Vorläufige Fassung
SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS
DEAN SPIELMANN
vom 13. November 2025(1 )
Rechtssache C ‑666/24
Strafverfahren
gegen
EGB,
EGC,
GTA,
SPG,
QCR,
ACB,
JRS,
RJDL,
FJG,
XBLL,
DBA,
CBE
Beteiligte:
Ministerio Fiscal,
Associació Catalana de Víctimes d’Organitzacions Terroristes,
Asociación de Víctimas del Terrorismo,
Asociación Dignidad y Justicia,
AEGC,
AUGC,
Partido político VOX
[Vorabentscheidungsersuchen der Audiencia Nacional (Nationaler Gerichtshof, Spanien)]
„ Vorlage zur Vorabentscheidung – Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen – Terrorismusbekämpfung – Katalanische Unabhängigkeitsbewegung – Vereinbarkeit des Organgesetzes 1/2024 über die Amnestie zum Zwecke der institutionellen, politischen und sozialen Normalisierung in Katalonien mit dem Unionsrecht – Richtlinie (EU) 2017/541 – Ausnahme von der strafrechtlichen Haftung zugunsten von Personen, die wegen Straftaten angeklagt sind, die keine schweren Verletzungen von Menschenrechten verursacht haben – Begriff ‚schwere Verletzungen von Menschenrechten‘ – Humanitäres Völkerrecht – Rechtssicherheit – Grundsatz des Schutzes des berechtigten Vertrauens – Art. 20 und 21 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union – Vorrang des Unionsrechts “
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Charta
Richtlinie 2017/541
Spanisches Recht
Strafgesetzbuch
Die LOA
Ausgangsverfahren, Vorlagefragen und Verfahren vor dem Gerichtshof
Würdigung
Zur ersten, zweiten, dritten, fünften und sechsten Frage
Allgemeiner unionsrechtlicher Rahmen und Platz der Amnestie darin
Der Inhalt der Richtlinie 2017/541 und ihr Schweigen zur Amnestie
Die Rechtsgrundlage der Richtlinie 2017/541: Art. 83 AEUV und seine Implikationen
Völkerrechtliche Standards und Rechtsprechung des EGMR in Bezug auf die Amnestie
Beurteilung der Vereinbarkeit der LOA mit der Richtlinie 2017/541 im Hinblick auf die erörterten Gesichtspunkte
Zur vierten Frage
Erster Teil: der Ausschlussgrund der schweren Verletzungen von Menschenrechten
Zweiter Teil: der Anwendungsbereich von Art. 1 LOA und die Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes
Zur achten Frage
Zur siebten Frage
Zur neunten Frage
Ergebnis
Einleitung
1. „Was die Vergangenheit betrifft, so sollen alle gegenseitigen Feindschaften vergessen werden, außer gegenüber den Dreißig, den Zehnmännern, den Elfmännern und den Magistraten des Piräus; doch wird diese Ausnahme gegenüber diesen Männern nicht mehr aufrechterhalten, wenn sie Rechenschaft ablegen“(2 ). In der Verfassung von Athen berichtet Aristoteles so von dem ausdrücklichen Willen zu politischer Versöhnung, der die Wiederherstellung der Demokratie in Athen im Jahr 403 v. Chr. nach der Tyrannis der Dreißig begleitete. Der Inhalt dieser Amnestie(3 ) wies eine große institutionelle Reichweite auf. Um den zivilen Frieden wiederherzustellen, riefen die wieder an die Macht gelangten Demokraten eine allgemeine Amnestie aus, die für alle Taten galt, die unter der Oligarchenherrschaft begangen wurden, mit Ausnahme bestimmter politischer Verantwortlicher (der Dreißig, der Zehnmänner, der Elfmänner und der Regierenden des Piräus). Letztere konnten allerdings amnestiert werden, wenn sie sich dem Rechenschaftsverfahren (euthynai) unterwarfen.
2. Die Situation, die diese Amnestie aufzeigt, bringt die rechtliche Problematik der modernen Amnestien bereits auf den Punkt(4 ). Sie zeigt den Mechanismus des Vergessens auf, der sowohl auf individueller als auch kollektiver Ebene ermöglicht, die Wunden zu heilen und nach vorne zu blicken. Es handelt sich um ein willentliches Vergessen, eine institutionelle Ablehnung des Grolls, als Mittel der gesellschaftlichen Versöhnung(5 ). Es bleibt jedoch die Kernfrage: Wie lassen sich die Gebote des Friedens und der Gerechtigkeit in Einklang bringen(6 )? Mit anderen Worten, gebietet das Erfordernis der Gerechtigkeit Grenzen für das Streben nach gesellschaftlicher Eintracht(7 )? Das Beispiel von Athen zeigt, dass ein möglicher Weg darin besteht, die Amnestie mit einer vorherigen Kontrolle zu kombinieren. Wenngleich es sich um eine allgemeine Amnestie handelte, galt sie für die früheren Führungspersonen nur unter der Bedingung, dass sie sich dem Rechenschaftsverfahren (euthynai ) unterwarfen, womit gesellschaftliche Versöhnung und individuelle Haftung in Einklang gebracht wurden. Fast zweieinhalb Jahrtausende nach der Amnestie, die 403 v. Chr. nach dem Ende der Tyrannis der Dreißig in Athen gewährt wurde, bleiben die sowohl ethischen als auch rein rechtlichen Dilemmata der Suche nach einem Ausgleich zwischen dem Erfordernis der Gerechtigkeit und der Notwendigkeit der Versöhnung ein konstantes Problem, auch bei den Amnestien der Moderne, gleich in welcher Epoche oder welchem politischen Kontext.
3. Darüber hinaus veranschaulicht die schmerzhafte Nachkriegszeit und ihre Reihe von Amnestiegesetzen verschiedene Fälle. Nehmen wir zunächst als besonders aufschlussreiches Beispiel das Massaker von Oradour-sur-Glane, ein Kriegsverbrechen, das u. a. von den elsässischen Rekruten begangen worden war(8 ). Sodann sind die Verbrechen und Vergehen zu erwähnen, die während des Konflikts von Kollaborateuren begangen wurden, die Aktionen der Résistance, aber auch die Verbrechen, die unmittelbar nach dem Konflikt, während der sog. „‚wilden‘ Säuberung“ begangen wurden(9 ).
4. Schließlich sind die Amnestiegesetze zu erwähnen, die sich auf Verbrechen beziehen, die in Algerien begangen wurden(10 ). Selbstverständlich stünde der traditionelle, (zu sehr?) auf die Befriedung bedachte Ansatz gegenwärtig, jedenfalls was besonders schwerwiegende Verbrechen anbelangt, mit den Menschenrechten nicht mehr im Einklang(11 ).
5. Diese Problematik steht im Zentrum der vorliegenden Rechtssache. Am 10. Juni 2024 erließen die Cortes Generales (spanisches Parlament) die Ley Orgánica 1/2024 de amnistía para la normalización institucional, política y social en Cataluña (Organgesetz 1/2024 über die Amnestie zum Zwecke der institutionellen, politischen und sozialen Normalisierung in Katalonien, im Folgenden: LOA)(12 ). Der sachliche und zeitliche Anwendungsbereich der LOA umfasst die Handlungen, die die strafrechtliche oder administrative Haftung oder die Haftung wegen Haushaltsuntreue begründen und die im Rahmen des Referendums über die Unabhängigkeit Kataloniens sowie im Kontext des katalanischen Unabhängigkeitsprozesses begangen wurden.
6. Die LOA hat – dies lässt sich nicht abstreiten – eine tiefgreifende und virulente Debatte in politischen Kreisen, den Institutionen, dem Justizsystem, der akademischen Welt und – umfassender – der spanischen Gesellschaft ausgelöst.
7. Aus rechtlicher Sicht wurde die Frage der Rechtmäßigkeit der LOA jüngst mittels einer Verfassungsbeschwerde dem Tribunal Constitucional (Verfassungsgerichtshof, Spanien) vorgelegt. Mit Ausnahme zweier Bestimmungen hat dieses sie für mit der Constitución española (spanische Verfassung, im Folgenden: Verfassung)(13 ) vereinbar erklärt, und zwar mit Urteil vom 26. Juni 2025(14 ).
8. In der vorliegenden Rechtssache wird der Gerichtshof ersucht, sich zur Vereinbarkeit der LOA, die Straftaten mit Bezug zum Terrorismus erfasst, mit dem Primärrecht, dem Sekundärrecht und den allgemeinen Rechtsgrundsätzen des Unionsrechts zu äußern. Insbesondere wurde das Vorabentscheidungsersuchen der Audiencia Nacional (Nationaler Gerichtshof, Spanien) im Rahmen eines Strafverfahrens gegen zwölf Personen gestellt, die wegen Handlungen, die terroristische Straftaten darstellen(15 ), im Kontext der Bewegung zugunsten der Unabhängigkeit Kataloniens strafrechtlich verfolgt werden. Es betrifft die Auslegung erstens der Richtlinie (EU) 2017/541 zur Terrorismusbekämpfung(16 ), zweitens von Art. 20 Abs. 2 und von Art. 21 Abs. 1 AEUV sowie von Art. 4 Abs. 2 und 3 EUV, drittens der Art. 20 und 21 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) und viertens der Grundsätze des Vertrauensschutzes, der Rechtssicherheit und des Vorrangs des Unionsrechts.
9. Die Rechtssache wirft somit eine neue Frage von großer Bedeutung auf: Welchen Umfang und welche Intensität sollte die Kontrolle durch den Gerichtshof haben, wenn ein nationales Amnestiegesetz geeignet ist, zum einen die Effektivität einer Richtlinie, die ein Mindestmaß an Harmonisierung bei der Bekämpfung des Terrorismus festlegt, zu beeinträchtigen, und zum anderen gegen primärrechtliche Leitgrundsätze zu verstoßen?
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Charta
10. Art. 20 der Charta bestimmt: „Alle Personen sind vor dem Gesetz gleich.“
11. Art. 21 der Charta sieht Folgendes vor:
„(1) Diskriminierungen insbesondere wegen des Geschlechts, der Rasse, der Hautfarbe, der ethnischen oder sozialen Herkunft, der genetischen Merkmale, der Sprache, der Religion oder der Weltanschauung, der politischen oder sonstigen Anschauung, der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, des Vermögens, der Geburt, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung sind verboten.
(2) Unbeschadet besonderer Bestimmungen der Verträge ist in ihrem Anwendungsbereich jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit verboten.“
Richtlinie 2017/541
12. In den Erwägungsgründen 2, 8, 34, 35 und 39 der Richtlinie 2017/541 heißt es:
„(2) Terroristische Handlungen zählen zu den schwersten Verstößen gegen die universellen Werte der Menschenwürde, der Freiheit, der Gleichheit und der Solidarität sowie der Achtung der Menschenrechte und der Grundfreiheiten, auf die sich die Union gründet. Sie stellen zudem einen der schwersten Angriffe auf die Grundsätze der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit dar, die allen Mitgliedstaaten gemein sind und die der Union zugrunde liegen.
…
(8) Diese Richtlinie enthält eine erschöpfende Auflistung von schweren Straftaten, beispielsweise Angriffe auf das Leben einer Person, die als vorsätzliche Handlungen für eine Einstufung als terroristische Straftaten infrage kommen, sofern und soweit sie mit einem konkreten terroristischen Ziel begangen werden, nämlich die Bevölkerung auf schwerwiegende Weise einzuschüchtern, öffentliche Stellen oder eine internationale Organisation rechtswidrig zu einem Tun oder Unterlassen zu zwingen oder die politischen, verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Grundstrukturen eines Landes oder einer internationalen Organisation ernsthaft zu destabilisieren oder zu zerstören. Auch die Drohung, solche vorsätzlichen Handlungen zu begehen, sollte als terroristische Straftat gelten, wenn sich objektiv feststellen lässt, dass diese Drohung mit einer derartigen terroristischen Zielrichtung erfolgte. Hingegen gelten Handlungen, mit denen öffentliche Stellen beispielsweise zu einem Tun oder Unterlassen gezwungen werden sollen, die aber nicht in der erschöpfenden Auflistung schwerer Straftaten aufgeführt sind, nicht als terroristische Straftaten im Sinne dieser Richtlinie.
…
(34) Da die Ziele dieser Richtlinie von den Mitgliedstaaten nicht ausreichend verwirklicht werden können, sondern vielmehr aufgrund der erforderlichen Rechtsangleichung in der Union auf Unionsebene besser zu verwirklichen sind, kann die Union im Einklang mit dem in Artikel 5 [EUV] verankerten Subsidiaritätsprinzip tätig werden. Entsprechend dem in demselben Artikel genannten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geht diese Richtlinie nicht über das für die Verwirklichung dieser Ziele erforderliche Maß hinaus.
(35) Diese Richtlinie steht im Einklang mit den Grundsätzen, die mit Artikel 2 EUV anerkannt wurden, achtet die Grundrechte und Grundfreiheiten und wahrt die Grundsätze, die insbesondere mit der Charta anerkannt wurden, einschließlich derjenigen, die in den Titeln II, III, V und VI der Charta verankert sind … Die vorliegende Richtlinie muss im Einklang mit diesen Rechten und Grundsätzen umgesetzt werden, wobei auch die Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten(17 ), der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte(18 ) und andere völkerrechtliche Menschenrechtsverpflichtungen zu berücksichtigen sind.
