C-826/18 – Stichting Varkens in Nood u.a.

C-826/18 – Stichting Varkens in Nood u.a.

Language of document : ECLI:EU:C:2020:514

Vorläufige Fassung

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

MICHAL BOBEK

vom 2. Juli 2020(1)

Rechtssache C826/18

LB,

Stichting Varkens in Nood,

Stichting Dierenrecht,

Stichting Leefbaar Buitengebied

gegen

College van burgemeester en wethouders van de gemeente Echt-Susteren,

Beteiligte:

Sebava BV

(Vorabentscheidungsersuchen der Rechtbank Limburg [Bezirksgericht Limburg, Niederlande])

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Übereinkommen von Aarhus – Art. 6 – Beteiligungsrechte – Verfahren zur Öffentlichkeitsbeteiligung – Art. 2 Abs. 4 und 5 – ‚Öffentlichkeit‘ und ‚betroffene Öffentlichkeit‘ – Persönlicher Anwendungsbereich – Art. 9 Abs. 2 und 3 – Zugang zu Gerichten – Klagebefugnis – Charta der Grundrechte der Europäischen Union – Art. 47 und Art. 52 Abs. 1 – Recht auf wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz –Richtlinie 2011/92/EU – Art. 6 und 11 – Richtlinie 2010/75/EU – Art. 24 und 25 – Voraussetzung der vorherigen Beteiligung – Verfahrensautonomie“

I.      Einleitung

1.        Nach niederländischem Recht hat jeder das Recht zur Beteiligung an einem Verfahren zur Öffentlichkeitsbeteiligung, das zur Annahme einer Entscheidung über eine umweltbezogene Tätigkeit führt. Der Zugang zu einem Gericht, um eine im Rahmen dieses Verfahrens ergangene endgültige verwaltungsbehördliche Entscheidung anzufechten, hängt jedoch vom Vorliegen zweier Voraussetzungen ab, die kumulativ erfüllt sein müssen. Erstens muss die Person ein Beteiligter sein, dessen Interessen von der angefochtenen Entscheidung unmittelbar berührt sind. Zweitens muss sich diese Person an dem Verfahren zur Öffentlichkeitsbeteiligung beteiligt haben, indem sie eine Stellungnahme zu dem Entscheidungsentwurf eingereicht hat, es sei denn, ihr kann nicht der berechtigte Vorwurf gemacht werden, dies nicht getan zu haben.

2.        Diese Art der Ausgestaltung der innerstaatlichen Vorschriften hat offenbar zu einer erheblichen Diskrepanz beim persönlichen Anwendungsbereich beider Verfahrensrahmen geführt: ein sehr offenes behördliches Stadium und ein viel eingeschränkteres gerichtliches Stadium. Das wirft natürlich die Frage auf: Was geschieht mit denjenigen, die außen vor bleiben? Was ist mit denjenigen Mitgliedern der Öffentlichkeit, die entweder nicht unmittelbar berührt sind oder im Verfahren zur Öffentlichkeitsbeteiligung keine Stellungnahmen eingereicht haben? Ist für diese Mitglieder der Öffentlichkeit der Zugang zu einem Gericht, der nach dem Übereinkommen von Aarhus(2) oder nach unionsrechtlichen Bestimmungen garantiert wäre, in Gänze ausgeschlossen?

II.    Rechtlicher Rahmen

A.      Übereinkommen von Aarhus

3.        Das Übereinkommen von Aarhus wurde am 25. Juni 1998 von der damaligen Europäischen Gemeinschaft unterzeichnet und sodann mit Beschluss des Rates 2005/370/EG(3) genehmigt.

4.        Gemäß Art. 6 Abs. 1 Buchst. a des Übereinkommens von Aarhus unterliegt die Entscheidung, die in Anhang I aufgeführten Umweltaktivitäten zuzulassen, dem in Art. 6 Abs. 2 bis 11 beschriebenen Verfahren zur Öffentlichkeitsbeteiligung. Art. 9 Abs. 2 des Übereinkommens regelt das Recht auf Zugang zu Gerichten, um Entscheidungen anzufechten, für die das Verfahren zur Öffentlichkeitsbeteiligung in Art. 6 gilt. Zur Bestimmung ihres persönlichen Anwendungsbereichs verwenden Art. 6 und Art. 9 Abs. 2 die Begriffe „Öffentlichkeit“ und „betroffene Öffentlichkeit“. Diese Begriffe sind in Art. 2 Abs. 4 und 5 des Übereinkommens jeweils definiert.

B.      Unionsrecht

5.        Vor der Annahme des Beschlusses 2005/370/EG des Rates hatte die damalige Europäische Gemeinschaft die Richtlinie 2003/35/EG(4) erlassen. Mit dieser Richtlinie wurden zwei bestehende Richtlinien geändert, um das Gemeinschaftsrecht ordnungsgemäß an das Übereinkommen von Aarhus anzugleichen, insbesondere an dessen Art. 6 und Art. 9 Abs. 2 und 4(5). Diese Richtlinien sind seitdem durch die Richtlinie 2010/75/EU(6) und die Richtlinie 2011/92/EU(7) in der durch die Richtlinie 2014/52/EU geänderten Fassung(8) (im Folgenden: Richtlinie 2011/92) ersetzt worden.

6.        Art. 6 und Art. 9 Abs. 2 des Übereinkommens von Aarhus werden durch die Art. 6 und 11 der Richtlinie 2011/92 sowie Art. 24 in Verbindung mit Anhang IV und Art. 25 der Richtlinie 2010/75 jeweils umgesetzt. Die Begriffe „Öffentlichkeit“ und „betroffene Öffentlichkeit“, die ebenfalls in diesen Bestimmungen vorkommen, sind jeweils in Art. 1 Abs. 2 Buchst. d und e der Richtlinie 2011/92 und in Art. 3 Nrn. 16 und 17 der Richtlinie 2010/75 definiert.

C.      Niederländisches Recht

7.        Ausgehend von der Vorlageentscheidung und weiteren Erläuterungen der niederländischen Regierung in der mündlichen Verhandlung verstehe ich die einschlägigen Bestimmungen des niederländischen Rechts wie folgt:

8.        Die im Ausgangsverfahren angefochtene Maßnahme unterlag dem öffentlichen Vorbereitungsverfahren gemäß Abschnitt 3.4 der Algemene wet bestuursrecht (Allgemeines Verwaltungsgesetz, im Folgenden: Awb). Letzteres stellt ein Verfahren zur Öffentlichkeitsbeteiligung im Sinne von Art. 6 des Übereinkommens von Aarhus dar.

9.        Das öffentliche Vorbereitungsverfahren im Sinne der Awb beinhaltet, dass die zuständige Behörde anlässlich eines Genehmigungsantrags zuerst einen Entscheidungsentwurf über ihre Haltung zu dem betreffenden Antrag erlassen muss. Der Entscheidungsentwurf muss jedem auf geeignete Weise zugänglich gemacht werden, und nach Art. 3.12 Abs. 5 der Wet algemene bepalingen omgevingsrecht (Gesetz mit allgemeinen Bestimmungen zum Umgebungsrecht, im Folgenden: Wabo) kann jeder Stellungnahmen zum Entscheidungsentwurf vorbringen.

10.      Ich möchte unterstreichen, dass die niederländische Regierung in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich bestätigt hat, dass mit „jeder“ im Sinne der Wabo wörtlich jedermann gemeint sei, also jede natürliche oder juristische Person, und zwar ohne räumliche oder sonstige Einschränkungen. So haben nach niederländischem Recht grundsätzlich ein in der Tschechischen Republik ansässiger Tscheche, ein in Dänemark ansässiger Däne oder ein in China ansässiger Chinese das Recht, sich am Verfahren zur Öffentlichkeitsbeteiligung für die im Ausgangsverfahren beantragte Tätigkeit zu beteiligen.

11.      Die niederländische Regierung hat ferner ausgeführt, dass sie durch die Öffnung des öffentlichen Vorbereitungsverfahrens für jedermann den Diskurs zwischen der zuständigen Behörde und der Öffentlichkeit so weit wie möglich habe fördern wollen. Die Regierung habe auch die Belastung der (lokalen) Verwaltungsbehörden verringern wollen, in jedem einzelnen Fall die Mitglieder der Öffentlichkeit feststellen zu müssen, die von der geplanten Tätigkeit betroffen sein könnten und die, für die dies nicht zutrifft.

12.      Darüber hinaus ist die niederländische Regierung der Auffassung, dass sich aus Art. 6 Abs. 7 des Übereinkommens von Aarhus in der Tat ergebe, dass das Recht, sich an Verfahren zur Beteiligung der Öffentlichkeit zu beteiligen, für jedermann eröffnet sei, für den Art. 6 des Übereinkommens von Aarhus gelte.

13.      Nach dem Verfahren der Öffentlichkeitsbeteiligung erlässt die Verwaltungsbehörde sodann eine endgültige Entscheidung über die beantragte Tätigkeit. Die Möglichkeit, die verfahrens- und materiell-rechtliche Rechtmäßigkeit einer solchen Entscheidung vor einem Gericht anzufechten, unterliegt nach niederländischem Recht zwei Voraussetzungen, die kumulativ erfüllt sein müssen. Diese Voraussetzungen schränken den Kreis der Kläger gegenüber dem verwaltungsbehördlichen Stadium, das zur Annahme dieser Entscheidung führt, erheblich ein.

14.      Erstens muss der Kläger nach Art. 8:1 Awb „Beteiligter“ im Sinne von Art. 1:2 Awb sein, d. h. eine Person, deren Interesse unmittelbar von dem Bescheid berührt ist. Verbände, die sich für den Umweltschutz einsetzen, gelten stets als „Beteiligte“ im Sinne von Art. 1:2 Abs. 3 Awb.

15.      Festzustellen ist, dass der Begriff „Beteiligter“ in Art. 9 Abs. 2 des Übereinkommens von Aarhus keine Erwähnung findet; stattdessen verwendet dieser den Ausdruck „Mitglieder der betroffenen Öffentlichkeit, … die ein ausreichendes Interesse haben oder … eine Rechtsverletzung geltend machen“. Der Vorlageentscheidung ist zu entnehmen, dass der Begriff „Beteiligter“ im Sinne der Awb die Umsetzung dieses Ausdrucks in Art. 9 Abs. 2 des Übereinkommens von Aarhus darstellt. Dementsprechend wird eine Person, die kein „Beteiligter“ im Sinne von Art. 1:2 Awb ist, nicht als Mitglied der „betroffenen Öffentlichkeit“ im Sinne von Art. 9 Abs. 2 des Übereinkommens von Aarhus betrachtet.

16.      Zweitens muss der „Beteiligte“ außerdem an dem öffentlichen Vorbereitungsverfahren gemäß Art. 6:13 Awb teilgenommen haben, indem er seinen Standpunkt in Bezug auf die in Rede stehende Tätigkeit dargelegt hat, es sei denn, diesem Beteiligten kann nicht der berechtigte Vorwurf gemacht werden, dies nicht getan zu haben.

17.      Nach den Angaben der niederländischen Regierung soll diese zweite Anforderung die Effizienz der Verwaltungsverfahren und dadurch die Effizienz der Gerichtsverfahren verbessern. Die Beteiligung am öffentlichen Vorbereitungsverfahren ermögliche es, die strittigen Punkte in einem frühen Stadium des Entscheidungsprozesses zu erkennen und somit die Qualität dieses Prozesses zu verbessern. Dies könne Gerichtsverfahren vermeiden oder dabei helfen, sie effizienter zu gestalten, falls sie doch stattfänden.

18.      Was die Ausnahme von dieser Regel betrifft (bei der der Person nicht der berechtigte Vorwurf gemacht werden kann, dass sie sich nicht beteiligt hat), so hat die niederländische Regierung in der mündlichen Verhandlung erklärt, dass sie Anwendung finde, wenn die fehlende Beteiligung gerechtfertigt sei. Nach der nationalen Rechtsprechung sei dies beispielsweise dann der Fall, wenn die Bekanntmachung des Entscheidungsentwurfs nicht ordnungsgemäß erfolgt sei, wenn die erlassene Entscheidung von dem bekannt gemachten Entscheidungsentwurf abweiche und diese Abweichung negative Folgen für den „Beteiligten“ habe oder wenn eine Person aufgrund eines Umzugs erst nach Ablauf der Frist für die Einreichung einer Stellungnahme zum Entscheidungsentwurf zu einem „Beteiligten“ werde.

19.      Was schließlich den Zusammenhang zwischen den beiden Voraussetzungen für die Klagebefugnis angeht, hat die niederländische Regierung in der mündlichen Verhandlung klargestellt, dass eine Partei, die am öffentlichen Vorbereitungsverfahren nach der Wabo beteiligt gewesen sei, aber keine Beteiligte im Sinne der Awb sei, nicht berechtigt sei, die spätere Entscheidung gerichtlich anzufechten, selbst wenn sie sich während des vorbereitenden Stadiums durch eine Stellungnahme beteiligt habe.

III. Sachverhalt, nationales Verfahren und Vorlagefragen

20.      Im Jahr 2016 reichte die Sebava BV beim College van burgemeester en wethouders van de gemeente Echt-Susteren (Kollegium des Bürgermeisters und der Beigeordneten der Gemeinde Echt-Susteren, Niederlande, im Folgenden: Beklagter) einen Antrag für den Bau eines neuen Stalls für 855 Sauen, auf Ersetzung von Jungsauen durch säugende Sauen in den bestehenden Ställen und für den Bau eines überdachten Auslaufs für Sauen ein.

21.      Der Antrag wurde vom Beklagten für das einheitliche öffentliche Vorbereitungsverfahren im Sinne von Abschnitt 3.4 Awb übermittelt. Das vorlegende Gericht bestätigt, dass es sich bei diesem Verfahren um ein Beteiligungsverfahren im Sinne von Art. 6 des Übereinkommens von Aarhus handele.

22.      Der Beklagte legte ein Exemplar der Anmeldung und andere zugehörige Unterlagen zur Einsichtnahme aus. Dies wurde im Staatscourant (Staatsanzeiger) bekannt gemacht. Der Antrag wurde ferner im Gemeenteblad (Gemeindeanzeiger) der Gemeinde des Beklagten veröffentlicht.

23.      Der Beklagte erteilte die beantragte Genehmigung am 28. September 2017 und machte dies im Staatscourant bekannt.

