T-760/16 – Basil/ EUIPO – Artex (Paniers spéciaux pour cycles)
Language of document : ECLI:EU:T:2018:277
URTEIL DES GERICHTS (Neunte Kammer)
17. Mai 2018()
„Gemeinschaftsgeschmacksmuster – Nichtigkeitsverfahren – Eingetragenes Gemeinschaftsgeschmacksmuster, das Fahrradkörbe darstellt – Nichtigkeitsgrund – Unzulässigkeit des Antrags auf Nichtigerklärung – Art. 52 Abs. 3 und Art. 86 Abs. 5 der Verordnung (EG) Nr. 6/2002 – Offenbarung des älteren Geschmacksmusters – Eigenart – Unterschiedlicher Gesamteindruck – Art. 6 und Art. 25 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung (EG) Nr. 6/2002“
In der Rechtssache T‑760/16
Basil BV mit Sitz in Silvolde (Niederlande), Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte N. Weber und J. von der Thüsen,
Klägerin,
gegen
Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO), vertreten durch S. Hanne und D. Walicka als Bevollmächtigte,
Beklagte,
andere Partei im Verfahren vor der Beschwerdekammer des EUIPO und Streithelferin vor dem Gericht:
Artex SpA mit Sitz in San Zeno di Cassola (Italien), Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwältin J. Vogtmeier,
betreffend eine Klage gegen die Entscheidung der Dritten Beschwerdekammer des EUIPO vom 7. Juli 2016 (Sache R 535/2015-3) zu einem Nichtigkeitsverfahren zwischen Artex und Basil
erlässt
DAS GERICHT (Neunte Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten S. Gervasoni (Berichterstatter), der Richterin K. Kowalik-Bańczyk und des Richters C. Mac Eochaidh,
Kanzler: J. Plingers, Verwaltungsrat,
aufgrund der am 4. November 2016 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Klageschrift,
aufgrund der am 12. Januar 2017 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Klagebeantwortung des EUIPO,
aufgrund der am 16. Januar 2017 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Klagebeantwortung der Streithelferin,
auf die mündliche Verhandlung vom 7. Dezember 2017
folgendes
Urteil
Vorgeschichte des Rechtsstreits
1 Am 13. Februar 2004 meldete die Klägerin, die Basil BV, beim Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO) nach der Verordnung (EG) Nr. 6/2002 des Rates vom 12. Dezember 2001 über das Gemeinschaftsgeschmacksmuster (ABl. 2002, L 3, S. 1) ein Gemeinschaftsgeschmacksmuster an.
2 Das angemeldete Geschmacksmuster (im Folgenden: streitiges Geschmacksmuster) wird nachstehend wiedergegeben:
3 Das streitige Geschmacksmuster wurde unter der Nr. 142245-0001 eingetragen. Seine Eintragung wurde im Blatt für Gemeinschaftsgeschmacksmuster Nr. 47/2004 vom 15. Juni 2004 veröffentlicht. Die Eintragung wurde seither bis zum 13. Februar 2019 verlängert.
4 Das streitige Geschmacksmuster soll für „Fahrradkörbe“ in der Klasse 03.01 im Sinne des Abkommens von Locarno zur Errichtung einer Internationalen Klassifikation für gewerbliche Muster und Modelle vom 8. Oktober 1968 in geänderter Fassung verwendet werden.
5 Am 17. Juni 2013 stellte die Streithelferin, die Artex SpA, beim EUIPO nach Art. 52 der Verordnung Nr. 6/2002 einen Antrag auf Nichtigerklärung des angegriffenen Geschmacksmusters. Der Nichtigkeitsantrag wurde auf Art. 25 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 6/2002 gestützt.
6 In ihrem Nichtigkeitsantrag machte die Streithelferin insbesondere geltend, das streitige Geschmacksmuster habe keine Eigenart im Sinne von Art. 6 der Verordnung Nr. 6/2002, wobei sie sich auf mehrere Dokumente stützte, die angeblich eine Offenbarung eines älteren Geschmacksmusters (im Folgenden: älteres Geschmacksmuster) zeigen, und zwar u. a.:
– einen ihrer Kataloge, in dem ein Fahrradkorb mit der Artikelnummer 34.54.50, der Größenangabe und der Beschreibung in vier Sprachen „Hinterer Maschekorb mod. Speedy“ abgebildet ist:
– mehrere Rechnungen aus den Jahren 2000 bis 2002 über den Verkauf von Fahrradkörben, auf denen die Bezeichnung „Speedy“ zu finden ist, an verschiedene Unternehmen;
– einen Katalog aus dem Jahr 2001 und drei Kataloge aus dem Jahr 2002 verschiedener italienischer Unternehmen, die untenstehende Abbildung eines Fahrradkorbs enthalten:
– eine Rechnung und einen Lieferschein vom 20. Juli 2000 eines thailändischen Unternehmens, an sie adressiert;
– die Abbildung des Messestands einer Firma, in dem ein Fahrradkorb ausgestellt wurde, und eine Rechnung der Messe Köln (Deutschland) von 2002.
7 Nachdem die Nichtigkeitsabteilung den Nichtigkeitsantrag für zulässig befunden hatte, erklärte sie das streitige Geschmacksmuster mit Entscheidung vom 13. Januar 2015 aufgrund seiner fehlenden Eigenart für nichtig.
8 Gegen diese Entscheidung legte die Klägerin am 11. März 2015 Beschwerde ein.
9 Mit Entscheidung vom 7. Juli 2016 (im Folgenden: angefochtene Entscheidung) wies die Dritte Beschwerdekammer des EUIPO die Beschwerde zurück. Im Wesentlichen führte sie aus: Erstens sei der Nichtigkeitsantrag der Streithelferin entgegen dem Vorbringen der Klägerin zulässig, zweitens sei das ältere Geschmacksmuster der Öffentlichkeit bereits vor dem Anmeldetag des streitigen Geschmacksmusters, dem 13. Februar 2004, zugänglich gemacht worden, und drittens habe die Nichtigkeitsabteilung das streitige Geschmacksmuster zu Recht für nichtig erklärt, da es keine Eigenart aufweise.
Verfahren und Anträge der Parteien
10 Das Gericht hat den Parteien mit einer prozessleitenden Maßnahme Fragen gestellt, auf die diese fristgemäß geantwortet haben.