…
(39) Die Umsetzung der nach dieser Richtlinie erlassenen strafrechtlichen Maßnahmen sollte im Hinblick auf die rechtmäßigen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendigen Ziele in einem angemessenen Verhältnis zu der Art der Straftat und den Tatumständen stehen und jede Form von Willkür, Rassismus oder Diskriminierung ausschließen.“
13. Art. 1 („Gegenstand“) dieser Richtlinie lautet:
„Diese Richtlinie enthält Mindestvorschriften für die Definition von Straftatbeständen und die Festlegung von Sanktionen auf dem Gebiet von terroristischen Straftaten, Straftaten im Zusammenhang mit einer terroristischen Vereinigung und Straftaten im Zusammenhang mit terroristischen Aktivitäten sowie Maßnahmen zum Schutz, zur Unterstützung und zur Hilfe der Opfer des Terrorismus.“
14. Art. 2 („Begriffsbestimmungen“) dieser Richtlinie sieht vor:
„Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck:
…
3. ‚terroristische Vereinigung‘: einen auf längere Dauer angelegten organisierten Zusammenschluss von mehr als zwei Personen, die zusammenwirken, um terroristische Straftaten zu begehen; der Begriff ‚organisierter Zusammenschluss‘ bezeichnet einen Zusammenschluss, der nicht nur zufällig zur unmittelbaren Begehung einer strafbaren Handlung gebildet wird und der nicht notwendigerweise förmlich festgelegte Rollen für seine Mitglieder, eine kontinuierliche Zusammensetzung oder eine ausgeprägte Struktur hat.“
15. Art. 3 („Terroristische Straftaten“) der Richtlinie 2017/541 sieht vor:
„(1) Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass die folgenden vorsätzlichen Handlungen entsprechend ihrer Definition als Straftaten nach den nationalen Rechtsvorschriften, die durch die Art ihrer Begehung oder den jeweiligen Kontext ein Land oder eine internationale Organisation ernsthaft schädigen können, als terroristische Straftaten eingestuft werden, wenn sie mit einem der in Absatz 2 aufgeführten Ziele begangen werden:
…
d) schwerwiegende Zerstörungen an einer Regierungseinrichtung oder einer öffentlichen Einrichtung, einem Verkehrsmittel, einer Infrastruktur einschließlich eines Informatiksystems, an einer festen Plattform, die sich auf dem Festlandsockel befindet, einem allgemein zugänglichen Ort oder einem Privateigentum, die Menschenleben gefährden oder zu erheblichen wirtschaftlichen Verlusten führen können;
…
f) Herstellung, Besitz, Erwerb, Beförderung, Bereitstellung oder Verwendung von Sprengstoffen oder Waffen, einschließlich chemischen, biologischen, radiologischen oder atomaren Waffen[,] sowie die Forschung und Entwicklung im Zusammenhang mit chemischen, biologischen, radiologischen oder atomaren Waffen;
…
(2) Die in Absatz 1 genannten Ziele bestehen darin,
a) die Bevölkerung auf schwerwiegende Weise einzuschüchtern;
b) öffentliche Stellen oder eine internationale Organisation rechtswidrig zu einem Tun oder Unterlassen zu zwingen;
c) die politischen, verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Grundstrukturen eines Landes oder einer internationalen Organisation ernsthaft zu destabilisieren oder zu zerstören.“
16. Art. 4 („Straftaten im Zusammenhang mit einer terroristischen Vereinigung“) dieser Richtlinie bestimmt:
„Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass die folgenden vorsätzlichen Handlungen als Straftat geahndet werden können:
a) Anführen einer terroristischen Vereinigung;
b) Beteiligung an den Handlungen einer terroristischen Vereinigung einschließlich Bereitstellung von Informationen oder materiellen Mitteln oder durch jegliche Art der Finanzierung ihrer Tätigkeit in dem Wissen, dass diese Beteiligung zu den strafbaren Handlungen der terroristischen Vereinigung beiträgt.“
17. Art. 13 („Bezug zu terroristischen Straftaten“) der Richtlinie 2017/541 lautet:
„Für die Strafbarkeit einer Straftat nach Artikel 4 oder Titel III ist es weder erforderlich, dass tatsächlich eine terroristische Straftat begangen wird, noch ist es erforderlich, soweit es um die in den Artikeln 5 bis 10 und 12 genannten Straftaten geht, dass eine Verbindung zu einer anderen konkreten in dieser Richtlinie festgelegten Straftat hergestellt wird.“
18. Art. 14 („Beihilfe, Anstiftung und Versuch“) Abs. 3 dieser Richtlinie sieht vor:
„Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass der Versuch der Begehung einer Straftat nach den Artikeln 3, 6, 7, Artikel 9 Absatz 1, Artikel 9 Absatz 2 Buchstabe a und den Artikeln 11 und 12, mit Ausnahme des Besitzes nach Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe f und der Straftat nach Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe j, strafbar ist.“
19. Art. 15 („Strafen gegen natürliche Personen“) Abs. 1 dieser Richtlinie bestimmt:
„Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass die Straftaten nach den Artikeln 3 bis 12 und 14 mit wirksamen, angemessenen und abschreckenden Strafen bedroht sind, die zu einer Übergabe oder Auslieferung führen können.“
Spanisches Recht
20. In Spanien wurde die Richtlinie 2017/541 durch die Ley Orgánica 1/2019 por la que se modifica la Ley Orgánica 10/1995, de 23 de noviembre, del Código Penal, para trasponer Directivas de la Unión Europea en los ámbitos financiero y de terrorismo, y abordar cuestiones de índole internacional (Organgesetz 1/2019 zur Änderung des Organgesetzes 10/1995 vom 23. November über das Strafgesetzbuch, zur Umsetzung der Richtlinien der Europäischen Union in den Bereichen Finanzvorschriften und Terrorismus und zur Behandlung bestimmter völkerrechtlicher Fragen, im Folgenden: Organgesetz 1/2019)(19 ) vom 20. Februar 2019, die am 13. März 2019 in Kraft getreten ist, umgesetzt.
21. Die einzigen durch das Organgesetz 1/2019 geänderten Bestimmungen, auf die sich das Vorabentscheidungsersuchen bezieht, sind die Art. 572 und Art. 573 Abs. 1 der Ley Orgánica 10/1995, del Código Penal (Organgesetz 10/1995 über das Strafgesetzbuch) vom 23. November 1995 (im Folgenden: Strafgesetzbuch)(20 ).
Strafgesetzbuch
22. Art. 16 Abs. 1 des Strafgesetzbuchs sieht vor:
„Ein Versuch liegt vor, wenn der Täter unmittelbar durch äußere Handlungen mit der Ausführung der Straftat beginnt, indem er alle oder einen Teil der Handlungen, die objektiv den Erfolg herbeiführen sollen, vornimmt, der Erfolg jedoch aus nicht vom Willen des Täters abhängenden Gründen nicht eintritt.“
23. Art. 62 des Strafgesetzbuchs lautet:
„Täter einer versuchten Straftat sind, soweit das Gericht dies unter Berücksichtigung der vom Versuch ausgehenden Gefahr und des erreichten Ausführungsgrades für angemessen hält, zu einer Strafe zu verurteilen, die ein oder zwei Stufen unter der gesetzlich für die vollendete Straftat vorgesehenen Strafe liegt.“
24. Art. 346 des Strafgesetzbuchs bestimmt:
„1. Wer durch das Herbeiführen von Explosionen oder durch den Einsatz anderer Mittel mit ähnlicher Zerstörungskraft die Zerstörung von Flughäfen, Häfen, Bahnhöfen, Gebäuden, öffentlichen Räumen, Lagerstätten mit brennbaren oder explosiven Stoffen, Kommunikationswegen, öffentlichen Verkehrsmitteln, das Sinken oder Stranden eines Schiffs, eine Überschwemmung, die Explosion eines Bergwerks oder einer Industrieanlage, die Unbrauchbarkeit der Schienen von Eisenbahngleisen, böswillige Änderungen an den zur Sicherheit des Transportmittels beim Betrieb der Gleise verwendeten Signale, die Sprengung einer Brücke, die Zerstörung einer öffentlichen Straßenfläche, die Beschädigung einer Ölpipeline, eine schwerwiegende Störung jeder Art von Kommunikation oder Kommunikationsmitteln, die Störung oder Unterbrechung der Versorgung mit Wasser, Elektrizität, Kohlenwasserstoffen oder anderen grundlegenden natürlichen Ressourcen verursacht, wird mit Freiheitsstrafe zwischen zehn und zwanzig Jahren bestraft, wenn die Zerstörung zwangsläufig eine Gefahr für das Leben oder die Unversehrtheit von Personen mit sich bringt.
2. Entsteht keine solche Gefahr, ist die Strafe Freiheitsstrafe zwischen vier und acht Jahren.
3. Ist außer der Gefahr eine Verletzung von Leben, körperlicher Unversehrtheit oder Gesundheit von Personen verursacht worden, so sind diese Handlungen gesondert mit der Strafe für die begangene Straftat zu ahnden.“
25. Art. 571 des Strafgesetzbuchs sieht vor:
„Für die Zwecke dieses Gesetzbuches sind terroristische Organisationen oder Vereinigungen Zusammenschlüsse, die die in Art. 570bis Abs. 1 Unterabs. 2 bzw. Art. 570ter Abs. 1 Unterabs. 2 genannten Merkmale aufweisen und die Begehung einer der im folgenden Abschnitt definierten Straftaten bezwecken oder zum Gegenstand haben.“
26. In Art. 572 des Strafgesetzbuchs heißt es:
„1. Wer eine terroristische Organisation oder Vereinigung fördert, gründet, organisiert oder anführt, wird mit einer Freiheitsstrafe von acht bis fünfzehn Jahren und für die Dauer der verhängten Strafe mit dem Verlust von Amtsfähigkeit und Wählbarkeit bestraft.
2. Wer sich aktiv an der Organisation oder Vereinigung beteiligt oder ihr angehört, wird mit Freiheitsstrafe von sechs bis zwölf Jahren und mit dem Verlust von Amtsfähigkeit und Wählbarkeit während der Dauer der Strafe bestraft.“
27. Art. 573 des Strafgesetzbuchs bestimmt:
„1. Terroristische Straftaten sind schwere Straftaten gegen das Leben oder die körperliche Unversehrtheit, gegen die Freiheit, die seelische Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung und Unversehrtheit, das Vermögen, die natürlichen Ressourcen oder die Umwelt, die öffentliche Gesundheit, das Verursachen einer Katastrophengefahr, Brandstiftung, Urkundenfälschung, Straftaten gegen die Krone, Verübung von Anschlägen sowie Besitz, Handel und Lagerung von Waffen, Munition oder Sprengstoffen, die in diesem Gesetzbuch vorgesehen sind, und das Kapern von Luft- und Wasserfahrzeugen oder anderen öffentlichen Verkehrsmitteln oder Gütertransportmitteln, wenn sie zu einem der folgenden Ziele erfolgen:
1) Untergrabung der verfassungsmäßigen Ordnung, Unterbindung oder schwere Destabilisierung der Tätigkeit der politischen Institutionen oder der Wirtschafts- oder Sozialstruktur des Staates oder Erzwingen der Vornahme oder Unterlassung einer Handlung öffentlicher Stellen;
2) schwere Störung des öffentlichen Friedens;
3) schwere Destabilisierung der Tätigkeit einer internationalen Organisation;
4) Herbeiführung eines Zustands des Schreckens bei der Bevölkerung oder Teilen von dieser.
2. Die in den Artikeln 197bis und 197ter sowie in Artikel 264 bis 264quater definierten Computerstraftaten sind ebenfalls terroristische Straftaten, wenn die Handlungen zu einem der im vorstehenden Absatz genannten Zwecke begangen werden.
3. Auch alle übrigen in diesem Kapitel definierten Straftaten sind terroristische Straftaten.“
28. Art. 573bis des Strafgesetzbuchs bestimmt:
„1. Die in Absatz 1 des vorstehenden Artikels genannten terroristischen Straftaten werden mit folgenden Strafen geahndet:
…
3) Mit Freiheitsstrafe von fünfzehn bis zwanzig Jahren, wenn eine Fehlgeburt im Sinne von Artikel 144 verursacht oder eine Körperverletzung im Sinne von Artikel 149, 150, 157 oder 158, die Entführung einer Person oder eine Zerstörung oder Brandstiftung im Sinne von Artikel 346 bzw. 351 verwirklicht worden sind.“
29. In Art. 574 Abs. 1 des Strafgesetzbuchs heißt es:
„Mit Freiheitsstrafe von acht bis fünfzehn Jahren werden die Lagerung von Waffen oder Munition, der Besitz oder die Lagerung von explosiven, entzündlichen, brandgefährlichen oder Erstickung hervorrufenden Stoffen oder Vorrichtungen oder deren Bestandteilen sowie ihre Herstellung, der Handel mit ihnen, die Beförderung oder die Lieferung dieser Stoffe oder Vorrichtungen in jeglicher Form sowie das bloße Anbringen oder die Verwendung dieser Stoffe oder der entsprechenden Mittel oder Vorrichtungen bestraft, wenn die Handlungen zu einem der in Artikel 573 Absatz 1 genannten Zwecke begangen worden sind.“
Die LOA
30. In der Präambel der LOA heißt es u. a.:
„I [Abs. 1]
Die Amnestie ist eine Rechtsfigur, die darauf abzielt, Ausnahmen von der Anwendung von uneingeschränkt geltenden Vorschriften festzulegen, wenn die Handlungen, die zu Straftaten erklärt oder als Straftatbestände definiert worden sind oder die irgendeine andere Art der Haftung begründen, in einem bestimmten Kontext stattgefunden haben.
…
V [Abs. 8, 9 und 13]
Die Verhältnismäßigkeit des Gesetzes ergibt sich aus der Spezifizierung der Liste der Handlungen, die als unter die Amnestie fallende Straftaten und Verhaltensweisen erklärt oder definiert wurden, und ihrer notwendigen Verbindung mit den Handlungen, die in einem durch das Gesetz begrenzten Zeitraum vorgenommen wurden. Damit wird eine allgemeine und ungenaue Bezugnahme vermieden und verhindert, dass die Amnestie auch andere Arten von Handlungen erfasst, die nicht unmittelbar mit dem Unabhängigkeitsprozess und seinen Folgen zusammenhängen und deren Straffreiheit nicht von der Rechtsgrundlage dieser Maßnahme umfasst wäre.
All dies steht im Zusammenhang mit dem Grundsatz der Angemessenheit und dem Zweck der Vorschrift, verbunden mit der Verpflichtung, die Voraussetzungen zu schaffen, die es ermöglichen, die Freiheit und Gleichheit des Individuums und der Gruppen, denen es angehört, zu verwirklichen und wirksam zu gestalten, Hindernisse zu beseitigen, die seine Entfaltung hindern oder stören und die Teilhabe aller Bürger am politischen, wirtschaftlichen, kulturellen und gesellschaftlichen Leben zu erleichtern, die sich aus Art. 9 der Verfassung ergibt und sich an alle öffentlichen Gewalten, insbesondere aber an den Gesetzgeber richtet …
…
Im Ergebnis zielt dieses Gesetz darauf ab, Rechtssicherheit, die Achtung des Legalitätsprinzips und einen Rechtsrahmen für den unparteiischen Schutz der Grundrechte zu bewirken und dabei die Empfehlungen der [Europäischen Kommission für Demokratie durch Recht(21 )] zu berücksichtigen, die in ihrem Gutachten aus dem Jahr 2013[(22 )] betont hat, wie wichtig es ist, bei der Umsetzung der Amnestie eine klare Unterscheidung zwischen der gesetzgebenden und der richterlichen Gewalt beizubehalten und die Achtung der richterlichen Autonomie und der demokratischen Grundsätze zu gewährleisten.
VI [Abs. 4, 8 und 9]
Dieser Ansatz, der in jedem Fall abstrakt ist, da er in keinem Fall bewertet, ob ein Sachverhalt vorliegt, der unter eine dieser Ausnahmen fallen könnte, ist gemäß den Ausführungen der Venedig-Kommission des Europarats in ihrem auf der 94. Plenartagung angenommenen Gutachten vom 11. März 2013 unerlässlich. Es ist also Sache der gesetzgebenden Gewalt, die Kriterien für die Anwendung der Amnestie festzulegen, und es ist Sache der rechtsprechenden Gewalt, die Personen zu bestimmen, die in den vom Gesetzgeber festgelegten Anwendungsbereich fallen.
…
Ein Beispiel [für den oben genannten Ausgleich zwischen Amnestie und Achtung der Menschenrechte sowie der völkerrechtlichen Verpflichtungen Spaniens] ist der Verweis auf die Handlungen, die in Art. 3 der Richtlinie [2017/541] genannt sind, bzw. auf Art. 3 [EMRK], der die Folter und unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe verbietet, die eine absolute Grenze darstellen. Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass nicht jede entwürdigende Handlung unter dieses Verbot fällt, da die Handlung nicht nur rechtswidrig sein, sondern auch ein Mindestmaß an Schwere erreichen muss. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte[(23 )] gilt in der Regel eine Handlung erst dann als erniedrigend im Sinne von Art. 3 [EMRK], wenn der verursachte körperliche Schaden oder das vom Opfer erlittene Leid eine gewisse Intensität aufweist oder jedenfalls in der Lage ist, den moralischen oder körperlichen Widerstand einer Person zu brechen. Für Ausschlüsse von der Anwendbarkeit dieses Gesetzes wird ein restriktives Kriterium gewählt, weil bestimmte Verhaltensweisen zu einer Verwechslung mit anderen Straftaten führen könnten, insbesondere bei manchen der unter Titel XXII Kapitel VII des 2. Buches des Strafgesetzbuchs fallenden Handlungen.
Gemäß den Leitlinien der Venedig-Kommission wurden die Taten, die amnestiert werden können, präzise und detailliert festgelegt, um die Rechtssicherheit und die Gleichheit vor dem Gesetz zu gewährleisten. …“
31. Art. 1 („Sachlicher Anwendungsbereich“) LOA bestimmt:
„1. Amnestiert werden die folgenden Handlungen, die eine strafrechtliche Haftung, eine administrative Haftung oder eine Haftung wegen Haushaltsuntreue begründen und im Rahmen der am 9. November 2014 und am 1. Oktober 2017 in Katalonien abgehaltenen Befragungen, ihrer Vorbereitung oder ihrer Folgen vorgenommen wurden, sofern sie zwischen dem 1. November 2011 und dem 13. November 2023 vorgenommen wurden, sowie die folgenden Handlungen, die zwischen diesen Daten im Rahmen des sogenannten katalanischen Unabhängigkeitsprozesses vorgenommen wurden, auch wenn sie nicht mit den genannten Befragungen im Zusammenhang stehen oder nach deren jeweiliger Durchführung vorgenommen wurden:
a) Handlungen, die in der Absicht begangen wurden, die Abspaltung oder Unabhängigkeit Kataloniens zu fordern, zu fördern oder herbeizuführen, sowie Handlungen, die zur Erreichung dieser Ziele beigetragen haben.