24.      Gegen diesen Genehmigungsbescheid erhoben vier Klägerinnen Klage beim vorlegenden Gericht, der Rechtbank Limburg (Bezirksgericht Limburg, Niederlande). Die erste Klägerin ist eine natürliche Person und von Beruf Tierärztin (im Folgenden: die erste Klägerin). Sie ist auch Vorstandsmitglied, Sekretärin und Vorsitzende verschiedener Interessengruppen, die sich für den Tierschutz einsetzen. Die drei weiteren Klägerinnen sind Umweltverbände (im Folgenden: die drei klagenden Verbände) (zusammen im Folgenden: die vier Klägerinnen).

25.      Vor dem vorlegenden Gericht räumen die vier Klägerinnen ein, dass sie keine Einwendungen gegen den Entscheidungsentwurf des Beklagten erhoben hätten. Sie argumentieren jedoch, dass man ihnen nicht den berechtigten Vorwurf machen könne, dies nicht getan zu haben, weil der Beklagte den Genehmigungsentwurf nicht ordnungsgemäß bekannt gemacht habe. Auf dieser Grundlage beantragen die vier Klägerinnen beim vorlegenden Gericht, den angefochtenen Bescheid für nichtig zu erklären, damit sie ihre Einwendungen gegen den Entscheidungsentwurf noch einreichen können.

26.      Hinsichtlich der von der ersten Klägerin erhobenen Klage ist das vorlegende Gericht der Ansicht, dass sie auf der Grundlage von Art. 8:1 und Art. 1:2 Awb für unzulässig zu erklären sei. Die erste Klägerin sei kein „Beteiligter“ im Sinne dieser Bestimmungen. Das vorlegende Gericht stellt fest, dass die erste Klägerin ihre Klage im eigenen Namen erhoben habe, da sie ihre Eigenschaft als Vorstandsmitglied, Sekretärin und Vorsitzende verschiedener Interessenverbände erst geraume Zeit nach Ablauf der Klagefrist kundgetan habe. Im Übrigen wohne sie in weiter Entfernung von dem geplanten Schweinestall, der daher weder räumliche noch umweltbezogene Folgen für sie habe.

27.      Hinsichtlich der Klage der drei klagenden Verbände ist das vorlegende Gericht der Auffassung, dass diese als Umweltverbände tatsächlich Beteiligte nach Art. 1:2 Abs. 1 Awb seien. Allerdings hätten sie keine Einwendungen gegen den Entscheidungsentwurf vorgebracht. Aus Art. 6:13 Awb ergebe sich, dass ein Beteiligter, dem der berechtigte Vorwurf gemacht werden könne, dass er während des Vorbereitungsverfahrens keine Einwendungen vorgebracht habe, keine Klage beim Verwaltungsgericht erheben könne.

28.      Vor diesem tatsächlichen und rechtlichen Hintergrund hat die Rechtbank Limburg (Bezirksgericht Limburg) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof die folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Ist das Unionsrecht und insbesondere Art. 9 Abs. 2 des Übereinkommens von Aarhus dahin auszulegen, dass es dem entgegensteht, dass das Recht auf Zugang zu Gerichten für die Öffentlichkeit (public) (jeder) in vollem Umfang ausgeschlossen wird, sofern es sich dabei nicht um die betroffene Öffentlichkeit (public concerned) (Beteiligte) handelt?

Sofern die Vorlagefrage zu 1. bejaht wird:

2.      Ist das Unionsrecht und insbesondere Art. 9 Abs. 2 des Übereinkommens von Aarhus dahin auszulegen, dass daraus hervorgeht, dass die Öffentlichkeit (public) (jeder) bei einem behaupteten Verstoß gegen die für diese Öffentlichkeit geltenden Verfahrenserfordernisse und Beteiligungsrechte im Sinne von Art. 6 dieses Übereinkommens Zugang zu Gerichten haben muss?

Ist dabei relevant, dass die betroffene Öffentlichkeit (public concerned) (Beteiligte) in diesem Punkt Zugang zu den Gerichten hat und daneben auch materielle Klagegründe bei Gericht geltend machen kann?

3.      Ist das Unionsrecht und insbesondere Art. 9 Abs. 2 des Übereinkommens von Aarhus dahin auszulegen, dass es dem entgegensteht, dass der Zugang zu Gerichten für die betroffene Öffentlichkeit (public concerned) (Beteiligte) von der Ausübung der Beteiligungsrechte im Sinne von Art. 6 dieses Übereinkommens abhängig gemacht wird?

Wenn Frage 3 verneint wird:

4.      Ist das Unionsrecht und insbesondere Art. 9 Abs. 2 des Übereinkommens von Aarhus dahin auszulegen, dass es einer nationalen Rechtsvorschrift entgegensteht, die den Zugang zu Gerichten gegen einen Bescheid für die betroffene Öffentlichkeit (public concerned) (Beteiligte) ausschließt, wenn ihr der berechtigte Vorwurf gemacht werden kann, keine Einwendungen gegen den Entscheidungsentwurf (bzw. Teile davon) vorgebracht zu haben?

Wenn Frage 4 verneint wird:

5.      Ist es uneingeschränkt Sache des nationalen Gerichts, auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalls darüber zu befinden, was unter „dem der berechtige Vorwurf gemacht werden kann“ zu verstehen ist, oder ist das nationale Gericht verpflichtet, dabei bestimmte unionsrechtliche Garantien zu beachten?

6.      Inwiefern lautet die Antwort auf die Fragen 3, 4 und 5 anders, wenn es um die Öffentlichkeit (public) (jeder) geht, soweit diese nicht zugleich betroffene Öffentlichkeit (public concerned) (Beteiligte) ist?

29.      Die dänische Regierung, Irland, die niederländische und die schwedische Regierung sowie die Europäische Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht. Der Beklagte hat Erklärungen abgegeben, mit denen er die Erklärungen der niederländischen Regierung unterstützt. Die vier Klägerinnen des Ausgangsverfahrens, der Beklagte, Irland, die niederländische Regierung und die Kommission haben an der mündlichen Verhandlung teilgenommen, die am 30. Januar 2020 stattgefunden hat.

IV.    Würdigung

30.      Die vorliegenden Schlussanträge sind wie folgt aufgebaut: Zunächst werde ich die einschlägigen Bestimmungen des Übereinkommens von Aarhus und der Richtlinien 2010/75 und 2011/92 ermitteln (A). Ich werde mich dann der Frage zuwenden, ob die beiden im niederländischen Recht für die Klagebefugnis vorgesehenen Voraussetzungen, nämlich die Voraussetzung „Beteiligter“ zu sein (B), und die Voraussetzung, während des Beteiligungsverfahrens Stellungnahmen eingereicht zu haben (C), mit diesen Instrumenten vereinbar sind.

A.      Einschlägige Rechtsvorschriften: Übereinkommen von Aarhus, Richtlinien 2010/75 und 2011/92

31.      Das vorlegende Gericht ist der Ansicht, dass die Bestimmungen über die Öffentlichkeitsbeteiligung in Art. 6 des Übereinkommens von Aarhus, Art. 6 der Richtlinie 2011/92 sowie Art. 24 der Richtlinie 2010/75 im Ausgangsverfahren einschlägig seien.

32.      Das ist bei dem Übereinkommen von Aarhus sowie der Richtlinie 2010/75 offenbar in der Tat der Fall. Nach Art. 6 Abs. 1 Buchst. a des Übereinkommens von Aarhus gilt Art. 6 bei Entscheidungen darüber, ob die in Anhang I aufgeführten geplanten Tätigkeiten zugelassen werden. Anhang I Nr. 15 Buchst. c führt die Intensivhaltung von Schweinen mit mehr als 750 Plätzen für Sauen auf. Nach Art. 10 der Richtlinie 2010/75 gelten die Bestimmungen über die Beteiligung der Öffentlichkeit in Art. 24 dieser Richtlinie für die in Anhang I aufgelisteten Tätigkeiten. In Nr. 6.6 Buchst. c dieses Anhangs wird die Intensivhaltung oder ‑aufzucht von Schweinen mit mehr als 750 Plätzen für Sauen aufgeführt.

33.      Dagegen ist nicht unmittelbar ersichtlich, dass die Tätigkeiten im Ausgangsverfahren in den Anwendungsbereich der von der Richtlinie 2011/92 erfassten Tätigkeiten fallen. Nach Anhang I Nr. 17 Buchst. c und Anhang II Nr. 1 Buchst. c der Richtlinie 2011/92 gilt diese Richtlinie für Anlagen zur Intensivhaltung oder ‑aufzucht von Schweinen mit mehr als 900 Plätzen für Sauen sowie wasserwirtschaftliche Projekte in der Landwirtschaft. Gleichwohl liegt jedoch die Entscheidung darüber, ob der „Bau eines neuen Stalls für 855 Sauen, die Ersetzung von Jungsauen durch säugende Sauen in den bestehenden Ställen und der Bau eines überdachten Auslaufs für Sauen“ ebenfalls unter diese oder eine andere Bestimmung der Richtlinie 2011/92 fällt, selbstverständlich beim nationalen Gericht unter Berücksichtigung der detaillierten technischen Spezifikation dieser Tätigkeit.

34.      Da dem Gerichtshof nicht die erforderlichen Fakten vorliegen, um eine endgültige Beurteilung der Anwendbarkeit der Richtlinie 2011/92 vorzunehmen, gehe ich davon aus, dass, wie vom vorlegenden Gericht festgestellt, die letztgenannte Richtlinie im Ausgangsverfahren ebenfalls anwendbar ist.

35.      Sodann beruft sich das vorlegende Gericht in den sechs dem Gerichtshof vorgelegten Fragen ausdrücklich nur auf Art. 9 Abs. 2 des Übereinkommens von Aarhus. Hinsichtlich der Vorlageentscheidung ist die Erwähnung von „Unionsrecht“ bei der Formulierung der Fragen jedoch so zu verstehen, dass sie einen Bezug auf Art. 11 der Richtlinie 2011/92 und Art. 25 der Richtlinie 2010/75 einschließt. Inhaltlich entsprechen beide Bestimmungen Art. 9 Abs. 2 des Übereinkommens von Aarhus.

36.      Was die Auslegung dieser sekundärrechtlichen Instrumente anbelangt, sind die Art. 6 und 11 der Richtlinie 2011/92 und die Art. 24 und 25 der Richtlinie 2010/75 im Licht der entsprechenden Bestimmungen von Art. 6 und Art. 9 Abs. 2 des Übereinkommens von Aarhus auszulegen. Da der Unionsgesetzgeber die Kohärenz des Unionsrechts mit dem Übereinkommen von Aarhus sicherstellen wollte, sind Wortlaut und Ziel dieses Übereinkommens bei der Auslegung dieser Richtlinien zu berücksichtigen.(9)

37.      Daher sind die sekundärrechtlichen Unionsvorschriften in diesem Bereich in jedem Fall an das Übereinkommen von Aarhus gebunden. Somit halte ich es zweckdienlich, die vom nationalen Gericht vorgelegten Fragen im Licht der einschlägigen Bestimmungen des Übereinkommens von Aarhus, insbesondere dessen Art. 6 und Art. 9 Abs. 2, zu beurteilen und die entsprechenden Bestimmungen der Art. 6 und 11 der Richtlinie 2011/92 sowie der Art. 24 und 25 der Richtlinie 2010/75 nur dann zu berücksichtigen, wenn sie vom Text des Übereinkommens von Aarhus abweichen. Grundsätzlich kann dies in zwei Situationen auftreten.

38.      Erstens erlaubt Art. 3 Abs. 5 des Übereinkommens von Aarhus seinen Vertragsparteien, Maßnahmen zu ergreifen, die weiter gehende Rechte als die in dem Übereinkommen festgelegten vorsehen. Zweitens könnte in Bezug auf eine bestimmte Vorschrift tatsächlich eine Diskrepanz zwischen dem Übereinkommen von Aarhus und den sekundärrechtlichen Vorschriften der Union bestehen. Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts besteht eine Diskrepanz bzw. ein Widerspruch zwischen dem Umfang der Beteiligungsrechte, der in den beiden Richtlinien der „Öffentlichkeit“ zugestanden wird, und dem Umfang dieser Rechte, den das Übereinkommen von Aarhus gewährt.

B.      Der Zugang zu Gerichten für die „Öffentlichkeit“

39.      Mit seiner ersten und seiner zweiten Frage, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 9 Abs. 2 des Übereinkommens von Aarhus sowie Art. 11 der Richtlinie 2011/92 oder Art. 25 der Richtlinie 2010/75 dem entgegenstehen, dass das Recht auf Zugang zu Gerichten für die Öffentlichkeit in vollem Umfang ausgeschlossen wird, sofern es sich bei ihr nicht um die „betroffene Öffentlichkeit“ im Sinne dieser Instrumente handelt.

40.      Diese Fragen beziehen sich auf die Situation der ersten Klägerin – der natürlichen Person – die das vorlegende Gericht als Teil der „Öffentlichkeit“, nicht aber der „betroffenen Öffentlichkeit“ einstuft. Im Gegensatz dazu werden die drei klagenden Verbände als „Beteiligte“ im Sinne von Art. 1:2(3) Awb angesehen(10). Als solche hätten sie ein „ausreichendes Interesse“ nach Art. 9 Abs. 2 des Übereinkommens von Aarhus und seien von der ersten und der zweiten Frage nicht betroffen.

41.      Die erste und die zweite Frage des vorlegenden Gerichts gehen davon aus, dass Art. 6 des Übereinkommens von Aarhus Mitgliedern der breiten „Öffentlichkeit“ Beteiligungsrechte gewährt, unabhängig davon, ob sie auch Teil der „betroffenen Öffentlichkeit“ sind. So führt das vorlegende Gericht aus, dass Art. 9 Abs. 2 des Übereinkommens von Aarhus offenbar nur auf die „betroffene Öffentlichkeit“ anwendbar sei, was darauf schließen lasse, dass die erste Klägerin nach dieser Bestimmung nicht klagebefugt sei. Das vorlegende Gericht hat jedoch Zweifel, ob eine solche Auslegung angesichts der Tatsache, dass Art. 6 des Übereinkommens nicht nur der „betroffenen Öffentlichkeit“, sondern der breiten „Öffentlichkeit“ mehrere Verfahrensrechte gewährt, beibehalten werden kann. In diesem Zusammenhang weist das vorlegende Gericht auf Art. 6 Abs. 3, 7 und 9 des Übereinkommens hin.

