T-621/17 R – Taminco und Arysta LifeScience Great Britain/ EFSA
Language of document : ECLI:EU:T:2018:763
Vorläufige Fassung
BESCHLUSS DES PRÄSIDENTEN DES GERICHTS
12. Oktober 2018()
„Vorläufiger Rechtsschutz – Pflanzenschutzmittel – Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 – Veröffentlichung der Schlussfolgerung der von der EFSA bei der Überprüfung der Genehmigung des Wirkstoffs Thiram vorgenommenen Prüfung – Antrag auf vertrauliche Behandlung bestimmter Passagen – Ablehnung der vertraulichen Behandlung – Antrag auf einstweilige Anordnungen – Fehlende Dringlichkeit“
In der Rechtssache T‑621/17 R
Taminco BVBA mit Sitz in Gent (Belgien), vertreten durch die Rechtsanwälte C. Mereu und M. Grunchard,
Antragstellerin,
gegen
Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA), vertreten durch D. Detken und S. Gabbi als Bevollmächtigte im Beistand der Rechtsanwälte R. van der Hout und C. Wagner,
Antragsgegnerin,
unterstützt durch
Europäische Kommission, vertreten durch G. Koleva und I. Naglis als Bevollmächtigte,
Streithelferin,
wegen eines Antrags nach den Art. 278 und 279 AEUV, gerichtet auf Aussetzung des Vollzugs des Beschlusses der EFSA vom 18. Juli 2017, mit dem die im Rahmen des Antrags auf Erneuerung der Genehmigung des Wirkstoffs Thiram gestellten Anträge auf vertrauliche Behandlung zurückgewiesen wurden,
erlässt
DER PRÄSIDENT DES GERICHTS
folgenden
Beschluss()
[nicht wiedergegeben]
Rechtliche Würdigung
[nicht wiedergegeben]
Zum Gegenstand des Antrags auf vorläufigen Rechtsschutz und zur Art der betreffenden Informationen
25 Die Antragstellerin möchte, um eine Beeinträchtigung ihrer kommerziellen Interessen zu verhindern, mit ihrem Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz erreichen, dass eine Veröffentlichung der betreffenden Informationen unterbleibt.
26 Insoweit ist erstens darauf hinzuweisen, dass der Vizepräsident des Gerichtshofs in seinem Beschluss vom 12. Juni 2018, Nexans France und Nexans/Kommission (C‑65/18 P[R], EU:C:2018:426), hervorgehoben hat, dass das Vorbringen, die Informationen, die offengelegt werden sollten, seien vertraulich, kein ausreichender Grund für die Gewährung einstweiliger Anordnungen ist, wenn ein solches Vorbringen die Voraussetzung des fumus boni iuris nicht erfüllt (Beschluss vom 12. Juni, Nexans France und Nexans/Kommission, C‑65/18 P[R], EU:C:2018:426, Rn. 22).
27 Im vorliegenden Fall macht die Antragstellerin geltend, diese Voraussetzung sei aus vier Gründen erfüllt, und zwar weil i) es in den Verordnungen Nrn. 1107/2009 und 178/2002 sowie in der Durchführungsverordnung Nr. 844/2012 keine Rechtsgrundlage für die Veröffentlichung der betreffenden Informationen durch die EFSA gebe, ii) eine Befugnisüberschreitung der EFSA vorliege, da die Verordnung (EG) Nr. 1272/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über die Einstufung, Kennzeichnung und Verpackung von Stoffen und Gemischen, zur Änderung und Aufhebung der Richtlinien 67/548/EWG und 1999/45/EG und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 (ABl. 2008, L 353, S. 1) der EFSA keinerlei Zuständigkeit für die Einstufung von Stoffen verleihe, iii) ihre Verteidigungsrechte verletzt worden seien, da sie nicht die Möglichkeit gehabt habe, umfassend, angemessen und wirksam zur vorgeschlagenen Neueinstufung ihres Stoffes Stellung zu nehmen, und iv) der die Möglichkeit, die Vertraulichkeit bestimmter gemäß der Verordnung Nr. 1107/2009 vorgelegter Informationen geltend zu machen, betreffende Art. 63 dieser Verordnung verletzt worden sei.
