C-425/22 – MOL

C-425/22 – MOL

CURIA – Documents

Language of document : ECLI:EU:C:2024:131

Vorläufige Fassung

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

NICHOLAS EMILIOU

vom 8. Februar 2024(1)

Rechtssache C425/22

MOL Magyar Olaj- és Gázipari Nyrt.

gegen

Mercedes-Benz Group AG

(Vorabentscheidungsersuchen der Kúria [Oberstes Gericht, Ungarn])

„Ersuchen um Vorabentscheidung – Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen – Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 – Zuständigkeit für Verfahren, die eine unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, oder Ansprüche aus einer solchen Handlung zum Gegenstand haben – Schadensersatzklage wegen Zuwiderhandlungen gegen das Wettbewerbsrecht – Bei Tochtergesellschaften eingetretener Schaden – Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist – Sitz der Muttergesellschaft – Wirtschaftliche Einheit“

I.      Einleitung

1.        Im Jahr 2016 erließ die Europäische Kommission einen Beschluss, in dem sie zu dem Ergebnis kam, dass verschiedene Unternehmen, darunter die Mercedes-Benz Group AG (im Folgenden: Beklagte), die Höhe der Bruttolistenpreise für mittelschwere und schwere Lastkraftwagen miteinander abgestimmt und dadurch gegen das u. a. in Art. 101 AEUV verankerte Verbot verstoßen hätten(2). Dieser Beschluss zog eine Reihe von Schadensersatzklagen nach sich, von denen einige zu Vorabentscheidungsersuchen führten, in denen der Gerichtshof darum gebeten wurde, sich zur korrekten Auslegung der Zuständigkeitsregeln der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012(3) in Bezug darauf zu äußern, vor welchen Gerichten solche Klagen erhoben werden können(4).

2.        Das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen fügt sich in einen ähnlichen Kontext ein und zielt im Wesentlichen auf die Auslegung dieser Verordnung in Bezug auf die Frage ab, ob sich eine Muttergesellschaft auf den wettbewerbsrechtlichen Begriff der wirtschaftlichen Einheit berufen kann, um die Zuständigkeit der Gerichte an ihrem Sitz für eine Klage auf Ersatz des ihren Tochtergesellschaften entstandenen Schadens zu begründen.

3.        Genauer gesagt hält die in Ungarn ansässige MOL Magyar Olaj- és Gázipari Nyrt. (im Folgenden: Klägerin) eine Mehrheitsbeteiligung an den zur MOL-Gruppe gehörenden, in verschiedenen Mitgliedstaaten ansässigen Gesellschaften. Diese Tochtergesellschaften kauften von der Beklagten mittelbar Lastkraftwagen zu Preisen, die durch die im oben genannten Beschluss der Kommission festgestellte Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht verfälscht worden sein sollen. Im Ausgangsverfahren beantragt die Klägerin bei den ungarischen Gerichten, die in Deutschland ansässige Beklagte zum Ersatz des Schadens in Höhe des wegen der Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsvorschriften zu viel gezahlten Betrags zu verurteilen.

4.        Nach der Verordnung Nr. 1215/2012 richtet sich die Zuständigkeit im Allgemeinen nach dem Wohnsitz des Beklagten(5). Von dieser Regel gibt es mehrere Ausnahmen, u. a. für Klagen aus unerlaubter Handlung (wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende), wonach auch die Gerichte des Ortes zuständig sein können, an dem der geltend gemachte Schaden eingetreten sein soll(6).

5.        Sowohl das erstinstanzliche als auch das zweitinstanzliche Gericht waren jedoch der Ansicht, dass diese besondere Zuständigkeitsregel im Ausgangsverfahren nicht angewandt werden könne und dass den ungarischen Gerichten daher die internationale Zuständigkeit für die Entscheidung über die von der Klägerin erhobene Klage fehle. Zusammengefasst lag das daran, dass die in Rede stehenden Lastkraftwagen nicht von der Klägerin, sondern von ihren Tochtergesellschaften gekauft worden waren (so dass de facto sie den Schaden durch die künstlich erhöhten Preise erlitten hatten). Unter diesen Umständen fragt die Kúria (Oberstes Gericht, Ungarn) nunmehr, ob die Zuständigkeit dadurch begründet werden kann, dass sich der Sitz der Klägerin in Ungarn befindet. Sie möchte zudem wissen, ob es dabei eine Rolle spielt, dass einige der betreffenden Tochtergesellschaften noch nicht zur Gruppe der Klägerin gehörten, als die in Rede stehenden Lastkraftwagen gekauft wurden.

6.        Das Ersuchen des vorlegenden Gerichts scheint auf dem Vorbringen der Klägerin zu beruhen, dass der Schaden letztlich am Ort ihres Sitzes eingetreten sei, da sie und die betroffenen Tochtergesellschaften zu derselben wirtschaftlichen Einheit gehörten.

7.        Wie ich in den vorliegenden Schlussanträgen näher erläutern werde, ist dieser Begriff im Wettbewerbsrecht entwickelt worden, um u. a. dessen Durchsetzung zu verbessern. Er ist insbesondere herangezogen worden, um eine Zurechnung der Verantwortlichkeit zu ermöglichen, wenn die Zuwiderhandlung tatsächlich nicht von der Beklagten, sondern von einer anderen (juristischen) Person begangen wurde, beide Gesellschaften aber zu derselben wirtschaftlichen Einheit gehören. Vor diesem Hintergrund besteht die Kernfrage im vorliegenden Fall darin, ob dieser Begriff auch zur Begründung der Zuständigkeit für eine Schadensersatzklage herangezogen werden kann, unabhängig davon, ob die Klägerin die (juristische) Person ist, die den zugrunde liegenden Schaden ursprünglich erlitten hat.

II.    Rechtlicher Rahmen

8.        Im 15. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 1215/2012 wird ausgeführt: „Die Zuständigkeitsvorschriften sollten in hohem Maße vorhersehbar sein und sich grundsätzlich nach dem Wohnsitz des Beklagten richten. …“

9.        Im 16. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 1215/2012 heißt es: „Der Gerichtsstand des Wohnsitzes des Beklagten sollte durch alternative Gerichtsstände ergänzt werden, die entweder aufgrund der engen Verbindung zwischen Gericht und Rechtsstreit oder im Interesse einer geordneten Rechtspflege zuzulassen sind. Das Erfordernis der engen Verbindung soll Rechtssicherheit schaffen und verhindern, dass die Gegenpartei vor einem Gericht eines Mitgliedstaats verklagt werden kann, mit dem sie vernünftigerweise nicht rechnen konnte. …“

10.      Kapitel II der Verordnung Nr. 1215/2012 enthält Zuständigkeitsvorschriften. In Abschnitt 1 dieses Kapitels finden sich allgemeine Bestimmungen, zu denen Art. 4 Abs. 1 gehört, der lautet: „Vorbehaltlich der Vorschriften dieser Verordnung sind Personen, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats haben, ohne Rücksicht auf ihre Staatsangehörigkeit vor den Gerichten dieses Mitgliedstaats zu verklagen.“

11.      Im selben Abschnitt sieht Art. 5 Abs. 1 vor: „Personen, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats haben, können vor den Gerichten eines anderen Mitgliedstaats nur gemäß den Vorschriften der Abschnitte 2 bis 7 [des Kapitels II] verklagt werden.“

12.      Abschnitt 2 von Kapitel II der Verordnung Nr. 1215/2012 betrifft „Besondere Zuständigkeiten“. Er enthält u. a. Art. 7 Nr. 2, wonach eine Person, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, in einem anderen Mitgliedstaat verklagt werden kann, „wenn eine unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, oder wenn Ansprüche aus einer solchen Handlung den Gegenstand des Verfahrens bilden, [und zwar] vor dem Gericht des Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht“.

