ob das marktbeherrschende Unternehmen, das Eigentümer dieser Plattform ist, den verlangten Zugang einer von einem Drittanbieter entwickelten Anwendung ausschließt, behindert oder verzögert, sofern dieses Verhalten wettbewerbswidrige Wirkungen zum Nachteil der Verbraucher erzeugt und nicht objektiv zu rechtfertigen ist(36 ). Wie die griechische Regierung und die Kommission anmerken, können diese wettbewerbswidrigen Wirkungen z. B. darin bestehen, dass die Einführung eines Erzeugnisses oder einer Dienstleistung auf dem benachbarten Markt verzögert wird, das bzw. die zumindest potenziell mit einem Erzeugnis oder einer Dienstleistung des marktbeherrschenden Unternehmens konkurriert, wodurch Anreize für Innovation und technologische Entwicklung sowie die Wahlmöglichkeiten der Verbraucher eingeschränkt werden.
47. In Anbetracht dessen, dass im vorliegenden Fall mit den ersten beiden Fragen des vorliegenden Vorabentscheidungsersuchens um Hinweise für die Auslegung der ersten beiden der im Urteil Bronner aufgestellten Voraussetzungen gebeten wird, bin ich der Ansicht, dass so, wie sie formuliert sind, keine von ihnen eine Antwort des Gerichtshofs erfordert. Denn für die Beurteilung der Begründetheit des Ausgangsverfahrens wäre es nicht erforderlich, dass sich das vorlegende Gericht damit befasst: i) ob die Voraussetzung der Unerlässlichkeit des ersuchten Zugangs als erfüllt anzusehen ist, wenn dieser Zugang die Benutzung von Erzeugnissen oder Diensten auf einem benachbarten Markt im Hinblick auf die Sicherheit im Straßenverkehr und die Benutzerfreundlichkeit komfortabler macht, und ii) im Wesentlichen, ob die Verweigerung des Zugangs durch ein marktbeherrschendes Unternehmen als missbräuchlich im Sinne von Art. 102 AEUV angesehen werden kann, wenn der Wettbewerb auf dem benachbarten Markt nicht ausgeschaltet ist.
48. Was dagegen die erste Vorlagefrage betrifft, lege ich dem Gerichtshof aus den bereits in den vorhergehenden Nummern dieser Schlussanträge dargelegten Gründen nahe, festzustellen, dass die im Urteil Bronner entwickelte Doktrin für einen Fall wie den des Ausgangsverfahrens nicht relevant ist. Die Beurteilung durch das vorlegende Gericht sollte sich auf die oben in Nr. 46 dargelegten Voraussetzungen konzentrieren, was im Wesentlichen eine Feststellung darüber ermöglichen würde, ob die Weigerung von Google, den Zugang zu Android Auto zu gewähren, eine Behinderung oder Verzögerung des Zugangs zu einem Erzeugnis oder einer Dienstleistung darstellt, das bzw. die zumindest potenziell mit anderen von Google über diese Plattform angebotenen Dienstleistungen – insbesondere mit Dienstleistungen im Zusammenhang mit dem Laden von Elektrofahrzeugen – konkurriert, sofern dieses Verhalten schädigende Wirkungen auf die Verbraucher haben kann und sofern es sich nicht durch objektive Gründe rechtfertigen lässt.
49. Was die zweite Vorlagefrage betrifft, lege ich dem Gerichtshof nahe, sie aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten. Denn eine Antwort auf die Frage, ob die Verweigerung des Zugangs wettbewerbswidrige Wirkungen haben kann, wäre immer noch möglich, wenn dieselbe Prämisse gilt, d. h., wenn das ersuchende Unternehmen und andere Marktteilnehmer auf dem benachbarten Markt aktiv geblieben sind und ihre Marktposition ausgebaut haben, obwohl ihnen der verlangte Zugang nicht gewährt wurde(37 ).
50. Diese Frage kann unter Berücksichtigung der aktuellen Rechtsprechung, insbesondere des Urteils Servizio Elettrico Nazionale(38 ), tatsächlich beantwortet werden.
51. Aus dem genannten Urteil und der dort angeführten ständigen Rechtsprechung ergibt sich, dass das mit Art. 102 AEUV verfolgte Ziel darin besteht, zu verhindern, dass die Verhaltensweisen eines marktbeherrschenden Unternehmens die Aufrechterhaltung oder Entwicklung des auf dem Markt noch bestehenden Wettbewerbs durch den Einsatz nicht leistungsbezogener Mittel behindern(39 ).
52. Im Übrigen hängt die Einstufung der Praxis eines Unternehmens in beherrschender Stellung als missbräuchlich nicht von dem Nachweis ab, dass, wenn die Praxis eines solchen Unternehmens auf die Verdrängung seiner Wettbewerber vom betreffenden Markt angelegt ist, dies auch erreicht worden ist und es folglich auf dem Markt zu einer konkreten Verdrängungswirkung gekommen ist. Art. 102 AEUV soll nämlich die missbräuchliche Ausnutzung einer beherrschenden Stellung auf dem Binnenmarkt oder auf einem wesentlichen Teil desselben durch ein oder mehrere Unternehmen ahnden, unabhängig davon, ob sich eine solche Ausnutzung als erfolgreich erwiesen hat oder nicht(40 ).
