SCHLUSSANTRÄGE DER GENERALANWÄLTIN
LAILA MEDINA
vom 2. März 2023(1 )
Rechtssache C ‑723/21
Stadt Frankfurt (Oder),
FWA Frankfurter Wasser- und Abwassergesellschaft mbH
gegen
Landesamt für Bergbau, Geologie und Rohstoffe,
Beteiligte:
Lausitz Energie Bergbau AG
(Vorabentscheidungsersuchen des Verwaltungsgerichts Cottbus [Deutschland])
„Vorlage zur Vorabentscheidung – Zulässigkeit – Umwelt – Maßnahmen der Union im Bereich der Wasserpolitik – Richtlinie 2000/60/EG – Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten – Vorhabenzulassungsverfahren – Art. 7 – Verbot der Verschlechterung der Wasserqualität – Vorhaben der Entwicklung eines künstlichen Sees – Sulfat – Verpflichtung der Mitgliedstaaten, ein Vorhaben zu untersagen, das eine Verschlechterung der Qualität von zur Trinkwassergewinnung genutztem Wasser verursachen kann“
1. Das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen bietet dem Gerichtshof die Gelegenheit, zum ersten Mal Art. 7 Abs. 3 der Richtlinie 2000/60/EG (Wasserrahmenrichtlinie [im Folgenden: WRRL]) auszulegen(2 ). Die Klage im Ausgangsverfahren wurde von der Stadt Frankfurt (Oder) und der FWA Frankfurter Wasser- und Abwassergesellschaft mbH, Frankfurt (Oder) (im Folgenden: FWA), gegen den Präsidenten des Landesamts für Bergbau, Geologie und Rohstoffe, Cottbus (Deutschland) (im Folgenden: Landesamt), erhoben. Die Klage betrifft einen Planfeststellungsbeschluss(3 ) des Landesamts, mit dem die Herstellung des größten künstlichen Sees in Deutschland (mit einer Fläche von 1 900 Hektar, d. h. etwa 2 660 Fußballfeldern) durch die Lausitz Energie Bergbau AG, Cottbus (der Beigeladenen im Ausgangsverfahren, im Folgenden: Lausitz Energie), genehmigt wurde.
I. Sachverhalt, Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
2. Der Stadt Frankfurt (Oder) obliegt die Versorgung ihrer 57 000 Einwohner mit Trinkwasser. Zur Erfüllung dieser gesetzlichen Aufgabe bedient sie sich der FWA. Die FWA betreibt auf der Grundlage einer ihr nach nationalem Wasserrecht erteilten Erlaubnis ein Wasserwerk.
3. Das Wasserwerk gewinnt Trinkwasser aus dem Grundwasser und aus dem Fluss Spree (im Folgenden: Spree) an einem Abschnitt, der nicht in einem Schutzgebiet im Sinne von Art. 7 Abs. 3 Satz 2 WRRL liegt.
4. Das Spreewasser weist eine hohe Konzentration an Sulfat auf. Das Sulfat stammt aus stillgelegten Tagebauen im Einzugsgebiet der Spree. Es entsteht durch Oxidation von Pyritgestein, welches bis zum Abgraben unter Luftausschluss im Erdreich lagert. Für das in die Versorgungsleitungen eingespeiste Trinkwasser existiert ein bestimmter Sulfatgrenzwert, der vom Wasserwerk bislang nur knapp eingehalten wurde.
5. Nach Abschluss des betreffenden Tagebaus flutet Lausitz Energie das durch die Entnahme der Braunkohle entstandene Restloch. Der nach Vollendung der Flutung entstandene See wird einen Überlauf haben. Das über den Überlauf austretende Wasser wird der Spree zufließen und eine deutlich höhere Sulfatkonzentration als das Spreewasser aufweisen. Die Stadt Frankfurt (Oder) und die FWA befürchten, dass die ohnehin für die Trinkwassergewinnung kritische Konzentration an Sulfat im Spreewasser durch diesen Zufluss überschritten wird und sie deshalb die Trinkwassergewinnung dort einstellen oder technisch grundlegend umrüsten müssen.
6. Durch einen Planfeststellungsbeschluss genehmigte das Landesamt die Herstellung des Sees samt Überlauf, nachdem es gutachterlich festgestellt hatte, dass sich das Spreewasser nicht im Sinne von Art. 4 WRRL verschlechtern würde. Untersuchungen zu Auswirkungen auf die Sulfatkonzentration gemäß Art. 7 dieser Richtlinie an der Wasserentnahmestelle und gegebenenfalls auf das Wasserwerk wurden nicht durchgeführt. Gegen diesen Planfeststellungsbeschluss haben die Stadt Frankfurt (Oder) und die FWA die Klage im Ausgangsverfahren erhoben.
7. Im Rahmen dieses Klageverfahrens hat das Verwaltungsgericht Cottbus beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
1.
a. Ist Art. 7 Abs. 3 WRRL dahin gehend auszulegen, dass alle Mitglieder der von einem Vorhaben unmittelbar betroffenen Öffentlichkeit befugt sind, Verstöße gegen die Pflicht,
(a) eine Verschlechterung der Qualität von der Trinkwassergewinnung dienenden Wasserkörpern zu verhindern,
(b) den Umfang der für die Gewinnung von Trinkwasser erforderlichen Aufbereitung zu verringern,
in Anlehnung an den Drittschutz zum grundwasserbezogenen Verschlechterungsverbot (vgl. Urteil vom 28. Mai 2020, Land Nordrhein-Westfalen, C‑535/18, EU:C:2020:391, Rn. 132 f. [im Folgenden: Urteil Land Nordrhein-Westfalen], sowie Urteil vom 3. Oktober 2019, Wasserleitungsverband Nördliches Burgenland u. a., C‑197/18, EU:C:2019:824, Rn. 40 und 42) gerichtlich geltend zu machen?
b. Falls die Frage a) zu verneinen ist:
Sind jedenfalls solche Kläger, denen die Trinkwassergewinnung und Aufbereitung übertragen worden ist, befugt, Verstöße gegen die Ver- und Gebote des Art. 7 Abs. 3 WRRL geltend zu machen?
2. Enthält Art. 7 Abs. 3 WRRL auch für Wasserkörper außerhalb von Schutzgebieten im Sinne des Art. 7 Abs. 3 Satz 2 dieser Richtlinie neben dem Auftrag zu längerfristigen Planungen in Bewirtschaftungsplänen und Maßnahmenprogrammen ähnlich wie Art. 4 WRRL die Pflicht, die Zulassung für konkrete Projekte aufgrund einer Verletzung des Verschlechterungsverbots zu versagen (vgl. Urteil Land Nordrhein-Westfalen, Rn. 75)?
3. Ausgehend davon, dass Art. 7 Abs. 3 WRRL ‑ anders als Anhang V zu Art. 4 WRRL ‑ keine eigenen Bezugsgrößen für die Prüfung des Verschlechterungsverbots festlegt:
a. Unter welchen Voraussetzungen ist davon auszugehen, dass eine Verschlechterung des Wasserkörpers und damit einhergehend die Erhöhung des erforderlichen Umfangs der Aufbereitung für die Trinkwassergewinnung eintritt?
b. Könnte der relevante Bezugspunkt für die Erhöhung des Aufbereitungsumfangs und damit für das Verschlechterungsverbot des Art. 7 Abs. 3 WRRL in den Grenzwerten des Anhangs I der Richtlinie 98/83/EG(4 ) (im Folgenden: Trinkwasserrichtlinie) zu sehen sein, was Art. 7 Abs. 2 letzter Halbsatz WRRL nahelegt?
c. Falls die Frage b) zu bejahen ist:
Kann eine Verletzung des Verschlechterungsverbots des Art. 7 Abs. 3 WRRL vorliegen, wenn es sich bei dem einzig erheblichen Wert nicht um einen Grenzwert des Teils A oder B des Anhangs I der Trinkwasserrichtlinie handelt, sondern um einen sogenannten Indikatorparameter entsprechend Teil C des Anhangs I?
4. Wann ist eine Verletzung des trinkwasserrechtlichen Verschlechterungsverbots des Art. 7 Abs. 3 WRRL anzunehmen (vgl. für den Maßstab des Verschlechterungsverbots von Art. 4 WRRL das Urteil Land Nordrhein-Westfalen, Rn. 119, und zuvor das Urteil vom 1. Juli 2015, Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, C‑461/13, EU:C:2015:433, Rn. 52 [im Folgenden: Urteil Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland])?
a. Reicht für die Annahme der Verletzung jede Verschlechterung aus,
oder
b. muss die Wahrscheinlichkeit bestehen, dass der Indikatorparameter für Sulfat von 250 mg/l nicht eingehalten wird,
oder
c. müssen Abhilfemaßnahmen im Sinne des Art. 8 Abs. 6 der Trinkwasserrichtlinie drohen, die den Aufbereitungsaufwand für die Trinkwassergewinnung mehren?
5. Beinhaltet Art 7 Abs. 3 WRRL ebenfalls neben dem materiellen Prüfungsmaßstab auch Vorgaben für das behördliche Zulassungsverfahren, ist also die Rechtsprechung des Gerichtshofs zu Art. 4 WRRL auf den Prüfungsumfang des Art. 7 Abs. 3 WRRL übertragbar (vgl. Urteil Land Nordrhein-Westfalen, zweite Vorlagefrage)?
6. Ist eine gutachterliche Untersuchung einer möglichen Beeinträchtigung von Art. 7 Abs. 3 WRRL ebenfalls bereits dann durch den Vorhabenträger durchzuführen, sobald das Vorhaben geeignet ist, die Vorgaben des Art. 7 Abs. 3 dieser Richtlinie zu verletzen?
7. Ist hier ebenfalls davon auszugehen, dass die Untersuchung im Zeitpunkt der wasserrechtlichen Entscheidung vorliegen muss und folglich eine während des gerichtlichen Verfahrens nachgeholte Untersuchung die Rechtswidrigkeit der wasserrechtlichen Zulassung nicht heilen kann (vgl. Urteil Land Nordrhein-Westfalen, Rn. 76 und 80 ff.)?
8. Können die Ge- und Verbote aus Art. 7 Abs. 3 WRRL in der Abwägung im Rahmen der Zulassung zugunsten des mit dem Vorhaben verfolgten Ziels etwa dann überwunden werden, wenn der Aufbereitungsaufwand gering oder der Vorhabenzweck besonders gewichtig ist?
9. Findet Art. 4 Abs. 7 auf Art. 7 Abs. 3 WRRL Anwendung?
10. Welche über Art. 4 WRRL hinausgehenden Pflichten sind Art. 7 Abs. 2 WRRL mit der Folge zu entnehmen, dass sie in einem Vorhabenzulassungsverfahren zu berücksichtigen sind?
II. Verfahren vor dem Gerichtshof
8. Die Stadt Frankfurt (Oder), die FWA, das Landesamt, Lausitz Energie und die Europäische Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht.
III. Würdigung
A. Zulässigkeit
9. Wäre der von der FWA zur Entnahme von Rohwasser genutzte Wasserkörper kein Wasserkörper im Sinne von Art. 7 Abs. 1 WRRL, wäre Art. 7 Abs. 3 dieser Richtlinie meines Erachtens nicht auf das Ausgangsverfahren anwendbar.
10. Das Landesamt macht in der Tat vor dem Gerichtshof geltend, dass es sich bei dem Oberflächenwasserkörper der Spree mit der Kennnummer DERW_DEBB582_1743 nicht um einen Wasserkörper handle, der von Art. 7 Abs. 1 WRRL erfasst sei. Für den gemäß Art. 7 Abs. 1 WRRL ermittelten Grundwasserkörper „Untere Spree 1“ (Kennnummer DEGB_DEBB_HAV_US_3-1) sei gemäß Art. 7 Abs. 3 Satz 2 dieser Richtlinie ein Schutzgebiet ausgewiesen worden.
11. Meines Erachtens lässt sich die Anwendbarkeit von Art. 7 Abs. 1 und 3 WRRL im vorliegenden Fall auf mindestens zwei Argumente stützen.
12. Zum einen gibt es den Grundwasserkörper „Untere Spree 1“, den das Flusswasser aus der Spree infiltriert. Aus dem vom vorlegenden Gericht dargelegten Sachverhalt ergibt sich, dass dieser Wasserkörper von dem fraglichen Vorhaben betroffen ist (oder wäre), weshalb die WRRL anwendbar ist.
13. Im vorliegenden Vorabentscheidungsverfahren setzt das vorlegende Gericht voraus, dass es sich bei dem betreffenden Abschnitt der Spree um einen Wasserkörper im Sinne von Art. 7 Abs. 1 WRRL handelt. Darüber hinaus hat das vorlegende Gericht in seinem im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ergangenen Beschluss vom 1. Juni 2021 (im Folgenden: Beschluss vom 1. Juni 2021) eindeutig festgestellt, dass „[d]er hier inmitten stehende Abschnitt der Spree … dem Anwendungsbereich dieser Vorschrift [unterfällt]“. Der FWA ist nämlich nach nationalem Wasserrecht gestattet worden, Oberflächenwasser aus der Spree (nach Infiltration) zum Zwecke der Trinkwasserversorgung zu entnehmen.
