C-375/21 – Sdruzhenie „Za Zemyata – dostap do pravosadie“ u.a.

C-375/21 – Sdruzhenie „Za Zemyata – dostap do pravosadie“ u.a.

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Language of document : ECLI:EU:C:2023:173

Vorläufige Fassung

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Zweite Kammer)

9. März 2023(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Umwelt – Luftqualität – Richtlinie 2008/50/EG – Art. 13 und 23 – Grenzwerte zum Schutz der menschlichen Gesundheit – Überschreitung – Luftqualitätsplan – Richtlinie 2010/75/EU – Integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung – Aktualisierung einer Genehmigung zum Betrieb eines Wärmekraftwerks – Emissionsgrenzwerte – Art. 15 Abs. 4 – Antrag auf eine Ausnahmeregelung mit weniger strengen Emissionsgrenzwerten – Erhebliche Umweltverschmutzungen – Art. 18 – Einhaltung der Umweltqualitätsnormen – Pflichten der zuständigen Behörden“

In der Rechtssache C‑375/21

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Varhoven administrativen sad (Oberstes Verwaltungsgericht, Bulgarien) mit Entscheidung vom 1. Juni 2021, beim Gerichtshof eingegangen am 17. Juni 2021, in dem Verfahren

Sdruzhenie „Za Zemyata – dostap do pravosadie“,

Тhe Green Тank – grazhdansko sdruzhenie s nestopanska tsel“ – Hellenische Republik,

NS

gegen

Izpalnitelen director na Izpalnitelna agentsia po okolna sreda,

TETS Maritsa iztok 2“ EAD

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin A. Prechal, der Richterin M. L. Arastey Sahún sowie der Richter F. Biltgen, N. Wahl und J. Passer (Berichterstatter),

Generalanwältin: J. Kokott,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        der Sdruzhenie „Za Zemyata – dostap do pravosadie“, vertreten durch A. M. Kodzhabashev, R. I. Stoilova, Advokati, und F. Logue, Solicitor,

–        der „TETS Maritsa iztok 2“ EAD, vertreten durch Z. D. Dinchev,

–        der bulgarischen Regierung, vertreten durch T. Mitova und L. Zaharieva als Bevollmächtigte,

–        der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte, im Beistand von G. Palatiello, Avvocato dello Stato,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch V. Bozhilova, M. Noll-Ehlers und C. Valero als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 22. September 2022

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 4 Abs. 3 EUV, der Art. 13 und 23 der Richtlinie 2008/50/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Mai 2008 über Luftqualität und saubere Luft für Europa (ABl. 2008, L 152, S. 1) sowie von Art. 15 Abs. 4 und Art. 18 der Richtlinie 2010/75/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. November 2010 über Industrieemissionen (integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung) (ABl. 2010, L 334, S. 17).

2        Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Sdruzhenie „Za Zemyata – dostap do pravosadie“ (Verein „Für die Erde – Zugang zur Justiz“), einem bulgarischen Verein, „The Green Tank – grazhdansko sdruzhenie s nestopanska tsel“ – Hellenische Republik („The Green Tank – gemeinnütziger Bürgerverein, Hellenische Republik“), einem gemeinnützigen griechischen Bürgerverein, und NS, einem griechischen Staatsangehörigen, auf der einen Seite und dem Exekutivdirektor der Izpalnitelna agentsia po okolna sreda (Exekutivagentur für die Umwelt, Bulgarien) (im Folgenden: Exekutivdirektor) und der „TETS Maritsa iztok 2“ EAD, einem Wärmekraftwerkbetreiber auf der anderen Seite über die Aktualisierung der Genehmigung für TETS Maritsa iztok 2, ein bulgarisches Wärmekraftwerk, durch den Exekutivdirektor und für den Betrieb einer Feuerungsanlage zum Zwecke der Stromerzeugung, einer Anlage zur Herstellung von Wasserstoff sowie einer Deponie für Inertabfälle, Bauabfälle sowie gefährliche und nicht gefährliche Abfälle.

 Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

 Richtlinie 2008/50

3        Im 18. Erwägungsgrund der Richtlinie 2008/50 heißt es:

„Für Gebiete und Ballungsräume, in denen die Schadstoffkonzentrationen in der Luft die einschlägigen Luftqualitätszielwerte oder ‑grenzwerte gegebenenfalls zuzüglich zeitlich befristeter Toleranzmargen überschreiten, sollten Luftqualitätspläne erstellt werden. Luftschadstoffe werden durch viele verschiedene Quellen und Tätigkeiten verursacht. Damit die Kohärenz zwischen verschiedenen Strategien gewährleistet ist, sollten solche Luftqualitätspläne soweit möglich aufeinander abgestimmt und in die Pläne und Programme gemäß der Richtlinie 2001/80/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2001 zur Begrenzung von Schadstoffemissionen von Großfeuerungsanlagen in die Luft [(ABl. 2001, L 309, S. 1)], der Richtlinie 2001/81/EG [des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2001 über nationale Emissionshöchstmengen für bestimmte Luftschadstoffe (ABl. 2001, L 309, S. 22)] und der Richtlinie 2002/49/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Juni 2002 über die Bewertung und Bekämpfung von Umgebungslärm [( ABl. 2002, L 189, S. 12)] einbezogen werden. Die in dieser Richtlinie enthaltenen Luftqualitätsziele werden auch in den Fällen uneingeschränkt berücksichtigt, in denen auf Grund der Richtlinie 2008/1/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Januar 2008 über die integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung [(ABl. 2008, L 24, S. 8)] Genehmigungen für industrielle Tätigkeiten erteilt werden.“