42.      Um zu prüfen, ob Art. 9 Abs. 2 des Übereinkommens von Aarhus einem vollständigen Ausschluss des Rechts der breiten „Öffentlichkeit“ auf Zugang zu Gerichten entgegensteht, ist zunächst der persönliche Anwendungsbereich dieser Bestimmung zu ermitteln (1). Da Art. 9 Abs. 2 den gerichtlichen Durchsetzungsmechanismus der in Art. 6 gewährten Beteiligungsrechte darstellt, ist sodann der persönliche Anwendungsbereich der Beteiligungsrechte in Art. 6 zu ermitteln.

1.      Persönlicher Anwendungsbereich von Art. 9 Abs. 2 des Übereinkommens von Aarhus

43.      Der Wortlaut von Art. 9 Abs. 2 ist recht eindeutig: Diese Bestimmung räumt den Zugang zu Gerichten nur den Mitgliedern der „betroffenen Öffentlichkeit“ ein, nicht aber der breiten „Öffentlichkeit“.

44.      Beide Begriffe sind im Übereinkommen von Aarhus spezifisch definiert. Nach Art. 2 Nr. 4 bedeutet „Öffentlichkeit“ im Wesentlichen jedermann. Nach Art. 2 Nr. 5 ist die „betroffene Öffentlichkeit“ eine Untergruppe der Öffentlichkeit. Sie umfasst nur „die von umweltbezogenen Entscheidungsverfahren betroffene oder wahrscheinlich betroffene Öffentlichkeit oder die Öffentlichkeit mit einem Interesse daran“.

45.      Gewiss will Art. 9 Abs. 2 des Übereinkommens von Aarhus auf der Ebene seiner Zielsetzung einen weiten Zugang zu Gerichten im Rahmen des Anwendungsbereichs des Übereinkommens gewährleisten(11).Dieses Ziel kann jedoch nicht einfach aus dem Kontext gerissen werden, um den klaren Wortlaut von Art. 9 Abs. 2 umzuformulieren. Die Systematik und die Logik von Art. 9 Abs. 2 – im Zusammenhang mit anderen Bestimmungen des Übereinkommens von Aarhus betrachtet – stützen diesen Vorschlag.

46.      Erstens war es die Entscheidung der Verfasser des Übereinkommens von Aarhus, eine Popularklage in Umweltangelegenheiten nicht einzuführen. Wie Generalanwältin Sharpston bereits hervorgehoben hat(12), haben sich die Verfasser des Übereinkommens von Aarhus, gerade weil der Weg einer Popularklage im Rahmen der Verhandlungen dieses Übereinkommens abgelehnt wurde, für eine Stärkung der Rolle von den Umweltschutz fördernden nicht staatlichen Organisationen entschieden, die gemäß Art. 2 Nr. 5 und Art. 9 Abs. 2 stets als Teil der „betroffenen Öffentlichkeit“ angesehen werden und denen ein ausreichendes Interesse unterstellt wird(13). Würde Art. 9 Abs. 2 nun dahin ausgelegt werden, dass er plötzlich der (breiten) „Öffentlichkeit“ eine Klagebefugnis einräumt, wären diese Logik und dieser Kompromiss gestört.

47.      Zweitens besteht der Unterschied zwischen Art. 9 Abs. 2 und Art. 9 Abs. 3 nicht zufällig: Hätten die Verfasser des Übereinkommens von Aarhus der breiten „Öffentlichkeit“ Zugang zu den Gerichten gewähren wollen, und nicht lediglich der „betroffenen Öffentlichkeit“, so wären sie sicherlich in der Lage gewesen, dies auch ausdrücklich so zu formulieren. Das wird am Beispiel des Wortlauts von Art. 9 Abs. 3 deutlich, der den Mitgliedern der „Öffentlichkeit“ ohne weitere Einschränkungen Rechte gewährt.

48.      Drittens jedoch sind Art. 9 Abs. 2 und Art. 9 Abs. 3 zwei verschiedene Bestimmungen des Übereinkommens. Art. 9 Abs. 2 verweist auf Art. 6. Außerdem ist aus der Gesamtstruktur von Art. 9 als Ganzem klar ersichtlich, dass Art. 9 Abs. 2 die Bestimmung zur gerichtlichen Durchsetzung von Art. 6 ist, so wie Art. 9 Abs. 1 die Bestimmung zur gerichtlichen Durchsetzung von Art. 4 ist.

49.      Darüber hinaus beginnt Art. 9 Abs. 3 mit der Formulierung: „Zusätzlich und unbeschadet der in den Absätzen 1 und 2 genannten Überprüfungsverfahren stellt jede Vertragspartei [sicher] …“. Dieser Wortlaut und die Systematik von Art. 9 des Übereinkommens von Aarhus deuten darauf hin, dass Art. 9 Abs. 3 nicht die Durchsetzung von Beteiligungsrechten nach Art. 6 regeln soll, sondern die Durchsetzung anderer Rechte, die durch andere Bestimmungen des Übereinkommens (oder nach nationalem Recht) gewährt werden. Daher bin ich entgegen der dänischen Regierung und der Kommission nicht der Meinung, dass Art. 9 Abs. 3 das Recht auf Zugang zu Gerichten in Bezug auf die in Art. 6 des Übereinkommens gewährten Beteiligungsrechte und die Entscheidungen, die sich aus dem Verfahren nach Art. 6 ergeben, regelt.

50.      Wenn das nämlich der Fall wäre, welchen Zweck sollten Art. 9 Abs. 2 und die dort (oder insoweit in Art. 9 Abs. 1) genannten Voraussetzungen oder Regeln haben, wenn alles, was in diesen Bestimmungen abgedeckt ist, sofort durch den potenziell allumfassenden Art. 9 Abs. 3 außer Kraft gesetzt würde?

51.      Festzuhalten ist, dass Art. 9 Abs. 2 als solcher nicht der „Öffentlichkeit“, sondern nur der „betroffenen Öffentlichkeit“ ein Recht auf Zugang zu Gerichten gewährt. Die gleiche Schlussfolgerung gilt auch für Art. 11 der Richtlinie 2011/92 und Art. 25 der Richtlinie 2010/75, die in diesem Punkt den gleichen Wortlaut aufweisen wie Art. 9 Abs. 2 des Übereinkommens von Aarhus.

52.      Es bleibt noch die Frage der Verbindung zwischen Art. 9 Abs. 2 und Art. 6. Tatsächlich nimmt Art. 6 in seinem Text gelegentlich auf die „Öffentlichkeit“ und nicht nur die „betroffene Öffentlichkeit“ Bezug. Dieser Frage wende ich mich nunmehr zu.

2.      Persönlicher Anwendungsbereich von Art. 6 des Übereinkommens von Aarhus

53.      Die meisten Bestimmungen von Art. 6, einschließlich der zentralen Bestimmung des Art. 6 Abs. 2, gewähren nur der „betroffenen Öffentlichkeit“ Beteiligungsrechte. Es ist die „betroffene Öffentlichkeit“, die im Rahmen umweltbezogener Entscheidungsverfahren über die geplante Tätigkeit gemäß Art. 6 Abs. 2 unterrichtet wird und die dann Zugang zur Einsichtnahme aller Informationen erhält, die für das Entscheidungsverfahren gemäß Art. 6 Abs. 6 relevant sind. Außerdem bestimmt Art. 6 Abs. 5, dass es auch hier wieder die „betroffene Öffentlichkeit“ ist, die von künftigen Antragstellern zu ermitteln ist, bevor der Antrag auf Genehmigung gestellt wird, um Gespräche aufzunehmen und um über den Zweck ihres Antrags zu informieren.

54.      Wie das vorlegende Gericht jedoch feststellt, wird in Art. 6 Abs. 3, 7 und 9 der Begriff „Öffentlichkeit“ und nicht nur „betroffene Öffentlichkeit“ verwendet(14). Dies wirft in der Tat die Frage auf, ob Art. 6 der breiten „Öffentlichkeit“, unabhängig davon, ob ihre Mitglieder Teil der „betroffenen Öffentlichkeit“ sind oder nicht, Beteiligungsrechte einräumt, und bejahendenfalls, ob Art. 9 Abs. 2 die Vertragsparteien dann trotz der obigen vorläufigen Schlussfolgerung gleichwohl verpflichtet, sicherzustellen, dass die „Öffentlichkeit“ zur Durchsetzung dieser Rechte (zumindest in gewissem Umfang) klagebefugt ist.

a)      Art. 6 Abs. 3 und Art. 6 Abs. 9

55.      Art. 6 Abs. 3 verpflichtet die Behörden, einen angemessenen zeitlichen Rahmen für die verschiedenen Phasen des Verfahrens zur Öffentlichkeitsbeteiligung vorzusehen, damit die „Öffentlichkeit“ zunächst informiert ist und sich dann effektiv vorbereiten und beteiligen kann.

56.      Meiner Ansicht nach lässt sich die Bezugnahme auf die „Öffentlichkeit“ in dieser Bestimmung leicht durch das Wesen dieser Bestimmung erklären. Sie betrifft eine Phase, in der eine Kommunikation nach außen erforderlich ist, in der es möglicherweise weder möglich noch vernünftig ist, darauf zu bestehen, die „betroffene Öffentlichkeit“ zu ermitteln. Daher sollen die Informationen einfach veröffentlicht werden. Diese Lesart wird auch durch den Verweis in Art. 6 Abs. 3 auf Art. 6 Abs. 2, der nur die „betroffene Öffentlichkeit“ betrifft, gestützt.

57.      Entsprechende Erwägungen gelten für Art. 6 Abs. 9. Diese Bestimmung verpflichtet die Behörden, die „Öffentlichkeit“ unverzüglich zu informieren, sobald die Entscheidung gefällt wurde, und diese Entscheidung „der Öffentlichkeit“ zugänglich zu machen. Diese Bestimmung gleicht der Bestimmung in Art. 6 Abs. 3 in gewisser Hinsicht, allerdings auf der Ebene der Ergebnisse des Verfahrens: Während Art. 6 Abs. 3 eine angemessene Verbreitung von Informationen über das Verfahren zur Öffentlichkeitsbeteiligung verlangt, bevor dieses begonnen hat, erfordert Art. 6 Abs. 9 das Gleiche im Hinblick auf die Ergebnisse dieses Verfahrens, sobald es abgeschlossen ist.

58.      Es gibt keinen Grund, Baugenehmigungen geheim zu halten. Dies liegt nicht nur an dem allgemeinen Erfordernis der Transparenz und Offenheit der öffentlichen Verwaltung. Neben der „betroffenen Öffentlichkeit“, die am Entscheidungsverfahren teilgenommen hat und den Behörden zum Zeitpunkt des Erlasses der endgültigen Entscheidung bekannt ist, könnte es auch Mitglieder der „betroffenen Öffentlichkeit“ geben, die nicht an diesem Verfahren teilgenommen haben, aber dennoch die am Ende dieses Verfahrens stehende Entscheidung anfechten möchten.

59.      Somit erklären sowohl die Transparenz der Vorbereitung und des Ergebnisses der Entscheidung als auch die Praktikabilität des Verfahrens zur Öffentlichkeitsbeteiligung nach Art. 6 plausibel, warum Art. 6 Abs. 3 und 9 den Begriff „Öffentlichkeit“ verwendet.

b)      Der merkwürdige Fall des Art. 6 Abs. 7

60.      Art. 6 Abs. 7 sieht vor, dass die „Öffentlichkeit“ in Verfahren zur Öffentlichkeitsbeteiligung die Möglichkeit haben muss, alle von ihr für die geplante Tätigkeit als relevant erachteten Stellungnahmen, Informationen, Analysen oder Meinungen in Schriftform vorzulegen oder gegebenenfalls während einer öffentlichen Anhörung oder Untersuchung mit dem Antragsteller vorzutragen.

61.      Offenbar ist die niederländische Regierung auf der Grundlage des Wortlauts von Art. 6 Abs. 7 ebenso wie das vorlegende Gericht der Auffassung, dass der breiten „Öffentlichkeit“ im Verfahren zur Öffentlichkeitsbeteiligung Beteiligungsrechte eingeräumt werden. Im Gegensatz zu Art. 6 Abs. 3 und 9 und seinem Wortlaut nach betrifft Abs. 7 dieses Artikels tatsächlich das Verfahren zur Öffentlichkeitsbeteiligung selbst. Er bezieht sich weder auf das Stadium der Vorbereitung noch auf das Stadium der Veröffentlichung. Er betrifft den unmittelbaren Austausch zwischen den Beteiligten und der Behörde während des öffentlichen Verfahrens in Bezug auf die geplante Tätigkeit.

62.      Bei der Auslegung von Art. 6 Abs. 7 des Übereinkommens von Aarhus bestehen offenbar zwei entgegengesetzte Ansätze.

63.      Die erste Auslegung von Art. 6 Abs. 7 ist die von der niederländischen Regierung vorgeschlagene, zumindest was den ersten Schritt betrifft: Der Begriff „Öffentlichkeit“ in Art. 6 Abs. 7 bedeutet danach „jeder“. Somit erhält jede natürliche oder juristische Person unabhängig davon, ob ihre Interessen berührt sind, ein Recht auf Beteiligung am umweltbezogenen Entscheidungsverfahren nach Art. 6 des Übereinkommens von Aarhus.

64.      Aus den unten im Einzelnen dargelegten Gründen(15) kann die logische Konsequenz dieses Vorschlags jedoch kaum diejenige sein, die im niederländischen Recht zugrunde gelegt wird, wonach zwar jeder das Recht auf Beteiligung hat, aber nur „Beteiligte“ das Ergebnis dieser Beteiligung vor Gericht anfechten können. Stattdessen wäre die logische Konsequenz dieser Auslegung von Art. 6 Abs. 7 die, die die Kommission vorschlägt und die auch im Leitfaden zur Umsetzung des Übereinkommens von Aarhus(16) erwähnt wird: Da Art. 9 Abs. 2 des Übereinkommens der Mechanismus zur Durchsetzung sämtlicher Rechte aus Art. 6 ist und da Art. 9 Abs. 2 nur für die „betroffene Öffentlichkeit“ gilt, würde dies bedeuten, dass jedes Mitglied der „Öffentlichkeit“, das sich tatsächlich an einem Verfahren zur Öffentlichkeitsbeteiligung durch Einreichung von Stellungnahmen beteiligt, den Status eines Mitglieds der „betroffenen Öffentlichkeit“ erlangen würde. Mit anderen Worten würde Art. 6 Abs. 7 nach dieser Auslegung Tür und Tor für eine „Betroffenheit durch Beteiligung“ für die Zwecke von Art. 9 Abs. 2 öffnen.