…
b) Handlungen, die von Personen, die dazu nicht befugt waren, in der Absicht vorgenommen wurden, die Befragungen, die am 9. November 2014 und am 1. Oktober 2017 in Katalonien stattfanden, einzuberufen, zu fördern oder zu veranlassen, oder deren Einberufung oder Durchführung für rechtswidrig erklärt wurde, sowie Handlungen, die zu ihrem Zustandekommen beigetragen haben.
…
c) alle Arten von Handlungen des Ungehorsams, öffentliche Unruhen, Angriffe auf die Staatsgewalt, ihre Vertreter und Beamte oder Widerstand mit dem Ziel, die Durchführung der Volksbefragungen im Sinne von Buchst. b dieses Absatzes oder deren Folgen zu ermöglichen, sowie alle sonstigen Handlungen, die die Tatbestandsmerkmale einer Straftat erfüllen und in derselben Absicht ausgeführt wurden.
…
d) Handlungen des Ungehorsams, gleich welcher Art, öffentliche Unruhen, Anschläge auf Behörden, deren Vertreter und öffentliche Beamte, Widerstand [gegen die Staatsgewalt] oder sonstige Handlungen gegen die öffentliche Ordnung und den öffentlichen Frieden, die in der Absicht begangen wurden, Unterstützung für die in den vorstehenden Buchstaben beschriebenen Ziele oder Personen, die wegen der Ausführung einer der in diesem Artikel genannten Straftaten angeklagt oder verurteilt wurden, auszudrücken.
e) Handlungen im Verlauf polizeilicher Maßnahmen, die darauf abzielten, die Begehung der von diesem Artikel erfassten Handlungen, die eine strafrechtliche oder administrative Haftung begründen, zu behindern oder zu verhindern.
f) Handlungen, die in der Absicht begangen wurden, eine der in den vorstehenden Absätzen dieses Artikels genannten Handlungen, die eine strafrechtliche Haftung, eine administrative Haftung oder eine Haftung wegen Haushaltsuntreue nach sich ziehen, zu fördern, zu veranlassen oder zu erleichtern, sowie alle sonstigen Handlungen, die in einem sachlichen Zusammenhang mit solchen Handlungen stehen.
2. Die nach Abs. 1 amnestierten Handlungen, die eine strafrechtliche Haftung, eine administrative Haftung oder eine Haftung wegen Haushaltsuntreue begründen, werden unabhängig von ihrem Ausführungsgrad amnestiert und umfassen auch vorbereitende Handlungen und jede Form der Täterschaft oder Teilnahme.
3. Handlungen, mit deren Ausführung vor dem 1. November 2011 begonnen wurde, fallen nur dann in den Anwendungsbereich dieses Gesetzes, wenn ihre Ausführung nach diesem Zeitpunkt abgeschlossen wurde.
Handlungen, mit deren Ausführung vor dem 13. November 2023 begonnen wurde, gelten auch dann als in den Anwendungsbereich dieses Gesetzes fallend, wenn ihre Ausführung nach diesem Zeitpunkt abgeschlossen wurde.
4. Die Verwendung öffentlicher Mittel für die in den Buchst. a und b genannten Zwecke gilt nicht als Bereicherung, wenn sie unabhängig von ihrer Rechtmäßigkeit nicht der Erzielung eines persönlichen finanziellen Vorteils diente.“
32. Art. 2 („Ausschlüsse“) LOA sieht vor:
„Von der Anwendung der in Art. 1 vorgesehenen Amnestie sind in jedem Fall ausgeschlossen:
a) Vorsätzliche Handlungen gegen Personen, die den Tod einer Person, eine Fehlgeburt oder Verletzung des Fötus, den Verlust oder Ausfall von Organen oder Gliedmaßen, den Verlust oder Ausfall von Sinnesorganen, Impotenz, Sterilität oder schwere Missbildungen zur Folge haben.
b) Handlungen, die als Straftaten der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung im Sinne von Artikel 3 [EMRK] definiert sind, ausgenommen Behandlungen, die ein Mindestmaß an Schwere nicht überschreiten, weil sie nicht geeignet sind, eine Person zu demütigen oder zu erniedrigen, eine Beeinträchtigung ihrer Menschenwürde auszudrücken oder Angst, Bedrängnis oder das Gefühl der Unterlegenheit in einer Weise hervorzurufen, die ihren moralischen und körperlichen Widerstand brechen kann.
c) Handlungen, die aufgrund ihres Zwecks als Terrorismus im Sinne der Richtlinie [2017/541] eingeordnet werden können und die ihrerseits vorsätzlich schwere Verletzungen von Menschenrechten, insbesondere den in den Artikeln 2 und 3 [EMRK] sowie dem humanitären Völkerrecht verankerten Menschenrechten, verursacht haben.
d) Als Straftaten definierte Handlungen, bei denen rassistische, antisemitische oder antiziganische Beweggründe oder andere Formen der Diskriminierung aus Gründen der Religion oder der Überzeugungen des Opfers, seiner Ethnie oder Rasse, seines Geschlechts, seines Alters, seiner sexuellen Ausrichtung oder geschlechtlichen Identität, Diskriminierungen aus geschlechterbezogenen Motiven, infolge von Aporophobie oder sozialer Ausgrenzung, einer Krankheit oder Behinderung festgestellt wurden, unabhängig davon, ob diese Bedingungen oder Umstände bei der von dem Verhalten betroffenen Person tatsächlich bestanden oder nicht.
e) Handlungen, die die Tatbestandsmerkmale einer Straftat zum Nachteil der finanziellen Interessen der Europäischen Union erfüllen.
f) Handlungen, die in Titel XXIII des 2. Buches des Strafgesetzbuchs als Straftaten des Hochverrats, gegen den Frieden, die Unabhängigkeit des Staates oder die nationale Verteidigung definiert sind, vorausgesetzt, dass sowohl eine tatsächliche und reale Bedrohung als auch eine tatsächliche Gewaltanwendung gegen die territoriale Integrität oder die politische Unabhängigkeit Spaniens im Sinne der Charta der Vereinten Nationen oder der Resolution 2625 (XXV) der Generalversammlung der Vereinten Nationen vom 24. Oktober 1970, die die Erklärung über Grundsätze des Völkerrechts betreffend freundschaftliche Beziehungen und Zusammenarbeit zwischen den Staaten im Einklang mit der Charta der Vereinten Nationen enthält, vorgelegen hat.
g) Handlungen, die gemäß Titel XXIV des 2. Buches des Strafgesetzbuchs als Straftaten gegen die internationale Gemeinschaft definiert worden sind.“
33. Art. 4 („Auswirkungen auf die strafrechtliche Verantwortlichkeit“) LOA hat folgenden Wortlaut:
„Unbeschadet der Bestimmungen des Art. 163 der Verfassung und des Art. 267 [AEUV] gilt nach dem Inkrafttreten des vorliegenden Gesetzes:
a) Das Gerichtsorgan, bei dem ein Verfahren anhängig ist, ordnet die sofortige Freilassung der Amnestierten an, die sich in Haft befinden, gleichviel, ob es sich um Untersuchungshaft oder Strafhaft handelt.
Das Gerichtsorgan ordnet ferner die sofortige Aufhebung aller einstweiligen Maßnahmen persönlicher oder dinglicher Art an, die aufgrund von Handlungen oder Unterlassungen, die in den sachlichen Anwendungsbereich des vorliegenden Gesetzes fallen, angeordnet wurden; ausgenommen hiervon sind lediglich zivilrechtliche Maßnahmen nach Art. 8 Abs. 2.
b) Das befasste Gerichtsorgan setzt gegen Personen, die unter das vorliegende Gesetz fallen, ausgestellte nationale, Europäische und internationale Haftbefehle aus.
c) Die Aussetzung der Strafverfolgung, gleich aus welchem Grund, hindert nicht die Aufhebung einstweiliger Maßnahmen, die vor dem Inkrafttreten des vorliegenden Gesetzes angeordnet wurden und mit einer Entziehung der Ausübung der Grundrechte und der bürgerlichen Freiheitsrechte einhergehen.
d) Das befasste Gerichtsorgan beendet die Vollstreckung aller Freiheitsstrafen, Verwirkungen, Geldstrafen und Bußgelder, die als Haupt- oder Nebenstrafen verhängt wurden und ihren Ursprung in amnestierten Handlungen oder Unterlassungen haben.
e) Freiheitsstrafen, die ganz oder teilweise verbüßt wurden, können nicht im Rahmen anderer Strafverfahren angerechnet werden, wenn die Taten, wegen derer die verbüßte Strafe verhängt wurde, nach dem vorliegenden Gesetz amnestiert werden. Entsprechendes gilt für Zeiten der Untersuchungshaft, denen aufgrund des Inkrafttretens des vorliegenden Gesetzes keine Verurteilung folgt.
f) Einträge im Strafregister, die sich aus Verurteilungen wegen amnestierter Straftaten ergeben, werden gelöscht.“
34. In Art. 9 („Zuständigkeit für die Anwendung der Amnestie“) LOA heißt es:
„1. Die Amnestie wird auf Handlungen, die Straftaten darstellen, von den in Art. 11 dieses Gesetzes bezeichneten Gerichten von Amts wegen oder auf Antrag eines Beteiligten oder des Ministerio Fiscal [Staatsanwaltschaft, Spanien] und in jedem Fall nach Anhörung der Staatsanwaltschaft und der Beteiligten angewandt.
2. Die Amnestierung von Handlungen, die verwaltungsrechtliche Verstöße darstellen oder eine Haftung wegen Haushaltsuntreue begründen, wird von den für die Einleitung, Behandlung und Entscheidung dieser diesen Handlungen entsprechenden Verfahren zuständigen Organe je nach Verfahrenslage nach Anhörung des Betroffenen angewandt.
3. Konkrete Handlungen, die die strafrechtliche Haftung, administrative Haftung oder Haftung wegen Haushaltsuntreue begründet, gelten erst dann als amnestiert, wenn eine solche Amnestierung nach den Bestimmungen des vorliegenden Gesetzes durch eine abschließende Entscheidung des zuständigen Organs festgestellt wurde.“
35. Art. 10 („Vorrangige und dringliche Verfahren“) LOA sieht vor:
„Für die Anwendung der Amnestie sind in jedem Einzelfall die in diesem Gesetz bestimmten Gerichts‑, Verwaltungs- oder Rechnungsprüfungsorgane zuständig, die unabhängig vom Stand des Verwaltungsverfahrens oder des Gerichts- oder Rechnungsprüfungsverfahrens vorrangig und dringlich die entsprechenden Entscheidungen im Einklang mit diesem Gesetz zu treffen haben.
Die Entscheidungen müssen innerhalb einer Frist von höchstens zwei Monaten ergehen, unbeschadet späterer Rechtsbehelfe, die keine aufschiebende Wirkung haben.“
36. Art. 11 („Verfahren in Strafsachen“) Abs. 1 LOA bestimmt:
„Die Gerichtsorgane wenden die Amnestie in jedem Stadium des Strafverfahrens an.“
Ausgangsverfahren, Vorlagefragen und Verfahren vor dem Gerichtshof
37. Die Staatsanwaltschaft verfasste gemäß Art. 650 der mit dem Real Decreto (Königlichem Dekret) vom 14. September 1882(24 ) genehmigten Ley de Enjuiciamiento Criminal (Strafprozessordnung) beim Juzgado Central de Instrucción no 6 de la Audiencia Nacional (Zentrales Ermittlungsgericht Nr. 6 des Nationalen Gerichtshofs, Spanien) eine vorläufige Anklageschrift, mit der sie die öffentliche Klage gegen zwölf Personen(25 ), gegen die ermittelt wurde, erhob. Insbesondere legt die Staatsanwaltschaft diesen zwölf verfolgten Personen Straftaten der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung zur Last(26 ). Ferner beschuldigt es acht von ihnen des Besitzes, der Lagerung und der Herstellung von Brand- oder Explosivstoffen bzw. ‑vorrichtungen oder Bestandteilen davon mit terroristischem Charakter sowie eines strafbaren Versuchs der terroristischen Zerstörung(27 ).
38. Darüber hinaus haben einige spanische Vereinigungen und Verbände(28 ) und die politische Partei VOX nach Art. 125 der Verfassung in ihrer Eigenschaft als strafrechtliche Popularklage ein Strafverfahren gegen dieselben Personen, gegen die ermittelt wurde, eingeleitet; ihnen wurden dieselben Straftaten vorgeworfen wie von der Staatsanwaltschaft, wenngleich die Popularklage höhere Strafen beantragt.
39. Insbesondere ergibt sich aus dem Vorabentscheidungsersuchen, dass den Angeklagten sowohl in der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft als auch in der Anklageschrift der strafrechtlichen Popularklage die Mitgliedschaft in den Comité[s] de Defensa de la República (Komitees zur Verteidigung der Republik) (im Folgenden: CDR) sowie dem Equipo de Respuesta Táctica (Team für taktische Erfordernisse) (im Folgenden: ERT) zur Last gelegt wird.
40. Der Staatsanwaltschaft zufolge haben die CDR in Katalonien im Rahmen einer geplanten und organisierten Strategie mit dem Ziel, die verfassungsmäßige Ordnung umzustürzen, zahlreiche Handlungen und Aktionen organisiert, von denen manche Straftaten darstellen. Diese Strategie komme in einer Weigerung, für politische und soziale Forderungen von den vom Rechtsstaat zur Verfügung gestellten legalen Mitteln Gebrauch zu machen, und einem direkten Aufruf zum Ungehorsam sowie zur Begehung von Taten, die Massenunruhen provozieren sollten, zum Ausdruck. Das Ziel soll es gewesen sein, vollendete Tatsachen zu schaffen, indem die Kontrolle über das Gebiet übernommen und strategische, wirtschaftliche und versorgungstechnische Sektoren angegriffen werden sollten.
41. Das ERT wird in der Anklageschrift als eine Zelle dargestellt, die aus verschiedenen CDR hervorgegangen ist, die sich aus den Angeklagten zusammensetzt und durch eine große Radikalität gekennzeichnet ist. Die Mitglieder würden einen extremen Aktivismus teilen, der darauf abziele, die Unabhängigkeit Kataloniens durch Rückgriff auf Gewalt „in ihrer stärksten Ausdrucksform“ zu erreichen, um die Institutionen zu zwingen, die Abspaltung Kataloniens vom Rest Spaniens de facto anzuerkennen. Sie hätten sich an einigen der gewaltsamsten Aktionen, die den CDR zugeschrieben werden, beteiligt, die insbesondere auf sensible Infrastrukturen abgezielt hätten, und in bestimmten Fällen auf Mitglieder der Sicherheitskräfte und ‑korps des Staates. Die Popularklage führt aus, dass das ERT Angriffe auf öffentliche Einrichtungen von höchster Bedeutung geführt habe, wie die Besetzung von Rathäusern und die – geplante – Besetzung des Parlaments von Katalonien.
42. Gemäß der Anklageschrift sollen die Angeklagten als Mitglieder des ERT ferner zur Gründung und Entwicklung von Koordinationszentren für die Aktionen der CDR beigetragen haben, in Wahrnehmung eines Auftrags, mit dem sie von einer katalanischen Einheit namens Centro Nacional de Inteligencia (Nationales Auskunftszentrum) betraut worden seien. Dieser Auftrag habe in Anbetracht der technischen und personellen Fähigkeiten der genannten Vereinigung darin bestanden, notwendige logistische Infrastruktur für eine Aktion bereitzustellen, bei der das Parlament von Katalonien besetzt und verteidigt werden sollte. Ihnen wird vorgeworfen, eine parallele, geheime und stabile terroristische Organisation mit dem Ziel gebildet zu haben, gewaltsame Aktionen oder Anschläge gegen bestimmte Ziele zu verüben, und zwar unter Verwendung von Sprengstoffen und/oder brandgefährlichen Substanzen, die in zwei geheimen, in zwei Privatwohnungen eingerichteten Labors hergestellt werden sollten.
