T-268/18 – Luciano Sandrone/ EUIPO – J. García Carrión (Luciano Sandrone)

T-268/18 – Luciano Sandrone/ EUIPO – J. García Carrión (Luciano Sandrone)

CURIA – Documents

Language of document : ECLI:EU:T:2019:452

Vorläufige Fassung

URTEIL DES GERICHTS (Siebte Kammer)

27. Juni 2019(*)

„Unionsmarke – Widerspruchsverfahren – Anmeldung der Unionswortmarke Luciano Sandrone – Ältere Unionswortmarke DON LUCIANO – Ernsthafte Benutzung der älteren Marke – Art. 47 Abs. 2 und 3 der Verordnung (EU) 2017/1001 – Relatives Eintragungshindernis – Art. 8 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung 2017/1001 – Anmeldung einer aus einem Vor- und einem Nachnamen bestehenden Wortmarke – Aus einem Titel und einem Vornamen bestehende ältere Marke – Neutralität des begrifflichen Vergleichs – Keine Verwechslungsgefahr“

In der Rechtssache T‑268/18,

Luciano Sandrone mit Wohnsitz in Barolo (Italien), Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt A. Borra,

Kläger,

gegen

Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO), vertreten durch K. Kompari und H. O’Neill als Bevollmächtigte,

Beklagter,

andere Beteiligte im Verfahren vor der Beschwerdekammer des EUIPO:

J. García Carrión, SA mit Sitz in Jumilla (Spanien),

betreffend eine Klage gegen die Entscheidung der Zweiten Beschwerdekammer des EUIPO vom 26. Februar 2018 (Sache R 1207/2017‑2) zu einem Widerspruchsverfahren zwischen J. García Carrión und Luciano Sandrone

erlässt

DAS GERICHT (Siebte Kammer)

unter Mitwirkung der Präsidentin V. Tomljenović sowie der Richter E. Bieliūnas und A. Kornezov (Berichterstatter),

Kanzler: R. Ūkelytė, Verwaltungsrätin,

aufgrund der am 27. April 2018 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Klageschrift,

aufgrund der am 1. August 2018 eingegangenen Klagebeantwortung,

auf die mündliche Verhandlung vom 28. Februar 2019

folgendes

Urteil(1)

[nicht wiedergegeben]

 Anträge der Parteien

13      Der Kläger beantragt,

–        die angefochtene Entscheidung aufzuheben;

–        dem EUIPO die Kosten aufzuerlegen.

14      Das EUIPO beantragt,

–        die Klage abzuweisen;

–        dem Kläger die Kosten aufzuerlegen.

 Rechtliche Würdigung

15      Der Kläger stützt seine Klage im Wesentlichen auf zwei Klagegründe. Er rügt erstens, dass die Beschwerdekammer gegen Art. 47 Abs. 2 und 3 der Verordnung 2017/1001 verstoßen habe, und zweitens, dass sie Art. 8 Abs. 1 Buchst. b dieser Verordnung verkannt habe.

[nicht wiedergegeben]

 Zum Verstoß gegen Art. 8 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung 2017/1001

[nicht wiedergegeben]

 Zum Vergleich der Zeichen

[nicht wiedergegeben]

62      Im vorliegenden Fall handelt es sich sowohl bei der älteren Marke als auch bei dem angemeldeten Zeichen um Wortzeichen. Die Beschwerdekammer war, bevor sie die einander gegenüberstehenden Zeichen in bildlicher, klanglicher und begrifflicher Hinsicht verglichen hat, nicht der Auffassung, dass sie einen dominierenden Bestandteil enthielten. Erst im Zuge dieses Vergleichs hat sie erstens in Bezug auf die ältere Marke festgestellt, dass das Wort „luciano“ kennzeichnungskräftiger sei als das Wort „don“ (Rn. 51 der angefochtenen Entscheidung). Zweitens hat sie in Bezug auf das angemeldete Zeichen ausgeführt, dass die Kennzeichnungskraft des Bestandteils „luciano“ geringer sei als die des Bestandteils „sandrone“, der für die spanischen, französischen, italienischen und portugiesischen Verkehrskreise einen höheren Eigenwert habe, da es sich um einen seltenen Familiennamen handele. Dies gelte allerdings nicht für das gesamte Unionsgebiet, u. a. nicht für Deutschland und Finnland, wo der Bestandteil „luciano“ genauso kennzeichnungskräftig sei wie der Bestandteil „sandrone“ (Rn. 48 und 50 der angefochtenen Entscheidung).

