C-750/21 P – Pilatus Bank/ EZB

C-750/21 P – Pilatus Bank/ EZB

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Language of document : ECLI:EU:C:2023:431

Vorläufige Fassung

SCHLUSSANTRÄGE DER GENERALANWÄLTIN

JULIANE KOKOTT

vom 25. Mai 2023(1)

Rechtssachen C750/21 P und C256/22 P

Pilatus Bank plc

gegen

Europäische Zentralbank (EZB)

„Wirtschafts- und Währungspolitik – Einheitlicher Aufsichtsmechanismus – Verordnung (EU) Nr. 1024/2013 – Der EZB übertragene besondere Aufsichtsaufgaben – Beschluss über den Entzug der Zulassung zur Aufnahme der Tätigkeit eines Kreditinstituts – Anklageerhebung gegen den Hauptanteilseigner in einem Drittland – Kriterium des Leumunds – Wahrnehmung des Leumunds durch den Markt – Blocking-Verordnung Nr. 2271/96 – Wirksame Ausübung der Verteidigungsrechte durch einen Rechtsbeistand – Zurechnung vorbereitender Handlungen nationaler Behörden an die EZB – Effektiver Rechtsschutz – Art. 41 und 47 der Charta“

Inhaltsverzeichnis

I. Einleitung

II. Rechtlicher Rahmen

A. Verordnung (EU) Nr. 1024/2013

B. Verordnung (EU) Nr. 575/2013

C. Verordnung (EU) Nr. 468/2014

D. Richtlinie 2013/36/EU

E. Gemeinsame Leitlinien der Europäischen Aufsichtsbehörden für Banken, Versicherer und den Wertpapierhandel (EBA, EIOPA und ESMA) zur aufsichtsrechtlichen Beurteilung des Erwerbs und der Erhöhung von qualifizierten Beteiligungen im Finanzsektor

III. Vorgeschichte des Rechtsstreits

A. Sachverhalt

B. Angefochtener Beschluss (Rechtssache C750/21 P)

C. Angefochtenes Urteil (Rechtssache C256/22 P)

IV. Verfahren vor dem Gerichtshof und Anträge der Parteien

V. Würdigung

A. Wirksame Ausübung der Verteidigungsrechte im mehrphasigen Verwaltungsverfahren zum Entzug der Zulassung

1. Vorbemerkungen

2. Zurechnung von Verstößen gegen die Verteidigungsrechte und effektiver Rechtsschutz im mehrphasigen Verwaltungsverfahren

a) Ausschließliche Zuständigkeit des Gerichtshofs

b) Zurechnung vorbereitender nationaler Handlungen an die EZB

c) Rechtsfehler im angefochtenen Urteil und wirksame Rechtsverteidigung durch den Rechtsbeistand der Bank

3. Zwischenergebnis

a) Rechtssache C256/22 P

b) Rechtssache C750/21 P

B. Reichweite der Aufsichtsbefugnisse der EZB

1. Erster Rechtsmittelgrund in der Rechtssache C256/22 P: Verstoß gegen Art. 14 Abs. 5 der Verordnung Nr. 1024/2013

2. Zweiter Rechtsmittelgrund in der Rechtssache C256/22 P: Verkennung des Leumundsbegriffs nach Art. 23 der Verordnung Nr. 1024/2013

a) Vorbringen der Rechtsmittelführerin

b) Zurückweisung durch das Gericht

c) Leumundsbegriff in Art. 23 Abs. 1 der Richtlinie 2013/36

d) Verfahrens- und beweisrechtliche Anforderungen für den Nachweis fehlenden Leumunds und des daraus resultierenden Risikos

e) Bedeutung der Blocking-Verordnung Nr. 2271/96

3. Dritter Rechtsmittelgrund in der Rechtssache C256/22 P: Rechtsfehler des Gerichts, insbesondere Unverhältnismäßigkeit des Entzugs der Zulassung

4. Erster Rechtsmittelgrund in der Rechtssache C750/21 P: sonstige Rügen

5. Zwischenergebnis und Kosten

a) Rechtssache C750/21 P

b) Rechtssache C256/22 P

VI. Ergebnis

A. Rechtssache C750/21 P

B. Rechtssache C256/22 P

I.      Einleitung

1.        Die beiden vorliegenden Rechtssachen sind zwar nicht förmlich miteinander verbunden, betreffen aber dieselben Parteien und dasselbe Verwaltungsverfahren. Dieses hat dazu geführt, dass die Europäische Zentralbank (EZB) der Rechtsmittelführerin Pilatus Bank plc die Zulassung zur Tätigkeit eines Kreditinstituts (im Folgenden: Zulassung) entzogen hat.

2.        Zudem werfen diese Rechtssachen dieselben Grundsatzfragen auf. Zum einen muss geklärt werden, ob die EZB kraft ihrer übergeordneten Aufsichts- und Entscheidungsbefugnisse für die Wahrung der Verteidigungsrechte des Kreditinstituts einzustehen hat, indem ihr schwerwiegende Verfahrensmängel im nationalen Teil des (mehrphasigen) Verwaltungsverfahrens zugerechnet werden. Zum anderen ist in diesem Zusammenhang zu prüfen, ob ein Kreditinstitut, das von der zuständigen nationalen Behörde unter besondere Aufsicht bzw. Verwaltung gestellt wird, diese Verteidigungsrechte und sein Klagerecht in Bezug auf den (drohenden) Entzug dieser Zulassung in vollem Umfang über den von seinem Vorstand bestellten Rechtsbeistand ausüben kann.

3.        Im Übrigen geht es in den beiden Rechtssachen generell um die Reichweite der Aufsichtsbefugnisse der EZB nach den Regeln des einheitlichen Aufsichtsmechanismus.(2) Dabei ist zu untersuchen, ob und inwieweit der EZB die vorbereitenden Handlungen der zuständigen nationalen Behörden zuzurechnen sind, sie diese auf ihre Rechtmäßigkeit hin überprüfen muss und diese gemeinsam mit dem verfahrensabschließenden Beschluss der EZB vor den Unionsgerichten justiziabel sind.

4.        In der Rechtssache C‑256/22 P stellt sich die zusätzliche Grundsatzfrage, unter welchen Voraussetzungen der Entzug der Zulassung zur Aufnahme der Tätigkeit eines Kreditinstituts aufgrund des fehlenden oder weggefallenen „Leumunds“ des Hauptanteilseigners eines Kreditinstituts möglich ist. Die Auslegung dieses unbestimmten Beurteilungskriteriums ist erstmals Gegenstand der Rechtsprechung des Gerichtshofs.

II.    Rechtlicher Rahmen

A.      Verordnung (EU) Nr. 1024/2013

5.        Die Verordnung Nr. 1024/2013 führt in den Erwägungsgründen 16, 20 und 21 Folgendes aus:

„(16)      Die Sicherheit und Solidität großer Kreditinstitute sind für die Gewährleistung der Stabilität des Finanzsystems von entscheidender Bedeutung. In der jüngsten Vergangenheit hat sich jedoch gezeigt, dass auch von kleineren Kreditinstituten Risiken für die Finanzmarktstabilität ausgehen können. Die EZB sollte daher in Bezug auf alle in teilnehmenden Mitgliedstaaten zugelassenen Kreditinstitute und alle Zweigstellen in teilnehmenden Mitgliedstaaten Aufsichtsaufgaben ausüben können.

(20)      Die Zulassung von Kreditinstituten vor der Aufnahme der Geschäftstätigkeit ist ein wichtiges aufsichtsrechtliches Mittel, um sicherzustellen, dass diese Tätigkeiten nur von Unternehmen ausgeübt werden, die über eine solide wirtschaftliche Grundlage, eine geeignete Organisation für den Umgang mit den besonderen Risiken des Einlagen- und Kreditgeschäfts sowie über geeignete Geschäftsleiter verfügen. Die EZB sollte daher vorbehaltlich spezieller Regelungen, die der Rolle der nationalen Aufsichtsbehörden Rechnung tragen, mit der Zulassung von Kreditinstituten beauftragt werden, die in einem teilnehmenden Mitgliedstaat gegründet werden sollen, und diese Zulassungen auch entziehen können.

(21)      Neben den im Unionsrecht vorgesehenen Bedingungen für die Zulassung von Kreditinstituten und den Entzug dieser Zulassungen können die Mitgliedstaaten derzeit weitere Bedingungen für die Zulassung von Kreditinstituten und Gründe für den Entzug der Zulassung festlegen. Die EZB sollte daher ihre Aufgaben in Bezug auf die Zulassung von Kreditinstituten und den Entzug dieser Zulassung bei Nichteinhaltung nationaler Rechtsvorschriften auf der Grundlage eines Vorschlags der betreffenden nationalen zuständigen Behörde, die die Einhaltung der einschlägigen, im nationalen Recht festgelegten Bedingungen prüft, wahrnehmen.“

6.        Art. 1 der Verordnung Nr. 1024/2013 bestimmt unter der Überschrift „Gegenstand und Geltungsbereich“:

„Durch diese Verordnung werden der EZB mit voller Rücksichtnahme auf und unter Wahrung der Sorgfaltspflicht für die Einheit und Integrität des Binnenmarkts auf der Grundlage der Gleichbehandlung der Kreditinstitute mit dem Ziel, Aufsichtsarbitrage zu verhindern, besondere Aufgaben im Zusammenhang mit der Aufsicht über Kreditinstitute übertragen, um einen Beitrag zur Sicherheit und Solidität von Kreditinstituten sowie zur Stabilität des Finanzsystems in der Union und jedem einzelnen Mitgliedstaat zu leisten.

Die in Artikel 2 Absatz 5 der Richtlinie 2013/36/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 über den Zugang zur Tätigkeit von Kreditinstituten und die Beaufsichtigung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen[(3)] genannten Institutionen sind von den der EZB gemäß Artikel 4 dieser Verordnung übertragenen Aufsichtsaufgaben ausgenommen. Der Umfang der Aufsichtsaufgaben der EZB beschränkt sich auf die Beaufsichtigung von Kreditinstituten gemäß dieser Verordnung. Durch diese Verordnung werden der EZB keine weiteren Aufsichtsaufgaben, wie beispielsweise Aufgaben im Zusammenhang mit der Aufsicht über zentrale Gegenparteien, übertragen.

Bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben gemäß dieser Verordnung berücksichtigt die EZB unbeschadet des Ziels, die Sicherheit und Solidität von Kreditinstituten zu gewährleisten, in vollem Umfang die verschiedenen Arten, Geschäftsmodelle und die Größe der Kreditinstitute.

Die Maßnahmen, Vorschläge oder Strategien der EZB dürfen in keiner Weise, weder direkt noch indirekt, einen Mitgliedstaat oder eine Gruppe von Mitgliedstaaten als Ort für die Bereitstellung von Leistungen von Bank- oder anderen Finanzdienstleistungen in jeglicher Währung benachteiligen.

Diese Verordnung berührt nicht die Verantwortlichkeiten und dazu gehörenden Befugnisse der zuständigen Behörden der teilnehmenden Mitgliedstaaten zur Wahrnehmung von Aufsichtsaufgaben, die der EZB nicht durch diese Verordnung übertragen wurden.

Diese Verordnung berührt auch nicht die Verantwortlichkeiten und dazu gehörenden Befugnisse der zuständigen oder benannten Behörden der teilnehmenden Mitgliedstaaten zur Anwendung von nicht durch einschlägige Rechtsakte der Union vorgesehenen makroprudenziellen Instrumenten.“

7.        Art. 2 Ziff. 2, 3 und 9 der Verordnung Nr. 1024/2013 sieht folgende Begriffsbestimmungen vor:

„2.      ‚nationale zuständige Behörde‘ eine nationale zuständige Behörde, die von den teilnehmenden Mitgliedstaaten im Einklang mit der Verordnung (EU) Nr. 575/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 über Aufsichtsanforderungen an Kreditinstitute und Wertpapierfirmen[(4)] und der Richtlinie 2013/36/EU benannt worden ist;

3.      ‚Kreditinstitut‘ ein Kreditinstitut im Sinne des Artikels 4 Absatz 1 Nummer 1 der Verordnung (EU) Nr. 575/2013;

9.      ‚Einheitlicher Aufsichtsmechanismus‘ das Finanzaufsichtssystem, das sich aus der EZB und den nationalen zuständigen Behörden teilnehmender Mitgliedstaaten entsprechend der Beschreibung in Artikel 6 dieser Verordnung zusammensetzt“.

8.        Art. 4 der Verordnung Nr. 1024/2013 definiert die der EZB übertragenen Aufgaben u. a. wie folgt:

„(1) Im Rahmen des Artikels 6 ist die EZB im Einklang mit Absatz 3 ausschließlich für die Wahrnehmung der folgenden Aufgaben zur Beaufsichtigung sämtlicher in den teilnehmenden Mitgliedstaaten niedergelassenen Kreditinstitute zuständig:

a)      Zulassung von Kreditinstituten und Entzug der Zulassung von Kreditinstituten vorbehaltlich der Bestimmungen des Artikels 14;

(3) Zur Wahrnehmung der ihr durch diese Verordnung übertragenen Aufgaben und mit dem Ziel, hohe Aufsichtsstandards zu gewährleisten, wendet die EZB das einschlägige Unionsrecht an, und wenn dieses Unionsrecht aus Richtlinien besteht, wendet sie die nationalen Rechtsvorschriften an, mit denen diese Richtlinien umgesetzt wurden. Wenn das einschlägige Unionsrecht aus Verordnungen besteht und den Mitgliedstaaten durch diese Verordnungen derzeit ausdrücklich Wahlrechte eingeräumt werden, wendet die EZB auch die nationalen Rechtsvorschriften an, mit denen diese Wahlrechte ausgeübt werden.“

9.        Art. 6 der Verordnung Nr. 1024/2013 regelt u. a.:

„(1) Die EZB nimmt ihre Aufgaben innerhalb eines einheitlichen Aufsichtsmechanismus wahr, der aus der EZB und den nationalen zuständigen Behörden besteht. Die EZB ist dafür verantwortlich, dass der einheitliche Aufsichtsmechanismus wirksam und einheitlich funktioniert.

(4) In Bezug auf die Aufgaben nach Artikel 4 – mit Ausnahme von Absatz 1 Buchstaben a und c – haben die EZB die Zuständigkeiten gemäß Absatz 5 dieses Artikels und die nationalen zuständigen Behörden die Zuständigkeiten gemäß Absatz 6 dieses Artikels – innerhalb des in Absatz 7 dieses Artikels festgelegten Rahmenwerks und vorbehaltlich der darin festgelegten Verfahren – für die Beaufsichtigung folgender Kreditinstitute, Finanzholdinggesellschaften oder gemischter Finanzholdinggesellschaften oder in teilnehmenden Mitgliedstaaten niedergelassenen Zweigstellen von in nicht teilnehmenden Mitgliedstaaten niedergelassenen Kreditinstituten:

–      auf konsolidierter Basis weniger bedeutende Institute, Gruppen oder Zweigstellen, wenn die oberste Konsolidierungsebene in den teilnehmenden Mitgliedstaaten liegt, oder einzeln im speziellen Fall von in teilnehmenden Mitgliedstaaten niedergelassenen Zweigstellen von in nicht teilnehmenden Mitgliedstaaten niedergelassenen Kreditinstituten. Die Bedeutung wird anhand folgender Kriterien bestimmt:

i)      Größe

ii)      Relevanz für die Wirtschaft der Union oder eines teilnehmenden Mitgliedstaats

iii)      Bedeutung der grenzüberschreitenden Tätigkeiten.

Sofern nicht durch besondere Umstände, die in der Methodik zu benennen sind, gerechtfertigt, gilt in Bezug auf Unterabsatz 1 ein Kreditinstitut, eine Finanzholdinggesellschaft oder eine gemischte Finanzholdinggesellschaft nicht als weniger bedeutend, wenn eine der folgende[n] Bedingungen erfüllt ist:

i)      [D]er Gesamtwert der Aktiva übersteigt 30 Mrd. EUR,

ii)      das Verhältnis der gesamten Aktiva zum BIP des teilnehmenden Mitgliedstaats der Niederlassung übersteigt 20 %, es sei denn, der Gesamtwert der Aktiva liegt unter 5 Mrd. EUR,

iii)      nach der Anzeige der nationalen zuständigen Behörde, dass sie ein solches Institut als bedeutend für die betreffende Volkswirtschaft betrachtet, fasst die EZB nach einer umfassenden Bewertung, einschließlich einer Bilanzbewertung, des betreffenden Kreditinstituts ihrerseits einen Beschluss, der diese Bedeutung bestätigt.