11 Die Klägerin beantragt,
– die angefochtene Entscheidung aufzuheben;
– dem EUIPO und gegebenenfalls den anderen Parteien die Kosten aufzuerlegen.
12 Das EUIPO und die Streithelferin beantragen,
– die Klage abzuweisen;
– der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.
Rechtliche Würdigung
13 Die Klägerin stützt ihre Klage auf drei Klagegründe, nämlich erstens eine Verletzung von Art. 52 Abs. 3 der Verordnung Nr. 6/2002 hinsichtlich der Unzulässigkeit eines Nichtigkeitsantrags unter bestimmten Umständen, zweitens eine Verletzung von Art. 7 der Verordnung Nr. 6/2002 hinsichtlich der Offenbarung von Geschmacksmustern und drittens eine Verkennung von Art. 6 der Verordnung Nr. 6/2002 hinsichtlich der Eigenart von Geschmacksmustern.
Zum ersten Klagegrund, mit dem eine Verletzung von Art. 52 Abs. 3 der Verordnung Nr. 6/2002 gerügt wird
14 Nach Ansicht der Klägerin hätte das EUIPO den Nichtigkeitsantrag der Streithelferin nach Art. 52 Abs. 3 oder, hilfsweise, nach Art. 86 Abs. 5 der Verordnung Nr. 6/2002 für unzulässig erklären müssen.
15 In diesem Zusammenhang stützt sie sich auf eine vor der angefochtenen Entscheidung ergangene Entscheidung einer Beschwerdekammer, mit der diese bereits einen Nichtigkeitsantrag gegen das streitige Geschmacksmuster zurückgewiesen habe. Dieses Nichtigkeitsverfahren sei von der Antragstellerin gemeinsam mit der Streithelferin angestrengt worden.
16 Das EUIPO und die Streithelferin treten diesem Vorbringen entgegen.
17 Hierzu ist erstens darauf hinzuweisen, dass ein beim EUIPO gestellter Antrag auf Nichtigerklärung nach Art. 52 Abs. 3 der Verordnung Nr. 6/2002 unzulässig ist, wenn ein Gemeinschaftsgeschmacksmustergericht über einen Antrag wegen desselben Anspruchs zwischen denselben Parteien bereits rechtskräftig entschieden hat.
18 Die Bestimmungen von Art. 52 Abs. 3 der Verordnung Nr. 6/2002 sind im vorliegenden Fall allerdings nicht anwendbar.
19 Zunächst sieht Art. 80 („Gemeinschaftsgeschmacksmustergerichte“) der Verordnung Nr. 6/2002 in Abs. 1 vor, dass die Mitgliedstaaten für ihr Gebiet eine Anzahl nationaler Gerichte erster und zweiter Instanz, nämlich die Gemeinschaftsgeschmacksmustergerichte, bestimmen, die die ihnen durch diese Verordnung zugewiesenen Aufgaben wahrnehmen. Aus den Bestimmungen dieses Artikels ergibt sich daher, dass es sich bei einem Gemeinschaftsgeschmacksmustergericht zwingend um ein nationales Gericht eines Mitgliedstaats handeln muss.
20 Somit gilt Art. 52 Abs. 3 der Verordnung Nr. 6/2002 nicht, wenn das EUIPO bereits entschieden hat, sondern nur dann, wenn dies ein nationales Gericht eines Mitgliedstaats getan hat.
21 Weiterhin weist die Klägerin nicht nach, dass die Partei, die in der vorliegenden Rechtssache den Nichtigkeitsantrag gegen das angegriffene Geschmacksmuster gestellt hat, die gleiche ist wie diejenige, die den Nichtigkeitsantrag gegen das in der älteren Sache angegriffene Geschmacksmuster gestellt hat.
22 Der Umstand, dass die beiden fraglichen Sachen eng miteinander verknüpft sind und die beiden Parteien, die in beiden Sachen jeweils den Nichtigkeitsantrag gestellt haben, eng zusammenarbeiten, was sich u. a. an der Identität ihrer Bevollmächtigten und ihres Vorbringens zeigt, reicht nämlich nicht aus, um auf eine Identität der Parteien zu schließen.
23 Die Streithelferin hat hierzu, ohne dass dem in der mündlichen Verhandlung widersprochen worden wäre, ausgeführt, dass das Unternehmen, das den vorherigen Nichtigkeitsantrag gestellt habe, lediglich ihr Kunde sei. Dies genügt nicht, um aus ihr und diesem Unternehmen ein und dieselbe Partei zu machen.
24 Im Übrigen erlaubt es der oben in Rn. 22 angeführte Umstand nicht, auf einen missbräuchlichen Charakter der in Rede stehenden Nichtigkeitsanträge zu schließen.
25 Was schlussendlich den Vortrag betrifft, die Beschwerdekammer habe den Anspruch der Klägerin auf ausreichendes rechtliches Gehör zum behaupteten Rechtsmissbrauch der Streithelferin verkannt, so trägt die Klägerin keinerlei Anhaltspunkte vor, aus denen sich ergäbe, dass die Beschwerdekammer es ihr nicht ermöglicht hätte, insoweit Stellung zu nehmen.
26 Soweit die Klägerin unter Berufung auf Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und Art. 6 Abs. 1 der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten einen Verstoß gegen den Anspruch auf einen fairen Prozess geltend macht, ist anzumerken, dass das Gericht die Geltendmachung eines solchen Anspruchs gegenüber den Beschwerdekammern des EUIPO ausgeschlossen hat, weil das Verfahren vor den Beschwerdekammern kein gerichtliches Verfahren, sondern ein Verwaltungsverfahren ist (Urteile vom 20. April 2005, Krüger/HABM – Calpis [CALPICO], T‑273/02, EU:T:2005:134, Rn. 62, und vom 12. Dezember 2014, Comptoir d’Épicure/HABM – A‑Rosa Akademie [da rosa], T‑405/13, nicht veröffentlicht, EU:T:2014:1072, Rn. 71; vgl. in diesem Sinne auch Urteil vom 12. Dezember 2002, Procter & Gamble/HABM [Form einer Seife], T‑63/01, EU:T:2002:317, Rn. 23).
