C-590/21 – Charles Taylor Adjusting

C-590/21 – Charles Taylor Adjusting

CURIA – Documents

Language of document : ECLI:EU:C:2023:246

Vorläufige Fassung

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

JEAN RICHARD DE LA TOUR

vom 23. März 2023(1)

Rechtssache C590/21

Charles Taylor Adjusting Limited,

FD

gegen

Starlight Shipping Company,

Overseas Marine Enterprises Inc.

(Vorabentscheidungsersuchen des Areios Pagos [Kassationsgerichtshof, Griechenland])

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts – Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen – Verordnung (EG) Nr. 44/2001 – Anerkennung und Vollstreckung in einem Mitgliedstaat von Entscheidungen aus einem anderen Mitgliedstaat – Art. 34 – Versagungsgründe – Verstoß gegen die öffentliche Ordnung des Mitgliedstaats, in dem die Anerkennung geltend gemacht wird – Begriff der ‚öffentlichen Ordnung‘ – Entscheidung, die die Fortsetzung der vor den Gerichten eines anderen Mitgliedstaats betriebenen Verfahren oder die Wahrnehmung des Rechts auf gerichtlichen Rechtsschutz verhindert“

I.      Einleitung

1.        Das Vorabentscheidungsersuchen des Areios Pagos (Kassationsgerichtshof, Griechenland) hat die Auslegung von Art. 34 Nr. 1 sowie Art. 45 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen(2) zum Gegenstand.

2.        Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits über die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen durch ein Gericht eines Mitgliedstaats, die ein Gericht eines anderen Mitgliedstaats erlassen hat und die bewirken, dass Parteien, die ein anderes Gericht des erstgenannten Mitgliedstaats angerufen hatten, davon abgehalten werden, das bei Letzterem anhängige Verfahren fortzusetzen.

3.        Das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen gibt dem Gerichtshof Anlass dazu, darüber zu befinden, ob im Fall einer Verurteilung der Kläger zur Zahlung einer Entschädigung für die Kosten des letztgenannten Verfahrens die Anerkennung und die Vollstreckung dieser Verurteilung wegen eines Verstoßes gegen die öffentliche Ordnung im Sinne von Art. 34 Nr. 1 der Verordnung Nr. 44/2001 versagt werden können, wenn diese von dem in einem Vergleich als zuständig bestimmten Gericht ausgesprochene Verurteilung darauf beruht, dass gegen den genannten Vergleich verstoßen wurde, mit dem ein früher von den Klägern betriebenes Verfahren beendet wurde.

4.        Ich werde die Gründe darlegen, derentwegen ich der Ansicht bin, dass auch bei einer solchen Sachlage die Grundsätze angewandt werden müssen, die den Gerichtshof dazu veranlasst haben, zu befinden, dass eine „Anti-Suit Injunction“, d. h. eine Anordnung, die einer Person verbieten soll, ein Verfahren vor den Gerichten eines anderen Mitgliedstaats einzuleiten oder fortzusetzen, nicht mit dem durch die Verordnung Nr. 44/2001 geschaffenen System vereinbar ist.

II.    Rechtlicher Rahmen

5.        Art. 34 Nr. 1 der Verordnung Nr. 44/2001 bestimmt:

„Eine Entscheidung wird nicht anerkannt, wenn

1.      die Anerkennung der öffentlichen Ordnung (ordre public) des Mitgliedstaats, in dem sie geltend gemacht wird, offensichtlich widersprechen würde[.]“

6.        Art. 45 Abs. 1 dieser Verordnung lautet:

„Die Vollstreckbarerklärung darf von dem mit einem Rechtsbehelf nach Artikel 43 oder Artikel 44 befassten Gericht nur aus einem der in den Artikeln 34 und 35 aufgeführten Gründe versagt oder aufgehoben werden. Das Gericht erlässt seine Entscheidung unverzüglich.“

III. Sachverhalt des Ausgangsrechtsstreits und Vorlagefragen

7.        Am 3. Mai 2006 sank das Schiff Alexandros T. mitsamt seiner Ladung vor der Bucht von Port Elizabeth (Südafrika). Die Gesellschaften Starlight Shipping Company(3) und Overseas Marine Enterprises Inc.(4) waren Eigentümer bzw. Nutzer dieses Schiffs und forderten von den Versicherern des Schiffs eine Entschädigung aus vertraglicher Haftung wegen des Eintritts des versicherten Schadensfalls.

8.        Nachdem die Versicherer dies verweigert hatten, erhob Starlight noch im selben Jahr im Vereinigten Königreich Klage vor dem zuständigen Gericht. Gegen einen der Versicherer leitete Starlight ein Schiedsverfahren ein. Während diese Verfahren anhängig waren, schlossen Starlight, OME und die Versicherer des Schiffs Vergleiche(5), mit denen die Verfahren zwischen den Parteien beendet wurden. Die Versicherer zahlten wegen des Eintritts des versicherten Schadensfalls innerhalb einer vereinbarten Frist die in den Versicherungsverträgen vorgesehene Versicherungssumme zur Abgeltung sämtlicher im Zusammenhang mit dem Verlust des Schiffs Alexandros T. stehender Ansprüche.