III. Sachverhalt, Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

13.      In ihrem Beschluss vom 19. Juli 2016 stellte die Kommission fest, dass die in Deutschland ansässige Beklagte zusammen mit anderen Unternehmen in der Zeit vom 17. Januar 1997 bis zum 18. Januar 2011 an einem Kartell in Form einer Abstimmung der Bruttolistenpreise für mittelschwere und schwere Lastkraftwagen im Gebiet des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) beteiligt gewesen sei und damit eine fortgesetzte Zuwiderhandlung gegen das Verbot in Art. 101 AEUV und Art. 53 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum begangen habe(7). Die Kommission kam zu dem Schluss, dass sich die Zuwiderhandlung auf den gesamten EWR erstreckt habe.

14.      Die Klägerin ist eine Gesellschaft mit Sitz in Ungarn. Sie hält eine Mehrheitsbeteiligung an Gesellschaften, die zur MOL-Gruppe gehören. Sie ist entweder Mehrheitseigentümerin oder übt in anderer Weise die alleinige Kontrolle über verschiedene Gesellschaften aus, zu denen MOLTRANS mit Sitz in Ungarn, INA mit Sitz in Kroatien, Panta und Nelsa mit Sitz in Italien, ROTH mit Sitz in Österreich und SLOVNAFT mit Sitz in der Slowakei gehören. Während des im Beschluss der Kommission angegebenen Zeitraums der Zuwiderhandlung kauften oder leasten diese Tochtergesellschaften in mehreren Mitgliedstaaten mittelbar 71 Lastkraftwagen von der Beklagten.

15.      Die Klägerin erhob beim Fővárosi Törvényszék (Hauptstädtisches Stuhlgericht, Ungarn) (im Folgenden: erstinstanzliches Gericht) Klage auf Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von 530 851 Euro zuzüglich Zinsen und Kosten mit der Begründung, diesen Betrag hätten ihre Tochtergesellschaften wegen des im Beschluss der Kommission festgestellten wettbewerbswidrigen Verhaltens zu viel gezahlt. Gestützt auf den Begriff der wirtschaftlichen Einheit mache sie Schadensersatzansprüche ihrer Tochtergesellschaften gegen die Beklagte geltend. Die ungarischen Gerichte seien aufgrund von Art. 7 Nr. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 zuständig, da an ihrem Sitz als dem Mittelpunkt der wirtschaftlichen und finanziellen Interessen der Unternehmensgruppe das schädigende Ereignis im Sinne dieser Bestimmung letztlich eingetreten sei.

16.      Die Beklagte erhob die Einrede der Unzuständigkeit der ungarischen Gerichte.

17.      Das erstinstanzliche Gericht erachtete diese Einrede als begründet und führte aus, die besondere Zuständigkeitsregel in Art. 7 Nr. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 sei eng auszulegen und könne nur angewandt werden, wenn eine besonders enge Beziehung zwischen dem angerufenen Gericht und dem Gegenstand des Rechtsstreits bestehe. Nicht die Klägerin habe die künstlich erhöhten Preise gezahlt, sondern ihre Tochtergesellschaften (die damit die Geschädigten der in Rede stehenden Wettbewerbsverzerrung seien). Die Klägerin habe hingegen einen rein finanziellen Schaden erlitten, so dass ihr Sitz nicht als der Ort angesehen werden könne, an dem das schädigende Ereignis im Sinne von Art. 7 Nr. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 eingetreten sei; demnach seien die ungarischen Gerichte nicht zuständig.

18.      Diese Auffassung wurde in der Berufungsinstanz durch Beschluss des Fővárosi Ítélőtábla (Hauptstädtisches Tafelgericht, Ungarn) (im Folgenden: zweitinstanzliches Gericht) bestätigt. Dieses Gericht führte aus, nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs gelte die Theorie der wirtschaftlichen Einheit nur für die Begründung der Verantwortlichkeit für Zuwiderhandlungen gegen das Wettbewerbsrecht, nicht aber für den Geschädigten zur Begründung der gerichtlichen Zuständigkeit. Wie sich aus dem Urteil des Gerichtshofs in der Rechtssache CDC Hydrogen Peroxide(8) ergebe, sei für die Zuständigkeit nach Art. 7 Nr. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 darauf abzustellen, wo die geschädigte Gesellschaft ihren Sitz habe, und nicht auf den Sitz ihrer Muttergesellschaft.

19.      Die Klägerin legte bei der Kúria (Oberstes Gericht), dem vorlegenden Gericht, Revision ein. Sie beantragte, den Beschluss des zweitinstanzlichen Gerichts aufzuheben und die Sache an die zuvor angerufenen Gerichte zurückzuverweisen. Sie machte im Wesentlichen geltend, die Theorie der wirtschaftlichen Einheit sei im vorliegenden Kontext im Rahmen der Begründung der Zuständigkeit zu berücksichtigen, und als einzige beherrschende Gesellschaft der Unternehmensgruppe sei sie von den gewinn- oder verlustbringenden Transaktionen der zur Gruppe gehörenden Gesellschaften unmittelbar betroffen.

20.      Die Beklagte hielt dem entgegen, die Klägerin habe keinen der vom Kartell betroffenen Lastkraftwagen gekauft und folglich keinen Schaden erlitten. Außerdem sei die Theorie der wirtschaftlichen Einheit im Kontext einer Begründung der Zuständigkeit nicht anwendbar; ein solcher Ansatz finde in der Rechtsprechung des Gerichtshofs keine Stütze.

21.      Unter diesen Umständen hat die Kúria (Oberstes Gericht) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Begründet der Ort des Sitzes der Muttergesellschaft als Ort des schädigenden Ereignisses im Sinne von Art. 7 Nr. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 die gerichtliche Zuständigkeit, wenn eine Muttergesellschaft mit einer Klage auf Schadensersatz wegen des wettbewerbswidrigen Verhaltens eines Unternehmens ausschließlich den Ersatz von Schäden begehrt, die ihren Tochtergesellschaften aufgrund dieses Verhaltens entstanden sind?

2.      Ist es im Rahmen der Anwendung von Art. 7 Nr. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 von Bedeutung, dass zum Zeitpunkt der verschiedenen streitgegenständlichen Erwerbe nicht alle Tochtergesellschaften zur Unternehmensgruppe der Muttergesellschaft gehörten?

22.      Die Klägerin, die Beklagte, die tschechische Regierung und die Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht.

IV.    Würdigung

23.      Mit seinem Vorabentscheidungsersuchen möchte das vorlegende Gericht erstens wissen, ob die Zuständigkeit eines Gerichts für eine Schadensersatzklage, mit der eine Muttergesellschaft den Ersatz von Schäden begehrt, die ausschließlich ihren Tochtergesellschaften wegen kollusiver (d. h. gegen Art. 101 AEUV verstoßender)(9) Absprachen über Preise und Preiserhöhungen entstanden sind, damit begründet werden kann, dass der Sitz der Muttergesellschaft als „Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist“, im Sinne von Art. 7 Nr. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 anzusehen ist. Zweitens fragt das vorlegende Gericht, ob es für die Antwort auf diese Frage eine Rolle spielt, dass einige Tochtergesellschaften, als sie die betreffenden Waren kauften, noch nicht zur Unternehmensgruppe der Klägerin gehörten.

24.      Bevor ich auf diese Fragen eingehe (C), werde ich einige einleitende Bemerkungen zu der in Rede stehenden besonderen Zuständigkeitsregel und insbesondere zu der Art des Schadens machen, der zu ihrer Anwendung führen kann (A). Ich werde ferner auf die vom Gerichtshof vorgenommene Präzisierung der Anknüpfungspunkte eingehen, nach denen sich richtet, welches Gericht im spezifischen Kontext von Schadensersatzklagen wegen eines Verstoßes gegen Art. 101 AEUV (wie der beim vorlegenden Gericht anhängigen Klage) angerufen werden muss (B).

A.      In Rede stehende Zuständigkeitsregel und Art des Schadens

25.      Innerhalb der Sphäre des Unionsrechts ist die Frage, welches Gericht für eine Rechtssache mit grenzüberschreitendem Bezug international zuständig ist, anhand der Vorschriften der Verordnung Nr. 1215/2012 zu beantworten. Wie bereits kurz erwähnt, verweist die in dieser Verordnung festgelegte Grundregel auf den Ort des Wohnsitzes des Beklagten(10).

