BESCHLUSS DER PRÄSIDENTIN DER SIEBTEN KAMMER DES GERICHTS
21. November 2023(* )
„Streithilfe – Berechtigtes Interesse am Ausgang des Rechtsstreits“
In der Rechtssache T‑219/23,
Bategu Gummitechnologie GmbH mit Sitz in Wien (Österreich), vertreten durch Rechtsanwalt G. Maderbacher,
Klägerin,
gegen
Europäische Kommission , vertreten durch A. Keidel und J. Szczodrowski als Bevollmächtigte,
Beklagte,
erlässt
DIE PRÄSIDENTIN DER SIEBTEN KAMMER DES GERICHTS
folgenden
Beschluss
1 Mit ihrer Klage gemäß Art. 263 AEUV begehrt die Klägerin, die Bategu Gummitechnologie GmbH, die Nichtigerklärung des Beschlusses C(2023) 1205 final der Europäischen Kommission vom 15. Februar 2023, der nach Art. 7 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 773/2004 der Kommission vom 7. April 2004 über die Durchführung von Verfahren auf der Grundlage der Artikel 81 und 82 EG‑Vertrag durch die Kommission (ABl. 2004, L 123, S. 18) erlassen wurde und mit dem die Beschwerde der Klägerin in der Sache AT.40492 – Fire Protection Bogies (im Folgenden: angefochtener Beschluss) abgewiesen wurde.
Verfahren
2 Mit Schriftsatz, der am 27. Juli 2023 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat die Siemens AG beantragt, in der vorliegenden Rechtssache als Streithelferin zur Unterstützung der Anträge der Kommission zugelassen zu werden.
3 Mit Schriftsatz, der am 31. Juli 2023 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat die Stadler Deutschland GmbH ebenfalls beantragt, in der vorliegenden Rechtssache als Streithelferin zur Unterstützung der Anträge der Kommission zugelassen zu werden.
4 Zur Stützung ihrer jeweiligen Anträge machen die Streithilfeantragstellerinnen geltend, dass sie als Parteien, gegen die die in Rede stehende Beschwerde gerichtet gewesen sei, ein unmittelbares und gegenwärtiges Interesse am Ausgang des Rechtsstreits hätten.
5 Die Streithilfeanträge sind den Hauptparteien gemäß Art. 144 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichts zugestellt worden.
6 Die Kommission hat zu den Streithilfeanträgen nicht Stellung genommen.
7 Die Klägerin hat gegen den Antrag von Stadler Deutschland keine Einwendungen erhoben. Sie ist jedoch mit Schriftsatz, der am 18. August 2023 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, dem Antrag der Siemens AG mit der Begründung entgegengetreten, dass ihre Beschwerde u. a. gegen die Siemens AG Österreich gerichtet sei und in dem angefochtenen Beschluss nur diese als Gegnerin genannt sei und nicht die Siemens AG. Die Siemens AG erläutere in ihrem Streithilfeantrag weder, weshalb gerade sie und nicht die Siemens AG Österreich betroffen sei, noch ihr berechtigtes Interesse am Ausgang dieses Rechtsstreits.
Rechtliche Würdigung
8 Nach Art. 40 Abs. 2 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union, der nach deren Art. 53 Abs. 1 auf das Verfahren vor dem Gericht anwendbar ist, können alle Personen, die ein berechtigtes Interesse am Ausgang eines beim Gericht anhängigen Rechtsstreits glaubhaft machen können, diesem beitreten, es sei denn, es handelt sich um einen Rechtsstreit zwischen Mitgliedstaaten, zwischen Organen der Europäischen Union oder zwischen Mitgliedstaaten und Organen der Union.