9.        Diese Vergleiche sind am 14. Dezember 2007 und am 7. Januar 2008 von dem englischen Gericht, bei dem die Klage anhängig war, gebilligt worden. Das Gericht ordnete für alle weiteren dasselbe Klagebegehren betreffenden Verfahren deren Aussetzung an.

10.      Nach Abschluss der genannten Vergleiche erhoben Starlight und ΟΜΕ sowie die weiteren Eigentümer und die natürlichen Personen, die sie gesetzlich vertreten, vor dem Polymeles Protodikeio Peiraios (Kollegialgericht erster Instanz Piräus, Griechenland) mehrere Klagen, darunter die vom 21. April 2011 und vom 13. Januar 2012. Diese Klagen richteten sich namentlich gegen die Charles Taylor Adjusting Limited(6), eine Beratungsgesellschaft für Rechts- und Technikfragen, die die Versicherer des Schiffs Alexandros T. gegen die von Starlight vor dem englischen Gericht geltend gemachten Ansprüche verteidigt hatte, sowie gegen FD, den Geschäftsführer dieser Beratungsgesellschaft.

11.      Mit diesen neuerlichen Klagen, mit denen Ansprüche aus unerlaubter Handlung geltend gemacht werden, begehrten Starlight und ΟΜΕ den Ersatz sowohl materieller als auch immaterieller Schäden, die sie aufgrund sie betreffender falscher und verleumderischer Behauptungen erlitten hätten und für die die Versicherer des Schiffs sowie deren Vertreter verantwortlich seien. Starlight und ΟΜΕ machten geltend, dass die Verrichtungsgehilfen und Vertreter der Versicherer, als das ursprüngliche Verfahren auf Zahlung der von den Versicherern geschuldeten Entschädigung noch anhängig gewesen und die Zahlung der Versicherungssumme noch verweigert worden sei, im Beisein der Ethniki Trapeza tis Ellados (Griechische Nationalbank), der Hypothekengläubigerin der Eigentümerin des gesunkenen Schiffs, sowie insbesondere auf dem Versicherungsmarkt das falsche Gerücht in Umlauf gebracht hätten, dass der Verlust des Schiffs auf dessen schwerwiegende Mängel zurückzuführen sei, die seinen Eigentümern bekannt gewesen seien.

12.      Im Verlauf des Jahres 2011, während die genannten Verfahren anhängig waren, erhoben die Versicherer des Schiffs und ihre Vertreter, darunter namentlich die in diesen Verfahren beklagten Charles Taylor und FD, in England Klage gegen Starlight und ΟΜΕ und beantragten, festzustellen, dass die in Griechenland angestrengten Verfahren gegen die Vergleiche verstießen; darüber hinaus stellten sie weitere Feststellungs- und Schadensersatzanträge.

13.      Nach Verfahren in allen Instanzen vor den englischen Gerichten führten diese Klagen am 26. September 2014 zur Verkündung eines Urteils und zweier Beschlüsse durch einen Richter des High Court of Justice (England & Wales), Queen’s Bench Division (Commercial Court) (Hoher Gerichtshof [England und Wales], Abteilung Queen’s Bench [Kammer für Handelssachen]), Vereinigtes Königreich (im Folgenden: High Court)(7). Diese stützten sich auf den Inhalt der Vergleiche sowie auf die dieses Gericht für zuständig erklärende Gerichtsstandsklausel. Starlight und ΟΜΕ wurden zur Zahlung einer Entschädigung im Zusammenhang mit dem in Griechenland eingeleiteten Verfahren und dazu verurteilt, die in England entstandenen Kosten zu erstatten(8).

14.      Das Monomeles Protodikeio Peiraios, Naftiko Tmima (Gericht erster Instanz – Einzelrichter – Kammer für Seerecht – Piräus, Griechenland) gab dem Antrag von Charles Taylor und von FD vom 7. Januar 2015 auf Anerkennung und Teilvollstreckbarerklärung dieser Entscheidungen in Griechenland gemäß der Verordnung Nr. 44/2001 statt.

15.      Am 11. September 2015 legten Starlight und OME vor dem Monomeles Efeteio Peiraios Naftiko Tmima (Berufungsgericht – Einzelrichter – Kammer für Seerecht – Piräus, Griechenland) einen Rechtsbehelf(9) gegen diese Entscheidung ein.

16.      Mit Urteil vom 1. Juli 2019 gab dieses Gericht ihrem Antrag mit der Begründung statt, dass die Entscheidungen, deren Anerkennung und Vollstreckung beantragt würden, „quasi Anti-Suit Injunctions“ (Quasi-Prozessführungsverbote) enthielten, die die Betroffenen daran hinderten, griechische Gerichte anzurufen, was gegen Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten(10) sowie gegen Art. 8 Abs. 1 und Art. 20 der Syntagma (Verfassung) verstoße. Diese Bestimmungen gehörten zum Kernbereich des Begriffs der öffentlichen Ordnung in Griechenland.