65.      Nach der zweiten Auslegung wäre Art. 6 Abs. 7 des Übereinkommens dahin auszulegen, dass zwar „jeder“ (die „Öffentlichkeit“) die Möglichkeit hat, sich an die Behörde zu wenden, um sich und seine Interessen am Entscheidungsverfahren bekannt zu machen, Art. 6 Abs. 7 jedoch, wird er im allgemeinen Kontext von Art. 6 und dem Übereinkommen von Aarhus betrachtet, Beteiligungsrechte – d. h. Rechte, die für die zuständigen Behörden entsprechende Verpflichtungen schaffen, solche Stellungnahmen gemäß Art. 6 Abs. 8 zu berücksichtigen, und die nach Art. 9 Abs. 2 nur gerichtlich durchsetzbar sind – nur insoweit gewährt, als diese Person zugleich Teil der „betroffenen Öffentlichkeit“ ist.

66.      Aus mehreren Gründen, die ich in den folgenden drei Unterabschnitten erläutern werde, kann ich mir nicht vorstellen, dass die erste Auslegung, in welcher ihrer möglichen Varianten auch immer, eine sinnvolle ist.

c)      Ein „weltweites“ Recht auf Beteiligung?

67.      Erstens hat Art. 6 eine innere Systematik. Würde Art. 6 Abs. 7 dahin ausgelegt, dass er jedem ein Recht auf Beteiligung gewährt und nicht nur der „betroffenen Öffentlichkeit“, was würde das für die anderen Bestimmungen dieses Artikels bedeuten, die sich als solche auf die „betroffene Öffentlichkeit“ beschränken? Wie würde das Zusammenwirken dieser Bestimmungen funktionieren? Wie etwa würde die „Öffentlichkeit“ wohl ihr Recht, Stellungnahmen oder Anmerkungen zu einem Entscheidungsentwurf nach Art. 6 Abs. 7 einzureichen, ausüben, wenn sie gar nicht das Recht hat, von dem Entscheidungsentwurf in Kenntnis gesetzt zu werden, weil dieses Recht nach Art. 6 Abs. 2 auf die „betroffene Öffentlichkeit“ beschränkt ist? Auf welcher Grundlage sollte sich die „Öffentlichkeit“ zu der geplanten Tätigkeit angesichts der Tatsache äußern, dass sie nicht das Recht auf Einsichtnahme aller für den Entscheidungsentwurf relevanten Informationen hat, da diese Rechte nach Art. 6 Abs. 6 nur der „betroffenen Öffentlichkeit“ zustehen?

68.      In der Praxis muss Art. 6 also ein kohärentes Ganzes bilden. Das bedeutet entweder eine Ausdehnung des Anwendungsbereichs des Begriffs „betroffene Öffentlichkeit“ in allen anderen Bestimmungen des Art. 6, was im Widerspruch zu deren eindeutiger Formulierung steht, so dass er tatsächlich „Öffentlichkeit“ bedeutet, oder aber eine teleologische Reduktion von Art. 6 Abs. 7 dahin, dass nur die „betroffene Öffentlichkeit“ Beteiligungsrechte in dem oben unter Nr. 65 genannten Sinn hat, um mit dem Rest dieses Artikels im Einklang zu stehen.

69.      Meines Erachtens gewährt Art. 6 als kohärentes Ganzes – das er sein sollte – nur der „betroffenen Öffentlichkeit“, und nicht der „Öffentlichkeit“, Beteiligungsrechte, und zwar sowohl aus Gründen der praktischen Durchführbarkeit als auch aus prinzipiellen Gründen.

70.      Was die praktische Durchführbarkeit anbelangt, ist schwer vorstellbar, wie die Verfahren und Rechte, die für eine bestimmte Personengruppe, die mit einiger Wahrscheinlichkeit von der geplanten Tätigkeit betroffen sein wird, konzipiert und ausgestaltet wurden, in Bezug auf jeden bzw. jedermann funktionieren würden.

71.      Angefangen bei der effektiven Mitteilung der Informationen über die geplante Tätigkeit gemäß Art. 6 Abs. 3 und 2: Wenn diese Mitteilung nicht dazu dienen soll, die Öffentlichkeit zu erreichen, die mit einiger Wahrscheinlichkeit betroffen sein könnte, sondern – entgegen ihrem Wortlaut – die Öffentlichkeit im Allgemeinen, ohne räumliche, umwelt- oder interessenbezogene Einschränkungen, müsste dann nicht jede geplante Tätigkeit der ganzen Welt mitgeteilt werden? Ist dann jeder größere Schweinestall (in den Niederlanden) etwa in der Financial Times, im The Economist oder in einem anderen Medium mit globaler Reichweite bekannt zu machen?

72.      Damit ist klar, dass der in verschiedenen Bestimmungen des Art. 6 verwendete Begriff „Öffentlichkeit“ innerhalb der angemessenen Grenzen dessen zu verstehen ist, was mit dem Vorgang als Ganzem verwirklicht werden soll, nämlich der wahrscheinlich betroffenen Öffentlichkeit eine angemessene Möglichkeit zu geben, sich frühzeitig und vorab über die Entscheidungsfindung bei geplanten Tätigkeiten und ihre Beteiligungsmöglichkeiten zu informieren(17).

73.      Mit dieser Frage der praktischen Durchführbarkeit ist die prinzipielle Frage verbunden: Welche Interessen, geschweige denn Rechte, hätte ein Tscheche, ein Däne oder ein Chinese(18), die jeweils Hunderte oder sogar Tausende von Kilometern von der geplanten Tätigkeit entfernt wohnen, im Hinblick auf den Bau eines neuen Stalls für 855 Sauen in Echt-Susteren im Südosten der Niederlande?

74.      Gewiss hebt das Übereinkommen von Aarhus in seiner Präambel das Recht eines jeden Menschen hervor, in einer Umwelt zu leben, die ihm ausreichende Gesundheit gewährleistet. Zweifellos mangelt es auch nicht an Theorien darüber, warum Umweltrechte besondere kollektive Rechte sind und es erlaubt sein muss, diese Rechte auf besondere Weise auszuüben. Zudem ist das Übereinkommen von Aarhus selbst in einer Reihe allgemeiner Bestimmungen in seinem Art. 3 sowie in weiteren besonderen Bestimmungen bestrebt, eine möglichst breite Beteiligung der Öffentlichkeit sowie den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten voranzutreiben.

75.      Selbst nach Berücksichtigung all dieser Punkte sehe ich jedoch in meiner wohl traditionellen und positivistischen Sichtweise immer noch nicht, welche Interessen solche Tschechen, Dänen oder Chinesen in einem Fall wie dem vorliegenden im Hinblick auf die im Ausgangsverfahren geplante konkrete Umweltaktivität haben könnten. Vor allem aber kann ich aus den Bestimmungen des Übereinkommens von Aarhus keine derartigen durchsetzbaren Rechte ableiten. Aus der Gesamtsystematik wie auch aus dem Kontext heraus kann das Übereinkommen von Aarhus nicht so ausgelegt werden, dass es jedem ein Recht auf Öffentlichkeitsbeteiligung am umweltbezogenen Entscheidungsverfahren nach Art. 6 einräumt.

76.      Daher ist die viel sinnvollere Auslegung von Art. 6 Abs. 7, für sich allein betrachtet, dass diese Bestimmung der gleichen Logik folgen soll wie der Rest dieses Artikels. Um die „betroffene Öffentlichkeit“ in einem bestimmten Verfahren zur Öffentlichkeitsbeteiligung zu ermitteln, sollten die Behörden der breiten „Öffentlichkeit“ erlauben, sich an die Behörden zu wenden und ihr Interesse und ihre Position im Entscheidungsverfahren zu erläutern. Vor diesem Hintergrund erlaubt Art. 6 Abs. 7 der breiten „Öffentlichkeit“, Stellungnahmen bei den Behörden einzureichen. Das bedeutet jedoch nicht, dass diese breite Öffentlichkeit irgendwelche Rechte in Bezug auf eine tatsächliche Beteiligung an diesem Verfahren hätte oder die Behörden irgendwelche damit verbundenen Verpflichtungen.

77.      Der Vollständigkeit halber ist anzumerken, dass die Berichte des Compliance Committees (Ausschuss zur Überwachung der Einhaltung des Übereinkommens von Aarhus), auf die sich das vorlegende Gericht beruft, offenbar keine andere Auslegung nahelegen. Es trifft zu, dass der Ausschuss festgestellt hat, dass eine Vertragspartei des Übereinkommens es dadurch, dass sie das Recht zur Einreichung von Stellungnahmen auf die „betroffene Öffentlichkeit“ beschränkt habe, versäumt habe, die in Art. 6 Abs. 7 vorgesehenen Rechte in vollem Umfang zu gewährleisten. Das lag aber u. a. daran, dass es sich bei diesen Stellungnahmen um „begründete Vorschläge“ handeln musste, d. h., sie sollten eine begründete Argumentation enthalten, und diese Verpflichtung für das Verwaltungsverfahren zur Öffentlichkeitsbeteiligung wohl tatsächlich etwas aufwendig war(19). Ebenso verpflichtet Art. 6 Abs. 8 des Übereinkommens von Aarhus die Behörden, bei ihrer Entscheidung „alle eingegangenen Stellungnahmen ernsthaft zu berücksichtigen“(20). Diese Feststellungen behandeln allerdings nicht den Anwendungsbereich von Art. 6 Abs. 7 in Bezug auf die „Öffentlichkeit“ und die Definition dieser Öffentlichkeit im Gesamtkontext von Art. 6 des Übereinkommens von Aarhus.

78.      Ergänzend ist schließlich anzumerken, dass die hier vorgeschlagene Auslegung auch eine Auslegung des Übereinkommens von Aarhus gewährleistet, die mit den Richtlinien 2011/92 und 2010/75 kohärent ist und mit ihnen in Einklang steht. Festzustellen ist, dass die Richtlinien 2011/92 und 2010/75 der „Öffentlichkeit“ nur insoweit Beteiligungsrechte einräumen, als sie Teil der „betroffenen Öffentlichkeit“ ist. Während also das Recht, über den Entscheidungsentwurf informiert zu werden, in den Richtlinien der breiten „Öffentlichkeit“ eingeräumt wird(21), wird das Recht, Stellung zu nehmen – wie auch alle anderen Beteiligungsrechte –, nur der „betroffenen Öffentlichkeit“ gewährt.(22)

79.      Der Ansatz und die in den Richtlinien vorgenommenen systematischen Unterscheidungen, die im Wesentlichen die Auslegung von Art. 6 Abs. 7 des Übereinkommens von Aarhus durch den Unionsgesetzgeber widerspiegeln, erscheinen kohärent. Während jeder („Öffentlichkeit“) das Recht hat, über einen Entscheidungsentwurf informiert zu werden, hat nur die „betroffene Öffentlichkeit“, d. h. die tatsächlich betroffene oder wahrscheinlich betroffene Öffentlichkeit oder die Öffentlichkeit, die ein Interesse hat, das Recht, sich aktiv an dem Verfahren zu beteiligen.

80.      Schließlich ist noch anzumerken, dass, wenngleich gelegentlich darauf hingewiesen wird, dass die Unionsgesetzgebung im Allgemeinen und einige spezifische Unionsvorschriften im Besonderen im Widerspruch zu bestimmten Vorschriften des Übereinkommens von Aarhus stehen(23), dies vorliegend eindeutig nicht der Fall ist. Im Gegenteil hat der Unionsgesetzgeber meines Erachtens völkerrechtliche Verpflichtungen eher rational bewertet und umgesetzt, ohne die vom Übereinkommen von Aarhus geforderten Mindestanforderungen zu unterschreiten. Entgegen dem vorlegenden Gericht bin ich daher nicht der Ansicht, dass in diesem Punkt eine Inkohärenz oder ein Widerspruch zwischen dem Anwendungsbereich der Richtlinien und dem Übereinkommen von Aarhus besteht.

d)      Beteiligungsrechte nach Art. 6 als Leges Imperfectae?

81.      Es ist anzumerken, dass die in Rede stehenden niederländischen Vorschriften dennoch etwas differenzierter sind. Einerseits erklärt die niederländische Regierung, dass mit „Öffentlichkeit“ im Sinne dieser Bestimmung „jeder“ gemeint sei. Wie auch aus der nationalen Umsetzung dieser Verpflichtung hervorgeht, hat somit jedermann das Recht, Stellung zu nehmen und sich am Verfahren zur Öffentlichkeitsbeteiligung nach Art. 6 zu beteiligen. Allerdings haben nur „Beteiligte“, d. h. die „betroffene Öffentlichkeit“, Zugang zu einem Gericht.

82.      Dieser Ansatz für die Auslegung der einschlägigen Bestimmungen des Übereinkommens von Aarhus würde bedeuten, dass Art. 6 Abs. 7 – oder sogar Art. 6 insgesamt – jedem das Recht verleihen würde, an Entscheidungsverfahren in Umweltangelegenheiten teilzunehmen. Jedoch hätten nur diejenigen Personen, die in Art. 9 Abs. 2 als „betroffene Öffentlichkeit“ erfasst sind, anschließend Zugang zu den Gerichten. Darüber hinaus hätte eine tatsächliche Beteiligung nach Art. 6 keine Bedeutung für den Anwendungsbereich von Art. 9 Abs. 2: Die „Öffentlichkeit“ nach Art. 6 Abs. 7 könnte niemals den Status der „betroffenen Öffentlichkeit“ gemäß Art. 9 Abs. 2 erlangen, selbst wenn diese Öffentlichkeit in vollem Umfang am umweltbezogenen Entscheidungsverfahren beteiligt war.