27 Zweitens gelten die Bestimmungen von Art. 86 Abs. 5 der Verordnung Nr. 6/2002, nach denen die Widerklage auf Erklärung der Nichtigkeit des eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmusters unzulässig ist, wenn das EUIPO über einen Antrag wegen desselben Anspruchs zwischen denselben Parteien bereits eine rechtskräftige Entscheidung erlassen hat, nicht für Verfahren vor dem EUIPO und insbesondere seinen Beschwerdekammern, sondern für Verfahren vor den Gemeinschaftsgeschmacksmustergerichten, bei denen es sich – wie oben in Rn. 19 festgestellt – um nationale Gerichte handelt.
28 Die Bestimmungen von Art. 52 Abs. 3 und von Art. 86 Abs. 5 der Verordnung Nr. 6/2002 dienen zwar der Verhinderung möglicher Konflikte zwischen den Entscheidungen des EUIPO und denen der Gemeinschaftsgeschmacksmustergerichte über die Nichtigkeit eines Geschmacksmusters. Allerdings lässt sich diesen Bestimmungen nicht entnehmen, dass durch die Verordnung Nr. 6/2002 hinsichtlich der Entscheidungen des EUIPO untereinander eine entsprechende Form der Verhinderung von Konflikten eingeführt werden sollte.
29 Drittens ist eine entsprechende Anwendung von Art. 52 Abs. 3 der Verordnung Nr. 6/2002 in Fällen, in denen das EUIPO bereits über einen Nichtigkeitsantrag entschieden hat, ausgeschlossen.
30 Es wurde nämlich nicht dargetan, dass diese Bestimmung eine Lücke enthielte, die mit einem allgemeinen Rechtsgrundsatz unvereinbar wäre und die durch eine entsprechende Anwendung geschlossen werden könnte (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. Dezember 1985, Krohn, 165/84, EU:C:1985:507, Rn. 13 und 14).
31 Es ist zutreffend, dass die Verordnung (EG) Nr. 207/2009 des Rates vom 26. Februar 2009 über die Unionsmarke (ABl. 2009, L 78, S. 1) in geänderter Fassung (ersetzt durch die Verordnung [EU] 2017/1001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Juni 2017 über die Unionsmarke [ABl. 2017, L 154, S. 1]) und insbesondere Art. 56 Abs. 3 dieser Verordnung (jetzt Art. 63 der Verordnung 2017/1001), auf den sich die Klägerin in der Klageschrift bezieht (wobei sie infolge eines Schreibfehlers, dessen Vorliegen sie in der mündlichen Verhandlung bestätigt hat, Art. 60 Abs. 3 der Verordnung Nr. 6/2002 genannt hatte), in seiner durch die Verordnung (EU) Nr. 2424/2015 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2015 (ABl. 2015, L 341, S. 21) geänderten Fassung bestimmt, dass ein Antrag auf Nichtigerklärung unzulässig ist, wenn entweder das EUIPO oder ein Unionsmarkengericht über einen Antrag wegen desselben Anspruchs zwischen denselben Parteien in der Hauptsache bereits rechtskräftig entschieden hat.
32 Allerdings wäre, auch wenn dem Gesetzgeber im Bereich der Unionsmarken der Erlass einer ausdrücklichen Bestimmung erforderlich erschien, um der Bestandskraft, die mit den Vorentscheidungen des EUIPO verknüpft ist, eine Wirkung dahin zu verleihen, dass ein Nichtigkeitsantrag ohne Prüfung in der Sache zurückgewiesen wird, eine solche ausdrückliche Bestimmung auch im Geschmacksmusterbereich erforderlich gewesen. Es besteht somit keine Möglichkeit, das Fehlen einer solchen Bestimmung über eine entsprechende Anwendung von Art. 52 Abs. 3 der Verordnung Nr. 6/2002 auf die Entscheidungen des EUIPO auszugleichen.
33 Zudem wäre eine ausdrückliche kodifizierte Bestimmung für eine entsprechende Anwendung von Bestimmungen, die für „rechtskräftige“ gerichtliche Entscheidungen gelten, auf die Entscheidungen des EUIPO umso mehr erforderlich, als die Verfahren vor dem EUIPO nach ständiger Rechtsprechung Verwaltungsverfahren und keine gerichtlichen Verfahren sind (Urteil vom 15. Juli 2015, TVR Automotive/HABM – TVR Italia [TVR ITALIA], T‑398/13, EU:T:2015:503, Rn. 38; vgl. in diesem Sinne auch Urteil vom 12. Dezember 2002, Form einer Seife, T‑63/01, EU:T:2002:317, Rn. 22 und 23).
34 Im Bereich von Geschmacksmustern beschränkt sich die sachliche Prüfung der Anmeldung darüber hinaus gemäß Art. 47 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 auf eine Kontrolle, ob dieser Antrag der Begriffsbestimmung des Geschmacksmusters entspricht, die sich aus Art. 3 Buchst. a der Verordnung ergibt, sowie auf die Beachtung der öffentlichen Ordnung. Im Übrigen gelten die in Art. 45 der Verordnung Nr. 6/2002 genannten Formerfordernisse. Die Art. 7 und 8 der Verordnung Nr. 207/2009 (jetzt Art. 7 und 8 der Verordnung 2017/1001) legen hingegen eine grundlegende Prüfung der Gültigkeit einer Marke vor ihrer Eintragung fest, die sich – bezogen auf Art. 8 der Verordnung Nr. 207/2009 – auf das Vorliegen eines Widerspruchsverfahrens stützt. In Anbetracht des Prüfungsmaßstabs für die Gültigkeit von Geschmacksmustern vor ihrer Eintragung nimmt das Nichtigkeitsverfahren, das es ermöglicht, eine solche Prüfung nach dieser Eintragung sicherzustellen, somit in der Systematik der Verordnung Nr. 6/2002 zwangsläufig einen anderen Platz ein als in der Systematik der Verordnung Nr. 207/2009, deren Prüfungsmaßstab ein anderer ist. Dies macht jedwede entsprechende Anwendung von Art. 52 Abs. 3 der Verordnung Nr. 6/2002 auf Entscheidungen des EUIPO, die sich an den Bestimmungen von Art. 56 Abs. 3 der Verordnung Nr. 207/2009 ausrichten würde, umso heikler.