14. Zum anderen macht das Landesamt geltend, dass Art. 7 Abs. 3 WRRL nur auf solche Wasserkörper anwendbar sei, die gemäß Art. 7 Abs. 1 und 2 dieser Richtlinie „ermittelt“ worden seien. Der Oberflächenwasserkörper der Spree (DERW_DEBB582_1743) sei nicht auf dieser Grundlage ermittelt worden und werde daher nicht von Art. 7 Abs. 1 WRRL erfasst. Dieser Wasserkörper sei auch nicht nach Art. 6 Abs. 2 dieser Richtlinie ausgewiesen worden.
15. Tatsächlich scheint dieser Wasserkörper noch nicht von den zuständigen Behörden nach den Art. 6 und 7 WRRL ausgewiesen oder ermittelt worden zu sein, obwohl er für die Trinkwassergewinnung genutzt wird, was ein Hinweis darauf sein könnte, dass Deutschland gegen seine Verpflichtungen aus Art. 6 Abs. 1 und 3 (Aktualisierung des Verzeichnisses) sowie aus Art. 7 dieser Richtlinie verstoßen hat.
16. So heißt es zur Erläuterung von Art. 7 WRRL im 37. Erwägungsgrund dieser Richtlinie: „Die Mitgliedstaaten sollten die zur Trinkwasserentnahme genutzten Gewässer ausweisen und die Einhaltung der Bestimmungen [der Trinkwasserrichtlinie] sicherstellen.“
17. Ungeachtet dessen halte ich es nicht für möglich, Art. 7 Abs. 3 WRRL unmittelbar auf nicht ermittelte Wasserkörper wie den hier in Rede stehenden anzuwenden, da die Regelung betreffend die Ermittlung betroffener Wasserkörper und die Führung eines Verzeichnisses gemäß den fraglichen Vorschriften dann bedeutungslos würde. Problematisch ist auch die Unklarheit hinsichtlich der genauen Grenzen der Schutzgebiete, die gemäß Art. 6 Abs. 2 und Art. 7 Abs. 1 dieser Richtlinie festzulegen sind.
18. Da Art. 7 Abs. 1 nicht unmittelbar anwendbar ist – er erfordert Durchführungsmaßnahmen –, ist es Sache des vorlegenden Gerichts, zu entscheiden, wie nach deutschem Recht vorzugehen ist, um den Schutz jener Wasserkörper zu gewährleisten (z. B., indem es gegenüber der zuständigen Behörde anordnet, die maßgeblichen Durchführungsmaßnahmen zu erlassen und die betreffenden Wasserkörper gemäß Art. 7 Abs. 1 WRRL zu ermitteln).
19. In diesem Zusammenhang muss das vorlegende Gericht die praktische Wirksamkeit der WRRL gewährleisten.
20. Man muss sich nämlich in Erinnerung rufen, dass Art. 7 Abs. 1 WRRL zwingend vorsieht, dass die Mitgliedstaaten bestimmte Arten von Wasserkörpern ermitteln, die nach Art. 7 Abs. 2 und 3 dieser Richtlinie geschützt sind. Die Mitgliedstaaten sollten Wasserkörpern, die zur Trinkwassergewinnung bestimmt sind, nicht einfach den Schutz vorenthalten können, indem sie entscheiden, diese nicht zu ermitteln, oder es versäumen, sie ordnungsgemäß zu ermitteln (Art. 7 Abs. 1 WRRL), wenn sie dieselben Wasserkörper zugleich nach nationalem Wasserrecht für die Trinkwassergewinnung zulassen, indem sie sie mit ordnungsgemäß ermittelten Wasserkörpern mischen (wie es vorliegend der Fall ist). Damit würde die WRRL, und insbesondere ihr Art. 7, offensichtlich ihrer praktischen Wirksamkeit beraubt.
21. Zwar scheint das Grundwasser im Ausgangsverfahren tatsächlich geschützt worden zu sein. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Mitgliedstaaten nicht auch das für die Trinkwassergewinnung genutzte Oberflächenwasser schützen müssen. Weder der Wortlaut des Art. 7 Abs. 3 WRRL noch dessen Sinn und Zweck legen nahe, dass danach zu unterscheiden ist, ob die Wasserentnahme direkt oder indirekt (d. h. durch Infiltration) erfolgt.
22. Nach alledem sind die Vorlagefragen zulässig.
B. Beantwortung der Vorlagefragen
1. Frage 1
23. Das vorlegende Gericht möchte im Wesentlichen wissen, ob Art. 7 Abs. 3 WRRL dahin auszulegen ist, dass alle Mitglieder der von einem Vorhaben unmittelbar betroffenen Öffentlichkeit (erste Variante) oder jedenfalls Personen, denen die Gewinnung und Aufbereitung von Trinkwasser übertragen worden ist (zweite Variante), befugt sind, Verstöße gegen die in dieser Bestimmung geregelten Anforderungen geltend zu machen, einschließlich Verstößen gegen die Vorgabe, die auf die Verhinderung einer Verschlechterung der Qualität von der Trinkwassergewinnung dienenden Wasserkörpern abzielt, sowie gegen die Vorgabe, die darauf abzielt, den Umfang der für die Trinkwassergewinnung erforderlichen Aufbereitung zu verringern.
24. Dazu genügt indessen der Hinweis, dass der Gerichtshof vorliegend nicht über die erste Variante zu entscheiden braucht, da es sich bei den Klägerinnen des Ausgangsverfahrens nicht um Mitglieder der Öffentlichkeit handelt, sondern um juristische Personen, denen die Gewinnung und Aufbereitung von Trinkwasser gesetzlich übertragen ist.
25. Der Gerichtshof hat entschieden, dass „es nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs mit der einer Richtlinie durch Art. 288 AEUV zuerkannten Verbindlichkeit unvereinbar wäre, grundsätzlich auszuschließen, dass sich betroffene Personen auf die durch eine Richtlinie auferlegten Verpflichtungen berufen können“ und dass „zumindest natürliche oder juristische Personen, die unmittelbar von einer Verletzung umweltrechtlicher Richtlinienbestimmungen betroffen sind, die Einhaltung der entsprechenden Verpflichtungen bei den zuständigen Behörden – gegebenenfalls auch auf dem Rechtsweg – einfordern können müssen“(5 ).
26. Um festzustellen, ob die Klägerinnen des Ausgangsverfahrens von einer Verletzung der Pflichten aus Art. 7 Abs. 3 WRRL unmittelbar betroffen sind, sind die Zielsetzung dieser Richtlinie sowie der Gehalt dieser Bestimmung zu prüfen(6 ).
27. Wie aus ihrem Art. 1 hervorgeht, bezweckt die WRRL den Schutz von Wasserkörpern einschließlich solcher, die für die Trinkwassergewinnung genutzt werden.
28. Art. 7 Abs. 3 WRRL erlegt den Mitgliedstaaten bestimmte Verpflichtungen hinsichtlich des Schutzes von Gewässern, die für die Trinkwassergewinnung genutzt werden, auf.
29. Eine juristische Person, die zur Entnahme und Nutzung von Grundwasser (oder Oberflächenwasser) zur Trinkwassergewinnung befugt ist, nutzt das Grundwasser (oder Oberflächenwasser) rechtmäßig. Diese Person ist daher von einem Verstoß gegen die Pflichten, das Grundwasser (oder Oberflächenwasser) zu verbessern und dessen Verschlechterung zu verhindern, unmittelbar betroffen, da dieser Verstoß geeignet ist, das Recht dieser Person einzuschränken und damit die rechtmäßige Nutzung des betreffenden Wassers zu behindern(7 ).
30. Nach nationalem Recht obliegt der Stadt Frankfurt (Oder) die Versorgung ihrer Einwohner mit Trinkwasser. Es liegt daher offensichtlich in ihrem Interesse, diese Aufgabe ohne unzulässige Eingriffe zu erfüllen ‑ und ein Verstoß gegen Art. 7 Abs. 3 WRRL stellt einen solchen Eingriff dar ‑ sowie insbesondere eine Verschlechterung der Qualität der von dieser Stadt zur Trinkwassergewinnung genutzten Wasserkörper zu verhindern. Anderenfalls wäre sie nicht in der Lage, ihre Pflicht zu erfüllen, die Bevölkerung mit Trinkwasser in angemessener Qualität zu versorgen.
31. Art. 7 Abs. 3 dieser Richtlinie enthält auch bestimmte Ziele in Bezug auf die zur Trinkwassergewinnung erforderliche Aufbereitung.
32. Es liegt im Interesse von juristischen Personen wie der Stadt Frankfurt (Oder) und der FWA, den Aufbereitungsaufwand im Zusammenhang mit der Trinkwassergewinnung gering zu halten. Beide sind rechtlich dafür verantwortlich, Wasser bereitzustellen, das den Anforderungen der Trinkwasserrichtlinie entspricht.
33. Die Aufbereitung ist nämlich zum Schutz der menschlichen Gesundheit erforderlich, und die Anforderungen an die Aufbereitung sind in der Trinkwasserrichtlinie festgelegt, auf die Art. 7 Abs. 2 WRRL ausdrücklich Bezug nimmt. Die Trinkwasserrichtlinie sieht einen komplexen Mechanismus vor, der konkretisiert, was eine solche Aufbereitung erreichen soll.
34. Wie ich in den vorliegenden Schlussanträgen noch erläutern werde, ist die Einhaltung von Art. 7 WRRL eng mit der Einhaltung der Trinkwasserrichtlinie verknüpft. Verstößt ein Mitgliedstaat in einem Einzugsgebiet gegen Art. 7 WRRL, wird der Wasserversorger in Bezug auf seine Einhaltung der Trinkwasserrichtlinie beeinträchtigt(8 ).
35. Die Stadt Frankfurt (Oder) und die FWA müssen daher ‑ gegebenenfalls im Wege der Anrufung der zuständigen Gerichte ‑ verlangen können, dass eine zuständige Behörde, die für die Zulassung eines Vorhabens verantwortlich ist, das sich potenziell nachteilig auf den in der Trinkwasserrichtlinie vorgeschriebenen Umfang der Trinkwasseraufbereitung auswirkt, die in Art. 7 Abs. 3 WRRL vorgesehenen Verpflichtungen einhält.
36. Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich, dass Art. 7 Abs. 3 WRRL im Licht von Art. 19 Abs. 1 EUV (wonach „[d]ie Mitgliedstaaten … die erforderlichen Rechtsbehelfe [schaffen], damit ein wirksamer Rechtsschutz in den vom Unionsrecht erfassten Bereichen gewährleistet ist“) dahin auszulegen ist, dass die juristischen Personen, denen nach nationalem Recht die Gewinnung und Aufbereitung von Trinkwasser obliegt, oder die Personen, die mit der Gewinnung und Aufbereitung von Trinkwasser betraut worden sind, befugt sind, zu verlangen, dass eine zuständige Behörde, die für die Zulassung eines Vorhabens verantwortlich ist, das sich potenziell nachteilig auf den in der WRRL vorgeschriebenen Umfang der Trinkwasseraufbereitung auswirken kann, die in Art. 7 Abs. 3 WRRL vorgesehenen Verpflichtungen einhält. Erforderlichenfalls können solche juristischen Personen hierfür Klage vor einem zuständigen Gericht erheben.
2. Frage 2
37. Das vorlegende Gericht möchte wissen, ob Art. 7 Abs. 3 WRRL auch für Wasserkörper außerhalb von Schutzgebieten im Sinne von Art. 7 Abs. 3 Satz 2 WRRL ähnlich wie Art. 4 WRRL eine eigenständige Pflicht enthält, die Zulassung für konkrete Vorhaben aufgrund einer Verletzung des Verschlechterungsverbots zu versagen. Es nimmt in seiner Frage konkret auf Rn. 75 des Urteils Land Nordrhein-Westfalen Bezug.
38. Im ersten Teil werde ich Art. 7 Abs. 3 Satz 1 WRRL untersuchen, um das allgemeine Verständnis des Schutzes von für die Trinkwassergewinnung genutzten Wasserkörpern darzulegen. Im zweiten Teil werde ich prüfen, ob Satz 2 dieser Bestimmung, der den Mitgliedstaaten die Möglichkeit gibt, Schutzgebiete festzulegen, für den vorliegenden Fall von Bedeutung ist.
a) Erster T eil – Art. 7 Abs. 3 Satz 1 WRRL
39. Nach Rn. 75 des Urteils Land Nordrhein-Westfalen „kann ein Projekt …, wenn es negative Auswirkungen auf die Gewässer entfalten könnte, nur dann genehmigt werden, wenn die in Art. 4 Abs. 7 Buchst. a bis d [WRRL] genannten Bedingungen erfüllt sind. Unbeschadet der Möglichkeit einer gerichtlichen Nachprüfung obliegt es den für die Genehmigung eines Projekts zuständigen nationalen Behörden, vor der Genehmigung zu prüfen, ob diese Bedingungen erfüllt sind“.
