T-480/15 – Agria Polska u.a./ Kommission

T-480/15 – Agria Polska u.a./ Kommission

Language of document : ECLI:EU:T:2017:339

Vorläufige Fassung

URTEIL DES GERICHTS (Erste Kammer)

16. Mai 2017(*)

„Wettbewerb – Kartell – Missbrauch einer beherrschenden Stellung – Markt für den Vertrieb von Pflanzenschutzmitteln – Beschluss, mit dem eine Beschwerde abgelehnt wurde – Vermeintlich wettbewerbswidriges Verhalten von Herstellern und Vertreibern – Aufeinander abgestimmte oder koordinierte Maßnahmen der Hersteller und Vertreiber bei der Einreichung von Beschwerden bei den Verwaltungs- und Strafverfolgungsbehörden – Anzeige vermeintlicher Verstöße gegen die anwendbaren Bestimmungen durch Parallelimporteure – In der Folge von den Verwaltungsbehörden durchgeführte Verwaltungskontrollen – Verhängung verwaltungs- und strafrechtlicher Sanktionen durch die nationalen Behörden gegen die Parallelimporteure – Gleichsetzung der Beschwerden der Hersteller und Vertreiber mit böswilligen Klagen oder Missbrauch von Verwaltungsverfahren – Fehlendes Unionsinteresse – Anspruch auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz“

In der Rechtssache T‑480/15

Agria Polska sp. z o.o. mit Sitz in Sosnowiec (Polen),

Agria Chemicals Poland sp. z o.o. mit Sitz in Sosnowiec (Polen),

Star Agro Analyse und Handels GmbH mit Sitz in Allerheiligen bei Wildon (Österreich),

Agria Beteiligungsgesellschaft mbH mit Sitz in Allerheiligen bei Wildon,

Prozessbevollmächtigte: zunächst Rechtsanwälte S. Dudzik und J. Budzik, dann Rechtsanwälte P. Graczyk und W. Rocławski,

Klägerinnen,

gegen

Europäische Kommission, vertreten durch J. Szczodrowski, A. Dawes und J. Norris-Usher als Bevollmächtigte,

Beklagte,

betreffend eine Klage nach Art. 263 AEUV auf Nichtigerklärung des Beschlusses C(2015) 4284 final der Kommission vom 19. Juni 2015 (Sache AT.39864 – BASF [zuvor AGRIA u. a./BASF u. a.]), mit dem die Beschwerde der Klägerinnen über Verstöße gegen Art. 101 und/oder Art. 102 AEUV zurückgewiesen wurde, die von 13 Herstellern und Vertreibern von Pflanzenschutzmitteln mit Unterstützung bzw. unter Einschaltung von vier Berufsverbänden und einer Rechtsanwaltskanzlei begangen worden sein sollen,

erlässt

DAS GERICHT (Erste Kammer)

unter Mitwirkung der Präsidentin I. Pelikánová sowie der Richter P. Nihoul und J. Svenningsen (Berichterstatter),

Kanzler: L. Grzegorczyk, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 28. Februar 2017

folgendes

Urteil

 Vorgeschichte des Rechtsstreits

1        Die Klägerinnen, die Agria Polska sp. z o.o., die Agria Chemicals Poland sp. z o.o., die Star Agro Analyse und Handels GmbH und die Agria Beteiligungsgesellschaft mbH, sind zwei Gesellschaften des polnischen Rechts, eine Gesellschaft des deutschen Rechts und eine Gesellschaft des österreichischen Rechts, die auf dem Gebiet des Verkaufs von Pflanzenschutzmitteln im Rahmen von Parallelimporten dieser Waren tätig sind, mit denen sich insbesondere aufgrund der unterschiedlichen Mehrwertsteuersätze, die für diese Waren in den verschiedenen Mitgliedstaaten gelten, Gewinne erzielen lassen. Im Rahmen dieser Geschäfte werden im Wesentlichen derartige Waren aus Mitgliedstaaten, in denen sie bereits zugelassen sind, nach Polen importiert, in den Lagerhäusern der Klägerinnen in Polen gelagert und sodann wieder in andere Mitgliedstaaten exportiert, und zwar auch in die der ursprünglichen Zulassung dieser Waren, im vorliegenden Fall vor allem nach Deutschland und Österreich.

 Verfahren vor dem UOKiK

2        Am 1. Juli 2010 reichte die Agria Polska beim Urząd Ochrony Konkurencji i Konsumentów (Amt für den Schutz des Wettbewerbs und der Verbraucher, Polen, im Folgenden: UOKiK) eine Beschwerde (im Folgenden: nationale Beschwerde) ein wegen Verstoßes gegen das Ustawa o ochronie konkurencji i konsumentów (Gesetz über den Schutz des Wettbewerbs und der Verbraucher) vom 16. Februar 2007 (Dz. U. Nr. 50, Position 331) durch 13 Unternehmen, die sämtlich Hersteller von Pflanzenschutzmitteln sind, nämlich die BASF SE, die Bayer CropScience, die RWA Raiffeisen Ware Austria AG (im Folgenden: RWA), den Deutschen Raiffeisenverband, Sumi-Agro, Monsanto, Nufarm, Rokita Agro, DuPont, Arysta, Syngenta, Dow und Makhteshim Agan, die dabei mit Unterstützung bzw. unter Einschaltung von vier Berufsverbänden, nämlich des Industrieverbands Agrar (im Folgenden: IVA), des Fachverbands der chemischen Industrie – Industriegruppe Pflanzenschutz (IGP), der European Crop Protection Association und des Polskie Stowarzyszenie Ochrony Roślin (PSOR) mit Sitz jeweils in Deutschland, in Belgien und in Polen sowie einer Anwaltskanzlei gehandelt haben sollen.

3        Mit Schreiben vom 10. August 2010 teilte der Präsident des UOKiK Agria Polska mit, dass die mit der nationalen Beschwerde gerügten Praktiken, soweit sie die Jahre 2005 und 2006 beträfen, nicht mehr Gegenstand einer von diesem Amt durchgeführten Untersuchung sein könnten. Nach Art. 93 des Gesetzes über den Schutz des Wettbewerbs und der Verbraucher könne ein Verfahren wegen wettbewerbsbeschränkender Praktiken nach Ablauf einer Frist von einem Jahr ab Ende des Jahres, in dem die betreffende Zuwiderhandlung beendet worden sei, nicht mehr eröffnet werden.

4        Am 30. August 2010 beantragte Agria Polska beim UOKiK erneut die Eröffnung eines Verfahrens zur Untersuchung des vermeintlichen Kartells der Hersteller und Vertreiber von Pflanzenschutzmitteln und machte geltend, bei der am vorangegangenen 1. Juli eingereichten nationalen Beschwerde gehe es auch um einen von diesen begangenen Verstoß gegen die wettbewerbsrechtlichen Bestimmungen der Europäischen Union.

5        Mit Schreiben vom 22. November 2010 beharrte der Präsident des UOKiK auf seinem Standpunkt und führte aus, die im polnischen Recht vorgesehene einjährige Verjährungsfrist gelte auch dann, wenn sich die beantragte Untersuchung auf Bestimmungen des Wettbewerbsrechts der Union beziehe.

 Verfahren vor der Kommission

6        Am 30. November 2010 reichten die Klägerinnen und die Agro Nova Polska sp. z o.o. bei der Europäischen Kommission eine Beschwerde nach Art. 7 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln [101 AEUV] und [102 AEUV] niedergelegten Wettbewerbsregeln (ABl. 2003, L 1, S. 1) ein (im Folgenden: Beschwerde). Diese Beschwerde richtete sich gegen dieselben Körperschaften wie die beim UOKiK eingereichte nationale Beschwerde. Die Agro Trade Handelsgesellschaft mbH und die Cera Chem S.a.r.l., eine nach deutschem und eine nach luxemburgischem Recht gegründete Gesellschaft, schlossen sich der Beschwerde an, wovon die Kommission in der gemeinsamen ergänzenden Stellungnahme in Kenntnis gesetzt wurde, die von allen diesen Gesellschaften am 15. Dezember 2010 abgegeben wurde (im Folgenden: ursprüngliche Beschwerdeführerinnen). Diese Gesellschaften legten der Kommission am 27. April 2011 zusätzliche Informationen vor.

7        Am 29. Juli 2011 übermittelten die ursprünglichen Beschwerdeführerinnen der Kommission eine Zusammenfassung der Beschwerde.

8        Aus den von den ursprünglichen Beschwerdeführerinnen vorgelegten Dokumenten geht hervor, dass die Beschwerde vor allem eine Verletzung von Art. 101 AEUV betraf. Zudem betraf sie eine Verletzung von Art. 102 AEUV durch RWA.

9        Allgemein machten die ursprünglichen Beschwerdeführerinnen geltend, die in der Beschwerde bezeichneten Körperschaften hätten Praktiken angewandt, die gegen das Wettbewerbsrecht der Union verstießen. Diese Praktiken hätten sich vor allem als Vereinbarung und/oder aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen dieser Körperschaften manifestiert und in missbräuchlichen, auf koordinierte Weise bei österreichischen und polnischen Verwaltungs- und Strafverfolgungsbehörden erstatteten Anzeigen bestanden, die die Rechtmäßigkeit der Geschäftstätigkeit der ursprünglichen Beschwerdeführerinnen sowohl in Bezug auf die in den Bestimmungen für Pflanzenschutzmittel vorgesehenen Voraussetzungen als auch in Bezug auf die Bedingungen für den Parallelhandel mit solchen Waren, auch in steuerlicher Hinsicht, in Frage stellten.

10      Die ursprünglichen Beschwerdeführerinnen machten geltend, aufgrund falscher, verkürzter oder sogar irreführender Erklärungen, die die in der Beschwerde bezeichneten Körperschaften mit dem Ziel abgegeben hätten, sie vom Markt zu verdrängen, hätten die österreichischen und polnischen Verwaltungs-, Finanz- und Strafverfolgungsbehörden bei ihnen zu Unrecht zahlreiche Verwaltungskontrollen, darunter Kontrollen vor Ort und Beschlagnahmen von Pflanzenschutzmitteln in ihren Lagern, durchgeführt, und gegen sie seien Strafverfahren eingeleitet worden, noch dazu zu einem für den jahreszeitenabhängigen Handel mit Pflanzenschutzmitteln strategischen Zeitpunkt, nämlich im ersten Teil des Jahres.

11      Im Rahmen dieser Verwaltungs- und Strafverfahren seien die ursprünglichen Beschwerdeführerinnen mit hohen Geldbußen belegt worden, wodurch im Übrigen eine von ihnen, Agria Polska, in Konkurs gefallen sei, und es seien Maßnahmen zur Untersagung der Vermarktung der Pflanzenschutzmittel zu einem Zeitpunkt im Jahr ergriffen worden, der für den Handel mit Waren dieser Art entscheidend sei. Dies habe zu einem großen und schwer wiedergutzumachenden Verlust von Marktanteilen der ursprünglichen Beschwerdeführerinnen geführt.