83.      Ich erinnere daran, dass Art. 9 Abs. 2 ausdrücklich die materiell-rechtliche und die verfahrensrechtliche Rechtmäßigkeit von Entscheidungen regelt, die dem Beteiligungsverfahren nach Art. 6 unterliegen, dass Art. 9 Abs. 2 nur für die „betroffene Öffentlichkeit“ gilt und dass Art. 9 Abs. 3 nicht die Rechtmäßigkeit der Entscheidungen regelt, die dem Verfahren nach Art. 6 unterliegen(24). Mit anderen Worten würde die Auffassung, dass Art. 6 der breiten „Öffentlichkeit“ Beteiligungsrechte einräumt, bedeuten, dass das Übereinkommen für die „Öffentlichkeit“ Beteiligungsrechte schafft, ohne dass für diese Rechte ein entsprechender Durchsetzungsmechanismus in Art. 9 des Übereinkommens vorhanden wäre.

84.      Infolgedessen gäbe es nach dem Übereinkommen von Aarhus zwei Klassen von Beteiligten am umweltbezogenen Entscheidungsverfahren vor einer Verwaltungsbehörde: diejenige mit durchsetzbaren Rechten und diejenige ohne solche Rechte. Die letztgenannte Kategorie hätte das Recht, Stellung zu nehmen und sich zu beteiligen. In der Praxis gäbe es jedoch keinen Mechanismus zur Durchsetzung dieser Rechte. Natürlich möchte man davon ausgehen, dass sich alle Verwaltungsbehörden in allen Mitgliedstaaten tadellos verhalten. Wenn man jedoch annimmt, dass eine oder mehrere von ihnen diesem Ideal gelegentlich nicht gerecht werden, würde absolut nichts verhindern, dass eine solche weniger perfekte Verwaltungsbehörde alles, was sie von der „Öffentlichkeit“ erhält, die nicht zugleich Teil der „betroffenen Öffentlichkeit“ ist, sofort in den Mülleimer wirft.

85.      Meines Erachtens ist diese Betrachtungsweise unhaltbar, und ich schließe mich insoweit der Auffassung der Kommission(25) an. Nach dem Übereinkommen von Aarhus und vor allem nach Unionsrecht allgemein(26), und im Übrigen nach jedem Rechtssystem, das diesen Namen verdient, muss es, damit ein Recht besteht, auch einen Rechtsbehelf geben. Gibt es keine Möglichkeit zur Durchsetzung der entsprechenden Verpflichtung der anderen Partei, im vorliegenden Fall der Behörde, dann besteht naturgemäß auch kein Recht. Dieses Etwas kann als Geschenk, Gefallen oder gar als Wohltätigkeit angesehen werden, aber schwerlich als Recht. Wenn also das Unionsrecht oder ein völkerrechtliches Übereinkommen, dessen Vertragspartei die Europäische Union ist und das sie intern mit der Unionsrechtsordnung umsetzt und durchsetzt, ein Recht vorsieht, dann muss auch ein Zugang zu einem Gericht bestehen, um dieses Recht durchzusetzen, und zwar entweder im Rahmen des fraglichen Instruments oder, falls dies nicht der Fall ist, nach Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta)  (27)

e)      Nur „verfahrensrechtliche“ Rechtmäßigkeit oder „Betroffenheit durch Beteiligung“?

86.      Zumindest theoretisch könnte es einige Zwischenpositionen zum Umfang des fraglichen Zugangs zu Gerichten geben.

87.      Erstens: Was wäre die Folge, wenn die breite „Öffentlichkeit“ im Sinne von Art. 6 Abs. 7 nur in dem Umfang Zugang zu Gerichten hätte, in dem sie sich am umweltbezogenen Entscheidungsverfahren beteiligt hat? Könnten solche Personen also die Achtung ihrer persönlichen Beteiligungsrechte nur insoweit durchsetzen, als sie von ihnen Gebrauch gemacht haben, wären aber nicht berechtigt, die endgültige Entscheidung insgesamt anzugreifen? Wie wäre es alternativ dazu, wenn sie nur die verfahrensrechtliche, nicht aber die materiell-rechtliche Rechtmäßigkeit von Entscheidungen anfechten könnten, die sich aus dem Verfahren nach Art. 6 ergeben?

88.      Solche Vorschläge werden durch den Wortlaut und die Struktur des Übereinkommens von Aarhus noch weniger gestützt. Sie würden nämlich darauf hinauslaufen, neben den Kategorien „Öffentlichkeit“ und „betroffene Öffentlichkeit“ eine dritte Kategorie der „semi-betroffenen Öffentlichkeit“ (oder „verfahrensrechtlich betroffenen Öffentlichkeit“) zu schaffen.

89.      Außerdem sind solche Zwischenpositionen meines Erachtens tatsächlich gar nicht möglich. Im ersten Szenario wäre der Umfang der gerichtlichen Kontrolle „à la carte“ vollständig von der persönlichen Wahl abhängig, die der Kläger im Stadium des Verwaltungsverfahrens getroffen hat(28). Das zweite Szenario beruht auf einer imaginären (und in der Praxis kaum durchführbaren) Unterscheidung zwischen der verfahrensrechtlichen und der materiell-rechtlichen Rechtmäßigkeit der dem Verfahren des Art. 6 unterliegenden Entscheidungen(29). Vor allem aber findet sich auch in Art. 9 Abs. 2 selbst wiederum keine solche Unterscheidung. Tatsächlich verlangt Art. 9 Abs. 2 nicht einmal, dass eine Partei, die lediglich einen Verfahrensfehler geltend macht, klagebefugt sein muss, solange nachgewiesen ist, dass die angegriffene Entscheidung ohne diesen Fehler nicht anders ausgefallen wäre(30).

90.      Zweitens: Wenn Art. 6 Abs. 7 dahin auszulegen wäre, dass jeder, der sich tatsächlich an dem Verfahren zur Öffentlichkeitsbeteiligung beteiligt, Teil der „betroffenen Öffentlichkeit“ wird, müsste eine solche Voraussetzung von allen Vertragsstaaten bei der Definition dessen, was ein ausreichendes Interesse oder eine Rechtsverletzung im Sinne von Art. 9 Abs. 2 für die „betroffene Öffentlichkeit“ mit Ausnahme der nicht staatlichen Organisationen darstellt, angewandt werden. Mit anderen Worten müssten die Vertragsstaaten mit dem Kriterium „Betroffenheit durch Beteiligung“ nach Art. 9 Abs. 2 arbeiten.

91.      Dies kann jedoch nicht der Fall sein. Art. 9 Abs. 2 räumt den Parteien einen weiten Wertungsspielraum bei der Bestimmung dessen ein, was ein „ausreichendes Interesse“ oder eine „Rechtsverletzung“ für die „betroffene Öffentlichkeit“ mit Ausnahme der nicht staatlichen Organisationen darstellt(31). Zudem würde das Konzept einer „Betroffenheit durch Beteiligung“ die eigentliche Grundlage der Voraussetzungen für die Klagebefugnis in Art. 9 Abs. 2 unterlaufen. Wenn sich jeder gemäß Art. 6 Abs. 7 beteiligen dürfte und damit jeder gemäß Art. 9 Abs. 2 aufgrund bloßer Teilnahme am Beteiligungsverfahren die Klagebefugnis erhielte, würde Art. 9 Abs. 2 im Wesentlichen für jedermann gelten, was einer Popularklage gleichkäme. Dies ist wiederum ein Ergebnis, das die Verfasser des Übereinkommens von Aarhus ausdrücklich abgelehnt haben(32).

f)      Zwischenergebnis

92.      Obwohl ich bestrebt bin, den Geist und die Bemühungen des Übereinkommens von Aarhus, den Entscheidungsprozess transparent zu machen und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten zu öffnen, voll und ganz zu beachten, kann ich mich dennoch nicht der Auffassung anschließen, wonach die in Art. 6 verankerten Beteiligungsrechte der Öffentlichkeit auf der Grundlage des Wortlauts des aus dem Gesamtkontext von Art. 6 herausgelösten Art. 6 Abs. 7 jedem zu gewähren sind. Diese Schlussfolgerung stützt sich nicht nur auf die Bestimmung selbst, sondern berücksichtigt, wie in den vorigen Unterabschnitten dieser Schlussanträge dargelegt, auch die eher fragwürdigen Auswirkungen, die eine solche Ausweitung auf die anderen Bestimmungen des Übereinkommens von Aarhus haben würde – insbesondere auf die sich als Nächstes stellende Frage des Zugangs zu Gerichten. Das lobenswerte Ziel, mehr Zugang in Umweltangelegenheiten zu gewähren, darf nicht von der Gesamtsystematik des Instruments und seinen Grenzen abgetrennt werden.

93.      Angesichts der vorstehenden Erwägungen ziehe ich den Schluss, dass Art. 6 Abs. 7 des Übereinkommens von Aarhus dahin auszulegen ist, dass er Beteiligungsrechte für die „Öffentlichkeit“ nur insoweit enthält, als sie Teil der „betroffenen Öffentlichkeit“ ist, und dass Art. 9 Abs. 2 ebenfalls nur für die „betroffene Öffentlichkeit“ gilt. Die letztgenannte Bestimmung verwehrt es daher nicht, das Recht auf Zugang zu Gerichten für die breite „Öffentlichkeit“, die nicht zugleich auch als „betroffene Öffentlichkeit“ anzusehen ist, auszuschließen.

3.      Weiter gehende Rechte nach nationalem Recht

94.      Was würde diese Schlussfolgerung für die Situation der ersten Klägerin bedeuten, wenn man sie ausschließlich im Licht des Übereinkommens von Aarhus sowie der Richtlinien 2010/75 und 2011/92 betrachtete? Die erste Klägerin ist eine natürliche Person und von Beruf Tierärztin. Sie erklärt, dass das Wohlergehen der Tiere sie aufgrund ihres Berufs und des Eides, den sie im Rahmen der beruflichen Zulassung abgelegt habe, persönlich betreffe. Dies bedeutet jedoch keine Berührung der Interessen nach nationalem Recht, die ihr den Status einer betroffenen Partei verleihen würde.

95.      Nach der oben dargelegten Auslegung des Übereinkommens von Aarhus ist die erste Klägerin ein Mitglied der „Öffentlichkeit“, aber nicht der „betroffenen Öffentlichkeit“. Sie hat kein Recht auf Beteiligung am Entscheidungsverfahren in Umweltangelegenheiten nach Art. 6 des Übereinkommens von Aarhus. Darüber hinaus ist sie nach nationalem Recht offenbar nicht Teil der „betroffenen Öffentlichkeit“ im Sinne von Art. 9 Abs. 2. Da sie keine Beteiligungsrechte nach Art. 6 hat, ist der Vertragsstaat nicht verpflichtet, ihr ein Recht auf Zugang zu Gerichten nach Art. 9 Abs. 2 einzuräumen. Art. 9 Abs. 3 bezweckt nicht, Handlungen oder Unterlassungen zu erfassen, die bereits unter Art. 9 Abs. 2 fallen. Somit besteht auch keine zusätzliche Verpflichtung nach Art. 9 Abs. 3. Die Richtlinien 2010/75 und 2011/92 ändern an diesen Schlussfolgerungen nichts.

a)      Recht auf Zugang für die „Öffentlichkeit“ nach innerstaatlichem Recht

96.      Gleichwohl ist der vorliegende Fall hier nicht wirklich am Ende angelangt. Ich erinnere daran, dass nach niederländischem Recht das nach diesem innerstaatlichem Recht gewährte Recht der „Öffentlichkeit“ auf Beteiligung am Entscheidungsverfahren über den Anwendungsbereich von Art. 6 Abs. 7 des Übereinkommens, wie er oben ausgelegt worden ist, hinausgeht. Gemäß Art. 3.12 Abs. 5 Wabo gilt das Recht auf Beteiligung am Entscheidungsverfahren für jeden, und zwar ohne Unterscheidung zwischen der „betroffenen Öffentlichkeit“ und der „Öffentlichkeit“. Nach meinem Verständnis gewährt daher das innerstaatliche Recht jeder natürlichen und juristischen Person das Recht auf vollumfängliche Beteiligung am Verfahren zur Öffentlichkeitsbeteiligung.(33)

97.      Das schafft eine weitere Ebene der Komplexität. Stehen Art. 9 Abs. 2 des Übereinkommens von Aarhus, Art. 11 der Richtlinie 2011/92 und Art. 25 der Richtlinie 2010/75 oder andere Bestimmungen des Unionsrechts einem Ausschluss des Rechts auf Zugang zu Gerichten für die „Öffentlichkeit“ in Bezug auf die Rechtmäßigkeit von Entscheidungen, die dem Verfahren nach Art. 6 unterliegen, in Fällen entgegen, in denen dieser Gruppe nach innerstaatlichem Recht derartige weiter gehende Rechte der Öffentlichkeitsbeteiligung ausdrücklich eingeräumt worden sind?

98.      Nach Art. 3 Abs. 5 des Übereinkommens von Aarhus können die Vertragsparteien günstigere Bestimmungen in ihr innerstaatliches Recht aufnehmen, als das Übereinkommen verlangt, wie etwa eine umfangreichere Beteiligung der Öffentlichkeit am Entscheidungsverfahren nach Art. 6. Die Möglichkeit, weiter gehende Rechte im innerstaatlichen Recht vorzusehen, kommt auch in einer Reihe anderer spezifischer Bestimmungen des Übereinkommens zum Ausdruck.

99.      Im Hinblick auf die im vorigen Abschnitt vorgeschlagene Auslegung von Art. 6 des Übereinkommens von Aarhus, wonach die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, eine vollumfängliche Öffentlichkeitsbeteiligung nur für die „betroffene Öffentlichkeit“ zu gewährleisten, nicht aber für die breite „Öffentlichkeit“, haben die Niederlande offenbar weiter gehende Rechte der Öffentlichkeitsbeteiligung vorgesehen als im Übereinkommen verlangt. Dieser Mitgliedstaat hat dies allerdings nur in Bezug auf die Öffentlichkeitsbeteiligung nach Art. 6 getan, nicht aber in Bezug auf nachgeschaltete Rechte auf Zugang zu Gerichten gemäß Art. 9 Abs. 2.

b)      Weiter gehende Rechte und Anwendungsbereich der Charta

100. Wie ist eine solche Situation nach Unionsrecht zu beurteilen? Fallen solche „günstigeren“ innerstaatlichen Bestimmungen für die Zwecke der Anwendbarkeit der Charta „in den Anwendungsbereich des Unionsrechts“? Ist es dann zwingend, dass der Zugang zu einem Gericht gemäß Art. 47 Abs. 1 der Charta den Mitgliedern der breiten „Öffentlichkeit“ gewährt wird, um ihnen einen gerichtlichen Rechtsbehelf für die weiter gehenden Beteiligungsrechte zu ermöglichen, die durch nationales Recht, aber im Rahmen des Rechtsinstruments des Unionsrechts, gewährt werden?