40. Diese Rechtsprechung bezieht sich zwar auf Art. 4 WRRL, doch sollte sie meines Erachtens auch für die Auslegung von Art. 7 Abs. 3 WRRL maßgeblich sein. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass Art. 7 Abs. 3, wie auch Art. 4, bestimmte Pflichten der Mitgliedstaaten vorsieht – mit dem Unterschied, dass Art. 4 Pflichten für den Gewässerschutz im Allgemeinen bestimmt, während Art. 7 Abs. 3 besondere Pflichten für Wasserkörper vorsieht, die für die Trinkwassergewinnung genutzt werden.
41. Nach ständiger Rechtsprechung sind bei der Auslegung einer Bestimmung des Unionsrechts nicht nur ihr Wortlaut, sondern auch ihr Zusammenhang und die Ziele zu berücksichtigen, die mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgt werden(9 ).
1) Wortlaut von Art. 7 Abs. 3 WRRL
42. Der Wortlaut dieser Vorschrift zeigt, dass der Unionsgesetzgeber den Mitgliedstaaten in dieser Bestimmung eine konkrete Erfolgspflicht auferlegt hat(10 ).
i) Bedeutung der Formulierung „sorgen für“
43. Im Urteil Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (Rn. 31 bis 33) leitet der Gerichtshof die Verbindlichkeit der Pflichten gemäß Art. 4 WRRL daraus ab, dass der Wortlaut für den verbindlichen Charakter dieser Bestimmung spricht und dass die Bestimmung bei der Genehmigung konkreter Vorhaben im Rahmen der Regelung des Gewässerschutzes relevant ist.
44. In diesen Randnummern des Urteils legt der Gerichtshof nämlich dar, dass die Formulierung „führen … durch“ und die einleitenden Worte „[i]n Bezug auf die Umsetzung der … Maßnahmenprogramme“ für den verbindlichen Charakter dieser Bestimmung, die von den zuständigen Behörden bei der Genehmigung konkreter Vorhaben einzuhalten ist, sprechen.
45. Ähnlich wie in Art. 4 WRRL impliziert der Umstand, dass Art. 7 Abs. 3 dieser Richtlinie vorsieht, dass die Mitgliedstaaten „für den erforderlichen Schutz der … Wasserkörper [sorgen]“, dass diese Pflicht verbindlichen Charakter hat und bei der Genehmigung konkreter Vorhaben relevant ist. Die Formulierung „sorgen für den erforderlichen Schutz“ enthält eine Pflicht der Mitgliedstaaten, in diesem Sinne tätig zu werden, was bedeutet, dass sie das Genehmigungsverfahren für ein konkretes Vorhaben als eine Durchführungsmaßnahme zur Gewährleistung des erforderlichen Schutzes auslegen müssen (Rn. 32 des oben angeführten Urteils).
46. Der Umstand, dass Art. 4 und Art. 7 Abs. 3 WRRL insofern leicht unterschiedlich gefasst sind („[d]ie Mitgliedstaaten führen … die notwendigen Maßnahmen durch , um eine Verschlechterung des Zustands aller Oberflächenwasserkörper zu verhindern“ einerseits und „[d]ie Mitgliedstaaten sorgen für den erforderlichen Schutz der ermittelten Wasserkörper, um eine Verschlechterung ihrer Qualität zu verhindern und so den für die Gewinnung von Trinkwasser erforderlichen Umfang der Aufbereitung zu verringern“ andererseits), ist im Rahmen der vorliegenden Würdigung unerheblich. Die Formulierung „sorgen … für“ bedeutet offensichtlich, dass die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen treffen müssen, um die spezifischen Ziele der WRRL zu verwirklichen. Dies wird im Übrigen bestätigt, wenn man verschiedene andere Sprachfassungen dieses Wortlauts betrachtet (z. B. die deutsche, die französische, die italienische, die spanische und die lettische Sprachfassung).
ii) Bedeutung der Formulierung „erforderlicher Schutz“
47. Die Verwendung dieser Formulierung in Art. 7 Abs. 3 WRRL zeigt, dass der Unionsgesetzgeber den „Ansatz der Vorbeugung“ anstelle des in der Vergangenheit verwendeten „Ansatzes der (End‑)Behandlung“ vorgesehen hat. Mit anderen Worten liegt der Schwerpunkt nicht mehr auf der Aufbereitung kontaminierten Rohwassers, um es trinkbar zu machen, sondern vielmehr auf dem Schutz der genutzten Wasserquellen.
48. Im elften Erwägungsgrund der WRRL heißt es hierzu: „[D]ie … Umweltpolitik [der Union soll] zur Verfolgung der Ziele der Erhaltung und des Schutzes der Umwelt sowie der Verbesserung ihrer Qualität und der umsichtigen und rationellen Verwendung der natürlichen Ressourcen beitragen; diese Politik hat auf den Grundsätzen der Vorsorge und Vorbeugung … zu beruhen “ (Hervorhebung nur hier).
49. Die Formulierung „erforderlicher Schutz“ in Art. 7 Abs. 3 weist bei einer Betrachtung im Licht des Grundsatzes der Vorbeugung darauf hin, dass die zuständige Behörde vor der Genehmigung eines konkreten Vorhabens zunächst feststellen muss, dass dieses Vorhaben keine negativen Auswirkungen auf die Qualität der für die Trinkwassergewinnung genutzten Wasserkörper entfalten wird.
iii) Bedeutung der Formulierung „ermittelte Wasserkörper“
50. Der Wortlaut von Art. 7 Abs. 3 zeigt, dass die Schutzmaßnahmen nach dieser Bestimmung nur Wasserkörper betreffen, die das Verfahren zur Ermittlung von Wasserkörpern durchlaufen haben. Art. 7 Abs. 3 enthält jedoch keine Beschränkung, die davon abhinge, wie das Wasser diesen Körpern zufließt, d. h., ob dies auf natürliche Weise erfolgt oder durch anthropogene Infiltration (wie es im Ausgangsverfahren der Fall ist). Daher muss der Schutz für das in den ermittelten Wasserkörpern vorhandene Wasser gewährleistet sein.
iv) Bedeutung der Formulierung „eine Verschlechterung ihrer Qualität zu verhindern und so den … Umfang der Aufbereitung zu verringern“
51. Diese Formulierung zeigt, dass das Ziel der Maßnahmen, die die Mitgliedstaaten treffen müssen, darin besteht, den Umfang der für die Trinkwassergewinnung erforderlichen Aufbereitung zu verringern, und dass das Mittel zur Erreichung dieses Ziels in der Pflicht der Mitgliedstaaten besteht, zumindest eine Verschlechterung der Qualität von Wasserkörpern zu verhindern.
52. Der erläuternde „Leitfaden Nr. 16“ der Kommission(11 ) stützt meine Auslegung von Art. 7 Abs. 3 WRRL. In diesem Leitfaden, der einen von der Kommission, allen Mitgliedstaaten und anderen Beteiligten vereinbarten Konsens über bewährte Praktiken darstellt, wird Art. 7 Abs. 3 WRRL wie folgt erläutert: „In der Praxis würde die Verhinderung einer Verschlechterung der Qualität eines Grundwasserkörpers allein nicht zwangsläufig zu einer Verringerung des Umfangs der Aufbereitung führen, die zur Trinkwassergewinnung erforderlich sein kann. Eine Verbesserung der Qualität wäre erforderlich, um die Aufbereitung zu reduzieren. Jedoch soll offensichtlich zumindest eine Verschlechterung der Qualität des Grundwassers verhindert werden. Im Idealfall sollte der Schutz ausreichen, um die Aufbereitung im Laufe der Zeit verringern zu können.“
53. Der in der Formulierung „um … den … Umfang der Aufbereitung zu verringern“ enthaltene immanente Zusammenhang zwischen der Quelle (für die Trinkwassergewinnung genutzte Grund- und Oberflächenwasserkörper) und dem Erzeugnis (dem an die Bevölkerung verteilten Trinkwasser) zeigt, dass die Trinkwasserbewirtschaftung der Mitgliedstaaten mit der Trinkwasserrichtlinie und den darin genannten Wasserqualitätskriterien in Einklang stehen muss.
54. Daraus folgt, dass das Element der „Verhinderung der Verschlechterung“ im Wortlaut von Art. 7 Abs. 3 WRRL in Verbindung mit der Vorgabe, den Umfang der Aufbereitung zu verringern, bedeutet, dass das Verschlechterungsverbot nach dieser Bestimmung eine Situation vermeiden soll, in der die in der Trinkwasserrichtlinie festgelegten Wasserqualitätskriterien nicht erfüllt werden.
v) Bedeutung der Formulierung „für die Gewinnung von Trinkwasser“
55. Diese Formulierung stellt klar, dass die betroffenen Wasserkörper nur solche sind, die zur Trinkwassergewinnung genutzt werden; zugleich stellt die Formulierung den erforderlichen Zusammenhang zwischen der WRRL und der Trinkwasserrichtlinie her.
56. Der Wortlaut von Art. 7 Abs. 3 erlegt den Mitgliedstaaten somit eine Verpflichtung auf, die Ausführung von Vorhaben zu verhindern, die den Umfang der Aufbereitung von ermittelten Wasserkörpern, die zur Trinkwassergewinnung genutzt werden, mehren können, wenn das Vorhaben ohne eine solche Erhöhung des Aufbereitungsaufwands nachteilige Auswirkungen auf die in der Trinkwasserrichtlinie festgelegten Anforderungen an die Qualität des Wassers haben kann.
2) Kontext von Art. 7 Abs. 3 WRRL
i) Zusammenhang zwischen Art. 7 Abs. 3 und den Art. 1 und 4 WRRL
57. Meine Auslegung von Art. 7 Abs. 3 wird durch eine Untersuchung des Kontexts dieses Artikels bestätigt. Zunächst lässt sich die Bedeutung von Art. 7 aus den Verbindungen zwischen diesem Artikel und anderen Bestimmungen der WRRL, insbesondere den Art. 1 und 4, ableiten.
58. Zunächst einmal hat die juristische Literatur (z. B. Faßbender in einer umfassenden Analyse der WRRL(12 )) auf den engen Zusammenhang sowie auf die Tatsache hingewiesen, dass Art. 7 eine nutzungsbezogene materielle Verschärfung der Ziele gemäß Art. 4 WRRL enthält. Die Trinkwassergewinnung stellt eine besondere Nutzung von Wasser dar, die über Art. 4 WRRL als allgemeine Bestimmung hinausgeht, weshalb bestimmte Anforderungen berücksichtigt werden müssen, die das Trinkwasser betreffen.
59. In diesem Zusammenhang haben die Erwägungen der Großen Kammer des Gerichtshofs zur Systematik von Art. 4 WRRL im Urteil Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland auch die im vorliegenden Fall erforderliche Auslegung von Art. 7 Abs. 3 dieser Richtlinie zu leiten.
60. Dies ist durch die Tatsache gerechtfertigt, dass die Systematik der WRRL als Rahmenrichtlinie den Schutz aller Wasserkörper, einschließlich jener, die zur Trinkwassergewinnung genutzt werden, koordiniert(13 ).
61. Darüber hinaus ist der Schutz der zur Trinkwassergewinnung genutzten Wasserkörper, den Art. 7 Abs. 3 Satz 1 WRRL vorsieht, fester Bestandteil des allgemeinen Schutzes von Wasserkörpern gemäß Art. 1 WRRL, dem auch Art. 4 dieser Richtlinie dient(14 ). Das nach den Art. 1 und 4 WRRL geschaffene Gesamtkonzept des Gewässerschutzes in der Auslegung durch den Gerichtshof untermauert somit das Verständnis von Art. 7 Abs. 3 der Richtlinie als verbindliche Schutznorm.
ii) Bedeutung der Formulierung „ermittelte Wasserkörper“
62. Um die Bedeutung dieser Formulierung zu verstehen, sind folgende zwei Elemente der WRRL zu berücksichtigen: erstens die in Art. 7 Abs. 1 aufgeführten spezifischen Kriterien und zweitens die Pflicht nach Art. 6 in Verbindung mit Art. 7, ein Verzeichnis für ermittelte Wasserkörper zu erstellen. Die WRRL überlässt die Aufgabe, konkrete Durchführungsmaßnahmen zu treffen, um die ordnungsgemäße Abgrenzung der Schutzgebiete sicherzustellen, den Mitgliedstaaten. Außerdem stellt der Wortlaut von Art. 7 Abs. 3 in Verbindung mit Art. 7 Abs. 1 klar, dass eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten besteht, Art. 7 Abs. 1 einzuhalten und alle betroffenen Wasserkörper ordnungsgemäß zu ermitteln , um allen Wasserkörpern Schutz zu gewähren, die dies erfordern (insbesondere solchen, die für die Trinkwassergewinnung genutzt werden).
iii) Bedeutung der Trinkwasserrichtlinie bei der Definition der Wasserqualität nach Art. 7 Abs. 3 WRRL
63. Als Nächstes werde ich die Auswirkungen der Trinkwasserrichtlinie auf das Verständnis der von Art. 7 Abs. 3 bezweckten guten Trinkwasserqualität prüfen. In Art. 7 Abs. 2 WRRL heißt es: „Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass jeder Wasserkörper gemäß Absatz 1 nicht nur die Ziele des Artikels 4 gemäß den Anforderungen dieser Richtlinie … erreicht, sondern dass das gewonnene Wasser unter Berücksichtigung des angewandten Wasseraufbereitungsverfahrens und gemäß dem [Unions]recht auch die Anforderungen der [Trinkwasserrichtlinie] erfüllt “ (Hervorhebung nur hier).