26.      Von dieser Regel gibt es mehrere Ausnahmen in Form besonderer und ausschließlicher Zuständigkeitsregeln, die beschreiben, in welchen Fällen der Beklagte vor den Gerichten eines anderen Mitgliedstaats verklagt werden kann oder muss.

27.      Der vorliegende Fall betrifft eine der besonderen Zuständigkeitsregeln, und zwar die Regel in Art. 7 Nr. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012, die eine (alternative, optionale) Zuständigkeit vorsieht, wenn eine unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, oder wenn Ansprüche aus einer solchen Handlung den Gegenstand des Verfahrens bilden, und zwar vor „dem Gericht des Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht“.

28.      Beginnend mit dem Urteil in der Rechtssache Bier hat der Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung unter die Wendung „Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist“, zwei Kategorien gefasst: erstens den Ort des für den Schaden ursächlichen Geschehens (den Ort des Ereignisses, das zu dem Schaden geführt hat) und zweitens den Ort der Verwirklichung des Schadenserfolgs (den Ort, an dem sich der Schaden manifestiert hat)(11). Infolgedessen kann der Beklagte nach Art. 7 Nr. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 vor den Gerichten dieser beiden Orte verklagt werden; der Kläger hat insoweit die Wahl(12).

29.      Diese Zuständigkeitsregel beruht auf der „insbesondere wegen der Nähe zum Streitgegenstand und der leichteren Beweisaufnahme“(13) besonders engen Beziehung zwischen dem Rechtsstreit und dem zur Entscheidung über ihn berufenen Gericht, da es im Rahmen von Klagen auf Haftung aus unerlaubter Handlung wichtig ist, den Kausalzusammenhang zwischen dem geltend gemachten Schaden und seiner Ursache nachzuweisen(14).

30.      Zugleich weicht diese Regel von der Grundregel ab, dass sich die Zuständigkeit nach dem Wohnsitz des Beklagten richtet. Sie ist daher eng auszulegen(15).

31.      Insoweit ergibt sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass der „Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist“, zwar auch den Ort umfassen kann, an dem das schädigende Ereignis konkrete Folgen hatte (siehe oben, Nr. 28); die Zuständigkeit eines Gerichts kann aber nicht allein dadurch begründet werden, dass der Geschädigte innerhalb des Zuständigkeitsbereichs dieses Gerichts nachteilige Folgen eines Ereignisses zu spüren bekommt, das bereits an einem anderen Ort einen Schaden verursacht hat(16).

32.      Da solche nachteiligen Folgen letztlich zwangsläufig immer am Wohnsitz des Klägers spürbar sein werden, liefe die gegenteilige Lösung dem Erfordernis einer engen Beziehung zwischen dem angerufenen Gericht und dem Gegenstand des Rechtsstreits zuwider, da es keinen Grund für die Annahme gibt, dass der Wohnsitz des Klägers per se der am besten geeignete Ort für ein Gerichtsverfahren ist, weil dort Beweise für das Vorliegen und den Umfang des Schadens leicht verfügbar wären. Außerdem würde dies dem Kläger in vielen Fällen ermöglichen, vor den Gerichten seines Wohnsitzes gegen den Beklagten zu klagen, was darauf hinausliefe, dass der Kläger nach seinem Belieben die Grundregel des Wohnsitzes des Beklagten ins Gegenteil verkehren könnte(17).

33.      Aus den gleichen Gründen (die im Wesentlichen verlangen, dass sich das nach Art. 7 Nr. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 angerufene Gericht am Ort des Erstschadens befindet) hat der Gerichtshof entschieden, dass der „Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist“, im Sinne dieser Bestimmung nicht den Ort umfasst, an dem das Vermögen eines mittelbar Betroffenen beeinträchtigt wird(18).

34.      Zu diesem Ergebnis ist der Gerichtshof in einer Rechtssache gekommen, in der zwei französische Gesellschaften mit Sitz in Paris (Frankreich) Tochtergesellschaften in Deutschland gegründet hatten, um ein Immobilienprojekt durchzuführen. Die deutschen Banken zogen jedoch ihre Finanzierung zurück, was zur Insolvenz dieser Tochtergesellschaften führte. Die französischen Muttergesellschaften wollten die deutschen Banken in Paris verklagen und machten geltend, dies sei der Ort, an dem sie den daraus resultierenden finanziellen Schaden erlitten hätten.

35.      Die Antwort, die der Gerichtshof in jenem Urteil gegeben hat, ist meines Erachtens für die vorliegende Rechtssache unmittelbar relevant. Ganz ähnlich wie in dem Sachverhalt, der dem Urteil Dumez zugrunde lag, ergibt sich aus der Akte, dass der von der Klägerin geltend gemachte Schaden nicht unmittelbar bei ihr selbst eingetreten ist, sondern ursprünglich bei ihren Tochtergesellschaften, und dass sie selbst nur „mittelbar Geschädigte“(19) ist. Es ist nämlich unstreitig, dass die Klägerin weder (unmittelbar oder mittelbar) Lastkraftwagen von der Beklagten erworben hat noch aufgrund einer Abtretung der in Rede stehenden Ansprüche oder in anderer Weise in die Rechte der betroffenen Tochtergesellschaften eingetreten ist(20).

36.      Zwar hat der Gerichtshof, wie die Klägerin ausführt, im Urteil Tibor-Trans (das ebenfalls das im Beschluss der Kommission festgestellte kollusive Verhalten betraf) den Sachverhalt anders beurteilt als den des Urteils Dumez. Die Besonderheit des Sachverhalts im Urteil Tibor-Trans bestand darin, dass die Klägerin dort als Endnutzerin der Lastkraftwagen die Fahrzeuge nicht unmittelbar von der Beklagten, sondern über einen Vertragshändler gekauft hatte. Gleichwohl kam der Gerichtshof zu dem Ergebnis, dass die Forderung der Klägerin in dieser Rechtssache einen unmittelbaren Schaden betraf, da dieser Schaden angesichts dessen, dass der sich aus der Kartellabsprache ergebende Preisaufschlag von den Händlern an die Klägerin weitergegeben wurde, als unmittelbare Folge einer Zuwiderhandlung gegen Art. 101 AEUV anzusehen war(21).

37.      Eine solche Weitergabe kann in einer Lieferkette auftreten, wenn der mutmaßlich Geschädigte Waren (oder Dienstleistungen) erwirbt, die Gegenstand eines Kartells sind(22). Im Ausgangsverfahren wird jedoch nicht vorgetragen, dass das der Fall gewesen sei. Vielmehr scheint die Klägerin den ursprünglichen, bei ihren Tochtergesellschaften eingetretenen Schaden als eigenen geltend zu machen.

38.      Diese Erwägungen deuten darauf hin, dass die Klägerin, wie bereits ausgeführt, als mittelbar Betroffene handelt. Sie begehrt den Ersatz eines Verlusts, den bereits zuvor und zuerst eine andere juristische Person erlitten hat. Vor diesem Hintergrund verstehe ich die erste Frage des vorlegenden Gerichts so, dass es wissen möchte, ob gleichwohl anhand des Anknüpfungspunkts des Sitzes der Klägerin die Zuständigkeit begründet werden kann, weil die Klägerin und die betroffenen Tochtergesellschaften eine wirtschaftliche Einheit bilden.

39.      Bevor ich auf diese Frage eingehe, sollte erläutert werden, warum der Sitz der Klägerin überhaupt als anwendbarer Anknüpfungspunkt herangezogen wird. Dazu bedarf wiederum der Erläuterung, welche Anknüpfungspunkte der Gerichtshof im spezifischen Kontext von Schadensersatzklagen wegen Zuwiderhandlungen gegen Art. 101 AEUV als relevant für die Anwendung der in Rede stehenden Zuständigkeitsregel angesehen hat.

B.      Anknüpfungspunkte im Kontext von Schadensersatzklagen wegen Zuwiderhandlungen gegen Art. 101 AEUV

40.      Im vorliegenden Abschnitt werde ich zunächst die einschlägige Rechtsprechung des Gerichtshofs darstellen (1), bevor ich darauf eingehen werde, dass die Kommission den Gerichtshof ersucht, einen konkreten Aspekt dieser Rechtsprechung klarzustellen (2).