53. Entgegen der Annahme von Google bedeutet daher der Umstand, dass trotz des missbräuchlichen Verhaltens eines marktbeherrschenden Unternehmens der Wettbewerb auf einem bestimmten Markt auf demselben Niveau aufrechterhalten wird oder dass der Wettbewerb auf diesem Markt sogar zunimmt, nicht zwangsläufig, dass dieses Verhalten keine wettbewerbswidrigen Wirkungen haben kann. Zum einen kann die Rechtswidrigkeit des Verhaltens eines marktbeherrschenden Unternehmens letztlich nicht davon abhängen, ob die anderen Marktteilnehmer in der Lage sind, die schädigenden Wirkungen dieses Verhaltens zu begrenzen. Zum anderen genügt der Nachweis, dass der Wettbewerb ohne das missbräuchliche Verhalten noch stärker hätte zunehmen können, indem sich z. B. die Marktanteile anderer Wirtschaftsteilnehmer ebenfalls noch stärker vergrößert hätten, als dies tatsächlich der Fall war.
54. Des Weiteren kann das Vorbringen eines Unternehmens in marktbeherrschender Stellung, dass es an einer konkreten Verdrängungswirkung fehlt, nicht als ausreichend angesehen werden, um die Anwendung von Art. 102 AEUV auszuschließen. Auch wenn dieser Umstand ein Indiz dafür sein kann, dass die fragliche Verhaltensweise nicht geeignet war, die behaupteten Wirkungen zu entfalten, muss dies um weitere Beweise ergänzt werden, die belegen sollen, dass das Fehlen konkreter Wirkungen die Folge dessen war, dass dieses Verhalten nicht geeignet war, solche Wirkungen zu entfalten(41 ).
55. Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich, dass, selbst wenn andere Wirtschaftsteilnehmer trotz der Verweigerung des Zugangs zu Android Auto weiterhin auf dem benachbarten Markt tätig waren oder ihren Marktanteil sogar vergrößern konnten, dieser Umstand für sich betrachtet nicht bedeutet, dass die betreffende Verweigerung keine wettbewerbswidrigen Wirkungen entfalten konnte. Das vorlegende Gericht muss unter Berücksichtigung aller relevanten Umstände des Falles und unabhängig davon, ob diese wettbewerbsbeschränkenden Wirkungen tatsächlich eingetreten sind, beurteilen, ob das Verhalten des marktbeherrschenden Unternehmens geeignet war, die Aufrechterhaltung oder Entwicklung von Wettbewerb zu behindern(42 ).
56. Nach alledem komme ich in Bezug auf die erste Vorlagefrage zu dem Ergebnis, dass Art. 102 AEUV dahin auszulegen ist, dass die im Urteil Bronner aufgestellten Voraussetzungen nicht gelten, wenn die Plattform, zu der um Zugang ersucht wird, von dem marktbeherrschenden Unternehmen nicht zu dessen ausschließlicher Nutzung entwickelt wurde, sondern mit dem Ziel konzipiert und gestaltet wurde, durch die Anwendungen von Drittentwicklern gespeist zu werden. In einem solchen Fall ist es nicht erforderlich, die Unerlässlichkeit dieser Plattform für den benachbarten Markt nachzuweisen. Dagegen missbraucht ein Unternehmen seine beherrschende Stellung, wenn es ein Verhalten an den Tag legt, das darin besteht, den Zugang der von einem Drittanbieter entwickelten Anwendung zu der Plattform auszuschließen, zu behindern oder zu verzögern, sofern dieses Verhalten geeignet ist, wettbewerbswidrige Wirkungen zum Nachteil der Verbraucher zu entfalten, und nicht objektiv gerechtfertigt ist. Diese wettbewerbswidrigen Wirkungen können darin bestehen, dass die Einführung eines Erzeugnisses oder einer Dienstleistung, das bzw. die zumindest potenziell mit einem Erzeugnis oder einer Dienstleistung konkurriert, das bzw. die von dem marktbeherrschenden Unternehmen angeboten werden kann, auf dem benachbarten Markt verzögert wird.
57. In Bezug auf die zweite Vorlagefrage ist Art. 102 AEUV dahin auszulegen, dass der Umstand, dass das ersuchende Unternehmen und andere Wirtschaftsteilnehmer weiterhin auf dem benachbarten Markt tätig sind und ihre Marktposition ausgebaut haben, obwohl ihnen der ersuchte Zugang zu einer digitalen Plattform nicht gewährt wurde, für sich genommen nicht bedeutet, dass die Verweigerung des Zugangs durch das marktbeherrschende Unternehmen nicht geeignet war, wettbewerbswidrige Wirkungen zu entfalten, und dass sie daher nicht als missbräuchlich angesehen werden kann. Das vorlegende Gericht hat zu prüfen, ob das Verhalten des marktbeherrschenden Unternehmens geeignet war, die Aufrechterhaltung oder Entwicklung des Wettbewerbs zu behindern, und zwar unter Berücksichtigung aller relevanten Umstände des Falles und unabhängig davon, ob diese wettbewerbsbeschränkenden Wirkungen tatsächlich eingetreten sind.