35 Nach alledem ist der vorliegende Klagegrund zurückzuweisen.
Zum zweiten Klagegrund, mit dem eine Verletzung von Art. 7 der Verordnung Nr. 6/2002 gerügt wird
36 Mit ihrem zweiten Klagegrund wirft die Klägerin der Beschwerdekammer vor, Art. 7 der Verordnung Nr. 6/2002 verkannt zu haben, indem sie davon ausgegangen sei, das ältere Geschmacksmuster sei Gegenstand einer Offenbarung gewesen. Dieser Klagegrund besteht aus mehreren Rügen. Erstens seien die Übersetzungen der von der Streithelferin beigebrachten Beweismittel zum Beleg der Offenbarung des älteren Geschmacksmusters dem EUIPO verspätet vorgelegt worden. Zweitens seien die Beweismittel, auf deren Grundlage die Beschwerdekammer eine vorzeitige Offenbarung des älteren Geschmacksmusters angenommen habe, nicht stichhaltig. Drittens habe die Beschwerdekammer die relevanten Fachkreise fehlerhaft bestimmt.
Zur verspäteten Vorlage der Übersetzungen der von der Streithelferin beigebrachten Beweismittel vor dem EUIPO
37 Die Klägerin hatte in der Klageschrift vorgetragen, dass die von der Streithelferin beigebrachten Beweismittel zum Beleg der vorzeitigen Offenbarung des älteren Geschmacksmusters erst nach Ablauf der in Art. 29 Abs. 5 der Verordnung (EG) Nr. 2245/2002 der Kommission vom 21. Oktober 2002 zur Durchführung der Verordnung Nr. 6/2002 (ABl. 2002, L 341, S. 28) bestimmten Frist in die Sprache des Nichtigkeitsverfahrens übersetzt worden seien. Wie sich aus dem Protokoll der mündlichen Verhandlung ergibt, hat die Klägerin diese Rüge zurückgezogen, so dass nicht mehr darüber zu befinden ist.
Zur fehlenden Stichhaltigkeit der Beweismittel, auf deren Grundlage die Beschwerdekammer auf eine Offenbarung des älteren Geschmacksmusters erkannte
38 Die Klägerin macht im Wesentlichen geltend, dass die Beweismittel, auf die sich die Beschwerdekammer gestützt habe, nicht auf eine Offenbarung des älteren Geschmacksmusters vor dem Anmeldedatum des streitigen Geschmacksmusters, dem 13. Februar 2004, schließen ließen. Ihrer Ansicht nach belegen der Katalog der Streithelferin, die Rechnungen, die Abbildung des Messestandes und die anderen von der Streithelferin beigebrachten Kataloge nicht mit der erforderlichen Sicherheit eine vorzeitige Offenbarung.
39 Das EUIPO und die Streithelferin beantragen, die Rüge zurückzuweisen.
40 Nach Art. 7 der Verordnung Nr. 6/2002 gilt ein Geschmacksmuster im Sinne der Art. 5 und 6 als der Öffentlichkeit zugänglich gemacht, wenn es nach der Eintragung oder auf andere Weise bekannt gemacht oder wenn es ausgestellt, im Verkehr verwendet oder auf sonstige Weise offenbart wurde, und zwar vor dem Anmeldezeitpunkt, es sei denn, dass dies den in der Europäischen Union tätigen Fachkreisen des betreffenden Wirtschaftszweigs im normalen Geschäftsverlauf nicht bekannt sein konnte. Ein Geschmacksmuster gilt jedoch – ebenfalls nach Art. 7 der Verordnung Nr. 6/2002 – nicht als der Öffentlichkeit zugänglich gemacht, wenn es lediglich einem Dritten unter der ausdrücklichen oder stillschweigenden Bedingung der Vertraulichkeit offenbart wurde.
41 Die Verordnung Nr. 2245/2002 enthält keinerlei Einzelheiten zu den Beweisen, die der Antragsteller im Nichtigkeitsverfahren in Bezug auf die Offenbarung des älteren Geschmacksmusters vorzulegen hat. Insbesondere bestimmt Art. 28 Abs. 1 Buchst. b Ziff. v der Verordnung Nr. 2245/2002 lediglich, dass der Antrag auf Nichtigerklärung, wenn er u. a. mit der fehlenden Eigenart des Gemeinschaftsgeschmacksmusters, für das der Schutz beantragt wird, begründet wird, die Angabe und die Wiedergabe des Geschmacksmusters des Antragstellers im Nichtigkeitsverfahren, die schädlich für die Eigenart des Gemeinschaftsgeschmacksmusters sein können, für das der Schutz beantragt wird, sowie Unterlagen, die die frühere Offenbarung des älteren Geschmacksmusters belegen, enthalten muss. Ferner legen weder die Verordnung Nr. 6/2002 noch die Verordnung Nr. 2245/2002 eine verpflichtende Form für die Beweismittel fest, die vom Antragsteller im Nichtigkeitsverfahren zum Nachweis der Offenbarung seines Geschmacksmusters vor dem Zeitpunkt der Anmeldung des Geschmacksmusters, für das der Schutz beantragt wird, beizubringen sind. So verlangt Art. 28 Abs. 1 Buchst. b Ziff. v und vi der Verordnung Nr. 2245/2002 nur, dass der Nichtigkeitsantrag Unterlagen, „die die Existenz [des] älteren [Geschmacksmusters] belegen“, und „die [zu seiner] Begründung vorgebrachten Tatsachen, Beweismittel und Bemerkungen“ enthält. Auch Art. 65 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 sieht nur eine nicht erschöpfende Liste von in Verfahren vor dem EUIPO möglichen Beweismitteln vor. Daraus ergibt sich, dass der Antragsteller im Nichtigkeitsverfahren die Beweise, von denen er annimmt, dass ihre Vorlage beim EUIPO der Stützung seines Nichtigkeitsantrags dient, frei wählen kann (Urteil vom 14. Juli 2016, Thun 1794/EUIPO – Adekor [Dekorative grafische Symbole], T‑420/15, nicht veröffentlicht, EU:T:2016:410, Rn. 26).