Die EZB kann ein Institut auch von sich aus als bedeutend betrachten, wenn es Tochterbanken in mehr als einem teilnehmenden Mitgliedstaat errichtet hat und seine grenzüberschreitenden Aktiva oder Passiva einen wesentlichen Teil seiner gesamten Aktiva oder Passiva darstellen, vorbehaltlich der nach der Methodik festgelegten Bedingungen.

Die Institute, für die eine direkte öffentliche finanzielle Unterstützung durch die EFSF oder den ESM beantragt oder entgegengenommen wurde, gelten nicht als weniger bedeutend.

Ungeachtet der vorhergehenden Unterabsätze und sofern nicht durch besondere Umstände gerechtfertigt, übt die EZB die ihr durch diese Verordnung übertragenen Aufgaben in Bezug auf die drei bedeutendsten Kreditinstitute in jedem teilnehmenden Mitgliedstaat aus.

(5) In Bezug auf die in Absatz 4 genannten Kreditinstitute und innerhalb des in Absatz 7 festgelegten Rahmenwerks

a)      erlässt die EZB gegenüber den nationalen zuständigen Behörden Verordnungen, Leitlinien oder allgemeine Weisungen, nach denen die nationalen zuständigen Behörden die Aufgaben nach Artikel 4 – mit Ausnahme von Absatz 1 Buchstaben a und c – wahrnehmen und Aufsichtsbeschlüsse fassen.

Diese Weisungen können sich auf die besonderen Befugnisse nach Artikel 16 Absatz 2 in Bezug auf Gruppen oder Arten von Kreditinstituten beziehen, um die Kohärenz der Aufsichtsergebnisse innerhalb des einheitlichen Aufsichtsmechanismus sicherzustellen;

b)      kann die EZB jederzeit von sich aus, wenn dies für die Sicherstellung der kohärenten Anwendung hoher Aufsichtsstandards erforderlich ist, nach Konsultation der nationalen zuständigen Behörden oder auf Ersuchen einer nationalen zuständigen Behörde beschließen, sämtliche einschlägigen Befugnisse in Bezug auf ein oder mehrere in Absatz 4 genannte Kreditinstitute unmittelbar selbst auszuüben, einschließlich in den Fällen, in denen eine indirekte finanzielle Unterstützung durch die EFSF oder den ESM beantragt oder entgegengenommen wurde;

…“

10.      Art. 9 Abs. 1 und 2 der Verordnung Nr. 1024/2013 lautet:

„(1) Ausschließlich zum Zweck der Wahrnehmung der ihr nach Artikel 4 Absätze 1 und 2 und Artikel 5 Absatz 2 übertragenen Aufgaben gilt die EZB nach Maßgabe des einschlägigen Unionsrechts in den teilnehmenden Mitgliedstaaten je nach Sachlage als die zuständige oder die benannte Behörde.

Ausschließlich zu demselben Zweck hat die EZB sämtliche in dieser Verordnung genannten Befugnisse und Pflichten. Ebenso hat sie sämtliche Befugnisse und Pflichten, die zuständige und benannte Behörden nach dem einschlägigen Unionsrecht haben, sofern diese Verordnung nichts anderes vorsieht. Insbesondere hat die EZB die in den Abschnitten 1 und 2 dieses Kapitels genannten Befugnisse.

Soweit zur Wahrnehmung der ihr durch diese Verordnung übertragenen Aufgaben erforderlich, kann die EZB die nationalen Behörden durch Anweisung auffordern, gemäß und im Einklang mit ihrem jeweiligen nationalen Recht von ihren Befugnissen in den Fällen Gebrauch zu machen, in denen diese Verordnung der EZB die entsprechenden Befugnisse nicht übertragen hat. Die nationalen Behörden unterrichten die EZB in vollem Umfang über die Ausübung dieser Befugnisse.

(2) Die EZB übt die Befugnisse nach Absatz 1 dieses Artikels im Einklang mit den in Artikel 4 Absatz 3 Unterabsatz 1 genannten Rechtsakten aus. Bei der Ausübung ihrer jeweiligen Aufsichts- und Untersuchungsbefugnisse arbeiten die EZB und die nationalen zuständigen Behörden eng zusammen.“

11.      Art. 14 der Verordnung Nr. 1024/2013 bestimmt unter der Überschrift „Zulassung“:

„(1) Anträge auf Zulassung zur Aufnahme der Tätigkeit eines Kreditinstituts in einem teilnehmenden Mitgliedstaat werden bei den nationalen zuständigen Behörden des Mitgliedstaats eingereicht, in dem das Kreditinstitut seinen Sitz haben soll, im Einklang mit den Anforderungen des einschlägigen nationalen Rechts.

(2) Erfüllt der Antragsteller alle Zulassungsbedingungen des einschlägigen nationalen Rechts dieses Mitgliedstaats, so erlässt die nationale zuständige Behörde innerhalb der im einschlägigen nationalen Recht festgelegten Frist einen Beschlussentwurf, mit dem der EZB die Erteilung der Zulassung vorgeschlagen wird. Der Beschlussentwurf wird der EZB und dem Antragsteller mitgeteilt. Andernfalls lehnt die nationale zuständige Behörde den Antrag auf Zulassung ab.

(3) Der Beschlussentwurf gilt als von der EZB angenommen, wenn sie nicht innerhalb eines Zeitraums von höchstens zehn Arbeitstagen, der in hinreichend begründeten Fällen einmal um den gleichen Zeitraum verlängert werden kann, widerspricht. Die EZB erhebt nur dann Widerspruch gegen den Beschlussentwurf, wenn die Voraussetzungen des einschlägigen Unionsrechts für die Zulassung nicht erfüllt sind. Sie teilt die Gründe für die Ablehnung schriftlich mit.

(4) Der gemäß den Absätzen 2 und 3 erlassene Beschluss wird dem Antragsteller von der nationalen zuständigen Behörde mitgeteilt.

(5) Vorbehaltlich des Absatzes 6 kann die EZB die Zulassung von sich aus nach Konsultation der nationalen zuständigen Behörde des teilnehmenden Mitgliedstaats, in dem das Kreditinstitut niedergelassen ist, oder auf Vorschlag einer solchen nationalen zuständigen Behörde in den im Unionsrecht festgelegten Fällen entziehen. Diese Konsultation stellt insbesondere sicher, dass die EZB vor einem Beschluss über den Entzug einer Zulassung den nationalen Behörden ausreichend Zeit einräumt, um über die notwendigen Korrekturmaßnahmen, einschließlich etwaiger Abwicklungsmaßnahmen, zu entscheiden, und diesen Rechnung trägt.

Ist nach Auffassung der nationalen zuständigen Behörde, die die Zulassung gemäß Absatz 1 vorgeschlagen hat, die Zulassung nach dem einschlägigen nationalen Recht zu entziehen, so legt sie der EZB einen entsprechenden Vorschlag vor. In diesem Fall erlässt die EZB einen Beschluss über den vorgeschlagenen Entzug der Zulassung, wobei sie die von der nationalen zuständigen Behörde vorgelegte Begründung in vollem Umfang berücksichtigt.

(6) Solange die nationalen Behörden für die Abwicklung von Kreditinstituten zuständig sind, teilen sie in den Fällen, in denen sie der Auffassung sind, dass die angemessene Durchführung der für eine Abwicklung oder die Aufrechterhaltung der Finanzmarktstabilität erforderlichen Maßnahmen durch den Entzug der Zulassung beeinträchtigt würde, der EZB ihre Bedenken rechtzeitig mit und erläutern im Einzelnen, welche nachteiligen Auswirkungen der Entzug mit sich bringen würde. In diesen Fällen sieht die EZB während eines gemeinsam mit den nationalen Behörden vereinbarten Zeitraums vom Entzug der Zulassung ab. Die EZB kann entscheiden, diesen Zeitraum zu verlängern, wenn sie der Ansicht ist, dass ausreichende Fortschritte gemacht wurden. Stellt die EZB in einem begründeten Beschluss fest, dass die nationalen Behörden keine angemessenen zur Aufrechterhaltung der Finanzmarktstabilität erforderlichen Maßnahmen ergriffen haben, so wird der Entzug der Zulassung unmittelbar wirksam.“

B.      Verordnung (EU) Nr. 575/2013

12.      Der fünfte Erwägungsgrund der Verordnung (EU) Nr. 575/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 über Aufsichtsanforderungen an Kreditinstitute und Wertpapierfirmen und zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 646/2012(5) lautet:

„Diese Verordnung und die Richtlinie 2013/36/EU sollten zusammen den Rechtsrahmen für den Zugang zur Tätigkeit, den Aufsichtsrahmen und die Aufsichtsvorschriften für Kreditinstitute und Wertpapierfirmen (im Folgenden ‚Institute‘) bilden. Daher sollte diese Verordnung zusammen mit jener Richtlinie gelesen werden.“

13.      Art. 4 Abs. 1 Ziff. 1 und 42 sieht folgende Begriffsbestimmungen vor:

„Für die Zwecke dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck

(1)      ‚Kreditinstitut‘ ein Unternehmen, dessen Tätigkeit darin besteht, Einlagen oder andere rückzahlbare Gelder des Publikums entgegenzunehmen und Kredite für eigene Rechnung zu gewähren;

(42)      ‚Zulassung‘ einen Hoheitsakt gleich welcher Form, mit dem die Behörden das Recht zur Ausübung der Geschäftstätigkeit erteilen;

…“

C.      Verordnung (EU) Nr. 468/2014

14.      Die Verordnung (EU) Nr. 468/2014 der Europäischen Zentralbank vom 16. April 2014 zur Einrichtung eines Rahmenwerks für die Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Zentralbank und den nationalen zuständigen Behörden und den nationalen benannten Behörden innerhalb des einheitlichen Aufsichtsmechanismus (SSM-Rahmenverordnung)(6) regelt in Art. 27 Abs. 1 unter der Überschrift „Vertretung von Parteien“ Folgendes:

„Eine Partei kann von ihren rechtlichen oder gesetzlichen Vertretern oder durch eine schriftlich zur Vornahme sämtlicher Handlungen im Zusammenhang mit einem EZB-Aufsichtsverfahren bevollmächtigte Person vertreten werden.“

D.      Richtlinie 2013/36/EU

15.      Art. 1 der Richtlinie 2013/36/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 über den Zugang zur Tätigkeit von Kreditinstituten und die Beaufsichtigung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen, zur Änderung der Richtlinie 2002/87/EG und zur Aufhebung der Richtlinien 2006/48/EG und 2006/49/EG(7) regelt:

„Diese Richtlinie legt Vorschriften für folgende Bereiche fest:

a)      Zugang zur Tätigkeit von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen (im Folgenden ‚Institute‘),

b)      Aufsichtsbefugnisse und Instrumente für die Beaufsichtigung von Instituten durch die zuständigen Behörden,

c)      Beaufsichtigung von Instituten durch die zuständigen Behörden in einer Weise, die mit den Bestimmungen der Verordnung (EU) Nr. 575/2013 vereinbar ist,

d)      Veröffentlichungspflichten für die im Bereich der Aufsichtsvorschriften und der Beaufsichtigung von Instituten zuständigen Behörden.“

16.      Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 2013/36 sieht unter dem Titel „Zulassung“ Folgendes vor:

„Die Mitgliedstaaten sehen vor, dass Kreditinstitute vor Aufnahme ihrer Tätigkeit eine Zulassung erhalten müssen. Unbeschadet der Artikel 10 bis 14 legen sie die Zulassungsbedingungen fest und teilen diese der EBA mit.“

17.      Art. 9 Abs. 1 dieser Richtlinie regelt unter dem Titel „Verbot der Entgegennahme von Einlagen oder anderen rückzahlbaren Geldern des Publikums durch Personen oder Unternehmen, die keine Kreditinstitute sind“ Folgendes:

„Die Mitgliedstaaten untersagen Personen oder Unternehmen, die keine Kreditinstitute sind, die Tätigkeit der Entgegennahme von Einlagen oder anderen rückzahlbaren Geldern des Publikums gewerbsmäßig zu betreiben.“

18.      Art. 14 der Richtlinie 2013/36 mit der Überschrift „Anteilseigner und Gesellschafter“ bestimmt in seinem Abs. 2:

„Die zuständigen Behörden verweigern die Zulassung für die Aufnahme der Tätigkeit eines Kreditinstituts, wenn sie nicht davon überzeugt sind, dass die Anteilseigner oder Gesellschafter den im Interesse der Gewährleistung einer soliden und umsichtigen Führung des Kreditinstituts zu stellenden Ansprüchen genügen, insbesondere, wenn die Kriterien des Artikels 23 Absatz 1 nicht erfüllt sind. Artikel 23 Absätze 2 und 3 und Artikel 24 finden Anwendung.“

19.      Art. 18 der Richtlinie 2013/36 lautet unter der Überschrift „Entzug der Zulassung“ wie folgt:

„Die zuständigen Behörden können einem Kreditinstitut die erteilte Zulassung nur entziehen, wenn

a)      das Institut nicht binnen 12 Monaten von der Zulassung Gebrauch macht, ausdrücklich auf sie verzichtet oder seit mehr als sechs Monaten seine Tätigkeit eingestellt hat, außer der betreffende Mitgliedstaat sieht in diesen Fällen das Erlöschen der Zulassung vor,

b)      das Institut die Zulassung aufgrund falscher Angaben oder auf andere Weise unrechtmäßig erlangt hat,

c)      das Institut die an die Zulassung geknüpften Voraussetzungen nicht mehr erfüllt,

d)      das Institut den Aufsichtsanforderungen der Teile 3, 4 und 6 der Verordnung (EU) Nr. 575/2013, oder denen des Artikels 104 Absatz 1 Buchstabe a oder des Artikels 105 dieser Richtlinie nicht mehr genügt oder keine Gewähr mehr für die Erfüllung seiner Verpflichtungen gegenüber seinen Gläubigern, namentlich keine Sicherheit mehr für die ihm von Einlegern anvertrauten Vermögenswerte, bietet,

e)      ein anderer in den nationalen Rechtsvorschriften vorgesehener Fall für den Entzug vorliegt oder

f)      das Institut einen Verstoß nach Artikel 67 Absatz 1 begeht.“

20.      Art. 23 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2013/36 sieht vor:

„(1) Bei der Beurteilung der Anzeige nach Artikel 22 Absatz 1 und der Informationen nach Artikel 22 Absatz 3 haben die zuständigen Behörden im Interesse einer soliden und umsichtigen Führung des Kreditinstituts, an dem der Erwerb beabsichtigt wird, und unter Berücksichtigung des voraussichtlichen Einflusses des interessierten Erwerbers auf jenes Kreditinstitut die Eignung des interessierten Erwerbers und die finanzielle Solidität des beabsichtigten Erwerbs anhand folgender Kriterien zu prüfen:

a)      Leumund des interessierten Erwerbers,

b)      Leumund, Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrung gemäß Artikel 91 Absatz 1 aller Mitglieder des Leitungsorgans und aller Mitglieder der Geschäftsleitung, die die Geschäfte des Kreditinstituts infolge des beabsichtigten Erwerbs führen werden,

c)      finanzielle Solidität des interessierten Erwerbers, insbesondere in Bezug auf die Art der tatsächlichen und geplanten Geschäfte des Kreditinstituts, an dem der Erwerb beabsichtigt wird,

d)      die Frage, ob das Kreditinstitut in der Lage sein und bleiben wird, den Aufsichtsanforderungen dieser Richtlinie und der Verordnung (EU) Nr. 575/2013 und gegebenenfalls denen anderer Rechtsvorschriften, einschließlich der Richtlinien 2002/87/EG und 2009/110/EG, zu genügen, und insbesondere die Frage, ob die Gruppe, zu der es gehören wird, über eine Struktur verfügt, die es ermöglicht, eine wirksame Beaufsichtigung auszuüben, einen wirksamen Informationsaustausch zwischen den zuständigen Behörden durchzuführen und die Aufteilung der Zuständigkeiten zwischen den zuständigen Behörden zu bestimmen,

e)      die Frage, ob ein hinreichender Verdacht besteht, dass im Zusammenhang mit dem beabsichtigten Erwerb Geldwäsche oder Terrorismusfinanzierung im Sinne des Artikels 1 der Richtlinie 2005/60/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Oktober 2005 zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche und der Terrorismusfinanzierung[(8)] stattfinden, stattgefunden haben oder ob diese Straftaten versucht wurden bzw. ob der beabsichtigte Erwerb das Risiko eines solchen Verhaltens erhöhen könnte.