64. Art. 7 Abs. 2 WRRL verbindet eindeutig Art. 7 Abs. 3 dieser Richtlinie sowie deren Ziele zum Schutz des Rohwassers mit den bestehenden Normen und Verfahren (zur Gewährleistung von Trinkwasser guter Qualität) der Trinkwasserrichtlinie. Daher haben die Vorgaben dieser Richtlinie für Trinkwasser unmittelbaren Einfluss auf die Bewirtschaftung im Einzugsgebiet, indem sie die Mindestqualität des Wassers festlegen, die bei der Wasseraufbereitung und insbesondere der Klärung zu gewährleisten ist. Dies zeigt, dass die Glaubwürdigkeit einer Bewirtschaftung im Einzugsgebiet, mit der die Ziele von Art. 7 WRRL erreicht werden sollen, untrennbar mit den Vorgaben der Trinkwasserrichtlinie verbunden sein wird(15 ).
65. Somit besteht kein Zweifel hinsichtlich des engen Zusammenhangs zwischen der „Mutter“-Richtlinie (der WRRL, bei der es sich um eine Rahmenrichtlinie für das Gesamtsystem der Wasserwirtschaft handelt) und der „Tochter“-Richtlinie (der Trinkwasserrichtlinie, bei der es sich um eine speziell das Trinkwasser betreffende Richtlinie handelt, die einen festen Bestandteil dieses Systems darstellt). Art. 7 WRRL führt nämlich nicht nur unter Verwendung dieses engen Zusammenhangs Regelungen der Trinkwasserrichtlinie für den Schutz des Trinkwassers ein, sondern fügt auch eine zusätzliche Bedingung hinsichtlich der Minimierung der Aufbereitung hinzu. Der Wortlaut von Art. 7 Abs. 3 stellt klar, dass der Schutz nach dieser Bestimmung so gewährt werden muss, dass sowohl die von der Trinkwasserrichtlinie geforderte Trinkwasserqualität erreicht als auch im Laufe der Zeit der für die Gewinnung von Trinkwasser erforderliche Umfang der Wasseraufbereitung verringert wird.
iv) Funktion von Indikatorparametern zur Feststellung der Verschlechterung der Wasserqualität
66. Außerdem ist zu klären, mit welchen Mitteln eine Verschlechterung der Wasserqualität festgestellt werden kann. Um die Bedeutung der Anforderung in Art. 7 Abs. 3 WRRL, wonach eine Verschlechterung der Wasserqualität zu verhindern ist, für den vorliegenden Fall zu verstehen, ist Anhang I Teil C der Trinkwasserrichtlinie zu untersuchen. Ich stimme mit der Kommission darin überein, dass der Indikatorparameter für Sulfat von 250 mg/l in diesem Teil C zur Einschränkung eines Schadstoffs wie Sulfat und für die Bestimmung einer Verschlechterung im Sinne von Art. 7 Abs. 3 WRRL relevant ist. Dieser Indikatorparameter ist im Zusammenhang mit der Trinkwassergewinnung zu berücksichtigen.
67. Daraus folgt, dass der Zusammenhang zwischen der WRRL und der Trinkwasserrichtlinie auch eines der Elemente für die Feststellung der Verschlechterung der Wasserqualität darstellt und dass dieser Zusammenhang hilfreich ist, um zu bestimmen, wie sich dieser Indikatorparameter auf das Genehmigungsverfahren für konkrete Vorhaben auswirken kann, worauf ich in den vorliegenden Schlussanträgen noch eingehen werde.
v) Grundsatz der Vorsorge und Abhilfemaßnahmen
68. Neben Anhang I der Trinkwasserrichtlinie liefert Art. 8 dieser Richtlinie einen wichtigen Beitrag zum Verständnis des Inhalts der Pflicht, den Schutz des Trinkwassers sicherzustellen. In diesem Artikel, der mit „Abhilfemaßnahmen und Verwendungseinschränkungen“ überschrieben ist, sind die Rechtsfolgen geregelt, die sich ergeben, wenn Mitgliedstaaten die gemäß Art. 5 dieser Richtlinie festgelegten Parameterwerte nicht einhalten. Von Bedeutung ist, dass Art. 8 Abs. 6 der Trinkwasserrichtlinie bestimmt: „Bei Nichteinhaltung der Parameterwerte oder Spezifikationen des Anhangs I Teil C prüfen die Mitgliedstaaten, ob diese Nichteinhaltung ein Risiko für die menschliche Gesundheit darstellt. Sie treffen Abhilfemaßnahmen zur Wiederherstellung der Qualität des Wassers, wenn dies zum Schutz der menschlichen Gesundheit erforderlich ist.“
69. Wie oben ausgeführt, bezieht sich der elfte Erwägungsgrund der WRRL auf Art. 174 EGV (jetzt Art. 191 AEUV), der verlangt, dass die Umweltpolitik der Union – also auch ihre Trinkwasserbewirtschaftung – auf den Grundsätzen der Vorsorge und Vorbeugung beruht. Wie in den vorliegenden Schlussanträgen noch zu erläutern sein wird, sind die etwaigen Auswirkungen von mit Sulfat verunreinigtem Trinkwasser auf die menschliche Gesundheit noch nicht vollständig erforscht. Die Notwendigkeit, den in Art. 7 Abs. 3 WRRL im Licht der Grundsätze der Vorsorge und Vorbeugung vorgesehenen erforderlichen Schutz zu gewährleisten, bedeutet daher, dass die Mitgliedstaaten prüfen und tätig werden müssen, bevor ein Vorhaben zugelassen wird, das möglicherweise nachteilige Auswirkungen auf die Umwelt entfaltet. Daraus folgt, dass eine Ex-ante -Pflicht zur Prüfung konkreter Vorhaben wie demjenigen im Ausgangsverfahren besteht, um zu vermeiden, dass auf Abhilfemaßnahmen zurückgegriffen werden muss.
3) Ziel von Art. 7 Abs. 3 WRRL
70. Die oben dargelegte Auslegung von Art. 7 Abs. 3 wird durch die Bedeutung gestützt, die das Primärrecht der Union dem Umweltschutz beimisst. Art. 191 Abs. 2 AEUV verpflichtet die Europäische Union, ein hohes Schutzniveau zu gewährleisten, was u. a. eine Umweltpolitik erfordert, die „auf den Grundsätzen der Vorsorge und Vorbeugung [beruht]“. Außerdem verlangt Art. 37 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, dass ein hohes Umweltschutzniveau und die Verbesserung der Umweltqualität in die Politik der Europäischen Union einbezogen werden(16 ).
71. Außerdem besteht eines der Ziele der Gewährleistung einer guten Wasserqualität im Sinne der WRRL darin, die Versorgung der Bevölkerung mit Trinkwasser zu sichern (24. Erwägungsgrund der WRRL).
72. Konkreter besteht, wie ich in Nr. 53 der vorliegenden Schlussanträge erläutert habe, zwischen der Quelle (für die Trinkwasserentnahme genutzte Grund- und Oberflächenwasserkörper) und dem Erzeugnis (dem an die Bevölkerung verteilten Trinkwasser) ein immanenter Zusammenhang, der sich im Sinn und Zweck von Art. 7 Abs. 3 widerspiegelt. Demnach ist ein hohes Schutzniveau für die Quelle unerlässlich, um Trinkwasser guter Qualität in nachhaltiger Weise zu erzeugen.
73. Im Urteil Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (Rn. 34 bis 43) hat der Gerichtshof seine Auslegung auch auf das Ziel der WRRL gestützt: „[Die WRRL] legt allgemeine Grundsätze und einen Handlungsrahmen für den Gewässerschutz fest … Die allgemeinen Grundsätze und der Handlungsrahmen, die sie aufstellt, sind später von den Mitgliedstaaten durch den Erlass konkreter Maßnahmen innerhalb der in der Richtlinie vorgesehenen Fristen weiterzuentwickeln.“
74. Insbesondere heißt es in Art. 1 WRRL, dass mit dieser Richtlinie zu „einer ausreichenden Versorgung mit Oberflächen‑ und Grundwasser guter Qualität, wie es für eine nachhaltige, ausgewogene und gerechte Wassernutzung erforderlich ist“, beigetragen werden soll.
75. Die vorstehend genannten Feststellungen des Gerichtshofs im Urteil Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland sind für die teleologische Auslegung von Art. 7 Abs. 3 dieser Richtlinie unmittelbar relevant. Diese Bestimmung ist nämlich auch im Licht des allgemeinen Ziels der WRRL auszulegen, das die „Förderung einer nachhaltigen Wassernutzung auf der Grundlage eines langfristigen Schutzes der vorhandenen Ressourcen“ (Art. 1 Unterabs. 1 Buchst. b) umfasst, was eines der Ziele ist, die von den Mitgliedstaaten bei der Genehmigung konkreter Vorhaben umzusetzen sind.
76. Darüber hinaus sind die Feststellungen zu den in Art. 4 WRRL genannten Umweltzielen ebenfalls relevant, da nach Art. 7 Abs. 2 dieser Richtlinie die in ihrem Art. 4 für Oberflächenwasserkörper festgelegten Ziele auch für die von Art. 7 erfassten Wasserkörper gelten.
77. Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich, dass es zur Gewährleistung des nachhaltigen Gebrauchs von Wasser für die Trinkwassergewinnung und zur Erhaltung einer guten Wasserqualität unerlässlich ist, die Verschmutzung dieses Wassers zu vermeiden und vorbeugend zu handeln. Es ist mit anderen Worten erforderlich, konkrete Vorhaben vorab zu prüfen, wenn sie negative Auswirkungen auf die Qualität von für die Trinkwassergewinnung genutztem Wasser entfalten und daher den erforderlichen Umfang der Aufbereitung erhöhen können – statt ihn, wie von Art. 7 Abs. 3 WRRL gefordert, zu verringern.
4) Vorarbeiten zu Art. 7 Abs. 3 WRRL
78. Die vorstehend dargelegte Auslegung und die Bedeutung von Art. 7 Abs. 3 in der Systematik der WRRL werden auch durch einen Blick auf die Entstehungsgeschichte dieser Bestimmung bestätigt.
79. Daraus geht hervor, dass die WRRL zu Beginn des Gesetzgebungsverfahrens nur den heutigen Art. 7 Abs. 1 und 2 WRRL enthielt.
80. Der jetzige Art. 7 Abs. 3 wurde zu einem späteren Zeitpunkt hinzugefügt, nämlich während des Konsultationsverfahrens zwischen dem Rat der Europäischen Union und dem Europäischen Parlament(17 ). Damit wollte der Unionsgesetzgeber die Bestimmungen des Art. 7 verschärfen und klarstellen, dass nach dem neuen Konzept für die Wasserbewirtschaftung dem Ex-ante-Schutz des Rohwassers Vorrang vor der Ex-post -Erhöhung des Umfangs der Aufbereitung eingeräumt wird.
b) Zweiter T eil – Art. 7 Abs. 3 Satz 2 WRRL
81. Das vorlegende Gericht erwähnt in Frage 2 auch den zweiten Satz von Art. 7 Abs. 3, der bestimmt: „Die Mitgliedstaaten können Schutzgebiete für [die in Art. 7 Abs. 3 Satz 1 WRRL genannten] Wasserkörper festlegen.“ Ich bin jedoch wie die Kommission der Ansicht, dass diese Möglichkeit keine Auswirkungen auf die Pflichten nach Art. 7 Abs. 3 Satz 1 hat, soweit diese auch außerhalb solcher Schutzgebiete gelten.