4        Art. 1 („Gegenstand“) der Richtlinie 2008/50 sieht vor:

„Die in dieser Richtlinie festgelegten Maßnahmen dienen folgenden Zielen:

1.      Definition und Festlegung von Luftqualitätszielen zur Vermeidung, Verhütung oder Verringerung schädlicher Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit und die Umwelt insgesamt;

…“

5        In Art. 2 („Begriffsbestimmungen“) dieser Richtlinie heißt es:

„Für die Zwecke dieser Richtlinie gelten folgende Begriffsbestimmungen:

5.      ‚Grenzwert‘ ist ein Wert, der aufgrund wissenschaftlicher Erkenntnisse mit dem Ziel festgelegt wird, schädliche Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit und/oder die Umwelt insgesamt zu vermeiden, zu verhüten oder zu verringern, und der innerhalb eines bestimmten Zeitraums eingehalten werden muss und danach nicht überschritten werden darf;

9.      ‚Zielwert‘ ist ein Wert, der mit dem Ziel festgelegt wird, schädliche Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit und/oder die Umwelt insgesamt zu vermeiden, zu verhindern oder zu verringern, und der soweit wie möglich in einem bestimmten Zeitraum eingehalten werden muss;

…“

6        Art. 13 („Grenzwerte und Alarmschwellen für den Schutz der menschlichen Gesundheit“) der Richtlinie bestimmt in Abs. 1:

„Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass überall in ihren Gebieten und Ballungsräumen die Werte für Schwefeldioxid [SO2], PM10, Blei und Kohlenmonoxid in der Luft die in Anhang XI festgelegten Grenzwerte nicht überschreiten.

Die in Anhang XI festgelegten Grenzwerte für Stickstoffdioxid und Benzol dürfen von dem dort festgelegten Zeitpunkt an nicht mehr überschritten werden.

Die Einhaltung dieser Anforderungen wird nach Anhang III beurteilt.

Die in Anhang XI festgelegten Toleranzmargen sind gemäß Artikel 22 Absatz 3 und Artikel 23 Absatz 1 anzuwenden.“

7        Art. 23 („Luftqualitätspläne“) Abs. 1 dieser Richtlinie sieht vor:

„Überschreiten in bestimmten Gebieten oder Ballungsräumen die Schadstoffwerte in der Luft einen Grenzwert oder Zielwert zuzüglich einer jeweils dafür geltenden Toleranzmarge, sorgen die Mitgliedstaaten dafür, dass für diese Gebiete oder Ballungsräume Luftqualitätspläne erstellt werden, um die entsprechenden in den Anhängen XI und XIV festgelegten Grenzwerte oder Zielwerte einzuhalten.

Im Falle der Überschreitung dieser Grenzwerte, für die die Frist für die Erreichung bereits verstrichen ist, enthalten die Luftqualitätspläne geeignete Maßnahmen, damit der Zeitraum der Nichteinhaltung so kurz wie möglich gehalten werden kann. …

…“

 Richtlinie 2010/75

8        In Art. 3 („Begriffsbestimmungen“) der Richtlinie 2010/75 heißt es:

„Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck:

2.      ‚Umweltverschmutzung‘ die durch menschliche Tätigkeiten direkt oder indirekt bewirkte Freisetzung von Stoffen, Erschütterungen, Wärme oder Lärm in Luft, Wasser oder Boden, die der menschlichen Gesundheit oder der Umweltqualität schaden oder zu einer Schädigung von Sachwerten bzw. zu einer Beeinträchtigung oder Störung von Annehmlichkeiten und anderen legitimen Nutzungen der Umwelt führen können;

6.      ‚Umweltqualitätsnorm‘ die Gesamtheit von Anforderungen, die zu einem gegebenen Zeitpunkt in einer gegebenen Umwelt oder einem bestimmten Teil davon nach den Rechtsvorschriften der Union erfüllt werden müssen;

…“

9        Art. 14 („Genehmigungsauflagen“) dieser Richtlinie bestimmt:

„(1)      Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass die Genehmigung alle Maßnahmen umfasst, die zur Erfüllung der in den Artikeln 11 und 18 genannten Genehmigungsvoraussetzungen notwendig sind.

(2)      Für die Zwecke von Absatz 1 Buchstabe a können die Emissionsgrenzwerte durch äquivalente Parameter bzw. äquivalente technische Maßnahmen, die ein gleichwertiges Umweltschutzniveau gewährleisten, erweitert oder ersetzt werden.

(4)      Unbeschadet des Artikels 18 darf die zuständige Behörde strengere Genehmigungsauflagen vorgeben, als sie mit der Verwendung der in den BVT‑Schlussfolgerungen beschriebenen besten verfügbaren Techniken [(BVT)] einzuhalten sind. Die Mitgliedstaaten können Regeln festlegen, nach denen die zuständige Behörde solche strengeren Auflagen vorgeben kann.

…“

10      In Art. 15 („Emissionsgrenzwerte, äquivalente Parameter und äquivalente technische Maßnahmen“) der Richtlinie heißt es:

„(1)      Die Emissionsgrenzwerte für Schadstoffe gelten an dem Punkt, an dem die Emissionen die Anlage verlassen, wobei eine etwaige Verdünnung vor diesem Punkt bei der Festsetzung der Grenzwerte nicht berücksichtigt wird.

