C-47/22 – Apotheke B.

C-47/22 – Apotheke B.

CURIA – Documents

Language of document : ECLI:EU:C:2023:225

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

PRIIT PIKAMÄE

vom 16. März 2023(1)

Rechtssache C47/22

Apotheke B.

gegen

Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen (BASG)

(Vorabentscheidungsersuchen des Bundesverwaltungsgerichts [Österreich])

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Pharmazeutische und kosmetische Erzeugnisse – Humanarzneimittel – Richtlinie 2001/83/EG – Art. 77, 79 und 80 – Großhandelsvertrieb von Arzneimitteln – Genehmigung zur Ausübung der Tätigkeit eines Arzneimittelgroßhändlers – Widerruf oder Aussetzung der Genehmigung“

1.        Der Gerichtshof hat über ein Vorabentscheidungsersuchen des Bundesverwaltungsgerichts (Österreich) zu befinden. Die dritte Vorlagefrage, auf die sich die vorliegenden Schlussanträge – wie vom Gerichtshof angeregt – konzentrieren, betrifft insbesondere die Auslegung der Art. 77, 79 und 80 der Richtlinie 2001/83/CE(2) in der durch die Richtlinie 2012/26/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2012(3) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 2011/83).

 Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

2.        Einschlägig sind hier die Art. 77, 79, 80 und 118a der Richtlinie 2001/83.

 Österreichisches Recht

3.        § 62 („Betriebsordnung“) des Arzneimittelgesetzes vom 2. März 1983 (im Folgenden: AMG) bestimmt in Abs. 1:

„Soweit es geboten ist, um die für die Gesundheit und das Leben von Mensch oder Tier erforderliche Beschaffenheit der Arzneimittel oder Wirkstoffe und die Versorgung mit Arzneimitteln oder Wirkstoffen zu gewährleisten, hat der Bundesminister für Gesundheit durch Verordnung Betriebsordnungen für Betriebe, die Arzneimittel oder Wirkstoffe herstellen, kontrollieren oder in Verkehr bringen, zu erlassen.“

4.        § 63 („Bewilligung“) AMG bestimmt in Abs. 1:

„In Betrieben im Sinne des § 62 Abs. 1 dürfen das Herstellen, das Inverkehrbringen und die Kontrolle von Arzneimitteln oder von Arzneimitteln und Wirkstoffen erst auf Grund einer Bewilligung des Bundesamtes für Sicherheit im Gesundheitswesen aufgenommen werden.“

5.        § 66a AMG bestimmt:

„Die Bewilligung gemäß § 63 Abs. 1 oder § 65 Abs. 1 ist zurückzunehmen, wenn nachträglich bekannt wird, dass die Voraussetzungen nicht vorgelegen haben. Sie ist zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen nicht mehr gegeben sind. An Stelle des Widerrufs kann auch das gänzliche oder teilweise Ruhen der Bewilligung verfügt werden, wenn der Grund für den Widerruf möglicherweise innerhalb angemessener Zeit durch den Inhaber der Betriebsbewilligung beseitigt werden kann. Das Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen hat die anderen Vertragsparteien des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum, die Schweiz und die Kommission davon unverzüglich in Kenntnis zu setzen.“

 Sachverhalt, Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

6.        Die Apotheke B. (im Folgenden: Beschwerdeführerin), eine Kommanditgesellschaft mit Sitz in Österreich, betreibt eine öffentliche Apotheke. Sie hält auch eine ihr gemäß dem AMG verliehene Bewilligung zur Ausübung der Tätigkeit eines Arzneimittelgroßhändlers.

7.        Nach einer am 30. Juli 2020 im Betrieb der Beschwerdeführerin durchgeführten Inspektion und weiteren Ermittlungen wurde diese Bewilligung vom Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen, Österreich (im Folgenden: belangte Behörde), mit Bescheid vom 8. März 2021 widerrufen.

8.        Zur Begründung führte die belangte Behörde aus, dass die Beschwerdeführerin mehrfach Arzneimittel von anderen Apotheken bezogen habe, die nicht über eine Bewilligung zur Ausübung der Tätigkeit eines Arzneimittelgroßhändlers gemäß dem AMG verfügt hätten, und sie dann an Großhändler weiterverkauft habe, die über eine solche Bewilligung verfügt hätten.

9.        Die belangte Behörde stellte ferner fest, dass die Beschwerdeführerin nicht in ausreichender Zahl über fachkundiges und qualifiziertes Personal verfüge. Die einzige Person, die bei der Inspektion angetroffen worden sei, sei nicht in der Lage gewesen, die relevanten Dokumente vorzulegen, die nach den innerstaatlichen Rechtsvorschriften erforderlich seien.