1.      Einschlägige Rechtsprechung

41.      Was die beiden Kategorien von Orten angeht, die als „Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist“, im Sinne von Art. 7 Nr. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 angesehen werden können (siehe oben, Nr. 28), hat der Gerichtshof in Bezug auf die erste Kategorie (für den Schaden ursächliches Geschehen) im Wesentlichen entschieden, dass das Gericht des Ortes zuständig ist, an dem das Kartell definitiv errichtet wurde(23).

42.      In Bezug auf die zweite Kategorie, d. h. den Ort, an dem sich der Schadenserfolg verwirklicht hat (an dem sich der Schaden konkret zeigt), ist die anwendbare Regel komplexer.

43.      Der Gerichtshof hat erstmals im Urteil CDC Hydrogen Peroxide entschieden, dass ein solcher Ort der Sitz des Geschädigten ist. Er hat diesen Ansatz damit begründet, dass die erforderliche Prüfung von den spezifischen Gegebenheiten der Situation des Klägers (des mutmaßlich Geschädigten) abhängt(24).

44.      Diese Lösung begegnete einiger Kritik. Erstens wurde darauf hingewiesen, dass der Gerichtshof offenbar den Ort des Vermögensschadens als zulässigen Anknüpfungspunkt angesehen habe(25). Zweitens wurde angeführt, dass der Sitz des Geschädigten als Anknüpfungspunkt nur schwer mit dem Erfordernis der Nähe zwischen dem angerufenen Gericht und dem Gegenstand des Rechtsstreits vereinbar sei. Insbesondere könne zwar nicht ausgeschlossen werden, dass bestimmte Beweise am Sitz des Geschädigten verfügbar sein könnten, aber der im fraglichen Kontext erlittene Schaden werde im Allgemeinen durch einen Vergleich der Kartellpreise mit den hypothetischen Marktpreisen ermittelt, die üblicherweise anhand wirtschaftlicher Daten zum betroffenen Markt festgestellt werden könnten(26).

45.      Dessen ungeachtet hat sich die Rechtsprechung des Gerichtshofs weiterentwickelt. Im Rahmen dieser Weiterentwicklung seiner Rechtsprechung hat der Gerichtshof den Zusammenhang zwischen dem vom wettbewerbswidrigen Verhalten betroffenen Markt und dem Ort, an dem den Klägern ein Schaden entstanden sein soll, hervorgehoben. Diese Entwicklung ist insbesondere von Generalanwalt Richard de la Tour in seinen Schlussanträgen in der Rechtssache Volvo(27) eingehend analysiert worden. Für die Zwecke der vorliegenden Rechtssache genügt der Hinweis, dass sich einerseits aus dem Urteil Tibor-Trans ableiten lassen könnte, dass der Ort der Verwirklichung des Schadenserfolgs der von dem in Rede stehenden wettbewerbswidrigen Verhalten betroffene Markt ist (ohne nähere Konkretisierung)(28). Andererseits hat der Gerichtshof im Urteil Volvo (dem jüngsten einschlägigen Urteil) klargestellt, dass im Kontext einer Schadensersatzklage, die auf eine Absprache über Preise und Preiserhöhungen gestützt wird, der „Ort der Verwirklichung des Schadenserfolgs“ der Ort innerhalb des betroffenen Marktes ist, an dem die Waren, die Gegenstand des Kartells waren, gekauft wurden(29). Dieser Anknüpfungspunkt scheint also auf den Ort innerhalb des von der in Rede stehenden Wettbewerbsverzerrung betroffenen größeren Gebiets hinzudeuten, von dem die Klägerin geltend macht, dass ihr dort der konkrete Schaden entstanden sei(30).

46.      Zugleich hat der Gerichtshof in diesem Urteil bestätigt, dass der Sitz des mutmaßlich Geschädigten weiterhin relevant ist, wenn mehrere Käufe an unterschiedlichen Orten erfolgt sind(31). Daraus folgt meines Erachtens, dass der Anknüpfungspunkt des Sitzes des Geschädigten subsidiär anzuwenden ist, wenn die Vielzahl der an verschiedenen Orten getätigten Käufe es nicht ermöglicht, das zuständige Gericht anhand des Hauptanknüpfungspunkts eines (einzigen) Ortes des Kaufs (oder der Käufe) zu bestimmen(32).

47.      Die Kommission ist der Auffassung, dass der Ort des Sitzes zwar innerhalb des betroffenen Marktes liegen könne (wie in der Rechtssache Volvo), die bisherige Rechtsprechung aber Zweifel daran bestehen lasse, ob dieser Anknüpfungspunkt auch dann Anwendung finden könne, wenn sich der Sitz des Geschädigten außerhalb des betroffenen Marktes befinde. Dies würde ihres Erachtens gegen die Grundsätze der Nähe zum Streitgegenstand, der Vorhersehbarkeit des Gerichtsstands und der Kohärenz zwischen Gerichtsstand und anzuwendendem Recht verstoßen. Daher solle der Gerichtshof die Gelegenheit nutzen, um diese Fallkonstellation auszuschließen und zu bestätigen, dass der Hauptanknüpfungspunkt – nach meinem Verständnis des Vorbringens der Kommission – der des betroffenen Marktes sei.

48.      Ich werde mich im Folgenden mit dieser Frage befassen.

2.      Sitz des mutmaßlich Geschädigten und betroffene r Markt

49.      Erstens hat der Gerichtshof, wie bereits ausgeführt, im Urteil Volvo klargestellt, dass der betroffene Markt nicht unbedingt einen hinreichend konkreten Anknüpfungspunkt bietet, um die gerichtliche Zuständigkeit zu begründen. Wenn die kollusive Absprache sich nämlich im gesamten Gebiet der Europäischen Union ausgewirkt hat, gestattet Art. 7 Nr. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 es nicht, eine Schadensersatzklage überall in der Union zu erheben(33). Das zuständige Gericht muss vielmehr anhand einer konkreteren Verbindung (in erster Linie anhand des Ortes des Kaufs) ermittelt werden.

50.      Zweitens lagen in der Rechtssache Volvo sowohl der Ort der Käufe als auch der Sitz des Geschädigten nicht nur im selben Mitgliedstaat, sondern auch am selben Ort im betreffenden Mitgliedstaat. Der Sitz des Geschädigten befand sich nämlich in Córdoba (Spanien), und das war zugleich der Ort, an dem er die vom Kartell betroffenen Lastkraftwagen kaufte. Darüber hinaus war Spanien nach den Feststellungen des Gerichtshofs (notwendigerweise) Teil des (weiter gefassten) betroffenen Marktes (der sich auf den gesamten EWR erstreckte), wie er im betreffenden Beschluss der Kommission(34) bestimmt worden war.

51.      Mit anderen Worten führten die beiden konkreten Anknüpfungspunkte (Ort des Kaufs und Sitz des Geschädigten) jedenfalls zu demselben betroffenen Markt (und denselben lokalen und nationalen Segmenten dieses Marktes). Daher scheint der Gerichtshof zu seinem Ergebnis ausgehend von der Prämisse gekommen zu sein (oder zumindest könnte man es so verstehen), dass beide Kategorien von Anknüpfungspunkten vor diesem tatsächlichen Hintergrund in Erwägung gezogen wurden(35).

52.      Das lässt die Frage offen, ob bei einem anderen Sachverhalt, bei dem sich der Sitz des Klägers außerhalb des betroffenen Marktes befindet(36)(und dieser Markt sich nicht auf das gesamte Gebiet der Europäischen Union erstreckt), eine gegenteilige Lösung gefunden werden könnte.

53.      Auf den ersten Blick stimme ich mit der Kommission darin überein, dass die Begründung der Zuständigkeit eines Gerichts außerhalb des Marktes, der von einem bestimmten wettbewerbswidrigen Verhalten betroffen ist, für eine Klage auf Ersatz der Schäden, die aufgrund dieses Verhaltens entstanden sein sollen, nicht recht mit der oben dargestellten Entwicklung in Einklang zu bringen wäre, in deren Rahmen der Gerichtshof begonnen hat, den Zusammenhang zwischen dem betroffenen Markt und dem Ort, an dem der Schaden eingetreten sein soll, hervorzuheben. Auf derselben Linie hat Generalanwalt Bobek in seinen Schlussanträgen in der Rechtssache flyLAL ausgeführt, er halte es „für ausgeschlossen, dass sich aus [der betreffenden Zuständigkeitsregel] und dem ‚Ort der Verwirklichung des Schadenserfolgs‘ eine Zuständigkeit von Gerichten außerhalb der vom Verstoß betroffenen Märkte ergäbe“(37).