(2)      Die in Artikel 14 Absätze 1 und 2 genannten Emissionsgrenzwerte, äquivalenten Parameter und äquivalenten technischen Maßnahmen sind vorbehaltlich des Artikels 18 auf die [BVT] zu stützen, ohne dass die Anwendung einer bestimmten Technik oder Technologie vorgeschrieben wird.

(3)      Die zuständige Behörde legt Emissionsgrenzwerte fest, mit denen sichergestellt wird, dass die Emissionen unter normalen Betriebsbedingungen die mit den [BVT] assoziierten Emissionswerte, wie sie in den Entscheidungen über die BVT‑Schlussfolgerungen gemäß Artikel 13 Absatz 5 festgelegt sind, nicht überschreiten, und trifft hierzu eine der beiden folgenden Maßnahmen:

a)      Festlegung von Emissionsgrenzwerten, die die mit den [BVT] assoziierten Emissionswerte nicht überschreiten. Diese Emissionsgrenzwerte werden für die gleichen oder kürzere Zeiträume und unter denselben Referenzbedingungen ausgedrückt wie die mit den [BVT] assoziierten Emissionswerte; oder

b)      Festlegung von Emissionsgrenzwerten, die in Bezug auf Werte, Zeiträume und Referenzbedingungen von den in Buchstabe a aufgeführten Emissionsgrenzwerten abweichen.

Kommt Buchstabe b zur Anwendung, so bewertet die zuständige Behörde mindestens jährlich die Ergebnisse der Emissionsüberwachung, um sicherzustellen, dass die Emissionen unter normalen Betriebsbedingungen die mit den [BVT] assoziierten Emissionswerte nicht überschritten haben.

(4)      Abweichend von Absatz 3 und unbeschadet des Artikels 18 kann die zuständige Behörde in besonderen Fällen weniger strenge Emissionsgrenzwerte festlegen. Solche Ausnahmeregelungen dürfen nur angewandt werden, wenn eine Bewertung ergibt, dass die Erreichung der mit den [BVT] assoziierten Emissionswerte entsprechend der Beschreibung in den BVT‑Schlussfolgerungen aus den folgenden Gründen gemessen am Umweltnutzen zu unverhältnismäßig höheren Kosten führen würde:

a)      geografischer Standort und lokale Umweltbedingungen der betroffenen Anlage; oder

b)      technische Merkmale der betroffenen Anlage.

Die zuständige Behörde dokumentiert die Gründe für die Anwendung des Unterabsatzes 1 und die Ergebnisse der Analyse sowie die Begründung der festgelegten Auflagen im Anhang der Genehmigungsauflagen.

Die nach dem ersten Unterabsatz festgelegten Emissionsgrenzwerte dürfen die gegebenenfalls in den Anhängen dieser Richtlinie festgesetzten Emissionsgrenzwerte jedoch nicht überschreiten.

Die zuständige Behörde stellt in jedem Fall sicher, dass keine erheblichen Umweltverschmutzungen verursacht werden und ein hohes Schutzniveau für die Umwelt insgesamt erreicht wird.

Die zuständige Behörde führt als Teil jeder Überprüfung der Genehmigungsauflagen gemäß Artikel 21 eine erneute Bewertung der Anwendung des Unterabsatzes 1 durch.

…“

11      Art. 18 („Umweltqualitätsnormen“) der Richtlinie bestimmt:

„Erfordert eine Umweltqualitätsnorm strengere Auflagen, als durch die Anwendung der [BVT] zu erfüllen sind, so werden unbeschadet anderer Maßnahmen, die zur Einhaltung der Umweltqualitätsnormen ergriffen werden können, zusätzliche Auflagen in der Genehmigung vorgesehen.“

12      In Art. 31 („Schwefelabscheidegrad“) der Richtlinie 2010/75 heißt es:

„(1)      Auf Feuerungsanlagen, die mit einheimischem feste[m] Brennstoff betrieben werden und die in Artikel 30 Absätze 2 und 3 genannten Emissionsgrenzwerte für Schwefeldioxid aufgrund der Merkmale dieses Brennstoffs nicht einhalten können, dürfen die Mitgliedstaaten stattdessen, nachdem die zuständige Behörde die in Artikel 72 Absatz 4 Buchstabe a genannten technischen Daten zuvor validiert hat, die in Anhang V Teil 5 festgelegten Mindest-Schwefelabscheidegrade nach Maßgabe der in Anhang V Teil 6 festgelegten Einhaltungsvorschriften anwenden.

(2)      Für Feuerungsanlagen, die mit einheimischem festem Brennstoff befeuert werden und Abfall mitverbrennen und die die Werte für CVerfahren für Schwefeldioxid gemäß Anhang VI Teil 4 Nummern 3.1 oder 3.2 aufgrund der Eigenschaften der einheimischen festen Brennstoffe nicht einhalten können, können die Mitgliedstaaten gemäß den in Anhang V Teil 6 festgelegten Einhaltungsregeln stattdessen die in Anhang V Teil 5 festgelegten Mindest-Schwefelabscheidegrade anwenden. Entscheiden die Mitgliedstaaten, diesen Absatz anzuwenden, so beläuft sich CAbfall im Sinne von Anhang VI Teil 4 Nummer 1 auf 0 mg/Nm3.