17.      Charles Taylor und FD fochten diese Entscheidung beim Areios Pagos (Kassationsgerichtshof) mit einem Rechtsmittel an. Sie sind der Ansicht, das Urteil und die Beschlüsse des High Court enthielten weder einen offensichtlichen Verstoß gegen die öffentliche Ordnung am Ort des Gerichtsstands noch gegen die der Europäischen Union, und sie verletzten nicht deren Grundprinzipien. Dass ihnen eine vorläufige Entschädigung in Ansehung der Klagen zugesprochen worden sei, die in Griechenland im Vorfeld der vor den englischen Gerichten eingereichten erhoben worden seien, hindere weder die Betroffenen daran, weiter die griechischen Gerichte anzurufen, noch diese Gerichte daran, ihnen Rechtsschutz zu gewähren. Daher seien das Urteil und die Beschlüsse des High Court zu Unrecht als Anti-Suit Injunctions behandelt worden.

18.      Unter diesen Umständen hat der Areios Pagos (Kassationsgerichtshof) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof die folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Liegt ein offensichtlicher Verstoß gegen die öffentliche Ordnung der Union und damit gegen die nationale öffentliche Ordnung, der nach Art. 34 Nr. 1 und Art. 45 Abs. 1 der Verordnung Nr. 44/2001 einen Grund für die Versagung der Anerkennung und Vollstreckbarerklärung darstellt, nicht nur bei ausdrücklichen „Anti-Suit Injunctions“, mit denen untersagt wird, Verfahren vor den Gerichten anderer Mitgliedstaaten einzuleiten oder fortzusetzen, sondern auch bei Urteilen und Beschlüssen von Gerichten der Mitgliedstaaten vor, (i) die die Gewährung von Rechtsschutz durch ein Gericht eines anderen Mitgliedstaats oder die Fortsetzung von dort bereits eingeleiteten Gerichtsverfahren für den Kläger erschweren und ihn dabei behindern, und (ii) ist ein derartiger Eingriff in die Zuständigkeit eines Gerichts eines anderen Mitgliedstaats, über eine bestimmte, bereits bei ihm anhängige Rechtsstreitigkeit zu entscheiden, mit der öffentlichen Ordnung der Union vereinbar? Widerspricht insbesondere die Anerkennung oder (und) Vollstreckbarerklärung von Urteilen oder Beschlüssen von Gerichten der Mitgliedstaaten der öffentlichen Ordnung der Union im Sinne von Art. 34 Nr. 1 und Art. 45 Abs. 1 der Verordnung Nr. 44/2001, wenn mit diesen Urteilen oder Beschlüssen den Antragstellern, die die Anerkennung und Vollstreckbarerklärung begehren, eine vorläufige, ihnen im Voraus zu zahlende finanzielle Entschädigung für die ihnen durch die Erhebung einer Klage oder die Fortsetzung eines Verfahrens vor dem Gericht eines anderen Mitgliedstaats entstehenden Kosten und Auslagen zugesprochen wird, und zwar mit der Begründung, dass

a)      die Rechtssache – wie sich aus der Prüfung dieser Klage ergebe – von einem Vergleich erfasst werde, der formgerecht geschlossen und von dem Gericht des Mitgliedstaats, das das Urteil (oder) und den Beschluss erlasse, gebilligt worden sei, und

b)      das Gericht des anderen Mitgliedstaats, bei dem die Partei, gegen die das Urteil und der Beschluss ergangen seien, eine neue Klage eingereicht habe, wegen einer ausschließlichen Gerichtsstandsklausel nicht zuständig sei?

2.      Falls Frage 1 zu verneinen ist: Stellt es im Sinne des in Art. 34 Nr. 1 der Verordnung Nr. 44/2001 enthaltenen Begriffs, dessen Grenzen der Gerichtshof auszulegen hat, einen Grund für die Versagung der Anerkennung und Vollstreckbarerklärung der von Gerichten eines anderen Mitgliedstaats (Vereinigtes Königreich) mit dem oben (unter 1.) genannten Inhalt erlassenen Entscheidung und Beschlüsse in Griechenland dar, wenn diese unmittelbar und offensichtlich gegen die nationale öffentliche Ordnung verstoßen, und zwar nach den im Land herrschenden wesentlichen staatstragenden und rechtlichen Anschauungen und den grundlegenden Regelungen des griechischen Rechts, die den Kernbereich des Rechts auf gerichtlichen Rechtsschutz (Art. 8 und 20 der griechischen Verfassung, Art. 33 des Astikos Kodikas [Zivilgesetzbuch] und den im gesamten griechischen Prozessrecht enthaltenen Grundsatz der Wahrung des vorgenannten Rechts, wie er in den Art. 173 Abs. 1 bis 3, Art. 176, 185, 191, 205 des Kodikas Politikis Dikonomias [Zivilprozessordnung] konkretisiert wird) und des Art. 6 Abs. 1 EMRK betreffen, so dass in diesem Fall eine Abweichung von dem im Unionsrecht verankerten Grundsatz des freien Verkehrs gerichtlicher Entscheidungen zulässig ist, und ist die auf diesem Grund beruhende Versagung der Anerkennung mit den Anschauungen vereinbar, die die europäische Perspektive aufnehmen und fördern?