(2) Die zuständigen Behörden können gegen den beabsichtigten Erwerb nur dann Einspruch erheben, wenn es dafür berechtigte Gründe auf der Grundlage der in Absatz 1 genannten Kriterien gibt oder die vom interessierten Erwerber vorgelegten Informationen unvollständig sind.“

E.      Gemeinsame Leitlinien der Europäischen Aufsichtsbehörden für Banken, Versicherer und den Wertpapierhandel (EBA, EIOPA und ESMA) zur aufsichtsrechtlichen Beurteilung des Erwerbs und der Erhöhung von qualifizierten Beteiligungen im Finanzsektor

21.      Die Gemeinsamen Leitlinien der Europäischen Aufsichtsbehörden für Banken, Versicherer und den Wertpapierhandel (EBA, EIOPA und ESMA) zur aufsichtsrechtlichen Beurteilung des Erwerbs und der Erhöhung von qualifizierten Beteiligungen im Finanzsektor (im Folgenden: Gemeinsame Leitlinien) sehen unter der Überschrift „10. Zuverlässigkeit des interessierten Erwerbers – erstes Beurteilungskriterium“ u. a. Folgendes vor:

„10.1 Die Beurteilung der Zuverlässigkeit des interessierten Erwerbers sollte zwei Elemente umfassen:

(a) seine Integrität; und

(b) seine fachliche Kompetenz.

10.9 Es sollte davon ausgegangen werden, dass ein interessierter Erwerber gut beleumundet ist, wenn keine zuverlässigen Beweise des Gegenteils vorliegen und die zuständige Aufsichtsbehörde über keine hinreichenden Gründe verfügt, an dessen guten Leumund zu zweifeln. Bei der Beurteilung sollten alle relevanten zugänglichen Informationen berücksichtigt werden, unbeschadet etwaiger Beschränkungen, die sich aus einzelstaatlichem Recht ergeben, und unabhängig von dem Land, in dem sämtliche maßgeblichen Ereignisse stattfinden.

10.13 Ein besonderes Augenmerk sollte auf folgende Faktoren gelegt werden, die die Integrität eines interessierten Erwerbers in Frage stellen können:

(a)      jede Verurteilung oder Rechtsverfolgung wegen einer Straftat, insbesondere:

i.      alle Straftaten, die gegen Gesetze aus den Bereichen Banken, Finanzwesen, Wertpapiere und Versicherungen, Wertpapiermärkte oder Wertpapier- oder Zahlungsinstrumente verstoßen;

ii.      alle Straftaten, die in Untreue, Betrug oder Finanzdelikten bestehen, einschließlich Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung, Marktmanipulation, Insiderhandel, Wucher und Korruption;

iii.      alle Steuerstraftaten;

iv.      alle sonstigen Verstöße gegen Vorschriften zum Schutz von Unternehmen, zum Schutz vor Bankrott, Insolvenz oder zum Verbraucherschutz;

(b)      alle relevanten Feststellungen, die sich aus Kontrollen vor Ort und von außerhalb, aus Nachforschungen oder Durchsetzungsmaßnahmen ergeben, insoweit diese direkt oder indirekt mit dem interessierten Erwerber aufgrund dessen Position als Eigentümer oder dessen Kontrollposition in Verbindung stehen, sowie die Auferlegung von Verwaltungssanktionen wegen der Nichteinhaltung von Bestimmungen aus den Bereichen Banken, Finanzwesen, Wertpapiere und Versicherungen, Wertpapiermärkte oder Wertpapier- oder Zahlungsinstrumente, oder aller Rechtsvorschriften über Finanzdienstleistungen oder sonstige unter Unterabsatz (a) oben genannte Angelegenheiten;

(c)      alle relevanten Durchsetzungsmaßnahmen durch alle anderen Regulierungs- oder Berufsgremien wegen der Nichteinhaltung maßgeblicher Bestimmungen; und

(d)      alle sonstigen Informationen aus glaubwürdigen und verlässlichen Quellen, die in diesem Zusammenhang relevant sind. Bei der Entscheidung darüber, ob die aus anderen Quellen stammenden Informationen glaubhaft und vertrauenswürdig sind, sollten die zuständigen Behörden berücksichtigen, inwieweit die Quelle öffentlich und vertrauenswürdig ist, inwieweit die Informationen von verschiedenen unabhängigen und anerkannten Quellen stammen und über einen gewissen Zeitraum hinweg beständig sind, und ob hinreichende Gründe für die Vermutung vorliegen, dass die Informationen falsch sind.

10.16 Die zuständigen Aufsichtsbehörden sollten die Relevanz solcher Umstände im Rahmen einer Einzelfallprüfung beurteilen und dabei anerkennen, dass die Merkmale eines Umstands mehr oder weniger schwerwiegend sein können und dass einige Umstände in der Gesamtschau bedeutend sein können, auch wenn sie einzeln betrachtet eventuell nicht von Bedeutung sind.“

III. Vorgeschichte des Rechtsstreits

A.      Sachverhalt

22.      Die Klägerin im ersten Rechtszug und Rechtsmittelführerin in den beiden vorliegenden Rechtssachen ist die Pilatus Bank plc, ein weniger bedeutendes Kreditinstitut mit Sitz in Malta, das der direkten Aufsicht der Malta Financial Services Authority (MFSA, maltesische Aufsichtsbehörde für Finanzdienstleistungen) untersteht. Die zweite Klägerin im ersten Rechtszug in der Rechtssache T‑27/19, die Pilatus Holding Ltd., ist an den Rechtsmittelverfahren nicht beteiligt.

23.      Einer am 19. März 2018 veröffentlichten Pressemitteilung des United States Department of Justice (Justizministerium der Vereinigten Staaten von Amerika) zufolge war Herr Ali Sadr, Anteilseigner der Rechtsmittelführerin, der 100 % ihres Kapitals und der Stimmrechte hält (im Folgenden: Hauptanteilseigner), in den Vereinigten Staaten auf der Grundlage von sechs Anklagepunkten festgenommen worden. Diese standen im Zusammenhang mit seiner vermeintlichen Beteiligung an einem System, mittels dessen etwa 115 Mio. US-Dollar (USD), die zur Finanzierung eines Projekts in Venezuela gezahlt worden seien, angeblich zum Vorteil von iranischen Personen und Unternehmen veruntreut wurden.

24.      Laut Anklageschrift des United States Attorney for the Southern District of New York (Staatsanwaltschaft der Vereinigten Staaten für den Südlichen Bezirk von New York) hatten bestimmte Finanzmittel, die 2013 zur Gründung und Finanzierung der Rechtsmittelführerin verwendet worden waren, einen im Zusammenhang mit dem Projekt in Venezuela stehenden rechtswidrigen Ursprung.

25.      Nach der Anklageerhebung gegen den Hauptanteilseigner in den Vereinigten Staaten wurden bei der Rechtsmittelführerin u. a. Anträge auf Auszahlung von Einlagen in Höhe von insgesamt 51,4 Mio. Euro, d. h. etwa 40 % der in ihrer Bilanz ausgewiesenen Einlagen, gestellt.

26.      Am 21. März 2018 erließ die MFSA die Anordnung über den Entzug oder die Aussetzung der Stimmrechte, mit der sie u. a. anordnete, dass erstens der Hauptanteilseigner mit sofortiger Wirkung seiner Stellung als Leiter der Rechtsmittelführerin sowie aller seiner sonstigen Entscheidungsfunktionen innerhalb dieser zu entheben sei, dass zweitens er die Ausübung seiner Stimmrechte aussetze und dass drittens er sich jeder rechtlichen oder gerichtlichen Vertretung der Rechtsmittelführerin enthalte.

27.      Am selben Tag erließ die MFSA die Anordnung über das Moratorium, mit der sie der Rechtsmittelführerin aufgab, keinerlei Bankgeschäfte, insbesondere den Abzug von Einlagen oder Einlagen durch die Anteilseigner und die Mitglieder des Vorstands der Rechtsmittelführerin, zu genehmigen.

28.      Am 22. März 2018 erließ die MFSA die Anordnung über die Bestellung einer kompetenten Person, um dieser die Ausübung der wesentlichen Befugnisse zu übertragen, die normalerweise den Leitungsorganen der Rechtsmittelführerin in Bezug auf deren Tätigkeiten und Vermögenswerte zustehen.

29.      Am 29. Juni 2018 erhielt die EZB einen Vorschlag der MFSA, der Rechtsmittelführerin gemäß Art. 14 Abs. 5 der Verordnung Nr. 1024/2013 die Zulassung zu entziehen.

30.      Am 2. August 2018 unterbreitete die MFSA der EZB einen überarbeiteten Vorschlag für den Entzug dieser Zulassung.

31.      Mit Schreiben vom 31. August 2018 forderte die EZB die Rechtsmittelführerin auf, zu dem Beschlussvorschlag für den Entzug der Zulassung binnen fünf Werktagen ab Zugang dieses Schreibens Stellung zu nehmen.

32.      Am 6. September 2018 beantragte die Rechtsmittelführerin, vertreten durch ihren Rechtsbeistand, eine Verlängerung der Frist zur Stellungnahme um 14 Tage sowie Einsicht in die Akten dieses Verfahrens.

33.      Daraufhin forderte die EZB die Rechtsmittelführerin mit E‑Mail vom 10. September 2018 auf, ihr jegliche Korrespondenz im Rahmen des Verwaltungsverfahrens zum Entzug ihrer Zulassung über die kompetente Person oder mit deren Zustimmung zu übermitteln. Gegen diese E‑Mail erhob die Rechtsmittelführerin am 20. November 2018 Nichtigkeitsklage vor dem Gericht, das die Klage mit Beschluss vom 10. Juli 2019 als unzulässig zurückwies.(9) Das Rechtsmittel gegen den Unzulässigkeitsbeschluss des Gerichts wurde vom Gerichtshof am 4. Februar 2021 ebenfalls mit Beschluss – allerdings unter Ersetzung der Begründung des Gerichts – als offensichtlich unbegründet zurückgewiesen.(10)

34.      Auf den Antrag der Rechtsmittelführerin wurde die Frist zur Stellungnahme ein erstes Mal bis zum 17. September 2018 und ein zweites Mal bis zum 21. September 2018 verlängert.

35.      Mit Schreiben vom 13. September 2018 gewährte die EZB der Rechtsmittelführerin Einsicht in die Akten des Verwaltungsverfahrens.

36.      Am 21. September 2018 übermittelte die Rechtsmittelführerin ihre Stellungnahme zu dem Beschlussvorschlag für den Entzug der Zulassung, in der sie dessen Ablehnung durch ihre Geschäftsleitung und ihre Anteilseigner zum Ausdruck brachte.

37.      Am 2. November 2018 erließ die EZB gemäß Art. 4 Abs. 1 Buchst. a und Art. 14 Abs. 5 der Verordnung Nr. 1024/2013 den Beschluss, mit dem sie der Rechtsmittelführerin die Zulassung entzog (im Folgenden: streitiger Beschluss der EZB).(11)

38.      Auf die Weigerung der kompetenten Person, aus den Mitteln der Rechtsmittelführerin die Honorare ihres Rechtsbeistands zu begleichen, wandte sich Letztere mit E‑Mails vom 13. November und 20. Dezember 2018 an die EZB und forderte diese auf, von ihren Aufsichtsbefugnissen nach der Verordnung Nr. 1024/2013 Gebrauch zu machen und die kompetente Person anzuweisen, die Zahlung der Honorare zu genehmigen.

39.      Mit E‑Mail vom 21. Dezember 2019 (im Folgenden: streitige E‑Mail)(12) antwortete die EZB im Wesentlichen, dass ihre Aufsichtsbefugnisse nach der Verordnung Nr. 1024/2013 auf die Überwachung der Kreditinstitute beschränkt seien (Art. 1 Abs. 1 dieser Verordnung). Zur Begründung führte die EZB an, dass sie nicht mehr zuständig gewesen sei, der Rechtsmittelführerin gegenüber Maßnahmen zu treffen, da dieser die Zulassung mit Wirkung zum 5. November 2018 entzogen worden sei.

B.      Angefochtener Beschluss (Rechtssache C750/21 P)

40.      Mit Klageschrift, die am 4. März 2019 bei der Kanzlei des Gerichts eingereicht worden ist, hat die Rechtsmittelführerin Nichtigkeitsklage gegen die streitige E‑Mail erhoben.

41.      Mit Beschluss vom 24. September 2021, Pilatus Bank/EZB (T‑139/19, nicht veröffentlicht, EU:T:2021:623, im Folgenden: angefochtener Beschluss), hat das Gericht die Klage nach Art. 126 seiner Verfahrensordnung mit der Begründung zurückgewiesen, es fehle ihr offensichtlich jede rechtliche Grundlage.

42.      Das Gericht prüfte zunächst den ersten Klagegrund, wonach die EZB sich rechtsfehlerhaft für unzuständig erklärt habe, ihre unmittelbaren Aufsichtsbefugnisse gegenüber der Rechtsmittelführerin auszuüben und die kompetente Person anzuweisen, die Zahlung des Honorars an den von ihrem Vorstand bestellten Rechtsbeistand zu genehmigen. Es kam zu dem Schluss, dass die EZB insoweit offensichtlich unzuständig sei, und wies diesen Klagegrund als offensichtlich ohne jede rechtliche Grundlage ab. Unter Bezugnahme auf den Beschluss vom 12. März 2021, PNB Banka/EZB (T‑50/20, EU:T:2021:141), wies das Gericht auch die übrigen Klagegründe im Wesentlichen als offensichtlich ohne jede rechtliche Grundlage ab.

C.      Angefochtenes Urteil (Rechtssache C256/22 P)

43.      Mit Klageschrift, die am 15. Januar 2019 bei der Kanzlei des Gerichts eingereicht worden ist, hat die Rechtsmittelführerin, gemeinsam mit Pilatus Holding, Nichtigkeitsklage gegen den streitigen Beschluss der EZB erhoben.

44.      Mit Urteil vom 2. Februar 2022, Pilatus Bank und Pilatus Holding/EZB (T‑27/19, EU:T:2022:46, im Folgenden: angefochtenes Urteil), wies das Gericht die Klage, soweit sie von Pilatus Holding erhoben wurde, mangels unmittelbarer Betroffenheit der Anteilseigner als unzulässig zurück und im Übrigen als unbegründet ab.

45.      Der erste Klagegrund betrifft die Zuständigkeit im Verfahren des Entzugs der Zulassung, wie er in Art. 14 Abs. 5 der Verordnung Nr. 1024/2013 geregelt ist. Das Gericht verneinte Verstöße gegen diese Vorschrift und das Recht auf eine gute Verwaltung nach Art. 41 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta).(13) Zur Begründung führte es u. a. aus, dass eine mögliche Überschreitung der Zuständigkeit der MFSA durch die Anordnungen vom 21. und 22. März 2018, die ihrem Vorschlag vorausgingen, der Rechtsmittelführerin die Zulassung entziehen zu lassen, nicht zur Rechtswidrigkeit des streitigen Beschlusses der EZB führen könne. Diese mögliche Überschreitung sei nämlich im Verhältnis zu dem streitigen Beschluss der EZB weder eine verfahrenseinleitende noch eine vorbereitende Handlung noch ein „nicht bindender Vorschlag“ im Sinne des Urteils vom 19. Dezember 2018, Berlusconi und Fininvest(14) (im Folgenden: Urteil Berlusconi).

46.      Den zweiten Klagegrund wies das Gericht ebenfalls zurück.(15) Er war auf eine rechtsfehlerhafte Beurteilung des Grundes für den Entzug der Zulassung gestützt. Dieser lag in der Beeinträchtigung des Leumunds des Hauptanteilseigners und der Rechtsmittelführerin und dem daraus resultierenden Risiko für das betreffende Kreditinstitut sowie für das Finanzsystem in der Union und jedem einzelnen Mitgliedstaat.

47.      Das Gericht wies zudem den dritten und den vierten Klagegrund zurück. Danach habe die EZB ihr Ermessen nicht oder nicht angemessen ausgeübt und die relevanten Tatsachen weder geprüft noch unparteiisch und objektiv gewürdigt.(16)

48.      Schließlich wies das Gericht die Klagegründe 5 bis 11 zurück (Verletzung der Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und nemo auditur, sowie der Unschuldsvermutung und des Gleichbehandlungsgrundsatzes; Verstoß gegen Art. 19 und den 75. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 1024/2013 sowie Ermessensmissbrauch; Verletzung der Verteidigungsrechte, insbesondere des rechtlichen Gehörs, sowie der Begründungspflicht).(17)

49.      Zur Begründung der Zurückweisung des zehnten Klagegrundes, der die Verletzung der Verteidigungsrechte, insbesondere des rechtlichen Gehörs, betrifft, führte das Gericht im Wesentlichen aus(18): Die Rechtsmittelführerin habe das Schreiben der EZB vom 31. August 2018, in dem sie die EZB aufforderte, zu dem Beschlussvorschlag für den Entzug der Zulassung Stellung zu nehmen, und deren Schreiben vom 13. September 2018, mit dem die EZB ihr Einsicht in die Akten des Verwaltungsverfahrens gewährte, erhalten. Sie habe sich auf die Antwort beschränkt, dass sie bei ihrer Ablehnung des Beschlussvorschlags bleibe. Dabei habe die Rechtsmittelführerin über einen Zeitraum von insgesamt drei Wochen verfügt, um zu dem Vorschlag für den Beschluss zum Entzug der Zulassung Stellung zu nehmen. Der Rechtsmittelführerin sei daher Gelegenheit gegeben worden, zu den ihr darin zur Last gelegten Umständen sachgerecht Stellung zu nehmen.