12      Die ursprünglichen Beschwerdeführerinnen, gegen die verwaltungs- und strafrechtliche Sanktionen verhängt worden seien, hätten jedoch in bestimmten Fällen mittels Klagen vor den zuständigen nationalen Gerichten die Nichtigerklärung dieser Sanktionen oder eine beträchtliche Herabsetzung der verhängten Beträge erwirkt, was auf den missbräuchlichen und irreführenden Charakter der Erklärungen der in der Beschwerde bezeichneten Körperschaften hinweise, die die ursprünglichen Beschwerdeführerinnen als „böswillige Verfahren“ im Sinne des Urteils vom 17. Juli 1998, ITT Promedia/Kommission (T‑111/96, EU:T:1998:183), bezeichnen.

13      Die ursprünglichen Beschwerdeführerinnen machten auch geltend, die Erstattung der Anzeigen sei den in der Beschwerde bezeichneten Körperschaften durch das aktive Eingreifen sowohl der deutschen Behörden, insbesondere eines Vertreters der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in der Republik Polen, als auch der polnischen Behörden erleichtert worden. Diese nationalen Behörden seien insoweit intensivem Lobbying der Hersteller und Vertreiber von Pflanzenschutzmitteln ausgesetzt gewesen.

14      Am 27. März 2012 übermittelte die Kommission den in der Beschwerde bezeichneten Körperschaften mit Zustimmung der ursprünglichen Beschwerdeführerinnen eine nicht vertrauliche und konsolidierte Fassung der Beschwerde; diese Körperschaften reichten zwischen April und Juni 2012 ihre Stellungnahmen ein.

15      In ihren jeweiligen Stellungnahmen bestritten die in der Beschwerde bezeichneten Körperschaften die darin enthaltene Darstellung des Sachverhalts und machten im Wesentlichen geltend, die von manchen von ihnen bei den nationalen Verwaltungsbehörden oder den nationalen Gerichten eingeleiteten Maßnahmen seien legitim gewesen, insbesondere aufgrund der Verletzung ihrer Rechte des geistigen oder gewerblichen Eigentums und um eine Schädigung ihres Rufes zu verhindern. Ihre Maßnahmen seien zudem keineswegs koordiniert gewesen, und die Tatsache, dass diese Maßnahmen in zeitlicher Nähe zueinander eingeleitet worden seien, sei in erster Linie dadurch zu erklären, dass sie zeitgleich mit den rechtswidrigen Handlungen der Parallelimporteure konfrontiert gewesen seien. Was die Kontakte betreffe, die in diesem Zusammenhang zwischen bestimmten Herstellern und/oder Vertreibern von Pflanzenschutzmitteln oder zwischen Letzteren und Berufsverbänden oder auch nationalen Behörden aufgenommenen worden seien, so seien diese völlig gerechtfertigt, so wie im Übrigen auch ihre Teilnahme an den Inspektionen. Diese legitimen Kontakte könnten daher nicht als Beweis für das Bestehen eines Kartells im Sinne von Art. 101 AEUV dienen.

16      Mit Schreiben vom 8. Dezember 2014 unterrichtete die Kommission die ursprünglichen Beschwerdeführerinnen von ihrer Absicht, die Beschwerde vor allem aus dem Grund abzuweisen, dass kein ausreichendes Unionsinteresse bestehe, sie weiter nach den Art. 101 oder 102 AEUV zu behandeln.

17      Zur Stützung ihrer vorläufigen Analyse erklärte die Kommission erstens, aufgrund unzureichender Beweise zur Untermauerung der Beschwerde und auch der Schwierigkeit, im vorliegenden Fall eine marktbeherrschende Stellung von RWA oder eine gemeinsame marktbeherrschende Stellung festzustellen und sodann einen Missbrauch einer solchen Stellung nachzuweisen, sei die Wahrscheinlichkeit, das Vorliegen einer Zuwiderhandlung gegen Art. 101 und/oder 102 AEUV festzustellen, begrenzt. In diesem Zusammenhang wies die Kommission darauf hin, dass sie die sich aus den Urteilen vom 17. Juli 1998, ITT Promedia/Kommission (T‑111/96, EU:T:1998:183), und vom 1. Juli 2010, AstraZeneca/Kommission (T‑321/05, EU:T:2010:266), im Rechtsmittelverfahren bestätigt durch Urteil vom 6. Dezember 2012, AstraZeneca/Kommission (C‑457/10 P, EU:C:2012:770), ergebende Rechtsprechung nicht für übertragbar auf Situationen halte, in denen Unternehmen nationale Behörden von vermeintlich rechtswidrigen Verhaltensweisen oder Maßnahmen anderer Unternehmen in Kenntnis setzten oder auf deren verwaltungs- oder strafrechtliche Verfolgung drängen. Zweitens seien die für die geforderte Untersuchung nötigen Mittel angesichts der begrenzten Wahrscheinlichkeit, das Vorliegen einer Zuwiderhandlung festzustellen, wahrscheinlich unverhältnismäßig. Drittens seien in diesem Stadium die nationalen Behörden und Gerichte möglicherweise besser in der Lage, die in der Beschwerde aufgezeigten Probleme zu behandeln.

18      In einer am 8. Januar 2015 eingereichten Stellungnahme teilte der Rechtsberater der ursprünglichen Beschwerdeführerinnen mit Ausnahme von Agro Nova Polska der Kommission mit, die Agro Trade Handelsgesellschaft und Cera Chem hätten beschlossen, das Verfahren nicht weiterzuführen, weshalb man davon ausgehen könne, dass sie „ihre Beschwerde zurückgezogen“ hätten. Er erklärte auch, die Klägerinnen träten der angekündigten Einstellung des Verfahrens über die Beschwerde entgegen, und führte insbesondere aus, ein solches Vorgehen vermindere ihre Chance erheblich, wegen der betreffenden Verstöße gegen das Unionsrecht, nämlich die Art. 101 und 102 AEUV, vor den nationalen Gerichten Schadensersatz zu erlangen.

19      Mit Beschluss C(2015) 4284 final vom 19. Juni 2015 (Sache AT.39864 – BASF [zuvor AGRIA u. a./BASF u. a.]) (im Folgenden: angefochtener Beschluss) wies die Kommission die Beschwerde zurück und wiederholte im Wesentlichen ihre im Schreiben vom 8. Dezember 2014 enthaltene vorläufige Analyse, wobei sie hervorhob, dass sie über begrenzte Mittel verfüge und dass im vorliegenden Fall die gründliche Untersuchung, die durchgeführt werden und möglicherweise die während eines Zeitraums von sieben Jahren von 18 Körperschaften in vier Mitgliedstaaten ausgeübten Tätigkeiten umfassen müsste, zu komplex und zeitaufwendig wäre, während die Wahrscheinlichkeit, eine Zuwiderhandlung festzustellen, im vorliegenden Fall begrenzt erscheine, was dafür spreche, keine Untersuchung einzuleiten.

 Verfahren und Anträge der Parteien

20      Die Klägerinnen haben mit Klageschrift, die am 19. August 2015 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, die vorliegende Klage erhoben.

21      Nach zweifachem Schriftsatzwechsel und auf Vorschlag des Berichterstatters hat das Gericht beschlossen, das mündliche Verfahren zu eröffnen. Im Hinblick darauf sind die Klägerinnen und die Kommission im Rahmen prozessleitender Maßnahmen aufgefordert worden, Fragen des Gerichts schriftlich zu beantworten. Sie haben diese Fragen innerhalb der gesetzten Fristen am 16. bzw. 12. Januar 2017 beantwortet; auf Aufforderung des Gerichts, zur Antwort der jeweils anderen Partei Stellung zu nehmen, hat die Kommission ihre Stellungnahme zur Antwort der Klägerinnen vom 16. Januar 2017 am 6. Februar 2017 abgegeben, während die Klägerinnen sich insoweit nur in der mündlichen Verhandlung geäußert haben.

22      Die Parteien haben in der Sitzung vom 28. Februar 2017 mündlich verhandelt und Fragen des Gerichts beantwortet. Im Rahmen ihrer mündlichen Ausführungen haben die Klägerinnen insbesondere die Dauer des Verwaltungsverfahrens vor der Kommission angesprochen, jedoch auf Frage des Gerichts erklärt, sie beabsichtigten nicht, einen neuen Klagegrund der Verletzung des Grundsatzes der angemessenen Verfahrensdauer geltend zu machen.

23      Die Klägerinnen beantragen,

–        den angefochtenen Beschluss für nichtig zu erklären;

–        der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

24      Die Kommission beantragt,

–        die Klage abzuweisen;

–        den Klägerinnen die Kosten aufzuerlegen.

 Rechtliche Würdigung

25      Die Klägerinnen machen zwei Klagegründe geltend, erstens einen Verstoß gegen den Grundsatz des wirksamen Rechtsschutzes, wie er in Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verankert ist, und zweitens einen Verstoß gegen die Art. 101 und 102 AEUV.

26      Das Gericht hält es für zweckmäßig, zunächst den zweiten Klagegrund zu prüfen.

 Zum zweiten Klagegrund

27      Der zweite Klagegrund besteht aus zwei Teilen. Mit dem ersten Teil werden ein offensichtlicher Fehler der Kommission bei der Beurteilung des Unionsinteresses an der Einleitung einer Untersuchung und in diesem Zusammenhang eine rechtsfehlerhafte Weigerung der Kommission geltend gemacht, im vorliegenden Fall die in den Urteilen vom 17. Juli 1998, ITT Promedia/Kommission (T‑111/96, EU:T:1998:183), und vom 1. Juli 2010, AstraZeneca/Kommission (T‑321/05, EU:T:2010:266), aufgestellten Grundsätze anzuwenden. Mit dem zweiten Teil dieses Klagegrundes wird eine Missachtung der praktischen Wirksamkeit der Art. 101 und 102 AEUV geltend gemacht, da im vorliegenden Fall keine nationale Behörde und auch kein nationales Gericht diese Bestimmungen des Primärrechts der Union ohne eine von der Kommission durchgeführte Untersuchung sachdienlich umsetzen könne.