19.      Charles Taylor und FD, Starlight und OME, die griechische und die spanische Regierung sowie die Europäische Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht.

IV.    Würdigung

20.      Mit seiner ersten Vorlagefrage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 34 Nr. 1 der Verordnung Nr. 44/2001 dahin auszulegen ist, dass ein Gericht eines Mitgliedstaats die Anerkennung und Vollstreckung einer Entscheidung wegen eines Verstoßes gegen die öffentliche Ordnung versagen kann, der darin besteht, dass die fragliche Entscheidung insofern der Fortsetzung eines bei einem anderen Gericht dieses Mitgliedstaats anhängigen Verfahrens entgegensteht, als sie einer der Parteien eine vorläufige finanzielle Entschädigung für die Kosten zuspricht, die ihr durch das Betreiben des in Rede stehenden Verfahrens entstehen, und zwar mit der Begründung, dass zum einen der Gegenstand dieses Verfahrens von einem Vergleich erfasst werde, der ordnungsgemäß geschlossen und von demjenigen Gericht des Mitgliedstaats, das die fragliche Entscheidung erlassen habe, gebilligt worden sei, und dass zum anderen das Gericht des anderen Mitgliedstaats, bei dem das in Rede stehende Verfahren eingeleitet worden sei, in Ansehung einer ausschließlichen Gerichtsstandsklausel nicht zuständig sei.

21.      Im vorliegenden Fall wurden das Urteil und die Beschlüsse des High Court, deren Anerkennung und Vollstreckung vor einem griechischen Gericht beantragt werden, am 26. September 2014 erlassen. Die Verordnung Nr. 44/2001 ist in zeitlicher Hinsicht auf das Ausgangsverfahren anwendbar(11).

22.      Diese Verordnung enthält besondere Regeln für die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen, auf die erneut hingewiesen werden soll(12), wobei zu betonen ist, dass die nicht alle in die Verordnung Nr. 1215/2012 übernommen worden sind.

A.      Überblick über die auf den Rechtsstreit anwendbaren Anerkennungs- und Vollstreckungsregeln

23.      Die Verordnung Nr. 44/2001 sieht vor, dass „[d]ie in einem Mitgliedstaat ergangenen Entscheidungen … in den anderen Mitgliedstaaten anerkannt [werden], ohne dass es hierfür eines besonderen Verfahrens bedarf“(13). Bildet die Frage, ob eine Entscheidung anzuerkennen ist, als solche den Gegenstand eines Streites, so kann jede Partei, welche die Anerkennung geltend macht, beantragen, dass die Entscheidung anzuerkennen ist(14). Für die Vollstreckung der Entscheidung ist in Art. 38 dieser Verordnung ein Verfahren vorgesehen, um sie auf entsprechenden Antrag hin in dem Mitgliedstaat, in dem sie vollstreckt werden soll, für vollstreckbar erklären zu lassen(15).

24.      In diesem Verfahrensstadium wird keine Prüfung in der Sache vorgenommen(16).

25.      Nach Art. 45 Abs. 1 der Verordnung Nr. 44/2001 kann das Gericht eine solche Vollstreckbarerklärung nur im Rahmen eines Rechtsbehelfs gegen die Entscheidung über den Antrag auf Vollstreckbarerklärung gemäß Art. 43 Abs. 1 dieser Verordnung(17), und zwar aus einem der in den Art. 34 und 35 aufgeführten Gründe für die Nichtanerkennung, versagen oder aufheben.

26.      In Art. 34 der Verordnung Nr. 44/2001 werden vier allgemeine Gründe für die Nichtanerkennung einer Entscheidung genannt(18). Nr. 1 dieses Artikels betrifft den Fall, dass „die Anerkennung der öffentlichen Ordnung (ordre public) des Mitgliedstaats, in dem sie geltend gemacht wird, offensichtlich widersprechen würde“. Gemäß Art. 35 Abs. 3 dieser Verordnung gehören die Vorschriften über die Zuständigkeit nicht zur öffentlichen Ordnung (ordre public)(19).

27.      Das vorlegende Gericht möchte wissen, ob dieses Kriterium in Anbetracht der besonderen Umstände des Falls, mit dem es befasst ist, heranzuziehen ist.

B.      Die besonderen Umstände des Ausgangsverfahrens

28.      Mehrere Umstände des verfahrensrechtlichen Hintergrunds und des Inhalts der fraglichen Entscheidungen sind hervorzuheben.