28 Somit ergibt sich aus dem Vorstehenden, dass die ersten drei Gründe prozessuale Fragen aufwerfen, bei denen es nicht um die Art der betreffenden Informationen geht. Lediglich der letzte Grund, mit dem die Verletzung von Art. 63 der Verordnung Nr. 1107/2009 geltend gemacht wird, bezieht sich mittelbar auf die Feststellung des vertraulichen Charakters der betreffenden Informationen.
29 Die vorgebrachten Argumente beziehen sich jedoch zum einen auf die Möglichkeit, eine vertrauliche Behandlung zu beantragen, und nicht auf die Beurteilung der Vertraulichkeit dieser Informationen als solche. Zum anderen ergibt sich dem ersten Anschein nach aus der Würdigung des Vorbringens zur geltend gemachten Verletzung von Art. 63 der Verordnung Nr. 1107/2009 nicht, dass es geeignet wäre, den für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständigen Richter davon zu überzeugen, dass insoweit ein fumus boni iuris vorliegt.
30 Zum ersten Punkt ist zunächst darauf hinzuweisen, dass nach Art. 63 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1107/2009 eine vertrauliche Behandlung gemäß dieser Verordnung vorgelegter Informationen beantragt werden kann. Die Informationen, um die es im vorliegenden Fall geht, scheinen aber a priori nicht als solche eingestuft werden zu können, da sie von der EFSA im Rahmen der Prüfung des Antrags auf Erneuerung der Genehmigung des in Rede stehenden Stoffes eingeholt wurden. In der englischen Sprachfassung der Verordnung (einschließlich ihrer Anhänge), wird der Begriff „submit“ bzw. seine Abwandlungen („submitted“, „submitting“ und „submission“) noch 92 Mal im gleichen Sinne verwendet wie in ihrem Art. 63, davon 72 mal als Bezeichnung für die Vorlage des Dossiers über den Antrag auf eine Genehmigung oder eine Änderung der Bedingungen für eine Genehmigung durch die interessierten Parteien (Antragsteller, Dritte). Die übrigen Nennungen beziehen sich grundsätzlich auf den berichterstattenden Mitgliedstaat, die anderen Mitgliedstaaten oder auch, sehr selten, auf die Kommission.
31 Sodann wird entgegen dem Vorbringen der Antragstellerin im Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz und in ihrer Stellungnahme zum Streithilfeschriftsatz der Kommission in Art. 63 Abs. 2 Buchst. b der Verordnung Nr. 1107/2009 dem ersten Anschein nach eine etwaige Beurteilung der EFSA nicht als möglicher Gegenstand einer vertraulichen Behandlung angeführt, sondern um eine vertrauliche Behandlung der von den interessierten Parteien vorgelegten Informationen auszuschließen.
32 Schließlich hebt die Antragstellerin in ihrer Stellungnahme zum Streithilfeschriftsatz der Kommission hervor, dass eine Gesamtschau der einschlägigen Bestimmungen vorzunehmen sei, und verweist dabei auf Art. 13 Abs. 2 der Durchführungsverordnung Nr. 844/2012.
33 Nach Art. 13 Abs. 2 der Durchführungsverordnung Nr. 844/2012 macht die EFSA, nachdem sie dem Antragsteller eine Frist von zwei Wochen eingeräumt hat, innerhalb deren er gemäß Art. 63 der Verordnung Nr. 1107/2009 beantragen kann, dass bestimmte Teile der Schlussfolgerung vertraulich behandelt werden, die Schlussfolgerung, ausgenommen die Informationen, deren vertrauliche Behandlung sie zugesagt hat, der Öffentlichkeit zugänglich, es sei denn, es besteht ein übergeordnetes öffentliches Interesse an der Offenlegung.