28      Die Kommission beantragt, den zweiten Klagegrund als unbegründet zurückzuweisen.

 Zum ersten Teil des zweiten Klagegrundes: offensichtlicher Fehler bei der Beurteilung des Unionsinteresses an der Einleitung einer Untersuchung

29      Nach Ansicht der Klägerinnen hat die Kommission einen offensichtlichen Beurteilungsfehler begangen, als sie im angefochtenen Beschluss feststellte, dass kein ausreichendes Unionsinteresse an der Einleitung einer Untersuchung bestehe. Hierzu tragen sie vor, die Beschwerde betreffe eine Beschränkung des Parallelhandels, und die Kommission habe in diesem Beschluss selbst anerkannt, dass die Untersuchung, wenn sie durchgeführt werden müsste, die Praxis von 18 Körperschaften in vier Mitgliedstaaten umfassen und sich auf einen Zeitraum von vermutlich sieben Jahren erstrecken würde. Somit zeige der geografische und sachliche Umfang der Untersuchung, wie sie die Klägerinnen in der Beschwerde forderten, dass diese auf Unionsebene durchgeführt werden müsse und dass die Kommission somit viel besser als die polnischen und/oder die österreichischen Behörden in der Lage sei, sie mit der erforderlichen oder erwarteten Effizienz durchzuführen.

30      Die Klägerinnen sind auch der Ansicht, sie hätten ausreichende Beweise zur Untermauerung des in der Beschwerde dargelegten Vorbringens vorgelegt. Daher habe die Kommission mit der Weigerung, eine Untersuchung einzuleiten, keine korrekte Beurteilung sämtlicher tatsächlicher und rechtlicher Umstände des vorliegenden Falles vorgenommen.

31      In diesem Zusammenhang erwähnen die Klägerinnen als Erstes insbesondere die Korrespondenz zwischen einer polnischen und einer österreichischen Anwaltskanzlei. Die österreichische Kanzlei sei von Gesellschaften, deren Anonymität gewahrt worden sei, beauftragt worden, selbst zahlreiche Rundumbeschwerden gegen die Klägerinnen bei den polnischen und/oder österreichischen Verwaltungs- und Strafverfolgungsbehörden einzubringen oder von der polnischen Kanzlei einbringen zu lassen. Mit diesen Anzeigen und Pressionen, die auch als „Missbrauch von Straf- und Verwaltungsverfahren“ zu qualifizieren und vor allem RWA zuzuschreiben seien, sei vor allem bezweckt worden, durch das koordinierte Bereitstellen falscher und unwahrer Informationen für die drei Klägerinnen ein Verbot der Ausübung ihres Parallelhandels während der drei folgenden Jahre sowie verschärfte Steuerkontrollen ohne bestimmten Grund zu erwirken. RWA habe auch polnische Privatdetektive engagiert, um die Tätigkeiten der Klägerinnen zu überwachen.

32      Als Zweites beziehen sich die Klägerinnen auf die Aussagen bestimmter polnischer und österreichischer Beamter, die in den Protokollen der Anhörungen enthalten seien, die im Rahmen der Verwaltungs- und Strafverfahren erstellt worden seien, die die in der Beschwerde bezeichneten Körperschaften angestrengt hätten, sowie auf den Umstand, dass ein Vertreter der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in der Republik Polen mit polnischen Beamten am 14. und 15. Juni 2005 an einem Treffen zwischen dem PSOR und dem IVA, zwei Verbänden von Herstellern und Vertreibern von Pflanzenschutzmitteln, gegen die sich die Beschwerde richte, teilgenommen habe. Das vom Vertreter des IVA erstellte Protokoll dieses Treffens spreche für sich, da dieser darin seiner Genugtuung Ausdruck verleihe, dass es gelungen sei, Agri Polska durch ein Eingreifen „im richtigen Moment“ und durch die Auswahl der „richtigen“ Kontaktpersonen an der Ausübung ihrer Geschäftstätigkeit zu hindern.

33      Als Drittes bestreiten die Klägerinnen die Rechtmäßigkeit und die Berechtigung der Zusammenkünfte zwischen den deutschen, österreichischen und polnischen Behörden betreffend die Tätigkeiten der ursprünglichen Beschwerdeführerinnen, die insbesondere dazu geführt hätten, dass nach einem Besuch polnischer Beamter bei ihren österreichischen Amtskollegen im österreichischen Bundesamt für Ernährungssicherheit am 6. Februar 2006 der polnische Generalinspektor für Pflanzen- und Saatgutgesundheit einem Inspektor für Pflanzen- und Saatgutgesundheit der Woiwodschaft Schlesien in Kattowitz am 22. Februar 2006 die Anweisung erteilt habe, die Tätigkeiten von Agria Polska neuerlich zu kontrollieren. Die Klägerinnen tragen in der Antwort vom 16. Januar 2017 auf die Fragen des Gerichts des Weiteren vor, dieser Besuch der polnischen Beamten in Österreich habe auch ein Treffen mit der Arbeitsgruppe für Pflanzenschutzmittel des IVA beinhaltet, was den Einfluss dieses Verbands auf den Entscheidungsprozess der polnischen Behörden zeige.

–       Allgemeine Erwägungen

34      Nach ständiger Rechtsprechung hat die Kommission, der es nach Art. 105 Abs. 1 AEUV obliegt, auf die Anwendung der Art. 101 und 102 AEUV zu achten, die Wettbewerbspolitik der Union festzulegen und durchzuführen, wozu ihr bei der Behandlung von Beschwerden ein Ermessen zusteht (Urteile vom 26. Januar 2005, Piau/Kommission, T‑193/02, EU:T:2005:22, Rn. 80), vom 12. Juli 2007, AEPI/Kommission, T‑229/05, nicht veröffentlicht, EU:T:2007:224, Rn. 38, und vom 15. Dezember 2010, CEAHR/Kommission, T‑427/08, EU:T:2010:517, Rn. 26). Um der wirksamen Erledigung dieser Aufgabe willen darf sie den ihr vorliegenden Beschwerden daher unterschiedliche Priorität zuweisen (vgl. Urteil vom 4. März 1999, Ufex u. a./Kommission, C‑119/97 P, EU:C:1999:116, Rn. 88 und die dort angeführte Rechtsprechung).

35      Wenn die Kommission in Ausübung dieses Ermessens beschließt, den bei ihr eingereichten Beschwerden unterschiedliche Prioritäten zuzuweisen, kann sie nicht nur die Reihenfolge festlegen, in der die Beschwerden geprüft werden, sondern auch eine Beschwerde mangels hinreichenden Unionsinteresses an der Fortführung der Untersuchung der Sache zurückweisen (Urteile vom 24. Januar 1995, Tremblay u. a./Kommission, T‑5/93, EU:T:1995:12, Rn. 60, und vom 14. Februar 2001, Sodima/Kommission, T‑62/99, EU:T:2001:53, Rn. 36). Da bei der Einschätzung des durch eine Beschwerde wegen Verstoßes gegen das Wettbewerbsrecht begründeten Unionsinteresses auf die Umstände des Einzelfalls abzustellen ist (Urteil vom 12. Juli 2007, AEPI/Kommission, T‑229/05, nicht veröffentlicht, EU:T:2007:224, Rn. 38), ist es nicht angebracht, die Zahl der Beurteilungskriterien, die die Kommission heranziehen kann, einzuschränken oder ihr umgekehrt die ausschließliche Anwendung bestimmter Kriterien vorzuschreiben (Urteile vom 17. Mai 2001, IECC/Kommission, C‑450/98 P, EU:C:2001:276, Rn. 58, und vom 16. Januar 2008, Scippacercola und Terezakis/Kommission, T‑306/05, nicht veröffentlicht, EU:T:2008:9, Rn. 189).

36      Das Ermessen der Kommission ist jedoch nicht unbegrenzt (Urteil vom 4. März 1999, Ufex u. a./Kommission, C‑119/97 P, EU:C:1999:116, Rn. 89). Sie hat alle ihr vom Kläger zur Kenntnis gebrachten, erheblichen tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte zu berücksichtigen und aufmerksam zu prüfen, um darüber zu entscheiden, wie eine Beschwerde zu behandeln ist (vgl. Urteil vom 17. Mai 2001, IECC/Kommission, C‑450/98 P, EU:C:2001:276, Rn. 57 und die dort angeführte Rechtsprechung).

37      Entscheidet die Kommission wie im vorliegenden Fall, keine Untersuchung einzuleiten, so ist sie nicht verpflichtet, zur Untermauerung einer solchen Entscheidung festzustellen, dass keine Zuwiderhandlung vorliegt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 16. Januar 2008, Scippacercola und Terezakis/Kommission, T‑306/05, nicht veröffentlicht, EU:T:2008:9, Rn. 130 und 180 und die dort angeführte Rechtsprechung).

38      In einer solchen Situation hat das Gericht nicht zu prüfen, ob der Beschwerdeführer in seiner Beschwerde ausreichend Beweise angeführt hatte, die es erlauben, einen Verstoß gegen das Wettbewerbsrecht festzustellen, sondern, ob aus dem Beschluss hervorgeht, dass die Kommission das Ausmaß der möglichen Beeinträchtigung des Funktionierens des Binnenmarkts durch die Zuwiderhandlung, die Wahrscheinlichkeit des Nachweises ihres Vorliegens sowie den Umfang der notwendigen Ermittlungsmaßnahmen gegeneinander abgewogen hat, um ihre Aufgabe der Überwachung der Einhaltung der Art. 101 und 102 AEUV bestmöglich zu erfüllen (Urteile vom 18. September 1992, Automec/Kommission, T‑24/90, EU:T:1992:97, Rn. 86, vom 24. Januar 1995, Tremblay u. a./Kommission, T‑5/93, EU:T:1995:12, Rn. 62, und vom 12. Juli 2007, AEPI/Kommission, T‑229/05, nicht veröffentlicht, EU:T:2007:224, Rn. 41). Im Übrigen darf die vom Unionsrichter vorgenommene Kontrolle nicht dazu führen, dass er seine Beurteilung des Unionsinteresses an die Stelle der Beurteilung durch die Kommission setzt (vgl. Urteil vom 16. Januar 2008, Scippacercola und Terezakis/Kommission, T‑306/05, nicht veröffentlicht, EU:T:2008:9, Rn. 97 und die dort angeführte Rechtsprechung).

39      Um es dem Gericht zu ermöglichen, wirksam zu überprüfen, wie die Kommission ihre Ermessensbefugnis zur Festlegung der Prioritäten ausgeübt hat, trifft dieses Organ jedoch eine Begründungspflicht, wenn es die weitere Prüfung einer Beschwerde ablehnt, wobei diese Begründung hinreichend genau und detailliert sein muss (Urteile vom 4. März 1999, Ufex u. a./Kommission, C‑119/97 P, EU:C:1999:116, Rn. 90 und 91, und vom 14. Februar 2001, Sodima/Kommission, T‑62/99, EU:T:2001:53, Rn. 42).