50.      In Bezug auf die angebliche Unmöglichkeit für die Rechtsmittelführerin, ihren Rechtsbeistand zu vergüten und Zugang zu ihren Ressourcen und Informationen zu erlangen, befand das Gericht u. a., dass sich diese Umstände ausschließlich aus der Bestellung der kompetenten Person, die während des Verwaltungsverfahrens als die alleinige Vertreterin der ersten Klägerin angesehen wurde, ergeben. Dafür sei nach maltesischem Recht allein die MFSA zuständig. Auch die Entscheidung über die Bestellung einer kompetenten Person sei im Verhältnis zu dem streitigen Beschluss der EZB weder eine verfahrenseinleitende noch eine vorbereitende Handlung noch ein „nicht bindender Vorschlag“ (siehe oben, Nr. 45) und könnte daher nicht zur Rechtswidrigkeit dieses Beschlusses führen. Da es sich um eine im maltesischen Recht vorgesehene und in die Zuständigkeit der MFSA fallende, nur vor den maltesischen Gerichten überprüfbare Entscheidung handele, könnten ihre Folgen der EZB nicht zugerechnet werden. Es sei auch nicht zu beanstanden, dass die EZB die MFSA nicht kraft ihrer allgemeinen Weisungsbefugnis im Rahmen des einheitlichen Aufsichtsmechanismus am Erlass der Entscheidung zur Bestellung einer kompetenten Person gehindert habe. Über die Verpflichtung zur Einholung der Stellungnahmen der Adressaten ihrer Beschlüsse hinaus treffe die EZB nämlich keine weitere Verpflichtung. Daher obliege es Klägern, die Rechtmäßigkeit der Bestellung der kompetenten Person und gegebenenfalls der Entscheidungen dieser Person, mit denen diese ihre Anträge auf Finanzmittel zur Vergütung ihres Rechtsbeistands oder auf Zugang zu Ressourcen oder Informationen abgelehnt hat, auf nationaler Ebene in Frage zu stellen. Nötigenfalls müssten sie veranlassen, dass der Gerichtshof um Vorabentscheidung über die Frage ersucht wird, ob das Unionsrecht, insbesondere das Recht auf einen effektiven gerichtlichen Rechtsschutz, solchen Entscheidungen oder der Ernennung einer kompetenten Person entgegensteht.(19)

IV.    Verfahren vor dem Gerichtshof und Anträge der Parteien

51.      Mit Schriftsatz, der am 6. Dezember 2021 bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingegangen ist, hat die Rechtsmittelführerin das Rechtsmittel in der Rechtssache C‑750/21 P eingelegt.

52.      Die Rechtsmittelführerin beantragt,

–        den angefochtenen Beschluss aufzuheben,

–        die streitige E‑Mail für nichtig zu erklären,

–        sofern der Gerichtshof nicht in der Sache entscheiden kann, die Rechtssache an das Gericht zur Entscheidung über die Nichtigkeitsklage zurückzuverweisen und

–        die EZB zur Gesamtheit der Kosten zu verurteilen.

53.      Die EZB beantragt,

–        das Rechtsmittel zum Teil als unzulässig, zum Teil als unbegründet zurückzuweisen,

–        hilfsweise, das Rechtsmittel insgesamt als unbegründet zurückzuweisen und

–        die Rechtsmittelführerin jedenfalls zur Gesamtheit der Kosten zu verurteilen.

54.      Mit Schriftsatz, der am 12. April 2022 bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingegangen ist, hat die Rechtsmittelführerin das Rechtsmittel in der Rechtssache C‑256/22 P eingelegt.

55.      Die Rechtsmittelführerin beantragt,

–        das angegriffene Urteil aufzuheben,

–        den streitigen Beschluss der EZB für nichtig zu erklären,

–        sofern der Gerichtshof nicht in der Sache entscheiden kann, die Rechtssache an das Gericht zur Entscheidung über die Nichtigkeitsklage zurückzuverweisen und

–        die EZB zur Gesamtheit der Kosten zu verurteilen.

56.      Die EZB beantragt,

–        das Rechtsmittel zum Teil als unzulässig, zum Teil als unbegründet zurückzuweisen,

–        hilfsweise, das Rechtsmittel insgesamt als unbegründet zurückzuweisen und

–        die Rechtsmittelführerin jedenfalls zur Gesamtheit der Kosten zu verurteilen.

57.      Am 13. Dezember 2022 hat der Gerichtshof die Parteien aufgefordert, bestimmte Fragen schriftlich zu beantworten, was diese innerhalb der gesetzten Fristen getan haben. Auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung hat der Gerichtshof verzichtet.

V.      Würdigung

58.      Zunächst behandele ich die in den Rechtssachen C‑750/21 P und C‑256/22 P vorgetragenen Rügen in Bezug auf die wirksame Rechtsvertretung und Ausübung der Verteidigungsrechte der Rechtsmittelführerin gemeinsam (unter A.). Anschließend wende ich mich den geltend gemachten Rügen zur Reichweite der Aufsichtsbefugnisse der EZB und den übrigen Rügen zu (unter B.).

A.      Wirksame Ausübung der Verteidigungsrechte im mehrphasigen Verwaltungsverfahren zum Entzug der Zulassung

1.      Vorbemerkungen

59.      Beide Rechtsmittel betreffen zwei grundsätzliche, eng miteinander verknüpfte Rechtsfragen.

60.      Einerseits ist zu untersuchen, ob die Rechtsmittelführerin sich im mehrphasigen Verwaltungsverfahren, das zum Entzug ihrer Zulassung geführt hat, wirksam verteidigen konnte und ob die nationalen Gerichte oder die Unionsgerichte für die Kontrolle der Wahrung der Verteidigungsrechte zuständig sind und diesbezüglich effektiven Rechtsschutz leisten müssen. Das Gericht hat nämlich aus dem Urteil Berlusconi hergeleitet, dass die Verantwortung für die Wahrung dieser Rechte in die alleinige Zuständigkeit der MFSA und der maltesischen Gerichte fällt, was die Rechtsmittelführerin als rechtsfehlerhaft rügt.

61.      Andererseits ist zu prüfen, unter welchen Bedingungen eine solche Rechtsverteidigung zu gewährleisten ist, insbesondere ob sie ausschließlich durch den von der Rechtsmittelführerin bestellten Rechtsbeistand erfolgen können muss. Nach maltesischem Recht wurde die Rechtsmittelführerin nämlich während des gesamten Verwaltungsverfahrens zusätzlich von der kompetenten Person vertreten, die die MFSA bestellt hatte. Anfangs hatte die EZB sogar nur diese Person als Vertreterin der Rechtsmittelführerin im Sinne von Art. 27 Abs. 1 der Verordnung Nr. 468/2014 und Ansprechpartnerin anerkannt. Erst später hat die EZB auch mit dem Rechtsbeistand der Rechtsmittelführerin kommuniziert, ihm den Entwurf ihres streitigen Beschlusses übermittelt und ihm Akteneinsicht gewährt. Die mit dieser „Doppelvertretung“ verbundenen Probleme zeigten sich daran, dass die kompetente Person dem Rechtsbeistand keinen Zugang zu den Räumlichkeiten der Rechtsmittelführerin und den dort befindlichen Informationen und Beweismitteln gestattete und sich weigerte, Finanzmittel zur Zahlung der Anwaltshonorare des Rechtsbeistands freizugeben.

62.      Diese Probleme waren zumindest indirekt auch Gegenstand der rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren in den Rechtssachen T‑687/18(20) und C‑701/19 P(21) (siehe oben, Nr. 33). Darin hatte die Rechtsmittelführerin die E‑Mail der EZB vom 10. September 2018 angegriffen, mit der sie aufgefordert worden war, jegliche Korrespondenz im Rahmen des Verwaltungsverfahrens zum Entzug ihrer Zulassung über die kompetente Person oder mit deren Zustimmung zu übermitteln. Sowohl die Klage als auch das Rechtsmittel der Rechtsmittelführerin wurden jedoch abgewiesen. In anderen Rechtssachen mit ähnlicher Sachverhaltskonstellation wurde die Frage der Beeinträchtigung der Verteidigungsrechte ebenfalls aufgeworfen, blieb aber in der Sache offen(22), so dass ihre grundsätzliche Klärung geboten erscheint.

63.      In der Rechtssache C‑750/21 P rügt die Rechtsmittelführerin u. a., dass sie vergeblich zuerst die MFSA und dann die EZB aufgefordert habe, die kompetente Person anzuweisen, die Honorarrechnungen ihres Rechtsbeistands aus Mitteln der Bank zu begleichen. Mit dem sechsten Beschwerdepunkt des ersten Rechtsmittelgrundes wirft sie dem Gericht zudem im Wesentlichen vor, nicht berücksichtigt zu haben, dass die EZB ihre Rechtsvertretung durch diesen Rechtsbeistand zunächst nicht akzeptiert habe. Vielmehr habe die EZB auf ihre Vertretung nur durch die kompetente Person bestanden und anschließend verkannt, dass ihr Rechtsbeistand mangels Zugang zu den Geschäftsräumen der Bank keine wirksame Rechtsverteidigung habe leisten können. Mit dem zweiten Rechtsmittelgrund macht die Rechtsmittelführerin u. a. geltend, dass das Gericht ihr den direkten Zugang zu den Unionsgerichten versperrt habe. Dabei habe es ihr Recht auf effektiven Rechtsschutz verkannt, wie es im Urteil vom 5. November 2019, EZB u. a./Trasta Komercbanka u. a.(23) (im Folgenden: Urteil Trasta Komercbanka), anerkannt worden sei.

64.      In der Rechtssache C‑256/22 P rügt die Rechtsmittelführerin im Rahmen des ersten und des vierten Rechtsmittelgrundes im Wesentlichen, dass das Gericht weder den Anforderungen aus dem Urteil Trasta Komercbanka noch dem Umstand Rechnung getragen habe, dass sie sowohl im Verwaltungsverfahren zum Entzug ihrer Zulassung als auch nach dessen Abschluss einer wirksamen Rechtsvertretung und ‑verteidigung beraubt gewesen sei. Insbesondere habe ihr Rechtsbeistand keinen Zugang zu den dafür wichtigen Unterlagen, Informationen und Beweismitteln, u. a. in ihrem IT‑System und den Geschäftsräumen der Bank gehabt.(24) Zudem sei nicht der Rechtsmittelführerin, sondern nur der kompetenten Person der angefochtene Beschluss der EZB ordnungsgemäß mitgeteilt worden.

65.      Vor diesem Hintergrund ist zu prüfen, ob das Gericht insbesondere in den Rn. 242 bis 252 des angefochtenen Urteils Rechtsfehler begangen hat.

66.      Zum einen stellt sich die Frage, ob das Gericht urteilen durfte, dass eine etwaige Verletzung der Verteidigungsrechte der Rechtsmittelführerin im mehrphasigen Verwaltungsverfahren, das zum Erlass des streitigen Beschlusses der EZB führte, der EZB nicht zurechenbar war, und kein Verstoß gegen das Recht auf effektiven Rechtsschutz vorlag, weil die streitbefangenen Handlungen nicht in den Verantwortungsbereich der EZB, sondern in denjenigen der MFSA und der maltesischen Gerichte fielen (siehe unten, Nrn. 69 bis 76).

67.      Zum anderen ist die damit eng zusammenhängende Frage zu untersuchen, ob das Gericht verkannt hat, dass eine wirksame Rechtsverteidigung der Rechtsmittelführerin im Verwaltungsverfahren und vor Gericht ausschließlich über den von ihr bestellten Rechtsbeistand erfolgen muss. Das ist der Fall, wenn die parallele Ausübung der Vertretungsbefugnis der kompetenten Person geeignet war, die Verteidigung aufgrund von Interessenkonflikten zu konterkarieren (siehe unten, Nrn. 77 bis 85).

2.      Zurechnung von Verstößen gegen die Verteidigungsrechte und effektiver Rechtsschutz im mehrphasigen Verwaltungsverfahren

68.      Die Ausführungen des Gerichts, insbesondere in den Rn. 242 bis 252 des angefochtenen Urteils, sind meiner Ansicht nach unvereinbar mit der in der Rechtsprechung anerkannten Verteilung der gerichtlichen Zuständigkeit für die Kontrolle der nationalen Behörden und der EZB beim Vollzug des einheitlichen Aufsichtsmechanismus. Sie ergibt sich nach dem Urteil Berlusconi(25) aus Art. 263 AEUV, wonach nur die Unionsgerichte dafür zuständig sind, Handlungen der Unionsorgane, zu denen die EZB gehört, auf ihre Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen (unter a). Diese gerichtliche Zuständigkeitsverteilung setzt voraus, dass etwaige Verstöße der nationalen Behörden gegen die Verteidigungsrechte der EZB zugerechnet und nur gemeinsam mit ihrem streitigen Beschluss vor den Unionsgerichten überprüft werden können (unter b). Schließlich untersuche ich die Rechtmäßigkeit der einzelnen Feststellungen des Gerichts im angefochtenen Urteil in der Rechtssache C‑256/22 P und im angefochtenen Beschluss in der Rechtssache C‑750/21 P (unter c).

a)      Ausschließliche Zuständigkeit des Gerichtshofs

69.      Die Gewährung effektiven Rechtsschutzes gegen Handlungen zum Vollzug des einheitlichen Aufsichtsmechanismus unter Beteiligung nationaler Behörden und der EZB kann nur durch die Unionsgerichtsbarkeit erfolgen.(26) Die ausschließliche Zuständigkeit der Unionsgerichte umfasst auch die (inzidente) Kontrolle der Rechtmäßigkeit bestimmter vorbereitender Handlungen oder Vorschläge der beteiligten nationalen Behörden, die geeignet sind, sich auf den Inhalt der abschließenden Entscheidung der EZB auszuwirken.(27) Daraus ergibt sich zwingend, dass auch die etwaige Verletzung der Verteidigungsrechte seitens dieser Behörden oder der EZB in solchen Verwaltungsverfahren in die ausschließliche Kontrollzuständigkeit der Unionsgerichte fällt. Dies gilt umso mehr, als auch die nationalen Behörden gemäß Art. 51 Abs. 1 der Charta dazu verpflichtet sind, bei der Durchführung der Verordnung Nr. 1024/2013 die Verfahrensgrundrechte der Charta zu beachten.(28)

70.      Die Rechtmäßigkeit des mehrphasigen Verwaltungsverfahrens unter der Beteiligung nationaler Behörden und der EZB erfordert daher eine einzige gerichtliche Überprüfung durch die Unionsgerichte, und zwar erst nach Erlass der das Verfahren abschließenden Entscheidung der EZB. Allein diese Entscheidung erzeugt verbindliche Rechtswirkungen im Sinne einer qualifizierten Änderung der Rechtsstellung des Klägers.(29)

b)      Zurechnung vorbereitender nationaler Handlungen an die EZB

71.      Weil die EZB das Verwaltungsverfahren mit einer für das Kreditinstitut belastenden Maßnahme abschließt, die nur vor den Unionsgerichten angreifbar ist, trägt sie für dessen ordnungsgemäßen Ablauf eine besondere Verantwortung. Sie muss zum einen selbst die Verfahrensgarantien beachten. Zum anderen muss sie dafür sorgen, dass sich auch die nationalen Behörden, die Handlungen zur Vorbereitung der abschließenden Maßnahme vornehmen, an diese Garantien halten.

72.      Die etwaige Rechtswidrigkeit der (vorbereitenden) Handlungen nationaler Behörden, z. B. eine Verletzung der Verteidigungsrechte, „kontaminiert“ daher den angefochtenen Beschluss der EZB und ist ihr zuzurechnen.(30) Diese Kontaminierung entspricht dem Grundsatz, wonach nicht selbständig angreifbare Durchführungs- oder Vorbereitungshandlungen zumindest gemeinsam mit der Entscheidung, die das Verwaltungsverfahren abschließt, auf ihre Rechtmäßigkeit hin überprüft werden und zu deren Nichtigkeit führen können.(31) Im mehrphasigen Verwaltungsverfahren zum Entzug der Zulassung trägt dieser Grundsatz auch dem Umstand Rechnung, dass der EZB die alleinige Verantwortung für die Gewährung rechtlichen Gehörs hinsichtlich der das Verfahren abschließenden Entscheidung obliegt.