(3)      Die Kommission überprüft bis zum 31. Dezember 2019 die in Anhang V Teil 5 festgelegte Möglichkeit, Mindest-Schwefelabscheidegrade anzuwenden, wobei sie insbesondere den [BVT] und den mit verringerten Schwefeldioxid-Emissionen verbundenen Vorteilen Rechnung trägt.“

 Durchführungsbeschluss (EU) 2017/1442 der Kommission

13      Der Durchführungsbeschluss (EU) 2017/1442 der Kommission vom 31. Juli 2017 über Schlussfolgerungen zu den besten verfügbaren Techniken (BVT) gemäß der Richtlinie 2010/75/EU des Europäischen Parlaments und des Rates für Großfeuerungsanlagen (ABl. 2017, L 212, S. 1) schreibt u. a. die mit den BVT assoziierten Emissionsgrenzwerte für Schwefeldioxidemissionen vor.

 Bulgarisches Recht

 Gesetz über die Luftreinheit

14      Art. 6 Abs. 1 des Zakon za chistotata na atmosferniya vazduh (Gesetz über die Luftreinheit) vom 28. Mai 1996 (DV Nr. 45 vom 28. Mai 1996) in seiner auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Fassung (im Folgenden: Gesetz über die Luftreinheit) bestimmt:

„(1)      Der Minister für Umwelt und Gewässer und der Gesundheitsminister erlassen gemeinsam Verordnungen zur Festlegung von Grenzwerten für Schadstoffe in der Luft und zur Festlegung von Grenzwerten für Schadstoffablagerungen.“

15      In Art. 9 des Abschnitts I („Emissionen aus ortsfesten Quellen“) des Gesetzes über die Luftreinheit, der zu Kapitel 3 („Begrenzung der Emissionen“) dieses Gesetzes gehört, heißt es:

„(1)      Der Minister für Umwelt und Gewässer erlässt zusammen mit den entsprechenden betroffenen Ministern Verordnungen zur Festlegung von Grenzwerten für die Emissionen von Schadstoffen in die Luft aus Anlagen und Tätigkeiten mit ortsfesten Emissionsquellen.

(2)      Die Emissionsgrenzwerte werden ausgearbeitet, um die Luftqualität zu gewährleisten, die den Schadstoffgrenzwerten gemäß Art. 6 entspricht.

(3)      Die Emissionsgrenzwerte sind für alle Anlagen und Tätigkeiten verbindlich, außer in den in Art. 3 Abs. 2 und Art. 10a genannten Fällen.

(4)      Die Emissionsgrenzwerte werden ausgearbeitet auf der Grundlage:

1.      der [BVT]-Schlussfolgerungen, die mit Beschluss der Europäischen Kommission im Sinne von Nr. 42c der ergänzenden Bestimmungen des Zakon za opazvane na okolnata sreda (Umweltschutzgesetz) [(DV Nr. 91 vom 25. September 2002) in seiner auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Fassung (im Folgenden: Umweltschutzgesetz)] erlassen wurden;

2.      des letzten Stands der Technik und der Technologien, der wissenschaftlichen Errungenschaften und der Ergebnisse der praktischen Anwendung dieser Errungenschaften.

(5)      Je nach den Bedingungen, die im Gebiet einer bestimmten Gemeinde gelten, können Emissionsgrenzwerte für Anlagen und Tätigkeiten in gewissen Gemeinden, Rayons oder Ballungsräumen festgelegt werden, die strenger sind als die in den Verordnungen nach Abs. 1 und nach den Art. 9a bis 9d festgelegten.

…“

16      Art. 27 des Gesetzes über die Luftreinheit sieht vor:

„(1)      Führt die Gesamtmenge der Emissionen in einem bestimmten Rayon zu einer Überschreitung der Schadstoffgrenzwerte in der Luft und der Ablagerungsgrenzwerte, so erstellen die Bürgermeister der Gemeinden Programme zur Verringerung der Schadstoffwerte und zur Einhaltung der festgelegten Grenzwerte gemäß Art. 6 und setzen diese Programme um. Die Programme werden von den Gemeinderäten erlassen.

(4)      Die Programme nach Abs. 1 umfassen auch: Ziele, Maßnahmen, Etappen und Fristen, innerhalb deren sie erreicht werden sollen; die für ihre Umsetzung zuständigen Organisationen und Einrichtungen, die Mittel zur Sicherstellung des Programms, das Berichts- und Kontrollsystem für die Umsetzung sowie das System zur Bewertung der Ergebnisse.

(5)      Überschreiten die Werte eines oder mehrerer Schadstoffe die festgelegten Grenzwerte und ist die Frist für die Einhaltung dieser Grenzwerte abgelaufen, so umfassen die Programme im Sinne von Abs. 1 geeignete Maßnahmen, um sicherzustellen, dass der Zeitraum der Überschreitung so kurz wie möglich gehalten wird.

(6)      Die Umsetzung der in Abs. 1 genannten Programme hat jedes Jahr zu einer Verringerung der Zahl der Überschreitungen der Schadstoffgrenzwerte und der durchschnittlichen jährlichen Schadstoffwerte in den Fällen zu führen, in denen diese Überschreitungen über den Luftqualitätsgrenzwerten liegen, die an den Überwachungsstellen verzeichnet wurden, die Teil des nationalen Umweltüberwachungssystems im Gebiet der Gemeinde sind.