40      Im vorliegenden Fall stellte die Kommission im angefochtenen Beschluss fest, es bestehe kein ausreichendes Interesse der Union an der Einleitung einer Untersuchung, da die Wahrscheinlichkeit, eine Zuwiderhandlung gegen Art. 101 und/oder Art. 102 AEUV festzustellen, begrenzt erscheine, der Umfang der notwendigen Ermittlungsmaßnahmen im Verhältnis dazu wahrscheinlich unverhältnismäßig sei und die nationalen Behörden und Gerichte besser in der Lage zu sein schienen, die aufgeworfenen Fragen zu behandeln.

41      In diesem Kontext und unter Bezugnahme auf die in den Rn. 34 bis 39 des vorliegenden Urteils angeführte Rechtsprechung ist der erste Teil des zweiten Klagegrundes zu prüfen.

–       Zur Wahrscheinlichkeit, eine Verletzung des Wettbewerbsrechts festzustellen, und zum Umfang der Untersuchung

42      Was die von der Kommission im angefochtenen Beschluss getroffene Feststellung betrifft, die Wahrscheinlichkeit, die behauptete Zuwiderhandlung festzustellen, erscheine begrenzt, weist das Gericht darauf hin, dass die von den Klägerinnen vorgetragenen tatsächlichen Umstände gewiss den Nachweis ermöglichten, dass gegen diese vor allem 2005 und 2006, aber auch darüber hinaus 2008 und 2010 bis 2012 gleichzeitig übereinstimmende Anzeigen bei den österreichischen und polnischen Behörden eingegangen waren, die wahrscheinlich von einigen der Hersteller und Vertreiber von Pflanzenschutzmitteln, gegen die sich die Beschwerde richtet, stammten, wenngleich dies weder mit Sicherheit noch genau festgestellt wurde.

43      Hierzu stellt das Gericht, wie auch die Kommission im angefochtenen Beschluss, fest, dass die Beweise, die die Klägerinnen vorgelegt haben, um die Wahrscheinlichkeit einer Vereinbarung oder einer abgestimmten Verhaltensweise der Hersteller und Vertreiber von Pflanzenschutzmitteln darzutun, im Wesentlichen erstens die Gleichzeitigkeit der Anzeigen der Klägerinnen bei den nationalen Behörden betrafen, zweitens den Umstand, dass sich diese Hersteller und Vertreiber im Rahmen von Fachverbänden trafen, denen sie als Mitglieder angehörten, insbesondere am 14. und 15. Juni 2005 anlässlich eines gemeinsamen Treffens zwischen dem PSOR und dem IVA, und drittens die Tatsache, dass zwei Anwaltskanzleien beauftragt worden waren, die verschiedenen nationalen Behörden von den vermeintlichen Verstößen der ursprünglichen Beschwerdeführerinnen gegen die für den Handel mit Pflanzenschutzmitteln geltenden Rechtsvorschriften in Kenntnis zu setzen.

44      Es ist zwar richtig, dass Art. 101 AEUV streng jeder unmittelbaren oder mittelbaren Fühlungnahme zwischen Unternehmen entgegensteht, die bezweckt oder bewirkt, entweder das Marktverhalten eines gegenwärtigen oder potenziellen Mitbewerbers zu beeinflussen oder einen solchen Mitbewerber über das Marktverhalten ins Bild zu setzen, zu dem sie sich entschlossen haben oder das sie in Erwägung ziehen. Dennoch sind die Unternehmen weiterhin berechtigt, sich dem festgestellten oder erwarteten Verhalten ihrer Mitbewerber mit wachem Sinn anzupassen (Urteile vom 16. Dezember 1975, Suiker Unie u. a./Kommission, 40/73 bis 48/73, 50/73, 54/73 bis 56/73, 111/73, 113/73 und 114/73, EU:C:1975:174, Rn. 174, und vom 20. April 1999, Limburgse Vinyl Maatschappij u. a./Kommission, T‑305/94 bis T‑307/94, T‑313/94 bis T‑316/94, T‑318/94, T‑325/94, T‑328/94, T‑329/94 und T‑335/94, EU:T:1999:80, Rn. 720). Somit können die Unternehmen insbesondere zur Verteidigung ihrer legitimen Interessen tätig werden, wenn ihre Mitbewerber möglicherweise gegen anwendbare Bestimmungen verstoßen haben, wie im vorliegenden Fall gegen die Bestimmungen für den Handel mit Pflanzenschutzmitteln. Umgekehrt erlaubt Art. 7 der Verordnung Nr. 1/2003 Unternehmen wie den Klägerinnen, bei der Kommission eventuelle Verstöße ihrer Mitbewerber gegen die Art. 101 und 102 AEUV anzuzeigen.

45      Im vorliegenden Fall wäre es in Betracht gekommen, allein in dem einseitigen Vorbringen der Klägerinnen in der Beschwerde Hinweise darauf zu sehen, dass sich die in der Beschwerde bezeichneten Körperschaften möglicherweise abgesprochen haben, um eine gemeinsame Strategie festzulegen, um die Verstöße gegen die anwendbaren Bestimmungen anzuzeigen, die die Klägerinnen insbesondere im Zusammenhang mit dem Parallelhandel mit Pflanzenschutzmitteln begangen haben sollen.

46      Was jedoch die Wahrscheinlichkeit betrifft, das Bestehen eines Kartells oder das Vorliegen einer abgestimmten Verhaltensweise festzustellen, ist das Gericht in Anbetracht der Erklärungen einiger der in der Beschwerde bezeichneten Körperschaften, wonach sie den Verstößen der ursprünglichen Beschwerdeführerinnen im selben Zeitraum des Jahres, nämlich zu der Zeit, als der Bedarf der Landwirte an Pflanzenschutzmitteln am höchsten gewesen sei, hätten begegnen müssen, der Ansicht, dass die Kommission keinen offensichtlichen Beurteilungsfehler begangen hat, als sie im angefochtenen Beschluss feststellte, diese Äußerungen seien geeignet, die Gleichzeitigkeit der Anzeigen der Hersteller und Vertreiber dieser Waren bei den nationalen Behörden zu rechtfertigen.

47      Was sodann die Wahrscheinlichkeit betrifft, festzustellen, dass der Gegenstand dieser gleichzeitigen Anzeigen möglicherweise wettbewerbswidrig war, ist das Gericht der Ansicht, dass es allgemein betrachtet vor allem angesichts der Gefahr der Schädigung ihres Rufes oder negativer Auswirkungen auf den ursprünglichen Zustand der vermarkteten Erzeugnisse legitim sein kann, wenn die Hersteller und Vertreiber von Pflanzenschutzmitteln die zuständigen nationalen Behörden von möglichen Verstößen ihrer Wettbewerber gegen geltende Bestimmungen, insbesondere im Zusammenhang mit einem Parallelhandel mit solchen Erzeugnissen, in Kenntnis setzen. In Bezug auf die Teilnahme bestimmter in der Beschwerde bezeichneter Körperschaften an Kontrollen der nationalen Behörden auf dem Firmengelände der Klägerinnen sehen die Unionsregelungen, wie die Verordnung (EG) Nr. 1383/2003 des Rates vom 22. Juli 2003 über das Vorgehen der Zollbehörden gegen Waren, die im Verdacht stehen, bestimmte Rechte geistigen Eigentums zu verletzen, und die Maßnahmen gegenüber Waren, die erkanntermaßen derartige Rechte verletzen (ABl. 2003, L 196, S. 7), und die Verordnung (EU) Nr. 608/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Juni 2013 zur Durchsetzung der Rechte geistigen Eigentums durch die Zollbehörden und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1383/2003 des Rates (ABl. 2013, L 181, S. 15), in bestimmten Fällen die Möglichkeit einer Anwesenheit der Inhaber von Rechten des geistigen Eigentums vor, um bei den Kontrollen mögliche Verletzungen dieser Rechte festzustellen.

48      Die Kommission hat daher ebenfalls keinen offensichtlichen Beurteilungsfehler begangen, als sie im angefochtenen Beschluss feststellte, die in der Beschwerde bezeichneten Körperschaften seien berechtigt gewesen, die nationalen Behörden von den vermeintlichen Verstößen der Klägerinnen gegen die anwendbaren Bestimmungen in Kenntnis gesetzt und erforderlichenfalls mit diesen Behörden im Rahmen der von diesen durchgeführten Kontrollen zusammenzuarbeiten.

49      Zur Gleichsetzung der Verwaltungskontrollen und des verwaltungs- und strafrechtlichen Vorgehens gegen die Klägerinnen mit dem Verhalten der in der Beschwerde bezeichneten Körperschaften stellt das Gericht fest, dass die Entscheidungen, anhand von Dokumenten und vor Ort Kontrollen durchzuführen und gegen die Klägerinnen Verwaltungs- und Strafverfahren einzuleiten, aufgrund deren diese Schwierigkeiten hatten, ihre Geschäftstätigkeiten unter denselben Bedingungen fortzusetzen, den nationalen Behörden zuzuschreiben waren, die, wie die Klägerinnen einräumen, im öffentlichen Interesse handeln und deren Entscheidungen in ihrem Ermessen stehen. Obwohl sie in ihrer Antwort vom 16. Januar 2017 auf bestimmte polnische und österreichische Rechtsvorschriften Bezug nehmen, deren Wortlaut ihre Positionen nicht unbedingt stützt, bleiben die Klägerinnen den Nachweis schuldig, dass diese nationalen Behörden insofern in ihrer Entscheidung gebunden gewesen wären, als sie nach diesen nationalen Rechtsvorschriften die Pflicht gehabt hätten, schon aufgrund von Informationen Dritter allein tätig zu werden.

50      Nach Ansicht des Gerichts war im vorliegenden Fall nicht ausgeschlossen, dass die nationalen Behörden gemäß ihren nationalen Rechtsvorschriften entscheiden konnten, dass die ihnen anonym oder nicht anonym vorgelegten Beweise es nicht erlaubten, Verletzungen der geltenden verwaltungs-, steuer- oder strafrechtlichen Bestimmungen durch die Klägerinnen festzustellen oder zu vermuten, und daher die Einleitung von Verfahren gegen diese nicht rechtfertigten. Im Übrigen wurde, wie die Kommission in Rn. 52 des angefochtenen Beschlusses betonte, ein Teil der Kontrollen der polnischen Behörden, insbesondere im Jahr 2008, jedenfalls von Amts wegen und nicht auf Aufforderung der Mitbewerber der Klägerinnen durchgeführt.