73.      Das Gericht hat diesen Grundsatz in der Vergangenheit beachtet(32), weicht aber im angefochtenen Urteil davon ab.

c)      Rechtsfehler im angefochtenen Urteil und wirksame Rechtsverteidigung durch den Rechtsbeistand der Bank

74.      Ausgehend von den in den Nrn. 69 bis 73 dargelegten Prämissen sind die Ausführungen des Gerichts in den Rn. 242 bis 252 des angefochtenen Urteils mit mehreren Rechtsfehlern behaftet.

75.      Erstens hat das Gericht in den Rn. 242 bis 244 und 249 des angefochtenen Urteils zu Unrecht festgestellt, bestimmte Umstände oder Handlungen wie diejenigen, die auf der nach maltesischem Recht ergangenen Anordnung der Bestellung einer kompetenten Person beruhen, seien im Verhältnis zu dem streitigen Beschluss der EZB keine vorbereitenden Handlungen im Sinne des Urteils Berlusconi(33), die zur Rechtswidrigkeit dieses Beschlusses führen können. Wie in den Nrn. 69 bis 73 dieser Schlussanträge ausgeführt sowie im vorgenannten Urteil und im Urteil Trasta Komercbanka(34) gezeigt, können derartige Umstände oder Handlungen nämlich die Verteidigungsrechte des Betroffenen und sein Recht auf effektiven Rechtsschutz beeinträchtigen.(35) Wie ich in den Nrn. 102 ff. dieser Schlussanträge darlege, sind diese Handlungen weder für die EZB rechtsverbindlich noch nach den im Urteil vom 3. Dezember 1992, Oleificio Borelli/Kommission(36), anerkannten Grundsätzen vor den mitgliedstaatlichen Gerichten angreifbar. Sie müssen daher der EZB zugerechnet werden. Nur so sind die erforderliche Beachtung der unionsrechtlichen Verfahrensgrundrechte und der gebotene einheitliche und effektive Rechtsschutz vor den Unionsgerichten gewährleistet.

76.      Zweitens musste die EZB entgegen den in den Rn. 245 bis 248 des angefochtenen Urteils getroffenen Aussagen dafür sorgen, dass die Rechtsmittelführerin ihr Recht auf rechtliches Gehör wirksam ausüben konnte (vgl. oben, Nrn. 69 bis 73). Die Art. 31 und 32 der Verordnung Nr. 468/2014 verbriefen dieses Recht und dasjenige auf Akteneinsicht im Verfahren vor der EZB. Wie sich insbesondere aus Art. 6 Abs. 1 sowie Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 2 und 3 der Verordnung Nr. 1024/2013 ergibt, war die EZB kraft ihrer allgemeinen Aufsichts- und Weisungsbefugnisse gegenüber den nationalen Behörden auch in der Lage, auf die MFSA einzuwirken. Sie hätte daher diese Behörde dazu bewegen können, der Rechtsmittelführerin zum Zweck ihrer wirksamen Rechtsverteidigung die Verfügung über ihre Finanzmittel und den Zugang zu den relevanten Unterlagen und Informationen zu ermöglichen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die EZB auch einer selbständig einklagbaren Pflicht unterlag, dies zu tun. Hierauf werde ich sogleich in den Nrn. 88 bis 93 näher eingehen.

77.      Drittens ist auch die in Rn. 250 des angefochtenen Urteils behauptete Obliegenheit der Rechtsmittelführerin, die Rechtswidrigkeit nationaler Verfahrenshandlungen vor den mitgliedstaatlichen Gerichten zu rügen und deren Vereinbarkeit mit der unionsrechtlichen Garantie effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes über ein Vorabentscheidungsverfahren vor dem Gerichtshof klären zu lassen, rechtsfehlerhaft. Sie widerspricht nämlich der in den Nrn. 69 bis 73 dieser Schlussanträge dargelegten gerichtlichen Zuständigkeitsverteilung.

78.      Schließlich hat das Gericht bei der Würdigung des zehnten Klagegrundes in den Rn. 242 ff. des angefochtenen Urteils rechtsfehlerhaft darauf verzichtet, die Rechtsauffassung der EZB zur „Doppelvertretung“ der Rechtsmittelführerin zu beanstanden. Danach erlauben es angeblich das maltesische Recht und Art. 27 Abs. 1 der Verordnung Nr. 468/2014, dass die Bank im Verfahren zum Entzug der Zulassung sowohl durch die kompetente Person als auch durch den von ihren Organen bestellten Rechtsbeistand vertreten wird; die Rechtsvertretung durch erstere Person sei sogar vorrangig. Das hatte dazu geführt, dass der Rechtsbeistand die Verteidigungsrechte der Rechtsmittelführerin teilweise nur eingeschränkt oder verspätet ausüben konnte (siehe bereits Nr. 61).

79.      Eine solche Fallkonstellation birgt jedoch Interessenkonflikte, welche die Rechte der betroffenen Bank auf eine wirksame Rechtsverteidigung und auf einen effektiven Rechtsschutz beeinträchtigen können.(37) Denn die kompetente Person vertritt weniger die Interessen dieser Bank als das öffentliche Interesse an ihrer Verwaltung bis zum möglichen Entzug ihrer Zulassung. Zudem steht sie den zuständigen nationalen Aufsichtsbehörden nahe, die ihre Bestellung angeordnet und das Verfahren zum Entzug der Zulassung vorbereitet haben. Die im vierten Rechtsmittelgrund in der Rechtssache C‑256/22 P gerügte Beschränkung der Verteidigungsrechte der Rechtsmittelführerin ist das Resultat eines solchen Interessenkonflikts. Ihr Rechtsbeistand konnte nämlich nach den maltesischen Rechtsvorschriften und aufgrund der Weigerung der kompetenten Person keinen Zugang zu den Räumen und Datenträgern der Bank mit den relevanten Informationen und Beweisen sowie zu den finanziellen Mitteln erhalten, die er zur wirksamen Ausübung der Verteidigungsrechte der Rechtsmittelführerin benötigte.

80.      Das maltesische Recht und Art. 27 Abs. 1 der Verordnung Nr. 468/2014 sind daher im Licht der Art. 41, 47 und 48 der Charta(38) dahin auszulegen, dass der von der Bank bestellte Rechtsbeistand deren Rechte und Interessen im Verfahren zum Entzug der Zulassung und vor den Unionsgerichten wirksam verteidigen können muss. Dies steht im Übrigen im Einklang mit der inzwischen einhelligen Auffassung der Parteien, die sie in Antwort auf die schriftlichen Fragen des Gerichtshofs, auch unter Hinweis auf die maltesische Rechtslage und Rechtsprechung, mitgeteilt haben.

81.      Die EZB muss folglich den Rechtsbeistand der betroffenen Bank als einen vollwertigen rechtlichen Vertreter im Sinne von Art. 27 Abs. 1 der Verordnung Nr. 468/2014 anerkennen. Das gilt insbesondere in der entscheidenden Phase des von ihr durchgeführten Verfahrens. Dies hat sie vorliegend zwar kurz vor Erlass ihres streitigen Beschlusses getan(39), anfänglich jedoch nicht.

82.      Dieses Ergebnis steht im Einklang mit dem Urteil des maltesischen Berufungsgerichts vom 5. November 2018.(40) Diesem Urteil zufolge sind der kompetenten Person nur die Führung der Geschäfte der Bank und die zugehörige rechtsgeschäftliche bzw. gerichtliche Vertretungsmacht vorbehalten, z. B. zum Führen vertraglicher Rechtsstreitigkeiten. Dagegen ist die kompetente Person nicht zuständig für die rechtliche Vertretung der Bank im Verfahren, das zum Entzug ihrer Zulassung durch die EZB führen kann, oder für die Erhebung einer Klage gegen bestimmte vorläufige Maßnahmen der MFSA.

83.      Diese Auslegung ist mit den Anforderungen von Art. 47 der Charta und dem Erfordernis eines wirksamen Schutzes der Verteidigungsrechte vereinbar. Sie behält die Rechtsverteidigung insoweit allein dem Rechtsbeistand vor, den die Bank selbst bestellt hat. Das schließt die Erhebung einer Klage gegen den Entzug der Zulassung vor den Unionsgerichten mit ein.

84.      Nur eine solche klar abgegrenzte, komplementäre Vertretungsmacht der kompetenten Person einerseits und des von der betroffenen Bank bestellten Rechtsbeistands andererseits ist nämlich geeignet, Interessenkonflikte und damit eine Beeinträchtigung der Verteidigungsrechte dieser Bank und ihres Rechts auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 47 Abs. 1 der Charta zu vermeiden. Andernfalls wären sogar widersprüchliche Verfahrens- und Prozesshandlungen im Namen der Bank zu befürchten.

85.      Folglich ist der von den zuständigen Organen der Bank im Einklang mit Art. 27 Abs. 1 der Verordnung Nr. 468/2014 bestellte Rechtsbeistand allein befugt, deren Interessen und Rechte im Verfahren zum Entzug der Zulassung vor der EZB zu vertreten. Er muss daher deren Verteidigungsrechte wirksam ausüben können.

3.      Zwischenergebnis

a)      Rechtssache C256/22 P

86.      Aus den vorstehenden Erwägungen folgt, dass der vierte Rechtsmittelgrund in der Rechtssache C‑256/22 P durchgreift. Das angegriffene Urteil ist insoweit aufzuheben, als das Gericht den zweiten Teil des zehnten Klagegrundes rechtsfehlerhaft gewürdigt und zurückgewiesen hat. Dieser Teil betraf die Verletzung der Verteidigungsrechte und insbesondere des rechtlichen Gehörs. Grund dafür war, dass die Rechtsmittelführerin im Verwaltungsverfahren keinen Zugang zu Unterlagen und Informationen in ihrem IT‑System sowie zu ihren Finanzmitteln zwecks Bezahlung der Anwaltshonorare gehabt hatte.

87.      Soweit jedoch die Rechtsmittelführerin auch im ersten Rechtsmittelgrund eine Verletzung ihrer Verfahrensgrundrechte mit der Begründung rügt, ihr sei der angefochtene Beschluss der EZB nicht ordnungsgemäß mitgeteilt worden, halte ich diese Rüge für unbegründet. Das werde ich in den Nrn. 100 und 101 näher erläutern.

b)      Rechtssache C750/21 P

88.      In der Rechtssache C‑750/21 P halte ich allerdings weder den sechsten Beschwerdepunkt des ersten Rechtsmittelgrundes (Beeinträchtigung der wirksamen Ausübung der Verteidigungsrechte der Rechtsmittelführerin durch ihren Rechtsbeistand) noch den zweiten Rechtsmittelgrund (Verkennung des Rechts auf effektiven Rechtsschutz) für begründet (siehe oben, Nr. 63).

89.      Dort konnte die Rechtsmittelführerin nämlich nicht nachweisen, dass die EZB die Verteidigungsrechte der Rechtsmittelführerin dadurch verletzte, dass sie zunächst nur die kompetente Person als ihren Rechtsvertreter anerkannte und es später(41) unterließ, diese anzuweisen, die Honorarforderungen ihres Rechtsbeistands zu begleichen.

90.      Zum einen ist es zwischen den Parteien nunmehr unstreitig (siehe oben, Nrn. 78 und 80), dass die EZB den Rechtsbeistand der Rechtsmittelführerin als Vertreter zur Verteidigung ihrer Rechte im Verfahren zum Entzug der Zulassung anerkannte. Wie das Gericht in den Rn. 239 bis 241 des angefochtenen Urteils in der Rechtssache C‑256/22 P zu Recht festgestellt hat und die Rechtsmittelführerin auch nicht mehr in Abrede stellt, hatte die EZB der Rechtsmittelführerin Einsicht in die Verfahrensakten und hinreichend Gelegenheit zur Stellungnahme zu dem Beschlussvorschlag über den Entzug ihrer Zulassung gegeben.

91.      Zum anderen ist keine Rechtsgrundlage ersichtlich, die die EZB dazu ermächtigte oder verpflichtete, die kompetente Person noch nach Abschluss des Verfahrens zum Entzug der Zulassung anzuweisen, die Honorarrechnungen des Rechtsbeistands der Rechtsmittelführerin zu begleichen. Die EZB unterliegt im Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 1024/2013 keiner allgemeinen Aufsichts- oder Überwachungspflicht bezüglich der Einhaltung unionsrechtlicher Verfahrensgrundrechte, wie sie der Gerichtshof aus Art. 17 Abs. 1 EUV für die Europäische Kommission im Bereich der Wirtschafts- und Währungspolitik hergeleitet hat.(42) Entsprechend enthält diese Verordnung keine für die betroffene Bank selbständig einklagbaren Rechtspflichten der EZB, den nationalen Behörden Weisungen dieser Art zu erteilen.(43)

92.      Dieses Ergebnis steht nicht im Widerspruch dazu, dass eine Beschränkung der Verteidigungsrechte der betroffenen Bank durch die zuständigen nationalen Behörden im Verfahren zum Entzug der Zulassung der EZB zurechenbar sein und deren abschließende Entscheidung kontaminieren und rechtswidrig machen kann (siehe oben, Nrn. 69 bis 73). Vorbereitende Verfahrenshandlungen, inklusive derjenigen, die dazu dienen, eine wirksame Ausübung der Verteidigungsrechte zu garantieren, sind nämlich grundsätzlich nicht selbständig vor den Unionsgerichten anfechtbar.(44) Vielmehr kann ihre Rechtswidrigkeit nur gemeinsam mit derjenigen des Beschlusses gerügt werden, der das Verwaltungsverfahren abschließt.(45)Nach dem Erlass ihres streitigen Beschlusses ist die streitige Ablehnung der EZB, einzuschreiten, zudem nicht mehr als vorbereitende Handlung anzusehen.

93.      Folglich sind der sechste Beschwerdepunkt des ersten Rechtsmittelgrundes und der zweite Rechtsmittelgrund in der Rechtssache C‑705/21 P als unbegründet zurückzuweisen.

B.      Reichweite der Aufsichtsbefugnisse der EZB

94.      Im Folgenden werden die verschiedenen Rechtsmittelgründe und Rügen in beiden Rechtsmitteln geprüft, die sich auf die Reichweite der Aufsichtsbefugnisse der EZB beziehen. Zuerst untersuche ich den ersten Rechtsmittelgrund in der Rechtssache C‑256/22 P, insbesondere die Frage, ob das Gericht einen Verstoß der EZB gegen Art. 14 Abs. 5 der Verordnung Nr. 1024/2013 hätte feststellen müssen (unter 1.). Anschließend behandele ich den zweiten Rechtsmittelgrund, wonach das Gericht den Leumundsbegriff nach Art. 23 der Verordnung Nr. 1024/2013 verkannt habe (unter 2.). Nach einer kurzen Erörterung des dritten Rechtsmittelgrundes (unter 3.) befasse ich mich mit dem ersten Rechtsmittelgrund in der Rechtssache C‑705/21 P, der sich auf die Reichweite der Zuständigkeit der EZB im Rahmen des einheitlichen Aufsichtsmechanismus bezieht (unter 4.).

1.      Erster Rechtsmittelgrund in der Rechtssache C256/22 P: Verstoß gegen Art. 14 Abs. 5 der Verordnung Nr. 1024/2013

95.      Mit dem ersten Rechtsmittelgrund in der Rechtssache C‑256/22 P wendet sich die Rechtsmittelführerin gegen die Zurückweisung des ersten Klagegrundes. Sie rügt einen Verstoß des Gerichts gegen die Zuständigkeitsverteilung beim Entzug der Zulassung, wie sie in Art. 14 Abs. 5 der Verordnung Nr. 1024/2013 geregelt ist, und gegen das Recht auf eine gute Verwaltung nach Art. 41 der Charta. Im ersten Klagegrund hatte sie vorgebracht, die EZB habe zum einen, unter Verstoß gegen ihre umfassende Aufsichtspflicht aus Art. 6 Abs. 5 Buchst. c der Verordnung Nr. 1024/2013 nicht verhindert, dass die MFSA der Rechtsmittelführerin ohne jedes ordentliche Verfahren de facto die Zulassung bereits durch die Anordnungen vom 21. und 22. März 2018 entzogen hatte. Diese bewirkten erstens den Entzug oder die Aussetzung der Stimmrechte, zweitens das Moratorium zur Genehmigung von Bankgeschäften und drittens die Bestellung der kompetenten Person. Die EZB habe sich zum anderen in ihrem streitigen Beschluss damit begnügt, dies zu bestätigen.