1.      Verfahrensrechtlicher Hintergrund

29.      Gegenstand der Vorlageentscheidung ist die Frage, ob die Anerkennung und Vollstreckung einer Entscheidung mit der Begründung versagt werden darf, dass diese Anerkennung der öffentlichen Ordnung widerspräche, wenn der verfahrensrechtliche Hintergrund folgende Besonderheiten aufweist:

–        Die Parteien des Ausgangsverfahrens haben im Rahmen einer von Starlight auf vertraglicher Grundlage erhobenen Klage Vergleiche unterzeichnet, die die ausschließliche Zuständigkeit eines englischen Gerichts vorsehen.

–        Die Beklagten der von Starlight und OME nach Abschluss dieser Vergleiche vor einem griechischen Gericht erhobenen Klage aus unerlaubter Handlung haben bei diesem englischen Gericht Entscheidungen erwirkt, die ihrem Schutzantrag auf Feststellung stattgeben und ihnen als Vorauszahlung eine Entschädigung, die im Zusammenhang mit den Kosten des Verfahrens vor dem griechischen Gericht steht, sowie eine Zahlung zur Erstattung von vor dem genannten englischen Gericht angefallenen Kosten zusprechen.

–        Die Anerkennung und Vollstreckung dieser Entscheidung hängen, wie Charles Taylor und FD vorgebracht haben, von der Beurteilung ihres Inhalts ab.

2.      Der vom vorlegenden Gericht dargelegte Inhalt der fraglichen Entscheidungen

30.      Die Fragen des vorlegenden Gerichts ergeben sich aus dem Inhalt des Urteils und der Beschlüsse des High Court, den es dem Antrag von Charles Taylor und FD entnimmt.

31.      Erstens beruhen diese Entscheidungen auf einer zweifachen Feststellung. Zum einen wurde im Wege des Urteils entschieden, dass die in Griechenland erhobenen Klagen gegen die Vergleiche verstießen(20). Diese Vergleiche seien zwischen Parteien geschlossen worden, die sich sämtlich in den Gerichtsverfahren in England und im Schiedsverfahren mit der Behauptung konfrontiert gesehen hätten, sie seien an einer gemeinschaftlich begangenen unerlaubten Handlung beteiligt gewesen. Die Wirkung dieser Vergleiche bestehe darin, dass jedwede etwaige Klage gegen diese Parteien aus einem Grund wie dem Rechtsgrund der in Griechenland gegen sie eingeleiteten Verfahren nach der Regel, die für mehrere deliktisch haftende Schädiger gelte, bereits vom Regelungsprogramm der Vergleiche erfasst worden sei.

32.      Zum anderen ist im Beschlusswege außerdem festgestellt worden, dass die Klagen vor den griechischen Gerichten unter Verletzung der ausschließlichen Gerichtsstandsvereinbarung erhoben worden seien.

33.      Zweitens wurden Starlight und OME in zwei getrennten Beschlüssen zu folgenden Zahlungen verurteilt:

–        auf der Grundlage des Urteils des High Court, das die Forderung dem Grunde und der Höhe nach bestimmt(21), zu einer Vorauszahlung auf die Entschädigung, die aufgrund des in Griechenland eingeleiteten Verfahrens geschuldet werde, in Höhe von 100 000 Pfund Sterling (GBP) (ca. 128 090 Euro)(22), zahlbar bis spätestens 17. Oktober 2014, 16.30 Uhr, für alle Schäden, die bis einschließlich 9. September 2014 entstanden seien, sowie

–        zu zwei Zahlungen für die Kosten des Verfahrens vor dem englischen Gericht, nämlich 120 000 GBP (ca. 153 708 Euro) und 30 000 GBP (ca. 38 527 Euro), zahlbar innerhalb der gleichen Frist.

34.      Drittens finden sich zusätzliche Ausführungen in den Beschlüssen des High Court, deren Anerkennung und Vollstreckbarerklärung bei den griechischen Gerichten beantragt wurde. Das vorlegende Gericht stellt sie wie folgt dar:

–        „[D]ie beiden Beschlüsse [des High Court] enthalten eingangs Verfügungen, in denen Starlight und OME sowie die natürlichen Personen, die sie vertreten, darauf hingewiesen werden, dass, [wenn sie] den Beschluss nicht befolgen, davon ausgegangen werden kann, dass [sie] das Gericht missachtet haben; dann kann ihr Vermögen beschlagnahmt werden, oder eine Geldstrafe kann gegen sie verhängt werden, oder die natürlichen Personen können in Haft genommen werden (Rn. 1 bis 5).“

–        „[D]iese Beschlüsse enthalten zudem folgende Punkte, die auch in die Rechtsmittelschrift keine Aufnahme gefunden haben (es wurde nicht beantragt, diese Passagen anzuerkennen oder sie für vollstreckbar zu erklären):

‚4.      Gegen die Gesellschaften Starlight und OME wird jeweils eine Entscheidung über die Höhe der Entschädigung erlassen.