…“

 Umweltschutzgesetz

17      Art. 123 des Umweltschutzgesetzes bestimmt:

„(1)      Die integrierte Genehmigung im Sinne von Art. 117 umfasst:

1.      … die Emissionsgrenzwerte für die in Anhang 8 genannten Stoffe und für andere Schadstoffe, die von der betreffenden Anlage in erheblichen Mengen ausgestoßen werden können:

a)      Bei der Festlegung der Emissionsgrenzwerte werden die Eigenschaften der Stoffe und ihr Potenzial, die Verschmutzung von einem Umweltbereich in den anderen zu verlagern, berücksichtigt;

b)      die Emissionsgrenzwerte können durch äquivalente Parameter oder äquivalente technische Maßnahmen, die ein gleichwertiges Umweltschutzniveau gewährleisten, erweitert oder ersetzt werden;

4.      die entsprechenden Voraussetzungen für die Überwachung der Emissionen:

(2)      Die zuständige Behörde im Sinne von Art. 120 Abs. 1 legt die Genehmigungsvoraussetzungen unter Berücksichtigung der BVT‑Schlussfolgerungen fest.

(11)      … In der integrierten Genehmigung sieht die zuständige Behörde im Sinne von Art. 120 Abs. 1 erforderlichenfalls zusätzliche Maßnahmen zur Anpassung an Umweltqualitätsnormen bzw. ‑standards vor, die strenger sind als diejenigen, die bei der Anwendung von BVT erreicht werden können. Dies gilt unbeschadet der Maßnahmen, mit denen die Einhaltung anderer Umweltqualitätsnormen bzw. ‑standards erreicht werden soll. …“

18      In Art. 123a des Umweltschutzgesetzes heißt es:

„… (1)      Für die Emissionsgrenzwerte nach Art. 123 Abs. 1 Nr. 1 gilt unter normalen Betriebsbedingungen:

1.      Sie überschreiten nicht die in den BVT‑Schlussfolgerungen durch Beschluss der Europäischen Kommission festgelegten Emissionswerte; diese Emissionsgrenzwerte betreffen identische oder kürzere Zeiträume und dieselben Referenzbedingungen wie die in den Beschlüssen festgelegten Emissionswerte oder

2.      unterscheiden sich von den unter Nr. 1 genannten Werten, gewährleisten aber die Einhaltung der Emissionswerte, die in den mit Beschluss der Europäischen Kommission erlassenen BVT‑Schlussfolgerungen festgelegt wurden.

(2)      Die Einhaltung im Sinne von Abs. 1 Nr. 2 wird durch eine Überwachung der Emissionen und eine mindestens einmal jährlich durchgeführte Bewertung der Ergebnisse durch die Prüfbehörde gewährleistet.

(3)      … Die zuständige Behörde im Sinne von Art. 120 Abs. 1 kann Emissionsgrenzwerte festlegen, die weniger streng sind als die in Abs. 1 genannten, wenn sich aus einer Bewertung ergibt, dass die mit den BVT assoziierten Emissionswerte entsprechend der Beschreibung in den mit Beschluss der Europäischen Kommission erlassenen BVT‑Schlussfolgerungen aus den folgenden Gründen gemessen am Umweltnutzen zu unverhältnismäßig höheren Kosten führen würde:

1.      die geografische Lage der Anlage oder

2.      die Eigenheiten der Umwelt im Umfeld des Standorts oder

3.      die technischen Besonderheiten der Anlage.

(4)      In den in Abs. 3 genannten Fällen dürfen die Emissionsgrenzwerte keine erhebliche Umweltverschmutzung verursachen und müssen ein hohes Umweltschutzniveau ermöglichen.“

19      In den ergänzenden Bestimmungen zum Umweltschutzgesetz werden die Begriffe „Emissionsgrenzwert“, „Umweltqualitätsnormen“, „integrierte Genehmigung“ und „BVT“ definiert.

 Verordnung über die Voraussetzungen und Verfahren für die Erteilung von integrierten Genehmigungen

20      Art. 2 der Naredba za usloviyata i reda za izdavane na kompleksni razreshitelni (Verordnung über die Voraussetzungen und Verfahren für die Erteilung von integrierten Genehmigungen) vom 2. Oktober 2009 (DV Nr. 80 vom 9. Oktober 2009) in seiner auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Fassung legt die Voraussetzungen für die Erteilung einer integrierten Genehmigung fest.

 Verordnung über Emissionsgrenzwerte für Schwefeldioxid, Stickstoffoxide und Staubpartikel, die durch Großfeuerungsanlagen in die Atmosphäre freigesetzt werden

21      Art. 12 der Naredba za normite za dopustimi emisii na seren dioksid, azotni oksidi i prah, izpuskani v atmosferata ot golemi gorivni instalatsii (Verordnung über Emissionsgrenzwerte für Schwefeldioxid, Stickstoffoxide und Staubpartikel, die durch Großfeuerungsanlagen in die Atmosphäre freigesetzt werden) vom 28. Dezember 2012 (DV Nr. 2 vom 8. Januar 2013) in seiner auf den Rechtsstreit des Ausgangsverfahrens anwendbaren Fassung bestimmt:

„(1)      Wird in einer Feuerungsanlage ein fester einheimischer Brennstoff verbrannt, der aufgrund seiner Merkmale nicht die Einhaltung des in Art. 5 festgelegten Emissionsgrenzwerts für Schwefeldioxid ermöglicht, so können die in Teil 5 des Anhangs Nr. 1 festgelegten Mindest-Schwefelabscheidegrade gemäß den Vorschriften in Teil 6 des Anhangs Nr. 1 angewandt werden.