34 Die Antragstellerin schließt aus Art. 13 Abs. 2 der Durchführungsverordnung Nr. 844/2012, dass die Regelung es den Parteien ermögliche, die Vertraulichkeit einer Schlussfolgerung wie der, um die es in der vorliegenden Rechtssache gehe, zu beantragen. Dem ersten Anschein nach verweist Art. 13 Abs. 2 der Durchführungsverordnung Nr. 844/2012 aber nur auf Art. 63 der Verordnung Nr. 1107/2009, der es – wie oben in den Rn. 30 und 31 ausgeführt – ermöglicht, eine vertrauliche Behandlung der von den interessierten Parteien vorgelegten Informationen zu beantragen, die in dem von Art. 13 Abs. 2 der Durchführungsverordnung Nr. 844/2012 erfassten Fall in der genannten Schlussfolgerung erscheinen, nicht aber – wie die Antragstellerin behauptet –, die Schlussfolgerung selbst vertraulich zu behandeln. Mit anderen Worten gilt diese Bestimmung nur für „bestimmte Teile“ der Schlussfolgerung, und zwar für „Informationen, deren vertrauliche Behandlung sie zugesagt hat“, in ihrer oben in den Rn. 30 und 31 dargelegten Bedeutung.
35 Zum zweiten Punkt führt die EFSA in ihrer Stellungnahme zum Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz aus, sie habe gleichwohl geprüft, ob eine potenzielle Beeinträchtigung der kommerziellen Interessen der Antragstellerin aufgrund der Offenlegung der Informationen – als zwingende Voraussetzung für die Gewährung einer vertraulichen Behandlung nach Art. 63 der Verordnung Nr. 1107/2009 – vorliege, und sei im Einklang mit Art. 39 Abs. 3 der Verordnung Nr. 178/2002 zu dem Ergebnis gekommen, dass diese Beeinträchtigung, insbesondere im Hinblick auf das übergeordnete Interesse der öffentlichen Gesundheit, nicht ausreiche, um ein Hindernis für die Veröffentlichung der betreffenden Informationen darzustellen.
36 Die Antragstellerin hat sich in ihrer Stellungnahme zu dem zur Unterstützung der Anträge der EFSA eingereichten Streithilfeschriftsatz der Kommission, in dem u. a. die Bedeutung von Art. 63 der Verordnung Nr. 1107/2009 im Rahmen dieser Rechtssache hervorgehoben wird, nicht zu diesem Argument geäußert und sich auf den Hinweis beschränkt, dass das Nichtbestreiten bestimmter Teile dieses Schriftsatzes oder das Fehlen einer Stellungnahme zu ihnen nicht bedeute, dass sie den darin enthaltenen Ausführungen zustimme.
37 Zweitens entspricht – selbst wenn die betreffenden Informationen Gegenstand eines Antrags auf vertrauliche Behandlung nach Art. 63 der Verordnung Nr. 1107/2009 hätten sein können und wenn die EFSA sie am Ende ihrer Prüfung im Rahmen des durch diese Bestimmung geschaffenen Verfahrens als nicht vertraulich eingestuft hätte – die Art der betreffenden Informationen jedenfalls nicht denen, in Bezug auf die der für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständige Richter mehrfach im Rahmen von Anträgen zur Offenlegung wissenschaftlicher Daten vorläufigen Schutz gewährt hat (vgl. in diesem Sinne Beschlüsse vom 1. März 2017, EMA/PTC Therapeutics International, C‑513/16 P[R], nicht veröffentlicht, EU:C:2017:148, vom 1. März 2017, EMA/MSD Animal Health Innovation und Intervet international, C‑512/16 P[R], nicht veröffentlicht, EU:C:2017:149, vom 13. Februar 2014, Luxembourg Pamol [Cyprus] und Luxembourg Industries/Kommission, T‑578/13 R, nicht veröffentlicht, EU:T:2014:103, und vom 25. Juli 2014, Deza/ECHA, T‑189/14 R, nicht veröffentlicht, EU:T:2014:686).