B. Zur dritten und zur vierten Vorlagefrage
58. Nachdem ich den Standpunkt dargelegt habe, den der Gerichtshof meines Erachtens hinsichtlich der ersten und der zweiten Vorlagefrage einnehmen sollte, werde ich nun die dritte und die vierte Frage gemeinsam prüfen. Sie beziehen sich im Wesentlichen auf die objektive Rechtfertigung, auf die sich ein marktbeherrschendes Unternehmen berufen kann, wenn es den Zugang zu einer von ihm entwickelten Plattform verweigert, was zu einem Verhalten führt, wie ich es in Nr. 46 der vorliegenden Schlussanträge beschrieben habe. Beide Fragen betreffen auch die Beweislast, die das marktbeherrschende Unternehmen oder die zuständigen Wettbewerbsbehörden in diesem Fall zu tragen haben.
59. Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die dritte und die vierte Frage auf dem Vorbringen von Google beruhen, wonach zur Ermöglichung des ersuchten Zugangs zu Android Auto zunächst ein Template für Anwendungen im Zusammenhang mit Diensten für das Aufladen von Elektrofahrzeugen habe entwickelt werden müssen. Dieses Template habe zum Zeitpunkt des Zugangsersuchens nicht existiert, sei aber für die sichere Nutzung von Android Auto unerlässlich gewesen. Google macht ferner geltend, dass dieses Template nicht innerhalb der in dem Ersuchen ursprünglich genannten Fristen habe erstellt werden können, u. a. wegen der Notwendigkeit der Zuweisung angemessener Ressourcen und wegen des Auftretens der Covid-19-Pandemie.
60. Auch wenn sich in Art. 102 AEUV keine Art. 101 Abs. 3 AEUV entsprechende Vorschrift findet, die das in diesem Vertrag enthaltene Verbot in Bezug auf wettbewerbswidrige Vereinbarungen abschwächt(43 ), gibt die Rechtsprechung des Gerichtshofs marktbeherrschenden Unternehmen die Möglichkeit, den Nachweis einer objektiven Rechtfertigung für ihr Verhalten zu erbringen, selbst wenn dieses Verhalten auf den ersten Blick einen Missbrauch darstellt(44 ).
61. Dies bedeutet, dass marktbeherrschende Unternehmen, denen ein missbräuchliches Verhalten vorgeworden wird, sich auf eine objektive Rechtfertigung für ihr Verhalten berufen können(45 ). Gelingt dies, findet das in Art. 102 AEUV aufgestellte Verbot keine Anwendung. Ein marktbeherrschendes Unternehmen kann sein Verhalten rechtfertigen, indem es u. a. nachweist, dass es objektiv notwendig ist(46 ), was eine Anforderung darstellt, die außerdem mit der Bedingung verbunden ist, dass das fragliche Verhalten verhältnismäßig sein muss(47 ).
62. In erster Linie möchte das vorlegende Gericht vom Gerichtshof wissen, ob das Nichtvorhandensein eines Templates zum Zeitpunkt des Zugangsersuchens als objektive Rechtfertigung für eine Verweigerung des Zugangs in Betracht kommt oder, hilfsweise, ob das betreffende marktbeherrschende Unternehmen verpflichtet sein kann, dieses Template zu entwickeln, um den Zugang zu seiner digitalen Plattform zu erleichtern. Diese Frage erfordert im Wesentlichen eine Bestimmung des Umfangs der Verpflichtungen, die ein marktbeherrschendes Unternehmen erfüllen muss, wenn es mit einem Ersuchen eines Drittentwicklers um Zugang zu seiner Plattform konfrontiert ist.
63. Wie ich in der Einführung der vorliegenden Schlussanträge ausgeführt habe(48 ), ist eine der schwierigsten Fragen, über die der Gerichtshof in der vorliegenden Rechtssache zu entscheiden hat, die, ob nach den im Hinblick auf die Interoperabilität bestehenden Zugangsgewährungspflichten ein aktives Verhalten der marktbeherrschenden Unternehmen erforderlich ist, z. B. die Entwicklung der erforderlichen Software wie etwa eines Templates. Sollte der Gerichtshof dies bejahen, müsste das betreffende marktbeherrschende Unternehmen nicht nur einem Zugang zu seiner Plattform zustimmen, um seinen Verpflichtungen nach Art. 102 AEUV nachzukommen, sondern auch eigene Zeit und Mittel aufwenden, um diesen Zugang zu gewährleisten.
64. In diesem Zusammenhang sei daran erinnert, dass nach ständiger Rechtsprechung jede Ausnahme von einer bestimmten Vorschrift des Unionsrechts eng auszulegen ist(49 ), und dieses Verständnis findet bei der Prüfung einer objektiven Rechtfertigung im Rahmen von Art. 102 AEUV entsprechend Anwendung(50 ). Im Rahmen der Verweigerung des Zugangs zu einer Plattform wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden kommen unter der Voraussetzung, dass diese Verweigerung, wie im ersten Teil der vorliegenden Schlussanträge erörtert, wettbewerbswidrige Wirkungen hat, nur Umstände in Betracht, die das Funktionieren und den Zweck dieser Plattform gefährden.