101. Zur Beantwortung dieser Fragen ist eine zweistufige Prüfung erforderlich. Erstens: Handelt ein Mitgliedstaat, der in einem bestimmten Punkt über das erforderliche Maß hinausgeht und Maßnahmen trifft, die vom Unionsrecht nicht ausdrücklich vorgeschrieben sind, im Rahmen des Unionsrechts und „führt damit Unionsrecht durch“ im Sinne von Art. 51 Abs. 1 der Charta? Zweitens: Ist Art. 47 Abs. 1 der Charta dann anwendbar, weil „durch das Recht der Union garantierte Rechte oder Freiheiten“ gefährdet sind?

102. Erstens würde die Erwägung, dass die fraglichen „günstigeren“ innerstaatlichen Bestimmungen in den Anwendungsbereich der Charta gemäß ihrem Art. 51 Abs. 1 fallen, dem in der Tat herrschenden Ansatz in dieser Frage entsprechen. Zwar sind die spezifischen nationalen Regelungen (genau genommen) nicht durch das Unionsrecht vorgeschrieben, doch fallen sie in den Geltungsbereich des Unionsrechts, wenn sie weiter gefasste und abstraktere Bestimmungen des Unionsrechts umsetzen(34).

103. Die gleichen Schlussfolgerungen sollten erst recht in Bezug auf ein Instrument gezogen werden, das eindeutig die Möglichkeit der Mitgliedstaaten vorsieht, über das erforderliche Mindestmaß hinauszugehen, und das tatsächlich die weiter gehenden Rechte und Beteiligungsmöglichkeiten in seine Gesamtsystematik integriert, wie etwa in Art. 3 Abs. 5 und Art. 9 Abs. 2 oder Abs. 3 des Übereinkommens von Aarhus geschehen.

104. Sollte dies nämlich der Fall sein, wäre die oben dargelegte Systematik(35) in Bezug auf die im Rahmen des Übereinkommens von Aarhus garantierten Rechte auch anwendbar: Ist ein Recht vorgesehen, wenn auch nicht nach Unionsrecht, sondern nach mitgliedstaatlichem Recht im Geltungsbereich des Unionsrechts und im Einklang mit einem ausdrücklichen Regelungsauftrag, so muss es auch einen gerichtlichen Rechtsbehelf im Fall der Verletzung dieses Rechts geben.

105. Dies muss erst recht bei einer so grundlegenden Garantie wie dem Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und den Zugang zu einem Gericht nach Art. 47 Abs. 1 der Charta der Fall sein. Art. 47 Abs. 1 verleiht nämlich dem Einzelnen ein Recht, das er unmittelbar geltend machen kann(36). Wie die jüngere Rechtsprechung des Gerichtshofs deutlich macht, stellt Art. 47 der Charta nicht nur verschönerndes Beiwerk zum Kern dar, sondern ist selbst das Herzstück und die Quintessenz eines jeden rechtsstaatlichen Systems(37).

106. In dem kürzlich ergangenen Urteil (der Großen Kammer) in der Rechtssache TSN und AKT hat der Gerichtshof jedoch festgestellt, dass eine Durchführung des Unionsrechts durch einen Mitgliedstaat im Sinne von Art. 51 Abs. 1 der Charta nicht vorliege, wenn er nationale Bestimmungen erlasse, die in die Kompetenzen der Mitgliedstaaten aufgrund einer unionsrechtlichen Bestimmung fielen, nach der eine Richtlinie das Recht der Mitgliedstaaten, günstigere Bestimmungen anzuwenden, nicht berührt(38).

107. Nach diesem Urteil kommt es offenbar auf die Mikro-Analyse jeder einzelnen Bestimmung an: „Wenn die unionsrechtlichen Vorschriften in dem betreffenden Bereich aber einen bestimmten Aspekt nicht regeln und den Mitgliedstaaten im Hinblick auf einen bestimmten Sachverhalt keine bestimmten Verpflichtungen auferlegen, fällt die nationale Regelung eines solchen Aspekts durch einen Mitgliedstaat nicht in den Anwendungsbereich der Charta, so dass deren Bestimmungen für die Beurteilung des betreffenden Sachverhalts nicht herangezogen werden können …“(39).

108. Ich kann dem Wortlaut des Urteils in der Rechtssache TSN und AKT insofern nicht uneingeschränkt folgen, als danach – im Widerspruch zur gefestigten Rechtsprechung des Gerichtshofs – Rechtssachen plötzlich und unvermittelt in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fallen – und wieder herausfallen – würden und somit die Charta auf der Ebene jeder einzelnen Bestimmung des Sekundärrechts beurteilt werden würde(40). Mit der gleichen Logik würde eine Reihe von Rechtssachen aus der Vergangenheit, in denen es keine konkrete, die spezifischen in Rede stehenden Fragen regelnde Vorschrift des Unionsrechts gab, für die aber dennoch festgestellt wurde, dass sie sich im Geltungsbereich des Unionsrechts und damit in der Anwendbarkeit der Charta befinden, plötzlich aus dem Anwendungsbereich der Charta herausfallen(41). Dieser Ansatz unterscheidet sich auch von anderen neueren Strömungen der Rechtsprechung, wonach die Charta und ihre Garantien weiterhin anwendbar bleiben, während anerkannt wurde, dass keine konkrete Bestimmung des Sekundärrechts ein solches spezifisches Recht garantiert, das der im nationalen Recht vorgesehenen legislativen Lösung entgegenstehen würde(42).

109. Dennoch kann ich mich dem funktionalen Ansatz im Urteil TSN und AKT anschließen. Der Gerichtshof ist zu der in Nr. 107 der vorliegenden Schlussanträge wiedergegebenen Feststellung erst gelangt, nachdem er den Umfang der Harmonisierung in einem bestimmten Bereich und die Art der Zuständigkeit der Union geprüft hatte und vor allem nachdem er den Vorbehalt formuliert hatte, dass die im nationalen Recht vorgesehenen „günstigeren Maßnahmen“ die Kohärenz des Unionsrechts in dem betreffenden Bereich nicht in Frage stellen dürfen(43).

110. Meines Erachtens ist die entscheidende Frage in einem solchen Kontext nicht die Anwendbarkeit der Charta (und des Geltungsbereichs des Unionsrechts), sondern vielmehr die Identifizierung eines spezifischen Rechts, das durch das Unionsrecht vorgesehen und dann den Schutz des Art. 47 Abs. 1 der Charta auslösen würde.

111. Zweitens bleibt deshalb, auch wenn nicht zwingend jedes einzelne Element der Beteiligung der „Öffentlichkeit“ vollständig außerhalb des Geltungsbereichs des Unionsrechts liegen mag, die Tatsache bestehen, dass es kein unionsrechtlich garantiertes Recht der „Öffentlichkeit“ auf Beteiligung gibt, das nach Art. 47 Abs. 1 der Charta durchgesetzt werden könnte. Somit steht das Unionsrecht einem Ausschluss des Rechts auf Zugang zu Gerichten für die Mitglieder „Öffentlichkeit“, die nicht Teil der „betroffenen Öffentlichkeit“ sind, tatsächlich nicht entgegen. Dies ist jedoch nicht der Grund, warum die Charta oder das Unionsrecht in der vorliegenden Rechtssache nicht anwendbar wäre; der Grund ist vielmehr, dass ein solches Beteiligungsrecht der „Öffentlichkeit“ im Unionsrecht erst gar nicht vorgesehen ist. Wenn das Unionsrecht kein Recht verleiht oder keine Freiheit gewährt, dann gibt es auch kein entsprechendes Recht auf Zugang zu einem Gericht nach Art. 47 Abs. 1 der Charta zur Durchsetzung eines nicht bestehenden Rechts.

112. In der Tat habe ich bereits vorgeschlagen, dass der Fokus der Analyse in solchen Rechtssachen nicht notwendigerweise auf den Anwendungsbereich der Charta, sondern vielmehr auf die Benennung eines Rechts zu richten ist, das sich aus einer konkreten Bestimmung des Unionsrechts ergibt(44). Fehlt ein solches konkretes Recht, wird das Unionsrecht, selbst in einer Rechtssache, die bei einer traditionelleren, großzügigeren Auslegung des Geltungsbereichs des Unionsrechts in dessen Geltungsbereich fällt, zu der Angelegenheit nur sehr wenig oder gar nichts zu sagen haben, weil dieser Gestaltungsraum in einem Bereich geteilter Zuständigkeit bei den Mitgliedstaaten verbleibt. In einer solchen Rechtssache verliert der Gerichtshof nicht plötzlich seine Zuständigkeit, sondern gelangt vielmehr zu dem Schluss, dass das Unionsrecht dem in Rede stehenden nationalen Recht nicht entgegensteht.

113. Aus all diesen Gründen schlage ich daher als Antwort auf die Frage, ob der Ausschluss des Zugangs zu Gerichten für Mitglieder der „Öffentlichkeit“, die nicht Teil der „betroffenen Öffentlichkeit“ sind, mit dem Unionsrecht vereinbar ist, wenn diesen Mitgliedern der Öffentlichkeit nach nationalem Recht Beteiligungsrechte eingeräumt wurden, Folgendes vor.

114. Erstens werden die vollumfänglichen Beteiligungsrechte nach Art. 6 des Übereinkommens von Aarhus nur der „betroffenen Öffentlichkeit“ garantiert. Ein solches Recht wird der „Öffentlichkeit“ weder durch diese Bestimmung und erst recht nicht nach irgendeiner anderen Bestimmung des Unionsrechts, einschließlich der Richtlinien 2011/92 und 2010/75, garantiert.

115. Selbst wenn eine solche Situation in den Geltungsbereich des Unionsrechts und damit den Anwendungsbereich der Charta fiele, bleibt zweitens die Tatsache bestehen, dass in einer solchen Situation kein Recht existiert, das vom Unionsrecht vorgesehen und garantiert wird. Die Durchsetzung von Rechten, die im nationalen Recht vorgesehen sind, ist demnach eine Angelegenheit der nationalen (Grundrechts‑) Garantien. Das Unionsrecht steht einem solchen Ausschluss nicht entgegen, weil es eine Ausdehnung auf die breite „Öffentlichkeit“ gar nicht erst fordert. Es ist Aufgabe des nationalen Rechts, in solchen Situationen national vorgesehene Rechte zu schützen.

116. Eine letzte Anmerkung ist angebracht. Dieses Ergebnis ist nicht nur mit der Logik einer verschränkten Rechtsordnung und eines Grundrechtsschutzes in einem Mehrebenensystem, wie sie in der Union gegeben ist, sondern auch mit den allgemeinen Zielen des Übereinkommens von Aarhus vereinbar. Die Öffentlichkeitsbeteiligung in Umweltangelegenheiten kann auf verschiedene Weise angeregt und gefördert werden. Ein Weg könnte möglicherweise ein bestimmtes mehrstufiges System der Öffentlichkeitsbeteiligung sein. Um die Öffentlichkeitsbeteiligung zu fördern, wird in einem bestimmten Stadium, nicht jedoch notwendigerweise in darauffolgenden Stadien, mehr gewährt, als vom Übereinkommen von Aarhus verlangt wird.

117. In einer solchen Situation auf einem kompromisslosen „Alles-oder-Nichts“-Ansatz zu bestehen, in dem Sinne, dass, wenn in einem Stadium weiter gehende Rechte gewährt werden(45), auch alles andere gewährt werden muss, wäre letztlich aus Sicht der vom Übereinkommen von Aarhus verfolgten Ziele kontraproduktiv. Keine gute Tat bleibt nämlich ungestraft. Sarkastische Äußerungen beiseite – es ist recht wahrscheinlich, dass, wenn eine solche Entscheidung für „alles oder nichts“ in Bezug auf fakultative weiter gehende Rechte gefordert wäre, die natürliche Reaktion einer Reihe von Vertragsstaaten wohl darin bestünde, sich für „nichts“ Weitergehendes zu entscheiden. Das ist indes kaum das Ergebnis, das eine sinnvolle Auslegung des Umfangs der (rechtlich durchsetzbaren) Verpflichtungen im Rahmen eines Instruments, das die Beteiligung der Öffentlichkeit an umweltbezogenen Entscheidungen fördern soll, anstreben sollte.

c)      Ergebnis

118. Im Licht der vorstehenden Erwägungen schlage ich vor, dass Art. 6 des Übereinkommens von Aarhus sowie Art. 6 der Richtlinie 2011/92 und Art. 24 der Richtlinie 2010/75 dahin auszulegen sind, dass sie Beteiligungsrechte in vollem Umfang nur der „betroffenen Öffentlichkeit“ im Sinne dieser Instrumente gewähren, nicht aber der breiten „Öffentlichkeit“.

119. Weder Art. 9 Abs. 2 des Übereinkommens von Aarhus noch Art. 11 der Richtlinie 2011/92, Art. 25 der Richtlinie 2010/75 oder Art. 47 der Charta stehen dem Ausschluss von Mitgliedern der „Öffentlichkeit“, die nicht Teil der „betroffenen Öffentlichkeit“ ist, vom Zugang zu Gerichten entgegen.

C.      Zur Voraussetzung der vorherigen Beteiligung

120. Mit seinen Fragen 3 bis 6, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 9 Abs. 2 des Übereinkommens von Aarhus oder Art. 11 der Richtlinie 2011/92 und Art. 25 der Richtlinie 2010/75 dahin auszulegen sind, dass sie einer im nationalen Recht vorgesehenen Voraussetzung wie der in Art. 6:3 Awb enthaltenen entgegenstehen, wonach der Zugang zu Gerichten für die „betroffene Öffentlichkeit“ von der vorherigen Einreichung von Stellungnahmen während des Verfahrens zur Öffentlichkeitsbeteiligung abhängig gemacht wird, es sei denn, die Unterlassung des Einreichens einer Stellungnahme ist gerechtfertigt. Falls diese Frage vom Gerichtshof verneint wird, möchte das vorlegende Gericht des Weiteren wissen, ob dieselben Bestimmungen einer nationalen Regelung entgegenstehen, nach der ein nationales Gericht eine Klage von Mitgliedern der „betroffenen Öffentlichkeit“ nur für diejenigen Teile der Entscheidung für zulässig erklären kann, gegen die bereits im Vorbereitungsstadium Einwendungen erhoben wurden. Schließlich fragt das vorlegende Gericht mit seiner sechsten Frage, ob die Antwort auf diese Fragen anders lautet, wenn es um die „Öffentlichkeit“ geht.