42 Außerdem lässt sich die Offenbarung eines älteren Geschmacksmusters nicht mit Wahrscheinlichkeitsannahmen oder Vermutungen nachweisen, sondern muss auf konkreten und objektiven Umständen beruhen, die eine tatsächliche Offenbarung des älteren Geschmacksmusters auf dem Markt belegen. Im Übrigen sind die von demjenigen, der die Nichtigerklärung beantragt, vorgelegten Beweise in ihrer Wechselbeziehung zu würdigen. Denn auch wenn einige von ihnen möglicherweise für sich genommen nicht ausreichen, um die Offenbarung eines älteren Geschmacksmusters zu belegen, können sie dennoch, wenn sie miteinander verbunden oder zusammen mit anderen Dokumenten oder Informationen betrachtet werden, dazu beitragen, den Beweis für die Offenbarung zu erbringen. Schließlich sind zur Beurteilung des Beweiswerts eines Dokuments die Wahrscheinlichkeit und die Glaubhaftigkeit der darin enthaltenen Informationen zu prüfen. Zu berücksichtigen sind insbesondere die Herkunft des Dokuments, die Umstände seiner Ausarbeitung, sein Adressat sowie die Frage, ob es seinem Inhalt nach vernünftig und glaubhaft erscheint (Urteil vom 14. Juli 2016, Dekorative grafische Symbole, T‑420/15, nicht veröffentlicht, EU:T:2016:410, Rn. 27).
43 Im vorliegenden Fall hat die Beschwerdekammer hervorgehoben, dass die Streithelferin einen im Original eingereichten Katalog vorgelegt hatte. In diesem Katalog war das Bild eines Fahrradkorbs mit der Bezeichnung Speedy abgebildet. Zu diesem Bild war die Artikelnummer 34.54.50 angegeben. Die Streithelferin hat auch mehr als 100 Rechnungen vorgelegt, die an verschiedene, u. a. in Italien niedergelassene Unternehmen gerichtet waren. Diese Rechnungen, in denen sowohl die Artikelnummer 34.54.50 als auch die Bezeichnung Speedy auftauchten, stammten aus den Jahren 2000 bis 2002 und dokumentierten den Verkauf von mehr als 25 000 Fahrradkörben.
44 Die Beschwerdekammer hat darauf hingewiesen, dass ein Fahrradkorb, der dem oben in Rn. 43 genannten entspricht, auch in vier Katalogen anderer Unternehmen aus den Jahren 2001 und 2002 abgebildet war und in der Abbildung des Standes eines Unternehmens für eine Messe in Köln im Jahr 2002 erschien.
45 Auf der Grundlage solcher Gesichtspunkte durfte die Beschwerdekammer bei deren Gesamtbetrachtung zu Recht zu dem Ergebnis kommen, dass das hier fragliche ältere Geschmacksmuster Gegenstand einer Offenbarung gewesen war.
46 Das vorstehende Ergebnis wird durch die von der Klägerin vorgetragenen Argumente nicht in Frage gestellt.
47 Die Klägerin beschränkt sich nämlich darauf, Zweifel oder Vorbehalte zu äußern, und zwar insbesondere zum Zeitpunkt und zur Verbreitung des oben in Rn. 43 genannten Katalogs sowie zur tatsächlichen Existenz der oben in Rn. 44 genannten Kataloge, zur Verbindung zwischen der im oben in Rn. 43 genannten Katalog angegebenen Artikelnummer und der identischen, auf den ebenfalls oben in Rn. 43 genannten Rechnungen aufgeführten Nummer oder auch zu dem Umstand, dass die fraglichen Kataloge verteilt oder die dort abgebildeten Waren hergestellt wurden.
48 Derartige Zweifel reichen nicht aus, um das Bündel übereinstimmender Indizien in Frage zu stellen, das von der Streithelferin beigebracht wurde und das die Beschwerdekammer zugrunde gelegt hat, um zu dem Ergebnis zu kommen, dass eine Offenbarung vorliegt.
49 Des Weiteren ist zum Vortrag der Klägerin, der sich auf die fehlende Benennung eines Zeugen stützt, daran zu erinnern, dass der Antragsteller im Nichtigkeitsverfahren die Beweise, von denen er annimmt, dass ihre Vorlage beim EUIPO der Stützung seines Nichtigkeitsantrags dient, frei wählen kann (vgl. oben, Rn. 41).
50 Ebenso ist zu dem Vortrag, der sich auf einen unzureichenden Beweiswert des einen oder anderen von der Beschwerdekammer berücksichtigten Beweismittels stützt, darauf hinzuweisen, dass bei der Prüfung der Offenbarung eines Geschmacksmusters eine Gesamtbeurteilung unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Faktoren des Einzelfalls vorzunehmen ist (vgl. oben, Rn. 42).
51 Weiterhin ist festzustellen, dass die Behauptung der Klägerin, in der in Rede stehenden Branche sei es üblich, identische Artikelnummern für Vorgänger- und Nachfolgeprodukt zu verwenden, gänzlich unbewiesen ist.
52 Ferner führt das EUIPO überzeugend aus, dass ein solcher Vortrag zwar für die Artikelbezeichnung nicht ausgeschlossen werden kann, für die Artikelnummer aber lebensfremd ist, da die Verwendung derselben Artikelnummer für aufeinander nachfolgende Produktmodelle jegliche Unterscheidung zwischen diesen Produkten bei den Verkaufszahlen, der Buchführung oder Garantiefragen unmöglich machte.
53 Was im Übrigen den Vortrag der Klägerin zu einer möglichen Manipulation der von der Streithelferin vorgelegten Dokumente betrifft, so ist dieser nicht nachgewiesen.