43. Nach Abschluss des Ermittlungsverfahrens wurde die Rechtssache an das vorlegende Gericht abgegeben, das für das Zwischenverfahren und die mündliche Verhandlung zuständig ist.
44. Am 11. Juni 2024 trat die LOA in Kraft. Das vorlegende Gericht hegt Zweifel an der Anwendbarkeit dieses Gesetzes im vorliegenden Fall, insbesondere im Hinblick auf die Einbeziehung von Taten, die als terroristische Straftaten gemäß der Richtlinie 2017/541 eingestuft werden können, in den Anwendungsbereich der Amnestie.
45. Am 27. Juni 2024 führte das vorlegende Gericht eine Verhandlung zur Prüfung der Amnestie durch, die einwendungsweise geltend gemacht worden war und über die vor der Erörterung in der Sache zu entscheiden war. Die Angeklagten wiederholten ihren Antrag auf Anwendung der Amnestie. Die Staatsanwaltschaft unterstützte diesen Antrag, da sie der Ansicht war, dass die Amnestierung der verfahrensgegenständlichen Taten festzustellen sei, da die Amnestie von den Cortes Generales (spanisches Parlament) angenommen worden sei, ihr zeitlicher und sachlicher Anwendungsbereich die angeklagten Taten erfasse und der in Art. 2 Buchst. c LOA vorgesehene Ausschlussgrund nicht anwendbar sei. Die strafrechtliche Popularklage sprach sich gegen die Anwendung der LOA aus; sie machte insbesondere geltend, dass die LOA die Grundsätze der Gleichheit, der Effektivität und der Rechtssicherheit missachte.
46. Das vorlegende Gericht weist darauf hin, dass es gegenwärtig entscheiden müsse, ob es dem vorab erhobenen Einwand stattgebe oder, mit anderen Worten, ob es die Amnestie anwende oder nicht(29 ).
47. Unter diesen Umständen hat die Audiencia Nacional (Nationaler Gerichtshof) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
1. Ist die Richtlinie 2017/541 dahin auszulegen, dass sie einem nationalen Gesetz wie der LOA entgegensteht, das verhindert, dass Personen, die sich aktiv an den Handlungen einer terroristischen Vereinigung beteiligen, strafrechtlich verfolgt und gegebenenfalls bestraft werden, was zum Erlöschen ihrer strafrechtlichen Haftung führt?
2. Ist die Richtlinie 2017/541, insbesondere deren Art. 13, dahin auszulegen, dass sie einem nationalen Gesetz wie der LOA entgegensteht, das verhindert, dass Personen, die sich aktiv an den Handlungen einer terroristischen Vereinigung beteiligen, strafrechtlich verfolgt und gegebenenfalls bestraft werden, was zum Erlöschen ihrer strafrechtlichen Haftung führt, da es für die Strafbarkeit der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung eine zusätzliche Voraussetzung schafft, die darin besteht, dass tatsächlich und vorsätzlich schwere Verletzungen von Menschenrechten verursacht wurden?
3. Ist die Richtlinie 2017/541 dahin auszulegen, dass sie einem nationalen Gesetz wie der LOA entgegensteht, das innerhalb der terroristischen Straftaten und der Straftaten im Zusammenhang mit einer terroristischen Vereinigung im Sinne der genannten Richtlinie danach differenziert, ob tatsächlich und vorsätzlich schwere Menschenrechtsverletzungen verursacht wurden oder nicht, so dass diese Unterscheidung es ermöglicht, dass einige dieser terroristischen Straftaten oder Straftaten im Zusammenhang mit einer terroristischen Vereinigung von der strafrechtlichen Haftung ausgenommen bleiben?
4. Steht der in der Rechtsprechung des Gerichtshofs aufgestellte Grundsatz der Rechtssicherheit im Unionsrecht einer nationalen gesetzlichen Regelung wie der LOA entgegen, die die Ausnahme von der strafrechtlichen Haftung aufgrund der Amnestie zugunsten von Personen, die wegen Straftaten angeklagt sind, die unter die Richtlinie 2017/541 fallen, davon abhängig macht, dass der Täter nicht vorsätzlich schwere Menschenrechtsverletzungen, insbesondere solche an Rechten aus den Art. 2 und 3 EMRK und im Bereich des humanitären Völkerrechts, verursacht hat, ohne klarzustellen, welche Handlungen solche Verletzungen darstellen und wie gravierend sie mindestens sein müssen, um sie von der Amnestie auszuschließen? Hilfsweise: Sind die unionsrechtlichen Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit mit einer Regelung wie derjenigen in Art. 1 LOA unvereinbar, die ungenaue Abgrenzungen sowohl objektiver als auch subjektiver Art festlegt, um zu bestimmen, ob eine strafrechtliche Haftung erforderlich ist oder nicht?
5. Ist die Richtlinie 2017/541 dahin auszulegen, dass sie einem nationalen Gesetz wie der LOA entgegensteht, das verhindert, dass Personen, die Sprengstoffe zu terroristischen Zwecken herstellen, besitzen, erwerben, befördern, liefern oder verwenden, strafrechtlich verfolgt und gegebenenfalls bestraft werden, was zum Erlöschen ihrer strafrechtlichen Haftung führt?
6. Ist die Richtlinie 2017/541 dahin auszulegen, dass sie einem nationalen Gesetz wie der LOA entgegensteht, das verhindert, dass Personen strafrechtlich verfolgt und gegebenenfalls bestraft werden – was zum Erlöschen ihrer strafrechtlichen Haftung führt –, die mit terroristischen Zielen mit der Ausführung gewaltsamer Aktionen beginnen, indem sie Angriffsziele festlegen, die Gegenstand massiver Zerstörungen werden sollen, weil sie für eine der Ideologie der terroristischen Vereinigung entgegenstehende Haltung repräsentativ sind, und zu zerstörende öffentliche Gebäude überwachen oder fotografisch dokumentieren – konkret die Sitze der Staatsanwaltschaft, von Sicherheitskräften und ‑korps des Staates oder von Institutionen der autonomen Gemeinschaft oder Polizeifahrzeuge –, um die adäquate Ausführung des von der terroristischen Vereinigung aufgestellten gewaltsamen Plans zur erfolgreichen Durchführung dieser Zerstörungen zu gewährleisten?
7. Ist im Wege der Auslegung davon auszugehen, dass der in der Rechtsprechung des Gerichtshofs aufgestellte Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts und der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit nach Art. 4 Abs. 3 EUV einer nationalen gesetzlichen Regelung wie der LOA entgegenstehen, die Personen, die wegen Straftaten angeklagt sind, die unter die Richtlinie 2017/541 fallen, im Wege der Amnestie von der strafrechtlichen Haftung ausnimmt?
8. Ist bei der Auslegung davon auszugehen, dass die Art. 20 und 21 der Charta einer nationalen gesetzlichen Regelung wie der LOA entgegenstehen, die im Wege der Amnestie Personen, die in Spanien angeklagt sind, Straftaten begangen zu haben, die unter die Richtlinie 2017/541 fallen, von der strafrechtlichen Haftung ausnimmt, und zwar aufgrund des ideologischen Zwecks, der mit diesen strafrechtlichen Handlungen verfolgt wird?
9. Sind Art. 4 Abs. 2 EUV sowie Art. 20 Abs. 2 Buchst. a und Art. 21 Abs. 1 AEUV dahin auszulegen, dass sie einer nationalen gesetzlichen Regelung wie der LOA entgegenstehen, die im Wege einer Amnestie Personen, die wegen terroristischer Straftaten angeklagt sind, von der strafrechtlichen Haftung ausnimmt, weil sie die Handlungen zu dem Zweck begangen haben, einen Teil des nationalen Hoheitsgebiets von diesem Mitgliedstaat abzuspalten?
48. Die Angeklagten und Beteiligten des Ausgangsverfahrens, die Staatsanwaltschaft, die Europäische Kommission sowie die spanische Regierung haben schriftliche Erklärungen eingereicht. Diese Beteiligten haben auch in der öffentlichen Sitzung vom 15. Juli 2025 mündlich verhandelt.
Würdigung
49. Vorab ist darauf hinzuweisen, dass sich die Fragen des vorlegenden Gerichts in zwei verschiedene Gruppen aufteilen lassen. Die erste, die die Mehrheit der Fragen umfasst, betrifft die Vereinbarkeit der LOA mit der Richtlinie 2017/541. Die zweite Gruppe betrifft die Vereinbarkeit der LOA mit bestimmten allgemeinen Rechtsgrundsätzen des Unionsrechts, wie der Rechtssicherheit, der Gleichheit vor dem Gesetz, dem Vorrang des Unionsrechts. Es erscheint daher zweckmäßig, diese Fragen in dieser Aufteilung und Reihenfolge nacheinander zu prüfen.
Zur ersten, zweiten, dritten, fünften und sechsten Frage
50. Mit der ersten, zweiten, dritten, fünften und sechsten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob die Richtlinie 2017/541 dahin auszulegen ist, dass sie einer nationalen gesetzlichen Regelung wie der LOA entgegensteht. Dieses Gesetz sieht das Erlöschen der strafrechtlichen Haftung jeder Person vor, die sich aktiv an den Handlungen einer terroristischen Vereinigung beteiligt oder andere in dieser Richtlinie genannte Handlungen vorgenommen hat, insbesondere die Herstellung, Besitz, Erwerb, Beförderung, Lieferung oder Verwendung von Sprengstoffen zu terroristischen Zwecken oder die Durchführung von Gewalttaten, die durch die Planung von Angriffszielen, deren Überwachung oder fotografische Erkundung vorbereitet wurden. Es knüpft die Ausnahme von der Strafverfolgung allerdings an die Bedingung, dass diese Handlungen nicht vorsätzlich und tatsächlich schwere Menschenrechtsverletzungen verursacht haben, ohne die Art der Handlungen oder den relevanten Schweregrad näher festzulegen. Solche Rechtsvorschriften differenzierten somit zwischen terroristischen Straftaten nach ihren Folgen und laufe Gefahr, die praktische Wirksamkeit der Richtlinie 2017/541 sowie die Pflicht zur effektiven Strafverfolgung und Bestrafung zu unterlaufen.
51. Mit anderen Worten geht es bei den zusammen betrachteten fünf vorgenannten Fragen zusammengefasst im Wesentlichen darum, ob die LOA, die bestimmte in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2017/541 fallende Handlungen amnestiert, die praktische Wirksamkeit dieser Richtlinie beeinträchtigt(30 ). Es würde sich also nicht um einen anfänglichen Mangel bei der Umsetzung der Richtlinie handeln, sondern um eine später erlassene Maßnahme, die dem vorlegenden Gericht zufolge die Anwendung der nationalen Bestimmungen, die die Richtlinie bereits umgesetzt haben, und schlussendlich die Richtlinie selbst neutralisiert. Die zentrale Frage ist daher, ob dieses Amnestiegesetz mit dem Erlöschen der strafrechtlichen Haftung für solche Handlungen der Richtlinie ihre volle Wirksamkeit nimmt.
52. Die Beantwortung dieser komplexen Frage setzt die Berücksichtigung mehrerer Parameter voraus. Als Erstes ist zu präzisieren, auf welche Weise das Unionsrecht die Maßnahme der Amnestie erfasst, d. h. ob es sich um eine harmonisierte Materie handelt oder um eine Materie, die in die ausschließliche Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fällt. Unter diesem Aspekt ist zu prüfen, wie das Unionsrecht und insbesondere die Instrumente in Bezug auf die justizielle Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten dieses Institut betrachten. In dieser Hinsicht ist herauszuarbeiten, was sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs in Bezug auf die Amnestie und ihre Auswirkung auf die Pflicht der Mitgliedstaaten, die effektive Anwendung des Unionsrechts zu gewährleisten, ergibt.
53. Als Zweites, nachdem der allgemeine unionsrechtliche Rahmen gezeichnet und der Platz der Amnestie darin beschrieben sind, folgen die Befassung mit der Richtlinie 2017/541 selbst und ihrem Wortlaut, sowie die Prüfung, ob sie die Möglichkeit einer Amnestie vorsieht, und anderenfalls, welche relevanten Schlüsse aus dem Wortlaut und insbesondere den Erwägungsgründen dieser Richtlinie zu ziehen sind.
54. Als Drittes ist diese Richtlinie in den rechtlichen Rahmen ihres Erlasses, d. h. Art. 83 AEUV, einzuordnen und zu prüfen, inwieweit diese normative Grundlage die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, jede Situation der Straflosigkeit zu vermeiden, erläutert und begrenzt.
55. Als Viertes ist, da die Amnestie ein Mechanismus ist, der unmittelbar die nationale Souveränität berührt und somit im Ermessen der Mitgliedstaaten liegt, zu fragen, wie die Standards, die die Rechtsprechung des EGMR herausgearbeitet hat, die zulässige Reichweite einer Amnestie im Hinblick auf die völkerrechtlichen Verpflichtungen begrenzen.
56. Als Fünftes und Letztes ist zu prüfen, ob unter Berücksichtigung all dieser Gesichtspunkte der Schluss zu ziehen ist, dass die praktische Wirksamkeit der Richtlinie 2017/541 im vorliegenden Fall durch den Erlass der LOA beeinträchtigt ist.
Allgemeiner unionsrechtlicher Rahmen und Platz der Amnestie darin
57. Als Erstes ist festzustellen, dass der Gerichtshof in seinem Urteil AB u. a. (Rücknahme einer Amnestie) der Ansicht war, dass „[das Unionsrecht] nicht für den Erlass und die Rücknahme einer Amnestie gilt“(31 ). Daraus folgt, dass die Amnestie eine nicht harmonisierte Materie darstellt, die in die ausschließliche Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fällt.
58. In diesem Urteil hat der Gerichtshof konkretisiert, wie das Unionsrecht mit nationalen Gesetzgebungsakten über die Rücknahme einer Amnestie zusammenspielen kann. Er wurde u. a. darum ersucht, sich zur Vereinbarkeit mit dem Unionsrecht einer nationalen Regelung zu äußern, nach der die Überprüfung eines Gesetzes über die Aufhebung einer Amnestie durch das Verfassungsgericht auf die Beurteilung der Vereinbarkeit dieses Gesetzes mit der nationalen Verfassung beschränkt ist, ohne Prüfung seiner Vereinbarkeit mit dem Unionsrecht. Der Gerichtshof hat entschieden, dass ein solches Verfahren, da es nicht der Durchführung des Unionsrechts dient, nicht in dessen Anwendungsbereich und somit nicht in seine Zuständigkeit fällt(32 ).
59. Der Sachverhalt des Ausgangsverfahrens und der dem Urteil AB zugrunde liegende Sachverhalt betreffen zwar beide Amnestiemaßnahmen, sie unterschieden sich jedoch darin, dass Ersterer sich auf die Anwendung eines Amnestiegesetzes bezieht, während der Zweitgenannte die Rücknahme einer Amnestie betraf.
60. Gleichwohl behält die Erkenntnis aus dem Urteil AB ihre Relevanz. Die Rücknahme einer Amnestie sowie das innerstaatliche Verfahren zur Überprüfung ihrer Vereinbarkeit mit der nationalen Verfassung sind Sache allein des innerstaatlichen Rechts und sind grundsätzlich dem Anwendungsbereich des Unionsrechts entzogen. Wenn die Modalitäten des Erlasses oder der Aufhebung einer Amnestie zur nationalen Rechtsordnung gehören, obliegt es folglich den Unionsgerichten, wenn sie aufgerufen sind, die Auswirkungen einer solchen Maßnahme auf die Durchführung des Sekundärrechts zu prüfen, den Mitgliedstaaten vorbehaltlich der sich aus dem Unionsrecht ergebenden Pflichten einen hinreichend weiten Beurteilungsspielraum einzuräumen.