(2)      Die Anwendung der Ausnahme nach Abs. 1 kann aufgrund einer technischen Begründung für die Unmöglichkeit der Einhaltung der in Art. 5 genannten Emissionsgrenzwerte genehmigt werden, die der Betreiber vor Erteilung/Überprüfung der integrierten Genehmigung vorgelegt hat und die vom Minister für Umwelt und Gewässer oder von einem von ihm beauftragten Beamten genehmigt wurde.

(3)      Für die Zwecke des der Europäischen Kommission vorgelegten Jahresberichts unterbreiten die Betreiber von Feuerungsanlagen dem Minister für Umwelt und Gewässer vor dem 31. März Informationen über das Vorjahr zu:

1.      dem Schwefelgehalt des verwendeten Brennstoffs und zu dem erreichten Schwefelabscheidegrad als monatliche Durchschnittswerte je Kamin oder Kessel für die Anlagen, auf die Abs. 1 Anwendung findet …“

 Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

22      TETS Maritsa iztok 2 ist das größte der vier im Energiekomplex Maritsa iztok in Bulgarien belegenen Wärmekraftwerke mit einer installierten Gesamtleistung von insgesamt 1 602 Megawatt (MW). Es wurde auf dem Gebiet der Gemeinde Radnevo (Bulgarien), ca. 24,5 km Luftlinie von der Stadtgemeinde Galabovo (Bulgarien) entfernt, errichtet und setzt sich aus acht Blöcken mit eingebauten Entschwefelungsanlagen zusammen.

23      Mit Bescheid vom 21. Dezember 2018 aktualisierte der Exekutivdirektor die im Jahr 2005 erteilte integrierte Genehmigung des Wärmekraftwerks TETS Maritsa iztok 2 für den Betrieb der oben genannten Anlagen (im Folgenden: streitiger Bescheid). Dieser Bescheid erging auf der Grundlage des zur Umsetzung der Richtlinie 2010/75 erlassenen Umweltschutzgesetzes in Verbindung mit dem Durchführungsbeschluss 2017/1442.

24      Der Exekutivdirektor war der Ansicht, dass die Emissionsgrenzwerte für Schwefeldioxid (SO2) und Quecksilber durch äquivalente Parameter oder äquivalente technische Maßnahmen, die zu einem gleichwertigen Umweltschutzniveau führten, ersetzt werden könnten. Für SO2 genehmigte er daher eine Ausnahme, indem er einen Schwefelabscheidegrad nach Art. 123 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b des Umweltschutzgesetzes in Verbindung mit Art. 12 der Verordnung vom 28. Dezember 2012 in ihrer auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Fassung und nach Art. 31 der Richtlinie 2010/75 festsetzte.

25      Der so genehmigte Schwefelabscheidegrad wurde jedoch unter Berücksichtigung von Art. 123a Abs. 3 des Umweltschutzgesetzes ausnahmsweise auf 97 % und 97,5 % festgelegt. Diese Schwefelabscheidegrade, die eigentlich nicht in der Lage sind, den normalerweise geforderten mit den BVT assoziierten Emissionshöchstwert von 320 mg/Nm3 für SO2 zu gewährleisten, sondern naturgemäß zu SO2‑Emissionen von 570 mg/Nm3 führen, wurden deshalb festgesetzt, weil ein höherer Schwefelabscheidegrad seitens des betreffenden Betreibers erhebliche Investitionen erfordert hätte und damit im Sinne dieser Bestimmung zu unverhältnismäßig höheren Kosten geführt hätte.

26      Die von Sdruzhenie „Za Zemyata – dostap do pravosadie“ gegen den streitigen Bescheid erhobene Klage wurde vom Administrativen sad Stara Zagora (Verwaltungsgericht Stara Zagora, Bulgarien) am 28. August 2020 abgewiesen.

27      Dieses Gericht war der Auffassung, dass entgegen dem Vorbringen von Sdruzhenie „Za Zemyata – dostap do pravosadie“ nicht zu prüfen und zu beurteilen sei, in welchem Umfang in der Stadtgemeinde Galabovo die Aktualisierung des Luftqualitätsplans erfolgt sei, der für die Schadstoffe Feinstaub (PM10) und Schwefeldioxid (SO2) für die Jahre 2019–2023 ausgearbeitet und vom Stadtrat Galabovo am 30. November 2018 gemäß Art. 23 der Richtlinie 2008/50 erlassen worden sei. Nach Ansicht dieses Gerichts verlangt das genaue Verfahren der Erteilung und Aktualisierung der integrierten Genehmigungen, das in der Verordnung vom 2. Oktober 2009 in ihrer auf den Rechtsstreit des Ausgangsverfahrens anwendbaren Fassung festgelegt wird, nicht, dass ein solcher Plan als Vorbedingung für die Aktualisierung einer integrierten Genehmigung erstellt werden müsse, weshalb der Exekutivdirektor nicht verpflichtet gewesen sei, sich an den Inhalt dieses Plans zu halten.