65. Im vorliegenden Fall bedeutet dies in erster Linie, dass bereits das Fehlen eines solchen Templates als objektive Rechtfertigung in Betracht kommt, wenn die Entwicklung des Templates durch das betreffende Unternehmen technisch unmöglich ist. Dies wäre, wie die Kommission hervorhebt, auch dann der Fall, wenn die Gewährung des Zugangs über dieses Template aus technischer Sicht die Leistungsfähigkeit der Plattform beeinträchtigen könnte oder wenn der Zugang ihrem Geschäftsmodell oder -zweck zuwiderlaufen könnte. Ist dagegen die Entwicklung eines solchen Templates nicht unmöglich und wird die Leistungsfähigkeit der Plattform nicht beeinträchtigt oder läuft der Zugang ihrem Geschäftsmodell oder -zweck nicht zuwider, so würde die strikte und unmittelbare Verweigerung durch das marktbeherrschende Unternehmen unter Berufung auf das Fehlen eines Templates einen Missbrauch im Sinne von Art. 102 AEUV darstellen.
66. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass allein die Schwierigkeit, ein Template zu entwickeln, wie Google im Wesentlichen geltend macht, ebenfalls keine schlichte Verweigerung des Zugangs rechtfertigt. Wie oben in Nr. 61 ausgeführt, müsste in diesem Fall eine Erforderlichkeits- und Verhältnismäßigkeitsprüfung vorgenommen werden, bei der alle Umstände oder äußeren Faktoren der Verweigerung zu berücksichtigen wären. Erst im Rahmen dieser Prüfung und insbesondere bei der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit der Verweigerung sind die (schwierigen) Umstände zu berücksichtigen, denen sich ein marktbeherrschendes Unternehmen bei der Entwicklung dieses Templates gegenübersieht.
67. Wie ich feststelle, ist zwischen den Parteien unstreitig, dass die Entwicklung eines Software-Templates tatsächlich erforderlich ist, um die Interoperabilität einer von einem Dritten entwickelten Anwendung mit einer Plattform wie Android Auto zu gewährleisten. In der Vorlageentscheidung wird nämlich festgestellt, dass die Entwicklung dieser Templates, die ganze Kategorien von Anwendungen umfassen sollen, erforderlich ist, um die langwierigen und kostspieligen Tests zu vermeiden, die andernfalls erforderlich wären, um die Kompatibilität jeder einzelnen Anwendung mit Android Auto zu gewährleisten. Außerdem ist dies eine Aufgabe, die nur von Google als Eigentümerin dieser Plattform ausgeführt werden kann(51 ). Vorbehaltlich der konkreten Beurteilung durch das vorlegende Gericht bedeutet dies also, dass in einem Fall wie demjenigen des Ausgangsverfahrens im Rahmen der Prüfung der objektiven Rechtfertigung von der Erforderlichkeit offenbar ohne Weiteres auszugehen ist, da kein Zweifel daran besteht, dass die Entwicklung eines Templates unumgänglich ist, um den sicheren Zugang einer Anwendung wie derjenigen von Enel X zu Android Auto zu gewährleisten.
68. Die Verhältnismäßigkeit der Verweigerung bedarf hingegen meines Erachtens einer näheren Begründung. In diesem Stadium ist die von einem marktbeherrschenden Unternehmen geltend gemachte Rechtfertigung aus Gründen des Zeitdrucks und der Ressourcenknappheit bei der Entwicklung eines Software-Templates von Bedeutung, damit sichergestellt werden kann, dass die Märkte offengehalten werden und angemessene Anreize für das marktbeherrschende Unternehmen gewahrt bleiben.
69. In Bezug auf Zeitdruck ist das vorlegende Gericht unsicher, ob es Sache der Wettbewerbsbehörde ist, anhand objektiver Faktoren zu ermitteln, wie viel Zeit ein Unternehmen in marktbeherrschender Stellung für die Entwicklung eines Software-Templates benötigt, um den ersuchten Zugang zu der Plattform zu gewährleisten, oder ob das Unternehmen in marktbeherrschender Stellung vielmehr in Anbetracht seiner Verantwortung auf dem Markt verpflichtet ist, dem Ersuchenden mitzuteilen, wie viel Zeit für die Entwicklung dieses Templates benötigt wird.
70. Insoweit ist daran zu erinnern, dass nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs die Beweislast für das Vorliegen der Umstände, die eine Verletzung von Art. 102 AEUV begründen, zwar bei den Wettbewerbsbehörden auf Unionsebene oder auf nationaler Ebene liegt, es aber Sache des betreffenden marktbeherrschenden Unternehmens ist, einen etwaigen Einwand der objektiven Rechtfertigung vorzubringen und diesen mit Argumenten und Beweisen zu belegen(52 ). Der Gerichtshof hat ferner festgestellt, dass das betreffende marktbeherrschende Unternehmen, das die anfängliche Beweislast trägt, konkrete Beweise vorlegen muss und nicht nur vage, allgemeine oder theoretische Argumente vorbringen darf(53 ).