82. Der Wortlaut von Art. 7 Abs. 3 WRRL ist eindeutig. Die Festlegung von Schutzgebieten ist eine Möglichkeit, sie hat jedoch keinerlei Auswirkungen auf einen Fall wie den des Ausgangsverfahrens. Die Festlegung solcher Gebiete zum Schutz des betreffenden Grundwassers ist nur eine von mehreren Maßnahmen. Dies ergibt sich aus der Formulierung „[d]ie Mitgliedstaaten sorgen für den erforderlichen Schutz …“, auf die sodann im nächsten Satz folgt: „Die Mitgliedstaaten können Schutzgebiete für diese Wasserkörper festlegen.“
83. Wie der Leitfaden Nr. 16 erläutert: „Nach Artikel [7 Abs. 3] Satz 2 können die Mitgliedstaaten nach ihrem Ermessen Schutzgebiete festlegen, innerhalb derer ein Schwerpunkt auf den erforderlichen Schutz gelegt werden kann. In manchen Mitgliedstaaten werden diese Gebiete gemeinhin als ‚Trinkwasserschutzgebiete‘ bezeichnet. … Ziel ist es, eine Verschlechterung zu verhindern, die in Bezug auf einen Schadstoff durch anthropogene Belastungen entsteht und eine zusätzliche Aufbereitung erfordern könnte, um die Trinkwassernormen zu erfüllen “ (S. 13, Hervorhebung nur hier).
84. Folglich betrifft die allgemeine Schutzpflicht in ihrer vorstehenden Auslegung alle nach Art. 7 Abs. 1 ermittelten Wasserkörper, während die Festlegung eines Schutzgebiets lediglich eine zusätzliche und fakultative Maßnahme darstellt, die den allgemeinen Schutz ergänzt, wenn ein Mitgliedstaat dies für erforderlich hält(18 ).
c) Ergebnis zu Frage 2
85. Nach alledem bildet Art. 7 Abs. 3 WRRL einen festen Bestandteil des durch Art. 4 WRRL geschaffenen Gewässerschutzsystems. Er enthält insofern ein Verbot der Verschlechterung der Wasserqualität, als die Genehmigung eines konkreten Vorhabens, das zu einer solchen Verschlechterung führen kann, einen Mitgliedstaat daran hindert, der Pflicht zur Verringerung des Umfangs der für die Trinkwassergewinnung erforderlichen Aufbereitung nachzukommen. Zu den notwendigen Schutzmaßnahmen gehört die verbindliche Pflicht der Mitgliedstaaten, konkrete Vorhaben, die sich nachteilig auf die Qualität ermittelter, für die Trinkwassergewinnung genutzter Wasserkörper auswirken können, vorab zu prüfen, und zwar unabhängig davon, welche Art von Wasser in solchen Wasserkörpern vorhanden ist. Das Ziel ist erstens, vorbeugend zu handeln und eine Verschlechterung der Wasserqualität zu verhindern, zweitens – als Teil des Ziels, die nachhaltige Wassernutzung zu gewährleisten –, im Laufe der Zeit den für die Trinkwassergewinnung erforderlichen Umfang der Aufbereitung zu verringern, und drittens, eine Situation zu vermeiden, in der Abhilfemaßnahmen im Sinne der Trinkwasserrichtlinie erforderlich sind. Diese Pflicht gilt unabhängig davon, ob sich der betreffende Wasserkörper innerhalb oder außerhalb eines Schutzgebiets im Sinne von Art. 7 Abs. 3 Satz 2 WRRL befindet.
3. Fragen 3 und 4
a) Was begründet einen Verstoß gegen das Verschlechterungsverbot gemäß Art. 7 Abs. 3 WRRL?
86. Meines Erachtens sind diese Fragen gemeinsam zu erörtern, da beide das Kriterium für die Prüfung eines Verstoßes gegen das Verbot der Verschlechterung der Wasserqualität nach Art. 7 Abs. 3 WRRL betreffen. Das vorlegende Gericht möchte im Wesentlichen wissen, unter welchen Voraussetzungen von einem Verstoß gegen das Verschlechterungsverbot nach dieser Bestimmung auszugehen ist. Insbesondere fragt es, ob für die Feststellung eines Verstoßes jede Verschlechterung ausreicht oder ob eine Überschreitung des Indikatorparameters von 250 mg/l, der für Sulfate in Anhang I Teil C der Trinkwasserrichtlinie festgelegt ist, vorliegen oder Abhilfemaßnahmen im Sinne von Art. 8 Abs. 6 der Trinkwasserrichtlinie drohen müssen (d. h. Maßnahmen, die den Aufbereitungsaufwand für die Trinkwassergewinnung mehren).
87. Wie ich oben ausgeführt habe, verpflichtet Art. 7 Abs. 3 WRRL die Mitgliedstaaten, einer Verschlechterung der Qualität von zur Trinkwassergewinnung genutzten Wasserkörpern vorzubeugen, um den Umfang der erforderlichen Aufbereitung zu verringern.
88. Zum Begriff der „Verschlechterung“ hat der Gerichtshof in Bezug auf Art. 4 Abs. 1 WRRL, der den „Begriff der ‚Verschlechterung des Zustands‘ eines Oberflächenwasserkörpers“ betrifft, bereits entschieden, dass er „ein Begriff von allgemeiner Tragweite“ ist, dessen Bedeutung unter Berücksichtigung seines Wortlauts, seines Kontexts und der Ziele der maßgeblichen Vorschriften zu bestimmen ist(19 ). Der gleiche Ansatz gilt für die Prüfung einer Verschlechterung der Qualität von für die Trinkwassergewinnung genutztem Wasser.
89. Was erstens den Wortlaut von Art. 7 Abs. 3 WRRL betrifft, sind für die Definition des Begriffs der „Verschlechterung“ zwei Gesichtspunkte relevant. Der erste Gesichtspunkt ist der, dass diese Vorschrift auf die Qualität des Wassers Bezug nimmt, ohne sie mit dem Zustand des Wassers oder irgendeiner anderen Voraussetzung in Zusammenhang zu bringen. Der zweite Gesichtspunkt ist der Umstand, dass sich die Vorschrift konkret auf die Qualität des Trinkwassers bezieht und damit auf für die Trinkwassergewinnung genutzte Wasserkörper beschränkt ist. Daher legt der Wortlaut der Vorschrift nahe, dass der Begriff der „Verschlechterung“ jede Tätigkeit umfasst, die sich nachteilig auf Wasserkörper auswirkt, die speziell für die Trinkwassergewinnung genutzt werden.
90. Was zweitens den Kontext von Art. 7 Abs. 3 WRRL betrifft, möchte ich Folgendes anmerken.
91. Das vorlegende Gericht fragt im Wesentlichen, ob die in Anhang I der Trinkwasserrichtlinie festgelegten mikrobiologischen und chemischen Parameter sowie die Indikatorparameter einen Bezugspunkt für eine Verschlechterung der Wasserqualität gemäß Art. 7 Abs. 3 Satz 1 WRRL darstellen können.
92. Diese Frage ist meines Erachtens zu bejahen.
93. Dies gilt jedenfalls für Sulfate. Wie wir im Folgenden sehen werden, stellt der Indikatorparameter einen für Art. 7 Abs. 3 WRRL relevanten Bezugspunkt dar, wenn ein Risiko für die menschliche Gesundheit besteht.
94. Was drittens die Ziele von Art. 7 Abs. 3 WRRL betrifft, ist diese Bestimmung auch auf der Grundlage der allgemeinen Ziele dieser Richtlinie auszulegen, zu denen die Förderung „einer nachhaltigen Wassernutzung auf der Grundlage eines langfristigen Schutzes der vorhandenen Ressourcen“ (Art. 1 Buchst. b WRRL) gehört. Eine nachhaltige Nutzung solcher Ressourcen für die Trinkwassergewinnung schließt zwangsläufig zumindest die Vermeidung jeglicher Verschmutzung dieser Ressourcen ein, um das Ziel, den Umfang von deren Aufbereitung zu verringern, zu erreichen.
95. Wie ich in Nr. 76 der vorliegenden Schlussanträge ausgeführt habe, sind auch Argumente im Zusammenhang mit den in Art. 4 WRRL genannten Umweltzielen von Bedeutung, da die in Art. 4 genannten Ziele für Oberflächenwasserkörper nach Art. 7 Abs. 2 dieser Richtlinie auch für die von Art. 7 erfassten Wasserkörper gelten. Wie oben dargelegt, ist das in Art. 7 Abs. 3 WRRL enthaltene Verbot der Verschlechterung der Wasserqualität eng mit der Aufbereitung verknüpft. Die Aufbereitung wiederum steht im Zusammenhang mit dem betreffenden Schadstoff, weshalb die Bewertung des Verbots der Verschlechterung der Wasserqualität zwingend von der Art des Schadstoffs abhängt. Im vorliegenden Fall ist Sulfat betroffen, bei dem es sich um einen zu überwachenden Parameterwert handelt, weshalb sich die einschlägigen Rechtsfolgen aus Art. 8 Abs. 6 der Trinkwasserrichtlinie ergeben.
96. Einerseits sollte Sulfat, da die Trinkwasserrichtlinie seine Auswirkungen auf die Trinkwassergewinnung offenbar als vergleichsweise ungefährlich ansieht (denn Anhang I Teil C Anmerkung 1 bestimmt insoweit nur, dass „das Wasser … nicht korrosiv wirken [sollte]“), weniger streng behandelt werden als beispielsweise die in den Teilen A und B dieses Anhangs genannten Schadstoffe.
97. Andererseits ist auch zu berücksichtigen, dass in der neueren wissenschaftlichen Literatur dahin gehend argumentiert wird, dass Sulfat den Zustand eines Wasserkörpers beeinträchtigen und für die menschliche Gesundheit gefährlicher sein kann, als bisher angenommen wurde(20 ).
98. Auf der Grundlage der rechtlichen Betrachtung teile ich die Auffassung der Kommission, dass der in Anhang I Teil C der Trinkwasserrichtlinie für Sulfat festgelegte Indikatorparameter von 250 mg/l für die Bestimmung einer Verschlechterung der Qualität im Sinne von Art. 7 Abs. 3 WRRL relevant ist. Dieser Indikatorparameter ist bei der Trinkwassergewinnung, wie sie im Ausgangsverfahren in Rede steht, zu berücksichtigen.
99. Auch wenn die bloße Überschreitung dieses Indikatorparameters nicht automatisch zu einer solchen Verschlechterung führt, ist der Indikatorparameter gleichwohl relevant, da er einen Bezugspunkt darstellt. Art. 7 Abs. 1 der Trinkwasserrichtlinie verpflichtet die Mitgliedstaaten, die Qualität des Trinkwassers insbesondere anhand der in Art. 5 dieser Richtlinie festgelegten Indikatorparameter zu überwachen. In diesem Zusammenhang brauchen die Werte für die in Anhang I Teil C aufgeführten Parameter nach Art. 5 Abs. 2 Satz 2 dieser Richtlinie „nur für Überwachungszwecke und die Einhaltung der Verpflichtungen aus Artikel 8 “ (Hervorhebung nur hier) festgesetzt zu werden.
100. Aus dem elften Erwägungsgrund dieser Richtlinie folgt, dass es sich bei dem für Sulfate festgelegten Richtwert nicht um einen „direkt gesundheitsrelevanten“ Parameter handelt. Im Fall einer Überschreitung sind die Mitgliedstaaten daher, anders als es für die in Anhang I Teile A und B aufgeführten Indikatorparameter vorgesehen ist (vgl. Art. 8 Abs. 2 der Trinkwasserrichtlinie), nicht zwangsläufig verpflichtet, Abhilfemaßnahmen zur Wiederherstellung der Wasserqualität zu treffen. Nach Art. 8 Abs. 6 der Trinkwasserrichtlinie haben sie zunächst zu prüfen, „ob diese Nichteinhaltung ein Risiko für die menschliche Gesundheit darstellt“; Abhilfemaßnahmen müssen sie nur treffen, „wenn dies zum Schutz der menschlichen Gesundheit erforderlich ist“.
101. Wenn die Überschreitung der für Sulfate festgelegten Indikatorparameterwerte jedoch ein Risiko für die menschliche Gesundheit darstellt und der betreffende Mitgliedstaat nicht die notwendigen Abhilfemaßnahmen zur Wiederherstellung der Wasserqualität trifft, bin ich mit der Kommission der Auffassung, dass hierdurch nicht nur gegen Art. 8 Abs. 6 der Trinkwasserrichtlinie verstoßen wird, sondern auch gegen die Pflicht nach Art. 7 Abs. 3 WRRL, eine Verschlechterung der Qualität der betreffenden Wasserkörper zu verhindern und den Umfang der für die Trinkwassergewinnung erforderlichen Aufbereitung zu verringern.