5.      Es können Anträge auf weitere Vorauszahlungen auf die genannte Entschädigung gestellt werden [dies bezieht sich offensichtlich auf den Fall, dass die Verfahren vor den griechischen Gerichten fortgeführt werden und die Kosten der Kläger um ein Vielfaches steigen(23)].‘“

–        „Und der erste Beschluss enthält zusätzlich die folgenden Verfügungen:

‚8.      … die Gesellschaften Starlight und OME werden jeweils mit einer Vereinbarung gemäß der Mustervereinbarung, die diesem Beschluss beigefügt ist, die CTa[(24)]-Parteien von jedweder Verpflichtung im Zusammenhang mit Ansprüchen freistellen, die die Gesellschaften Starlight bzw. OME im Klagewege vor griechischen Gerichten gegen eine der Cta-Parteien womöglich geltend machen, und Starlight und OME sind verpflichtet, die unterzeichneten Originale an die Anwälte der Cta-Parteien … zurückzusenden.

9.      Wenn Starlight und OME nicht mittels einer zumutbaren Suche ausfindig gemacht werden können oder wenn sie es unterlassen oder sich weigern, die Vereinbarungen bis zum oben genannten Datum zu unterzeichnen, kann Richter Kay, QC, die Vereinbarungen auf entsprechenden Antrag hin selbst ausfertigen.‘“

35.      Unter diesen Umständen stellt sich die Frage, wie die Entscheidungen, deren Anerkennung und Vollstreckung beantragt wird, einzustufen sind.

C.      Einstufung der fraglichen Entscheidungen

36.      Das vorlegende Gericht stellt fest, dass sich nach dem Urteil und den Beschlüssen des High Court, dessen ausschließliche Zuständigkeit von den Parteien im Rahmen der Vergleiche vereinbart wurde, bestimmt, welche Auswirkungen die Vergleiche auf das bei den griechischen Gerichten anhängige Verfahren haben.

37.      Zwar richten sich diese Entscheidungen nicht unmittelbar an das griechische Gericht und untersagen nicht ausdrücklich die Fortsetzung des Verfahrens, mit dem es befasst ist. Sie enthalten jedoch Ausführungen dazu, inwieweit das griechische Gericht in Hinblick auf die zwischen den Parteien geschlossenen Vergleiche zuständig ist, und verurteilen zu Geldzahlungen, wozu eine Schadensersatzentscheidung über eine im Voraus zu zahlende Entschädigung gehört, die insofern abschreckend wirkt, als ihre Höhe nicht abschließend bestimmt ist und von der Fortsetzung dieses Verfahrens abhängt(25). Darüber hinaus sind diesen Entscheidungen von ihnen nicht trennbare Sanktionen und Verfügungen beigegeben, um die Durchsetzung der Entscheidungen sicherzustellen(26). Sie sind unmittelbar an Starlight und ΟΜΕ gerichtet und verfolgen das Ziel, dass diese den Verstoß gegen die die Gerichtsstandsklausel enthaltenden Vergleiche abstellen(27).

38.      Nach alledem scheint es mir gerechtfertigt, dass das vorlegende Gericht das Urteil und die Beschlüsse des High Court „quasi“ als „Anti-Suit Injunctions“(28) einstuft und dabei insbesondere auf die Schadensersatzzahlungsverpflichtungen abstellt, deren Anerkennung und Vollstreckung beantragt werden.

39.      Daher bin ich der Ansicht, dass das vorlegende Gericht zu Recht die Frage nach der Vereinbarkeit der Wirkungen einer etwaigen Anerkennung und Vollstreckung dieser Entscheidungen mit der Verordnung Nr. 44/2001 aufwirft, indem es sich auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs zum Erlass von „Anti-Suit Injunctions“(29) bezieht, um daraus einen Ordre-public-Verstoß herzuleiten.

D.      Grundsätze der Rechtsprechung zur „Anti-Suit Injunction“

1.      Die Prüfung der Zuständigkeit des Gerichts eines Mitgliedstaats durch das Gericht eines anderen Mitgliedstaats ist mit dem Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens unvereinbar

40.      Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs(30) steht das Unionsrecht im Bereich der gerichtlichen Zuständigkeit dem von einem Gericht gegenüber einer Partei ausgesprochenen Verbot entgegen, eine Klage vor einem Gericht eines anderen Mitgliedstaats zu erheben oder weiterzuverfolgen(31), wenn das Verbot die Zuständigkeit dieses Gerichts beeinträchtigt, den ihm vorgelegten Rechtsstreit zu entscheiden. Denn ein solcher Eingriff ist nicht mit dem System des Brüsseler Übereinkommens sowie der Verordnung Nr. 44/2001 vereinbar, das auf dem Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens beruht.