63      Der Kläger tritt dieser letzteren Schlussfolgerung entgegen.

64      Daher ist zu prüfen, ob die Beschwerdekammer die kennzeichnungskräftigen und dominierenden Bestandteile der einander gegenüberstehenden Zeichen zutreffend beurteilt hat.

–       Zu den kennzeichnungskräftigen und dominierenden Bestandteilen der einander gegenüberstehenden Zeichen

65      Das angemeldete Zeichen besteht aus zwei Wörtern, nämlich dem aus sieben Buchstaben bestehenden Wort „luciano“ und dem aus acht Buchstaben bestehenden Wort „sandrone“. Die ältere Marke besteht ebenfalls aus zwei Wörtern, nämlich dem aus drei Buchstaben bestehenden Wort „don“ und dem aus sieben Buchstaben bestehenden Wort „luciano“.

66      Zur älteren Marke ist festzustellen, dass der Bestandteil „luciano“ gegenüber dem Bestandteil „don“ ein größeres Gewicht besitzt, und zwar nicht nur wegen der Kürze des Letzteren, sondern, wie die Beschwerdekammer in Rn. 51 der angefochtenen Entscheidung hervorgehoben hat, auch deswegen, weil er als ein spanischer Titel mit der Bedeutung „Herr“ oder als ein italienischer Titel für Priester verstanden wird, der zudem als solcher von einem erheblichen Teil der Verkehrskreise der Union, einschließlich der deutschen und finnischen Verkehrskreise, verstanden wird (die Beschwerdekammer verweist hierzu auf den deutschen Duden). Die Beschwerdekammer hat somit zu Recht festgestellt, dass der Bestandteil „luciano“ für die maßgeblichen Verkehrskreise kennzeichnungskräftiger ist als der Bestandteil „don“, was der Kläger im Übrigen auch nicht bestreitet. Die Frage, welchen Grad an Kennzeichnungskraft der Bestandteil „luciano“ als solcher hat, wird dadurch jedoch nicht berührt (siehe unten, Rn. 102).

67      Allerdings ist der Bestandteil „luciano“, auch wenn er kennzeichnungskräftiger ist als das Wort „don“, nicht so kennzeichnungskräftig, dass der letztgenannte Bestandteil zu vernachlässigen wäre.

68      Zum angemeldeten Zeichen hat die Beschwerdekammer in Rn. 46 der angefochtenen Entscheidung zutreffend ausgeführt, dass die Wörter, aus denen dieses Zeichen besteht, von den einschlägigen Verkehrskreisen des gesamten Unionsgebiets als eine Kombination aus einem Vor- und einem Nachnamen wahrgenommen werden dürften. Der Nachname Sandrone werde selbst in Italien nicht als häufiger Familienname wahrgenommen, wohingegen der Vorname Luciano in Spanien, in Italien und in Portugal sowie (wegen des ähnlichen Vornamens Lucien) in Frankreich als sehr verbreitet wahrgenommen werde (Rn. 47 der angefochtenen Entscheidung). Die Beschwerdekammer hat für die Verkehrskreise dieser Gebiete mithin anerkannt, dass die Kennzeichnungskraft des Bestandteils „luciano“ geringer sei als die des Bestandteils „sandrone“, der, als seltener Familienname, einen „höheren Eigenwert“ besitze (Rn. 48 der angefochtenen Entscheidung).