102. Folglich liegt eine Verschlechterung der Wasserqualität im Sinne von Art. 7 Abs. 3 WRRL vor, wenn ein Vorhaben geeignet ist, die in der Trinkwasserrichtlinie festgelegten Parameter zu überschreiten. In einem Fall, der einen in Anhang I Teil C der Trinkwasserrichtlinie aufgeführten Schadstoff betrifft, begründet eine solche Überschreitung eine Verschlechterung jedoch nicht allein auf der Grundlage des für einen Schadstoff wie Sulfat festgelegten Wertes. In solch einem Fall muss, um eine Verschlechterung der Wasserqualität im Sinne von Art. 7 Abs. 3 WRRL feststellen zu können, ein Risiko für die menschliche Gesundheit bestehen, und infolgedessen muss zur Vermeidung eines solchen Risikos eine Anpassung des Aufbereitungsverfahrens notwendig sein.
103. Als Nächstes werde ich prüfen, ob Art. 7 Abs. 3 WRRL trotz der Pflicht, den Sulfatgehalt lediglich zu überwachen (Anhang I Teil C der Trinkwasserrichtlinie) – was darauf hindeuten könnte, dass die Auswirkungen des konkreten Vorhabens auf den Sulfatgehalt auch ex post im Rahmen der Überwachung geprüft werden könnten –, gleichwohl so zu verstehen ist, dass er eine Ex-ante -Pflicht zur Prüfung konkreter Vorhaben wie des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden auferlegt.
b) Prüfung des Planfeststellungsbeschlusses
104. Bei Durchsicht der wissenschaftlichen Literatur und sogar des hier in Rede stehenden Planfeststellungsbeschlusses wird deutlich, dass erhebliche Bedenken in Bezug auf den Einfluss von sulfatbelastetem Trinkwasser auf die menschliche Gesundheit bestehen. Folglich verlangt Art. 7 Abs. 3 WRRL im Licht der Grundsätze der Vorsorge und Vorbeugung, dass eine ordnungsgemäße Prüfung nach dieser Vorschrift durchgeführt wird, bevor eine Genehmigungsentscheidung erlassen wird.
105. Im Planfeststellungsbeschluss (S. 174) führt das Landesamt aus, dass eine geringe vorhabenbezogene Erhöhung der Sulfatkonzentration erwartet werde (vgl. auch S. 46, Nr. 1.3.3.13 dieses Beschlusses, wo deutlich wird, dass das Landesamt die Risiken anerkennt: „Zur Vermeidung einer Verschlechterung des ökologischen Zustands bzw. Potentials unterstromiger Oberflächenwasserkörper mit Vorrangfunktion für die ökologische Durchgängigkeit sind die Sulfatemissionen aus dem Cottbuser See so zu steuern, dass ein langfristiger oberer Ausleitwert für das auszuleitende Seewasser von 620 mg/l am Kontrollpunkt 1 [Auslaufbauwerk] eingehalten wird.“). Dessen ungeachtet wurde im Rahmen des Zulassungsverfahrens jegliche Prüfung der Vereinbarkeit des streitigen Vorhabens (einschließlich des Überlaufs aus dem Cottbuser Ostsee) mit den Bestimmungen der WRRL in Bezug auf deren Art. 7 schlichtweg unterlassen. Die tatsächlich durchgeführten Prüfungen betreffen ausschließlich Art. 4 WRRL. Dass die tatsächliche Sulfatbelastung noch nicht untersucht worden sei, räumt das Landesamt selbst ein, wenn es im Planfeststellungsbeschluss (S. 175) ausführt: „Das tatsächliche Maß an Verdünnung bzw. Reduktion bis zum Wasserwerk Briesen muss … konkret ermittelt werden.“ Soweit das Landesamt davon ausgeht, dass „das Vorhaben der Sicherung der Trinkwassergewinnung nicht entgegen[steht]“ (Planfeststellungsbeschluss, S. 175), teile ich die Auffassung des vorlegenden Gerichts, dass insoweit keine ausreichende technische Untersuchung stattgefunden hat(21 ).
106. Bei näherer Betrachtung des Planfeststellungsbeschlusses zeigt sich, dass die Auswirkungen des streitigen Vorhabens auf den Sulfatgehalt nicht im Einzelnen untersucht worden sind. Insbesondere wurde der Wirkzusammenhang zwischen der flutungsbedingt erhöhten Sulfatkonzentration im Grundwasser und den zu erwartenden diffusen Zutritten von Sulfat in die Spree nicht untersucht (vgl. S. 173 des Planfeststellungsbeschlusses). Ein Anstieg der Sulfatkonzentration im Grundwasserkörper wird erwartet (S. 171 und 174), während langfristig keine zusätzliche Belastung zu erwarten sein soll (S. 172). Im Planfeststellungsbeschluss selbst wird ausdrücklich eingeräumt, dass „[d]as tatsächliche Maß an Verdünnung bzw. Reduktion bis zum Wasserwerk Briesen … konkret ermittelt werden [muss]“ (S. 175). Später heißt es im Planfeststellungsbeschluss: „[D]er vorhabenbedingte Sulfateintrag in das Grundwasser ist praktisch nicht quantifizierbar.“
c) Wissenschaftliche Literatur zu den Gefahren der Sulfatbelastung
107. Eine detaillierte Studie zur Sulfatbelastung in Süßwasserökosystemen(22 ) kam zu dem Ergebnis, dass „die ausgewertete Literatur eindeutig zeigt, dass die [Sulfat-]Belastung toxische Auswirkungen auf Wasserpflanzen und tierische Organismen, darunter u. a. Fische, Wirbellose und Amphibien, haben kann und dass sie auch negative Folgen für die menschliche Gesundheit haben kann“. Nach Auffassung der Autoren „besteht großer Handlungsbedarf, die Sulfatkonzentrationen in Gewässern zu verringern. … Wir möchten mit unserer Studie auf die Problematik aufmerksam machen, den derzeitigen Stand zur Sulfatbelastung aufzeigen und gleichzeitig auf die noch zahlreichen Wissenslücken hinweisen“(23 ).
108. In dieser Studie wird genau das Problem der Sulfatbelastung erörtert, um das es im Ausgangsverfahren geht (Sulfatbelastung der Spree): „Über die unmittelbaren gesundheitlichen Auswirkungen einer erhöhten [Sulfat-]Aufnahme, insbesondere über das Trinkwasser, ist wenig bekannt“, und „die anhaltenden und zunehmenden Konzentrationen von [Sulfat] in Süßwasserökosystemen sind das Ergebnis einer Vielzahl menschlicher Tätigkeiten, … die sowohl die Funktion der Ökosysteme als auch die Trinkwasserversorgung gefährden“. Zu den „namhaften Beispielen für aquatische Ökosysteme, in denen die [Versäuerung] ausgiebig erforscht wird, gehört [insbesondere] der Fluss Spree[(24 )]; es erscheint unwahrscheinlich, dass die flussabwärts gelegenen [Sulfat-]Konzentrationen innerhalb weniger Jahre oder sogar Jahrzehnte nach Einstellung der Bergbautätigkeit wieder auf ein ‚natürliches‘ Niveau absinken werden. So sind die [Sulfat-]Konzentrationen im Fluss Spree … in den letzten Jahrzehnten als Folge des Ausstiegs aus dem Braunkohletagebau und der damit zusammenhängenden Wiederherstellung des Grundwasserspiegels angestiegen … Infolgedessen wurden in den flussabwärts gelegenen Seen des Spreesystems erhöhte [Sulfat]-Konzentrationen festgestellt, die häufig die Trinkwassergrenzwerte für [Sulfat] von 250 mg L-1 in Deutschland überschreiten … , was sehr problematisch ist, da diese Gewässer als Trinkwasserquelle genutzt werden – typischerweise über Grundwasserentnahme und durch Uferfiltration. Aufgrund des Ausstiegs aus der Braunkohleförderung zur Energieerzeugung in vielen Ländern liegt es nahe, dass die [Sulfat-]Einträge aus solchen Gebieten weiterhin ein Umweltproblem darstellen werden.“(25 )
d) Ergebnis in Bezug auf die Verwendung eines Parameterwerts
109. Angesichts der steigenden Bedeutung der Grundsätze der Vorsorge und Vorbeugung im Umweltrecht ist Art. 7 Abs. 3 WRRL im Fall eines Schadstoffs, in Bezug auf den Zweifel im Hinblick auf seine nachteiligen Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit bestehen, dahin auszulegen, dass nicht zugewartet werden darf, bis die Verschmutzung aufgetreten ist. Obwohl ein Parameterwert wie derjenige, der für Sulfat festgesetzt ist, in erster Linie für Überwachungszwecke gedacht ist, gilt er meines Erachtens auch als Indikator für eine präventive Einschätzung zur Feststellung von Risiken für die Verschlechterung der Wasserqualität gemäß Art. 7 Abs. 3 WRRL.
4. Fragen 5, 6 und 7
110. Diese Fragen sind insoweit zusammen zu behandeln, als das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen möchte, ob die zuständige Behörde nach Art. 7 Abs. 3 WRRL verpflichtet ist, vor Zulassung des Vorhabens eine Untersuchung einer möglichen Beeinträchtigung der Qualität des von dem Vorhaben betroffenen Wasserkörpers durchzuführen oder eine entsprechende gutachterliche Untersuchung in Auftrag zu geben, oder, wenn das nicht der Fall ist, ob eine solche Untersuchung nachträglich während des gerichtlichen Verfahrens durchgeführt werden kann (um die Rechtswidrigkeit der nach nationalem Wasserrecht erteilten Zulassung zu heilen).
111. Wie bereits dargelegt, verlangt Art. 7 Abs. 3 WRRL im Licht der Grundsätze der Vorsorge und Vorbeugung die Vermeidung einer Situation, in der Abhilfemaßnahmen getroffen werden müssen. Wie oben anhand der wissenschaftlichen Literatur erläutert, untermauert der Umstand, dass die Gefahr und die nachteiligen Auswirkungen von Sulfat auf zur Trinkwassergewinnung genutztes Wasser noch nicht ausreichend geprüft und festgestellt worden sind, in Verbindung mit den Grundsätzen der Vorsorge und Vorbeugung meine Auslegung, wonach Art. 7 Abs. 3 WRRL eine Ex-ante -Beurteilung konkreter Vorhaben wie dem des Ausgangsverfahrens erfordert.
112. Meine oben dargelegte Analyse der Bedeutung von Art. 7 Abs. 3 WRRL zeigt, dass die soeben erwähnte Ex-ante -Beurteilung zwei wesentliche Prüfungsrichtungen enthalten muss. Zum einen müssten die Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit bei unveränderter Aufbereitung beurteilt werden, einschließlich der Abhilfemaßnahmen, die auf der Grundlage des festgestellten Zusammenhangs nach der Trinkwasserrichtlinie erforderlich wären. Zum anderen wäre eine Beurteilung der Auswirkungen auf den Umfang der Aufbereitung erforderlich, und zwar müsste festgestellt werden, ob mit den bestehenden Methoden weiterhin dasselbe Wasserqualitätsniveau erreicht werden kann, wenn ein Vorhaben genehmigt und umgesetzt ist.
113. Es erscheint zweckmäßig, in diesem Zusammenhang die Arten von Ex-ante -Maßnahmen darzulegen, die von den zuständigen Behörden zur Erfüllung ihrer Pflichten nach Art. 7 Abs. 3 WRRL getroffen werden können.
114. Dabei handelt es sich um folgende Maßnahmen: erstens die Ermittlung der Wasserkörper nach Art. 7 Abs. 1 WRRL, zweitens die Überwachung der für die Trinkwassergewinnung genutzten Wasserkörper und drittens die Bewertung konkreter Vorhaben, um festzustellen, ob sie zu einer Verschlechterung der Qualität der Wasserkörper auf ein Niveau führen können, das einen Mitgliedstaat an der Erfüllung seiner Pflicht hindert, den Umfang der für die Trinkwassergewinnung erforderlichen Aufbereitung zu verringern.
115. Im Zusammenhang mit der Frage, welche Maßnahmen gemäß Art. 7 Abs. 3 WRRL getroffen werden müssen, möchte ich an dieser Stelle darauf hinweisen, dass die jüngste Neufassung der Trinkwasserrichtlinie (Richtlinie [EU] 2020/2184(26 )), die bis zum 12. Januar 2023 umzusetzen war, die Mitgliedstaaten in ihrem Art. 8 verpflichtet, „dafür Sorge [zu tragen], dass die Einzugsgebiete von Entnahmestellen von Wasser für den menschlichen Gebrauch einer Risikobewertung und einem Risikomanagement unterzogen werden“.
116. Daher müssen die Mitgliedstaaten nach dieser neuen Bestimmung (die an zwei Stellen ausdrücklich auf Art. 7 Abs. 3 WRRL Bezug nimmt) meines Erachtens ebenso wie nach Art. 7 Abs. 3 WRRL Maßnahmen treffen, die nicht nur das Wasser in den Gläsern der Bevölkerung betreffen, sondern auch die Wasserkörper, aus denen Wasser entnommen und zur Trinkwassergewinnung aufbereitet wird.