9 Nach ständiger Rechtsprechung ist der Begriff „berechtigtes Interesse am Ausgang [des] Rechtsstreits“ im Sinne von Art. 40 Abs. 2 der Satzung des Gerichtshofs nach dem Gegenstand des Rechtsstreits selbst zu bestimmen und als ein unmittelbares und gegenwärtiges Interesse daran zu verstehen, wie die Klageanträge selbst beschieden werden, und nicht als ein Interesse an den geltend gemachten Angriffs- und Verteidigungsmitteln oder Argumenten (vgl. Beschluss vom 18. Mai 2022, Scandlines Danmark und Scandlines Deutschland/Kommission, T‑7/19, nicht veröffentlicht, EU:C:2022:336, Rn. 7 und die dort angeführte Rechtsprechung). Denn unter dem „Ausgang“ des Rechtsstreits ist die beim angerufenen Gericht beantragte Endentscheidung zu verstehen, wie sie sich im Tenor des Urteils niederschlagen würde (vgl. Beschluss vom 17. Dezember 2018, Google und Alphabet/Kommission, T‑612/17, nicht veröffentlicht, Rechtsmittel anhängig, EU:T:2018:1010, Rn. 13 und die dort angeführte Rechtsprechung). Dabei ist insbesondere zu prüfen, ob die angefochtene Handlung den Antragsteller unmittelbar berührt und ob sein Interesse am Ausgang des Rechtsstreits erwiesen ist (Beschluss vom 28. Juli 2023, SD/EMA, T‑623/22, nicht veröffentlicht, EU:T:2023:471, Rn. 6 und die dort angeführte Rechtsprechung).
10 Im Übrigen hat der Streithilfeantragsteller zu beweisen, dass er die oben in Rn. 9 genannten Bedingungen erfüllt (vgl. in diesem Sinne Beschluss vom 27. April 2018, E‑Control/ACER, T‑332/17, nicht veröffentlicht, EU:T:2018:294, Rn. 16 und die dort angeführte Rechtsprechung).
11 Nach ständiger Rechtsprechung macht der Streithilfeantragsteller, wenn ein Rechtsstreit die Zurückweisung einer wettbewerbsrechtlichen Beschwerde betrifft, die gegen ihn gerichtet war, ein berechtigtes Interesse am Ausgang dieses Rechtsstreits im Sinne von Art. 40 Abs. 2 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union glaubhaft. Eine solche Person hat ein bestimmtes Interesse daran, dass diese Beschwerde nicht auf den Erlass von für sie bindenden Maßnahmen durch die Kommission hinausläuft (vgl. Beschlüsse vom 13. Mai 1993, Ladbroke Racing/Kommission, T‑74/92, EU:T:1993:41, Rn. 8, und vom 27. Januar 2021, Design Light & Led Made in Europe/Kommission, T‑886/19, EU:T:2021:48, Rn. 20 und die dort angeführte Rechtsprechung).
12 Im vorliegenden Fall ist festzustellen, dass Gegenstand der Klage die Nichtigerklärung des Beschlusses der Kommission ist, mit dem die Beschwerde der Klägerin abgewiesen wurde. Diese war gegen fünf Hersteller von Schienenfahrzeugen gerichtet, darunter die Siemens AG Österreich und die Stadler Bussnang AG, denen die Klägerin einen Verstoß gegen die Art. 101 und 102 AEUV vorgeworfen hatte.
Zum Streithilfeantrag der Stadler Deutschland GmbH
13 Zur Begründung ihres berechtigten Interesses am Ausgang des Rechtsstreits führt Stadler Deutschland (vormals „Stadler Pankow GmbH“) im Wesentlichen aus, dass sie alle Schienenfahrzeuge des Stadler-Konzerns, dessen Muttergesellschaft ihren Sitz in Bussnang (Schweiz) habe, entwickele, fertige und montiere. Sie sei auch von der Beschwerde der Klägerin betroffen gewesen, deren Ziel es gewesen sei, sie zu verpflichten, Geschäftsbeziehungen zur Klägerin aufzubauen. Aufgrund dieser Beschwerde sei sie Adressatin mehrerer Auskunftsverlangen der Kommission gewesen und habe diese mit Unterstützung weiterer Gesellschaften des Stadler-Konzerns beantwortet.
14 Unter diesen Umständen und da die Hauptparteien keine Einwendungen erhoben haben, hat Stadler Deutschland ihr berechtigtes Interesse am Ausgang des Rechtsstreits glaubhaft gemacht.