96.      Zur Begründung führt die Rechtsmittelführerin sinngemäß aus, das Gericht habe die Rechtsnatur und die Rechtswirkungen des einheitlichen Aufsichtsmechanismus verkannt, indem es sich weigerte, der EZB die übergeordnete Verantwortung für dessen Funktionsweise, inklusive der Handlungen der zuständigen nationalen Behörden, zuzuweisen. Dies gelte auch, wenn es sich um die Aufsicht über weniger bedeutende Kreditinstitute handele. In diesem Zusammenhang bringt die Rechtsmittelführerin mehrere Einzelrügen vor, u. a. eine unzutreffende Auslegung von Art. 4 Abs. 5 und von Art. 6 Abs. 5 Buchst. c der Verordnung Nr. 1024/2013, sowie eine Verkennung des Begriffs der vorbereitenden Handlung und der Bedeutung des Urteils Berlusconi.

97.      Die Rechtsmittelführerin rügt zudem auch in diesem Kontext, dass sie im Verwaltungsverfahren einer wirksamen Rechtsverteidigung dadurch beraubt worden sei, dass die EZB zunächst nur die kompetente Person als ihre Rechtsvertreterin anerkannt habe. Ihr sei insbesondere der angefochtene Beschluss der EZB nicht ordnungsgemäß mitgeteilt worden. Die EZB habe diesen Beschluss zunächst nur der kompetenten Person zugestellt, da sie davon ausgegangen sei, allein diese sei befugt, die Rechtsmittelführerin zu vertreten. Letztere habe den Beschluss erst nach ausdrücklicher Zustimmung der kompetenten Person erhalten. Dieser sei daher schon wegen dieses förmlichen Mangels rechtswidrig, wenn nicht sogar von Anfang an nichtig.

98.      In den Rn. 41 bis 57 des angefochtenen Urteils hat das Gericht eine Verletzung von Art. 14 Abs. 5 der Verordnung Nr. 1024/2013 und des Rechts auf eine gute Verwaltung nach Art. 41 der Charta verneint und den ersten Klagegrund zurückgewiesen.(46)

99.      Ich wende mich zunächst der geltend gemachten Verletzung des Rechts auf eine gute Verwaltung zu.

100. Entgegen dem von ihr vermittelten Eindruck hatte die Rechtsmittelführerin im Rahmen des ersten Klagegrundes vor dem Gericht nicht gerügt, sie sei einer wirksamen Rechtsverteidigung durch ihren Rechtsbeistand beraubt gewesen. Dies war nur Gegenstand des zehnten Klagegrundes. Im ersten Klagegrund hatte die Rechtsmittelführerin hingegen nur ganz allgemein eine Verletzung von Art. 41 der Charta vorgebracht. Wie die EZB zu Recht anführt, hatte sie darin ebenso wenig gerügt, ihr sei der angefochtene Beschluss der EZB nicht ordnungsgemäß übermittelt worden.(47)

101. Diese erstmals im Rechtsmittel vorgebrachten Rügen ändern daher nachträglich den Gegenstand des Rechtsstreits und sind unzulässig(48); jedenfalls sind sie nicht dazu geeignet, die Rechtmäßigkeit der Würdigung des ersten Klagegrundes in dem angefochtenen Urteil in Frage zu stellen. Soweit das Gericht die Rüge der Verletzung des Rechts aus Art. 41 der Charta mangels konkreten Vorbringens als mit Art. 21 Abs. 1 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union in Verbindung mit Art. 53 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichts unvereinbar und unzulässig zurückwies, ist dies nicht zu beanstanden, da die Klageschrift sich in der Tat damit begnügt hat, dieses Recht zu nennen.

102. Für rechtsfehlerhaft halte ich jedoch die Feststellung des Gerichts, dass eine etwaige Rechtswidrigkeit der Anordnungen der MFSA vom 21. und 22. März 2018, mit denen diese der Rechtsmittelführerin de facto bereits die Zulassung entzogen und damit ihre Zuständigkeit überschritten habe, nicht zur Rechtswidrigkeit des streitigen Beschlusses der EZB habe führen können.

103. Meines Erachtens geht das Gericht in den Rn. 42 ff. des angefochtenen Urteils rechtsirrig davon aus, dass die streitigen Anordnungen keine vorbereitenden Handlungen im Verhältnis zu dem Vorschlag der MFSA gewesen seien, die Zulassung durch die EZB entziehen zu lassen. Dieser Vorschlag war seinerseits eine vorbereitende Handlung für den streitigen Beschluss der EZB. Mit anderen Worten waren sowohl diese Anordnungen als auch der Vorschlag der MFSA jeweils vorbereitende Handlungen im mehrphasigen Verwaltungsverfahren, die letztlich darauf abzielten, der Rechtsmittelführerin die Zulassung zu entziehen. Sofern sie das entscheidende Unionsorgan rechtlich nicht binden, sind derartige Handlungen unselbständiger Teil eines unionsrechtlich determinierten Verfahrens, dessen eventuelle Mängel diesem Organ zuzurechnen und nur vor den Unionsgerichten angreifbar sind(49) (siehe oben, Nrn. 69 bis 73).

104. Rechtsfehlerhaft und schwer verständlich ist insbesondere die Annahme des Gerichts in den Rn. 45 und 46 des angefochtenen Urteils, wonach eine solche Anordnung der MFSA „kein nicht bindender Vorschlag“ im Sinne des Urteils Berlusconi sei. Mit dieser doppelten Verneinung kann das Gericht nur gemeint haben, dass derartige (vorbereitende) Anordnungen der MFSA für die EZB rechtsverbindlich seien. Daraus hat es gefolgert, dass die im Urteil Berlusconi anerkannte Bedingung mangelnder Rechtsverbindlichkeit für die ausschließliche Zuständigkeit der Unionsgerichte zur Kontrolle solcher Anordnungen hier nicht vorliege (siehe oben, Nr. 70).(50)

105. Die streitigen Anordnungen der MFSA sind jedoch für die EZB nicht rechtsverbindlich und müssen sogar Gegenstand ihrer Rechtmäßigkeitskontrolle bei der Ausübung ihrer übergeordneten Aufsichts- und Entscheidungsbefugnisse sein. Insoweit fallen sie ebenfalls in die Kontrollzuständigkeit der Unionsgerichte (siehe oben, Nrn. 69 und 70).

106. Gegen ihre Rechtsverbindlichkeit spricht schon der nach Art. 14 Abs. 5 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 1024/2013 der EZB generell eingeräumte weite Beurteilungsspielraum hinsichtlich eines von ihr von Amts wegen veranlassten Entzugs der Zulassung („kann … entziehen“). Er ist von etwaigen Maßnahmen oder einem Vorschlag der nationalen Aufsichtsbehörden völlig unabhängig. Ebenso wenig ergibt sich aus Art. 14 Abs. 5 Unterabs. 2 dieser Verordnung, dass die EZB an den Vorschlag oder die Auffassung der nationalen Behörde, wie sie auch in ihren vorangegangenen Anordnungen zum Ausdruck kommen kann, gebunden wäre. Die EZB muss lediglich das Verfahren zum Entzug der Zulassung durchführen und unter vollumfänglicher Berücksichtigung der von dieser Behörde vorgelegten Begründung prüfen, ob der Entzug rechtmäßig, insbesondere verhältnismäßig, ist. Das entspricht der Vorgehensweise der EZB in ihrem streitigen Beschluss.(51) Dieses Prüfungs- und Berücksichtigungsgebot impliziert, dass die EZB den Vorschlag, die Zulassung zu entziehen, bei unzureichender Begründung oder fehlender Rechtsgrundlage nicht nur zurückweisen kann, sondern sogar muss. Ferner hat die EZB zu überprüfen und dafür Sorge zu tragen, dass die zuständige nationale Behörde keine Maßnahme trifft oder zuvor getroffen hat, die ihre eigene, ausschließliche Zuständigkeit zum Entzug der Zulassung oder ihre diesbezügliche Ermessensentscheidung präjudiziert, deren Rechtswirkungen vorwegnimmt oder diese sonst beeinträchtigt.

107. Dies steht im Einklang mit dem allgemeinen Aufgreif- und Entscheidungsermessen der EZB(52) und ihrer Befugnis, durch begründeten Beschluss festzustellen, dass die nationalen Behörden keine angemessenen zur Aufrechterhaltung der Finanzmarktstabilität erforderlichen Maßnahmen ergriffen haben.(53)

108. Aufgrund ihrer allgemeinen Aufsichtsbefugnis(54) hat die EZB die nationalen Behörden im Hinblick auf die Einhaltung der Regeln des einheitlichen Aufsichtsmechanismus nach der SSM-Rahmenverordnung inklusive des zugehörigen nationalen Rechts zu überwachen. Dabei muss die EZB die ihr von den nationalen Behörden unterbreiteten Vorschläge zum Entzug der Zulassung und die diese vorbereitenden Maßnahmen einer vollständigen Rechtskontrolle u. a. am Maßstab des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit und grundlegender unionsrechtlicher Verfahrensgarantien unterziehen (siehe oben, Nrn. 69 bis 77).(55)

109. Des Weiteren hat das Gericht nicht geprüft, ob die EZB die von der MFSA vorgelegte Begründung im Sinne von Art. 14 Abs. 5 Unterabs. 2 der Verordnung Nr. 1024/2013 „in vollem Umfang berücksichtigt“ hat. Insbesondere hat es nicht untersucht, ob die EZB ihrer Kontrollbefugnis und ‑pflicht in Bezug auf die von der Rechtsmittelführerin vorgebrachten Rechtsverstöße durch die behauptete De-facto-Vollziehung des Entzugs der Zulassung noch vor Erlass des streitigen Beschlusses der EZB nachgekommen ist. Zwar weist der streitige Beschluss der EZB auf die streitigen Anordnungen vom 21. und 22. März 2018, die dem Vorschlag der MFSA vorangingen, kurz hin, diesbezügliche etwaige Rügen der Rechtsmittelführerin werden aber von der EZB weder behandelt noch zurückgewiesen.(56)

110. Dem Gericht ist lediglich insoweit zuzustimmen, als diese Befugnisse und Pflichten der EZB nicht aus Art. 6 Abs. 5 Buchst. b der Verordnung Nr. 1024/2013 resultieren, wonach sie zur Sicherstellung der kohärenten Anwendung hoher Aufsichtsstandards die Aufsicht über weniger bedeutende Kreditinstitute an sich ziehen kann.(57) Sie ergeben sich jedoch aus ihrer allgemeinen Aufsichtspflicht nach Art. 4 Abs. 3, Art. 6 Abs. 1 und Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 3 der Verordnung Nr. 1024/2013 sowie ihrer speziellen Befugnis zum Entzug der Zulassung nach Art. 14 Abs. 5 Unterabs. 2 dieser Verordnung (siehe oben, Nrn. 106 bis 108).

111. Folglich greift der erste Teil des ersten Rechtsmittelgrundes durch.

2.      Zweiter Rechtsmittelgrund in der Rechtssache C256/22 P: Verkennung des Leumundsbegriffs nach Art. 23 der Verordnung Nr. 1024/2013

a)      Vorbringen der Rechtsmittelführerin

112. Mit dem zweiten Rechtsmittelgrund in der Rechtssache C‑256/22 P rügt die Rechtsmittelführerin Rechtsfehler des Gerichts bei der Würdigung und Zurückweisung des zweiten Klagegrundes. Dieser war auf eine rechtsfehlerhafte Beurteilung des Vorliegens eines Grundes für den Entzug der Zulassung, insbesondere eine Verkennung des Leumundsbegriffs(58), gestützt.

113. Zur Begründung führt die Rechtsmittelführerin im Wesentlichen und sinngemäß aus, das Gericht habe rechtsirrig befunden, dass der Leumundsbegriff nicht notwendig im Licht des Unionsrechts auszulegen sei und dass eine Anklageerhebung in einem Drittstaat, hier den Vereinigten Staaten, wegen eines angeblich strafrechtswidrigen Verhaltens für den Entzug der Zulassung genüge. Das gelte umso mehr, als dieses Verhalten die Verletzung von Sanktionsregeln betreffe, die nach Unionsrecht nicht strafbar und deren Verfolgung in der Union blockiert sei. Dies folge aus der Verordnung (EG) Nr. 2271/96 des Rates vom 22. November 1996 zum Schutz vor den Auswirkungen der extraterritorialen Anwendung von einem Drittland erlassener Rechtsakte sowie von darauf beruhenden oder sich daraus ergebenden Maßnahmen (im Folgenden: Blocking-Verordnung Nr. 2271/96)(59), wie sie im Urteil vom 21. Dezember 2021, Bank Melli Iran(60), ausgelegt werde.

114. In diesem Zusammenhang wirft die Rechtsmittelführerin dem Gericht zudem mehrere Rechtsfehler bei der Auslegung und Würdigung des „wertausfüllungsbedürftigen“ Leumundsbegriffs vor. Sie rügt, dass das Gericht seine Befugnisse überschritten, seine (spekulative) Begründung an die Stelle derjenigen der EZB gesetzt und die Beweise verfälscht habe. Ferner habe das Gericht bei seiner Würdigung die von der Charta vorgesehenen Verfahrensgarantien der Rechtsmittelführerin und seine Begründungspflicht verletzt. Schließlich meint die Rechtsmittelführerin, das Gericht habe verkannt, dass der Leumund des Anteilseigners als solcher nicht relevant sei, jedenfalls nicht negativ den Ruf des Kreditinstituts beeinflussen könne, nur einer eingeschränkten Kontrolle unterliege und allenfalls die Aussetzung der Stimmrechte in Bezug auf dessen Geschäftsführung zur Folge haben könne.

115. Die Rechtsmittelführerin stellt jedoch nicht in Abrede, dass Art. 14 Abs. 2 der Richtlinie 2013/36 die zuständigen Behörden ermächtigt, die Zulassung zur Aufnahme der Tätigkeit eines Kreditinstituts zu verweigern, wenn sie nicht davon überzeugt sind, dass u. a. die Anteilseigner den im Interesse der Gewährleistung einer soliden und umsichtigen Führung des Kreditinstituts zu stellenden Ansprüchen genügen. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Beurteilungskriterien von Art. 23 Abs. 1 dieser Richtlinie, einschließlich des Leumundskriteriums, nicht erfüllt sind. Da Art. 18 Buchst. c der Richtlinie 2013/36 diese Behörden spiegelbildlich dazu ermächtigt, die Zulassung zu entziehen, wenn diese Voraussetzungen nicht mehr erfüllt sind, war die EZB nach Art. 14 Abs. 5 Unterabs. 2 der Verordnung Nr. 1024/2013 zweifellos befugt, der Rechtsmittelführerin auf einen entsprechenden Vorschlag der MFSA hin die Zulassung zu entziehen, wenn ihr Hauptanteilseigner den erforderlichen Leumund im Sinne von Art. 23 Abs. 1 Buchst. a und b dieser Richtlinie nicht (mehr) zur Überzeugung der MFSA bzw. der EZB vorweisen konnte. Dies hat das Gericht in den Rn. 67 bis 72 des angefochtenen Urteils rechtsfehlerfrei festgestellt.

116. Daher gehen die Argumente der Rechtsmittelführerin, wonach der Leumund des Hauptanteilseigners für den Entzug der Zulassung irrelevant sei, ins Leere und sind zurückzuweisen.

b)      Zurückweisung durch das Gericht

117. Das Gericht hat die Zurückweisung des – in der Klageschrift recht knapp formulierten – zweiten Klagegrundes im Übrigen im Wesentlichen wie folgt begründet.

118. Erstens könne ein Entzug der Zulassung gemäß Art. 14 Abs. 2 und Art. 23 Abs. 1 der Richtlinie 2013/36 damit begründet werden, dass die Anteilseigner oder Gesellschafter die geforderte Eignung nicht (mehr) besitzen, etwa wegen fehlenden guten Leumunds.