69      Die Parteien stellen diese Beurteilung der Beschwerdekammer nicht in Frage.

70      In Deutschland oder in Finnland wird der Bestandteil „luciano“ nach Ansicht der Beschwerdekammer dagegen als ein seltener Vorname wahrgenommen. Die Beschwerdekammer hat auch der Feststellung der Widerspruchsabteilung, wonach der italienische Vorname Luciano dank der Bekanntheit des italienischen Tenors Luciano Pavarotti den Verkehrskreisen der Union insgesamt vertraut sei, widersprochen. Sie hat ausgeführt, dass „nach [ihrem] Kenntnisstand“ eher der Familienname Pavarotti – und nicht der vollständige Name Luciano Pavarotti – bekannt sei und dass ein erheblicher Teil der Verkehrskreise der Union sich nicht an den Vornamen erinnere (Rn. 48 der angefochtenen Entscheidung). Auf dieser Grundlage hat die Beschwerdekammer festgestellt, dass sowohl der Vorname Luciano als auch der Familienname Sandrone für die deutschen und die finnischen Verkehrskreise selten seien und dass für diese Verkehrskreise somit der erste Bestandteil genauso kennzeichnungskräftig sei wie der zweite (Rn. 50 der angefochtenen Entscheidung).

71      Nach der Rechtsprechung besitzt der Nachname möglicherweise in einem Teil der Union im Allgemeinen eine größere Unterscheidungskraft als der Vorname. Es sind jedoch stets die Gegebenheiten des Einzelfalls zu berücksichtigen, und zwar insbesondere, ob der fragliche Nachname wenig gängig oder, im Gegenteil, sehr verbreitet ist, was Auswirkungen auf die Unterscheidungskraft haben kann (Urteile vom 5. Oktober 2011, Cooperativa Vitivinícola Arousana/HABM – Sotelo Ares [ROSALIA DE CASTRO], T‑421/10, nicht veröffentlicht, EU:T:2011:565, Rn. 50, und vom 11. Juli 2018, Enoitalia/EUIPO – La Rural Viñedos y Bodegas [ANTONIO RUBINI], T‑707/16, nicht veröffentlicht, EU:T:2018:424, Rn. 38), und ob die Person, die ihren Vor- und Nachnamen zusammen als Marke anmeldet, bekannt ist (Urteil vom 24. Juni 2010, Becker/Harman International Industries, C‑51/09 P, EU:C:2010:368, Rn. 36 und 37).

72      Im vorliegenden Fall ist mit dem Kläger festzustellen, dass die Auffassung der Beschwerdekammer, der Vorname Luciano werde in Deutschland oder in Finnland als ein seltener Vorname wahrgenommen, durch nichts belegt ist.

73      Der bloße Umstand, dass ein bestimmter Vorname in der Bevölkerung dieses oder jenes Mitgliedstaats nicht sehr häufig vorkommt, bedeutet nicht zwangsläufig, dass dieser Vorname von den maßgeblichen Verkehrskreisen in diesem Mitgliedstaat als selten wahrgenommen wird. Ein unionsweit oder international relativ bekannter Vorname wird von den maßgeblichen Verkehrskreisen nämlich selbst in den Mitgliedstaaten, in denen dieser Vorname nicht sehr verbreitet ist, nicht als selten wahrgenommen.

74      Im vorliegenden Fall hat die Beschwerdekammer in Rn. 47 der angefochtenen Entscheidung gerade darauf hingewiesen, dass der Vorname Luciano in Spanien, Italien, Portugal und Frankreich, also in einem wesentlichen Teil der Union, als ein sehr häufiger Vorname angesehen wird, so dass sich angesichts der Handelsströme in der Union und der derzeitigen elektronischen Kommunikationsmittel nicht vernünftigerweise vertreten lässt, dass dieser Vorname von den maßgeblichen Verkehrskreisen Deutschlands und Finnlands als selten wahrgenommen wird. Mit anderen Worten ist der Vorname Luciano in der Bevölkerung Deutschlands und Finnlands zwar bekanntermaßen nicht sehr verbreitet, doch bedeutet dies – entgegen den Ausführungen der Beschwerdekammer in Rn. 48 der angefochtenen Entscheidung – für sich genommen nicht, dass dieser Vorname in diesen Mitgliedstaaten als ein seltener Vorname wahrgenommen wird.