117. Die Rechtsprechung des Gerichtshofs stellt klar, dass „die zuständigen Behörden nach Art. 4 [WRRL] verpflichtet sind, im Lauf des Projektgenehmigungsverfahrens, und somit vor dem Erlass einer Entscheidung, zu prüfen, ob das Projekt negative Auswirkungen auf die Gewässer haben kann, die den Pflichten zuwiderliefen, die Verschlechterung des Zustands der Oberflächen- und Grundwasserkörper zu verhindern und diesen Zustand zu verbessern. Somit schließt diese Vorschrift aus, dass eine solche Prüfung erst nach diesem Zeitpunkt erfolgt .(27 )“
118. In Anbetracht dieser Rechtsprechung und des Umstands, dass Art. 7 Abs. 3 WRRL einen festen Bestandteil des Gewässerschutzsystems gemäß Art. 4 dieser Richtlinie bildet, sind die Auswirkungen auf für die Trinkwassergewinnung genutzte Wasserkörper – wobei es sich um eine Frage handelt, die in unmittelbarem Zusammenhang mit der menschlichen Gesundheit steht – zwingend vor der Genehmigung eines Vorhabens zu prüfen.
119. Die obigen Ausführungen bestätigen meine vorangehende Analyse, wonach Art. 7 Abs. 3 WRRL im Licht der Grundsätze der Vorsorge und Vorbeugung dahin auszulegen ist, dass die notwendigen Schutzmaßnahmen eine bindende Pflicht der Mitgliedstaaten umfassen, konkrete Vorhaben, die nachteilige Auswirkungen auf die Qualität von zur Trinkwassergewinnung genutzten Wasserkörpern entfalten können, vorab zu prüfen.
120. Somit verpflichtet Art. 7 Abs. 3 WRRL die zuständige Behörde, ein Vorhaben, wenn es die Qualität des betreffenden Wasserkörpers derart verschlechtern kann, dass sich der für die Trinkwassergewinnung erforderliche Umfang der Aufbereitung erhöht, nicht zu genehmigen, bevor eine Beurteilung nach Art. 7 WRRL in Verbindung mit der Trinkwasserrichtlinie durchgeführt worden ist . Diese Beurteilung stellt mit anderen Worten einen obligatorischen Verfahrensschritt dar, bevor eine Genehmigung für ein solches Vorhaben in Betracht gezogen werden kann.
121. Aus dem Vorabentscheidungsersuchen, den dem Gerichtshof vorliegenden Akten und den von den Beteiligten in der mündlichen Verhandlung abgegebenen Erklärungen geht eindeutig hervor, dass eine solche Beurteilung im Ausgangsverfahren vollständig unterblieben ist. Die einzige Prüfung, die durchgeführt wurde, war die Prüfung nach Art. 4 WRRL.
122. Wie die Stadt Frankfurt (Oder) und die FWA hervorgehoben haben, erfolgte die Prüfung des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Vorhabens auf der Grundlage des allgemeinen Verschlechterungsverbots gemäß Art. 4 WRRL. Diese Prüfung genügt jedoch insofern offensichtlich nicht den Anforderungen von Art. 7 Abs. 3 der Richtlinie, als diese darauf abzielt, „eine Verschlechterung [der Wasser-]Qualität zu verhindern“ und „den für die Gewinnung von Trinkwasser erforderlichen Umfang der Aufbereitung zu verringern“. Die Missachtung dieser Anforderungen ist potenziell geeignet, die Gewährleistung des Schutzes der menschlichen Gesundheit im Rahmen des Zulassungsverfahrens zu beeinträchtigen und sich auf das Ergebnis dieses Zulassungsverfahrens auszuwirken, über das das vorlegende Gericht nunmehr zu entscheiden hat.
123. Daraus folgt, dass die zuständige Behörde gemäß Art. 7 Abs. 3 WRRL verpflichtet ist, während des Planfeststellungsverfahrens – und damit, bevor die eigentliche Zulassungsentscheidung getroffen wird – zu prüfen, ob das betreffende Vorhaben die Einhaltung der nach dieser Vorschrift bestehenden Pflichten beeinträchtigen kann. Nach dieser Vorschrift ist es nicht zulässig, dass eine solche Prüfung erst nach der Zulassungsentscheidung erfolgt.
5. Fragen 8 und 9
124. Diese Fragen sind zusammen zu erörtern. Das vorlegende Gericht möchte im Wesentlichen wissen, ob ein trinkwasserspezifisches Verschlechterungsverbot gemäß Art. 7 Abs. 3 WRRL durch eine Abwägung mit dem Ziel, das mit dem Vorhaben verfolgt wird, überwunden werden kann (etwa dann, wenn der erforderliche Aufbereitungsaufwand gering oder das Vorhaben besonders wichtig ist) und ob Art. 4 Abs. 7 dieser Richtlinie auf Art. 7 Abs. 3 Anwendung findet.
125. Erstens besteht, wie in Nr. 51 der vorliegenden Schlussanträge ausgeführt, das Ziel der gemäß Art. 7 Abs. 3 WRRL von den Mitgliedstaaten zu treffenden Maßnahmen darin, den Umfang der für die Trinkwassergewinnung erforderlichen Wasseraufbereitung zu verringern , und das Mittel zur Erreichung dieses Ziels besteht in der Pflicht, zumindest eine Verschlechterung der Qualität von Wasserkörpern zu verhindern .
126. Zweitens dient das nach dieser Bestimmung für die Genehmigung konkreter Vorhaben geltende Verbot der Verschlechterung der Wasserqualität dem Zweck, die Erreichung dieses Ziels zu gewährleisten.
127. Jedoch können drittens, wie ich im Folgenden erläutern werde, bestimmte Einzelvorhaben gleichwohl genehmigt werden, sofern sie bestimmte Voraussetzungen – entweder nach Art. 4 Abs. 7 WRRL oder durch die Anwendung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit – erfüllen.
128. Im Urteil Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (Rn. 44 bis 47) stützt sich der Gerichtshof bei der Auslegung von Art. 4 WRRL auf die in Art. 4 Abs. 7 dieser Richtlinie vorgesehene Ausnahmeregelung.
129. Der Wortlaut von Art. 4 Abs. 7 WRRL ist von Bedeutung, um aufzuzeigen, dass diese Bestimmung über Art. 4 hinaus anwendbar ist. In seiner Einleitung heißt es nämlich eindeutig in allgemeiner Weise, dass die Mitgliedstaaten „nicht gegen diese Richtlinie [verstoßen]“ (Hervorhebung nur hier), wenn die Bedingungen dieser Bestimmung erfüllt sind. Es ist nicht davon die Rede, dass die Mitgliedstaaten nicht gegen diesen Artikel verstoßen.
130. Überdies zeigt der Umstand, dass Art. 7 WRRL auf Art. 4 Bezug nimmt, dass diese Bestimmungen miteinander verwoben sind und dass die Pflichten nach Art. 4 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 3 WRRL in engem Zusammenhang miteinander stehen.
131. Entgegen dem Vorbringen der Kommission, dass Art. 4 Abs. 7 vorbehaltlos auf Art. 7 Abs. 3 anwendbar sei, ergibt sich jedoch aus den beiden Unterabsätzen in der Einleitung von Art. 4 Abs. 7, dass dieser nur für Tätigkeiten gilt, die den Zustand von Wasserkörpern beeinträchtigen können.
132. Daher ist Art. 4 Abs. 7 WRRL dahin auszulegen, dass er auf das Genehmigungsverfahren für konkrete Vorhaben, bei denen Pflichten nach Art. 7 Abs. 3 dieser Richtlinie berührt sind, anwendbar ist, jedoch nur dann, wenn die betreffenden Vorhaben den Zustand von Wasserkörpern beeinträchtigen können. In solchen Fällen bietet Art. 4 Abs. 7 – in seiner Auslegung durch den Gerichtshof – den zuständigen mitgliedstaatlichen Behörden Orientierung für die nächsten Schritte, die sie im Genehmigungsverfahren unternehmen müssen.
133. In bestimmten Fällen kann es jedoch vorkommen, dass die nach Art. 7 Abs. 3 WRRL verbotene Verschlechterung der Qualität keinen Einfluss auf den Zustand von Wasserkörpern hat. In Bezug auf solche Vorhaben, die nachteilige Auswirkungen auf die Pflichten nach Art. 7 Abs. 3 (nicht aber auf den Zustand von Wasserkörpern) entfalten können, bin ich der Auffassung, dass im Rahmen des Genehmigungsverfahrens der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit anstelle von Art. 4 Abs. 7 anwendbar sein dürfte.
134. Die allgemeine Systematik der WRRL, wie sie in deren Art. 4 im Einzelnen zum Ausdruck kommt, zeigt, dass der Unionsgesetzgeber darauf bedacht war, unter bestimmten Voraussetzungen Ausnahmen von den Pflichten zuzulassen, die den Mitgliedstaaten durch diese Richtlinie auferlegt werden. Art. 7 selbst enthält jedoch keinerlei Bezug auf eine mögliche Ausnahme. Meines Erachtens könnte eine Auslegung von Art. 7 Abs. 3 WRRL dahin, dass die Bestimmung eine absolute Pflicht enthält, eine Verschlechterung der Wasserqualität zu verbieten, die Mitgliedstaaten vor unüberwindbare Schwierigkeiten stellen, wenn sie kurzfristig erreichen wollen, dass die Bewirtschaftung ihrer Wasserressourcen reibungslos funktioniert. In solchen Fällen muss ein Verschlechterungsverbot gemäß Art. 7 Abs. 3 WRRL während des Genehmigungsverfahrens für ein konkretes Vorhaben im Licht des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit und einer Interessenabwägung insbesondere im Hinblick auf die mit diesem Vorhaben verfolgten Ziele ausgelegt werden. Die Tatsache, dass der 32. Erwägungsgrund der WRRL klarstellt, dass die Anwendbarkeit von Ausnahmen „aus Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses“ gegeben sein kann, spricht für dieses Vorgehen.
135. Die zuständige Behörde muss daher im Rahmen des Genehmigungsverfahrens für ein konkretes Vorhaben, das nachteilige Auswirkungen auf die Pflichten gemäß Art. 7 Abs. 3 entfalten kann, die Erforderlichkeit der Untersagung eines solchen Vorhabens prüfen, wenn sie festgestellt hat, dass das betreffende Vorhaben die Wasserqualität verschlechtern und dadurch den Mitgliedstaat daran hindern kann, der Pflicht, den für die von Trinkwassergewinnung erforderlichen Umfang der Aufbereitung zu verringern, nachzukommen. Die Bedeutung des Elements der „Erforderlichkeit“ spiegelt sich insofern im Wortlaut von Art. 7 Abs. 3 wider. Diese Vorschrift sieht eindeutig vor, dass die Mitgliedstaaten „für den erforderlichen Schutz der ermittelten Wasserkörper [sorgen], um eine Verschlechterung ihrer Qualität zu verhindern und so den für die Gewinnung von Trinkwasser erforderlichen Umfang der Aufbereitung zu verringern“.
136. Im Licht des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes verlangt diese Voraussetzung der Erforderlichkeit(28 ) von den Mitgliedstaaten, dass sie auf Maßnahmen zurückgreifen, die zur Wahrung der Ziele von Art. 7 Abs. 3 WRRL „nicht die Grenzen dessen überschreiten, was zur Erreichung der mit der fraglichen Regelung zulässigerweise verfolgten Ziele geeignet und erforderlich ist. Dabei ist, wenn mehrere geeignete Maßnahmen zur Auswahl stehen, die am wenigsten belastende zu wählen; ferner müssen die verursachten Nachteile in angemessenem Verhältnis zu den angestrebten Zielen stehen“(29 ).
137. Daraus folgt, dass das vorlegende Gericht im Zusammenhang mit der Anwendung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit prüfen sollte, ob im Rahmen der Zulassung eines konkreten Vorhabens eine Interessenabwägung durchgeführt wurde. Bei einer solchen Abwägung sollte festgestellt werden, ob das Verbot der Verschlechterung der Wasserqualität nach Art. 7 Abs. 3 WRRL durch das mit dem Vorhaben verfolgte Ziel überwunden werden kann. Eine solche Abwägung wäre jedoch nur kurzfristig möglich (sofern langfristig die Einhaltung von Art. 7 Abs. 3 wiederhergestellt wird), und zwar dann, wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind: Erstens ist der erforderliche Aufbereitungsaufwand gering und wird im Laufe der Zeit abnehmen, zweitens ist das Vorhaben von besonderer Bedeutung, und es besteht ein überwiegendes öffentliches Interesse daran, drittens werden alle erforderlichen Maßnahmen getroffen, um die nachteiligen Auswirkungen auf die Pflichten nach Art. 7 Abs. 3 im Laufe der Zeit abzumildern, und viertens bereitet das Vorhaben dem Mitgliedstaat keine ernsten Schwierigkeiten bei der Sicherstellung von Trinkwasser, das den Anforderungen der Trinkwasserrichtlinie entspricht.