54.      Dies vorausgeschickt möchte ich auf das Ersuchen der Kommission entgegnen, dass der absolute Ausschluss der Relevanz eines bestimmten Gesichtspunkts ohne konkrete tatsächliche Umstände ein schwieriges Unterfangen ist, das behutsam angegangen werden sollte, zumal im Licht der jüngsten Rechtsprechung.

55.      Die Fallkonstellation, die die Kommission ausschließen möchte, kann meines Erachtens im Anschluss an das Urteil Volvo eintreten, wenn mehrere Käufe an verschiedenen Orten im Mitgliedstaat A von einem Kläger mit Sitz im Mitgliedstaat B getätigt wurden, wobei der Mitgliedstaat B außerhalb des Marktes liegt, der von dem in Rede stehenden wettbewerbswidrigen Verhalten betroffen ist. Um dieses Ergebnis zu vermeiden, müsste die Anwendung der im Urteil Volvo entwickelten Lösung auf einen solchen grenzüberschreitenden Kontext ausgeschlossen werden(38).

56.      Ein weiteres Beispiel, an das man denken könnte, ist der Fall mittelbarer Abnehmer, die geltend machen, dass ein aus einer kollusiven Vereinbarung resultierender Preisaufschlag an sie weitergegeben worden sei. Wie bereits erwähnt, hat der Gerichtshof im Urteil Tibor-Trans entschieden, dass ein solcher Schaden für die Zwecke der Anwendung von Art. 7 Nr. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 als unmittelbarer Schaden anzusehen ist(39). Angesichts dessen kann nicht ausgeschlossen werden, dass der betreffende Anknüpfungspunkt unter den speziellen Umständen einer komplexen Lieferkette auf ein Gebiet außerhalb des Marktes verweisen könnte, der von dem wettbewerbswidrigen Verhalten, das den Schaden verursacht haben soll, betroffen ist(40).

57.      Diese Frage ist allerdings als solche nicht Gegenstand des Rechtsstreits vor dem vorlegenden Gericht, wie die Kommission einräumt. Auch wenn diese Ausführungen in gewissem Maß erklären, weshalb die Klägerin die Zuständigkeit der ungarischen Gerichte an ihren Sitz knüpft, beruft sie sich darauf in einem Kontext, der erheblich von dem der oben genannten Rechtssachen abweicht. Sie möchte die Anwendung dieses Anknüpfungspunkts ausdehnen, um die gerichtliche Zuständigkeit für ihre Klage zu begründen, mit der sie den Ersatz eines Schadens beansprucht, den ausschließlich andere zu ihrer wirtschaftlichen Einheit gehörende Unternehmen erlitten haben.

58.      Vor diesem Hintergrund möchte ich daran erinnern, dass das vorlegende Gericht mit seiner ersten Frage im Wesentlichen wissen möchte, ob der Begriff der wirtschaftlichen Einheit zu einem anderen Zweck als dem, einen bestimmten Beklagten für eine Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht haftbar zu machen (wozu, wie ich nachfolgend darlegen werde, dieser Begriff herkömmlich gedient hat), herangezogen werden kann, und zwar dazu, eine gerichtliche Zuständigkeit zu begründen, unabhängig davon, welche (juristische) Person den geltend gemachten Schaden ursprünglich erlitten hat.

59.      Ich werde mich nunmehr mit diesem Punkt befassen.

C.      Von einer Tochtergesellschaft erlittener Schaden: Kann der „Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist“, der Sitz der Muttergesellschaft sein?

60.      Um die Frage des vorlegenden Gerichts zu beantworten, werde ich zunächst auf den Begriff der wirtschaftlichen Einheit eingehen (1) und darlegen, warum die erste Vorlagefrage zu verneinen ist (2). Obwohl nach der von mir vorgeschlagenen Antwort die zweite Vorlagefrage nicht beantwortet zu werden braucht, werde ich der Vollständigkeit halber kurz auf sie eingehen (3).

1.      Begriff der wirtschaftlichen Einheit

61.      Der Begriff der wirtschaftlichen Einheit wurde in der Rechtsprechung des Gerichtshofs entwickelt, um im Wesentlichen den Begriff „Unternehmen“ im Sinne der Art. 101 und 102 AEUV zu beschreiben. Er wird für den Bereich des Wettbewerbsrechts als „entscheidend“(41) angesehen, weil es nicht für juristische und natürliche Personen gilt, sondern für „Unternehmen“(42). In diesem Kontext kann ein Unternehmen bisweilen aus einer natürlichen oder juristischen Person bestehen, in anderen Fällen aber auch mehrere solche Personen umfassen(43).

62.      Für den vorliegenden Fall relevant ist die allgemeine Annahme, dass eine Muttergesellschaft und ihre Tochtergesellschaft im Wesentlichen dann eine wirtschaftliche Einheit bilden, wenn die Tochtergesellschaft einem bestimmenden Einfluss der Muttergesellschaft unterliegt und nicht selbständig handelt(44). In einem solchen Fall wird die gesamte Gruppe als ein „Unternehmen“ angesehen, an das sich die wettbewerbsrechtlichen Vorschriften richten, die von der gesamten Gruppe eingehalten werden müssen, was zu einer gesamtschuldnerischen Haftung führt(45).

63.      Dies hat erhebliche Auswirkungen auf die Anwendung bestimmter materiell-rechtlicher Vorschriften des Wettbewerbsrechts und auf die Zurechnung der Verantwortlichkeit für Zuwiderhandlungen gegen das Wettbewerbsrecht.

64.      Was erstens den Aspekt des materiellen Rechts anbelangt, fallen – um ein Beispiel zu nennen – Vereinbarungen zwischen Personen, die zu einer wirtschaftlichen Einheit gehören, nicht unter Art. 101 AEUV(46); dies liegt im Wesentlichen daran, dass die Koordinierung innerhalb der Unternehmensgruppe den Wettbewerb nicht beeinträchtigen kann, weil innerhalb der wirtschaftlichen Einheit von vornherein kein Wettbewerb besteht.

65.      Zweitens wirkt sich der Begriff der wirtschaftlichen Einheit bei der Durchsetzung grundlegend auf die Logik der Zurechnung der Verantwortlichkeit für eine Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht aus. Insbesondere verschafft er der Kommission (oder einer nationalen Wettbewerbsbehörde) die Möglichkeit, eine Muttergesellschaft grundsätzlich für eine solche Zuwiderhandlung zur Verantwortung zu ziehen, obwohl sie von der Tochtergesellschaft begangen wurde(47). Außerdem hat der Gerichtshof klargestellt, dass in einem Fall, in dem eine Muttergesellschaft und ihre Tochtergesellschaft eine wirtschaftliche Einheit bilden und nur die Muttergesellschaft im Beschluss der Kommission genannt und wegen einer wettbewerbswidrigen Praxis mit einer Sanktion belegt wurde, unter bestimmten Voraussetzungen gegen jede der beiden Gesellschaften eine Schadensersatzklage erhoben werden kann(48). Der Gerichtshof hat im Wesentlichen erläutert, dass der Begriff „Unternehmen“ im Sinne von Art. 101 AEUV im Kontext der privaten Durchsetzung des Wettbewerbsrechts keine andere Bedeutung haben kann als im Rahmen seiner öffentlichen Durchsetzung(49).