75      Für die Verkehrskreise der Union insgesamt ist also der kennzeichnungskräftigste Bestandteil des angemeldeten Zeichens der Bestandteil „sandrone“ – ein Familienname, der nicht als gängig wahrgenommen wird –, ohne dass dies dazu führt, dass der Bestandteil „luciano“ zu vernachlässigen wäre.

76      Nach einer Prüfung der wesentlichen Eigenschaften der einzelnen Bestandteile der beiden Zeichen und einem Vergleich dieser Eigenschaften mit denjenigen der anderen Bestandteile hätte die Beschwerdekammer also – vor einem Vergleich der Zeichen nach Bild, Klang und Bedeutung – feststellen müssen, dass jedes der beiden Zeichen einen kennzeichnungskräftigeren Bestandteil aufweist, nämlich den Bestandteil „luciano“ bei der älteren Marke (was sie zu Recht getan hat) und den Bestandteil „sandrone“ bei dem angemeldeten Zeichen (was sie, bezüglich eines Teils der Verkehrskreise, zu Unrecht nicht getan hat). Welche Folgen dieser Fehler hat, wird weiter unten erörtert.

[nicht wiedergegeben]

–       Zum begrifflichen Vergleich

81      In den Rn. 52 und 53 der angefochtenen Entscheidung hat die Beschwerdekammer ausgeführt, dass die maßgeblichen Verkehrskreise das angemeldete Zeichen mit einem Vor- und einem Nachnamen, d. h. mit einer konkreten (virtuellen oder realen) Person mit dem Vornamen Luciano, einem Mitglied der Familie Sandrone, in Verbindung brächten und ebenso die ältere Marke als eine Marke zur Bezeichnung einer Person mit dem Vornamen Luciano ansähen. Die Beschwerdekammer hat daraus abgeleitet, dass „die Verbraucher, u. a. in Deutschland und in Finnland, daher die in Rede stehenden Marken als einen Hinweis auf dieselbe (virtuelle oder reale) Person mit dem ungewöhnlichen Vornamen ‚Luciano‘ auslegen könnten“. Die einander gegenüberstehenden Zeichen sind daher nach Ansicht der Beschwerdekammer in begrifflicher Hinsicht durchschnittlich ähnlich (Rn. 53 der angefochtenen Entscheidung).

82      Sowohl der Kläger als auch das EUIPO erheben insoweit Einwände. Der Kläger macht geltend, dass die beiden Zeichen in begrifflicher Hinsicht unterschiedlich seien, während nach Ansicht des EUIPO ihr Vergleich in begrifflicher Hinsicht neutral ausfällt. Das EUIPO trägt vor, dass die Rechtsprechung insoweit uneinheitlich sei, da die Unionsgerichte in bestimmten Urteilen die Auffassung vertreten hätten, dass es möglich sei, Zeichen, die einen Nach- oder einen Vornamen enthielten, begrifflich zu vergleichen, während sie in anderen Urteilen entschieden hätten, dass ein begrifflicher Vergleich zwischen derartigen Zeichen nicht möglich sei.

83      Das Gericht hält es mithin für erforderlich, diese Rechtsprechung zu präzisieren. Beim begrifflichen Vergleich sollen die in den einander gegenüberstehenden Zeichen enthaltenen „Begriffe“ verglichen werden. Das Wort „Begriff“ bedeutet z. B. nach der Definition im Wörterbuch Larousse „eine generelle und abstrakte Vorstellung, die sich der Mensch von einem konkreten oder abstrakten Gegenstand macht und die es ihm ermöglicht, diesem Gegenstand verschiedene Wahrnehmungen, die er davon hat, zuzuordnen und entsprechendes Wissen zu strukturieren“.