Zum Streithilfeantrag der Siemens AG
15 Zur Begründung ihres berechtigten Interesses am Ausgang des Rechtsstreits macht die Siemens AG geltend, dass sie die Muttergesellschaft des Siemens-Konzerns sei und eines ihrer Geschäfte darin bestehe, Schienenfahrzeuge anzubieten. Aufgrund der gegen die Hersteller von Schienenfahrzeugen gerichteten Beschwerde der Klägerin habe die Kommission mehrere Jahre lang gegen sie ermittelt und insbesondere mehrere Auskunftsverlangen an sie gerichtet, die von ihr beantwortet worden seien. Sollte die Klägerin mit ihrer Klage Erfolg haben, wäre die Kommission verpflichtet, die Beschwerde erneut zu prüfen, und die Siemens AG wäre somit wieder Gegenstand einer Prüfung. Sie hätte folglich wieder den Status des einer Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsvorschriften Verdächtigen. Durch die Wiederaufnahme des Verfahrens gegen sie würde sie zugleich erneut mit erheblichen Verfahrenskosten finanziell belastet und würden ihre personellen Ressourcen gebunden. Schließlich wäre sie Reputationsrisiken ausgesetzt.
16 Hierzu ist festzustellen, dass sich aus den Akten ergibt, dass die Beschwerde der Klägerin zwar neben anderen Unternehmen die Siemens AG Österreich betraf, die Siemens AG jedoch tatsächlich die Auskunftsverlangen der Kommission beantwortet und sich somit als betroffene Partei an dem in Rede stehenden Verwaltungsverfahren beteiligt hat (vgl. Anlage B.2 zur Klagebeantwortung der Kommission), ohne dass ihre Beteiligung an diesem Verfahren und ihre Eigenschaft als betroffene Partei von der Kommission oder der Klägerin bestritten würden.
17 Außerdem bestreitet die Klägerin in ihrer Stellungnahme zum Streithilfeantrag nicht, dass die Siemens AG die Muttergesellschaft des Siemens-Konzerns ist, so dass sie ihre Geschäfte und insbesondere ihr im Angebot von Schienenfahrzeugen bestehendes Geschäft über andere Gesellschaften ihres Konzerns ausübt. Dass ein Unternehmen seine Geschäfte über Tochtergesellschaften ausübt, schließt aber nicht schon aufgrund der Wahl einer solchen differenzierten internen Struktur die Möglichkeit aus, dass ein Interesse besteht, dem Rechtsstreit beizutreten (vgl. entsprechend Beschlüsse vom 27. April 2018, E‑Control/ACER, T‑332/17, nicht veröffentlicht, EU:T:2018:294, Rn. 35, und vom 18. Mai 2022, Scandlines Danmark und Scandlines Deutschland/Kommission, T‑7/19, nicht veröffentlicht, EU:T:2022:335, Rn. 16).
18 Demnach hat die Siemens AG ihr berechtigtes Interesse am Ausgang des Rechtsstreits glaubhaft gemacht.
19 Den beiden Anträgen auf Zulassung zur Streithilfe ist somit nach Art. 40 Abs. 2 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union, der nach ihrem Art. 53 Abs. 1 auf das Verfahren vor dem Gericht anwendbar ist, stattzugeben, da die Anträge gemäß Art. 143 der Verfahrensordnung gestellt wurden und die Antragstellerinnen ihr berechtigtes Interesse am Ausgang des Rechtsstreits glaubhaft gemacht haben.
Aus diesen Gründen hat
DIE PRÄSIDENTIN DER SIEBTEN KAMMER DES GERICHTS
beschlossen:
1. Die Siemens AG wird in der Rechtssache T ‑219/23 als Streithelferin zur Unterstützung der Anträge der Europäischen Kommission zugelassen.
2. Die Stadler Deutschland GmbH wird in der Rechtssache T ‑219/23 als Streithelferin zur Unterstützung der Anträge der Kommission zugelassen.
3. Der Kanzler übermittelt der Siemens AG und der Stadler Deutschland GmbH eine Abschrift aller den Hauptparteien zugestellten Verfahrensschriftstücke.
4. Der Siemens AG und der Stadler Deutschland GmbH wird eine Frist zur Einreichung eines Streithilfeschriftsatzes gesetzt.
5. Die Kostenentscheidung bleibt vorbehalten.
Luxemburg, den 21. November 2023
Der Kanzler
Die Kammerpräsidentin
V. Di Bucci
K. Kowalik-Bańczyk