T-628/11 – Biogas Nord / Kommission
BESCHLUSS DES GERICHTS (Sechste Kammer)
25. Oktober 2018()
„Staatliche Beihilfen – Deutsche Steuervorschriften zur Möglichkeit eines Verlustvortrags auf künftige Steuerjahre (Sanierungsklausel) – Beschluss, mit dem die Beihilfe für mit dem Binnenmarkt unvereinbar erklärt wird – Nichtigerklärung der angefochtenen Handlung durch den Gerichtshof – Wegfall des Streitgegenstands – Erledigung“
In der Rechtssache T‑628/11
Biogas Nord AG mit Sitz in Bielefeld (Deutschland), Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt C. Birkemeyer,
Klägerin,
unterstützt durch
Bundesrepublik Deutschland, zunächst vertreten durch T. Henze, K. Petersen und R. Kanitz, dann durch T. Henze, R. Kanitz und K. Stranz und schließlich durch T. Henze, R. Kanitz und S. Eisenberg als Bevollmächtigte,
Streithelferin,
gegen
Europäische Kommission, zunächst vertreten durch R. Lyal, T. Maxian Rusche und M. Adam, dann durch R. Lyal, T. Maxian Rusche und K. Blanck als Bevollmächtigte,
Beklagte,
betreffend eine Klage nach Art. 263 AEUV auf Nichtigerklärung des Beschlusses 2011/527/EU der Kommission vom 26. Januar 2011 über die staatliche Beihilfe Deutschlands C 7/10 (ex CP 250/09 und NN 5/10) „KStG, Sanierungsklausel“ (ABl. 2011, L 235, S. 26)
erlässt
DAS GERICHT (Sechste Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten G. Berardis, des Richters S. Papasavvas und der Richterin O. Spineanu-Matei (Berichterstatterin),
Kanzler: E. Coulon,
folgenden
Beschluss
Vorgeschichte des Rechtsstreits
1 In Deutschland können nach § 10d Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes die in einem Steuerjahr eingetretenen Verluste auf künftige Steuerjahre vorgetragen werden, d. h., die betreffenden Verluste können von den steuerpflichtigen Einkünften der folgenden Jahre abgezogen werden. Nach § 8 Abs. 1 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) besteht die Möglichkeit des Verlustvortrags auch für Unternehmen, die der Körperschaftsteuer unterliegen.
2 § 8c Abs. 1 KStG, der im Jahr 2008 durch das Unternehmensteuerreformgesetz eingefügt wurde, beschränkt die Möglichkeit des Verlustvortrags. Diese Regel des Verfalls von Verlusten sah anfangs keine Ausnahme vor. Im Juni 2009 wurde durch das Bürgerentlastungsgesetz Krankenversicherung § 8c Abs. 1a KStG (im Folgenden: Sanierungsklausel) eingefügt, nach dem ein Verlustvortrag unter bestimmten Voraussetzungen weiterhin möglich ist, wenn ein in Schwierigkeiten befindliches Unternehmen zu Sanierungszwecken erworben wird. Die Sanierungsklausel trat am 10. Juli 2009, also am selben Tag wie die oben erwähnte Regel des Verfalls von Verlusten, in Kraft und galt rückwirkend ab dem 1. Januar 2008.
3 Am 26. Januar 2011 erließ die Europäische Kommission den Beschluss 2011/527/EU über die staatliche Beihilfe Deutschlands C 7/10 (ex CP 250/09 und NN 5/10) „KStG, Sanierungsklausel“ (ABl. 2011, L 235, S. 26, im Folgenden: angefochtener Beschluss). In einem ersten Schritt qualifizierte sie diese Klausel als staatliche Beihilfe. In einem zweiten Schritt kam sie zu dem Schluss, dass die Beihilfen für bestimmte Begünstigte als mit dem Binnenmarkt vereinbare begrenzte Beihilfen für zulässig erklärt werden könnten, sofern sie alle Voraussetzungen einer von der Kommission nach dem Vorübergehenden Gemeinschaftsrahmen für staatliche Beihilfen zur Erleichterung des Zugangs zu Finanzierungsmitteln in der gegenwärtigen Finanz- und Wirtschaftskrise (ABl. 2009, C 83, S. 1) genehmigten deutschen Beihilferegelung erfüllten. Dagegen war sie der Ansicht, dass die Sanierungsklausel auf der Grundlage der Leitlinien für die Rettung und Umstrukturierung von Unternehmen in Schwierigkeiten, der Leitlinien für staatliche Beihilfen mit regionaler Zielsetzung 2007-2013 (ABl. 2006, C 54, S. 13) und der Leitlinien für staatliche Umweltschutzbeihilfen (ABl. 2008, C 82, S. 1) sowie im Hinblick auf Art. 107 Abs. 3 AEUV nicht mit dem Binnenmarkt vereinbar sei. In einem dritten Schritt gab sie der Bundesrepublik Deutschland u. a. auf, alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um die rechtswidrig gewährte Beihilfe von den Empfängern zurückzufordern.