66.      Insoweit macht die Klägerin geltend, da die Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht die gesamtschuldnerische Haftung der gesamten wirtschaftlichen Einheit auslöse, was bedeute, dass ein Mitglied für die Handlungen eines anderen Mitglieds haften könne, müsse dieser Grundsatz – so verstehe ich ihr Vorbringen – spiegelbildlich (oder umgekehrt) auch für die Durchsetzung von Ansprüchen wegen einer Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht gelten, von der ein Mitglied der wirtschaftlichen Einheit betroffen sei. Die Klägerin (die offenbar an die vorstehend wiedergegebenen Feststellungen des Gerichtshofs anknüpft) führt aus, die Bedeutung des Begriffs der wirtschaftlichen Einheit könne nicht davon abhängen, ob das betreffende Unternehmen als Kläger oder als Beklagter auftrete. Im Kontext der vorliegenden Rechtssache würde dies bedeuten, dass die Forderung, um die es im Ausgangsverfahren geht, von der Muttergesellschaft geltend gemacht werden kann, unabhängig davon, dass der Schaden ihren Tochtergesellschaften entstanden ist. Infolgedessen wäre, führt man die Argumentation der Klägerin fort, der Sitz der Muttergesellschaft als der „Ort, an dem der Schaden eingetreten ist“, für die Zwecke der Anwendung von Art. 7 Nr. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 anzusehen.

67.      Ich bin der Ansicht, dass der Gerichtshof allgemeiner betrachtet (unabhängig von Zuständigkeitsfragen) den Gedanken einer „umgekehrten Anwendung“ des Begriffs der wirtschaftlichen Einheit verworfen hat, als er entschied, dass dieser Begriff in dem (offensichtlich anderen) Kontext einer Schadensersatzklage wegen außervertraglicher Haftung der Europäischen Union gemäß Art. 340 Abs. 2 AEUV keine Anwendung findet. Im Urteil Guardian Europe/Europäische Union hatte das Gericht im Wesentlichen den Anspruch einer Muttergesellschaft auf entgangenen Gewinn aufgrund der Zahlung einer von der Kommission verhängten und später teilweise für nichtig erklärten Geldbuße verneint, da die Geldbuße in Wirklichkeit ihren Tochtergesellschaften auferlegt worden war. Der Gerichtshof bestätigte im Rechtsmittelverfahren die Ablehnung eines „umgekehrten“ Verständnisses des Begriffs der wirtschaftlichen Einheit durch das Gericht und führte aus, dass eine Klage, mit der die außervertragliche Haftung der Europäischen Union geltend gemacht wird, „den allgemeinen Verfahrensvorschriften unterliegt, … die … unabhängig von der Systematik der Haftung im Hinblick auf das Kartellrecht“ sind(50).

68.      Unabhängig davon, ob im Kontext einer privaten Schadensersatzklage in der Sache eine andere Lösung gefunden werden könnte(51), weise ich darauf hin, dass Generalanwalt Szpunar jüngst ein ähnliches Argument zurückgewiesen und überzeugend dargelegt hat, dass der Begriff der wirtschaftlichen Einheit keine Auswirkungen auf die Auslegung der Vorschriften über die Zustellung von Schriftstücken innerhalb der Union(52) haben kann und es nicht gestattet, eine Schadensersatzklage, die sich gegen eine Muttergesellschaft richtet, einer ihrer Tochtergesellschaften zuzustellen(53).

69.      Vor dem Hintergrund dieser allgemeineren Erwägungen bleibt zu prüfen, ob der Begriff der wirtschaftlichen Einheit im Rahmen der Anwendung von Art. 7 Nr. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 letztlich dazu dienen kann, einem mutmaßlich durch ein gegen Art. 101 AEUV verstoßendes Verhalten Geschädigten ein forum actoris zu verschaffen.

2.      Kann sich der Begriff der wirtschaftlichen Einheit auf den Anwendungsbereich des Ortes der Verwirklichung des Schadenserfolgs auswirken?

70.      Wie die Beklagte, die tschechische Regierung und die Kommission bin ich der Ansicht, dass diese Frage zu verneinen ist.

71.      Erstens ergibt sich aus den vorstehenden Abschnitten dieser Schlussanträge, dass die gegenteilige Auffassung der Klägerin schlicht keine Stütze in der Rechtsprechung des Gerichtshofs findet.

72.      Zweitens liefe diese Auffassung den Grundsätzen zuwider, auf denen die in Rede stehende Zuständigkeitsregel beruht. Der Grundgedanke der Nähe zum Streitgegenstand und das damit verbundene Erfordernis einer individuellen Beurteilung der Anknüpfungspunkte würden untergraben (a). Unter den Umständen des vorliegenden Falles würde diese Auffassung auch dem Erfordernis der Vorhersehbarkeit des Gerichtsstands und dem Ziel der Kohärenz von Gerichtsstand und anzuwendendem Recht zuwiderlaufen (b).

73.      Abschließend werde ich, um auf die Bedenken der Klägerin einzugehen, darlegen, dass dieses Ergebnis die wirksame Durchsetzung der bei einer Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht bestehenden Rechte nicht beeinträchtigt (c).

a)      Erfordernis der Nähe zum Streitgegenstand und einer individuellen Beurteilung

74.      Wie ich oben ausgeführt habe, wird davon ausgegangen, dass die Gerichte, deren Zuständigkeit auf der Grundlage von Art. 7 Nr. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 begründet werden kann, „insbesondere wegen der Nähe zum Streitgegenstand und der leichteren Beweisaufnahme“(54) am besten in der Lage sind, den Rechtsstreit zu entscheiden.

75.      Aus diesem Blickwinkel erkenne ich durchaus an, dass die Beweiserhebung bei grenzüberschreitenden Schadensersatzklagen komplex ist(55), auch im Kontext von Ansprüchen (oder Einwendungen), in deren Rahmen vorgetragen wird, dass der aus einer kollusiven Vereinbarung resultierende Preisaufschlag weitergegeben worden sei(56).

76.      Dies vorausgeschickt, besteht zum Ort des Sitzes der Muttergesellschaft nicht ohne Weiteres eine signifikante Verbindung, aus der sich ergibt, warum dieser Ort für den in Rede stehenden Zweck besser geeignet sein soll als (insbesondere) der Ort des Kaufs(57).

77.      Insoweit wäre die von der Klägerin vertretene Lösung mit dem Erfordernis unvereinbar, dass die Anknüpfungspunkte bei jedem Geschädigten individuell zu beurteilen sind. Das kommt im Urteil CDC Hydrogen Peroxide, in dem es um eine Klage wegen verschiedener Ansprüche ging, die an eine einzige Gesellschaft abgetreten worden waren, eindeutig zum Ausdruck(58).

78.      Zwar verwendet der Gerichtshof, wie die Klägerin ausführt, im Urteil Volvo den Begriff „Unternehmen“ zur Bezeichnung der dortigen Klägerin, also der mutmaßlich durch die in Rede stehenden wettbewerbswidrigen Praktiken Geschädigten. Ich glaube jedoch nicht, dass diese Bezeichnung zur Ergänzung der oben erörterten Entwicklungen gewählt wurde, bei denen der Gerichtshof die Definition des „Ortes der Verwirklichung des Schadenserfolgs“ präzisiert hat, um der Besonderheit von Rechtsstreitigkeiten in Wettbewerbssachen Rechnung zu tragen (indem er die Definition des „Klägers“ in diesem Kontext erweitert).

79.      Erstens verwendet der Gerichtshof den Begriff „Unternehmen“ im oben beschriebenen Sinne bereits im Urteil CDC Hydrogen Peroxide, das diesen Entwicklungen vorausging. Noch wichtiger ist das von der Kommission und der Tschechischen Republik vorgebrachte Argument, dass dieser Begriff bei genauerer Betrachtung der Urteile CDC Hydrogen Peroxide und Volvo nicht im spezifischen Sinne des Wettbewerbsrechts verwendet wird, sondern im allgemeinen Sinne als Synonym für „Gesellschaft“ oder „juristische Person“(59). Käme man zu einem anderen Schluss, stünde dies auch in unmittelbarem Widerspruch zum Erfordernis einer individuellen Beurteilung, das zu den wesentlichen Erkenntnissen im Urteil CDC Hydrogen Peroxide gehört, auf die später im Urteil Volvo verwiesen wurde(60).