41.      Darüber hinaus hat der Gerichtshof verschiedene Begründungen, die zur Rechtfertigung dieses Eingriffs angeführt wurden, verworfen, und zwar

–        dass der Eingriff nur mittelbar erfolge und einen Verfahrensmissbrauch durch den Beklagten des innerstaatlichen Verfahrens verhindern solle. Der Gerichtshof befand, dass die Beurteilung des dem Beklagten zum Vorwurf gemachten missbräuchlichen Verhaltens, das darin bestehe, dass er sich auf die Zuständigkeit eines Gerichts eines anderen Mitgliedstaats beruft, beinhaltet, dass beurteilt werden muss, ob die Erhebung einer Klage vor einem Gericht eines anderen Mitgliedstaats angemessen ist(32), und

–        dass eine Beteiligung an einem Schiedsverfahren vorliege(33).

42.      Somit ergibt sich aus dieser Rechtsprechung der nunmehr anerkannte allgemeine Grundsatz, dass jedes angerufene Gericht nach geltendem Recht selbst bestimmt, ob es für die Entscheidung über den bei ihm anhängig gemachten Rechtsstreit zuständig ist(34), und keiner Partei – gegebenenfalls unter Androhung von Sanktionen – die Möglichkeit vorenthalten werden darf, ein Gericht eines Mitgliedstaats anzurufen, das seine Zuständigkeit selbst überprüft(35).

2.      Vom Unionsgesetzgeber begrenzte Ausnahmen vom Grundsatz der Nichtkontrolle der Zuständigkeit

43.      Der Gerichtshof weist in seiner Rechtsprechung darauf hin, dass Ausnahmen von diesem allgemeinen Grundsatz nach der Verordnung Nr. 44/2001 in begrenztem Umfang zulässig sind, dass sie nur das Verfahrensstadium der Anerkennung oder Vollstreckung von Entscheidungen betreffen und dass sie die Anwendung bestimmter Vorschriften über die besondere oder ausschließliche Zuständigkeit gewährleisten sollen, die ausschließlich in dieser Verordnung vorgesehen sind(36).

44.      Daraus ist meines Erachtens abzuleiten, dass der Unionsgesetzgeber die Auffassung vertritt, dass Vereinbarungen von Parteien, in denen sie sich verpflichten, ihre Streitigkeiten einem Schiedsverfahren zu unterwerfen, oder mit denen sie ein Gericht zur Entscheidung über die Streitigkeit bestimmen, für die Anwendung des Grundsatzes der Nichtkontrolle der Zuständigkeit unerheblich sind(37).

45.      Der Gerichtshof hat sich zu dieser letzten Fallkonstellation noch nicht geäußert(38). Meiner Ansicht nach darf einer Partei, die ein Gericht eines Mitgliedstaats mit der Begründung anruft, dass die Gerichtsstandsklausel, der sie zugestimmt habe, nicht anwendbar sei, entsprechend der für Schiedsverfahren im Urteil Allianz und Generali Assicurazioni Generali(39) zugrunde gelegten Lösung der gerichtliche Schutz, auf den sie ein Recht hat, nicht vorenthalten werden(40).

46.      Die Grundlage des Verbots von „Anti-Suit Injunctions“ innerhalb der Union, nämlich das gegenseitige Vertrauen zwischen den Gerichten, sowie das Fehlen einer besonderen Bestimmung in der Verordnung Nr. 1215/2012, die an die Stelle der Verordnung Nr. 44/2001 getreten ist, rechtfertigen es, die Rechtsprechung des Gerichtshofs auf Fälle zu erstrecken, in denen einem Gericht kraft Vereinbarung der Parteien die ausschließliche Zuständigkeit übertragen wurde(41). Die praktische Wirksamkeit dieser Verordnung wird auf diese Weise gewährleistet(42).

E.      Zur aus der öffentlichen Ordnung hergeleiteten Begründung, mit der die Anerkennung und Vollstreckung von „Anti-Suit Injunctions“ versagt wird

47.      Die in Art. 34 Nr. 1 der Verordnung Nr. 44/2001(43) vorgesehene Beurteilung der offensichtlichen Unvereinbarkeit mit der öffentlichen Ordnung des Mitgliedstaats, in dem die Anerkennung geltend gemacht wird, bezieht sich auf die Wirkungen, die die ausländische Entscheidung entfaltet, wenn sie anerkannt und vollstreckt wird(44), und zwar im Hinblick auf ein europäisches Verständnis der öffentlichen Ordnung(45).

48.      Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs ist Art. 34 Nr. 1 der Verordnung Nr. 44/2001 insofern eng auszulegen, als diese Bestimmung ein Hindernis für die Verwirklichung eines der grundlegenden Ziele dieser Verordnung bildet. Sie kann deshalb nur in Ausnahmefällen eine Rolle spielen. Der Gerichtshof wacht über die Grenzen, innerhalb deren sich das Gericht eines Mitgliedstaats auf diesen Begriff stützen darf, um einer Entscheidung eines anderen Mitgliedstaats die Anerkennung zu versagen(46).

49.      Was den verfahrensrechtlichen Ordre public betrifft(47), so legt der Gerichtshof diesen Begriff aus Art. 34 Nr. 1 weit aus und hat entschieden, dass im Fall einer Beeinträchtigung des in Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union garantierten Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf ein Ordre-public-Einwand erhoben werden kann(48).