51      Von der Frage der Beurteilung der Zweckmäßigkeit von Kontrollen oder der Einleitung von Schritten gegen die Klägerinnen durch die österreichischen und die polnischen Behörden abgesehen, stellt das Gericht fest, dass nach den von den Klägerinnen übermittelten Daten in Österreich 57 Entscheidungen, die sich jeweils auf ein anderes, von den Klägerinnen vermarktetes Erzeugnis bezogen, aufgrund von Verwaltungsverfahren und ‑kontrollen erlassen wurden, die es den nationalen Behörden ermöglichten, Verstöße der Klägerinnen gegen das anwendbare Recht festzustellen, und dass, was Polen betrifft, gegen die Klägerinnen im Wesentlichen Geldbußen in Höhe von 21 759 969,92 polnischen Złoty (PLN), 48 247 161,60 PLN und 375 056,56 PLN verhängt wurden. In diesem Zusammenhang wurde ein Teil der zuvor genannten Entscheidungen und Geldbußen später von den zuständigen nationalen Gerichten auf die von den Klägerinnen erhobenen Klagen hin teilweise oder ganz aufgehoben. Gleichwohl hatten aber die nationalen Behörden ursprünglich mit nach nationalem Recht getroffenen Entscheidungen festgestellt, dass die Klägerinnen gegen die für den Handel mit Pflanzenschutzmitteln geltenden Bestimmungen verstoßen hätten und dass mögliche Unregelmäßigkeiten der nationalen Behörden jedenfalls nicht den in der Beschwerde bezeichneten Körperschaften zugerechnet werden könnten.

52      Diese Feststellungen der polnischen und österreichischen Behörden konnten, wie die Kommission im vorliegenden Fall befand, das Vorbringen der Klägerinnen relativieren, dass die Erklärungen und Anzeigen, die von den in der Beschwerde bezeichneten Hersteller und Vertreiber von Pflanzenschutzmitteln stammen sollten, täuschend oder irreführend und Teil eines kollektiven Vorgehens mit dem Ziel gewesen seien, die Klägerinnen als Mitbewerber auszuschalten. Das Gericht weist in diesem Zusammenhang im Übrigen darauf hin, dass die Klägerinnen nicht erklären konnten, aus welchen konkreten Gründen sie nicht versucht haben, nach nationalem Recht bei den polnischen und österreichischen nationalen Gerichten Verleumdungsklagen gegen die Gesellschaften zu erheben, denen sie im vorliegenden Fall vorwerfen, täuschende oder irreführende Erklärungen über sie abgegeben zu haben.

53      Vor dem Hintergrund dieser Erwägungen erschien es prima facie nicht offensichtlich, dass es für die Kommission beim derzeitigen Stand des Unionsrechts leicht gewesen wäre, festzustellen, dass das Verhalten der in der Beschwerde bezeichneten Körperschaften, wie es die Klägerinnen beschrieben und dokumentiert hatten, als solches als im Rahmen eines Kartells im Sinne von Art. 101 AEUV oder einer gemeinsamen beherrschenden Stellung im Sinne von Art. 102 AEUV gesetzt angesehen werden konnte.

54      Folglich konnte die Kommission ohne offensichtlichen Beurteilungsfehler im angefochtenen Beschluss die Ansicht vertreten, dass die Wahrscheinlichkeit, einen Verstoß gegen Art. 101 oder Art. 102 AEUV festzustellen, gering erscheine.

55      Soweit die Klägerinnen mit der Beschwerde und der vorliegenden Klage das Verhalten und die Entscheidungen der nationalen Behörden, im vorliegenden Fall der deutschen, der österreichischen und der polnischen, beanstandeten, insbesondere deren Zusammenwirken mit dem Ziel, ihre Aufgabe der Überwachung der Einhaltung der anwendbaren Bestimmungen durch die Pflanzenschutzmittelvertreiber zu erfüllen, ist festzustellen, dass ein solches Verhalten und solche Entscheidungen der Behörden von Mitgliedstaaten nicht in den Anwendungsbereich der Art. 101 und 102 AEUV fallen, da diese Artikel nur das Verhalten von Unternehmen erfassen sollen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 5. April 1984, van de Haar und Kaveka de Meern, 177/82 und 178/82, EU:C:1984:144, Rn. 24). In diesem Zusammenhang nimmt der von den Klägerinnen in der Antwort vom 16. Januar 2017 geltend gemachte Umstand, dass diese Behörden in ihren Entscheidungen, Kontrollen vorzunehmen, möglicherweise durch ihre Anrufung durch bevollmächtigte Anwaltskanzleien beeinflusst worden sind, ihren Entscheidungen nicht den Charakter von Entscheidungen nationaler Behörden.

56      Im Übrigen konnte die Kommission zu Recht die Ansicht vertreten, dass die in der Beschwerde geforderte Untersuchung, die für die Feststellung nötig gewesen wäre, dass ein Verstoß gegen Art. 101 und/oder Art. 102 AEUV vorliegt oder nicht, den Einsatz von beträchtlichen Mitteln erfordert hätte. Obwohl die Klägerinnen nur für bestimmte in der Beschwerde bezeichnete Körperschaften, insbesondere RWA, Beweise vorlegten, erhoben sie doch Vorwürfe gegen eine beträchtliche Anzahl von anderen Gesellschaften und Berufsverbänden.

57      Entgegen dem Vorbringen der Klägerinnen war sodann die Tatsache an sich, dass die Kommission feststellte, die in der Beschwerde geforderte Untersuchung wäre sehr umfangreich, wenn sie eingeleitet werden müsse, kein entscheidendes Kriterium, um sie zu zwingen, eine solche Untersuchung einzuleiten. Das gilt auch für den Umstand, dass das in der Beschwerde gerügte Verhalten in mehreren Mitgliedstaaten gesetzt worden sein soll.

58      Zu diesem Aspekt macht die Kommission im vorliegenden Fall geltend, das in der Beschwerde gerügte Verhalten sei im Wesentlichen auf einen Mitgliedstaat, nämlich Polen, begrenzt gewesen, wo sich die wichtigsten Lager von Agria Polska befunden hätten.

59      Hierzu geht aus der Akte hervor, dass die meisten Schwierigkeiten, die die Klägerinnen in ihren Beziehungen zu den nationalen Behörden hatten, ihre Tätigkeiten in Polen betrafen und nur in geringerem Ausmaß jene in Österreich, auch wenn bestimmte Kontrolltätigkeiten in Österreich stattfanden und in diesem Mitgliedstaat zur Verhängung von Sanktionen gegen die Klägerinnen führten.

60      Das Gericht stellt jedoch fest, dass die Klägerinnen nur in Polen eine nationale Beschwerde einlegten. Sie bestätigten in der Antwort vom 16. Januar 2017, dass sie bei der österreichischen Bundeswettbewerbsbehörde keine entsprechende Beschwerde eingelegt hatten, und haben hierzu in der mündlichen Verhandlung erklärt, sie hätten deshalb bei dieser Behörde keine Beschwerde eingelegt, weil die luxemburgische Gesellschaft Cera Chem beschlossen habe, die Sache vor die Kommission zu bringen, die sie nach der Weigerung des UOKiK, die nationale Beschwerde zu behandeln, für die Einrichtung gehalten hätten, die naturgemäß am besten in der Lage sei, über die Beschwerde zu entscheiden.

61      Unabhängig von diesen Erklärungen ist das Gericht der Ansicht, dass die Klägerinnen bei der Bundeswettbewerbsbehörde eine Beschwerde hätten einlegen können, da sie zum einen RWA vorwerfen, eine österreichische Anwaltskanzlei beauftragt zu haben, die ihrerseits eine polnische Anwaltskanzlei beauftragt habe, Anzeigen bei den nationalen Verwaltungs- und Strafverfolgungsbehörden gegen die Klägerinnen zu erstatten, und da bei ihnen zum anderen im April 2012 eine Inspektion des Bundesamts für Ernährungssicherheit stattfand.

62      Im Übrigen untermauert der Umstand, dass die Klägerinnen nur in Polen eine Beschwerde eingelegt haben, die Tatsache, dass ihrer Meinung nach und nach der von der Kommission im Wesentlichen im angefochtenen Beschluss vertretenen Ansicht das UOKiK möglicherweise am besten in der Lage war, über die in der Beschwerde enthaltenen Rügen zu entscheiden, ebenso wie im Übrigen die polnischen oder die österreichischen Gerichte im Rahmen der Klagen, die die Klägerinnen hätten erheben können, um den Ersatz des Schadens zu erwirken, den sie aufgrund des behaupteten Verstoßes der Hersteller von Pflanzenschutzmitteln gegen die Art. 101 und 102 AUEV erlitten hatten.

63      Auch wenn man annimmt, dass sich die Beschwerde gegen das Verhalten der Mitbewerber der Klägerinnen sowohl in Österreich als auch in Polen und – trotz des Fehlens einschlägiger und gewichtiger Anhaltspunkte dafür – auch in Deutschland und in Luxemburg richtete, kann die Tatsache, dass das behauptete Verhalten in mehreren Mitgliedstaaten, hier vor allem in zwei von ihnen, gesetzt wurde, lediglich darauf hindeuten, dass ein Vorgehen auf Unionsebene wirksamer sein könnte als eine Vielzahl von Initiativen auf nationaler Ebene (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. Dezember 2010, CEAHR/Kommission, T‑427/08, EU:T:2010:517, Rn. 176). Auch ein solches Indiz würde jedoch als solches nicht ausreichen, um die Einleitung einer Untersuchung durch die Kommission zu rechtfertigen.

64      Selbst wenn man davon ausgeht, dass auch die Kommission in gewissem Maß in der Lage gewesen wäre, sich mit dem Fall zu befassen, da das in der Beschwerde gerügte Verhalten mehrere Mitgliedstaaten betraf, und wenn man die Tatsache berücksichtigt, dass das UOKiK die entsprechende nationale Beschwerde aus einem mit einer nationalen Verjährungsbestimmung zusammenhängenden Grund zurückgewiesen hat, hatten die Klägerinnen jedenfalls keinen Anspruch darauf, dass sich die Kommission mit dem Fall befasst (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 17. Dezember 2014, Si.mobil/Kommission, T‑201/11, EU:T:2014:1096, Rn. 40), denn wie aus der Akte hervorgeht, betraf im vorliegenden Fall dieses Verhalten im Wesentlichen nur zwei Mitgliedstaaten, und die Kommission hat ohne offensichtlichen Beurteilungsfehler festgestellt, dass die Möglichkeit, einen eventuellen Verstoß nachzuweisen, begrenzt sei, eine Feststellung, die schon an sich den Schluss auf das Fehlen eines Interesses der Union an der Prüfung der Beschwerde zuließ (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 17. Dezember 2014, Si.mobil/Kommission, T‑201/11, EU:T:2014:1096, Rn. 100 und die dort angeführte Rechtsprechung).