80.      Überdies hat der Unionsgesetzgeber, wie die Beklagte, die tschechische Regierung und die Kommission ausführen, im Rahmen der Richtlinie 2014/104(61) denselben „individuellen Ansatz“ in Bezug auf die Definition des mutmaßlich Geschädigten eines wettbewerbswidrigen Verhaltens gewählt. Der Erlass dieses Rechtsinstruments ist im Wesentlichen als wichtiger Meilenstein auf dem Weg zu einer wirksameren privaten Rechtsdurchsetzung in Fällen von Zuwiderhandlungen gegen das Wettbewerbsrecht angesehen worden(62). Zu diesem Zweck enthält die Richtlinie Koordinierungsregeln u. a. für die Durchsetzung der Wettbewerbsregeln im Rahmen von Schadensersatzklagen, damit jeder, der einen durch eine Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht verursachten Schaden erlitten hat, das Recht, von dem verantwortlichen Unternehmen den vollständigen Ersatz dieses Schadens zu verlangen, wirksam geltend machen kann(63).

81.      Insoweit ist von Bedeutung, dass der Unionsgesetzgeber es nicht für angebracht gehalten hat, die Definition des Begriffs „Geschädigter“(64) weiter zu fassen, damit nicht nur unmittelbar, sondern auch mittelbar Geschädigte darunterfallen(65). Wenn dies im Kontext eines Instruments, mit dem speziell die private Durchsetzung des Wettbewerbsrechts verbessert werden sollte, nicht für erforderlich gehalten wurde, sehe ich keinen Grund, einem solchen Ansatz im Kontext der Verordnung Nr. 1215/2012 zu folgen, die, wie die Klägerin selbst im Wesentlichen ausführt, ein Rechtsakt mit allgemeiner Geltung für alle Arten von Rechtsstreitigkeiten ist, die in seinen Anwendungsbereich fallen (insbesondere, wenn ein solcher Ansatz die soeben angesprochenen ebenso wie die nachstehend erörterten Aspekte der Funktionsweise der in Rede stehenden Zuständigkeitsregel beeinträchtigen würde).

b)      Ziel der Kohärenz von Gerichtsstand und anzuwendendem Recht und Erfordernis, dass der Gerichtsstand in hohem Maß vorhersehbar ist

82.      In der oben angeführten Rechtsprechung hat der Gerichtshof einerseits die Bedeutung der Kohärenz von zuständigem Gericht und anzuwendendem Recht und andererseits das Erfordernis der Vorhersehbarkeit des Gerichtsstands hervorgehoben.

83.      Zum ersten Punkt hat der Gerichtshof festgestellt, dass die Bestimmung des Ortes der Verwirklichung des Schadenserfolgs innerhalb des betroffenen Marktes dem im siebten Erwägungsgrund der Rom‑II-Verordnung zum Ausdruck gebrachten Ziel der Kohärenz von anzuwendendem Recht und zuständigem Gericht entspricht, da nach dieser Verordnung auf Schadensersatzklagen wegen eines Verstoßes gegen das Wettbewerbsrecht das Recht des Staates anzuwenden ist, dessen Markt beeinträchtigt ist oder wahrscheinlich beeinträchtigt wird(66).

84.      Zum zweiten Punkt hat der Gerichtshof im Urteil Volvo den (subsidiären) Anknüpfungspunkt des Sitzes des Geschädigten damit begründet, dass „den Beklagten, die Mitglieder des Kartells sind, nicht unbekannt sein kann, dass die Käufer der fraglichen Gegenstände im von den Kartellpraktiken betroffenen Markt ansässig sind“(67).

85.      Über die im vorangegangenen Unterabschnitt aufgeworfenen Fragen in Bezug auf die Nähe zum Streitgegenstand und die individuelle Beurteilung hinaus dürfte die Heranziehung des Sitzes der Muttergesellschaft unter den Umständen des vorliegenden Falles keiner dieser beiden Vorgaben genügen.

86.      Zwar befindet sich der Sitz der Klägerin innerhalb des im Beschluss der Kommission definierten betroffenen Marktes (was die natürliche Folge der gesamteuropäischen Dimension des fraglichen Kartells ist). Wie bereits erläutert, ist nach dem Urteil Volvo jedoch ein spezifischerer Anknüpfungspunkt (wie der Ort des Kaufs oder der Sitz des unmittelbar Geschädigten) heranzuziehen.

87.      Aus den Akten geht hervor, dass die jeweiligen Käufe von den verschiedenen Tochtergesellschaften in mehreren Mitgliedstaaten (u. a., aber nicht nur in Ungarn)(68) getätigt wurden, deren Recht somit gemäß Art. 6 Abs. 3 Buchst. a der Rom‑II-Verordnung anwendbar ist. Unter diesen Umständen kann das Ziel, Kohärenz mit dem anwendbaren Recht sicherzustellen, nicht erreicht werden (sofern über die Ansprüche, die außerhalb von Ungarn entstandene Schäden betreffen, die ungarischen Gerichte entscheiden sollen).

88.      Was die Vorhersehbarkeit des Gerichtsstands angeht, bestünde, wenn sich die Zuständigkeit nach dem Ort des Sitzes der Muttergesellschaft richten würde, überdies die Gefahr, dass der daraus resultierende Gerichtsstand zu einem beweglichen Ziel würde. Bei jedem Rechtsgeschäft, mit dem sich ändert, wer die Kontrolle über eine bestimmte Tochtergesellschaft ausübt, würde nämlich das im vorliegenden Kontext zuständige Gericht wechseln, je nach dem Sitz der neuen Muttergesellschaft(69). Die zweite Vorlagefrage veranschaulicht dieses Risiko recht gut, da sie zeigt, dass einige der betroffenen Tochtergesellschaften nicht zur Unternehmensgruppe der Klägerin gehörten, als die Käufe getätigt wurden. Insoweit könnte man sich zwar auf den Standpunkt stellen, dass bei der Bestimmung des Ortes, „an dem der Schaden eingetreten ist“, (im Kontext eines gesamteuropäischen Kartells) das Streben nach Vorhersehbarkeit des Gerichtsstands bis zu einem gewissen Grad illusorisch wird, doch rechtfertigt dies keine vollständige Aufgabe dieses Strebens oder die Einbeziehung eines zusätzlichen Unsicherheitsfaktors.

89.      Nach dieser Klarstellung möchte ich noch auf das Vorbringen der Klägerin eingehen, dass die Möglichkeit der durch ein wettbewerbswidriges Verhalten Geschädigten, ihre Rechte durchzusetzen, erheblich beeinträchtigt würde, wenn die Anwendung des Begriffs der wirtschaftlichen Einheit unter den vorliegenden Umständen ausgeschlossen wäre.

c)      Wirksame Durchsetzung von Rechten

90.      Die Klägerin erläutert ausführlich die Schwierigkeiten, die ihrer Ansicht nach für den durch ein wettbewerbswidriges Verhalten Geschädigten im Rahmen der grenzüberschreitenden Durchsetzung sich daraus ergebender Rechte bestehen. So behinderten die Rechtsverletzer diese Durchsetzung systematisch, indem sie insbesondere die internationale Zuständigkeit der angerufenen Gerichte in Abrede stellten. Diese Schwierigkeiten könnten (im konkreten Fall des in Rede stehenden Lkw-Kartells) vermieden werden, wenn die Zuständigkeit für sämtliche Schäden, die verschiedenen Mitgliedern einer wirtschaftlichen Einheit an verschiedenen Orten entstanden seien, am Sitz der Muttergesellschaft zentralisiert würde. Die derzeitige Situation beeinträchtige die wirksame Durchsetzung der zugrunde liegenden Rechte, da ein Geschädigter, der in verschiedenen Mitgliedstaaten geschäftlich tätig sei (wie sie selbst, wenn ich das Argument recht verstehe), in fünf verschiedenen Mitgliedstaaten Klage erheben müsste, nur weil die Lastkraftwagen von Tochtergesellschaften erworben worden seien. Überdies seien mit einer derartigen Zersplitterung des Verfahrens höhere Kosten verbunden, und die aktuellen Vorschriften führten, weil die meisten Rechtsverletzer in den Gründungsmitgliedstaaten (oder in den „zuerst“ beigetretenen Mitgliedstaaten) ansässig seien, dazu, dass die Geschädigten in diesen Staaten Klage erheben müssten, auch wenn sich ihr eigener Sitz möglicherweise in einem anderen Mitgliedstaat befinde.