71. Die Faktoren, auf die sich das marktbeherrschende Unternehmen für seine Behauptung, dass sein Verhalten objektiv gerechtfertigt sei, beruft, müssen logischerweise denjenigen entsprechen, die das Unternehmen zum Zeitpunkt des betreffenden Verhaltens zugrunde gelegt hat(54 ). Eine Prüfung des konkreten Wortlauts der Verweigerung erweist sich daher als ein wichtiges Element bei der Feststellung, ob die von dem marktbeherrschenden Unternehmen geltend gemachte Rechtfertigung tatsächlich die Grundlage seines Verhaltens bildete. War dies der Fall, so obliegt es der Wettbewerbsbehörde, wenn sie den Missbrauch einer beherrschenden Stellung feststellen will, nachzuweisen, dass die von dem Unternehmen vorgebrachten Argumente und Beweise nicht stichhaltig sind und dass folglich die geltend gemachte Rechtfertigung nicht durchgreifen kann(55 ).
72. Im vorliegenden Fall ist darauf hinzuweisen, dass, wenn vor einer Wettbewerbsbehörde als objektiver Rechtfertigungsgrund Zeitdruck geltend gemacht wird, der erste Schritt in der Beweisführung dem marktbeherrschenden Unternehmen obliegt, das sich nicht einfach auf diesen Zeitdruck berufen kann, um seine Zugangsverweigerung zu rechtfertigen. Vielmehr muss dieses Unternehmen, wie das vorlegende Gericht in seiner Frage anregt, nachweisen, dass es den um Zugang ersuchenden Wirtschaftsteilnehmer über die für die Entwicklung dieses Templates benötigte Zeit informiert hat. Diese Entwicklung kann so viel Zeit in Anspruch nehmen, wie objektiv erforderlich ist, und muss nicht unbedingt sofort erfolgen. Außerdem kann eine schwierige Situation wie die Covid-19-Pandemie, auf die sich Google beruft, ein zu berücksichtigender Faktor sein. Weist im nächsten Schritt die zuständige Wettbewerbsbehörde nach, dass die von dem marktbeherrschenden Unternehmen vorgenommene Bewertung hinsichtlich des für die Entwicklung des Templates angesetzten zeitlichen Rahmens nicht angemessen ist, stellt die angeführte objektive Rechtfertigung keine zulässige Verteidigung für das zu prüfende Verhalten dar(56 ). Schließlich können all diese Elemente selbstverständlich zu einem späteren Zeitpunkt Gegenstand einer Überprüfung durch das zuständige Gericht sein.
73. Ein ähnlicher Ansatz kann in Bezug auf die Ressourcen gewählt werden, die ein marktbeherrschendes Unternehmen für die Entwicklung des Templates bereitstellen muss, um die Interoperabilität einer Drittanbieter-Anwendung mit einer Plattform zu gewährleisten. Eine Diskussion über beschränkte personelle und finanzielle Ressourcen für die Entwicklung eines Templates, die Google geltend macht, ist in Wirklichkeit eine Diskussion über die mit dieser Entwicklung verbundenen Kosten und darüber, wer diese zu tragen hat.
74. Zunächst möchte ich betonen, dass der Umstand, dass ein marktbeherrschendes Unternehmen verpflichtet ist, den Zugang zu einer Plattform zu gewährleisten und zu diesem Zweck ein Template zu entwickeln, wie in den vorliegenden Schlussanträgen bereits erläutert, nicht bedeutet, dass dieses Unternehmen notwendigerweise die Kosten für diese Entwicklung zu tragen hat. Dies ist unerlässlich, um vor allem zu gewährleisten, dass die Anwendung von Art. 102 AEUV und die sich daraus ergebenden Interoperabilitätsverpflichtungen keinen negativen Anreiz für das marktbeherrschende Unternehmen als den Erstentwickler und Eigentümer der betreffenden Plattform darstellen.
75. Die vorstehende Überlegung bedeutet, dass ein marktbeherrschendes Unternehmen in der Lage sein muss, sich auf Ressourcenknappheit als objektive Rechtfertigung dafür zu berufen, dass es kein Template für die Anwendung eines Drittanbieters entwickelt. Für die Zulässigkeit dieser Rechtfertigung ist im Einklang mit der in den Nrn. 70 und 71 angeführten Rechtsprechung jedoch erforderlich, dass sichergestellt wird, dass dem um Zugang ersuchenden Unternehmen die Möglichkeit geboten wird, ein angemessenes Entgelt zu zahlen, im Wesentlichen nachdem die Kosten für die Entwicklung des Templates ermittelt worden sind. Wenn sich ein marktbeherrschendes Unternehmen auf Ressourcenknappheit bloß beruft, ohne diese Möglichkeit anzubieten, würde dies meines Erachtens die Voraussetzungen für die Anerkennung einer objektiven Rechtfertigung nicht erfüllen(57 ). Hält das ersuchende Unternehmen die Kosten für unangemessen oder unverhältnismäßig, müsste die zuständige Wettbewerbsbehörde, wenn sie einen Missbrauch einer beherrschenden Stellung bejahen will, nachweisen, dass die von dem marktbeherrschenden Unternehmen für die Berechnung dieser Kosten vorgebrachten Argumente und Beweise nicht überzeugend sind und dass die vorgebrachte Rechtfertigung folglich nicht durchgreifen kann.
76. Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich, dass die von einem marktbeherrschenden Unternehmen geltend gemachte objektive Rechtfertigung aus Gründen des Zeitdrucks und der Ressourcenknappheit nur dann akzeptiert werden kann, wenn sie im Einklang mit den in den vorangehenden Nummern dieser Schlussanträge dargelegten Erwägungen auf ihre Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit hin überprüft wird.