Verfahren und Anträge der Beteiligten
4 Mit Klageschrift, die am 5. Dezember 2011 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat die Klägerin, die Biogas Nord AG, die vorliegende Klage erhoben.
5 Die Kommission hat mit gesondertem Schriftsatz, der am 16. März 2012 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, eine Einrede der Unzulässigkeit gemäß Art. 114 der Verfahrensordnung des Gerichts vom 2. Mai 1991 erhoben. Die Klägerin hat zu dieser Einrede am 2. Mai 2012 Stellung genommen.
6 Die Bundesrepublik Deutschland hat mit Schriftsatz, der am 29. Februar 2012 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, beantragt, im vorliegenden Verfahren als Streithelferin zur Unterstützung der Anträge der Klägerin zugelassen zu werden. Mit Beschluss vom 2. Mai 2012 hat der Präsident der Achten Kammer des Gerichts sie als Streithelferin zugelassen. Der auf die Zulässigkeit beschränkte Streithilfeschriftsatz der Bundesrepublik Deutschland und die Stellungnahmen der anderen Beteiligten hierzu sind fristgerecht eingereicht worden.
7 Die Klägerin beantragt,
– den angefochtenen Beschluss für nichtig zu erklären;
– der Kommission die Kosten aufzuerlegen.
8 Die Kommission beantragt in der Einrede der Unzulässigkeit,
– die Klage als unzulässig abzuweisen;
– der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.
9 Die Klägerin beantragt in ihrer Stellungnahme zur Einrede der Unzulässigkeit und die Bundesrepublik Deutschland beantragt in ihrem Streithilfeschriftsatz, die Einrede der Unzulässigkeit zurückzuweisen.
10 Im Zuge einer Änderung der Besetzung der Kammern des Gerichts ist der Berichterstatter im September 2013 der Neunten Kammer zugeteilt worden, der die vorliegende Rechtssache deshalb zugewiesen worden ist.
11 Mit Beschluss vom 17. Juli 2014 hat der Präsident der Neunten Kammer angeordnet, das Verfahren in der vorliegenden Rechtssache bis zu der das Verfahren in der Rechtssache T‑287/11, Heitkamp BauHolding/Kommission, beendenden Entscheidung des Gerichts auszusetzen, da der Gegenstand dieser Rechtssache mit dem der vorliegenden Rechtssache identisch ist.
12 Nach der Wiederaufnahme des Verfahrens am 4. Februar 2016 hat das Gericht (Neunte Kammer) die Parteien am 1. März 2016 gebeten, sich zu den Auswirkungen der Urteile vom 4. Februar 2016, GFKL Financial Services/Kommission (T‑620/11, EU:T:2016:59), und vom 4. Februar 2016, Heitkamp BauHolding/Kommission (T‑287/11, EU:T:2016:60), auf den vorliegenden Rechtsstreit zu äußern.
13 Am 15. Juli 2016 hat der Präsident der Neunten Kammer entschieden, das Verfahren bis zu den Endentscheidungen des Gerichtshofs in den Rechtssachen C‑203/16 P, Andres (Insolvenzverwalter über das Vermögen der Heitkamp BauHolding)/Kommission, und C‑208/16 P, Deutschland/Kommission, auszusetzen.
14 Mit Entscheidung vom 11. Oktober 2016 ist die Rechtssache der Sechsten Kammer zugewiesen worden, und es ist ein neuer Berichterstatter bestimmt worden.