84      Eine begriffliche Ähnlichkeit bedeutet nach der Rechtsprechung, dass die einander gegenüberstehenden Zeichen in ihrem Sinngehalt übereinstimmen (Urteil vom 11. November 1997, SABEL, C‑251/95, EU:C:1997:528, Rn. 24).

85      Folglich ist ein Vor- oder ein Nachname, wenn er nicht eine „generelle und abstrakte Vorstellung“ vermittelt und keinen Sinngehalt hat, nicht Träger eines „Begriffs“, so dass der begriffliche Vergleich zwischen zwei Zeichen, die sich ausschließlich aus solchen Vor- oder Nachnamen zusammensetzen, nicht möglich ist.

86      Dagegen bleibt der begriffliche Vergleich möglich, wenn der fragliche Vor- oder Nachname beispielsweise wegen der Berühmtheit des Namensträgers zum Symbol für einen Begriff geworden ist oder wenn dieser Vor- oder Nachname einen klaren und unmittelbar wiedererkennbaren Sinngehalt hat.

87      So hat das Gericht bereits entschieden, dass die maßgeblichen Verkehrskreise Marken, die aus Vor- oder Nachnamen von Personen bestehen, als Marken wahrnehmen, die keine besondere begriffliche Bedeutung haben, es sei denn, der Vor- oder Nachname wäre besonders bekannt als der einer berühmten Person (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 18. Mai 2011, IIC/HABM – McKenzie [McKENZIE], T‑502/07, nicht veröffentlicht, EU:T:2011:223, Rn. 40; vom 8. Mai 2014, Pedro Group/HABM – Cortefiel [PEDRO], T‑38/13, nicht veröffentlicht, EU:T:2014:241, Rn. 71 bis 73, und vom 11. Juli 2018, ANTONIO RUBINI, T‑707/16, nicht veröffentlicht, EU:T:2018:424, Rn. 65).

88      Im vorliegenden Fall hat die Beschwerdekammer keinen Begriff ausgemacht, der dem in Rede stehenden Vor- und Nachnamen zugeordnet werden könnte. Auch die Parteien haben insoweit nichts vorgetragen.

89      Für den begrifflichen Vergleich der einander gegenüberstehenden Zeichen ist daher unerheblich, dass die maßgeblichen Verkehrskreise das angemeldete Zeichen mit einem Vor- und einem Nachnamen und somit mit einer konkreten (virtuellen oder realen) Person in Verbindung bringen und dass die ältere Marke als Marke zur Bezeichnung einer Person mit dem Namen Luciano wahrgenommen wird.

90      Folglich ist die von der Beschwerdekammer vorgenommene Beurteilung, dass die einander gegenüberstehenden Zeichen in begrifflicher Hinsicht durchschnittlich ähnlich seien, zu verwerfen. Mit dem EUIPO ist festzustellen, dass im vorliegenden Fall ein begrifflicher Vergleich nicht möglich ist, weil die Vornamen und der Nachname in den beiden Zeichen keinen Begriff enthalten.

91      Nach alledem sind die von der Beschwerdekammer getroffenen Feststellungen zu der zumindest geringen bildlichen und klanglichen Ähnlichkeit der einander gegenüberstehenden Zeichen zu bestätigen, die zur durchschnittlichen begrifflichen Ähnlichkeit dieser Zeichen aber zu verwerfen, weil im vorliegenden Fall ein begrifflicher Vergleich zwischen den Zeichen nicht möglich ist.