77. Es bleibt die Frage, ob auch der Umstand, dass bei einem marktbeherrschenden Unternehmen mehrere Zugangsersuchen gleichzeitig eingehen, eine objektive Rechtfertigung nach Art. 102 AEUV darstellen kann. Hierauf beziehen sich auch die von dem vorlegenden Gericht geäußerten Zweifel, das sich unsicher ist, ob das marktbeherrschende Unternehmen in diesem Zusammenhang aufgrund seiner besonderen Verantwortung auf dem Markt vorab objektive Kriterien für die Prüfung der ihm vorliegenden Ersuchen und deren Rangfolge festlegen muss.
78. Ich möchte betonen, dass die Bezugnahme auf die besondere Verantwortung marktbeherrschender Unternehmen, auf die der Gerichtshof in seiner Rechtsprechung wiederholt verwiesen hat(58 ), in der Prüfung des Vorbringens, das dieses Unternehmen zur Rechtfertigung einer Verweigerung des Zugangs zu einer von ihm entwickelten Plattform geltend macht, nicht unklar gemacht werden sollte. Wie in den vorliegenden Schlussanträgen bereits dargelegt, könnte der Gerichtshof nämlich befinden, dass diese Verantwortung eine Zugangsgewährungspflicht rechtfertigt, sofern die oben in Nr. 46 genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Wie Google geltend macht, kann in Ermangelung einer diesbezüglichen regulatorischen Verpflichtung diese Verantwortung für sich allein jedoch nicht die Verpflichtung begründen, die objektiven Kriterien für die Prüfung gleichzeitiger Zugangsersuchen im Voraus in Betracht zu ziehen und festzulegen.
79. Dies gilt insbesondere in einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens, in dem die Zulässigkeit der von dem marktbeherrschenden Unternehmen vorgebrachten Rechtfertigung meines Erachtens nicht davon abhängen kann, ob vorab objektive Kriterien festgelegt wurden oder nicht. Sicherlich könnte das Fehlen solcher Kriterien bei mehreren gleichzeitigen Ersuchen ein Element darstellen, das bei der Beurteilung der Missbräuchlichkeit des dem beherrschenden Unternehmen vorgeworfenen Verhaltens zu berücksichtigen ist, wenn es hierdurch zu einer übermäßigen Verzögerung bei der Gewährung des Zugangs oder zu einer diskriminierenden Behandlung der gleichzeitigen Ersuchenden kommt. Aus der Vorlageentscheidung geht jedoch nicht hervor, dass dies hier der Fall ist, so dass das Fehlen dieses Umstands für sich genommen nicht als Grundlage für die Feststellung des betreffenden missbräuchlichen Verhaltens in Betracht kommt.
80. Nach alledem komme ich in Bezug auf die dritte Vorlagefrage zu dem Ergebnis, dass Art. 102 AEUV dahin auszulegen ist, dass das Verhalten eines marktbeherrschenden Unternehmens, das darin besteht, einem Drittbetreiber den Zugang zu einer Plattform wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden zu verweigern, objektiv gerechtfertigt sein kann, wenn der ersuchte Zugang technisch unmöglich ist oder wenn er in technischer Hinsicht die Leistungsfähigkeit der Plattform beeinträchtigen oder ihrem Geschäftsmodell oder -zweck zuwiderlaufen könnte. Der bloße Umstand, dass das marktbeherrschende Unternehmen für die Gewährung von Zugang zu dieser Plattform zusätzlich zu seiner Zustimmung ein Software-Template, das den besonderen Bedürfnissen des um Zugang ersuchenden Betreibers Rechnung trägt, entwickeln muss, kann für sich genommen eine Verweigerung des Zugangs nicht rechtfertigen, sofern für diese Entwicklung ein angemessener zeitlicher Rahmen eingeräumt und dem marktbeherrschenden Unternehmen hierfür eine angemessene Vergütung gewährt wird. Beide Elemente müssen von dem marktbeherrschenden Unternehmen dem um Zugang ersuchenden Betreiber auf Verlangen mitgeteilt werden.
81. Zur vierten Vorlagefrage ist festzustellen, dass Art. 102 AEUV dahin auszulegen ist, dass er für sich allein nicht die Verpflichtung begründen kann, im Voraus objektive Kriterien für die Prüfung von Ersuchen um Zugang zu einer Plattform festzulegen. Nur im Rahmen mehrerer gleichzeitiger Ersuchen könnte das Fehlen solcher Kriterien ein Element darstellen, das bei der Beurteilung der Missbräuchlichkeit des dem marktbeherrschenden Unternehmen vorgeworfenen Verhaltens zu berücksichtigen ist, wenn dies zu einer übermäßigen Verzögerung bei der Gewährung des Zugangs oder zu einer diskriminierenden Behandlung der gleichzeitigen Ersuchenden führt.
C. Zur fünften Frage
82. Mit seiner fünften Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 102 AEUV im Zusammenhang mit einem Missbrauch, der in der Verweigerung des Zugangs zu einer digitalen Plattform besteht, dahin auszulegen ist, dass eine Wettbewerbsbehörde verpflichtet ist, den von dem Missbrauch betroffenen relevanten nachgelagerten Markt zu definieren, und ob dieser Markt auch nur ein potenzieller Markt sein kann.