119. Zweitens sei der Begriff des (guten) Leumunds ein unbestimmter Rechtsbegriff, der sich auf die Eigenschaft einer Person beziehe, die sich gemäß den geltenden Normen und Regeln verhalte, und auf die Reputation, die sie in der Öffentlichkeit hinsichtlich dieser Eigenschaft und ihres Verhaltens genieße, so dass es auch auf die Wahrnehmung durch Dritte ankomme. Da die Erreichung der verfolgten Ziele in hohem Maße vom Vertrauen der Öffentlichkeit und der Akteure auf dem Bankenmarkt in die Kreditinstitute abhänge, könne ein Verlust dieses Vertrauens einen Finanzierungsverlust für Letztere nach sich ziehen und so ein Risiko nicht nur für das betreffende Kreditinstitut, sondern für das Finanzsystem in der Union und jedem einzelnen Mitgliedstaat schaffen.(61)

120. Drittens seien die in dem streitigen Beschluss angeführten Zweifel an der Reputation und der Eignung des Hauptanteilseigners wegen der Anklageerhebung gegen ihn geeignet, auch Zweifel an der soliden und umsichtigen Führung der Rechtsmittelführerin aufkommen zu lassen. Die dadurch bedingte negative Wahrnehmung des Leumunds durch die Öffentlichkeit sowie ihre Kunden und Geschäftspartner, sofern sie anhand konkreter Anhaltspunkte dargetan sei, könne den Entzug der Zulassung des betreffenden Kreditinstituts rechtfertigen, sofern sie geeignet sei, die vorgenannten Risiken zu schaffen.(62)

121. Viertens ist es nach Ansicht des Gerichts erwiesen bzw. unbestritten, dass sich diese Anklageerhebung u. a. negativ auf die von einer Ratingagentur bestimmte Risikokennzahl für den gesamten maltesischen Banksektor ausgewirkt hatte. Sie hatte ferner zum Abzug von Einlagen, zur Beendigung der entsprechenden Bankbeziehungen und zur Kündigung der Verträge der Hauptkreditnehmer der Rechtsmittelführerin geführt und infolgedessen ihre Situation stark verschlechtert. Die EZB habe sich auf ein Bündel negativer Faktoren und Auswirkungen gestützt, die sich infolge der Anklageerhebung aneinandergereiht hätten und die auf objektiver Grundlage die negative Wahrnehmung des Leumunds des Hauptanteilseigners und der Rechtsmittelführerin durch ihre Kunden und deren mangelndes Vertrauen in sie zeigten. Dies habe ein Risiko für die Rechtsmittelführerin sowie für das Finanzsystem in der Union und in jedem einzelnen Mitgliedstaat entstehen lassen.(63)

122. Fünftens sei angesichts der bereits eingetretenen konkreten negativen Auswirkungen auf die Rechtsmittelführerin und den maltesischen Bankensektor unschädlich, dass die EZB nicht den Umstand berücksichtigt habe, dass die Anklageschrift Verstöße gegen die Bestimmungen betreffend die US-amerikanischen Sanktionen gegen die Islamische Republik Iran betrafen, während das beanstandete Verhalten aus der Sicht des Unionsrechts möglicherweise nicht rechtswidrig oder „rein technischer Art“ war. Die EZB habe nicht die Begründetheit der in der Anklageschrift enthaltenen Strafvorwürfe berücksichtigen müssen, sondern nur die Folgen dieser Vorwürfe für die Reputation des Hauptanteilseigners, für die Situation der Rechtsmittelführerin und für den Bankenmarkt insgesamt.(64)

123. Ich wende mich zunächst der Auslegung von Art. 23 Abs. 1 Buchst a und b der Richtlinie 2013/36 sowie des unbestimmten Rechtsbegriffs des Leumunds zu, der erstmals Gegenstand der Rechtsprechung des Gerichtshofs ist (unter c). Anschließend untersuche ich, ob das Gericht rechtsfehlerfrei geurteilt hat, dass die Voraussetzungen dieses Rechtsbegriffs, entsprechend der Begründung des streitigen Beschlusses der EZB, erfüllt waren (unter d). Schließlich behandele ich den Haupteinwand der Rechtsmittelführerin, wonach die Blocking-Verordnung Nr. 2271/96 es weder der EZB noch dem Gericht gestatte, die Anklageerhebung gegen ihren Hauptanteilseigner in den Vereinigten Staaten zur Begründung mangelnden Leumunds und des Entzugs ihrer Zulassung heranzuziehen (unter e).

c)      Leumundsbegriff in Art. 23 Abs. 1 der Richtlinie 2013/36

124. Wie in Rn. 73 des angefochtenen Urteils festgestellt, ist der Begriff des Leumunds in Art. 23 Abs. 1 Buchst a und b der Richtlinie 2013/36 ein unbestimmter Rechtsbegriff, den diese Richtlinie nicht näher definiert.

125. Dem in Rn. 74 des angefochtenen Urteils genannten Grundsatz entsprechend sind bei der Auslegung einer Vorschrift des Unionsrechts nicht nur deren Wortlaut, sondern auch der Zusammenhang, in dem sie steht, sowie die Zwecke und Ziele, die mit dem Rechtsakt, zu dem sie gehört, verfolgt werden, zu berücksichtigen.(65)

126. Eine Betrachtung der verschiedenen Sprachfassungen zeigt(66), dass der Leumundsbegriff seinem Wortsinn nach nur in der französischen und in der italienischen Fassung die Ehrbarkeit(67) sowie in der portugiesischen Fassung die Eignung(68) der betroffenen Person bezeichnet, also eine tatsächliche Eigenschaft, die auch in ihrem (normgetreuen oder ‑widrigen) Verhalten zum Ausdruck kommen kann. In allen anderen Sprachfassungen erfasst dieser Begriff jedoch, wie das Gericht in den Rn. 76 und 77 des angefochtenen Urteils zutreffend darlegt, die Reputation oder den Ruf(69) dieser Person, also die Wahrnehmung ihrer Eigenschaften oder ihres Verhaltens durch die Öffentlichkeit oder Dritte.

127. Auch im Licht der Ziele und des Regelungszusammenhangs des einheitlichen Aufsichtsmechanismus sowie der Funktionsweise der betroffenen Finanz- und Bankenmärkte kommt es weniger auf die tatsächlichen (objektiven) Eigenschaften der betroffenen Person an. Im Vordergrund steht vielmehr die (subjektive) Wahrnehmung der Öffentlichkeit, insbesondere der Marktteilnehmer dieser Eigenschaften und des Verhaltens dieser Person. Das allgemeine Vertrauen in die Eignung, Kenntnisse, Fähigkeiten, Erfahrung, Integrität, Zuverlässigkeit und finanzielle Solidität(70) der Kreditinstitute, deren Bonität durch Ratingagenturen ständiger Kontrolle unterliegt, und der ihre Handlungen bestimmenden Personen ist eine wesentliche Voraussetzung für das ordnungsgemäße Funktionieren, den Schutz und die Stabilität der Finanz- und Kapitalmärkte. Diese Märkte sind nämlich, wie anhand der Aktien- und Obligationsmärkte deutlich sichtbar, sehr volatil. Sie reagieren bereits auf öffentliche Verlautbarungen oder Gerüchte.

128. Der Leumundsbegriff bezieht sich daher auf die (gute) Reputation des Kreditinstituts sowie seiner Anteilseigner und Gesellschafter in den Augen Dritter, wie der übrigen Marktteilnehmer, insbesondere der Gläubiger und Kunden. Fällt deren Vertrauen in dieses Kreditinstitut bzw. der für sie handelnden Personen weg oder wird dieses Vertrauen erheblich beschädigt, so führt dies unmittelbar zu Reaktionen der Marktteilnehmer. Diese wirken sich negativ auf die Finanzgeschäfte mit diesem Kreditinstitut aus, führen zu Finanzverlusten und können das Funktionieren und die Stabilität des Finanzmarkts insgesamt beeinträchtigen.(71)

129. Wie in den Rn. 67 ff. des angefochtenen Urteils mehrfach zutreffend festgestellt, wollen die Regeln des einheitlichen Aufsichtsmechanismus, insbesondere Art. 14 Abs. 2 der Richtlinie 2013/36, die Finanzmärkte vor genau solchen Risiken schützen, indem sie sicherstellen, „dass die Anteilseigner oder Gesellschafter den im Interesse der Gewährleistung einer soliden und umsichtigen Führung des Kreditinstituts zu stellenden Ansprüchen genügen“ und die Beurteilungskriterien nach Art. 23 Abs. 1 dieser Richtlinie erfüllen.

130. Der Leumundsbegriff setzt daher nicht voraus, dass sich die Wahrnehmung der Marktteilnehmer mit den tatsächlichen Eigenschaften der betroffenen Person deckt, geschweige denn, dass bestimmte Verhaltensweisen dieser Person nachgewiesen sind. Entgegen der Ansicht der Rechtsmittelführerin war die EZB oder das Gericht insbesondere nicht verpflichtet, zu beweisen, dass die betroffene Person sich strafbar gemacht hatte und in der Union strafverfolgt werden konnte (siehe dazu näher unten, Nrn. 135 ff. und 142 ff.). Auch nach Art. 23 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie 2013/36 genügt die Feststellung eines hinreichenden Verdachts des Vorliegens, des Versuchs oder des erhöhten Risikos des Begehens einer Straftat, die im Zusammenhang mit dem beabsichtigten Erwerb Geldwäsche oder Terrorismusfinanzierung im Sinne des Art. 1 der Richtlinie 2005/60/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Oktober 2005 zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche und der Terrorismusfinanzierung(72) steht.

131. Das Gericht hat daher rechtsfehlerfrei festgestellt(73), dass die Anklageerhebung gegen den Hauptanteilseigner dessen Reputation in der Öffentlichkeit auch ohne eine rechtskräftige Verurteilung in Frage stellt.

132. Wie in den Nrn. 135 ff. näher ausgeführt, haben die EZB und das Gericht dabei jedoch sicherzustellen, dass die Vorwürfe nicht völlig aus der Luft gegriffen oder missbräuchlich sind.

133. Das Gericht durfte daher in den Rn. 71 bis 119 des angefochtenen Urteils die entsprechenden Ausführungen im streitigen Beschluss der EZB als rechtmäßig beurteilen.(74) Es hat daraus rechtsfehlerfrei gefolgert, dass das aufgrund der Beeinträchtigung des Leumunds des Hauptanteilseigners entstandene Risiko für die Stabilität des Finanzsystems in der Union und in den Mitgliedstaaten genügte, um den Entzug der Zulassung der Rechtsmittelführerin zu rechtfertigen.

134. Es bleibt zu prüfen, welche verfahrensrechtlichen Anforderungen und welches Beweismaß an den Nachweis eines mangelnden Leumunds und an das daraus resultierende Risiko anzulegen sind und ob diese hier erfüllt wurden. Wie ich im Folgenden darlege, ist dies nicht nur der Fall, sondern die EZB hat sogar nachgewiesen – und das Gericht dies rechtsfehlerfrei bestätigt –, dass sich das betreffende Risiko tatsächlich verwirklicht hat.

d)      Verfahrens– und beweisrechtliche Anforderungen für den Nachweis fehlenden Leumunds und des daraus resultierenden Risikos

135. Nach der allgemeinen Sorgfalts- und Ermittlungspflicht, wie sie auch dem Recht auf eine gute Verwaltung aus Art. 41 der Charta zugrunde liegt(75), hat die EZB bei der Anwendung unbestimmter Rechtsbegriffe, die ihr einen weiten Beurteilungsspielraum beim Erlass einer die betreffende Person belastenden Entscheidung einräumen, sorgfältig und unparteiisch alle für diese Entscheidung erheblichen Gesichtspunkte des Einzelfalls zu untersuchen.(76)

136. Das Gericht geht in Rn. 73 des angefochtenen Urteils rechtsfehlerfrei davon aus, dass die zuständigen Behörden und die EZB bei der Beurteilung, ob der unbestimmte Leumundsbegriff nach Art. 23 Abs. 1 der Richtlinie 2013/36 erfüllt ist, alle relevanten Tatsachen, die diesen Begriff tragenden Gründe und die mit ihm verfolgten Ziele zu berücksichtigen haben. Das entspricht auch den Vorgaben der Gemeinsamen Leitlinien, die allenfalls die EZB indirekt binden können.(77) Sie fordern in den Ziff. 10.9, 10.13 und 10.16, dass bei dieser Beurteilung alle relevanten zugänglichen Informationen aus glaubwürdigen und zuverlässigen Quellen berücksichtigt werden und eine Einzelfallprüfung vorzunehmen ist.(78) Zudem verlangt das Gericht in Rn. 119 dieses Urteils zu Recht, dass die EZB jeden vorgetragenen Gesichtspunkt berücksichtigt, der geeignet ist, nachzuweisen, dass eventuelle Strafvorwürfe keine Auswirkung auf die Reputation oder auf die Führung des betroffenen Kreditinstituts haben, weil sie möglicherweise missbräuchlich oder offensichtlich unbegründet sind.

137. Insoweit hat das Gericht in den Rn. 81 bis 85 des angefochtenen Urteils berücksichtigt, dass die EZB sich in ihrem streitigen Beschluss auf eine am 19. März 2018 veröffentlichte Pressemitteilung des Justizministeriums der Vereinigten Staaten stützte. Danach war der Hauptanteilseigner wegen seiner vermeintlichen Beteiligung an einem System festgenommen worden, durch das etwa 115 Mio. USD, die der Finanzierung einer Wohnsiedlung in Venezuela dienten, angeblich zum Vorteil von iranischen Personen und Unternehmen veruntreut worden waren. Die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft der Vereinigten Staaten für den Südlichen Bezirk von New York habe international große mediale Beachtung gefunden und negative Presseartikel über die Rechtsmittelführerin ausgelöst, wodurch ernsthafte Zweifel an der Integrität ihres Hauptanteilseigners aufgekommen und ihre Reputation stark beeinträchtigt worden seien.(79) Anhaltspunkte dafür, dass diese Vorwürfe missbräuchlich oder offensichtlich unbegründet waren, sind nicht ersichtlich.

138. Das Gericht hat zudem in den Rn. 91 bis 94 und 100 bis 115 des angefochtenen Urteils die von der EZB vorgebrachten und von der Rechtsmittelführerin unbestrittenen Tatsachen und Beweise gewürdigt, die nachwiesen, dass sich dieses Strafverfahren auf die Reputation der Rechtsmittelführerin selbst ausgewirkt und zu einer abträglichen Marktstimmung geführt habe. Dies zeige sich erstens an den zahlreichen Auszahlungsanträgen nach der Einleitung des Strafverfahrens, die mehr als 40 % aller in der Bilanz der Rechtsmittelführerin aufgeführten Einlagen ausgemacht hätten, zweitens an der Beendigung der entsprechenden Bankbeziehungen, drittens an der Verschlechterung der von einer Ratingagentur bestimmten Risikokennzahl für den maltesischen Bankensektor insgesamt, wie sich aus Verweisen im Bewertungsbericht dieser Ratingagentur u. a. auf dieses Strafverfahren ergebe, viertens an einem Schreiben des Hauptkreditnehmers der Rechtsmittelführerin, mit dem dieser seinen Kredit vorzeitig gekündigt habe, der 90 % ihres Kreditportfolios und damit deren Haupteinnahmequelle ausgemacht habe, sowie fünftens daran, dass von den fünf Kreditnehmern, deren Kredite die verbleibenden 10 % des Kreditportfolios ausgemacht hätten, drei keine Tilgungs- und Zinszahlungen mehr leisteten, während zwei ihren Kredit vorzeitig gekündigt hätten.(80)

139. Das Gericht konnte aus diesen Umständen rechtsfehlerfrei schlussfolgern, dass die Anklageerhebung die Reputation des Hauptanteilseigners und diejenige der Rechtsmittelführerin beeinträchtigt und eine Reihe von negativen Auswirkungen nicht nur für sie selbst, insbesondere in der Gestalt von Kapitalisierungs- und Liquiditätsschwierigkeiten, sondern auch für den maltesischen Bankensektor und die Stabilität des Finanzsystems in der Union insgesamt gehabt hatte. Das oben in den Nrn. 128 bis 134 bezeichnete Risiko hatte sich also tatsächlich verwirklicht.

140. In Rn. 112 des angefochtenen Urteils hat das Gericht also zu Recht festgestellt, dass sich die EZB auf ein Bündel negativer Faktoren und Auswirkungen gestützt habe. Diese hätten sich infolge der Anklageerhebung aneinandergereiht und auf objektiver Grundlage gezeigt, dass die Kunden den Leumund des Hauptanteilseigners und der Rechtsmittelführerin negativ wahrgenommen haben und ihr Vertrauen beeinträchtigt worden sei. Dies habe ein Risiko für die Rechtsmittelführerin sowie für das Finanzsystem in der Union und in jedem einzelnen Mitgliedstaat entstehen lassen.

141. Die Rügen, mit denen die Rechtsmittelführerin geltend macht, das Gericht habe den Leumundsbegriff verkannt bzw. falsch angewandt, seine Befugnisse überschritten, sich unzulässig an die Stelle der EZB gesetzt, die Beweise verfälscht oder sein Urteil nicht ausreichend begründet, sind daher als unbegründet zurückzuweisen.

e)      Bedeutung der Blocking-Verordnung Nr. 2271/96

142. Die Rechtsmittelführerin meint im Wesentlichen, das Gericht habe zu dem Ergebnis der Beeinträchtigung des Leumunds und der Feststellung des daraus resultierenden Risikos nicht kommen dürfen. Die Anklageerhebung gegen ihren Hauptanteilseigner stütze sich auf Zuwiderhandlungen, die in der EU nicht strafbar seien. Zudem schütze die Blocking-Verordnung Nr. 2271/96, insbesondere ihr Art. 4(81), die betroffene Person auch vor einer Strafverfolgung in der Union.