61. Ferner ist die Amnestie, wie die spanische Regierung in ihren schriftlichen und mündlichen Erklärungen betont hat, vom Unionsrecht als Maßnahme, die von den nationalen Rechtsordnungen vorgesehen und angewandt werden kann, insbesondere im Rahmen der justiziellen Zusammenarbeit, weitgehend anerkannt. Insoweit erlaubt Art. 10 Abs. 1 Buchst. d der Richtlinie 2011/99/EU über die Europäische Schutzanordnung(33 ) der zuständigen Behörde des Vollstreckungsstaats, die Anerkennung einer solchen Anordnung abzulehnen, wenn sich der Schutz aus der Vollstreckung einer Sanktion oder Maßregel ableitet, die nach dem Recht des vollstreckenden Staats Gegenstand einer Amnestie ist und sich auf eine Handlung oder eine Verhaltensweise bezieht, für die nach diesem Recht der vollstreckende Staat zuständig ist.
62. Darüber hinaus sieht auch der Rahmenbeschluss 2002/584 in seinem Art. 3 Abs. 1 vor, dass die Justizbehörde des Vollstreckungsstaats die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls ablehnt, wenn die Straftat, aufgrund deren der Europäische Haftbefehl ergangen ist, im Vollstreckungsstaat unter eine Amnestie fällt und dieser Staat nach seinem eigenen Strafrecht für die Verfolgung der Straftat zuständig war. Schließlich sehen weitere Instrumente, die den Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung im Rahmen der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen anwenden, vor, dass Amnestie oder Begnadigung sowohl vom Ausstellungsstaat als auch vom Vollstreckungsstaat gewährt werden können(34 ).
63. Mithin bleibt die Amnestie in der Rechtsordnung der Union eine Prärogative der Mitgliedstaaten. Das Unionsrecht beschränkt sich darauf, ihre Existenz anzuerkennen und sie bei seinen Instrumenten der justiziellen Zusammenarbeit zu berücksichtigen, harmonisiert jedoch weder ihren Inhalt noch die Voraussetzungen ihrer Gewährung.
Der Inhalt der Richtlinie 2017/541 und ihr Schweigen zur Amnestie
64. Als Zweites ergibt sich schon aus dem Wortlaut der Richtlinie 2017/541, dass mit ihrem Erlass der Notwendigkeit einer substanzielleren Angleichung, als sie durch den Rahmenbeschluss 2002/475/JI zur Terrorismusbekämpfung(35 ) vorgenommen wurde, Rechnung getragen wurde. Diese Verstärkung ist zum einen durch die Entwicklung der terroristischen Bedrohungen und zum anderen durch die völkerrechtlichen Verpflichtungen der Union und ihrer Mitgliedstaaten gerechtfertigt. Angesichts des grenzüberschreitenden Charakters des Phänomens betont die Richtlinie 2017/541 ausdrücklich das Gebot einer koordinierten Reaktion und verstärkten Zusammenarbeit sowohl innerhalb jedes Mitgliedstaats als auch zwischen ihnen(36 ).
65. Es ist darauf hinzuweisen, dass die Richtlinie 2017/541 zwar als eines ihrer Ziele die Stärkung einer engeren und wirksameren Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten bei der Terrorismusbekämpfung nennt, jedoch keine spezifische Bestimmung in Bezug auf nationale Mechanismen enthält, die zum Erlöschen der strafrechtlichen Haftung führen, wie die Amnestie. Sie schweigt somit zur Möglichkeit der Mitgliedstaaten, ein derartiges Rechtsinstitut zu regeln.
66. Dieses Schweigen kann jedoch nicht dahin verstanden werden, dass keinerlei Einschränkungen bestehen. Die Richtlinie stellt nämlich ausdrücklich klar, dass bei der Anwendung ihrer Bestimmungen die in Art. 2 EUV anerkannten Werte sowie die durch die Charta garantierten Grundrechte und Grundfreiheiten, insbesondere diejenigen, die in den Titeln II, III, V und VI genannt sind, zu achten sind(37 ). Sie erinnert ferner daran, dass ihre Umsetzung unter Berücksichtigung der EMRK, des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte sowie anderer völkerrechtlicher Menschenrechtsverpflichtungen erfolgen muss(38 ). Schließlich hebt ihr 37. Erwägungsgrund hervor, dass sie nicht zu einer Änderung der Rechte, Pflichten und Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten nach dem Völkerrecht – einschließlich des humanitären Völkerrechts – führen sollte. Mit anderen Worten setzt dieser Erwägungsgrund der vom Unionsgesetzgeber angestrebten Harmonisierung eine ausdrückliche Grenze.
67. Hieraus folgt zum einen, dass die Richtlinie 2017/541 den Mitgliedstaaten die Möglichkeit offenlässt, in ihrer innerstaatlichen Rechtsordnung Amnestiemaßnahmen zu erlassen oder aufrechtzuerhalten. Da die Amnestie kein unionsrechtlich harmonisiertes Instrument ist, fällt sie in die nationale Zuständigkeit.
68. Zum anderen kann diese Freiheit meines Erachtens nicht als unbegrenzt begriffen werden. Zwar wird man nicht annehmen können, dass die Erfordernisse, die den Rahmen bilden, der die Anwendung der Richtlinie 2017/541 begrenzt, u. a. die durch die Charta, die EMRK und die Grundsätze des humanitären Völkerrechts garantierten Rechte, automatisch dazu führen, dass eine Amnestiemaßnahme teilweise und temporär unangewendet gelassen werden müsste. Dennoch stellen diese Erfordernisse in einem solchen Kontext äußere Begrenzungen dar, da die Amnestie, wenn auch mittelbar, den sachlichen Anwendungsbereich der Richtlinie betrifft. Mit anderen Worten wird eine Amnestie, auch wenn sie nicht harmonisiert ist, gleichwohl nicht in einem normativen Vakuum erlassen. Die Verweisungen der Richtlinie auf die Charta, die EMRK und das humanitäre Völkerrecht bilden einen Referenzrahmen für die Beurteilung einer solchen Maßnahme, wenn sie Verhaltensweisen betrifft, die in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fallen.
Die Rechtsgrundlage der Richtlinie 2017/541: Art. 83 AEUV und seine Implikationen
69. Als Drittes ist, was die Notwendigkeit anbelangt, die Richtlinie 2017/541 in den rechtlichen Kontext von Art. 83 AEUV, der ihre Rechtsgrundlage bildet, einzuordnen, darauf hinzuweisen, dass dieser Artikel gemeinsam mit Art. 82 AEUV über die justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen die Zusammenarbeit in Strafsachen in der Union regelt. Art. 83 Abs. 1 AEUV sieht vor, dass gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren erlassene Richtlinien Mindestvorschriften zur Festlegung von Straftaten und Straftaten in Bereichen besonders schwerer Kriminalität mit grenzüberschreitender Dimension, wie beispielsweise Terrorismus, festlegen können. Diese grenzüberschreitende Dimension kann sich aus der Art oder den Auswirkungen der Straftaten oder auch aus der Notwendigkeit, sie auf einer gemeinsamen Grundlage zu bekämpfen, ergeben.
70. Meiner Auffassung nach impliziert der Begriff „Mindestvorschriften“, der in Art. 83 Abs. 1 AEUV verwendet wird, dass die auf dieser Grundlage erlassenen Richtlinien das Strafrecht der Mitgliedstaaten nicht vollständig vereinheitlichen, sondern teilweise harmonisieren sollen, begrenzt auf die Aspekte, die als wesentlich erachtet werden. Den Mitgliedstaaten verbleibt somit ein Spielraum in zwei Richtungen. Zum einen können sie Verhaltensweisen, die von der Richtlinie nicht erfasst werden, zu Straftaten erklären; zum anderen können sie für die harmonisierten Straftaten strengere Strafen vorsehen als diejenigen, die sich aus der Umsetzung der Richtlinie ergeben(39 ).
71. Aus den vorstehenden Feststellungen in Bezug auf Art. 83 AEUV können zwei Schlussfolgerungen gezogen werden. Erstens legt die Richtlinie 2017/541 Mindestvorschriften hinsichtlich der Art der Straftaten, die bei ihrer Umsetzung in die innerstaatliche Rechtsordnung der Mitgliedstaaten eingeführt werden müssen, fest. Mit anderen Worten steht den Mitgliedstaaten zwar weiterhin die Möglichkeit offen, über dieses Minimum hinauszugehen, indem sie auch nicht von der Richtlinie erfasste Verhaltensweisen zu Straftaten erklären, die in der Richtlinie ausdrücklich aufgezählten Straftaten bilden jedoch eine Schwelle, die nicht unterschritten werden darf.
72. Zweitens wurde vertreten(40 ), insbesondere unter Bezugnahme auf das Urteil I(41 ), dass der Gerichtshof der Auffassung zuneige, dass die in Art. 83 Abs. 1 AEUV genannten Straftaten potenziell die Grundinteressen der Gesellschaft berühren. Indem die Befugnis der Union zur Harmonisierung auf Verhaltensweisen beschränkt wird, die besonders wesentliche Interessen berühren, errichtet diese Bestimmung eine axiologische Grundlage der Kriminalisierung, die die strafrechtliche Harmonisierung rechtfertigt(42 ).
73. Folglich lässt sich nicht ausschließen, dass das Erlöschen der strafrechtlichen Haftung für von der Richtlinie 2017/541 erfasste Straftaten, auch aufgrund von Mechanismen wie der Amnestie, ebenfalls diesen axiologischen Erwägungen entsprechen muss. Da die Richtlinie hierzu keine spezifischen Bestimmungen enthält, obliegt es den Mitgliedstaaten, die Voraussetzungen und Modalitäten der Anwendung innerhalb der Grenzen des ihnen eingeräumten Spielraums und unter Einhaltung der einschlägigen Standards, insbesondere der völkerrechtlichen Standards einschließlich des humanitären Völkerrechts zu bestimmen.
74. Daraus ergibt sich, dass nationale Amnestiemaßnahmen vom Gerichtshof nur am Maßstab außerhalb ihrer Rechtfertigung liegender „externer Grenzen“ geprüft werden können, d. h. ihrer Vereinbarkeit mit völkerrechtlichen Verpflichtungen, insbesondere des humanitären Völkerrechts und der Instrumente zum Schutz der Grundrechte, die im 37. Erwägungsgrund der Richtlinie 2017/541 genannt sind. Unter diesem Vorbehalt ist mit der Prüfung der hier einschlägigen Standards fortzufahren.
Völkerrechtliche Standards und Rechtsprechung des EGMR in Bezug auf die Amnestie
75. Als Viertes ist in Anknüpfung an das Vorstehende die heutige Sichtweise des Völkerrechts und insbesondere des EGMR auf Amnestiegesetze zu prüfen, um diese außerhalb ihrer Rechtfertigung liegende „externe Grenze“ abzustecken. Genauer gesagt geht es darum, den Gestaltungsspielraum der Mitgliedstaaten in diesem Bereich sowie die Grenzen, die sich aus den zwingenden Verpflichtungen aus völkerrechtlichen Normen ergeben, herauszuarbeiten. An dieser Stelle ist daher die Frage zu stellen, wie die Amnestie im internationalen Rechtsvergleich aufgefasst wird.
76. Allgemein veranschaulicht die Frage der Amnestie exemplarisch das Spannungsverhältnis zwischen der Souveränität der Staaten im Hinblick auf das Strafrecht und der zunehmenden Verfestigung eines zwingenden Gebots, die schwerwiegendsten Verbrechen zu verfolgen, im Völkerrecht ebenso wie in der Rechtsprechung des EGMR. Traditionell liegt die Gewährung einer Amnestie im Ermessen des Staates, der im Interesse der nationalen Versöhnung oder eines politischen Kompromisses entscheiden kann, bestimmte Taten, einschließlich Straftaten von besonderer Schwere, nicht strafrechtlich zu verfolgen. Es wurde im Übrigen darauf hingewiesen, dass Amnestien historisch als wertvolles Instrument angesehen wurden, um Konflikte zu beenden oder einen demokratischen Übergang zu erleichtern, wie dies z. B. in Argentinien, Chile oder Südafrika der Fall war(43 ).
77. Allerdings gerät diese Logik des uneingeschränkten souveränen Vergessens in Konflikt mit der Entwicklung des Europa- und Völkerrechts, das den Grundsatz, dass keine politische Opportunitätserwägung die Straflosigkeit von Verbrechen wie der Folter, Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder des Genozids zu rechtfertigen vermag, zunehmend fester verankert(44 ). In Wirklichkeit entspricht es heutzutage auf völkerrechtlicher Ebene allgemeiner Auffassung, dass es, auch wenn kein Vertrag es einem Staat ausdrücklich verbietet, eine Amnestie für völkerrechtliche Verbrechen zu gewähren, seien sie allgemein oder spezifisch, angenommen werden kann, dass das Völkergewohnheitsrecht die Gewährung von Amnestien in Bezug auf Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit einschließlich des Genozids nicht mehr toleriert(45 ).
78. Die Prüfung der Rechtsprechung des EGMR verdeutlicht diese Entwicklung des Völkerrechts(46 ). So kennzeichnete die Entscheidung Dujardin u. a./Frankreich im Jahr 1991 noch eine gewisse Toleranz. Die Europäische Kommission für Menschenrechte hatte die Amnestie eines an Polizisten verübten Massakers, bevor überhaupt ein Urteil ergangen war, nicht als Verstoß gegen Art. 2 EMRK angesehen(47 ).
79. Im Gegensatz dazu hat die Entwicklung der Rechtsprechung des EGMR dahin geführt, dass er es, wie im Urteil Abdülsamet Yaman/Türkei ausgeführt, für die Wirksamkeit eines Rechtsbehelfs als „von größter Bedeutung“ erachtet, dass die Strafverfolgung wegen Folter nicht verjährt und dass eine Amnestie oder Begnadigung nicht gewährt werden können(48 ). In der Rechtssache Yeşil und Sevim/Türkei hat der EGMR bestätigt, dass es grundsätzlich nicht zulässig ist, dass der Ausgang der Strafverfolgung wegen solcher Handlungen durch Ausnahmemaßnahmen oder eine gegen die Sorgfaltspflichten verstoßende Langsamkeit der Justiz gefährdet wird(49 ). Im Urteil Yeter/Türkei, in dem es um Folter bis zum Tod ging, hat der EGMR wiederholt, dass die Amnestie oder Begnadigung niemals erlaubt sein dürfen, wenn ein Staatsbediensteter solcher Handlungen beschuldigt wird, die Art. 3 EMRK verletzen(50 ). Dieses Erfordernis ergibt sich aus dem absoluten Folterverbot, mit dem eine strenge prozessuale Pflicht des betroffenen Staats zur Verfolgung, Verurteilung und Bestrafung einhergeht, ohne dass diese Pflichten durch einen Gnadenakt in ihrer Wirkung aufgehoben werden können.
80. Die Rechtssache Ould Dah/Frankreich hat dies unmissverständlich in Erinnerung gerufen. Der EGMR hat in der Entscheidung ausgeführt, dass die Amnestie „generell mit der Pflicht der Staaten zur Ermittlung hinsichtlich Folterhandlungen unvereinbar ist“(51 ). Der EGMR verknüpft somit die Effektivität des Schutzes des Lebens und der Integrität des Menschen eng mit der Notwendigkeit, die Straflosigkeit zu vermeiden.
81. Es ist zu betonen, dass dieser Ansatz des EGMR sich in einen engen Rechtsprechungsdialog mit anderen internationalen Gerichten und Institutionen einfügt. Im Urteil Marguš/Kroatien hat die Große Kammer des EGMR entschieden, dass sich ein Veteran, der anfänglich wegen Kriegsverbrechen amnestiert worden war, nicht auf diese Maßnahme berufen konnte, da die Handlungen schwere Verletzungen der Art. 2 und 3 EMRK darstellten(52 ). Hierbei hat der EGMR unter ausdrücklicher Bezugnahme auf den Menschenrechtsausschuss der Vereinten Nationen, die Rechtsprechung des Internationalen Strafgerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien und des Interamerikanischen Gerichtshofs für Menschenrechte(53 ) festgestellt, dass ein internationaler Konsens dazu tendiere, die Gewährung von Amnestien für Verbrechen dieser Art zu verbieten(54 ).