54 Soweit sich die Klägerin auf eine frühere Entscheidung einer der Beschwerdekammern des EUIPO beruft, ergibt sich schließlich – angenommen, eine solche Rüge bezöge sich nicht auf den ersten Klagegrund, der oben in Rn. 35 zurückgewiesen wurde, sondern auf die Geltendmachung einer vorherigen Entscheidungspraxis der Beschwerdekammern des EUIPO – aus der ständigen Rechtsprechung, dass die Entscheidungen der Beschwerdekammern über die Eintragung eines Zeichens als Unionsmarke gemäß der Verordnung Nr. 207/2009 gebundene Entscheidungen und keine Ermessensentscheidungen sind. Die Rechtmäßigkeit dieser Entscheidungen ist daher allein auf der Grundlage dieser Verordnung und nicht auf der Grundlage einer vorherigen Entscheidungspraxis der Beschwerdekammern zu beurteilen. Im Hinblick auf die Grundsätze der Gleichbehandlung und der ordnungsgemäßen Verwaltung wurde entschieden, dass das EUIPO im Rahmen der Prüfung der Anmeldung einer Unionsmarke die zu ähnlichen Anmeldungen ergangenen Entscheidungen berücksichtigen und besonderes Augenmerk auf die Frage richten muss, ob im gleichen Sinne zu entscheiden ist oder nicht. Es wurde jedoch ergänzt, dass die Grundsätze der Gleichbehandlung und der ordnungsgemäßen Verwaltung mit dem Gebot rechtmäßigen Handelns in Einklang gebracht werden müssen. Wer ein Zeichen als Marke anmeldet, kann sich folglich nicht auf eine etwaige fehlerhafte Rechtsanwendung zugunsten eines anderen berufen, um eine identische Entscheidung zu erlangen. Überdies muss aus Gründen der Rechtssicherheit und gerade auch der ordnungsgemäßen Verwaltung die Prüfung jeder Anmeldung streng und umfassend sein, um eine ungerechtfertigte Eintragung von Marken zu verhindern. Diese Prüfung muss in jedem Einzelfall erfolgen. Die Eintragung eines Zeichens als Marke hängt nämlich von besonderen, im Rahmen der tatsächlichen Umstände des Einzelfalls anwendbaren Kriterien ab, anhand deren zu ermitteln ist, ob das fragliche Zeichen nicht unter ein Eintragungshindernis fällt (vgl. Urteil vom 16. Februar 2017, Antrax It/EUIPO – Vasco Group [Thermosiphons für Heizkörper], T‑828/14 und T‑829/14, EU:T:2017:87, Rn. 93 und die dort angeführte Rechtsprechung).
55 Die oben in Rn. 54 angeführte Rechtsprechung zum System der Unionsmarke gilt entsprechend für die Prüfung von Anträgen auf Nichtigerklärung von Geschmacksmustern (Urteil vom 16. Februar 2017, Thermosiphons für Heizkörper, T‑828/14 und T‑829/14, EU:T:2017:87, Rn. 93).
56 Im vorliegenden Fall hat die Beschwerdekammer, wie sich aus den obigen Rn. 43 bis 45 ergibt, zu Recht angenommen, dass das ältere Geschmacksmuster Gegenstand einer Offenbarung gewesen ist. Die Klägerin kann sich somit nicht mit Erfolg auf eine frühere Entscheidung des EUIPO berufen, um eine derartige Schlussfolgerung zu entkräften.
57 In jedem Fall unterscheiden sich die vorliegende Rechtssache und das von der Klägerin angeführte Verfahren in mehreren Punkten. So hat die Streithelferin im Vergleich zur Antragstellerin im Nichtigkeitsverfahren in dem angeführten Verfahren eine erheblich größere Anzahl an Rechnungen vorgelegt. Des Weiteren verwiesen diese Rechnungen auf die Bezeichnung des Geschmacksmusters und eine Artikelnummer, die im Originalkatalog aufgeführt waren, in dem das Geschmacksmuster präsentiert wurde. Schließlich wurden auch weitere Kataloge anderer Unternehmen vorgelegt.
58 Die Beschwerdekammer ist somit in Rn. 29 der angefochtenen Entscheidung zu Recht zu dem Ergebnis gelangt, dass es solche Gesichtspunkte ermöglichen, die beiden Sachen hinreichend voneinander zu unterscheiden, um unterschiedliche Schlussfolgerungen in der jeweiligen Sache zu rechtfertigen.
59 Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass die vorliegende Rüge zurückzuweisen ist.
Zum Fehler bei der Bestimmung der relevanten Fachkreise
60 Die Klägerin macht im Wesentlichen geltend, dass die Beschwerdekammer die relevanten Fachkreise fehlerhaft bestimmt habe.
61 Erstens habe sie zu Unrecht angenommen, dass Händler zu diesen Fachkreisen zählten.
62 Zweitens habe sich die Beschwerdekammer nicht ausreichend zu der Frage geäußert, ob ein nennenswerter Teil der Fachkreise die Möglichkeit gehabt habe, vom streitigen Geschmacksmuster Kenntnis zu erlangen, und somit den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör verletzt.
63 Das EUIPO und die Streithelferin beantragen, die Rüge in vollem Umfang zurückzuweisen.
64 Im Hinblick auf das erste Argument der Klägerin hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass Art. 11 Abs. 2 der Verordnung Nr. 6/2002 – nach dem ein Geschmacksmuster als der Öffentlichkeit innerhalb der Union zugänglich gemacht gilt, wenn es in solcher Weise bekannt gemacht, ausgestellt, im Verkehr verwendet oder auf sonstige Weise offenbart wurde, dass dies den in der Union tätigen Fachkreisen des betreffenden Wirtschaftszweigs im normalen Geschäftsverlauf bekannt sein konnte – dahin auszulegen ist, dass es sich gegebenenfalls so verhalten kann, dass ein nicht eingetragenes Geschmacksmuster den in der Union tätigen Fachkreisen des betreffenden Wirtschaftszweigs im normalen Geschäftsverlauf bekannt sein konnte, wenn Abbildungen dieses Geschmacksmusters an in diesem Wirtschaftszweig tätige Händler verteilt wurden (Urteil vom 13. Februar 2014, H. Gautzsch Großhandel, C‑479/12, EU:C:2014:75, Rn. 30). Diese Auslegung gilt entsprechend für Art. 7 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002, dessen Wortlaut dem von Art. 11 Abs. 2 dieser Verordnung ähnelt und der ebenfalls dazu dient, die maßgeblichen Gesichtspunkte für das etwaige Vorliegen einer Offenbarung zu bestimmen, die es erlaubt, ein nicht eingetragenes Geschmacksmuster zu schützen.