83. Bekanntlich erfordert die Feststellung einer beherrschenden Stellung im Rahmen der Anwendung von Art. 102 AEUV zwangsläufig die vorherige Definition des sachlich oder räumlich relevanten Marktes, auf dem das betreffende Unternehmen diese Stellung innehat. Im Fall eines Verhaltens, das darin besteht, den Zugang zu einer Infrastruktur zu verweigern, betrifft dies normalerweise den vorgelagerten Markt, auf dem sich die Infrastruktur befindet. In solchen Fällen muss auch der benachbarte (nachgelagerte) Markt definiert werden, auf dem das Unternehmen, das um Zugang ersucht, tätig werden will und auf dem die wettbewerbswidrigen Wirkungen des Verhaltens des marktbeherrschenden Unternehmens auftreten können(59 ).
84. Was den benachbarten Markt betrifft, so reicht es nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs aus, dass ein potenzieller oder auch nur hypothetischer Markt bestimmt werden kann(60 ). Es kann sogar genügen, zwei verschiedene Produktionsstufen und ihre tatsächliche Verbindung zu unterscheiden(61 ).
85. Daher besteht, wie die italienische Regierung und die Kommission zutreffend bemerken, keine Pflicht zur umfassenden Definition des relevanten nachgelagerten Marktes bei der Beurteilung, ob das Verhalten des marktbeherrschenden Unternehmens geeignet war, den Wettbewerb zu beschränken, insbesondere im Fall eines Verhaltens, das in einer Verweigerung des Zugangs besteht. Zwar ist in diesen Fällen die Eignung, den Wettbewerb zu beschränken, grundsätzlich in Bezug auf den Markt zu beurteilen, auf dem die wettbewerbswidrigen Wirkungen möglicherweise eintreten, d. h. den nachgelagerten oder benachbarten Markt im Verhältnis zu dem vorgelagerten Markt, zu dem das beherrschende Unternehmen den Zugang verweigert. Dies erfordert meines Erachtens jedoch nicht unbedingt eine Bestimmung der sachlich und räumlich relevanten Märkte im Sinne der Bekanntmachung der Kommission über die Definition des relevanten Marktes(62 ) oder ihre genaue Abgrenzung, wie Google im Wesentlichen vorträgt. Es reicht aus, wenn die Wettbewerbsbehörde nachweist, dass das betreffende Verhalten geeignet ist, wettbewerbswidrige Wirkungen in Bezug auf miteinander konkurrierende Erzeugnisse oder Dienstleistungen hervorzurufen, auch wenn es sich nur um potenziellen Wettbewerb handelt.
86. Dies gilt umso mehr, wenn sich der betreffende Markt noch in der Entwicklung befindet oder einer rasanten Entwicklung unterworfen ist und folglich sein Umfang zum Zeitpunkt des mutmaßlich missbräuchlichen Verhaltens nicht vollständig definiert ist. In diesen Fällen könnte sich die Definition des relevanten Marktes als sehr schwierig erweisen und zu spekulativen Überlegungen Anlass geben. Es scheint daher ausreichend, dass die Wettbewerbsbehörde die Merkmale und den Umfang des relevanten Marktes sorgfältig prüft und bei ihrer Analyse der möglichen Wirkungen des fraglichen Verhaltens angemessen berücksichtigt.
87. Was den vorliegenden Fall betrifft, so möchte ich darauf hinweisen, dass das Verhalten von Google nach der Beschreibung in der Vorlageentscheidung wohl einen sich entwickelnden Markt betrifft. Da es Sache des vorlegenden Gerichts ist, diese Frage zu beurteilen, möchte ich anmerken, dass die AGCM in ihrer Entscheidung zunächst den Sektor der Anwendungen für Dienste für das elektrische Laden in Augenschein genommen hat. Anschließend hat sie den „Wettbewerbsorientierten Raum für durch Anwendungen erbrachte elektrische Aufladedienste“, in dem ihrer Ansicht nach elektrische Aufladedienste und Navigationsanwendungen miteinander konkurrieren, definiert und eine Reihe von Elementen angeführt, die auf eine zumindest potenzielle Wettbewerbssituation zwischen den beiden Kategorien von Anwendungen hindeuten. Diese Erwägungen wurden dann bei der anschließenden Analyse der Eignung des Verhaltens von Google, die streitigen wettbewerbswidrigen Wirkungen hervorzurufen, berücksichtigt.
88. In Bezug auf die fünfte Vorlagefrage komme ich daher zu dem Ergebnis, dass Art. 102 AEUV dahin auszulegen ist, dass eine Wettbewerbsbehörde in dem Fall, dass ein marktbeherrschendes Unternehmen Zugang zu einer Plattform wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden verweigert, gemäß der Bekanntmachung über die Abgrenzung des relevanten Marktes nicht verpflichtet ist, den Markt, auf dem die Zugangsverweigerung voraussichtlich wettbewerbswidrige Wirkungen haben wird, abschließend zu definieren. Es genügt, wenn die Wettbewerbsbehörde nachweist, dass das fragliche Verhalten geeignet war, wettbewerbswidrige Wirkungen in Bezug auf die miteinander konkurrierenden Erzeugnisse oder Dienstleistungen zu entfalten.