–       Zur Anwendbarkeit der sich aus den Urteilen vom 17. Juli 1998, ITT Promedia/Kommission (T111/96), und vom 1. Juli 2010, AstraZeneca/Kommission (T321/05), ergebenden Rechtsprechung auf den vorliegenden Fall

65      Die Klägerinnen treten der von der Kommission im angefochtenen Beschluss vertretenen Position entgegen, wonach die sich aus den Urteilen vom 17. Juli 1998, ITT Promedia/Kommission (T‑111/96, EU:T:1998:183), und vom 1. Juli 2010, AstraZeneca/Kommission (T‑321/05, EU:T:2010:266), ergebende Rechtsprechung im vorliegenden Fall nicht anwendbar sei und daher nicht erlaube, das koordinierte Verhalten der in der Beschwerde bezeichneten Körperschaften als wettbewerbswidrig zu qualifizieren. Sie sind zudem der Ansicht, die in der Beschwerde beschriebenen Praktiken gäben der Kommission Gelegenheit, das Wettbewerbsrecht der Union weiterzuentwickeln, was einer der in der Bekanntmachung der Kommission über die Behandlung von Beschwerden gemäß Artikel [101 AEUV] und [102 AEUV] (ABl. 2004, C 101, S. 65) in der berichtigten Fassung (ABl. 2004, C 148, S. 10) anerkannten Gründe sei.

66      In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass die Kommission im angefochtenen Beschluss die Schwierigkeit, die in der Beschwerde gerügten Zuwiderhandlungen festzustellen, insbesondere damit rechtfertigte, dass die Tatsache, dass Unternehmen die nationalen Behörden von möglichen Verstößen, wie sie es ausdrückt, in Kenntnis gesetzt hätten, bzw. diese Verstöße bei den nationalen Behörden, wie es die Klägerinnen ausdrücken, angezeigt hätten, nicht von den Begriffen „böswillige Klage“ oder „Missbrauch regulatorischer Verfahren“ im Sinne der zum Begriff des Missbrauchs einer beherrschenden Stellung entwickelten Rechtsprechung umfasst sei, die sich aus den Urteilen vom 17. Juli 1998, ITT Promedia/Kommission (T‑111/96, EU:T:1998:183), und vom 1. Juli 2010, AstraZeneca/Kommission (T‑321/05, EU:T:2010:266), ergebe. Daher ist die Relevanz dieser Rechtsprechung im vorliegenden Fall zu prüfen.

67      In den Rn. 60 und 61 des Urteils vom 17. Juli 1998, ITT Promedia/Kommission (T‑111/96, EU:T:1998:183), die in Verbindung mit Rn. 55 dieses Urteils zu lesen sind, hat das Gericht darauf hingewiesen, dass der Zugang zu den Gerichten, auch für ein Unternehmen in beherrschender Stellung, ein Grundrecht ist und ein allgemeines Prinzip darstellt, das die Wahrung des Rechts sicherstellt, und dass daher die Erhebung einer Klage durch ein Unternehmen in beherrschender Stellung gegen seinen Wettbewerber nur unter ganz außergewöhnlichen Umständen als Missbrauch einer beherrschenden Stellung im Sinne des Art. 102 AEUV zu beurteilen sein kann. Somit müssen in der Praxis zwei Bedingungen kumulativ erfüllt sein, um den Schluss ziehen zu können, dass eine Klage einen Missbrauch einer beherrschenden Stellung darstellt. Erstens darf die Klage vernünftigerweise nicht als Geltendmachung der Rechte des betreffenden Unternehmens verstanden werden können und daher nur dazu dienen können, den Gegner zu belästigen, und zweitens muss sie Teil eines Planes sein, mit dem der Wettbewerb beseitigt werden soll. Diese beiden Bedingungen sind restriktiv auszulegen und anzuwenden, um die Anwendung des allgemeinen Grundsatzes des freien Zugangs zu den Gerichten nicht zu beeinträchtigen (Urteil vom 13. September 2012, Protégé International/Kommission, T‑119/09, nicht veröffentlicht, EU:T:2012:421, Rn. 49).

68      In der Rechtssache, in der das Urteil vom 1. Juli 2010, AstraZeneca/Kommission (T‑321/05, EU:T:2010:266), ergangen ist, hat der Unionsrichter festgestellt, dass ein Unternehmen in beherrschender Stellung „regulatorische Verfahren“ nicht in einer Weise in Anspruch nehmen darf, durch die der Marktzutritt für Wettbewerber vereitelt oder erschwert wird, wenn es weder Gründe gibt, die mit der Verteidigung der berechtigten Interessen eines im Leistungswettbewerb stehenden Unternehmens zusammenhängen, noch objektive Rechtfertigungen bestehen (Urteil vom 1. Juli 2010, AstraZeneca/Kommission, T‑321/05, EU:T:2010:266, Rn. 672 und 817, im Rechtsmittelverfahren bestätigt durch Urteil vom 6. Dezember 2012, AstraZeneca/Kommission, C‑457/10 P, EU:C:2012:770, Rn. 134). Der Gerichtshof ist der Auffassung, dass die Rechtswidrigkeit eines missbräuchlichen Verhaltens im Sinne von Art. 102 AEUV nichts mit der Frage zu tun hat, ob das Verhalten mit anderen Rechtsvorschriften im Einklang steht oder nicht, und dass die Missbräuche einer beherrschenden Stellung meist in Verhaltensweisen liegen, die – in anderen Rechtsgebieten als dem Wettbewerbsrecht – sonst rechtmäßig sind (Urteil vom 6. Dezember 2012, AstraZeneca/Kommission, C‑457/10 P, EU:C:2012:770, Rn. 132).

69      In den Urteilen vom 17. Juli 1998, ITT Promedia/Kommission (T‑111/96, EU:T:1998:183), und vom 1. Juli 2010, AstraZeneca/Kommission (T‑321/05, EU:T:2010:266), ging es jedoch um ein Verhalten, das anders gelagert war als das Verhalten, das die Klägerinnen im vorliegenden Fall den in der Beschwerde bezeichneten Unternehmen zuschreiben.

70      Es ist nämlich festzustellen, dass in den beiden Rechtssachen, in denen die Urteile vom 17. Juli 1998, ITT Promedia/Kommission (T‑111/96, EU:T:1998:183), und vom 1. Juli 2010, AstraZeneca/Kommission (T‑321/05, EU:T:2010:266), ergangen sind, die von den betreffenden Unternehmen in beherrschender Stellung angerufenen Verwaltungs- und Justizbehörden bei der Beurteilung, ob es zweckmäßig sei oder nicht, dem Ersuchen dieser Unternehmen nachzukommen, kein Ermessen besaßen, ob es sich nun um eine vor einem nationalen Gericht erhobene Widerklage oder um die Entscheidung eines Unternehmens handelte, seinen Antrag auf Genehmigung des Inverkehrbringens eines Medikaments zurückzuziehen. Zum einen war das mit dieser Widerklage angerufene Gericht verpflichtet, über diese zu entscheiden. Zum anderen konnte die Behörde, die die Genehmigung des Inverkehrbringens erteilt hatte, diese Genehmigung nicht gegen den Willen ihres Inhabers aufrechterhalten.

71      Wie in den Rn. 49 und 50 des vorliegenden Urteils festgestellt worden ist, hätten demgegenüber die Verwaltungs- und Strafverfolgungsbehörden, die im vorliegenden Fall entschieden, die Klägerinnen zu kontrollieren oder gegen sie rechtliche Schritte einzuleiten oder gar Sanktionen zu verhängen, diese Entscheidungen unabhängig von den Informationen treffen können, die ihnen die Hersteller und Vertreiber von Pflanzenschutzmitteln übermittelt haben sollen. Umgekehrt hätten sie auf der Grundlage der ihnen übermittelten Informationen, einschließlich derer, die anonym übermittelt wurden, auch feststellen können, es bestehe keine Notwendigkeit, Kontrollen durchzuführen oder Schritte gegen die Klägerinnen einzuleiten.

72      Folglich ist das Gericht – abgesehen davon, dass die Feststellung einer gemeinsamen beherrschenden Stellung der in der Beschwerde bezeichneten Unternehmen oder einer beherrschenden Stellung eines dieser Unternehmen, im vorliegenden Fall von RWA, auf der Grundlage der in der Beschwerde angeführten Beweise nicht offensichtlich war – der Ansicht, dass die Kommission ohne offensichtlichen Beurteilungsfehler befinden konnte, dass die Wahrscheinlichkeit, im vorliegenden Fall einen Verstoß gegen die Art. 101 und/oder 102 AEUV festzustellen, gering sei, und zwar auch deswegen, weil nicht offensichtlich war, dass das betreffende Verhalten im vorliegenden Fall unter den Begriff des Missbrauchs einer beherrschenden Stellung im Sinne der Rechtsprechung fallen konnte, die sich aus den Urteilen vom 17. Juli 1998, ITT Promedia/Kommission (T‑111/96, EU:T:1998:183), und vom 1. Juli 2010, AstraZeneca/Kommission (T‑321/05, EU:T:2010:266), ergibt. Diese Feststellung wird dadurch untermauert, dass der Unionsrichter im Urteil vom 17. Juli 1998, ITT Promedia/Kommission (T‑111/96, EU:T:1998:183), auf den Ausnahmecharakter der Anerkennung eines Missbrauchs einer beherrschenden Stellung in der Situation, um die es in jener Rechtssache ging, hingewiesen hat.

73      In Anbetracht des weiten Ermessensspielraums, über den die Kommission verfügen muss, wenn sie Prioritäten für die Weiterentwicklung des Wettbewerbsrechts der Union setzt, kann entgegen dem Vorbringen der Klägerinnen der Umstand, dass eine Rechtssache möglicherweise zur Weiterentwicklung dieses Rechts hinsichtlich eines neuen Aspekts beitragen kann, nicht dazu führen, dass die Kommission gezwungen ist, eine Untersuchung durchzuführen.

74      Nach alledem ist der erste Teil des zweiten Klagegrundes als unbegründet zurückzuweisen.

 Zum zweiten Teil des zweiten Klagegrundes: praktische Wirksamkeit der Art. 101 und 102 AEUV

75      Im Rahmen des zweiten Teils des zweiten Klagegrundes tragen die Klägerinnen vor, die Kommission habe die Art. 101 und 102 AEUV im vorliegenden Fall dadurch, dass sie keine Untersuchung eingeleitet habe, jeglicher praktischen Wirksamkeit beraubt.

76      Durch den angefochtenen Beschluss und unter Berücksichtigung der Weigerung des UOKiK, in Polen eine Untersuchung einzuleiten, und der Schwierigkeit, ja sogar Unmöglichkeit, in der Praxis einen Ersatz des erlittenen Schadens vor nationalen Gerichten zu erlangen, hätten die von den in der Beschwerde bezeichneten Körperschaften begangenen Verstöße gegen das Wettbewerbsrecht nicht geahndet werden können, und zwar weder durch eine Wettbewerbsbehörde noch durch ein nationales Gericht, obwohl auch der freie Warenverkehr, insbesondere der Handel mit Pflanzenschutzmitteln, gefährdet gewesen sei und obwohl die Kommission eine echte Gelegenheit zur sachgerechten Weiterentwicklung des Wettbewerbsrechts der Union gehabt habe.