65 Daher ist das erste Argument zurückzuweisen.
66 Zum zweiten Argument ist darauf hinzuweisen, dass ein Geschmacksmuster als offenbart gilt, wenn die Partei, die dies geltend macht, die die Offenbarung darstellenden Tatsachen bewiesen hat. Um diese Vermutung zu widerlegen, ist es Sache der die Offenbarung bestreitenden Partei, rechtlich hinreichend zu belegen, dass die Umstände des konkreten Falles verhindern konnten, dass diese Tatsachen den Fachkreisen des betreffenden Wirtschaftszweigs im normalen Geschäftsverlauf bekannt sind (Urteil vom 21. Mai 2015, Senz Technologies/HABM – Impliva [Regenschirme], T‑22/13 und T‑23/13, EU:T:2015:310, Rn. 26).
67 Im vorliegenden Fall hat die Streithelferin, wie oben in Rn. 45 ausgeführt wurde, die Offenbarung des älteren Geschmacksmusters rechtlich hinreichend belegt. Die Klägerin erbringt jedoch keinen Beweis, dass die Umstände des konkreten Falles verhindert hätten, dass die die Offenbarung darstellenden Tatsachen den Fachkreisen des betreffenden Wirtschaftszweigs bekannt sind. Da der Nachweis der Klägerin obliegt und sie nicht dartut, diesen vor der Beschwerdekammer erbracht zu haben, kann sie daher weder mit Erfolg geltend machen, diese habe über diesen Punkt nicht entschieden, noch, dass sie ihren Anspruch auf hinreichendes rechtliches Gehör verkannt hätte.
68 Der Vollständigkeit halber ist noch anzumerken, dass das Argument zur Verkennung des Anspruchs auf rechtliches Gehör nicht mit hinreichender Genauigkeit ausgeführt ist, um seine Begründetheit zu prüfen. Es ist somit in jedem Fall zu verwerfen.
69 Weiterhin ist das Vorbringen der Klägerin, soweit sie unter Berufung auf Art. 47 der Charta der Grundrechte und Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten einen Verstoß gegen das Recht auf einen fairen Prozess geltend macht, unter Verweis auf die Ausführungen in der vorstehenden Rn. 26 zurückzuweisen.
70 Daher ist das zweite Argument, wie auch die dritte Rüge insgesamt, zurückzuweisen.
71 In Anbetracht der vorstehenden Erwägungen ist im Ergebnis festzuhalten, dass die Beschwerdekammer zu Recht festgestellt hat, dass das ältere Geschmacksmuster der Öffentlichkeit vor dem Anmeldetag des angegriffenen Geschmacksmusters, mithin dem 13. Februar 2004, zugänglich gemacht wurde.
72 Folglich ist der vorliegende Klagegrund insgesamt zurückzuweisen.
Zum dritten Klagegrund, mit dem eine Verkennung von Art. 6 der Verordnung Nr. 6/2002 gerügt wird
73 Die Klägerin trägt vor, dass die Beschwerdekammer Art. 6 der Verordnung Nr. 6/2002 verkannt habe, indem sie davon ausgegangen sei, das streitige Geschmacksmuster weise keine Eigenart auf.
74 Die Elemente, die die beiden Modelle unterschieden, nämlich zwei Querstreifen im Boden des Korbs und ein Rechteck auf der hinteren Seite, würden vom informierten Benutzer wahrgenommen und dominierten den bei diesem hervorgerufenen Gesamteindruck des streitigen Geschmacksmusters.
75 Das EUIPO und die Streithelferin beantragen, den vorliegenden Klagegrund zurückzuweisen.
76 Aus dem Wortlaut von Art. 6 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 6/2002 geht hervor, dass im Fall eines eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmusters die Eigenart im Hinblick auf den Gesamteindruck bei einem informierten Benutzer zu beurteilen ist. Der beim informierten Benutzer hervorgerufene Gesamteindruck muss sich von demjenigen unterscheiden, den ein anderes Geschmacksmuster hervorruft, das der Öffentlichkeit vor dem Tag der Anmeldung oder, wenn eine Priorität in Anspruch genommen wird, vor dem Prioritätstag zugänglich gemacht worden ist. Durch Art. 6 Abs. 2 der Verordnung Nr. 6/2002 wird klargestellt, dass bei der Beurteilung der Eigenart der Grad der Gestaltungsfreiheit des Entwerfers bei der Entwicklung dieses Geschmacksmusters zu berücksichtigen ist (Urteil vom 29. Oktober 2015, Roca Sanitario/HABM – Villeroy & Boch [Einhandmischer], T‑334/14, nicht veröffentlicht, EU:T:2015:817, Rn. 15).
77 Nach der Rechtsprechung beruht die Eigenart eines Geschmacksmusters darauf, dass aus der Sicht eines informierten Benutzers in Bezug auf den vorbestehenden Formschatz ein Unterschied im Gesamteindruck oder kein „Déjà-vu“ besteht, wobei Unterschiede außer Betracht bleiben, die – auch wenn sie über unbedeutende Details hinausgehen – zu schwach ausgeprägt sind, um diesen Gesamteindruck zu beeinflussen, jedoch Unterschiede berücksichtigt werden, die hinreichend ausgeprägt sind, um einen unähnlichen Gesamteindruck hervorzurufen (Urteil vom 29. Oktober 2015, Einhandmischer, T‑334/14, nicht veröffentlicht, EU:T:2015:817, Rn. 16).
78 Bei der Beurteilung der Eigenart eines Geschmacksmusters im Vergleich zum vorbestehenden Formschatz sind zu berücksichtigen: die Art des Erzeugnisses, bei dem das Geschmacksmuster benutzt wird oder in das es aufgenommen wird, und insbesondere der jeweilige Industriezweig (vgl. 14. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 6/2002), der Grad der Gestaltungsfreiheit des Entwerfers bei der Entwicklung des Geschmacksmusters, eine etwaige Sättigung des Stands der Technik, die den informierten Benutzer stärker für die Unterschiede zwischen den miteinander verglichenen Geschmacksmustern sensibilisieren könnte, sowie die Art und Weise, in der das fragliche Erzeugnis benutzt wird, insbesondere hinsichtlich der hierbei üblicherweise vorgenommenen Handgriffe (Urteil vom 29. Oktober 2015, Einhandmischer, T‑334/14, nicht veröffentlicht, EU:T:2015:817, Rn. 17).