10.      Die Beschwerdeführerin erhob gegen diesen Bescheid beim Bundesverwaltungsgericht Beschwerde.

11.      Sie macht geltend, dass die Arzneimittelsicherheit dadurch, dass Arzneimittel bei Personen bezogen worden seien, die nicht über eine Bewilligung zur Ausübung der Tätigkeit eines Arzneimittelgroßhändlers verfügt hätten, nicht konkret gefährdet worden sei. Ferner vertritt sie die Auffassung, dass ein Betrieb nach den innerstaatlichen Rechtsvorschriften nur über eine einzige fachkundige Person verfügen müsse. Diese müsse dort aber nicht ständig anwesend sein.

12.      Das Bundesverwaltungsgericht hat deshalb beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      a)      Ist Art. 80 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2001/83 dahin auszulegen, dass der dieser Vorschrift zu entnehmenden Anforderung auch dann noch Genüge getan wird, wenn, wie im Ausgangsverfahren, ein Inhaber einer Großhandelsgenehmigung Arzneimittel von anderen Personen beschafft, die nach den nationalen Vorschriften auch zur Abgabe von Arzneimitteln an die Öffentlichkeit ermächtigt oder befugt sind, jedoch selbst nicht Inhaber einer solchen Genehmigung sind oder die gemäß Art. 77 Abs. 3 dieser Richtlinie von der Pflicht zur Erlangung einer solchen Genehmigung befreit sind, und die Beschaffung nur in geringfügigem Ausmaß erfolgt?

b)      Sollte Frage 1. a) verneint werden, ist es für das Entsprechen mit der in Art. 80 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2001/83 niedergelegten Anforderung von Relevanz, ob eine Lieferung der solcherart, wie im Ausgangsverfahren und in Frage 1. a) dargestellt, beschafften Arzneimittel nur an Personen, die nach Art. 77 Abs. 2 dieser Richtlinie zur Abgabe von Arzneimitteln an die Öffentlichkeit ermächtigt oder befugt sind oder auch an jene, die selbst Inhaber einer Großhandelsgenehmigung sind, erfolgt?

2.      a)      Sind die Art. 79 Buchst. b sowie Art. 80 Buchst. g der Richtlinie 2001/83 in Verbindung mit Pkt. 2.2 der Leitlinien für die gute Vertriebspraxis von Humanarzneimitteln vom 5. November 2013 dahingehend auszulegen, dass den Anforderungen an die Personalausstattung auch dann Genüge getan wird, wenn die verantwortliche Person, wie im Ausgangsverfahren, für einen Zeitraum von vier Stunden aus dem Betrieb (physisch) abwesend ist, jedoch während dieser Zeit telefonisch erreichbar ist?

b)      Ist die Richtlinie 2001/83, insbesondere deren Art. 79 und Art. 80 [Abs. 1] Buchst. g in Verbindung mit Pkt. 2.3. Abs. 1 der Leitlinien für die gute Vertriebspraxis von Humanarzneimitteln vom 5. November 2013, so auszulegen, dass den in diesen Vorschriften bzw. Leitlinien vorgesehenen Anforderungen an die Personalausstattung Genüge getan wird, wenn, wie im Ausgangsverfahren, bei einer Abwesenheit der verantwortlichen Person wie in Frage 2. a) dargestellt, die im Betrieb anwesenden Mitarbeiter, insbesondere bei einer Inspektion durch die für eine solche zuständige Behörde des Mitgliedstaats, nicht in der Lage sind, selbst Auskunft über die ihren jeweiligen Zuständigkeitsbereich betreffenden schriftlichen niedergelegten Verfahren geben zu können?

c)      Ist die Richtlinie 2001/83, und insbesondere deren Art. 79 und Art. 80 [Abs. 1] Buchst. g in Verbindung mit Pkt. 2.3 der Leitlinien für die gute Vertriebspraxis von Humanarzneimitteln vom 5. November 2013, dahingehend auszulegen, dass bei der Beurteilung, ob auf allen Ebenen eines Großhandelsvertriebs eine angemessene Anzahl kompetenter Mitarbeiter zur Verfügung steht, auch, wie dies im Ausgangsverfahren der Fall ist, an dritte Personen ausgelagerte Tätigkeiten (bzw. Tätigkeiten, die von dritten Personen im Auftrag durchgeführt werden) zu berücksichtigen sind und steht die genannte Richtlinie der Einholung eines Fachgutachtens für diese Beurteilung entgegen oder gebietet diese eine solche Einholung sogar?