 Zur umfassenden Beurteilung der Verwechslungsgefahr

92      Zunächst ist das Vorbringen des Klägers in Rn. 63 der Klageschrift zurückzuweisen, wonach die Verwechslungsgefahr anhand des Eindrucks des Verbrauchers der Union und nicht anhand des Eindrucks der Verbraucher eines Mitgliedstaats oder zweier Mitgliedstaaten (im vorliegenden Fall Deutschland und Finnland) zu beurteilen sei. Eine Unionsmarke ist nämlich schon dann von der Eintragung ausgeschlossen, wenn nur in einem Teil der Union ein relatives Eintragungshindernis im Sinne von Art. 8 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung 2017/1001 besteht (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 14. Dezember 2006, Mast-Jägermeister/HABM – Licorera Zacapaneca [VENADO mit Rahmen u. a.], T‑81/03, T‑82/03 und T‑103/03, EU:T:2006:397, Rn. 76 und die dort angeführte Rechtsprechung). Der Kläger kann daher nicht geltend machen, die Beschwerdekammer habe sich für die Ablehnung der Eintragung zu Unrecht darauf berufen, dass in zwei Staaten der Union Verwechslungsgefahr bestehe, und zwar unabhängig davon, ob die behauptete Verwechslungsgefahr für den deutschen oder finnischen Verbraucher im vorliegenden Fall tatsächlich besteht.

93      Wie sich aus der Rechtsprechung ergibt, impliziert die Beurteilung der Verwechslungsgefahr eine gewisse Wechselbeziehung der in Betracht kommenden Faktoren, insbesondere der Ähnlichkeit der Marken und der Ähnlichkeit der damit gekennzeichneten Waren oder Dienstleistungen. So kann ein geringer Grad der Ähnlichkeit der gekennzeichneten Waren oder Dienstleistungen durch einen höheren Grad der Ähnlichkeit der Marken ausgeglichen werden und umgekehrt (Urteile vom 28. März 2017, REGENT UNIVERSITY, T‑538/15, nicht veröffentlicht, EU:T:2017:226, Rn. 71, und vom 8. November 2017, IST, T‑80/17, nicht veröffentlicht, EU:T:2017:784, Rn. 64).

94      In Anwendung des oben in Rn. 93 genannten Grundsatzes der Wechselbeziehung hat die Beschwerdekammer festgestellt, dass für die einander gegenüberstehenden Zeichen zumindest bei den maßgeblichen deutschen und finnischen Verkehrskreisen Verwechslungsgefahr bestehe, da diese Zeichen bildlich und klanglich zumindest einen geringeren Ähnlichkeitsgrad und begrifflich einen durchschnittlichen Ähnlichkeitsgrad aufwiesen und die in Rede stehenden Waren identisch oder durchschnittlich ähnlich seien.

95      Dadurch, dass sie den Grundsatz der Wechselbeziehung mechanisch angewandt hat, ohne sämtliche einschlägigen Faktoren zu berücksichtigen, hat die Beschwerdekammer die umfassende Beurteilung der Verwechslungsgefahr jedoch nicht ordnungsgemäß durchgeführt.

96      Nach der Rechtsprechung ist es nämlich zwar richtig, dass nach dem Grundsatz der Wechselbeziehung ein geringer Grad der Ähnlichkeit der gekennzeichneten Waren oder Dienstleistungen durch einen höheren Grad der Ähnlichkeit der Marken ausgeglichen werden kann und umgekehrt, doch steht nichts der Feststellung entgegen, dass in Anbetracht der Umstände eines konkreten Falles keine Verwechslungsgefahr besteht, und zwar auch dann nicht, wenn es um identische Waren geht und die einander gegenüberstehenden Marken einen geringen Ähnlichkeitsgrad aufweisen (Urteil vom 3. Juni 2015, Giovanni Cosmetics/HABM – Vasconcelos & Gonçalves [GIOVANNI GALLI], T‑559/13, EU:T:2015:353, Rn. 132 [nicht veröffentlicht]; vgl. in diesem Sinne auch Urteile vom 12. Juli 2006, Vitakraft-Werke Wührmann/HABM – Johnson’s Veterinary Products [VITACOAT], T‑277/04, EU:T:2006:202, Rn. 67 und 68, und vom 17. Februar 2011, Annco/HABM – Freche et fils [ANN TAYLOR LOFT], T‑385/09, EU:T:2011:49, Rn. 44 und 48).