77      Zu dem Umstand, dass das UOKiK beschlossen hat, von einer Verfolgung der nationalen Beschwerde aufgrund der im polnischen Recht vorgesehenen Verjährungsfrist von einem Jahr, die ab Ende des Jahres, in dem die behauptete Zuwiderhandlung beendet wurde, zu laufen beginnt, abzusehen, ist vorab festzustellen, dass diese Entscheidung der nationalen Wettbewerbsbehörde, die keine Beurteilung enthält, ob gegen die Art. 101 und 102 AEUV verstoßen wurde oder nicht, nicht dazu führen kann, dass die Kommission gezwungen ist, eine Untersuchung einzuleiten (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. Januar 2015, easyJet Airline/Kommission, T‑355/13, EU:T:2015:36, Rn. 28).

78      Zudem ist darauf hinzuweisen, dass das Erfordernis der Wirksamkeit nicht dazu führen kann, dass die Kommission, wenn sie das Fehlen des Unionsinteresses an der Einleitung einer Untersuchung feststellt, verpflichtet ist, zu prüfen, ob die betreffende Wettbewerbsbehörde über die institutionellen, finanziellen und technischen Mittel verfügt, um die ihr durch die Verordnung Nr. 1/2003 übertragene Aufgabe zu erfüllen (vgl. entsprechend Urteil vom 17. Dezember 2014, Si.mobil/Kommission, T‑201/11, EU:T:2014:1096, Rn. 57).

79      Jedenfalls haben die Klägerinnen nicht nachgewiesen, dass das UOKiK nicht die Absicht gehabt hätte, Verstöße gegen die Art. 101 und 102 AEUV zu verfolgen und zu ahnden. Ebenso weisen sie in keiner Weise nach, inwiefern die im polnischen Recht vorgesehene Verjährungsfrist, auf die die Zurückweisung der nationalen Beschwerde gestützt war und die mangels einer ratione temporis anwendbaren Bestimmung des Unionsrechts unter die Verfahrensautonomie der Republik Polen fiel, dazu geeignet war, die Geltendmachung der Ansprüche, die sie aus diesen Bestimmungen des AEUV ableiteten, unmöglich zu machen oder übermäßig zu erschweren (vgl. in diesem Sinne und entsprechend Urteile vom 13. Juli 2006, Manfredi u. a., C‑295/04 bis C‑298/04, EU:C:2006:461, Rn. 77 und 78). Im Übrigen haben die Klägerinnen in der mündlichen Verhandlung eingeräumt, dass sie in der nationalen Beschwerde und im Schreiben vom 30. August 2010 dem UOKiK keine Beweise zur Beurteilung vorgelegt hatten, die sich auf einen Zeitraum nach dem Jahr 2008 bezogen, obwohl, wie die Kommission insbesondere in der Stellungnahme vom 6. Februar 2017 betont hat, die Lager und Hauptgeschäftsstellen von Agri Polska Gegenstand von Inspektionen der polnischen Behörden im Laufe der Monate Mai bis Juni 2010 gewesen waren.

80      Außerdem weist das Gericht darauf hin, dass es allgemein und wie in Art. 6 der Verordnung Nr. 1/2003 festgestellt wird, den nationalen Gerichten, die im Rahmen ihrer Zuständigkeit die Bestimmungen der Art. 101 und 102 AEUV anzuwenden haben, die in den Beziehungen zwischen Einzelnen unmittelbare Wirkung erzeugen und unmittelbar in deren Person Rechte entstehen lassen, obliegt, die volle Wirkung dieser Bestimmungen zu gewährleisten und die Rechte zu schützen, die sie dem Einzelnen verleihen (Urteil vom 20. September 2001, Courage und Crehan, C‑453/99, EU:C:2001:465, Rn. 23 und 25).

81      Folglich stand es den Klägerinnen frei, vor den polnischen und den österreichischen Gerichten Klagen auf Ersatz des Schadens zu erheben, der ihnen aufgrund der ihrer Meinung nach im Widerspruch zu den Art. 101 und 102 AEUV stehenden Verhaltensweisen oder Maßnahmen der Hersteller und Vertreiber von Pflanzenschutzmitteln entstanden sein soll. Jede natürliche oder juristische Person kann Ersatz des ihr entstandenen Schadens verlangen, wenn zwischen dem Schaden und einem nach Art. 101 oder 102 AEUV verbotenen Kartell oder Verhalten ein ursächlicher Zusammenhang besteht (Urteil vom 13. Juli 2006, Manfredi u. a., C‑295/04 bis C‑298/04, EU:C:2006:461, Rn. 61).

82      In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass die mögliche Weigerung einer nationalen Wettbewerbsbehörde oder der Kommission, eine Untersuchung einzuleiten, die dazu führen kann, dass eine dieser Verwaltungsbehörden das Vorhandensein eines Verstoßes gegen die Wettbewerbsregeln prüft und gegebenenfalls gegen die von dieser Untersuchung betroffenen Unternehmen eine Geldbuße verhängt, keine Beschränkung des Rechts der Klägerinnen bewirken kann, die nationalen Gerichte mit Klagen auf Ersatz des Schadens zu befassen, der durch den Verstoß gegen die Art. 101 und 102 AEUV entstanden ist.

83      Unter diesen Umständen können die Klägerinnen auch in einem Kontext, in dem die nationale Wettbewerbsbehörde, im vorliegenden Fall das UOKiK, die nationale Beschwerde aus einem mit einer nationalen Verjährungsbestimmung zusammenhängenden Grund zurückgewiesen hatte, und auch wenn eine mögliche Untersuchung der Kommission den Klägerinnen die Beweisführung im Rahmen von Klagen vor den nationalen Gerichten hätte erleichtern können, nicht mit Erfolg geltend machen, der angefochtene Beschluss, mit dem die Kommission die Eileitung einer Untersuchung abgelehnt hat, habe zur Folge gehabt, die Art. 101 und 102 AEUV jeglicher praktischen Wirksamkeit zu berauben.

84      Im Übrigen weist das Gericht darauf hin, dass Schadensersatzklagen vor den nationalen Gerichten ebenso wie die Maßnahmen der Kommission und der nationalen Wettbewerbsbehörden wesentlich zur Aufrechterhaltung eines wirksamen Wettbewerbs in der Union beitragen können (Urteil vom 20. September 2001, Courage et Crehan, C‑453/99, EU:C:2001:465, Rn. 27) und dass, insbesondere wenn die Kommission beschließt, einer Beschwerde nicht stattzugeben, ein Kläger vor einem nationalen Gericht seine Rechte aus den Art. 101 und 102 AEUV geltend machen kann (vgl. Urteil vom 18. März 1997, Guérin automobiles/Kommission, C‑282/95 P, EU:C:1997:159, Rn. 39 und die dort angeführte Rechtsprechung).

85      Nach alledem ist der zweite Teil des zweiten Klagegrundes zurückzuweisen.

86      Aus den in Rn. 42 bis 84 des vorliegenden Urteils angestellten Erwägungen ergibt sich somit, dass die Kommission im angefochtenen Beschluss keinen offensichtlichen Beurteilungsfehler begangen hat, als sie das Ausmaß der möglichen Beeinträchtigung des Funktionierens des Binnenmarkts durch die Zuwiderhandlung, die Wahrscheinlichkeit des Nachweises ihres Vorliegens sowie den Umfang der notwendigen Ermittlungsmaßnahmen gegeneinander abgewogen hat.

87      Der zweite Klagegrund ist daher als unbegründet zurückzuweisen.

 Zum ersten Klagegrund

88      Im Rahmen des ersten Klagegrundes machen die Klägerinnen geltend, die Kommission habe ihren Anspruch auf wirksamen Rechtsschutz verletzt, der sowohl in Art. 13 der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (im Folgenden: EMRK) als auch in Art. 47 der Charta der Grundrechte verankert sei. Dies habe ihren Ruf und die Möglichkeiten, ihren Parallelhandel auszubauen, schwer beeinträchtigt. Sie beziffern diesen Schaden, zumindest was Agria Polska betrifft, auf 45 868 000 PLN.

89      Die Klägerinnen sind der Ansicht, sie müssten in einem Fall wie dem vorliegenden, in dem ihre Rechte dadurch verletzt worden seien, dass die in der Beschwerde bezeichneten Körperschaften das Wettbewerbsrecht der Union verletzt hätten, ein Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf haben. Durch die Weigerung, eine Untersuchung einzuleiten, obwohl sich bereits das UOKiK mit einer nach polnischem Recht nicht anfechtbaren Entscheidung geweigert habe, eine nationale Untersuchung einzuleiten, habe die Kommission sie jeglicher Möglichkeit beraubt, den Beschluss Letzterer, mit der eine Verletzung von Art. 101 oder Art. 102 AEUV hätte festgestellt werden müssen, in der Sache anzufechten. Nur wenn die Kommission mit einem solchen Beschluss in der Sache entschieden hätte, hätte den Klägerinnen ein Rechtsbehelf gegen diesen Beschluss vor dem Gericht zur Verfügung gestanden. Somit sei der einzige wirksame Rechtsbehelf, der den Schutz der ihnen durch den AEU-Vertrag und das abgeleitete Recht der Union gewährten Rechte gewährleiste, gerade die Eröffnung einer Untersuchung durch die Kommission.

90      Entgegen der Feststellung der Kommission im angefochtenen Beschluss sei die Erhebung von Klagen durch die Klägerinnen vor den nationalen Gerichten gegen die in der Beschwerde und in der nationalen Beschwerde bezeichneten Körperschaften, möglicherweise auf dem Gebiet des Zivil-, Steuer- Verwaltungs-, Handels- oder Strafrechts, etwa wegen Beweisfälschung, Verleumdung oder Verletzung berufsethischer Regeln, für sie kein geeignetes Mittel, um den Ersatz des Schadens zu erlangen, der in unmittelbarem Zusammenhang mit dem in der Beschwerde geltend gemachten Verstoß gegen die Art. 101 und/oder 102 AEUV stehe. Zum einen seien bestimmte Klagen aufgrund der Anwendung einer im nationalen Recht vorgesehenen Verjährungsfrist von drei Jahren für Klagen in Bezug auf die Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit nach polnischem Recht verjährt. Zum anderen seien die polnischen Gerichte noch nicht bereit, einen wirksamen Schutz der nach den Art. 101 und 102 AEUV garantierten Rechte von Unternehmen sicherzustellen.