28      Es entschied daher, dass gemäß Art. 123 Abs. 1 Buchst. b des Umweltschutzgesetzes die zulässigen Emissionsgrenzwerte durch äquivalente Parameter oder äquivalente technische Maßnahmen, die ein gleichwertiges Umweltschutzniveau gewährleisteten, erweitert oder ersetzt werden könnten. Unter Verweis u. a. auf Art. 15 Abs. 4 der Richtlinie 2010/75, dessen Bestimmungen in Art. 123a Abs. 3 und 4 dieses Gesetzes umgesetzt wurden, war es auch der Auffassung, dass die Ausnahme hinsichtlich der Herabsetzung des für die Erreichung der normalerweise geltenden SO2‑Emissionsgrenzwerte erforderlichen Schwefelabscheidegrads auf der Grundlage dieser Bestimmungen und von Art. 31 dieser Richtlinie wirksam habe gewährt werden können.

29      Sdruzhenie „Za Zemyata – dostap do pravosadie“, „The Green Tank – grazhdansko sdruzhenie s nestopanska tsel“ – Hellenische Republik und NS legten beim vorlegenden Gericht Kassationsbeschwerde ein.

30      Das vorlegende Gericht hebt u. a. hervor, dass der in Rn. 27 des vorliegenden Urteils erwähnte Plan der Stadtgemeinde Galabovo eine langfristige Maßnahme zur Verringerung der SO2‑Verschmutzung mit der Bezeichnung „Durchführung von Projekten für den Wiederaufbau von Entschwefelungsanlagen zur Erreichung eines Mindest-Schwefelabscheidegrades von 98 % und Verbot des Betriebs von Heizkesseln ohne leistungsfähige Entschwefelungsanlagen oder [mit] funktionsuntüchtigen Entschwefelungsanlagen“ enthalte. Die vom Exekutivdirektor im streitigen Bescheid genehmigten herabgesetzten Schwefelabscheidegrade entsprächen nicht dem Mindest-Schwefelabscheidegrad von 98 %.

31      Außerdem stehe fest, dass im Gebiet der Stadtgemeinde Galabovo die genehmigten durchschnittlichen Tages- und Stundenwerte von SO2 systematisch überschritten würden, was u. a. zur Verabschiedung und Aktualisierung des oben genannten Plans und zur Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens in der beim Gerichtshof anhängigen Rechtssache Kommission/Bulgarien (C‑730/19) geführt habe.

32      Im Übrigen gehe aus diesem Plan hervor, dass die durchschnittlichen Stundenkonzentrationen von SO2 in dieser Stadtgemeinde aus verschiedenen anderen Quellen der Industrie und der Privathaushalte stammten, deren Wechselwirkung insbesondere zu den oben genannten Überschreitungen beitrage.

33      Damit stelle sich die Frage, inwieweit der Exekutivdirektor beim Erlass des streitigen Bescheids die verschiedenen in den Rn. 30 bis 32 des vorliegenden Urteils genannten Gesichtspunkte hätte berücksichtigen müssen.

34      Unter diesen Umständen hat der Varhoven administrativen sad (Oberstes Verwaltungsgericht, Bulgarien) das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1.      Ist Art. 4 Abs. 3 EUV in Verbindung mit Art. 18 der Richtlinie 2010/75 sowie den Art. 13 und 23 der Richtlinie 2008/50 dahin auszulegen, dass die zuständige Behörde bei der Prüfung eines Antrags auf Ausnahmeregelung gemäß Art. 15 Abs. 4 der Richtlinie 2010/75 beurteilen muss, ob die Gewährung der Ausnahme unter Berücksichtigung aller relevanten wissenschaftlichen Daten über die Umweltverschmutzung, einschließlich der Maßnahmen im Rahmen des entsprechenden Luftqualitätsprogramms in einem bestimmten Gebiet oder Ballungsraum gemäß Art. 23 der Richtlinie 2008/50, die Einhaltung der Umweltqualitätsnormen gefährden kann?

2.      Ist Art. 4 Abs. 3 EUV in Verbindung mit Art. 18 der Richtlinie 2010/75 sowie den Art. 13 und 23 der Richtlinie 2008/50 dahin auszulegen, dass die zuständige Behörde bei der Prüfung eines Antrags auf Ausnahmeregelung im Sinne von Art. 15 Abs. 4 der Richtlinie 2010/75 von der Festlegung weniger strenger Emissionsgrenzwerte für Luftschadstoffe aus einer Anlage abzusehen hat, sofern eine solche Ausnahmeregelung im Widerspruch zu den Maßnahmen stünde, die in dem entsprechenden Luftqualitätsprogramm, das in dem bestimmten Gebiet oder Ballungsraum gemäß Art. 23 der Richtlinie 2008/50 erlassen wurde, festgelegt wurden, und die Erreichung des Ziels, den Zeitraum der Überschreitung der Luftqualitätsnormen so kurz wie möglich zu halten, gefährden könnte?

3.      Ist Art. 4 Abs. 3 EUV in Verbindung mit Art. 18 der Richtlinie 2010/75 sowie Art. 13 der Richtlinie 2008/50 dahin auszulegen, dass die zuständige Behörde bei der Prüfung eines Antrags auf Ausnahmeregelung gemäß Art. 15 Abs. 4 der Richtlinie 2010/75 beurteilen muss, ob die Festlegung weniger strenger Emissionsgrenzwerte für Luftschadstoffe aus einer Anlage unter Berücksichtigung aller relevanten wissenschaftlichen Daten über die Umweltverschmutzung, einschließlich des kumulativen Effekts mit anderen Quellen des entsprechenden Schadstoffs, zur Überschreitung der entsprechenden, gemäß Art. 13 der Richtlinie 2008/50 in einem bestimmten Gebiet oder Ballungsraum festgelegten Luftqualitätsnormen beitragen würde und, falls ja, ob sie von der Gewährung der Ausnahme, die die Erreichung der Umweltqualitätsnormen gefährden würde, absehen muss?