97      Im vorliegenden Fall hat die Beschwerdekammer erstens die Ähnlichkeit der einander gegenüberstehenden Zeichen nicht zutreffend beurteilt, indem sie zu Unrecht festgestellt hat, dass bei dem angemeldeten Zeichen der Bestandteil „luciano“ ebenso kennzeichnungskräftig sei wie der Bestandteil „sandrone“ und dass die einander gegenüberstehenden Zeichen in begrifflicher Hinsicht durchschnittlich ähnlich seien (siehe oben, Rn. 75 und 90).

98      Zweitens hat die Beschwerdekammer nicht die Besonderheiten der in Rede stehenden Waren berücksichtigt. Nach der Rechtsprechung kommt es für die umfassende Beurteilung der Verwechslungsgefahr indes entscheidend darauf an, wie die Marke auf den Durchschnittsverbraucher dieser Art von Waren oder Dienstleistungen wirkt (Urteil vom 18. September 2012, Scandic Distilleries/HABM – Bürgerbräu, Röhm & Söhne [BÜRGER], T‑460/11, nicht veröffentlicht, EU:T:2012:432, Rn. 27).

99      In der hier in Rede stehenden Welt des Weinbaus sind Namen – seien es Familiennamen oder Namen von Weingütern – von besonderer Bedeutung, weil sie zur Kennzeichnung und zur Bezeichnung der Weine dienen. Generell ist darauf hinzuweisen, dass die Verbraucher gewöhnt sind, Weine anhand des Wortbestandteils zu bezeichnen und wiederzuerkennen, der zu ihrer Identifizierung dient, und dass dieser Bestandteil insbesondere den Erzeuger oder das Weingut nennt, von dem der Wein stammt (Urteile vom 27. Februar 2014, Pêra-Grave/HABM – Fundação Eugénio de Almeida [QTA S. JOSÉ DE PERAMANCA], T‑602/11, nicht veröffentlicht, EU:T:2014:97, Rn. 35, und vom 11. Juli 2018, ANTONIO RUBINI, T‑707/16, nicht veröffentlicht, EU:T:2018:424, Rn. 49; vgl. in diesem Sinne auch Urteil vom 13. Juli 2005, Julián Murúa Entrena, T‑40/03,  EU:T:2005:285, Rn. 56). Es ist also nicht allein der Bestandteil „luciano“, der zur Identifizierung der Weine des Klägers dient, sondern der kennzeichnungskräftige Bestandteil „sandrone“ oder auch die Bezeichnung insgesamt, d. h. „luciano sandrone“.

100    Drittens hat die Beschwerdekammer auch nicht berücksichtigt, wie häufig tatsächliche oder vorgebliche spanische oder italienische Vor- oder Nachnamen im Weinsektor verwendet werden und dass die Verbraucher an Marken mit solchen Bestandteilen gewöhnt sind, so dass sie nicht jedes Mal, wenn ihnen bei einer Marke ein solcher Vor- oder Nachname neben anderen Wort- oder Bildbestandteilen begegnet, annehmen, dass alle Waren, für die er verwendet wird, dieselbe Herkunft haben (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 3. Juni 2015, GIOVANNI GALLI, T‑559/13, EU:T:2015:353, Rn. 116 [nicht veröffentlicht] und die dort angeführte Rechtsprechung).