82. Der EGMR schließt allerdings nicht grundsätzlich aus, dass eine Amnestiemaßnahme mit der EMRK vereinbar sein kann, vorausgesetzt, sie erfolgt in einem glaubwürdigen Rahmen einer Übergangsjustiz. Im Urteil Marguš/Kroatien hat die Große Kammer klargestellt, dass eine Amnestie ausnahmsweise unter besonderen Umständen, wie einem echten Prozess nationaler Versöhnung und/oder wirksamen Mechanismen zur Entschädigung der Opfer, zugelassen werden könnte. Im konkreten Fall war die gewährte Amnestie jedoch mit keiner Gegenleistung verbunden, d. h. es war keine Entschädigungsmaßnahme vorgesehen. Der EGMR hat entscheiden, dass „die kroatischen Behörden [unter diesen Umständen] mit der neuen Anklage gegen den Kläger und seiner Verurteilung wegen Kriegsverbrechen gegen die Zivilbevölkerung im Einklang sowohl mit den Pflichten, die sich aus den Art. 2 und 3 [EMRK] als auch den Erfordernissen und Empfehlungen, die in den oben genannten völkerrechtlichen Mechanismen und Instrumenten enthalten sind, gehandelt haben“(55 ).
83. Ich greife den Hinweis(56 ) auf, dass in dieser Nuance – auch meiner Auffassung nach – der Wille des EGMR Ausdruck findet, den politischen Kontext zu berücksichtigen, in dem bestimmte Amnestien erfolgen, insbesondere in Gesellschaften, die sich nach einem bewaffneten Konflikt oder dem Ende eines autoritären Regimes im Übergang befinden. Dennoch ergibt sich aus der ständigen Rechtsprechung des EGMR, dass die strafrechtliche Milde sich nicht in ein Instrument der Straflosigkeit verwandeln darf. Wenngleich er anerkennt, dass sich die Suche nach einem Ausgleich zwischen der Notwendigkeit des Friedens und der Pflicht zur Verurteilung als schwierig erweisen kann, erinnert er daran, dass eine unbedingte Amnestie für schwere Menschenrechtsverletzungen grundsätzlich mit der EMRK unvereinbar bleibt(57 ).
84. Letztendlich stellt die vorstehende Analyse deutlich heraus, dass die Entwicklung der Rechtsprechung des EGMR sich um drei wesentliche Konstanten dreht. Erstens verletzt eine Amnestie, die wegen schwerwiegender Verbrechen wie Folterhandlungen, Kriegsverbrechen oder Verletzungen des Rechts auf Leben gewährt wird, den Kerngehalt der prozessualen Pflichten, die sich aus den Art. 2 und 3 EMRK ergeben. Zweitens fügt sich dieser Ansatz in eine weitergehende Dynamik des völkerrechtlichen Menschenrechtsschutzes ein, die auf der Ablehnung der Straflosigkeit für die schwerwiegendsten Verletzungen beruht. Drittens schließlich kann nur eine streng begrenzte Amnestie, die Teil eines echten Prozesses zur Gewährung von Gerechtigkeit ist, der mit einer Wiedergutmachung für die Opfer und gegebenenfalls einer Versöhnung verbunden ist, als vereinbar mit den positiven Verpflichtungen der Vertragsstaaten der EMRK angesehen werden.
Beurteilung der Vereinbarkeit der LOA mit der Richtlinie 2017/541 im Hinblick auf die erörterten Gesichtspunkte
85. Im Licht der vorstehenden Analyse ist nunmehr zu beurteilen, ob die betrachteten Gesichtspunkte in ihrer Gesamtheit dazu führen, dass die praktische Wirksamkeit der Richtlinie 2017/541 im vorliegenden Fall als gefährdet anzusehen ist.
86. Wie bereits ausgeführt, möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob eine nationale gesetzliche Regelung wie die LOA, die das Erlöschen der strafrechtlichen Haftung davon abhängig macht, dass der Täter nicht vorsätzlich und tatsächlich schwere Menschenrechtsverletzungen verursacht hat, und damit eine Unterscheidung zwischen terroristischen Straftaten je nach ihren Folgen einführt, als mit der Richtlinie 2017/541 vereinbar angesehen werden kann. Eine solche gesetzliche Regelung schränkt die Möglichkeit der strafrechtlichen Verfolgung und Ahndung bestimmter Kategorien von Handlungen ein, die unter diese Richtlinie fallen, was die Frage ihrer Vereinbarkeit mit den von ihr verfolgten Zielen aufwirft.
87. Aus der vorstehenden Analyse(58 ) ergibt sich insoweit, dass die Richtlinie 2017/541 keine Bestimmung enthält, die den Rückgriff auf Mechanismen, die zum Erlöschen der strafrechtlichen Haftung führen, wie die Amnestie, ausdrücklich verbietet. Im Übrigen kann sie folgerichtig derartige Maßnahmen nicht grundsätzlich ausschließen, da ein solcher Ausschluss schwerlich mit der Struktur des Primärrechts, insbesondere mit den inhärenten Grenzen der Rechtsgrundlage, Art. 83 AEUV, vereinbar wäre.
88. Ferner ist zu betonen, dass die LOA nicht die Wirkung hat, dass die Bestimmungen der Richtlinie 2017/541 oder ihrer nationalen Umsetzung aufgehoben werden, auch nicht teilweise. Die Richtlinie bleibt in der spanischen Rechtsordnung in Kraft, ohne dass ihr normativer Gehalt verändert wird. Dies lässt sich damit erklären, dass die LOA insoweit zu einer teilweisen und temporären „Deaktivierung“ ihrer Wirkungen führt, als sie die strafrechtliche Haftung für bestimmte, zeitlich und ihrer Art nach eingegrenzte Taten aufhebt, ohne die allgemeine Anwendbarkeit der Richtlinie in anderen Fällen in Frage zu stellen.
89. Daher liegt das entscheidende Kriterium für die Beurteilung der Vereinbarkeit der LOA mit der Richtlinie 2017/541 nicht allein darin, dass eine Amnestie gewährt wurde, sondern in ihrer Vereinbarkeit mit den Mindestanforderungen, die sich aus dem Völkerrecht, insbesondere dem humanitären Völkerrecht, sowie den in der Rechtsprechung insbesondere des EGMR herausgebildeten Standards ergeben.
90. Die durchgeführte Prüfung zeigt, dass diese Standards allgemein erfordern, dass jede Amnestiemaßnahme in einem tatsächlichen Kontext politischer oder gesellschaftlicher Versöhnung erlassen wird. So scheint der Fall hier zu liegen, wie der Zweck der LOA nahelegt, der in der amtlichen Bezeichnung zum Ausdruck kommt: „Organgesetz 1/2024 über die Amnestie zum Zwecke der institutionellen, politischen und sozialen Normalisierung in Katalonien“.
91. In dieser Hinsicht erscheint es mir an dieser Stelle zweckmäßig, die Frage der Autoamnestie anzusprechen, die in der mündlichen Verhandlung aufgeworfen wurde, obwohl sie als solche nicht Gegenstand einer spezifischen Problematik im Vorabentscheidungsersuchen ist. Diese Frage verdient es meines Erachtens dennoch, kurz angesprochen zu werden, da sie die legitimen Grenzen betrifft, an die ein Mechanismus des Erlöschens der strafrechtlichen Haftung in einem Rechtsstaat stoßen kann. Wie die Venedig-Kommission in ihrem Gutachten zu dem spanischen Gesetzesentwurf in Bezug auf die Amnestie für Katalonien ausgeführt hat, bezeichnet die Autoamnestie einen Fall, in dem die Täter oder die verantwortlichen Institutionen sich selbst oder ihren Mitgliedern Immunität gegen Strafverfolgung gewähren, häufig am Vorabend eines politischen Übergangs(59 ). Diese Formen der Amnestie sind oft willkürbehaftet, da sie es denjenigen, die die gesetzgebende oder vollziehende Gewalt kontrollieren, ermöglichen, sich ohne effektive gerichtliche Überprüfung oder authentische demokratische Beteiligung jeder Form der Haftung zu entziehen(60 ).
92. Meines Erachtens gibt es für die Einordnung der LOA als Autoamnestie im vorliegenden Fall jedoch keinen Anknüpfungspunkt, und zwar aus mehreren zusammenlaufenden Gründen. Erstens ist das in Rede stehende Gesetz das Ergebnis eines ordentlichen parlamentarischen Verfahrens, das innerhalb eines pluralistischen demokratischen Systems geführt wurde. Es ergibt sich nicht aus einem einseitig von einem autoritären Machthaber auferlegten Akt, sondern aus einer Debatte und einer demokratischen Abstimmung innerhalb der Cortes Generales (spanisches Parlament).
93. Zweitens ist seine Anwendung gerichtlicher Kontrolle nicht entzogen(61 ). Wie aus dem Vorabentscheidungsersuchen hervorgeht, hat das vorlegende Gericht nämlich im Ausgangsverfahren zu prüfen, ob die Bedingungen, die das Gesetz stellt, um in den Genuss der Amnestie zu kommen, erfüllt sind, und insbesondere ob die in Rede stehenden Taten unter die in Art. 2 Buchst. c LOA vorgesehenen Ausschlüsse fallen.
94. Drittens widerlegt schon der Gegenstand des Gesetzes jegliche Gleichsetzung mit einer Autoamnestie. Die LOA erfasst nicht unterschiedslos alle Beamten oder Machtinhaber, sondern ist auf eine bestimmte Gesamtheit von Handlungen, die zeitlich begrenzt und mit einer Periode politischer Spannungen verbunden sind, anwendbar, unabhängig vom öffentlichen oder privaten Status der betroffenen Personen. Mit einem Wort setzt es in rem an. Es zielt somit nicht darauf ab, ein politisches Regime oder seine Repräsentanten vor etwaiger Verfolgung zu schützen, sondern darauf, auf eine Ausnahmesituation zu reagieren mit dem bekannt gegebenen Ziel der institutionellen Normalisierung und der Versöhnung.
95. Schließlich geht aus der Akte der Rechtssache nicht hervor, dass die Personen, denen die Amnestie zugutekommt, selbst Mitglieder oder Vertreter der Regierung oder der gesetzgebenden Gewalt sind, von denen der Erlass der LOA ausgegangen ist, so dass keine unmittelbare Verbindung zwischen der Ausübung der politischen Macht und der Begünstigung durch die Maßnahme besteht. Folglich kann meines Erachtens nicht angenommen werden, dass die LOA unter eine Autoamnestie fällt.
96. Außerdem kann die Amnestie nach ständiger Rechtsprechung des EGMR in keinem Fall schwere Menschenrechtsverletzungen erfassen, zu denen in erster Linie die Verletzung des Rechts auf Leben und auf körperliche Unversehrtheit, die durch die Art. 2 und 3 EMRK geschützt sind, gehören. Mit Blick darauf sieht die LOA in ihrem Art. 2 Buchst. c einen expliziten Ausschluss von Handlungen vor, die vorsätzlich solche Verletzungen, einschließlich solcher, die unter das humanitäre Völkerrecht fallen, verursacht haben(62 ). Diese Anforderung scheint im vorliegenden Fall somit erfüllt zu sein.
97. Daraus folgt, dass, da die LOA vorsieht, dass eine Amnestie für diese vorsätzlichen und schweren Straftaten ausgeschlossen ist, ohne alle in der Richtlinie 2017/541 genannten Straftaten ausdrücklich einzubeziehen, dieser Ansatz grundsätzlich nicht als den Zielen dieser Richtlinie zuwiderlaufend angesehen werden kann.
98. Folglich schlage ich dem Gerichtshof angesichts der vorstehenden Erwägungen vor, auf die erste, zweite, dritte, fünfte und sechste Frage zu antworten, dass die Richtlinie 2017/541 einer nationalen gesetzlichen Regelung wie der LOA nicht entgegensteht, die, wenn die in diesem Gesetz genannten subjektiven, objektiven und zeitlichen Kriterien erfüllt sind, Handlungen amnestiert, die aufgrund ihres Zwecks als terroristische Straftaten im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Buchst. d und f dieser Richtlinie oder als Straftaten im Zusammenhang mit einer terroristischen Vereinigung im Sinne von Art. 4 dieser Richtlinie eingestuft werden können, soweit diese Handlungen nicht vorsätzlich schwere Verletzungen von Menschenrechten, insbesondere Rechten aus Art. 2 und Art. 3 EMRK und im Bereich des humanitären Völkerrechts, verursacht haben, da die praktische Wirksamkeit der Richtlinie 2017/541 nicht beeinträchtigt wird.
Zur vierten Frage
99. Die vierte Frage des vorlegenden Gerichts besteht aus zwei Teilen. Zum einen ist festzustellen, ob der Grundsatz der Rechtssicherheit einer Regelung wie der LOA entgegensteht, die die Befreiung von der strafrechtlichen Haftung für Taten, die in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2017/541 zur Terrorismusbekämpfung fallen, davon abhängig macht, dass kein Vorsatz vorliegt, schwere Verletzungen von Menschenrechten, insbesondere der durch Art. 2 und 3 EMRK sowie das humanitäre Völkerrecht garantierten Rechte, zu begehen. Das vorlegende Gericht betont, dass die LOA weder klarstellt, welche Verhaltensweisen solche Verletzungen darstellen können, noch, welchen Schweregrad sie erreichen müssen, um die Anwendung der Amnestie auszuschließen. Zum anderen stellt es sich hilfsweise die Frage nach der Vereinbarkeit der Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes mit einer Bestimmung wie Art. 1 LOA, deren Anwendungskriterien ihm in objektiver Hinsicht vage und in subjektiv Hinsicht unbestimmt erscheinen.
100. Diese zwei Teile sind nacheinander zu prüfen.
Erster Teil: der Ausschlussgrund der schweren Verletzungen von Menschenrechten
101. Vorab ist darauf hinzuweisen, dass sich weder aus der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft noch aus der der Popularklage ergibt, dass mit den zur Last gelegten Taten, auch wenn sie als terroristische Straftaten eingestuft wurden, vorsätzlich schwere Menschenrechtsverletzungen verursacht wurden. Die Voraussetzung des Art. 2 Buchst. c LOA, der den Ausschluss der Amnestie von der vorsätzlichen Begehung solcher Verletzungen abhängig macht, wäre somit im vorliegenden Fall nicht erfüllt, so dass dieser Ausschlussgrund keine Anwendung fände. Wie die spanische Regierung geltend gemacht hat, wirft dieser Umstand die Frage des hypothetischen Charakters der Vorabentscheidungsfrage und damit ihrer Zulässigkeit auf.
102. Dieser Rüge ist meines Erachtens nicht zu folgen. Die Frage des vorlegenden Gerichts kann vielmehr dahin verstanden werden, dass überprüft werden soll, ob der Verweis der LOA auf den Begriff „schwere Verletzung von Menschenrechten“, insbesondere der durch die Art. 2 und 3 EMRK garantierten Rechte, den unionsrechtlichen Anforderungen an die Klarheit und Genauigkeit genügt. Was dieses Gericht im Wesentlichen wissen möchte, ist, ob die Formulierung dieser Ausschlussklausel eine Abgrenzung der Straftaten, die unter die Amnestie fallen können, von denjenigen, die aufgrund ihrer Schwere der Verfolgung nach den Regelungen der Richtlinie 2017/541 unterworfen bleiben müssen, ermöglicht. Die Unsicherheiten hinsichtlich der genauen Reichweite dieser Klausel rechtfertigen eine Prüfung in der Sache.