15 Nach der Wiederaufnahme des Verfahrens am 28. Juni 2018 hat das Gericht (Sechste Kammer) die Parteien am 9. Juli 2018 gebeten, sich zu den Auswirkungen der Urteile vom 28. Juni 2018, Andres (Insolvenzverwalter über das Vermögen der Heitkamp BauHolding)/Kommission (C‑203/16 P, EU:C:2018:505), und vom 28. Juni 2018, Deutschland/Kommission (C‑208/16 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2018:506), in denen der Gerichtshof den angefochtenen Beschluss für nichtig erklärt hat, auf den vorliegenden Rechtsstreit zu äußern. Die Parteien sind insbesondere um Stellungnahme zu der Möglichkeit gebeten worden, dass das Gericht gemäß Art. 131 Abs. 1 seiner Verfahrensordnung von Amts wegen im vorliegenden Rechtsstreit die Erledigung der Hauptsache feststellt. Die Parteien haben ihre Stellungnahmen fristgerecht abgegeben.
16 Die Bundesrepublik Deutschland gibt in ihrer Stellungnahme vom 13. Juli 2018 an, dass sie keine Bedenken dagegen habe, dass das Gericht von Amts wegen die Erledigung der Hauptsache feststelle.
17 Die Kommission vertritt in ihrer Stellungnahme vom 20. Juli 2018 die Ansicht, dass sich der Rechtsstreit erledigt habe. Sie stellt keinen Kostenantrag.
18 In ihrer Stellungnahme vom 23. Juli 2018 äußert die Klägerin keine Bedenken dagegen, dass das Gericht gemäß Art. 131 Abs. 1 der Verfahrensordnung die Erledigung der Hauptsache feststellt. Sie beantragt, der Kommission die Kosten aufzuerlegen. Sie stellt klar, dass aus Sicht des Insolvenzverwalters Einverständnis mit einer solchen Erledigung bestehe, der Insolvenzverwalter aber keine verfahrensbeendigende Handlung abgeben werde, die zu Kosten zulasten der Insolvenzmasse führe.
Rechtliche Würdigung
19 Nach Art. 131 Abs. 1 der Verfahrensordnung kann das Gericht auf Vorschlag des Berichterstatters und nach Anhörung der Parteien jederzeit von Amts wegen feststellen, dass die Klage gegenstandslos geworden und die Hauptsache erledigt ist.
20 Im vorliegenden Fall stellt das Gericht, das sich aufgrund der Aktenlage für hinreichend informiert hält, ohne Fortsetzung des Verfahrens die Erledigung der Hauptsache fest.
21 Die vorliegende Klage betrifft nämlich die Nichtigerklärung des angefochtenen Beschlusses. Er ist aber vom Gerichtshof in seinen Urteilen vom 28. Juni 2018, Deutschland/Kommission (C‑208/16 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2018:506), und vom 28. Juni 2018, Deutschland/Kommission (C‑209/16 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2018:507), für nichtig erklärt worden. Die vorliegende Klage ist daher gegenstandslos geworden.
22 Zudem ist, da die Klage gegenstandslos geworden ist, nicht über die von der Kommission erhobene Einrede der Unzulässigkeit zu entscheiden (vgl. in diesem Sinne Beschluss vom 5. Mai 2010, CBI und ABISP/Kommission, T‑128/08 und T‑241/08, nicht veröffentlicht, EU:T:2010:175, Rn. 31).
Kosten
23 Nach Art. 137 der Verfahrensordnung entscheidet das Gericht, wenn es die Hauptsache für erledigt erklärt, über die Kosten nach freiem Ermessen. Da sich die Erledigung der Hauptsache aus der Nichtigerklärung des angefochtenen Beschlusses durch den Gerichtshof ergibt, sind bei angemessener Würdigung der Umstände des vorliegenden Falles der Kommission ihre eigenen Kosten sowie die Kosten der Klägerin aufzuerlegen.
24 Nach Art. 138 Abs. 1 der Verfahrensordnung tragen die Mitgliedstaaten, die dem Rechtsstreit als Streithelfer beigetreten sind, ihre eigenen Kosten. Folglich trägt die Bundesrepublik Deutschland ihre eigenen Kosten.
Aus diesen Gründen hat
DAS GERICHT (Sechste Kammer)
beschlossen:
1. Der Rechtsstreit ist in der Hauptsache erledigt.
2. Die Europäische Kommission trägt ihre eigenen Kosten sowie die Kosten der Biogas Nord AG.
3. Die Bundesrepublik Deutschland trägt ihre eigenen Kosten.
Luxemburg, den 25. Oktober 2018
Der Kanzler |
Der Präsident |
E. Coulon |
G. Berardis |
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