3.      Ist die Richtlinie 2001/83, insbesondere deren Art. 77 Abs. 6 und Art. 79, so auszulegen, dass die Genehmigung zur Ausübung der Tätigkeit eines Arzneimittelgroßhändlers auch dann zu widerrufen ist, wenn festgestellt wird, dass einer Anforderung nach Art. 80 dieser Richtlinie nicht Genüge getan wird, wie etwa im Ausgangsverfahren unter Umständen der Beschaffung von Arzneimitteln entgegen Art. 80 Abs. 1 Buchst. b der genannten Richtlinie, diese Anforderung dann aber, jedenfalls im Zeitpunkt der Entscheidung durch die zuständige Behörde des Mitgliedstaats bzw. des angerufenen Gerichts, wieder eingehalten wird? Wenn nicht: Welche anderen unionsrechtlichen Anforderungen bestehen an diese Beurteilung, insbesondere, wann ist anstelle eines Widerrufs die Genehmigung (nur) auszusetzen?

 Verfahren vor dem Gerichtshof

13.      Schriftliche Erklärungen sind eingereicht worden von der Beschwerdeführerin, von der belangten Behörde, von der österreichischen, der tschechischen und der polnischen Regierung sowie von der Europäischen Kommission.

 Rechtliche Würdigung

14.      Mit der dritten Frage möchte das vorlegende Gericht in einem ersten Schritt wissen, ob Art. 77 Abs. 6 und Art. 79 der Richtlinie 2001/83 dahin auszulegen sind, dass die Genehmigung zur Ausübung der Tätigkeit eines Arzneimittelgroßhändlers nicht widerrufen zu werden braucht, wenn einer der Anforderungen gemäß Art. 80 der Richtlinie, der zunächst nicht mehr genügt wurde, nun wieder genügt wird.

15.      Für den Fall, dass diese Frage verneint werden sollte, möchte das Gericht in einem zweiten Schritt wissen, welche anderen unionsrechtlichen Anforderungen bei der Entscheidung der Frage, welche der beiden Sanktionen zu erlassen ist, zu berücksichtigen sind.(4)

16.      Nach Art. 77 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83 dürfen Arzneimittel, für die eine Genehmigung für das Inverkehrbringen erteilt worden ist, nur dann im Großhandel vertrieben werden, wenn von den Mitgliedstaaten eine Genehmigung zur Ausübung dieser Tätigkeit erteilt worden ist.(5)

17.      In den Art. 79 und 80 der Richtlinie sind – nicht abschließend – die Anforderungen aufgeführt, denen der Antragsteller genügen muss, um die Genehmigung zur Ausübung der Tätigkeit eines Arzneimittelgroßhändlers zu erlangen, bzw. denen der Inhaber einer solchen Genehmigung genügen muss, nachdem ihm die Genehmigung erteilt worden ist, wobei die Erfüllung dieser Voraussetzungen während der gesamten Geltungsdauer der Genehmigung einer Kontrolle unterliegt.(6)

18.      Erfüllt der Inhaber der Genehmigung zur Ausübung der Tätigkeit eines Arzneimittelgroßhändlers die Voraussetzungen gemäß Art. 79 und 80 nicht mehr, sind die Mitgliedstaaten nach Art. 77 Abs. 6 der Richtlinie 2011/83 verpflichtet, die Genehmigung auszusetzen bzw. zu widerrufen und die anderen Mitgliedstaaten und die Kommission davon unverzüglich in Kenntnis zu setzen.

19.      Art. 77 Abs. 6 gehört zu der in Art. VII der Richtlinie 2001/83 enthaltenen Regelung des Großhandelsvertriebs von Humanarzneimitteln und trägt zur Verwirklichung der mit der Richtlinie verfolgten Ziele bei, insbesondere zur Verwirklichung der Ziele des Schutzes der Volksgesundheit, der Beseitigung der Hemmnisse für den Handel mit Arzneimitteln innerhalb der Union und der Kontrolle des gesamten Vertriebsnetz im Arzneimittelbereich.(7) Er ist mithin Bestandteil des Kontrollmechanismus, den der Unionsgesetzgeber für all die Phasen vorgesehen hat, die ein Arzneimittel von seiner Herstellung bis zur Abgabe an die Endkunden durchläuft.(8)