103. Allgemein verlangt der Grundsatz der Rechtssicherheit, dass Rechtsvorschriften klar, genau und eindeutig formuliert sind, damit jedermann in vorhersehbarer Weise Kenntnis vom Umfang seiner Rechte und Pflichten nehmen kann. Dieser Grundsatz ist darauf gerichtet, normative Stabilität und eine kohärente Anwendung des Rechts zu garantieren. Er stellt in diesem Sinne die Grundlage des Grundsatzes des Vertrauensschutzes dar, der die Stabilität der Rechtslage, die im Vertrauen auf die geltenden Normen geschaffen wurde, schützt(63 ).
104. Der Gerichtshof hat ausgeführt, dass die Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes es gebieten, dass Rechtsvorschriften klar und bestimmt sind und dass ihre Anwendung für den Einzelnen voraussehbar ist(64 ). Der Grundsatz der Rechtssicherheit verlangt, insbesondere wenn es sich um Normen handelt, die für die Rechtsunterworfenen nachteilige Folgen haben können, dass die anwendbaren Bestimmungen hinreichend zugänglich und verständlich sind, um es jeder betroffenen Person zu ermöglichen, ihre rechtlichen Wirkungen in vernünftigem Maß vorherzusehen. Als Grundprinzip der Union(65 ) gewinnt die Rechtssicherheit im Bereich des Strafrechts, wo sie zum Schutz der Grundrechte zur Effektivität der Rechtsstaatlichkeit, die durch Art. 2 EUV zu einem Grundwert der Union und zu einer allen Mitgliedstaaten gemeinsamen Anforderung erhoben wird, beiträgt(66 ), besondere Bedeutung.
105. Um den ersten Teil der vierten Frage zu beantworten, ist zu bestimmen, zu wessen Gunsten die Garantie der Rechtssicherheit angeführt werden könnte. Wenn diese zugunsten der verfolgten Personen geltend gemacht werden sollte, könnte das Argument auf dieser Stufe keinen Erfolg haben. Laut dem Vorabentscheidungsersuchen fallen die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Taten nämlich ausdrücklich nicht unter die in der LOA geregelten Ausschlüsse, d. h. die Fälle, in denen die LOA selbst vorsieht, dass die Taten nicht amnestiert werden können. Ferner ist darauf hinzuweisen, dass das vorlegende Gericht die Beteiligten gemäß spanischem Verfahrensrecht im Rahmen eines spezifischen Vorabentscheidungsverfahrens betreffend das Ersuchen um Anwendung des Amnestiegesetzes auf die Taten, die Gegenstand des vorliegenden Verfahrens sind, angehört hat. Einer der Angeklagten (QCR) hat in seiner Stellungnahme u. a. vorgebracht, dass die LOA nicht unklar oder unbestimmt sei(67 ).
106. Dagegen wirft zwar das vorlegende Gericht selbst ein Auslegungsproblem aufgrund der Ungenauigkeit der Klausel in Art. 2 Buchst. c LOA(68 ) auf, es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass diese Bestimmung sich nicht auf einen allgemeinen Verweis auf „schwere Verletzungen von Menschenrechten“ beschränkt. Vielmehr verweist sie explizit auf die Art. 2 und 3 EMRK, also das Recht auf Leben sowie das Verbot der Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe. Der normative Gehalt dieser Bestimmungen wurde durch die Rechtsprechung des EGMR substanziell und konstant konkretisiert. Diese normative Verweisung ermöglicht es daher, wie mir scheint, die Reichweite des Ausschlussgrundes in hinreichend bestimmter Weise einzugrenzen. Mit anderen Worten legt Art. 2 Buchst. c LOA die Bedeutung des Ausdrucks „schwere Verletzungen von Menschenrechten“ durch die direkte Verweisung auf die Rechtsprechung zu den vorgenannten Artikeln der EMRK implizit, aber klar fest.
107. Insbesondere ist zur Bestimmung, ob eine bestimmte Behandlung unter den Begriff der Folter im Sinne von Art. 3 EMRK fällt, daran zu erinnern, dass der EGMR eine klare Unterscheidung zwischen Folter, unmenschlicher Behandlung und erniedrigender Behandlung trifft. Diese Unterscheidung zielt darauf ab, die besondere Schwere der Handlungen, die intensives und grausames Leid vorsätzlich zufügen, zu betonen. Sie ist auch in Art. 1 des Übereinkommens gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe(69 ) verankert, der die Folter als das vorsätzliche Zufügen starker Schmerzen oder großen Leids, zum Beispiel um eine Aussage zu erlangen, zu bestrafen oder einzuschüchtern(70 ), definiert.
108. Die Folter unterscheidet sich von unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlungen hauptsächlich graduell durch die Intensität des zugefügten Leids. Eine Behandlung wird als unmenschlich gewertet, wenn sie starke körperliche oder seelische Schmerzen verursacht hat, oft aufgrund ihrer Dauer oder der vorsätzlichen Begehungsweise(71 ). Sie wird als erniedrigend erachtet, wenn sie darauf abzielt, die Person zu demütigen, oder diese Wirkung erzielt, und sie damit entwürdigt oder bei ihr ein Gefühl der Angst, Qual oder Unterlegenheit hervorgerufen hat, das geeignet war, ihren moralischen Widerstand zu brechen(72 ).
109. Für die Bewertung einer Behandlung als erniedrigend ist es nicht notwendig, dass sie von Dritten als solche wahrgenommen wird. Es genügt, dass das Opfer selbst eine Demütigung empfindet. Eine Demütigungsabsicht ist ebenfalls keine notwendige Voraussetzung für die Feststellung einer Verletzung. Daher kann Art. 3 selbst ohne den Willen, das Opfer zu erniedrigen, missachtet worden sein, sofern die Behandlung tatsächlich eine Erniedrigung bewirkt hat(73 ).
110. Art. 2 EMRK statuiert eine doppelte Verpflichtung: zum einen das Verbot, einer Person – außerhalb abschließend aufgezählter Fälle – absichtlich das Leben zu nehmen, zum anderen die positive Verpflichtung, dieses Recht gesetzlich zu schützen(74 ).
111. Hieraus folgt, dass der Anwendungsbereich des in Art. 2 Buchst. c LOA vorgesehenen Ausschlussgrundes hinreichend begrenzt ist, da er sich auf die Art. 2 und 3 EMRK bezieht, deren Gehalt durch die Rechtsprechung des EGMR konstant und detailliert konkretisiert wurde. Mangels normativer Unklarheit kann meines Erachtens eine Verletzung des Grundsatzes der Rechtssicherheit nicht festgestellt werden.
Zweiter Teil: der Anwendungsbereich von Art. 1 LOA und die Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes
112. Was den vom vorlegenden Gericht hilfsweise formulierten zweiten Teil der vierten Frage anbelangt, ist daran zu erinnern, wie bereits zum ersten Teil angemerkt, dass das vorlegende Gericht in seinem Vorabentscheidungsersuchen klar angibt, dass die in Rede stehenden Taten im Hinblick auf den sachlichen und zeitlichen Anwendungsbereich der LOA unter Art. 1 LOA fallen. Insofern könnte die Frage wie beim ersten Teil im Hinblick auf den möglichen Ausgang des Ausgangsverfahrens als hypothetisch erscheinen und daher Zweifel an ihrer Zulässigkeit aufkommen lassen.
113. Allerdings könnte, wie insbesondere die Kommission in der mündlichen Verhandlung hervorgehoben hat, es die Wirksamkeit der Richtlinie 2017/541 beeinträchtigen, wenn der Anwendungsbereich von Art. 1 LOA, insbesondere in Bezug auf die objektive und subjektive Einstufung der betreffenden Verhaltensweisen, als zu vage oder unbestimmt beurteilt werden sollte. Daher könnte sich das vorlegende Gericht zu Recht die Frage nach der Vereinbarkeit dieser Bestimmung mit dem Unionsrecht stellen. Versteht man die Frage in diesem Sinne, ist eine Prüfung in der Sache vorzunehmen.
114. Als Erstes ist, wie bereits beim ersten Teil der vierten Frage, zu bestimmen, zu wessen Gunsten die Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes hier angeführt werden. Was die Angeklagten anbelangt, enthält das Vorabentscheidungsersuchen keinen Anhaltspunkt dafür, dass eine etwaige Ungenauigkeit des Anwendungsbereichs der LOA im vorliegenden Fall nachteilige Wirkungen für ihre Rechtsstellung hatte. Ganz im Gegenteil spricht, wie bereits betont, nichts dafür, dass im aktuellen Stadium des Ausgangsverfahrens Zweifel an der Anwendbarkeit der LOA auf die den Angeklagten zur Last gelegten Taten bestanden haben könnten. Es ist daher nicht ohne Weiteres ersichtlich, inwiefern die Rechtssicherheit sachdienlich zu ihren Gunsten eingewandt werden könnte.
115. Gleiches gilt für den Grundsatz des Schutzes des berechtigten Vertrauens, der voraussetzt, dass präzise und begründete Erwartungen vorliegen, die auf klaren Zusicherungen der zuständigen Behörden beruhen. Das Vorabentscheidungsersuchen enthält jedoch keine Angaben, die es ermöglichen würden, zu ermitteln, welche konkreten Erwartungen geweckt worden sein könnten, noch gegenüber welchen Personen, was die Möglichkeit oder andersherum die Unmöglichkeit anbelangt, Rechtsvorschriften über eine Amnestie zu erlassen, die bestimmte Handlungen, die in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2017/541 fallen, die aber in einem sachlich, persönlich und zeitlich begrenzten Rahmen keine schweren Verletzungen von Menschenrechten darstellen, von der strafrechtlichen Haftung befreit.
116. Als Zweites ist, soweit sich das vorlegende Gericht selbst auf den Grundsatz der Rechtssicherheit berufen hat, weil ihm der Anwendungsbereich von Art. 1 LOA ungewiss erscheine, daran zu erinnern – wie bereits bei der Prüfung der Vereinbarkeit dieses Gesetzes mit der Richtlinie 2017/541 ausgeführt –, dass das relevante Kriterium weder im sachlichen oder zeitlichen Umfang der Amnestie noch im Grad der Genauigkeit ihrer Konturen liegt. Aus Sicht des Unionsrechts kommt es auf die Einhaltung der durch das humanitäre Völkerrecht und die sich aus den Art. 2 und 3 EMRK in ihrer Auslegung durch den EGMR festgelegten substanziellen Grenzen an. Mit anderen Worten ist meines Erachtens nicht die abstrakte Tragweite oder allgemeine Formulierung von Art. 1 LOA entscheidend, sondern die Frage, ob diese Bestimmung, auch mittelbar, Handlungen erfassen kann, die schwere Verletzungen von Menschenrechten darstellen(75 ).
117. Dieser Ansatz ist umso berechtigter, als eine Prüfung des sachlichen und zeitlichen Umfangs einer Amnestiemaßnahme durch den Gerichtshof in Wirklichkeit darauf hinausliefe, diese Maßnahme in der Sache zu beurteilen. Wie aufgezeigt, fällt eine solche Bewertung jedoch in den Bereich, der den Mitgliedstaaten vorbehalten ist, da die Einführung, Reichweite und Modalitäten der Anwendung einer Amnestie der Harmonisierung durch das Unionsrecht entzogen sind und grundsätzlich in der ausschließlichen nationalen Zuständigkeit verbleiben.
118. Zwar könnte, wie insbesondere die Kommission in der mündlichen Verhandlung geltend gemacht hat, vorgebracht werden, dass im vorliegenden Fall der besonders weite Anwendungsbereich der Amnestie geeignet ist, die Wirksamkeit der Richtlinie 2017/541 zu gefährden, da er jede strafrechtliche Verfolgung der den Angeklagten des Ausgangsverfahrens zur Last gelegten Taten verhindert. Es ist jedoch daran zu erinnern, dass die Amnestie ein Institut ist, dessen Anwendungsmodalitäten je nach rechtlichem und politischem Kontext variieren. Sie kann in unterschiedlichen Stadien des Strafverfahrens erfolgen, vor, während(76 ) oder nach diesem, und entweder eine isolierte Handlung oder eine Reihe von Handlungen, die in einem festgelegten Zeitraum begangen wurden(77 ), betreffen. Kurzum handelt es sich um eine Maßnahme, die sich an vielfältige politische Umstände und Rechtslagen anpassen lässt.
119. Daher kommt es dem Gerichtshof meines Erachtens nicht zu, die politische Opportunität oder die Relevanz des sachlichen oder zeitlichen Anwendungsbereichs der Amnestie im Ausgangsverfahren zu beurteilen. Seine Kontrolle sollte sich darauf beschränken, zu prüfen, ob die externen Grenzen eingehalten sind, die vom Unionsrecht und den völkerrechtlichen Instrumenten, an die die Mitgliedstaaten gebunden sind, gesetzt werden. Insbesondere handelt es sich darum, sich zu vergewissern, dass diese Maßnahme keine Verhaltensweisen erfasst, die schwere Verletzungen von Grundrechten, darunter in erster Linie das Recht auf Leben und das Verbot der Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung, die durch die Art. 2 und 3 EMRK garantiert sind, darstellen.
120. Wie zuvor(78 ) festgestellt, ist dies jedoch vorliegend nicht der Fall. Es handelt sich nicht um eine Regelung, die die Anwendung bestimmter Vorschriften der Richtlinie 2017/541 insgesamt in ihrer Wirkung aufhebt, sondern um eine begrenzte Amnestiemaßnahme, die auf spezifischen politischen Erwägungen beruht. Da die Richtlinie den Rückgriff auf die Amnestie nicht per se verbietet, ist eine solche Maßnahme grundsätzlich als zulässig anzusehen, unabhängig davon, wie weit sich ihr sachlicher oder zeitlicher Anwendungsbereich erstreckt, soweit sie die zuvor dargelegt substanziellen Bedingungen einhält.
121. Dieses Ergebnis wird dadurch gestützt, dass die Amnestie im Ausgangsverfahren, auch wenn sie offenkundig einen weiten sachlichen und zeitlichen Anwendungsbereich aufweist, einer inneren Logik folgt, die ihr eine ihr eigene Kohärenz verleiht. Wie die spanische Regierung in der mündlichen Verhandlung geltend gemacht hat, umfasst die LOA einen bestimmten Zeitraum sowie genau umschriebene Taten, die alle mit dem Unabhängigkeitsprozess in Katalonien in Zusammenhang stehen. Die Maßnahme steht somit in einer direkten Beziehung zu dem ihrem Erlass zugrunde liegenden politischen Zweck, der institutionellen Normalisierung und der gesellschaftlichen Aussöhnung im Kontext der katalanischen Krise. Dieser Zweck ergibt sich explizit sowohl aus der Gesetzesbezeichnung als auch aus der Präambel der LOA.
122. Angesichts dieser Erwägungen schlage ich dem Gerichtshof im Hinblick auf den ersten Teil der vierten Frage vor, zu antworten, dass der Grundsatz der Rechtssicherheit in Verbindung mit der Richtlinie 2017/541 einer nationalen Regelung wie der LOA, die die Ausnahme von der strafrechtlichen Haftung zugunsten von Personen, die wegen Verhaltensweisen angeklagt sind, die unter diese Richtlinie fallen, davon abhängig macht, dass der Täter nicht vorsätzlich schwere Menschenrechtsverletzungen, insbesondere solche an Rechten aus Art. 2 und Art. 3 EMRK und im Bereich des humanitären Völkerrechts, verursacht hat, nicht entgegensteht.
123. In Bezug auf den zweiten Teil dieser Frage schlage ich vor, zu antworten, dass die Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes einer Regelung wie der in den Art. 1 und 2 LOA zur Bestimmung ihres Anwendungsbereichs vorgesehenen nicht entgegenstehen.
Zur achten Frage
124. Das vorlegende Gericht fragt im Wesentlichen, ob die Richtlinie 2017/541 im Licht der Art. 20 und 21 der Charta einer nationalen gesetzlichen Regelung wie der LOA entgegensteht, die Personen, die wegen unter diese Richtlinie fallender Straftaten verfolgt werden, von der strafrechtlichen Haftung ausnimmt, weil – nach Angaben des vorlegenden Gerichts – diese Straftaten in Verfolgung eines ideologischen Zwecks begangen wurden.