6. Frage 10
138. Das vorlegende Gericht möchte wissen, welche über Art. 4 WRRL hinausgehenden Pflichten Art. 7 Abs. 2 dieser Richtlinie mit der Folge zu entnehmen sind, dass sie in einem Vorhabenzulassungsverfahren zu berücksichtigen sind.
139. Die Mitgliedstaaten sind nach Art. 4 WRRL verpflichtet, „die Genehmigung für ein konkretes Vorhaben zu versagen, wenn es eine Verschlechterung des Zustands eines Oberflächenwasserkörpers verursachen kann oder wenn es die Erreichung eines guten Zustands eines Oberflächengewässers bzw. eines guten ökologischen Potenzials und eines guten chemischen Zustands eines Oberflächengewässers zu dem nach der Richtlinie maßgeblichen Zeitpunkt gefährdet“(30 ) (vorbehaltlich der Gewährung einer Ausnahme). Das Gleiche gilt für Grundwasserkörper.
140. Daraus folgt, dass Art. 4 auf den Schutz von Wasserkörpern als solchen anwendbar ist.
141. Art. 7 Abs. 2 WRRL geht über diese Pflicht hinaus.
142. In Art. 7 Abs. 2 heißt es: „Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass jeder Wasserkörper gemäß Absatz 1 nicht nur die Ziele des Artikels 4 gemäß den Anforderungen dieser Richtlinie für Oberflächenwasserkörper, einschließlich der gemäß Artikel 16 auf Gemeinschaftsebene festgelegten Qualitätsnormen, erreicht, sondern dass das gewonnene Wasser unter Berücksichtigung des angewandten Wasseraufbereitungsverfahrens und gemäß dem Gemeinschaftsrecht auch die Anforderungen der [Trinkwasserrichtlinie] erfüllt.“
143. Somit verdeutlicht diese Vorschrift, dass das für den menschlichen Gebrauch gewonnene und aufbereitete Wasser letztlich den Anforderungen der Trinkwasserrichtlinie entsprechen, d. h., für den menschlichen Gebrauch geeignet sein muss.
144. Ich stimme mit der Kommission darin überein, dass dieses Erfordernis – wie auch Art. 7 Abs. 3 WRRL – weiter geht als die in Art. 4 Abs. 1 Buchst. a Ziff. i oder Art. 4 Abs. 1 Buchst. b Ziff. i der Richtlinie festgelegten Pflichten. Mit anderen Worten fügt Art. 7 Abs. 2 WRRL Art. 4 dieser Richtlinie eine weitere Dimension hinzu (und sieht einen gegenüber Art. 4 erweiterten Schutz vor), die insbesondere die menschliche Gesundheit betrifft und auf der Trinkwasserrichtlinie beruht. Es besteht folglich nicht nur eine Pflicht zum Schutz eines Wasserkörpers nach Art. 4, wie sie dort im Einzelnen geregelt ist, sondern auch zur Aufbereitung dieses Wasserkörpers nach Art. 7 Abs. 2, um die Anforderungen der Trinkwasserrichtlinie zu erfüllen.
145. Daher ist Art. 7 Abs. 2 WRRL entgegen dem Vorbringen von Lausitz Energie nicht lediglich deklaratorisch, so dass Art. 7 Abs. 2 WRRL im Verlauf des Planfeststellungsverfahrens bei der Prüfung der Frage, ob die Folgen der Umsetzung des betreffenden Vorhabens das für einen Wasserkörper zur Erreichung der Ziele der Trinkwasserrichtlinie geltende Aufbereitungsverfahren beeinträchtigen können, ebenfalls zu berücksichtigen ist.
146. Beachtenswert ist, dass im Leitfaden Nr. 16 in Bezug auf Art. 7 Abs. 2 WRRL ausgeführt wird, dass „die Ziele des Artikels 4 (d. h. Ziele in Bezug auf Zustand, Verhinderung oder Begrenzung, Umsetzung der Trendumkehr und andere Ziele für Schutzgebiete) unabhängig von der Erfüllung des Ziels des Artikels [7 Abs. 2] erreicht werden müssen; auch die Anforderungen der [Trinkwasserrichtlinie] müssen erfüllt werden. Dazu gehört eine allgemeine Anforderung, dass das Wasser frei von Verschmutzungen sein muss, die eine Gefahr für die menschliche Gesundheit darstellen könnten, und die Anforderung, dass die formalen Standards der Trinkwasserrichtlinie am Ort der Abgabe an den Verbraucher (d. h. am Wasserhahn) eingehalten werden müssen.“
147. Ich bin der Auffassung, dass Art. 7 Abs. 2 WRRL der Interessenabwägung nach der WRRL einen weiteren Aspekt hinzufügt, nämlich den, dass die Genehmigung eines Vorhabens nur dann zulässig ist, wenn dessen Durchführung das Wasser, mit dem die Einwohner des betroffenen Gebiets (durch den Wasserhahn) versorgt werden, nicht beeinträchtigt. Dies bedeutet meines Erachtens, dass ein Vorhaben nur genehmigt werden kann, wenn es, sofern geboten, ein Bündel notwendiger Maßnahmen umfasst, mit dem sichergestellt wird, dass die Einhaltung der Trinkwasserrichtlinie nicht beeinträchtigt wird.
148. Aus alledem folgt, dass Art. 7 Abs. 2 WRRL dahin auszulegen ist, dass diese Bestimmung, wie auch Art. 7 Abs. 3 dieser Richtlinie, Pflichten enthält, die über diejenigen hinausgehen, auf die Art. 4 Abs. 1 Buchst. a Ziff. i oder Art. 4 Abs. 1 Buchst. b Ziff. i der Richtlinie Bezug nimmt, was im Rahmen eines Vorhabenzulassungsverfahrens zu berücksichtigen ist. Insbesondere kann ein Vorhaben nur zugelassen werden, wenn es ein Bündel notwendiger Maßnahmen enthält, mit dem sichergestellt wird, dass die Einhaltung der Trinkwasserrichtlinie nicht beeinträchtigt wird.
IV. Ergebnis
149. Ich schlage dem Gerichtshof vor, auf die vom Verwaltungsgericht Cottbus (Deutschland) zur Vorabentscheidung vorgelegten Fragen wie folgt zu antworten:
Frage 1
Art. 7 Abs. 3 der Richtlinie 2000/60/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2000 zur Schaffung eines Ordnungsrahmens für Maßnahmen der Gemeinschaft im Bereich der Wasserpolitik ist dahin auszulegen, dass die juristischen Personen, denen nach nationalem Recht die Gewinnung und Aufbereitung von Trinkwasser obliegt, oder die Personen, die mit der Gewinnung und Aufbereitung von Trinkwasser betraut worden sind, befugt sind, zu verlangen, dass eine zuständige Behörde, die für die Zulassung eines Vorhabens verantwortlich ist, das sich potenziell nachteilig auf den in der Richtlinie 98/83/EG des Rates vom 3. November 1998 über die Qualität von Wasser für den menschlichen Gebrauch vorgeschriebenen Umfang der Trinkwasseraufbereitung auswirken kann, die in Art. 7 Abs. 3 der Richtlinie 2000/60 vorgesehenen Verpflichtungen einhält. Erforderlichenfalls können solche juristischen Personen hierfür Klage vor einem zuständigen Gericht erheben.
Frage 2
Art. 7 Abs. 3 der Richtlinie 2000/60 enthält insofern ein Verbot der Verschlechterung der Wasserqualität, als die Genehmigung eines konkreten Vorhabens, das zu einer solchen Verschlechterung führen kann, einen Mitgliedstaat daran hindert, der Pflicht zur Verringerung des Umfangs der für die Trinkwassergewinnung erforderlichen Aufbereitung nachzukommen. Zu den notwendigen Schutzmaßnahmen gehört die verbindliche Pflicht der Mitgliedstaaten, konkrete Vorhaben, die sich nachteilig auf die Qualität ermittelter, für die Trinkwassergewinnung genutzter Wasserkörper auswirken können, vorab zu prüfen, und zwar unabhängig davon, welche Art von Wasser in solchen Wasserkörpern vorhanden ist. Diese Pflicht gilt unabhängig davon, ob sich der betreffende Wasserkörper innerhalb oder außerhalb eines Schutzgebiets im Sinne von Art. 7 Abs. 3 Satz 2 der Richtlinie 2000/60 befindet.
Fragen 3 und 4
Eine Verschlechterung der Wasserqualität gemäß Art. 7 Abs. 3 der Richtlinie 2000/60 liegt vor, wenn ein Vorhaben geeignet ist, die in der Richtlinie 98/83 festgelegten Parameter zu überschreiten. In einem Fall, der einen in Anhang I Teil C der Richtlinie 98/83 aufgeführten Schadstoff betrifft, begründet eine solche Überschreitung eine Verschlechterung jedoch nicht allein auf der Grundlage des für einen Schadstoff wie Sulfat festgelegten Wertes. In solch einem Fall muss, um eine Verschlechterung der Wasserqualität im Sinne von Art. 7 Abs. 3 der Richtlinie 2000/60 feststellen zu können, ein Risiko für die menschliche Gesundheit bestehen, und infolgedessen muss zur Vermeidung eines solchen Risikos eine Anpassung des Aufbereitungsverfahrens notwendig sein.
Im Fall eines Schadstoffs, in Bezug auf den Zweifel hinsichtlich seiner nachteiligen Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit bestehen, kann der ermittelte Parameterwert wie derjenige, der für Sulfat festgelegt ist, als Indikator für eine präventive Einschätzung zur Feststellung von Risiken für die Verschlechterung der Wasserqualität gemäß Art. 7 Abs. 3 der Richtlinie 2000/60 dienen.
Fragen 5, 6 und 7
Art. 7 Abs. 3 der Richtlinie 2000/60 ist dahin auszulegen, dass die zuständige Behörde verpflichtet ist, während des Planfeststellungsverfahrens – und damit, bevor die eigentliche Zulassungsentscheidung getroffen wird – zu prüfen, ob das betreffende Vorhaben die Einhaltung der nach dieser Vorschrift bestehenden Pflichten beeinträchtigen kann. Nach dieser Vorschrift ist es nicht zulässig, dass eine solche Prüfung erst nach der Zulassungsentscheidung erfolgt.
Fragen 8 und 9
Nach Erhalt der Beurteilung gemäß Art. 7 Abs. 3 der Richtlinie 2000/60 hat die zuständige Behörde zur Entscheidung darüber, ob sie ein Vorhaben zulässt oder nicht, eine Interessenabwägung in Form des in Art. 4 Abs. 7 dieser Richtlinie vorgesehenen Prüfungsmaßstabs durchzuführen, sofern ein Sachverhalt vorliegt, der den Zustand von durch das Vorhaben beeinträchtigten Wasserkörpern betrifft.
Für andere Vorhaben, die Pflichten gemäß Art. 7 Abs. 3 der Richtlinie 2000/60 berühren, aber nicht den Zustand von Wasserkörpern beeinträchtigen, hat diese Behörde eine solche Interessenabwägung im Licht des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit durchzuführen, um festzustellen, ob das Verbot der Verschlechterung der Wasserqualität nach Art. 7 Abs. 3 durch das mit dem Vorhaben verfolgte Ziel überwunden werden kann. Dies ist nur kurzfristig möglich (sofern langfristig die Einhaltung von Art. 7 Abs. 3 wiederhergestellt wird), und zwar dann, wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind: Erstens ist der erforderliche Aufbereitungsaufwand gering und wird im Laufe der Zeit abnehmen, zweitens ist das Vorhaben von besonderer Bedeutung, und es besteht ein überwiegendes öffentliches Interesse daran, drittens werden alle erforderlichen Maßnahmen getroffen, um die nachteiligen Auswirkungen auf die Pflichten nach Art. 7 Abs. 3 im Laufe der Zeit abzumildern, und viertens bereitet das Vorhaben dem Mitgliedstaat keine ernsten Schwierigkeiten bei der Sicherstellung von Trinkwasser, das den Anforderungen der Richtlinie 98/83 entspricht.
Frage 10
Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2000/60 ist dahin auszulegen, dass diese Bestimmung, wie auch Art. 7 Abs. 3 dieser Richtlinie, Pflichten enthält, die über diejenigen hinausgehen, auf die Art. 4 Abs. 1 Buchst. a Ziff. i oder Art. 4 Abs. 1 Buchst. b Ziff. i der Richtlinie Bezug nimmt, was im Rahmen eines Vorhabenzulassungsverfahrens zu berücksichtigen ist. Insbesondere kann ein Vorhaben nur zugelassen werden, wenn es ein Bündel notwendiger Maßnahmen enthält, mit dem sichergestellt wird, dass die Einhaltung der Richtlinie 98/83 nicht beeinträchtigt wird.