IV. Ergebnis
89. In Anbetracht der vorstehenden Erwägungen schlage ich dem Gerichtshof vor, die vom Consiglio di Stato (Staatsrat, Italien) vorgelegten Fragen wie folgt zu beantworten:
1. Zur ersten Vorlagefrage: Art. 102 AEUV
ist dahin auszulegen, dass die im Urteil vom 26. November 1998, Bronner (C‑7/97, EU:C:1998:569), aufgestellten Voraussetzungen nicht gelten, wenn die Plattform, zu der um Zugang ersucht wird, von dem marktbeherrschenden Unternehmen nicht zu dessen ausschließlicher Nutzung entwickelt wurde, sondern mit dem Ziel konzipiert und gestaltet wurde, durch die Anwendungen von Drittentwicklern gespeist zu werden. In einem solchen Fall ist es nicht erforderlich, die Unerlässlichkeit dieser Plattform für den benachbarten Markt nachzuweisen. Dagegen missbraucht ein Unternehmen seine beherrschende Stellung, wenn es ein Verhalten an den Tag legt, das darin besteht, den Zugang der von einem Drittanbieter entwickelten Anwendung zu der Plattform auszuschließen, zu behindern oder zu verzögern, sofern dieses Verhalten geeignet ist, wettbewerbswidrige Wirkungen zum Nachteil der Verbraucher zu entfalten, und nicht objektiv gerechtfertigt ist.
2. Zur zweiten Vorlagefrage: Art. 102 AEUV
ist dahin auszulegen, dass der Umstand, dass das ersuchende Unternehmen und andere Wirtschaftsteilnehmer weiterhin auf dem benachbarten Markt tätig waren und ihre Marktposition ausgebaut haben, obwohl ihnen der ersuchte Zugang zu einer digitalen Plattform nicht gewährt wurde, für sich genommen nicht bedeutet, dass die Verweigerung des Zugangs durch das marktbeherrschende Unternehmen nicht geeignet war, wettbewerbswidrige Wirkungen zu entfalten, und dass sie daher nicht als missbräuchlich angesehen werden kann. Das vorlegende Gericht hat zu prüfen, ob das Verhalten des marktbeherrschenden Unternehmens geeignet war, die Aufrechterhaltung oder Entwicklung des Wettbewerbs zu behindern, und zwar unter Berücksichtigung aller relevanten Umstände des Falles und unabhängig davon, ob diese wettbewerbsbeschränkenden Wirkungen tatsächlich eingetreten sind.
3. Zur dritten Vorlagefrage: Art. 102 AEUV
ist dahin auszulegen, dass das Verhalten eines marktbeherrschenden Unternehmens, das darin besteht, einem Drittanbieter den Zugang zu einer Plattform wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden zu verweigern, objektiv gerechtfertigt sein kann, wenn der ersuchte Zugang technisch unmöglich ist oder wenn er in technischer Hinsicht die Leistungsfähigkeit der Plattform beeinträchtigen oder ihrem Geschäftsmodell oder -zweck zuwiderlaufen könnte. Der bloße Umstand, dass das marktbeherrschende Unternehmen für die Gewährung von Zugang zu dieser Plattform zusätzlich zu seiner Zustimmung ein Software-Template, das den besonderen Bedürfnissen des um Zugang ersuchenden Betreibers Rechnung trägt, entwickeln muss, kann für sich genommen eine Verweigerung des Zugangs nicht rechtfertigen, sofern für diese Entwicklung ein angemessener zeitlicher Rahmen eingeräumt und dem marktbeherrschenden Unternehmen hierfür eine angemessene Vergütung gewährt wird. Beide Elemente müssen von dem marktbeherrschenden Unternehmen dem um Zugang ersuchenden Betreiber auf Verlangen mitgeteilt werden.
4. Zur vierten Vorlagefrage: Art. 102 AEUV
ist dahin auszulegen, dass er für sich allein nicht die Verpflichtung begründen kann, im Voraus objektive Kriterien für die Prüfung von Ersuchen um Zugang zu einer Plattform festzulegen. Nur im Rahmen mehrerer gleichzeitiger Ersuchen könnte das Fehlen solcher Kriterien ein Element darstellen, das bei der Beurteilung der Missbräuchlichkeit des dem marktbeherrschenden Unternehmen vorgeworfenen Verhaltens zu berücksichtigen ist, wenn dies zu einer übermäßigen Verzögerung bei der Gewährung des Zugangs oder zu einer diskriminierenden Behandlung der gleichzeitigen Ersuchenden führt.
5. Zur fünften Vorlagefrage: Art. 102 AEUV
ist dahin auszulegen, dass eine Wettbewerbsbehörde in dem Fall, dass ein marktbeherrschendes Unternehmen Zugang zu einer Plattform wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden verweigert, gemäß der Bekanntmachung der Kommission über die Abgrenzung des relevanten Marktes (C/2024/1645) nicht verpflichtet ist, den Markt, auf dem die Zugangsverweigerung voraussichtlich wettbewerbswidrige Wirkungen haben wird, abschließend zu definieren. Es genügt, wenn die Wettbewerbsbehörde nachweist, dass das fragliche Verhalten geeignet war, wettbewerbswidrige Wirkungen in Bezug auf die miteinander konkurrierenden Erzeugnisse oder Dienstleistungen zu entfalten.