125. Meines Erachtens beruht diese Argumentation auf einer falschen Prämisse, da sie die besondere Art der in Rede stehenden Amnestie verkennt. Das vorlegende Gericht scheint nämlich die vorliegende Situation mit derjenigen gleichzusetzen, in der der Gesetzgeber eine allgemeine Regelung erlässt, mit der die strafrechtliche Haftung für bestimmte Delikte allein aufgrund ihrer ideologischen Konnotation aufgehoben werden soll. In einem solchen Szenarium könnte argumentiert werden, dass eine Ungleichbehandlung besteht zwischen den Personen, die durch eine bestimmte Ideologie motivierter Straftaten beschuldigt werden und denen die Amnestie zugutekommt, und Personen, die ähnliche Straftaten in einem anderen ideologischen Kontext begangen haben und nicht unter das Gesetz fallen würden. Ein solcher Ansatz könnte in der Tat Zweifel an seiner Vereinbarkeit mit den Art. 20 und 21 der Charta erwecken.
126. Dies ist vorliegend jedoch nicht der Fall. Die Aufhebung der strafrechtlichen Haftung erfolgt hier aufgrund eines Amnestiegesetzes, d. h. eines Rechtsakts mit Ausnahmecharakter, dessen ausdrücklicher Zweck darin besteht, die politische und gesellschaftliche Versöhnung zu fördern. Dieser Zweck rechtfertigt aus sich heraus eine differenzierte Behandlung bestimmter Sachverhalte, da diese Differenzierung auf objektiven und rationalen Kriterien beruht. Im vorliegenden Fall begrenzt die LOA ihren Anwendungsbereich eindeutig durch die Bezugnahme auf den klar bestimmten katalanischen Unabhängigkeitsprozess. Die Maßnahme beruht folglich nicht auf einer abstrakten oder subjektiven Beurteilung der ideologischen Motive der Straftaten, sondern auf einer präzisen politischen und zeitlichen Verankerung in unmittelbarem Zusammenhang mit dem verfolgten Ziel.
127. Die gegenteilige Ansicht, die insbesondere von der Kommission in der mündlichen Verhandlung vertreten wurde, liefe darauf hinaus, jeder Amnestiemaßnahme die Legitimität zu nehmen, indem ihr ihre eigentliche Funktion, unter außergewöhnlichen Umständen im Dienst eines übergeordneten Interesses der Befriedung die Überwindung der Spaltungen der Vergangenheit zu ermöglichen, abgesprochen würde.
128. Dies bedeutet jedoch nicht, dass jede Amnestie gerechtfertigt ist. Wie zuvor(79 ) in Erinnerung gerufen, müssen solche Maßnahmen bestimmte Anforderungen einhalten. Sie dürfen keine schweren Verletzungen von Menschenrechten umfassen und müssen auf einem legitimen Zweck beruhen und sich auf objektive Kriterien stützen, die im Zusammenhang mit dem verfolgten Ziel stehen. Die LOA erfüllt jedoch meines Erachtens diese Anforderungen, indem sie sich auf einen spezifischen politischen Kontext und einen expliziten Versöhnungszweck stützt.
129. Daher schlage ich dem Gerichtshof vor, zu antworten, dass die Art. 20 und 21 der Charta einer nationalen gesetzlichen Amnestieregelung wie Art. 1 LOA, die auf andere als die in diesem Artikel umschriebenen Taten keine Anwendung findet, auch wenn sie sich im selben Hoheitsgebiet und im selben Zeitraum ereignet haben, nicht entgegenstehen.
Zur siebten Frage
130. Sodann fragt das vorlegende Gericht, ob die LOA mit dem Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts sowie mit der in Art. 4 Abs. 3 EUV verankerten Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit vereinbar ist. Es möchte im Wesentlichen wissen, ob diese Grundsätze einer nationalen gesetzlichen Regelung entgegenstehen, die Personen, die wegen in den sachlichen Anwendungsbereich der Richtlinie 2017/541 fallender Taten strafrechtlich verfolgt werden, eine Amnestie gewährt.
131. Der Gerichtshof hat bereits in seinem Grundsatzurteil vom 15. Juli 1964, Costa(80 ), ausgeführt, dass dem aus einer autonomen Quelle fließenden Recht der Union keine nationale Norm, gleich welcher Art sie ist und wann sie erlassen wurde, vorgehen kann, ohne dass die Einheit und Wirksamkeit des Rechtssystems der Union in Frage gestellt würden. Er hat klargestellt, dass es eine Gefahr für die Verwirklichung der Ziele des Vertrags bedeuten würde und eine Diskriminierung der Rechtsunterworfenen zur Folge hätte, wenn das Unionsrecht von einem Mitgliedstaat zum anderen verschiedene Geltung haben könnte.
132. Der Gerichtshof hat betont, dass es, da er die ausschließliche Zuständigkeit für die verbindliche Auslegung des Unionsrechts hat, seine Sache ist, in Ausübung dieser Zuständigkeit die Tragweite des Grundsatzes des Vorrangs des Unionsrechts im Hinblick auf die einschlägigen Bestimmungen des Unionsrechts zu präzisieren, so dass diese Tragweite weder von einer Auslegung von Bestimmungen des nationalen Rechts noch von einer Auslegung von Bestimmungen des Unionsrechts durch ein nationales Gericht, die nicht der Auslegung durch den Gerichtshof entspricht, abhängen darf(81 ).
133. Dieser Grundsatz verpflichtet daher alle mitgliedstaatlichen Stellen, den verschiedenen unionsrechtlichen Vorschriften volle Wirksamkeit zu verschaffen, wobei das Recht der Mitgliedstaaten die diesen verschiedenen Vorschriften zuerkannte Wirkung im Hoheitsgebiet dieser Staaten nicht beeinträchtigen darf (82 ).
134. Was den in Art. 4 Abs. 3 EUV verankerten Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit anbelangt, erinnere ich daran, dass dieser die Mitgliedstaaten und die Organe der Union verpflichtet, sich gegenseitig zu achten und bei der Erfüllung der Aufgaben, die sich aus den Verträgen ergeben, zu unterstützen. Nach ständiger Rechtsprechung verlangt dieser Grundsatz von den Mitgliedstaaten, alle erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um die Geltung und die Wirksamkeit des Unionsrechts zu gewährleisten(83 ).
135. Im vorliegenden Fall ergibt die Prüfung nicht, dass der Erlass der LOA gegen den Grundsatz des Vorrangs verstößt. Wie zuvor(84 ) dargelegt, enthält die Richtlinie 2017/541 keine Bestimmung, die den Rückgriff auf die Amnestie ausdrücklich ausschließt. Vor allem wird die praktische Wirksamkeit der Richtlinie dadurch gewahrt, dass das Amnestiegesetz die durch das humanitäre Völkerrecht festgelegten Grenzen, insbesondere die Anforderungen in Bezug auf den Schutz der Grundrechte, einhält und nicht zur Straflosigkeit der schwerwiegendsten Verletzungen führt.
136. Die Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit kann nicht selbständig angeführt werden, um eine Amnestiemaßnahme zu verbieten, da sich aus der Richtlinie 2017/541 keine positive, klare und genaue Verpflichtung ergibt, die es den Mitgliedstaaten untersagen würde, auf eine solche Maßnahme zurückzugreifen. Da es keine die Amnestie verbietende zwingende Norm des Unionsrechts gibt, bleiben die Mitgliedstaaten für den Erlass solcher Gesetze zuständig, vorausgesetzt, diese stellen das Ziel der Richtlinie nicht in Frage und führen auch nicht zur Straflosigkeit schwerer Verletzungen von Menschenrechten.
137. Folglich kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Grundsätze des Anwendungsvorrangs und der loyalen Zusammenarbeit dem Erlass der LOA vorliegend im Wege stehen.
138. Daher schlage ich dem Gerichtshof vor, zu antworten, dass die Richtlinie 2017/541 in Verbindung mit dem Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts und dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit nach Art. 4 Abs. 3 EUV einer nationalen gesetzlichen Regelung wie der LOA, die im Rahmen der Ausübung einer ausschließlichen Zuständigkeit der Mitgliedstaaten Personen, die wegen unter diese Richtlinie fallender Handlungen angeklagt sind, bei Vorliegen bestimmter in diesem Gesetz festgelegter objektiver, subjektiver und zeitlicher Umstände im Wege der Amnestie von der strafrechtlichen Haftung ausnimmt, nicht entgegensteht, soweit dies das Ziel und die praktische Wirksamkeit dieser Richtlinie nicht gefährdet.
Zur neunten Frage
139. Mit seiner neunten und letzten Vorabentscheidungsfrage fragt das vorlegende Gericht den Gerichtshof nach der Auslegung von Art. 4 Abs. 2 EUV sowie von Art. 20 Abs. 2 Buchst. a und Art. 21 Abs. 1 AEUV. Es möchte wissen, ob diese Bestimmungen einer gesetzlichen Regelung wie der LOA insofern entgegenstehen, als diese Personen von der strafrechtlichen Haftung ausnimmt, die wegen als terroristisch eingeordneter Straftaten angeklagt sind, weil sie die Handlungen zu dem Zweck begangen haben, einen Teil des nationalen Hoheitsgebiets von diesem Mitgliedstaat abzuspalten. Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts birgt die LOA die Gefahr, dass sich solche Handlungen wiederholen oder verallgemeinern; dies gefährde die territoriale Unversehrtheit der Mitgliedstaaten und das Recht der Unionsbürger, sich im Gebiet der Union frei zu bewegen und aufzuhalten.
140. Vorab ist der Zweck des Vorabentscheidungsverfahrens, wie er aus Art. 267 AEUV hervorgeht, in Erinnerung zu rufen. Es entspricht ständiger Rechtsprechung, dass „das durch Art. 267 AEUV geschaffene Verfahren ein Instrument der Zusammenarbeit zwischen dem Gerichtshof und den nationalen Gerichten ist, mit dem der Gerichtshof diesen Gerichten Hinweise zur Auslegung gibt, die sie zur Entscheidung des bei ihnen anhängigen Rechtsstreits benötigen“. Der Gerichtshof fügt hinzu, dass die „Rechtfertigung des Vorabentscheidungsersuchens … nicht in der Abgabe von Gutachten zu allgemeinen oder hypothetischen Fragen [liegt], sondern darin, dass dessen Antwort für die tatsächliche Entscheidung eines Rechtsstreits erforderlich ist“(85 ).
141. Außerdem muss, „[w]ie sich bereits aus dem Wortlaut von Art. 267 AEUV ergibt, … die beantragte Vorabentscheidung ‚erforderlich‘ sein, um dem vorlegenden Gericht den ‚Erlass seines Urteils‘ in der bei ihm anhängigen Rechtssache zu ermöglichen“(86 ). Daraus folgt, dass das Vorabentscheidungsverfahren insbesondere voraussetzt, dass bei den nationalen Gerichten tatsächlich ein Rechtsstreit anhängig ist, in dem sie eine Entscheidung erlassen müssen, bei der das Urteil des Gerichtshofs im Vorabentscheidungsverfahren berücksichtigt werden kann(87 ).
142. Im vorliegenden Fall ist es offensichtlich, dass die neunte Frage keinen Bezug zur Entscheidung des Ausgangsverfahrens aufweist, das ein Strafverfahren gegen Personen betrifft, die wegen Taten angeklagt sind, die in den Anwendungsbereich sowohl der Richtlinie 2017/541 als auch der LOA fallen können. Die Frage, ob eine Amnestiemaßnahme generell die territoriale Unversehrtheit eines Mitgliedstaats oder die Freizügigkeit der Unionsbürger beeinträchtigen kann, weist in diesem Kontext keinen direkten Zusammenhang mit dem Gegenstand des Verfahrens auf. Es handelt sich um eine allgemeine, sogar politische Frage, die für das Ausgangsverfahren keine konkrete praktische Bedeutung hat.
143. Daher erscheint die Formulierung dieser neunten Frage ihrem Wesen nach mit einem hypothetischen oder abstrakten Rechtsstreit außerhalb des tatsächlich beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens verbunden. Letzteres wird in der Logik dieser Vorabentscheidungsfrage, die das Vorabentscheidungsverfahren zu einem Vehikel einer von dem Sachverhalt des Ausgangsverfahrens losgelösten Debatte machen will, auf eine untergeordnete Rolle verwiesen.
144. Mithin ist die neunte Frage, da sie für die Entscheidung des Ausgangsverfahrens unerheblich ist, meiner Ansicht nach für unzulässig zu erklären.
Ergebnis
145. Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, die umformulierten Vorlagefragen der Audiencia Nacional (Nationaler Gerichtshof, Spanien) wie folgt zu beantworten:
1. Die Richtlinie (EU) 2017/541 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. März 2017 zur Terrorismusbekämpfung und zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2002/475/JI des Rates und zur Änderung des Beschlusses 2005/671/JI des Rates
ist dahin auszulegen, dass
sie einer nationalen gesetzlichen Regelung wie der Ley Orgánica 1/2024 de amnistía para la normalización institucional, política y social en Cataluña (Organgesetz 1/2024 über die Amnestie zum Zwecke der institutionellen, politischen und sozialen Normalisierung in Katalonien) vom 10. Juni 2024 über die Amnestie zum Zwecke der institutionellen, politischen und sozialen Normalisierung in Katalonien nicht entgegensteht, die, wenn die in diesem Gesetz genannten subjektiven, objektiven und zeitlichen Kriterien erfüllt sind, Handlungen amnestiert, die aufgrund ihres Zwecks als terroristische Straftaten im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Buchst. d und f dieser Richtlinie oder als Straftaten im Zusammenhang mit einer terroristischen Vereinigung im Sinne von Art. 4 dieser Richtlinie eingestuft werden können, soweit diese Handlungen nicht vorsätzlich schwere Verletzungen von Menschenrechten, insbesondere Rechten aus Art. 2 und Art. 3 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten und im Bereich des humanitären Völkerrechts, verursacht haben, da die praktische Wirksamkeit der Richtlinie 2017/541 nicht beeinträchtigt wird.
2. Der Grundsatz der Rechtssicherheit ist in Verbindung mit der Richtlinie 2017/541
dahin auszulegen, dass
er einer nationalen gesetzlichen Regelung wie dem Organgesetz 1/2024, die die Ausnahme von der strafrechtlichen Haftung zugunsten von Personen, die wegen Verhaltensweisen angeklagt sind, die unter diese Richtlinie fallen, davon abhängig macht, dass der Täter nicht vorsätzlich schwere Menschenrechtsverletzungen, insbesondere solche an Rechten aus Art. 2 und Art. 3 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten und im Bereich des humanitären Völkerrechts, verursacht hat, nicht entgegensteht.
3. Die Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes sind in Verbindung mit der Richtlinie 2017/541
dahin auszulegen, dass
sie einer Regelung wie der in den Art. 1 und 2 des Organgesetzes 1/2024 zur Bestimmung seines Anwendungsbereichs vorgesehenen nicht entgegenstehen.
4. Die Richtlinie 2017/541 ist in Verbindung mit dem Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts und dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit nach Art. 4 Abs. 3 EUV
dahin auszulegen, dass
sie einer nationalen gesetzlichen Regelung wie dem Organgesetz 1/2024, die im Rahmen der Ausübung einer ausschließlichen Zuständigkeit der Mitgliedstaaten Personen, die wegen unter diese Richtlinie fallender Handlungen angeklagt sind, bei Vorliegen bestimmter in diesem Gesetz festgelegter objektiver, subjektiver und zeitlicher Umstände im Wege der Amnestie von der strafrechtlichen Haftung ausnimmt, nicht entgegensteht, soweit dies das Ziel und die praktische Wirksamkeit dieser Richtlinie nicht gefährdet.
5. Art. 20 und 21 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union
sind dahin auszulegen, dass
sie einer nationalen gesetzlichen Amnestieregelung wie Art. 1 des Organgesetzes 1/2024, die auf andere als die in diesem Artikel umschriebenen Taten keine Anwendung findet, auch wenn sie sich im selben Hoheitsgebiet und im selben Zeitraum ereignet haben, nicht entgegenstehen.