50.      Im vorliegenden Fall betrifft die Frage des vorlegenden Gerichts die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen, die namentlich auf einem Verstoß gegen eine in Vergleichen enthaltene Gerichtsstandsklausel beruhen und die von dem von den Parteien benannten Gericht erlassen wurden, das die finanziellen Folgen des Verstoßes festlegt(49). Insbesondere erlegen diese Entscheidungen den Vergleichsparteien, die nicht als Erstes dieses Gericht angerufen haben, eine im Voraus zu zahlende Entschädigung auf, die mit den Kosten in Zusammenhang steht, die von den in einem anderen Mitgliedstaat verklagten anderen Parteien zu tragen sind.

51.      Diese nicht nur im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes zur Sicherung getroffenen Entscheidungen werden von Maßnahmen flankiert, die ihre Durchsetzung sicherstellen sollen, und sehen die Zuerkennung weiterer Entschädigungen für den Fall vor, dass das Verfahren vor dem griechischen Gericht fortgesetzt wird. In ihren Auswirkungen gehen sie daher weit über den Rahmen der Auslegung der Vergleiche und der Prüfung der Zuständigkeit durch das von den Parteien in diesen Vergleichen bestimmte Gericht hinaus(50).

52.      In ihrem Zusammenhang betrachtet, haben mithin insbesondere die Beschlüsse des High Court unbestreitbar die Wirkung, die betroffenen Parteien dazu zu zwingen, ihre Klage zurückzunehmen. Dadurch wird mittelbar auch der Zugang zum einzigen mit dem Rechtsstreit in der Sache befassten Gericht behindert, das nach der Verordnung Nr. 44/2001 befugt ist, über seine Zuständigkeit zu befinden, das Verfahren zu Ende zu führen und über die Kosten des bei ihm anhängigen Verfahrens sowie über etwaige Schadensersatzanträge im Zusammenhang mit diesem Verfahren zu entscheiden.

53.      In Erwägung dessen, dass es Sache dieses Gerichts ist, eine Gesamtwürdigung des Verfahrens und sämtlicher Umstände vorzunehmen(51), führt das vorlegende Gericht meines Erachtens zu Recht an, dass die Anerkennung und die Vollstreckung des Urteils und der Beschlüsse des High Court mit der öffentlichen Ordnung am Ort des Gerichtsstands offensichtlich unvereinbar sind, indem es argumentiert, dass der fundamentale Grundsatz des auf gegenseitigem Vertrauen beruhenden europäischen Rechtsraums(52), wonach jedes Gericht über seine eigene Zuständigkeit entscheidet, verletzt wird. Ich erinnere daran, dass dieser Grundsatz den Gerichtshof dazu veranlasst hat, zu erklären, dass der genannte Grundsatz unter allen Umständen dem Erlass von Entscheidungen entgegensteht, die unmittelbar oder mittelbar die Fortsetzung eines in einem anderen Mitgliedstaat eingeleiteten Verfahrens verbieten.

54.      Mit anderen Worten kann in Anbetracht seiner systemischen Grundlage eine Abweichung von diesem Verbot nicht zugelassen werden: Die Möglichkeit bestünde, dass einer Entscheidung Wirkungen verliehen würden, die zu treffen in einem Verfahren in der Sache untersagt gewesen wäre.

55.      Daher schlage ich dem Gerichtshof vor, die erste Vorlagefrage zu bejahen und demnach festzustellen, dass es nicht notwendig ist, die zweite Frage zu prüfen.

V.      Schlussfolgerung

56.      Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, auf die vom Areios Pagos (Kassationsgerichtshof, Griechenland) zur Vorabentscheidung vorgelegten Fragen wie folgt zu antworten:

Art. 34 Nr. 1 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen

ist dahin auszulegen, dass

ein Gericht eines Mitgliedstaats die Anerkennung und Vollstreckung einer Entscheidung wegen eines Verstoßes gegen die öffentliche Ordnung versagen kann, der darin besteht, dass die fragliche Entscheidung insofern der Fortsetzung eines bei einem anderen Gericht dieses Mitgliedstaats anhängigen Verfahrens entgegensteht, als sie einer der Parteien eine vorläufige finanzielle Entschädigung für die Kosten zuspricht, die ihr durch das Betreiben des in Rede stehenden Verfahrens entstehen, und zwar mit der Begründung, dass zum einen der Gegenstand dieses Verfahrens von einem Vergleich erfasst werde, der ordnungsgemäß geschlossen und von demjenigen Gericht des Mitgliedstaats, das die fragliche Entscheidung erlassen habe, gebilligt worden sei, und dass zum anderen das Gericht des anderen Mitgliedstaats, bei dem das in Rede stehende Verfahren eingeleitet worden sei, in Ansehung einer ausschließlichen Gerichtsstandsklausel nicht zuständig sei.






















































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