121. Aus den Gründen, die ich in diesem Abschnitt darlegen werde, bin ich der Auffassung, dass die Voraussetzung der vorherigen Beteiligung am Verwaltungsverfahren mit der durch Art. 9 Abs. 2 des Übereinkommens von Aarhus der „betroffenen Öffentlichkeit“ unmittelbar gewährten Garantie des Zugangs zu Gerichten tatsächlich unvereinbar ist. Nach der im vorigen Abschnitt vorgeschlagenen Systematik und Herangehensweise gilt dies jedoch nicht für die breite „Öffentlichkeit“.

1.      Zu der für die „betroffene Öffentlichkeit“ geltenden Voraussetzung der vorherigen Beteiligung

122. Der Wortlaut von Art. 9 Abs. 2 schweigt, nicht überraschend, zu der Frage der Voraussetzung einer vorherigen Beteiligung. Wie das vorlegende Gericht und die niederländische Regierung bin auch ich der Ansicht, dass die dem Gerichtshof vorgelegte Frage von der in Art. 9 Abs. 2 Unterabs. 3 des Übereinkommens geregelten Situation zu unterscheiden ist. Diese Bestimmung betrifft die Ausschöpfung verwaltungsbehördlicher Überprüfungsverfahren vor der Einleitung gerichtlicher Überprüfungsverfahren, sofern ein derartiges Erfordernis nach innerstaatlichem Recht besteht. Diese Bestimmung betrifft jedoch eindeutig verwaltungsbehördliche Überprüfungsverfahren, in der Regel eine Entscheidung der Verwaltungsbehörde in zweiter Instanz. Sie betrifft nicht den Zugang zu einem Gericht(46).

123. Als Nächstes weist die niederländische Regierung darauf hin, dass die Vertragsparteien nach Art. 9 Abs. 2 des Übereinkommens verpflichtet seien, „im Rahmen ihrer innerstaatlichen Rechtsvorschriften“ sicherzustellen, dass Mitglieder der betroffenen Öffentlichkeit Zugang zu Gerichten hätten. Aus diesem Verweis auf den Rahmen der innerstaatlichen Rechtsvorschriften leitet die niederländische Regierung ab, dass die Mitgliedstaaten über einen Gestaltungsspielraum bei der Festlegung der Voraussetzungen für die Klagebefugnis, wie diejenige im Ausgangsverfahren, verfügten.

124. Ich stimme diesem Vorbringen grundsätzlich zu, allerdings mit einem erheblichen Vorbehalt: Natürlich ist es Sache der Mitgliedstaaten, die einzelnen Voraussetzungen für die Klagebefugnis festzulegen, jedoch darf dabei nicht das zurückgenommen werden, was bereits in Art. 9 Abs. 2 selbst gewährt worden ist.

125. In Ermangelung einer einschlägigen Unionsregelung haben die Mitgliedstaaten die Verfahrensautonomie zur Regelung der Verfahrensmodalitäten für die in Art. 9 Abs. 2 vorgesehenen Klagen(47). Bei der Ausübung ihrer Verfahrensautonomie unterliegt der Gestaltungsspielraum der Mitgliedstaaten jedoch nicht nur der (traditionellen) Beachtung der Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität. Im spezifischen Kontext des Übereinkommens von Aarhus wird dieser durch das Ziel von Art. 9 Abs. 2, der „betroffenen Öffentlichkeit“ im Rahmen des Übereinkommens einen weiten Zugang zu Gerichten zu gewähren, weiter eingeschränkt.(48)

126. Die Kommission ist der Ansicht, dass Art. 9 Abs. 2 die Voraussetzung einer vorherigen Beteiligung ausschließe. Sie stützt diese Lesart auf das Ziel von Art. 9 Abs. 2 gemäß der Auslegung in den Urteilen Kommission/Deutschland(49) und Djurgården-Lilla Värtans Miljöskyddsförening(50) (im Folgenden: Urteil Djurgården). Dagegen ziehen die niederländische Regierung und Irland aus dieser Rechtsprechung die gegenteilige Schlussfolgerung und berufen sich hierfür auf das Urteil Protect Natur‑, Arten- und Landschaftsschutz Umweltorganisation(51) (im Folgenden: Urteil Protect Natur). Die Erörterung dieses Punktes ist daher mit einer eingehenden Analyse dieser Rechtsprechung zu beginnen.

a)      Die Urteile Djurgården, Kommission/Deutschland und Protect Natur

127. Im Urteil Djurgården wurde die Genehmigung für ein Projekt beantragt, das möglicherweise erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt haben würde. Nach schwedischem Recht wurde das Verfahren zur Öffentlichkeitsbeteiligung von einem Fachgericht für Umweltangelegenheiten durchgeführt. Vor diesem Hintergrund fragte der Högsta domstolen (Oberster Gerichtshof, Schweden) den Gerichtshof, ob nach Art. 11 der Richtlinie 2011/92 das Recht auf ein Überprüfungsverfahren bereits in dem Verfahren, das zu der Entscheidung geführt habe, als erschöpft angesehen werden könne, da dieses Verfahren von einem Gericht durchgeführt worden sei, oder ob die „betroffene Öffentlichkeit“ noch das Recht habe, diese Entscheidung vor einem Gericht anzufechten.

128. Der Gerichtshof antwortete darauf, dass es der betroffenen Öffentlichkeit möglich sein müsse, die von der entsprechenden Stelle erlassene Entscheidung anzufechten, gleichviel, welche Rolle sie in dem Verfahren über den Genehmigungsantrag vor dieser Stelle durch ihre Beteiligung an und ihre Äußerung in diesem Verfahren hätte spielen können(52). Der Gerichtshof führte zwei Gründe für diese Schlussfolgerung an: Zum einen sei das Recht auf Zugang zu einem Anfechtungsverfahren nach Art. 11 der Richtlinie 2011/92 unabhängig davon, ob die Behörde, die die angefochtene Entscheidung oder Maßnahme erlassen habe, verwaltungsbehördlichen oder gerichtlichen Charakter habe. Zum anderen „unterscheidet“ sich die Beteiligung am umweltbezogenen Entscheidungsverfahren unter den Voraussetzungen der Richtlinie 2011/92 „von einer gerichtlichen Anfechtung und hat auch eine andere Zielsetzung als diese, da sich eine solche Anfechtung gegebenenfalls gegen die am Ende dieses Verfahrens ergehende Entscheidung richten kann. Diese Beteiligung hat daher keine Auswirkungen auf die Voraussetzungen für die Ausübung des Anfechtungsrechts.“(53)

129. Das Urteil Kommission/Deutschland betraf u. a. eine Verfahrensregel im deutschen Recht, die die Gründe, auf die ein gerichtlicher Rechtsbehelf gegen eine unter Art. 11 der Richtlinie 2011/92 und Art. 25 der Richtlinie 2010/75 fallende Verwaltungsentscheidung gestützt werden konnte, auf die im Verwaltungsverfahren bereits vorgetragenen Einwendungen beschränkte(54).

130. Der Gerichtshof stellte fest, dass diese Vorschrift gegen Art. 11 der Richtlinie 2011/92 und Art. 25 der Richtlinie 2010/75 verstoße. Er hob hervor, dass diese Vorschriften keineswegs die Gründe beschränkten, die mit einem solchen Rechtsbehelf geltend gemacht werden könnten, und erinnerte an ihr Ziel, im Rahmen des Umweltschutzes einen weitreichenden Zugang zu Gerichten zu gewähren(55). Im Hinblick auf die nationalen Bestimmungen stellte er fest, dass diese jedoch besondere Bedingungen aufstellten, die die gerichtliche Kontrolle einschränkten und die weder nach Art. 11 der Richtlinie 2011/92 noch nach Art. 25 der Richtlinie 2010/75 vorgesehen seien(56).

131. In Beantwortung eines Arguments der deutschen und der österreichischen Regierung fügte der Gerichtshof ferner hinzu, dass eine solche Beschränkung nicht mit dem Hinweis auf die Effizienz der Verwaltungsverfahren gerechtfertigt werden könne. Im Wesentlichen hatten die deutsche und die österreichische Regierung argumentiert, dass es gemäß Art. 11 der Richtlinie 2011/92 und Art. 25 der Richtlinie 2010/75 in die Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten falle, im Einzelnen die Verfahrensregeln für die in diesen Bestimmungen genannten Rechtsbehelfe festzulegen(57).

132. Der Gerichtshof wies dieses Vorbringen jedoch zurück und führte aus: „… [Z]war [mag] in bestimmten Fällen der Umstand, dass ein Grund erstmals vor Gericht vorgetragen wird, den ordnungsgemäßen Ablauf [des Verwaltungsverfahrens] behindern, doch [besteht] … das mit Art. 11 der Richtlinie 2011/92 und Art. 25 der Richtlinie 2010/75 angestrebte Ziel nicht nur darin …, den rechtsuchenden Bürgern einen möglichst weitreichenden Zugang zu gerichtlicher Überprüfung zu geben, sondern auch darin, eine umfassende materiell-rechtliche und verfahrensrechtliche Kontrolle der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung zu ermöglichen.“(58) Allerdings könne der nationale Gesetzgeber spezifische Verfahrensvorschriften vorsehen, nach denen z. B. ein missbräuchliches oder unredliches Vorbringen unzulässig sei, die geeignete Maßnahmen darstellten, um die Wirksamkeit des gerichtlichen Verfahrens zu gewährleisten(59).

133. Das Urteil Protect Natur(60) schließlich betraf eine Regelung im österreichischen Recht, die eine vorherige Beteiligung zur Voraussetzung machte. Konkret sah die fragliche Verfahrensregel eine Ausschlussfrist für Umweltorganisationen vor, nach der diese Organisationen die Stellung als Partei des Verwaltungsverfahrens verloren und daher keine Klagen gegen die am Ende dieses Verfahrens ergehende Entscheidung erheben konnten, wenn sie nicht innerhalb der im Verwaltungsverfahren festgelegten Fristen Einwendungen erhoben hatten. Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass diese Rechtssache die Vereinbarkeit dieser Vorschrift mit Art. 9 Abs. 3 des Übereinkommens von Aarhus in Bezug auf Beteiligungsverfahren, die der Richtlinie 2000/60/EG(61) unterliegen, betraf und nicht die Vereinbarkeit mit Art. 9 Abs. 2 des Übereinkommens von Aarhus und Beteiligungsverfahren, die Art. 6 dieses Übereinkommens unterliegen.

134. Der Gerichtshof stellte fest, dass es in die Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten falle, die fragliche nationale Regelung festzulegen. Diese Feststellung stützte der Gerichtshof auf den Wortlaut von Art. 9 Abs. 3, der ausdrücklich vorsehe, dass für Rechtsbehelfe gemäß dieser Bestimmung „Kriterien“ festgelegt werden könnten. Daher könnten die Mitgliedstaaten im Rahmen des ihnen insoweit belassenen Gestaltungsspielraums also grundsätzlich verfahrensrechtliche Vorschriften über die Voraussetzungen der Einlegung solcher Rechtsbehelfe erlassen(62). Die Vereinbarkeit einer solchen Regelung mit dem Unionsrecht hänge daher davon ab, ob sie mit dem in Art. 47 der Charta vorgesehenen Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf, der dem Effektivitätsgrundsatz entspreche, sowie mit den in Art. 52 Abs. 1 der Charta genannten Voraussetzungen für die Einschränkung dieses Rechts im Einklang stehe(63).

135. Wie die Kommission und das vorlegende Gericht bin auch ich nicht der Ansicht, dass die Entscheidung des Gerichtshofs im Urteil Protect Natur im Kontext des Art. 9 Abs. 2 des Übereinkommens von Aarhus einschlägig ist. Art. 9 Abs. 3 unterscheidet sich in mehreren Aspekten von Art. 9 Abs. 2. Art. 9 Abs. 3 hat einen breiteren persönlichen Anwendungsbereich und deckt einen umfassenderen Bereich von Handlungen und Entscheidungen ab als Art. 9 Abs. 2. Vor allem räumt Art. 9 Abs. 3 den Vertragsparteien hinsichtlich der Voraussetzungen für die Klagebefugnis mehr Flexibilität ein, da er es ihnen ausdrücklich gestattet, im nationalen Recht „Kriterien“ festzulegen. Dieser letzte Punkt war nämlich die Grundlage für die Erwägungen des Gerichtshofs.

136. Auch die beiden anderen Urteile Djurgården und Kommission/Deutschland geben meines Erachtens keine konkrete Antwort auf die in der vorliegenden Rechtssache aufgeworfene Problematik. Ich muss jedoch einräumen, dass die allgemeine Richtung dieser Rechtsprechung ziemlich klar ist. Aus dieser Rechtsprechung ziehe ich drei Schlussfolgerungen, die für die vorliegende Rechtssache tatsächlich relevant sind.

137. Erstens sind aus Sicht des Gerichtshofs das verwaltungsbehördliche Entscheidungsverfahren in Umweltangelegenheiten und seine (mögliche) anschließende gerichtliche Überprüfung zwei verschiedene Verfahren. Natürlich haben beide Verfahren den gleichen Gegenstand, aber sie sind getrennt zu halten. Zweitens gewährt Art. 9 Abs. 2 der betroffenen Öffentlichkeit ein unabhängiges, eigenständiges Recht auf Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten. Der Gerichtshof akzeptiert ein gewisses Maß einer Verknüpfung mit dem Verfahren zur Öffentlichkeitsbeteiligung, jedoch nicht, dass dieses zur Voraussetzung für den Zugang wird. Drittens dürfen die nationalen Voraussetzungen, die bei der Umsetzung von Art. 9 Abs. 2 und damit bei der Festlegung der Kriterien für den Zugang zu einem Gericht vernünftigerweise vorgesehen werden können, den Zugang selbst nicht seines Inhalts berauben.

b)      Zur Voraussetzung der vorherigen Beteiligung und des gerechtfertigten Fehlens der Beteiligung: was Regel ist und was die Ausnahme ist

138. Die im niederländischen Recht vorgesehene Voraussetzung, Klagebefugnis nach Art. 9 Abs. 2 davon abhängig zu machen, dass sich die „betroffene Öffentlichkeit“ an dem Verfahren zur Öffentlichkeitsbeteiligung nach Art. 6 beteiligt hat, ist meiner Ansicht nach nicht mit der erstgenannten Bestimmung vereinbar. Vereinfacht ausgedrückt führt eine solche nationale Regelung eine weitere Voraussetzung für die Klagebefugnis ein, die weder im Wortlaut vorhanden noch mit dem Geist von Art. 9 Abs. 2 vereinbar ist.