38 In den Rechtssachen, in denen die oben in Rn. 37 angeführten Beschlüsse ergangen sind, hat der für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständige Richter nämlich darauf hingewiesen, dass es, wenn ein Unternehmen im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes die Offenlegung von Informationen verhindern will, die nach seinen Angaben unter das Berufsgeheimnis fallen, von einer Kombination von Umständen – wie der Bedeutung der Informationen für das Unternehmen, das sie zur Verfügung stellt, in gewerblicher und geschäftlicher Hinsicht und deren Nutzen für andere auf dem Markt tätige Unternehmen, die von ihnen Kenntnis nehmen und sie in der Folge nutzen können – abhängt, inwieweit die Offenlegung solcher Informationen einen schweren und irreparablen Schaden für das Unternehmen herbeiführen würde (Beschluss vom 29. Februar 2016, Chemtura Netherlands/EFSA, T‑725/15 R, nicht veröffentlicht, EU:T:2016:128, Rn. 30).
39 Die in den Rechtssachen, in denen diese Beschlüsse ergangen sind, vor allem angesichts der fehlenden Bezifferbarkeit und damit des irreparablen Charakters des durch eine Veröffentlichung als vertraulich bezeichneter Informationen entstehenden finanziellen Schadens gewählten Lösungen finden hingegen keine Anwendung, wenn der Antragsteller im Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz nicht angibt, welche Informationen im Fall einer vollständigen Veröffentlichung der fraglichen Dokumente für seine derzeitigen oder potenziellen Wettbewerber speziell von Nutzen sein könnten, weil sie zu geschäftlichen und Wettbewerbszwecken verwertet werden könnten, und sich insbesondere auf kein spezielles Element beruft, das für ihn ein immaterielles, zu Wettbewerbszwecken nutzbares Rechtsgut darstellt, dessen Wert sinken oder das völlig wertlos werden könnte, wenn es offenbart würde (Beschluss vom 29. Februar 2016, Chemtura Netherlands/EFSA, T‑725/15 R, nicht veröffentlicht, EU:T:2016:128, Rn. 34 und 35).
40 Dies ist hier der Fall, da sich die Antragstellerin auf die Behauptung beschränkt, dass bei einer vollständigen Veröffentlichung der Dokumente die Gefahr einer Schädigung ihres Rufs, ihres Marktanteils und ihres Umsatzes bestehe, weil der in Rede stehende Stoff – ihres Erachtens zu Unrecht – als gesundheitsgefährdend eingestuft werde, und zwar im Verhältnis zu ihren Kunden, den Verwendern des Stoffes, der Öffentlichkeit im Allgemeinen und den Regulierungsbehörden (vgl. in diesem Sinne Beschluss vom 29. Februar 2016, Chemtura Netherlands/EFSA, T‑725/15 R, nicht veröffentlicht, EU:T:2016:128, Rn. 34).
41 Folglich ist das Vorbringen, mit dem die Antragstellerin die Dringlichkeit der beantragten einstweiligen Anordnungen dartun will, anhand der oben in den Rn. 26, 38 und 39 dargestellten Grundsätze zu prüfen, ohne dass von der Prämisse auszugehen ist, dass die betreffenden Informationen vertraulich sind.
[nicht wiedergegeben]
Aus diesen Gründen hat
DER PRÄSIDENT DES GERICHTS
beschlossen:
1. Der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz wird zurückgewiesen.
2. Der Beschluss vom 19. September 2017 in der Rechtssache T‑621/17 R wird aufgehoben.
3. Die Kostenentscheidung bleibt vorbehalten.
Luxemburg, den 12. Oktober 2018
Der Kanzler |
Der Präsident |
E. Coulon |
M. Jaeger |
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