143. Das Gericht hat in den Rn. 116 bis 119 des angefochtenen Urteils angesichts der bereits eingetretenen konkreten negativen Auswirkungen auf die Rechtsmittelführerin und den maltesischen Bankensektor nicht beanstandet, dass die EZB u. a. die Bedeutung der Blocking-Verordnung Nr. 2271/96 unberücksichtigt ließ. Der Umstand, dass die Anklageschrift Verstöße gegen Bestimmungen betraf, die US-amerikanische Sanktionen gegen die Islamische Republik Iran regelten, obwohl das beanstandete Verhalten nach Unionsrecht möglicherweise nicht rechtswidrig war, oder dass es sich möglicherweise um „rein technische Verstöße“ handelte, die Raum für Zweifel ließen, war nach Ansicht des Gerichts nicht relevant. Denn selbst wenn dieses Verhalten nicht nach US-amerikanischem Recht oder Unionsrecht rechtswidrig gewesen sein sollte, habe die EZB die Begründetheit der in der Anklageschrift enthaltenen Strafvorwürfe nicht berücksichtigen müssen, sondern nur als wichtigsten Faktor die Folgen dieser Vorwürfe für die Reputation des Hauptanteilseigners, für die Situation der Rechtsmittelführerin und für den Bankenmarkt insgesamt.

144. Ich kann in dieser Antwort des Gerichts auf die erstinstanzliche Rüge der Rechtsmittelführerin keinen Rechtsfehler erkennen.

145. Der Umstand, dass die EZB nicht berücksichtigt hatte, dass die erhobenen Vorwürfe strafrechtswidrigen Verhaltens kraft der Blocking-Verordnung Nr. 2271/96 möglicherweise in der Union nicht strafbar gewesen seien oder jedenfalls nicht hätten verfolgt werden können(82), wäre nicht geeignet, das in den Nrn. 135 bis 141 gefundene Ergebnis in Frage zu stellen. Danach hat sich nämlich das aus der Beeinträchtigung des Leumunds der Rechtsmittelführerin resultierende Risiko tatsächlich verwirklicht. Dies ist völlig unabhängig davon, ob das ihrem Hauptanteilseigner vorgeworfene Verhalten tatsächlich in der Union strafbar war oder nicht. Wie das Gericht rechtsfehlerfrei ausgeführt hat und auch die Kommission vorträgt, hatte die EZB nur zu würdigen, ob diese Vorwürfe geeignet waren, die negativen Folgen für die Rechtsmittelführerin und für die Finanzmärkte zu bewirken, nicht jedoch, ob sie tatsächlich erwiesen waren oder in der Union verfolgt werden konnten.

146. Dies zeigt auch die umgekehrte Hypothese: Die MFSA und die EZB durften das entstandene Risiko, das sich bereits verwirklicht hatte, nicht einfach deswegen ignorieren und die Zulassung der Rechtsmittelführerin zur Fortführung ihrer Tätigkeit als Kreditinstitut aufrechterhalten, weil das ihrem Hauptanteilseigner vorgeworfene Verhalten möglicherweise in der Union nicht strafbar war oder dort nicht verfolgt werden konnte. Dies hätte bedeutet, dass diese Behörden sehenden Auges und entgegen ihrer aufsichtsrechtlichen Pflicht zu präventivem Einschreiten eine erhebliche Störung der Finanzmärkte bzw. deren Verschlimmerung hätten zulassen müssen.

147. Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass im Rahmen eines Verfahrens zum Entzug der Zulassung eines Kreditinstituts weder der Anwendungsbereich noch der Schutzzweck der Blocking-Verordnung Nr. 2271/96 betroffen ist. Diese will die Marktteilnehmer nur vor Strafverfolgung durch Gerichte oder Behörden in Drittstaaten oder vor Schadensersatzansprüchen im Fall eines Verstoßes gegen bestimmte ausländische, extraterritorial anwendbare Sanktionsregeln im internationalen Handels- oder Kapitalverkehr schützen(83), nicht jedoch davor, dass die betreffenden Verhaltensweisen und deren Wirkungen bei der Beurteilung ihrer Eignung, Integrität, Zuverlässigkeit und ihres Rufs für die Ausübung der Tätigkeit als Kreditinstitut berücksichtigt werden.

148. Diese Rüge ist daher ebenfalls als unbegründet zurückzuweisen.

149. Der zweite Rechtsmittelgrund in der Rechtssache C‑256/22 P ist somit insgesamt unbegründet.

3.      Dritter Rechtsmittelgrund in der Rechtssache C256/22 P: Rechtsfehler des Gerichts, insbesondere Unverhältnismäßigkeit des Entzugs der Zulassung

150. Mit dem dritten Rechtsmittelgrund in der Rechtssache C‑256/22 P rügt die Rechtsmittelführerin mehrere Rechtsfehler des Gerichts u. a. bei der Würdigung der Verhältnismäßigkeit des Handelns der EZB, die zum Teil im Rahmen der beiden anderen Rechtsmittelgründe vorgetragene Rügen wiederholen bzw. abwandeln. Die Tatsache, dass die EZB einen ersten Vorschlag der MFSA zum Entzug der Zulassung nicht akzeptiert habe, zeige, dass deren vorherige Anordnungen zur Schließung der Bank nicht gerechtfertigt gewesen seien. Dieser Entzug der Zulassung sei unverhältnismäßig gewesen, weil die Bank ihre Tätigkeit bereits eingestellt hatte und er vor dem Abschluss des in den Vereinigten Staaten durchgeführten Strafverfahrens erfolgte. Zudem habe die MFSA in ihrem zweiten Vorschlag die (unwahren) Vorwürfe finanzieller Schwierigkeiten fallen gelassen, ohne die Verhältnismäßigkeit erneut zu würdigen.

151. Diesem Vortrag kann ich weder den Inhalt dieser Rügen noch die von ihnen betroffene, angeblich rechtsfehlerhafte Begründung im angefochtenen Urteil mit der erforderlichen Klarheit und Genauigkeit entnehmen. Ich halte diesen Rechtsmittelgrund daher für unzulässig(84) und in jedem Fall für ungeeignet, die Rechtsfehlerhaftigkeit dieses Urteils zu begründen.

152. Der dritte Rechtsmittelgrund in der Rechtssache C‑256/22 P ist daher zurückzuweisen.

4.      Erster Rechtsmittelgrund in der Rechtssache C750/21 P: sonstige Rügen

153. Mit den übrigen Rügen des ersten Rechtsmittelgrundes in der Rechtssache C‑750/21 P wendet sich die Rechtsmittelführerin gegen die Feststellungen des Gerichts in den Rn. 33 bis 51 des angefochtenen Beschlusses in Antwort auf den ersten Klagegrund. Damit hatte sie geltend gemacht, die EZB habe rechtsirrig befunden, sie sei wegen des Entzugs der Zulassung und der daraus resultierenden fehlenden Eigenschaft der Rechtsmittelführerin als Kreditinstitut nicht zuständig, der MFSA Weisungen zu erteilen bzw. die unmittelbare Aufsicht zu übernehmen.

154. Zur Begründung trägt die Rechtsmittelführerin im Wesentlichen vor, dass das Gericht mehrere Rechtsfehler bei der Anwendung der Verordnungen Nrn. 1024/2013 und 575/2013 sowie der Richtlinie 2013/36 begangen habe. Es habe nämlich rechtsfehlerhaft gemeint, die Eigenschaft eines „Kreditinstituts“ setze voraus, dass dieses (pflichtgemäß) eine Zulassung zur Tätigkeit als ein solches besitze.

155. Das Gericht hat in dem streitigen Beschluss insoweit erstens festgestellt, dass sich die Zuständigkeit der EZB nur auf „Kreditinstitute“ und deren Tätigkeit im Sinne von Art. 2 Ziff. 3 der Verordnung Nr. 1024/2013 in Verbindung mit Art. 4 Abs. 1 Ziff. 1 der Verordnung Nr. 575/2013 erstrecke.(85) Zweitens hat es befunden, dass der Zugang zur Tätigkeit als Kreditinstitut nach Art. 14 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1024/2013 in Verbindung mit Art. 4 Abs. 2 Ziff. 42 der Verordnung Nr. 575/2013 eine entsprechende Zulassung erfordere und dass die Mitgliedstaaten gemäß Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2013/36 Personen oder Unternehmen, die keine Kreditinstitute sind, eine solche Tätigkeit verbieten müssen.(86) Drittens hat das Gericht daraus den Schluss gezogen, dass der ehemalige Inhaber einer Zulassung, die ihm nach Art. 14 Abs. 5 der Verordnung Nr. 1024/2013 entzogen wurde, weder mehr eine solche Tätigkeit ausübe noch mehr als „Kreditinstitut“ angesehen werden könne, so dass die Regeln in Art. 4 Abs. 1 dieser Verordnung zur Begründung der Zuständigkeit der EZB gegenüber solchen Instituten nicht mehr griffen.(87) Daher sei die EZB am 13. November bzw. 20. Dezember 2018 wegen des bereits am 2. November 2018 erfolgten Entzugs der Zulassung offensichtlich unzuständig gegenüber der Rechtsmittelführerin gewesen. Das habe sie in der angefochtenen E‑Mail zu Recht mitgeteilt.(88)

156. Ich halte diese Begründung des Gerichts für formalistisch und rechtsfehlerhaft.

157. Es ergibt sich nämlich klar aus Art. 4 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 1024/2013, dass die EZB sowohl für die „Zulassung von Kreditinstituten“ als auch für den „Entzug der Zulassung von Kreditinstituten“ zuständig ist. Die Zuständigkeit für die Zulassung beinhaltet jedoch notwendig, dass sich die EZB mit einem Antrag einer natürlichen oder juristischen Person befassen muss, die noch kein Kreditinstitut ist, sondern es erst kraft der Zulassung werden will. Zudem ist hinsichtlich der Zuständigkeit ratione temporis der EZB für den Entzug der Zulassung zu berücksichtigen, dass ein solcher Entzug, sofern er sich als rechtsfehlerhaft erweist, von der EZB als actus contrarius entweder aus eigener Initiative später wieder zurückgenommen werden können muss oder aber auf eine Nichtigkeitsklage der betroffenen Bank nach Art. 263 AEUV hin möglicherweise durch ein Nichtigkeitsurteil gemäß Art. 264 Abs. 1 AEUV rückwirkend aus der Unionsrechtsordnung entfernt wird. Dann lebt die Zuständigkeit der EZB (ebenso rückwirkend) wieder auf, und sie muss die nach Art. 266 Abs. 1 AEUV erforderlichen Durchführungsmaßnahmen ergreifen.

158. Die vom Gericht herangezogenen Vorschriften können keine andere Beurteilung rechtfertigen, da sie sich darauf beschränken, den Begriff des „Kreditinstituts“ und seine Tätigkeit zu definieren. Im Übrigen erschiene es willkürlich, die Zuständigkeit der EZB ab dem Erlass eines Beschlusses zum Entzug einer Zulassung als für beendet anzusehen, ohne dass zumindest die Endgültigkeit bzw. Bestandskraft dieses Beschlusses nach Ablauf der Klagefrist in Art. 263 Abs. 6 AEUV abgewartet würde. Diese Frist war jedenfalls am 13. November bzw. 20. Dezember 2018, als die EZB per E‑Mail auf den Antrag der Rechtsmittelführerin antwortete, noch nicht abgelaufen.

159. Folglich war die EZB am 20. Dezember 2018 gegenüber der Rechtsmittelführerin im Sinne von Art. 4 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 1024/2013 weiterhin zuständig. Das Gericht hat daher rechtsirrig befunden, dass die EZB offensichtlich unzuständig gewesen und der erste Klagegrund deswegen als offensichtlich ohne jede rechtliche Grundlage zurückzuweisen sei.

160. Der erste Rechtsmittelgrund greift folglich im Ergebnis durch, ohne dass es der Prüfung aller einzelnen Rügen der Rechtsmittelführerin bedürfte.

161. Ungeachtet dessen ist der Tenor des angefochtenen Beschlusses, wonach die Klage abgewiesen wird, nicht zu beanstanden. Denn die streitige E‑Mail ist weder ein selbständig angreifbarer Akt noch ist ersichtlich(89), dass die EZB nach der Verordnung Nr. 1024/2013 eine spezielle Zuständigkeit oder Verpflichtung besitzt, vor oder nach dem Entzug der Zulassung die von der Rechtsmittelführerin beantragten Weisungen zu erteilen (vgl. oben, Nrn. 88 bis 93).

162. Ich schlage dem Gerichtshof daher vor, analog zu seiner Vorgehensweise in dem Beschluss vom 4. Februar 2021, Pilatus Bank/EZB(90), die Begründung des angefochtenen Beschlusses insoweit zu ersetzen und den ersten Rechtsmittelgrund in der Rechtssache C‑750/21 P zurückzuweisen.

5.      Zwischenergebnis und Kosten

a)      Rechtssache C750/21 P

163. In der Rechtssache C‑750/21 P ist das Rechtsmittel zurückzuweisen.

164. Folglich ist gemäß Art. 184 Abs. 2 der Verfahrensordnung über die Kosten zu entscheiden.

165. Gemäß Art. 138 Abs. 1 der Verfahrensordnung, der nach deren Art. 184 Abs. 1 auf das Rechtsmittelverfahren Anwendung findet, wird die unterlegene Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten verurteilt. Da die Kommission einen entsprechenden Antrag gestellt hat, ist die Rechtsmittelführerin zur Tragung der Kosten des Rechtsmittelverfahrens zu verurteilen.

b)      Rechtssache C256/22 P

166. In der Rechtssache C‑256/22 P greift der erste Teil des ersten Rechtsmittelgrundes durch.

167. Dies gilt ebenso für den vierten Rechtsmittelgrund, soweit das Gericht den zweiten Teil des zehnten Klagegrundes bezüglich der Verletzung der Verteidigungsrechte, gestützt darauf, dass die Rechtsmittelführerin im Verwaltungsverfahren keinen Zugang zu Unterlagen und Informationen in ihrem IT‑System sowie zu ihren Finanzmitteln zwecks Bezahlung der Anwaltshonorare gehabt habe, rechtsfehlerhaft gewürdigt und zurückgewiesen hat.

168. Das Rechtsmittel ist insoweit begründet und das angegriffene Urteil, das die Klage insgesamt abweist, aufzuheben.

169. Der Rechtsstreit ist jedoch nicht zur Entscheidung reif, so dass gemäß Art. 61 der Satzung des Gerichtshofs die Sache an das Gericht zurückzuverweisen ist. Daher ist die Kostenentscheidung insoweit vorzubehalten.

170. In Bezug auf den vierten Rechtsmittelgrund resultiert dies aus dem Umstand, dass das Gericht nicht geprüft hat, ob die streitigen Anordnungen der MFSA tatsächlich geeignet waren, den von der Rechtsmittelführerin behaupteten De-facto-Entzug ihrer Zulassung und eine damit einhergehende Vorwegnahme oder Beeinträchtigung der abschließenden Ermessensentscheidung der EZB in ihrem streitigen Beschluss zu bewirken. Genauso wenig hat es untersucht, ob die EZB ihrerseits ein entsprechendes Vorbringen der Rechtsmittelführerin im Verwaltungsverfahren – sofern es denn tatsächlich vorgebracht wurde – geprüft hat oder hätte prüfen müssen.

171. In Bezug auf den ersten Rechtsmittelgrund hat das Gericht zudem nicht untersucht, ob der fehlende oder eingeschränkte Zugang der Rechtsmittelführerin bzw. ihres Rechtsbeistands zu Unterlagen und Informationen in ihrem IT‑System sowie zu ihren Finanzmitteln zwecks Bezahlung der Anwaltshonorare tatsächlich geeignet war, ihre Verteidigungsrechte zu verletzen, weil sie sich ansonsten wirksamer hätte verteidigen können und das Verwaltungsverfahren daher zu einem anderen Ergebnis hätte führen können.(91)

VI.    Ergebnis

A.      Rechtssache C750/21 P

172. In der Rechtssache C‑750/21 P schlage ich dem Gerichtshof vor, wie folgt zu entscheiden:

1.      Das Rechtsmittel wird zurückgewiesen.

2.      Die Pilatus Bank plc trägt die Kosten des Rechtsmittelverfahrens.

B.      Rechtssache C256/22 P

173. In der Rechtssache C‑256/22 P schlage ich dem Gerichtshof vor, wie folgt zu entscheiden:

1.      Das Urteil des Gerichts der Europäischen Union vom 2. Februar 2022, Pilatus Bank und Pilatus Holding/EZB (T‑27/19, EU:T:2022:46), wird aufgehoben.

2.       Die Sache wird an das Gericht der Europäischen Union zurückverwiesen.

3.      Die Kostenentscheidung bleibt vorbehalten.





























































































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