20.      Der Unionsgesetzgeber hat mit Art. 77 Abs. 6 der Richtlinie 2001/83 jedoch nur eine Mindestharmonisierung vorgenommen. Er hat lediglich die Maßnahmen bestimmt, die getroffen werden können, wenn die Voraussetzungen gemäß den Art. 79 und 80 der Richtlinie nicht mehr erfüllt sind. Darüber hinaus sieht Art. 77 Abs. 6 der Richtlinie 2001/83 vor, dass der Mitgliedstaat, der die Genehmigung aussetzt oder widerruft, die anderen Mitgliedstaaten und die Kommission davon unverzüglich in Kenntnis setzt. Dies zeigt meines Erachtens, dass der Unionsgesetzgeber eine Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften hauptsächlich mit der Absicht vorgenommen hat, die Wirksamkeit des Systems der Kontrolle der Genehmigung zur Ausübung der Tätigkeit eines Arzneimittelgroßhändlers zu erhöhen.

21.      Hingegen enthält der Wortlaut von Art. 77 Abs. 6 der Richtlinie 2001/83 keinen Anhaltspunkt dafür, dass der Unionsgesetzgeber die Absicht gehabt hätte, die Kriterien für die Durchführung dieser Maßnahmen zu bestimmen und festzulegen, wie diese durch nationalen Behörden anzuwenden sind.

22.      Die Mitgliedstaaten sind bei einem Verstoß gegen die Art. 79 und 80 der Richtlinie 2001/83 meines Erachtens daher zwar verpflichtet, Maßnahmen wie zumindest den Widerruf bzw. die Aussetzung zu erlassen. Die Richtlinie überlässt es aber dem nationalen Gesetzgeber, für jede dieser Maßnahmen die Einzelheiten der Anwendung festzulegen. In einem solchen Fall haben die nationalen Behörden nach Maßgabe der vom innerstaatlichen Recht festgelegten Kriterien im Hinblick auf die Umstände des Einzelfalls zu bestimmen, welche Maßnahme im konkreten Fall am geeignetsten ist.

23.      Im vorliegenden Fall ist Art. 77 Abs. 6 der Richtlinie 2001/83 durch § 66a AMG in innerstaatliches Recht umgesetzt worden (Festlegung der Maßnahmen der Verfügung des Ruhens und des Widerrufs, Unterrichtung der anderen Mitgliedstaaten). Darüber hinaus bestimmt § 66a AMG, nach welchen Kriterien zu beurteilen ist, welche Maßnahme zu erlassen ist. So sieht er vor, dass die Bewilligung zur Ausübung der Tätigkeit eines Arzneimittelgroßhändlers zu widerrufen ist, wenn die Voraussetzungen nicht mehr gegeben sind, und dass an Stelle des Widerrufs auch das gänzliche oder teilweise Ruhen der Bewilligung verfügt werden kann, wenn der Grund für den Widerruf möglicherweise innerhalb angemessener Zeit durch den Inhaber der Bewilligung beseitigt werden kann.

24.      Wie aus dem Vorabentscheidungsersuchen und den schriftlichen Erklärungen der Parteien, die sich an dem Verfahren beteiligen, hervorgeht, geht es im Ausgangsrechtsstreit aber um die Bestimmung der geeignetsten Maßnahme, insbesondere darum, unter welchen Voraussetzungen die Maßnahme des Widerrufs der Bewilligung zur Ausübung der Tätigkeit eines Arzneimittelgroßhändlers der Maßnahme der Verfügung des Ruhens der Bewilligung vorzuziehen ist. Entsprechend beziehen sich die Fragen des vorlegenden Gerichts nicht auf die Verhältnismäßigkeit der durch § 66a AMG vorgeschriebenen Maßnahmen des Widerrufs und der Verfügung des Ruhens in Bezug auf die Vorgaben der Richtlinie 2001/83, sondern auf die Anwendung der Kriterien, nach denen sich die Entscheidung zwischen den beiden Maßnahmen nach § 66a AMG richtet.

25.      Insoweit ist festzustellen, dass Art. 118a Abs. 1 der Richtlinie 2001/83, wonach die für den Fall des Verstoßes gegen die nach Maßgabe der Richtlinie erlassenen nationalen Vorschriften festgelegten Sanktionen „wirksam, verhältnismäßig und abschreckend“ sein müssen, für die Beurteilung der Verhältnismäßigkeit der Durchführung dieser Sanktionen – anders als die Kommission in ihren schriftlichen Erklärungen geltend macht(9) – nicht relevant ist. Diese allgemeine, zu Titel XI („Überwachung und Sanktionen“) gehörende Vorschrift kommt nur bei der Festlegung der Sanktionen, die die Mitgliedstaaten im Rahmen der Richtlinie zu erlassen haben, zum Tragen.