91      Die Kommission beantragt, den Klagegrund als unbegründet zurückzuweisen.

92      Vorab weist das Gericht darauf hin, dass nach Art. 47 Abs. 1 der Charta der Grundrechte jede Person, deren durch das Recht der Union garantierte Rechte oder Freiheiten verletzt worden sind, das Recht hat, nach Maßgabe der in diesem Artikel vorgesehenen Bedingungen bei einem Gericht einen wirksamen Rechtsbehelf einzulegen. Hierbei handelt es sich um einen allgemeinen Grundsatz des Unionsrechts, der sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten ergibt und der in den Art. 6 und 13 EMRK verankert ist. Nach den Erläuterungen zu Art. 47 der Charta der Grundrechte, die gemäß Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 3 EUV und Art. 52 Abs. 7 der Charta der Grundrechte für deren Auslegung zu berücksichtigen sind, entspricht Art. 47 Abs. 2 der Charta der Grundrechte Art. 6 Abs. 1 EMRK (Urteil vom 22. Dezember 2010, DEB, C‑279/09, EU:C:2010:811, Rn. 29 und 32).

93      Erstens ist hinsichtlich des Vorbringens der Klägerinnen zum Verstoß gegen ihren Anspruch auf wirksamen Rechtsschutz vor dem Gericht darauf hinzuweisen, dass natürliche und juristische Personen, die nach Art. 7 der Verordnung Nr. 1/2003 eine Beschwerde einzureichen berechtigt sind, bei völliger oder teilweiser Ablehnung ihrer Beschwerde über eine Klagemöglichkeit zum Schutz ihrer berechtigten Interessen verfügen (Urteil vom 25. Oktober 1977, Metro SB-Großmärkte/Kommission, 26/76, EU:C:1977:167, Rn. 13). Im vorliegenden Fall haben die Klägerinnen von dieser Klagemöglichkeit gerade dadurch Gebrauch gemacht, dass sie die vorliegende Klage nach Art. 263 AEUV erhoben haben.

94      Was zweitens die Tatsache angeht, dass die Klägerinnen von der Kommission einen Beschluss erwirken wollten, in dem festgestellt wird, ob die behaupteten Verstöße gegen die Art. 101 und/oder 102 AEUV stattgefunden haben, um nötigenfalls gegen einen solchen Beschluss Klage nach Art. 263 AEUV erheben zu können, ist darauf hinzuweisen, dass Art. 7 der Verordnung Nr. 1/2003 für den Beschwerdeführer keinen Anspruch auf eine abschließende Entscheidung der Kommission über das Vorliegen der geltend gemachten Zuwiderhandlung begründet und die Kommission nicht verpflichtet, das Verfahren unter allen Umständen bis zu einer endgültigen Entscheidung fortzusetzen (Urteil vom 18. Oktober 1979, GEMA/Kommission, 125/78, EU:C:1979:237, Rn. 18, und Beschluss vom 31. März 2011, EMC Development/Kommission, C‑367/10 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2011:203, Rn. 73).

95      Im Übrigen kann der Ansicht der Klägerinnen, dass die Kommission systematisch eine Untersuchung einleiten müsse, wenn eine Beschwerde, die der bei ihr eingereichten entspreche, bereits zuvor, möglicherweise zu Unrecht, von einer nationalen Wettbewerbsbehörde aus Gründen der Verjährung zurückgewiesen worden sei, deshalb nicht gefolgt werden, weil dies nicht mit dem Ziel von Art. 13 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 vereinbar ist, im Sinne der Effizienz die Ressourcen innerhalb des Europäischen Wettbewerbsnetzes optimal zu verteilen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. Januar 2015, easyJet Airline/Kommission, T‑355/13, EU:T:2015:36, Rn. 37). Jedenfalls begründet weder die Verordnung Nr. 1/2003 noch die Bekanntmachung der Kommission über die Zusammenarbeit innerhalb des Netzes der Wettbewerbsbehörden (ABl. 2004, C 101, S. 43) Rechte oder Erwartungen für ein Unternehmen dahin gehend, dass sein Fall von einer bestimmten Wettbewerbsbehörde behandelt wird (vgl. Urteil vom 17. Dezember 2014, Si.mobil/Kommission, T‑201/11, EU:T:2014:1096, Rn. 39 und die dort angeführte Rechtsprechung), damit sich das Unternehmen gegebenenfalls die Beweise zunutze machen kann, die von dieser Behörde kraft ihrer Ermittlungsbefugnisse erhoben wurden.

96      Drittens beklagen die Klägerinnen im Wesentlichen zum einen das Fehlen jeglichen Rechtsbehelfs auf nationaler Ebene, der es erlauben würde, wirksam den Ersatz des Schadens zu erlangen, den sie aufgrund des Verhaltens der in der Beschwerde bezeichneten Gesellschaften, das nicht Gegenstand einer Untersuchung des UOKiK gewesen sei, erlitten zu haben glauben, und zum anderen das Fehlen eines Rechtsbehelfs gegen die Entscheidung des UOKiK, aus Gründen der Verjährung keine nationale Untersuchung einzuleiten, da der Naczelny Sąd Administracyjny (Oberster Verwaltungsgerichtshof, Polen) in einer entsprechenden Rechtssache im Beschluss II GSK 1035/11 vom 12. Juli 2011 entschieden habe, dass „eine Äußerung [des Präsidenten des UOKiK] betreffend das Fehlen einer Grundlage für die Eröffnung eines Kartellverfahrens nicht als Entscheidung angesehen werden kann, mit der die Eröffnung eines Verfahrens abgelehnt wird“, und dass „das Schreiben des Präsidenten des UOKiK [in dieser Hinsicht] informativen Charakter hat und nicht als Handlung oder Maßnahme im Sinne von Art. 3 Abs. 2 Nr. 4 der Verfahrensordnung für die [polnischen] Verwaltungsgerichte angesehen werden kann“.

97      Obwohl die Kommission in der mündlichen Verhandlung eingeräumt hat, dass nicht ausgeschlossen sei, dass diese Rechtsprechung des Naczelny Sąd Administracyjny (Oberster Verwaltungsgerichtshof) gegen die Art. 101 und 102 AEUV verstoße und später die Einleitung eines Verfahrens gegen die Republik Polen rechtfertigen könne, weist das Gericht hierzu darauf hin, dass das Verfahren nach Art. 7 der Verordnung Nr. 1/2003 einem anderen Zweck dient als dem, Feststellungen über mögliche Verstöße der Behörden, einschließlich der Gerichte, der Mitgliedstaaten zu treffen, da dies unter das in Art. 258 AEUV vorgesehene Vertragsverletzungsverfahren fällt (vgl. in diesem Sinne Beschluss vom 29. September 1997, Sateba/Kommission, T‑83/97, EU:T:1997:140, Rn. 39), und dass die tatsächlich anwendbaren Bestimmungen nicht durch den Versuch umgangen werden dürfen, dass ein Art. 258 AEUV unterliegendes Verfahren dieser Bestimmung entzogen und künstlich den Bestimmungen der Verordnung Nr. 1/2003 unterworfen wird (vgl. Beschluss vom 19. Februar 1997, Intertronic/Kommission, T‑117/96, EU:T:1997:16, Rn. 24 und die dort angeführte Rechtsprechung).

98      Demgemäß ist das Vorbringen der Klägerinnen zurückzuweisen, mit dem sie zum einen die Kürze der für das UOKiK geltenden Verjährungsfrist für die Behandlung von wettbewerbswidrigem Verhalten sowie der dreijährigen Verjährungsfrist für Klagen von Unternehmen nach polnischem Recht und zum anderen das Fehlen eines Rechtsbehelfs im polnischen Recht gegen die Entscheidung des UOKiK, keine nationale Untersuchung einzuleiten, rügen.

99      Unabhängig von der Weigerung des UOKiK, eine nationale Untersuchung einzuleiten, war es den Klägerinnen jedenfalls möglich, vor den nationalen Gerichten und nach nationalem Recht Klagen auf Ersatz des behaupteten Schadens aufgrund der Verstöße der in der Beschwerde bezeichneten Körperschaften gegen die Art. 101 und/oder 102 AEUV zu erheben. Zum einen ist der Umstand, dass bei Einreichung der nationalen Beschwerde entgegen dem ratione temporis anwendbaren polnischen Recht die Richtlinie 2014/104/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. November 2014 über bestimmte Vorschriften für Schadensersatzklagen nach nationalem Recht wegen Zuwiderhandlungen gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen der Mitgliedstaaten und der Europäischen Union (ABl. 2014, L 349, S. 1) eine längere Verjährungsfrist für solche Klagen vorsah, nämlich im konkreten Fall eine Frist von fünf Jahren, irrelevant, da die Frist für die Umsetzung dieser Richtlinie zum Zeitpunkt der Einreichung dieser Beschwerde noch nicht abgelaufen war. Zum anderen kann eine solche Situation selbst dann, wenn die Klägerinnen tatsächlich nicht über einen angemessenen Rechtsbehelf vor den nationalen Gerichten verfügt haben sollten, um den Ersatz dieses Schadens im Wege der privaten Durchsetzung der Wettbewerbsregeln zu erwirken, nicht dazu führen, dass die Kommission gezwungen ist, auf Unionsebene eine Untersuchung im Wege der öffentlichen Durchsetzung dieser Regeln einzuleiten.

100    Im Übrigen haben die Klägerinnen erklärt, sie hätten vor dem Sąd Okręgowy w Warszawie (Bezirksgericht Warschau, Polen) eine auf das polnische Recht gestützte Schadensersatzklage erhoben, um den Ersatz des Schadens zu erlangen, der ihnen aufgrund der Fehlerhaftigkeit der Entscheidungen der Beamten der polnischen Kontrollbehörden und der Intervention von RWA bei diesen Beamten, um sie zum Erlass solcher Entscheidungen zu bewegen, entstanden sei.

101    Schließlich ist das Vorbringen betreffend einen Verstoß der Kommission gegen Art. 1 des Protokolls Nr. 1 zur EMRK entsprechend dem Vorbringen der Kommission als unzulässig zurückzuweisen, da die Argumentation der Klägerinnen in diesem Zusammenhang dem Klarheitsgebot nach Art. 76 der Verfahrensordnung des Gerichts nicht genügt.

102    Aufgrund der vorstehenden Erwägungen ist der erste Klagegrund zurückzuweisen und daher die Klage insgesamt abzuweisen.

 Kosten

103    Nach Art. 134 Abs. 1 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen.

104    Da die Klägerinnen unterlegen sind, sind ihnen gemäß dem Antrag der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Erste Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1.      Die Klage wird abgewiesen.

2.      Die Agria Polska sp. z o.o., die Agria Chemicals Poland sp. z o.o., die Star Agro Analyse und Handels GmbH und die Agria Beteiligungsgesellschaft mbH tragen die Kosten.

Pelikánová

Nihoul

Svenningsen

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 16. Mai 2017.

Unterschriften


Leave a Comment

Schreibe einen Kommentar