139. Ich erkenne zwar voll und ganz die Befugnis der Mitgliedstaaten an, die Regeln für die Konkretisierung der Kriterien zur Anwendung von Art. 9 Abs. 2 festzulegen, allerdings gibt es insoweit solche und solche Kriterien. Das Kriterium der vorherigen Beteiligung berührt den Kern dessen, was unabhängig und unmittelbar durch Art. 9 Abs. 2 garantiert werden soll: Ist eine Person ein Mitglied der „betroffenen Öffentlichkeit“, das „ein ausreichendes Interesse ha[t] oder alternativ eine Rechtsverletzung geltend mach[t]“, so ist ihr Zugang zu einem Gericht zu gewähren. Im Gegensatz dazu das Erfordernis aufzustellen, dass „sich diese Person am vorherigen Verfahren zur Öffentlichkeitsbeteiligung beteiligt hat“, ist schon seiner Natur nach keine Voraussetzung, die bei vernünftiger Betrachtungsweise von Buchst. a oder b des Art. 9 Abs. 2 des Übereinkommens von Aarhus erfasst werden könnte. Praktisch handelt es sich vielmehr um die Einfügung eines neuen Buchst. c in diese Bestimmung.

140. Eine solche Voraussetzung ist nämlich nicht mit den Schlussfolgerungen vereinbar, die aus der im vorigen Abschnitt dargelegten Rechtsprechung gezogen wurden. Durch die Einfügung einer solchen Regel werden das verwaltungsbehördliche und das gerichtliche Stadium tatsächlich zu einem „Gesamtpaket“ verknüpft, bei dem die Beteiligung am ersten Stadium zur Voraussetzung für den Zugang zum zweiten wird. Zudem handelt es sich bei der Art und der Wirkung der Kriterien nicht um eine bloße verfahrenstechnische Konkretisierung von Art. 9 Abs. 2, vielmehr sind sie der Beginn einer veritablen Aushöhlung der durch Art. 9 Abs. 2 unabhängig gewährten Garantien.

141. Diese Schlussfolgerung wird im Licht der praktischen Auswirkungen, die eine solche Regel voraussichtlich auf zwei Gruppen der „betroffenen Öffentlichkeit“ haben wird, noch plastischer: nicht staatliche Organisationen auf der einen Seite und sonstige Personen, insbesondere natürliche Personen, auf der anderen.

142. Was zum einen die nicht staatlichen Organisationen betrifft, so ergibt sich aus Art. 9 Abs. 2, dass jede nicht staatliche Organisation, die die in Art. 2 Nr. 5 genannten Voraussetzungen erfüllt – die also nach nationalem Recht als nicht staatliche Organisation, die sich für den Umweltschutz einsetzt und daher der „betroffenen Öffentlichkeit“ angehört, anerkannt ist –, so behandelt wird, als ob sie die Voraussetzung erfüllt, ein ausreichendes Interesse zu haben oder eine Rechtsverletzung geltend zu machen. So wird nicht staatlichen Organisationen automatisch die Klagebefugnis nach Art. 9 Abs. 2 zuerkannt, wenn sie die Voraussetzung erfüllen, der „betroffenen Öffentlichkeit“ anzugehören(64). Diese Erwägung wird im Übrigen durch die Feststellung des Gerichtshofs gestützt, dass die entsprechende Bestimmung des Art. 11 Abs. 2 Unterabs. 3 der Richtlinie 2011/92 unmittelbare Wirkung gegenüber Nichtregierungsorganisationen hat, die zur „betroffenen Öffentlichkeit“ gehören, d. h., diese Bestimmung trifft eine genaue Regelung, die keinen weiteren Bedingungen unterliegt(65).

143. Angesichts dessen und angesichts des Ziels, einen weiten Zugang zur Überprüfung zu gewährleisten, beeinträchtigt eine Voraussetzung der vorherigen Beteiligung im vorbereitenden Stadium die automatische Klagebefugnis, die Art. 9 Abs. 2 den nicht staatlichen Organisationen, die der „betroffenen Öffentlichkeit“ angehören, zuerkennt. Eine solche Voraussetzung verlangt in der Praxis, dass alle diese nicht staatlichen Organisationen an allen Beteiligungsverfahren im Sinne von Art. 6 des Übereinkommens von Aarhus in den Niederlanden teilnehmen, um ihr Recht zu sichern, Entscheidungen, die sich aus diesen Verfahren ergeben, später vor Gericht anzufechten. Die Voraussetzung der vorherigen Beteiligung läuft damit dem eigentlichen Ziel zuwider, den nicht staatlichen Organisationen, die der „betroffenen Öffentlichkeit“ angehören, eine erleichterte Klagebefugnis einzuräumen(66).

144. Zum anderen stellen sich ähnliche Fragen auch in Bezug auf andere Mitglieder der „betroffenen Öffentlichkeit“, wenn auch aus einem etwas anderen Grund. Im Hinblick auf diese Gruppe räumt Art. 9 Abs. 2 den Vertragsparteien einen weiten Wertungsspielraum bei der Bestimmung dessen ein, was ein ausreichendes Interesse oder eine Rechtsverletzung darstellt(67). Selbst für diese Gruppe von Personen geht jedoch die Voraussetzung der vorherigen Beteiligung hinsichtlich ihrer Auswirkungen weit über das hinaus, was vernünftigerweise in die nationale Umsetzung dieser Begriffe einbezogen werden könnte.

145. Dies kann anhand des Beispiels einer natürlichen Person verdeutlicht werden, die Eigentümerin eines Hauses neben dem Standort des geplanten Schweinestalls ist. Es ist davon auszugehen, dass eine solche Person bei jeder nationalen Umsetzung der Begriffe „ausreichendes Interesse“ oder „Rechtsverletzung“ von einer solchen geplanten umweltbezogenen Tätigkeit betroffen sein wird und Zugang zu einem Gericht haben sollte, wenn sie die Genehmigung nach Art. 9 Abs. 2 anfechten möchte. Muss sich eine solche Person dafür aber auch stets am Verfahren zur Öffentlichkeitsbeteiligung beteiligen, selbst wenn diese Person diese Tätigkeit, wie sie ursprünglich geplant war, nicht für problematisch hielt und daher keinen Grund für eine solche Beteiligung sah? Oder wie verhielte es sich, wenn die Person keine Stellungnahme eingereicht hat, weil ihre Ansichten bereits von anderen am Entscheidungsprozess Beteiligten vorgetragen wurden? Was wäre, wenn Teile der „betroffenen Öffentlichkeit“ erst nach Ablauf der Frist für die Einreichung von Stellungnahmen von dem Entscheidungsentwurf Kenntnis erlangten?

146. Sollten ähnlich wie bei einer nicht staatlichen Organisation alle anderen Mitglieder der „betroffenen Öffentlichkeit“ ebenfalls verpflichtet werden, sich formal zu registrieren oder gar am Verfahren zur Öffentlichkeitsbeteiligung teilzunehmen, selbst wenn sie zu diesem Zeitpunkt nicht glauben, dass sie etwas Sinnvolles zu sagen haben? Sollten sie dazu einfach nur vorsorglich gezwungen werden, um nicht ihr Recht auf Zugang zu einem Gericht zu verlieren, das ihnen im Übrigen durch Art. 9 Abs. 2 des Übereinkommens von Aarhus unabhängig gewährt wird(68)?

147. Insoweit haben das vorlegende Gericht und die niederländische Regierung in der mündlichen Verhandlung die im niederländischen Recht vorgesehenen Ausnahmen von der Pflicht zur vorherigen Beteiligung näher erläutert: Die Voraussetzung der vorherigen Beteiligung gelte nicht, wenn das Fehlen der Stellungnahme der „betroffenen Öffentlichkeit“ gerechtfertigt sei(69).

148. Zwar wird durch das Bestehen dieser Ausnahmen das Problem gemildert. Allerdings wird dadurch nicht das strukturelle Problem des Zugangs zu Gerichten in Umweltangelegenheiten gelöst, der nach Art. 9 Abs. 2 des Übereinkommens von Aarhus ein Recht darstellt, denn der Zugang wird von einer Voraussetzung abhängig gemacht, die ihrem Wesen nach weit über eine bloße Umsetzung dieser Bestimmung hinausgeht. Es wird sogar noch eine zusätzliche Ebene an Wertungsspielraum und Vorhersehbarkeit bzw. Unvorhersehbarkeit hinzugefügt: In welchen Fällen wird die Ausnahme voraussichtlich greifen? In der mündlichen Verhandlung bestätigte die niederländische Regierung, dass es vollständig der (naturgemäß kasuistischen) Rechtsprechung überlassen sei, festzustellen, welche Fälle eines Fehlens der Beteiligung am Verfahren der Öffentlichkeitsbeteiligung gerechtfertigt seien, und dass die Regierung selbst nur wenige Beispiele dafür nennen könne, wann diese Ausnahme voraussichtlich Anwendung finde.

149. All dies verdeutlicht die wahre Natur der Gesamtproblematik und die Folgen der Regel der vorherigen Beteiligung: Sie kehrt die Art. 9 Abs. 2 zugrunde liegende Logik um. Wie der Gerichtshof bereits anerkannt hat, stellt der Zugang für diejenigen, die die in dieser Bestimmung vorgesehenen Kriterien erfüllen, die Regel dar, von der in vernünftigem Rahmen Ausnahmen formuliert werden dürfen(70). Nach niederländischem Recht unterfallen diejenigen, die sich nicht am Verfahren zur Öffentlichkeitsbeteiligung beteiligt haben, der Regel, dass ihnen der Zugang verschlossen ist, auch wenn sie alle Kriterien nach Art. 9 Abs. 2, von denen Ausnahmen zugelassen werden könnten, erfüllen. Sofern die Ausnahmen in der Praxis nicht so weit gefasst werden, dass sie tatsächlich auf eine Umkehr der Regel hinauslaufen würden(71), ist diese Struktur daher mit Art. 9 Abs. 2 des Übereinkommens von Aarhus unvereinbar.

150. Ich komme daher zu dem Schluss, dass Art. 9 Abs. 2 des Übereinkommens von Aarhus, Art. 11 der Richtlinie 2011/92 und Art. 25 der Richtlinie 2010/75 der Voraussetzung einer vorherigen Beteiligung der „betroffenen Öffentlichkeit“ am Verfahren zur Öffentlichkeitsbeteiligung, damit diese Öffentlichkeit Zugang zu einem Überprüfungsverfahren vor einem Gericht im Sinne dieser Instrumente hat, entgegenstehen.

151. In Anbetracht dieser Schlussfolgerung erübrigt sich eine gesonderte Beurteilung der vierten vom nationalen Gericht vorgelegten Frage. Da keine der vier Klägerinnen im Verfahren zur Öffentlichkeitsbeteiligung Stellung genommen hat, ist jedenfalls außerdem ziemlich unklar, wie sie per definitionem von einer nationalen Vorschrift betroffen sein könnten, die besagt, dass ein nationales Gericht eine Klage nur für diejenigen Teile der Entscheidung für zulässig erklären kann, gegen die im vorbereitenden Stadium Einwendungen erhoben wurden. Dieser Aspekt der vierten Frage erscheint daher im Kontext der vorliegenden Rechtssache völlig hypothetisch.

152. Schließlich ist angesichts der zuvor vorgeschlagenen Antwort auf die zweite Frage des vorlegenden Gerichts die gleiche Logik, wie sie dort beschrieben ist, auch auf die sechste Frage anwendbar. Die Rechte der breiten „Öffentlichkeit“, die nicht unter die „betroffene Öffentlichkeit“ im Sinne von Art. 9 Abs. 2 fallen, sind Sache des innerstaatlichen Rechts. Somit steht das Unionsrecht einer Voraussetzung der vorherigen Beteiligung, die nach nationalem Recht nur für die „Öffentlichkeit“ gilt, nicht entgegen.

V.      Ergebnis

153. Ich schlage dem Gerichtshof vor, die von der Rechtbank Limburg (Bezirksgericht Limburg, Niederlande) zur Vorabentscheidung vorgelegten Fragen wie folgt zu beantworten:

1.       Art. 6 des am 25. Juni 1998 in Aarhus unterzeichneten und mit Beschluss 2005/370/EG des Rates vom 17. Februar 2005 im Namen der Europäischen Gemeinschaft genehmigten Übereinkommens über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten, Art. 6 der Richtlinie 2011/92/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten in der durch die Richtlinie 2014/52/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. April 2014 zur Änderung der Richtlinie 2011/92/EU geänderten Fassung und Art. 24 der Richtlinie 2010/75/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. November 2010 über Industrieemissionen (integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung) räumen vollumfängliche Beteiligungsrechte im Sinne dieser Rechtsinstrumente nur der „betroffenen Öffentlichkeit“ ein, nicht aber der breiten „Öffentlichkeit“.

2.      Weder Art. 9 Abs. 2 des Übereinkommens von Aarhus noch Art. 11 der Richtlinie 2011/92, Art. 25 der Richtlinie 2010/75 oder Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union stehen dem Ausschluss der „Öffentlichkeit“, die nicht unter die „betroffene Öffentlichkeit“ im Sinne dieser Rechtsinstrumente fällt, vom Zugang zu Gerichten entgegen.

3.      Art. 9 Abs. 2 des Übereinkommens von Aarhus, Art. 11 der Richtlinie 2011/92 und Art. 25 der Richtlinie 2010/75 stehen einer Voraussetzung im nationalen Recht entgegen, die das Recht der „betroffenen Öffentlichkeit“ auf Zugang zu Gerichten im Sinne dieser Rechtsinstrumente von einer vorherigen Beteiligung an den Verfahren, die Art. 6 des Übereinkommens von Aarhus, Art. 6 der Richtlinie 2011/92, und Art. 24 der Richtlinie 2010/75 unterliegen, abhängig macht.








































































Leave a Comment

Schreibe einen Kommentar