91.      Was erstens die letztgenannte Bemerkung betrifft, scheint mir die Klägerin, wenn ich sie richtig verstehe, im Wesentlichen die Grundregel des Wohnsitzes des Beklagten zu kritisieren, die sich aus der Verordnung Nr. 1215/2012 ergibt. Diese Regel benachteiligt nämlich die Kläger (und zwar jeden Kläger), weil der Kläger an den Wohnsitz des Beklagten „reisen“ und die dort geltenden Verfahrensvorschriften beachten muss (und nicht umgekehrt). Dies ist jedoch der in der Verordnung Nr. 1215/2012 (im Einklang mit einer seit Langem in vielen nationalen Rechtsordnungen bestehenden Regel) gewählte Ansatz(70).

92.      Zweitens ist darauf hinzuweisen, dass in der Verordnung Nr. 1215/2012 diese Grundregel bei bestimmten, als schwächere Parteien angesehenen Kategorien von Klägern umgekehrt wird, um ihnen stärkeren Schutz in Form der Möglichkeit zu bieten, an ihrem Wohnsitz (oder ihrem Arbeitsort) zu klagen(71).  Die mutmaßlichen Opfer wettbewerbswidrigen Verhaltens gehören als solche nicht zu diesen Kategorien (es sei denn, sie handeln im konkreten Fall als Verbraucher). Dieser Status quo gilt unabhängig davon, dass ein öffentliches Interesse an der Einhaltung des Wettbewerbsrechts besteht und dass der Unionsgesetzgeber zur Förderung dieses Interesses beschlossen hat, im Bereich der privaten Durchsetzung des Wettbewerbsrechts bestimmte gemeinsame Regeln zu erlassen(72). Für den vorliegenden Fall ist relevant, dass dies in den derzeit in der Verordnung Nr. 1215/2012 enthaltenen „schützenden“ Zuständigkeitsregeln keine Entsprechung hat.

93.      Drittens beruht die hier in Rede stehende Zuständigkeitsregel, wie oben ausgeführt, im Gegensatz zu solchen Schutzvorschriften auf einer grundlegend anderen Logik. Daraus folgt, dass die jeweiligen Interessen der Kläger und der Beklagten als gleichwertig anzusehen sind. Außerdem ist diese Regel als Ausnahme von der Grundregel eng auszulegen.

94.      Viertens ist der Gerichtshof im Urteil CDC Hydrogen Peroxide trotzdem so weit gegangen, ein forum actoris für den (unmittelbar) Geschädigten eines Preiskartells zu schaffen, und dieses forum actoris wurde als subsidiäre Möglichkeit im Urteil Volvo bestätigt. Wie die Kommission anmerkt, hat der Gerichtshof im Urteil CDC Hydrogen Peroxide ferner entschieden, dass das Gericht am Sitz des Geschädigten über den gesamten geltend gemachten Schaden entscheiden kann(73) (was die logische Folge der Wahl des Sitzes des Geschädigten als Anknüpfungspunkt sein dürfte).

95.      Fünftens kann der Geschädigte, wie bereits dargelegt und von der Kommission hervorgehoben, unter bestimmten Voraussetzungen nicht nur gegen die Muttergesellschaft, an die sich der jeweilige Beschluss der Kommission, mit dem eine Zuwiderhandlung festgestellt wurde, richtet, sondern auch gegen eine Tochtergesellschaft klagen, die zur wirtschaftlichen Einheit dieser Muttergesellschaft gehört(74). Das eröffnet möglicherweise (je nach Sitz der Tochtergesellschaft) einen zusätzlichen Gerichtsstand und kann daher die Rechtsdurchsetzung weiter erleichtern.

96.      Schließlich gibt es, wenn ein Kläger der Ansicht ist, dass die Konzentration der Zuständigkeit seine oberste Priorität ist, als universellen Ansatz stets die Klage vor den Gerichten am Sitz des Beklagten. Diese Wahl bringt zwar die mit „Reisen“ verbundenen Unannehmlichkeiten mit sich, ist aber nicht dem Einwand ausgesetzt, dass sie zu einer Zersplitterung des Verfahrens führt.

97.      Unter diesen Umständen vermag ich nicht zu erkennen, inwiefern die derzeitigen Zuständigkeitsvorschriften die mutmaßlichen Opfer wettbewerbswidrigen Verhaltens in grundlegender Weise daran hindern, ihre Rechte geltend zu machen, oder worin der Fehler der aktuellen Regelung in der Verordnung Nr. 1215/2012 bestehen soll, der eine „umgekehrte“ Anwendung des Begriffs der wirtschaftlichen Einheit erforderlich machen würde, um die Tragweite der Wendung „Ort, an dem der Schaden eingetreten ist“, im Sinne von Art. 7 Nr. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 (und konkreter des Ortes der Verwirklichung des Schadenserfolgs im Sinne der oben angeführten Rechtsprechung des Gerichtshofs) auszudehnen.

98.      Im Licht der vorstehenden Erwägungen komme ich zu dem Ergebnis, dass die Wendung „Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist“, im Sinne von Art. 7 Nr. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 nicht den Sitz der Muttergesellschaft umfasst, wenn sie eine Klage auf Ersatz von Schäden erhebt, die ausschließlich ihren Tochtergesellschaften durch das wettbewerbswidrige Verhalten eines Dritten entstanden sind, wobei geltend gemacht wird, dass die Muttergesellschaft und ihre Tochtergesellschaften Teil derselben wirtschaftlichen Einheit seien.

3.      Zweite Vorlagefrage: Bedeutung des Zeitpunkts der Käufe (und des Zeitpunkts des Erwerbs der Tochtergesellschaften)

99.      In Anbetracht meiner obigen Schlussfolgerung ist es nicht erforderlich, auf die zweite Vorlagefrage einzugehen, mit der das vorlegende Gericht wissen möchte, ob die Möglichkeit einer Muttergesellschaft, sich zur Begründung der Zuständigkeit auf ihren Sitz – und den Begriff der wirtschaftlichen Einheit – zu berufen, dadurch berührt wird, dass die Klägerin einige der betroffenen Tochtergesellschaften erst erworben hat, nachdem diese die künstlich erhöhten Preise gezahlt und den entsprechenden Verlust erlitten hatten.

100. Angesichts dessen kann diese Frage meines Erachtens recht kurz abgehandelt werden. Insoweit stimme ich der Klägerin zu, dass sie die Begründetheit der Klage betrifft und daher im Stadium der Ermittlung der Zuständigkeit keine Rolle spielt(75).

101. Ginge man davon aus, dass der Sitz der Klägerin mittels des Begriffs der wirtschaftlichen Einheit zu einem zulässigen Anknüpfungspunkt für die Zwecke von Art. 7 Nr. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 würde, beträfe das mit der zweiten Frage aufgeworfene Problem nämlich den Umfang des Schadensersatzes, den die Klägerin verlangen könnte (und zwar ginge es darum, ob sie einen solchen Schaden auch für den Verlust, den die Tochtergesellschaften vor ihrem Erwerb durch die Klägerin erlitten haben, mit Erfolg geltend machen kann). Dieser Aspekt betrifft somit die Prüfung in der Sache und nicht die Frage der Zuständigkeit.

V.      Ergebnis

102. Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, die von der Kúria (Oberstes Gericht, Ungarn) zur Vorabentscheidung vorgelegten Fragen wie folgt zu beantworten:

Art. 7 Nr. 2 der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen

ist dahin auszulegen, dass die Wendung „Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist“, nicht den Sitz der Muttergesellschaft umfasst, wenn sie eine Klage auf Ersatz von Schäden erhebt, die ausschließlich ihren Tochtergesellschaften durch das wettbewerbswidrige Verhalten eines Dritten entstanden sind, wobei geltend gemacht wird, dass die Muttergesellschaft und ihre Tochtergesellschaften Teil derselben wirtschaftlichen Einheit seien.













































































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