79 Schließlich ist bei der Beurteilung der Eigenart eines Geschmacksmusters auch die Sicht des informierten Benutzers zu berücksichtigen. Der informierte Benutzer ist nach ständiger Rechtsprechung eine Person mit besonderer Wachsamkeit, die über eine gewisse Kenntnis vom vorherigen Stand der Technik verfügt, d. h. vom Formenschatz der sich auf das fragliche Erzeugnis beziehenden Geschmacksmuster, die am Anmeldetag des streitigen Geschmacksmusters oder gegebenenfalls an dem in Anspruch genommenen Prioritätstag zugänglich waren (vgl. Urteil vom 29. Oktober 2015, Einhandmischer, T‑334/14, nicht veröffentlicht, EU:T:2015:817, Rn. 18 und die dort angeführte Rechtsprechung).
80 Im vorliegenden Fall hat die Beschwerdekammer den informierten Benutzer zu Recht – ohne dass dies im Übrigen von der Klägerin in Frage gestellt würde – als eine Person definiert, die, ohne ein Entwerfer oder technischer Sachverständiger zu sein, mit Fahrradkörben vertraut ist, die verschiedenen Geschmacksmuster kennt, die es in dem betroffenen Wirtschaftsbereich gibt, und gewisse Kenntnisse in Bezug auf die Elemente besitzt, die diese Geschmacksmuster für gewöhnlich aufweisen (Rn. 32 der angefochtenen Entscheidung).
81 Im Übrigen war die Beschwerdekammer ebenfalls richtigerweise der – von der Klägerin nicht bestrittenen – Auffassung, dass die Gestaltungsfreiheit des Entwerfers von Fahrradkörben durch technische Vorgaben beschränkt ist: Fahrradkörbe müssen am Fahrrad befestigt werden und Sachen beinhalten können, ohne dass diese beim Radfahren herausfallen. Der Entwerfer kann jedoch zwischen einer Vielfalt von Farben, Materialien (z. B. aus Plastik, Metall, Rattan oder Stoff) und Formen (rund, oval oder quadratisch) der Körbe auswählen (Rn. 33 der angefochtenen Entscheidung).
82 Die Beschwerdekammer hat sodann fehlerfrei darauf verwiesen, dass die fraglichen Körbe zumindest in mehreren Merkmalen übereinstimmen (Rn. 35 der angefochtenen Entscheidung), und zwar:
– Das Material beider Körbe ist ein engmaschiges Drahtgitter;
– beide Fahrradkörbe sind rechteckig;
– die Oberkanten der beiden Langseiten fallen schräg nach vorne ab;
– die Schmalseite vorne ist halb so hoch wie die Schmalseite hinten;
– auf der Höhe der tieferen Schmalseite verläuft eine den ganzen Korb umlaufende Umrandung.
83 Die Beschwerdekammer hat zu Recht auch festgestellt, dass sich die einander gegenüberstehenden Geschmacksmuster dadurch unterscheiden, dass das angegriffene Geschmacksmuster zwei Elemente enthält, und zwar zwei Querstreifen im Boden und ein Rechteck auf der hinteren Schmalseite, die das ältere Geschmacksmuster nicht aufweist (Rn. 36 der angefochtenen Entscheidung).
84 Die Beschwerdekammer war der Auffassung, dass die zwei Querstreifen im Boden des Geschmacksmusters vom informierten Benutzer als Verstärkung des Korbs erkannt werden. Sie ging weiterhin davon aus, dass das Rechteck auf der hinteren Schmalseite des angegriffenen Geschmacksmusters als Namensschild gesehen wird, dass diese Elemente das Gesamtbild des Fahrradkorbs nicht prägen und dass der Benutzer daher in den sich gegenüberstehenden Geschmacksmustern dieselbe Form, dasselbe Material und dieselben ästhetischen Eigenschaften erkennt. Sie kam zu dem Ergebnis, dass die sich gegenüberstehenden Geschmacksmuster denselben Gesamteindruck erwecken und die geringen Unterschiede keine Eigenart des angegriffenen Geschmacksmusters zu begründen vermögen (Rn. 37 der angefochtenen Entscheidung).
85 In Anbetracht der in den vorstehenden Randnummern angeführten Erwägungen – denen beizupflichten ist – ist festzustellen, dass die Beschwerdekammer auf der Grundlage der von ihr festgestellten Gesichtspunkte zu Recht zu dem Ergebnis kommen durfte, dass die sich gegenüberstehenden Geschmacksmuster auf den informierten Benutzer denselben Gesamteindruck machen und dass es dem angegriffenen Geschmacksmuster an Eigenart fehlt.
86 Die Klägerin trägt in der Klageschrift nichts vor, was die oben in Rn. 85 getroffene Schlussfolgerung in Frage stellen könnte.
87 Der vorliegende Klagegrund ist daher zurückzuweisen.
88 Zu der vor dem EUIPO vorgebrachten Argumentation, auf die die Klägerin u. a. in den Rn. 61, 66 und 82 ihrer Klageschrift verweist, ist zu ergänzen, dass die Klageschrift zwar in bestimmten Punkten durch Bezugnahmen auf ihr beigefügte Aktenauszüge untermauert und ergänzt werden kann, die Anlagen aber eine bloße Beweis- und Hilfsfunktion haben. Die Anlagen können deshalb nicht der näheren Ausführung eines in der Klageschrift gedrängt dargestellten Klagegrundes unter Nennung in der Klageschrift nicht enthaltener Rügen oder Argumente dienen (Urteil vom 30. Januar 2007, France Télécom/Kommission, T‑340/03, EU:T:2007:22, Rn. 167). Dieser Vortrag ist daher als unzulässig zurückzuweisen.
89 Nach alledem ist die Klage abzuweisen.
Kosten
90 Nach Art. 134 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichts ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Klägerin unterlegen ist, sind ihr gemäß dem Antrag des EUIPO und der Streithelferin die Kosten aufzuerlegen.
Aus diesen Gründen hat
DAS GERICHT (Neunte Kammer)
für Recht erkannt und entschieden:
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Basil BV trägt die Kosten.
Gervasoni |
Kowalik-Bańczyk |
Mac Eochaidh |
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 17. Mai 2018.
Der Kanzler |
Der Präsident |
E. Coulon |
S. Gervasoni |
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