26.      Meines Erachtens ist sie hier deshalb nicht einschlägig. Zum einen hat der österreichische Gesetzgeber in seinem innerstaatlichen Recht die Maßnahmen der Verfügung des Ruhens und des Widerrufs, wie sie in Art. 77 Abs. 6 der Richtlinie 2001/83 vorgesehen sind, festgelegt, und im Ausgangsrechtsstreit geht es nicht um die Umsetzung dieser Maßnahmen. Zum anderen wurden diese Maßnahmen im innerstaatlichen Recht aufgrund der vom Unionsgesetzgeber vorgenommenen Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften festgelegt. Für ihre Durchführung gelten die Voraussetzungen gemäß Art. 118a der Richtlinie 2001/83, der die Sanktionen regelt, die im innerstaatlichen Recht festgelegt werden können, sofern sie wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sind, daher meines Erachtens nicht.

27.      Der Gerichtshof könnte nun auf den Gedanken kommen, dass die Verhältnismäßigkeit der innerstaatlichen Regelung der Sanktionen auf der Grundlage von Art. 49 Abs. 3 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta)(10) zu prüfen sei.(11) Hierzu müsste die Regelung allerdings – mal ganz abgesehen davon, dass es sicher gar nicht so einfach wäre, die in § 66a AMG vorgesehenen Maßnahmen der Verfügung des Ruhens und des Widerrufs als „Sanktionen strafrechtlicher Natur“ einzustufen(12) – in den Anwendungsbereich der Charta fallen.

28.      Der Anwendungsbereich der Charta ist in deren Art. 51 Abs. 1 definiert, wonach die Charta für die Mitgliedstaaten ausschließlich bei der Durchführung des Rechts der Union gilt. Die in der Unionsrechtsordnung garantierten Grundrechte finden in allen unionsrechtlich geregelten Fallgestaltungen, aber nicht außerhalb derselben Anwendung. Wenn die unionsrechtlichen Vorschriften in dem betreffenden Bereich einen bestimmten Aspekt nicht regeln und den Mitgliedstaaten im Hinblick auf einen bestimmten Sachverhalt keine bestimmten Verpflichtungen auferlegen, fällt die nationale Regelung eines solchen Aspekts durch einen Mitgliedstaat somit nicht in den Anwendungsbereich der Charta, so dass deren Bestimmungen für die Beurteilung des betreffenden Sachverhalts nicht herangezogen werden können. In diesem Fall ist der Gerichtshof also nicht zuständig, und die möglicherweise angeführten Bestimmungen der Charta können als solche keine entsprechende Zuständigkeit begründen.(13)

29.      Wie bereits ausgeführt, wollte der Unionsgesetzgeber mit Art. 77 Abs. 6 der Richtlinie 2001/83 weder die Kriterien für die Durchführung der Maßnahmen der Aussetzung und des Widerrufs der Genehmigung zur Ausübung der Tätigkeit eines Arzneimittelgroßhändlers bestimmen noch festlegen, wie die nationalen Behörden diese Kriterien anzuwenden haben.

30.      Mit § 66a AMG wird dadurch, dass die Kriterien festlegt werden, die für die Entscheidung zwischen den Maßnahmen des Widerrufs und der Verfügung des Ruhens der Genehmigung zur Ausübung der Tätigkeit eines Arzneimittelgroßhändlers maßgeblich sind, deshalb meines Erachtens nicht das Recht der Union durchgeführt, so dass diese Vorschrift nicht in den Anwendungsbereich der Charta fällt.

31.      Somit ist festzustellen, dass sich die Fragen des vorlegenden Gerichts lediglich auf die Auslegung der innerstaatlichen Vorschriften beziehen, in denen geregelt ist, welche von den Sanktionen der Verfügung des Ruhens oder des Widerrufs der Bewilligung zur Ausübung der Tätigkeit eines Arzneimittelgroßhändlers am geeignetsten ist. In dem Verfahren gemäß Art. 267 AEUV ist der Gerichtshof nach ständiger Rechtsprechung aber nicht für die Auslegung innerstaatlicher Rechts- oder Verwaltungsvorschriften, sondern einzig und allein für die Auslegung des Unionsrecht zuständig.(14)

32.      Ich schlage dem Gerichtshof daher vor, festzustellen, dass er für die Beantwortung der dritten Vorlagefrage des Bundesverwaltungsgerichts nicht zuständig ist.

 Ergebnis

33.      Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, festzustellen, dass er für die Beantwortung der dritten Vorlagefrage des Bundesverwaltungsgerichts (Österreich) nicht zuständig ist.
















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