101    Somit ist es im Weinsektor, in dem die Verwendung von aus Vor- oder Nachnamen bestehenden Zeichen sehr verbreitet ist, unwahrscheinlich, dass der Durchschnittsverbraucher allein deshalb, weil die einander gegenüberstehenden Zeichen den italienischen Vornamen Luciano gemein haben, der – wie in Rn. 47 der angefochtenen Entscheidung ausgeführt – in Spanien, Frankreich, Italien und Portugal als sehr verbreitet wahrgenommen wird und in Bezug auf den nicht nachgewiesen wurde, dass er in anderen Mitgliedstaaten der Union als selten wahrgenommen wird, glauben könnte, dass zwischen den Inhabern der Zeichen eine wirtschaftliche Verbindung besteht. Der gemeinsame Vorname allein lässt also bei Marken für Weine nicht den Schluss zu, dass eine Verwechslungsgefahr besteht, da die maßgeblichen Verkehrskreise nicht erwarten, dass dieser geläufige Vorname nur von einem einzigen Erzeuger als Markenbestandteil verwendet wird (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 8. Februar 2019, Serendipity u. a./EUIPO – CKL Holdings [CHIARA FERRAGNI)], T‑647/17, nicht veröffentlicht, EU:T:2019:73, Rn. 71; vgl. entsprechend auch Urteil vom 3. Juni 2015, GIOVANNI GALLI, T‑559/13, EU:T:2015:353, Rn. 117 [nicht veröffentlicht]).

102    Viertens hat die Beschwerdekammer auch nicht den geringen Grad an Kennzeichnungskraft des den beiden Marken gemeinsamen Bestandteils, nämlich „luciano“, berücksichtigt, der sich daraus ergibt, dass dieser Vorname geeignet ist, eine potenziell unbestimmte Anzahl von Personen zu bezeichnen, und dass somit alle maßgeblichen Verkehrskreise in der Lage sind, die ältere Marke von der angemeldeten Marke zu unterscheiden, weil Letztere zudem den Bestandteil „sandrone“ enthält, einen Familiennamen, der einen höheren Eigenwert hat (siehe oben, Rn. 68 und 69).

103    Diese Feststellung wird durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs bestätigt, wonach nicht angenommen werden kann, dass jeder Nachname, der eine ältere Marke bildet, erfolgreich der Eintragung einer aus einem Vornamen und diesem Nachnamen gebildeten Marke entgegengehalten werden kann (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 24. Juni 2010, Becker/Harman International Industries, C‑51/09 P, EU:C:2010:368, Rn. 39). Somit darf nicht automatisch eine Verwechslungsgefahr bejaht werden, wenn eine ältere Marke, die aus einem Nachnamen besteht, unter Hinzufügung eines Vornamens in einer anderen Marke aufgegriffen wird. Dies gilt auch dann, wenn die ältere Marke vor allem aus einem Vornamen und das angemeldete Zeichen in einer Kombination dieses Vornamen mit einem Nachnamen besteht (Urteil vom 3. Juni 2015, GIOVANNI GALLI, T‑559/13, EU:T:2015:353, Rn. 125 [nicht veröffentlicht]).

104    Nach alledem ist unter Berücksichtigung des geringen Ähnlichkeitsgrads der einander gegenüberstehenden Zeichen in bildlicher und klanglicher Hinsicht sowie der Unmöglichkeit, sie begrifflich zu vergleichen, festzustellen, dass die Beschwerdekammer zu Unrecht davon ausgegangen ist, dass die Gefahr einer Verwechslung der beiden Zeichen besteht.

105    Aus diesen Gründen ist daher dem zweiten Klagegrund stattzugeben und die angefochtene Entscheidung aufzuheben, ohne dass über das weitere Vorbringen des Klägers zu entscheiden ist, mit dem er zum einen auf die Bekanntheit des angemeldeten Zeichens und zum anderen auf die Entscheidungspraxis des EUIPO verweist.

[nicht wiedergegeben]

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Siebte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1.      Die Entscheidung der Zweiten Beschwerdekammer des Amtes der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO) vom 26. Februar 2018 (Sache R 1207/20172) wird aufgehoben.

2.      Das EUIPO trägt seine eigenen Kosten und die Kosten von Herrn Luciano Sandrone.

Tomljenović

Bieliūnas

Kornezov

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 27. Juni 2019.

Unterschriften




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