 Zu den Vorlagefragen

35      Zunächst ist zum einen festzustellen, dass die drei dem Gerichtshof vorgelegten Fragen zwar u. a. Art. 4 Abs. 3 EUV betreffen, in der Begründung der Vorlageentscheidung aber nicht erläutert wird, inwiefern eine Auslegung dieser Bestimmung des EU‑Vertrags für die Zwecke der vom vorlegenden Gericht im Ausgangsverfahren zu erlassenden Entscheidung erforderlich sein soll. Dabei weist der letzte Absatz der Vorlageentscheidung vor der Formulierung dieser Fragen im Übrigen selbst darauf hin, dass der Gerichtshof nur zur Auslegung der betreffenden Bestimmungen der Richtlinie 2008/50 und 2010/75 zu befragen ist.

36      Unter diesen Umständen ist nicht ersichtlich, dass es erforderlich wäre, sich mit der Auslegung von Art. 4 Abs. 3 EUV zu befassen, um auf die Fragen zu antworten, die das vorlegende Gericht in der vorliegenden Rechtssache aufgeworfen hat.

37      Nach alledem ist davon auszugehen, dass das vorlegende Gericht mit seinen drei Fragen, die zusammen zu prüfen sind, im Wesentlichen wissen möchte, ob Art. 15 Abs. 4 der Richtlinie 2010/75 in Verbindung mit deren Art. 18 sowie den Art. 13 und 23 der Richtlinie 2008/50 dahin auszulegen ist, dass die zuständige Behörde bei der Prüfung eines Antrags auf Ausnahmeregelung nach Art. 15 Abs. 4 der Richtlinie unter Berücksichtigung aller relevanten wissenschaftlichen Daten über die Umweltverschmutzung, einschließlich des kumulativen Effekts mit anderen Quellen des entsprechenden Schadstoffs, sowie der Maßnahmen im relevanten für das betreffende Gebiet oder den betreffenden Ballungsraum gemäß Art. 23 der Richtlinie 2008/50 erstellten Luftqualitätsplan eine solche Ausnahme versagen muss, wenn sie naturgemäß zur Nichteinhaltung der in Art. 13 der Richtlinie 2008/50 festgelegten Luftqualitätsnormen beiträgt oder naturgemäß den Maßnahmen zuwiderläuft, die dieser Plan umfasst, um die Einhaltung dieser Normen sicherzustellen und den Zeitraum der Nichteinhaltung dieser Normen möglichst kurz zu halten.

38      Zur Richtlinie 2008/50 ist festzustellen, dass diese Richtlinie gemäß ihrem Art. 1 Nr. 1 Maßnahmen zur Definition und Festlegung von Luftqualitätszielen zur Vermeidung, Verhütung oder Verringerung schädlicher Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit und die Umwelt insgesamt festlegt. In diesem Rahmen stellten die Mitgliedstaaten nach Art. 13 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie sicher, dass überall in ihren Gebieten und Ballungsräumen die Werte u. a. für SO2 in der Luft die in Anhang XI dieser Richtlinie festgelegten Grenzwerte nicht überschreiten (Urteil vom 12. Mai 2022, Kommission/Bulgarien [Grenzwerte – SO2], C‑730/19, nicht veröffentlicht, EU:C:2022:382, Rn. 62].

39      Wie im Übrigen der Gerichtshof ausgeführt hat, stellt Art. 23 der Richtlinie 2008/50 einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen zum einen der Überschreitung der für SO2 durch Art. 13 Abs. 1 in Verbindung mit Anhang XI dieser Richtlinie festgelegten Grenzwerte und zum anderen der Erstellung von Luftqualitätsplänen her (Urteil vom 12. Mai 2022, Kommission/Bulgarien [Grenzwerte – SO2], C‑730/19, nicht veröffentlicht, EU:C:2022:382, Rn. 129 und die dort angeführte Rechtsprechung). Wie nämlich Art. 23 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie 2008/50 zu entnehmen ist, muss die Feststellung, dass in einem bestimmten Gebiet oder Ballungsraum eine solche Überschreitung vorliegt, zum Erlass eines solchen Plans führen.

40      In Bezug auf die Erstellung dieser Pläne hat der Gerichtshof auch klargestellt, dass sich aus Art. 23 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 2008/50 ergibt, dass die Mitgliedstaaten zwar über einen gewissen Spielraum bei der Festlegung der zu ergreifenden Maßnahmen verfügen, diese Maßnahmen aber jedenfalls dafür sorgen müssen, dass der Zeitraum der Überschreitung der für den betreffenden Schadstoff festgelegten Grenzwerte so kurz wie möglich gehalten wird (Urteil vom 12. Mai 2022, Kommission/Bulgarien [Grenzwerte – SO2], C‑730/19, nicht veröffentlicht, EU:C:2022:382, Rn. 132 und die dort angeführte Rechtsprechung).

41      Im vorliegenden Fall ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof kürzlich festgestellt hat, dass die Republik Bulgarien seit 2007 im Gebiet BG 0006 (Südostbulgarien), in dem sich die Gemeinde Galabovo und TETS Maritsa-iztok 2 befinden, aufgrund der Überschreitung der Luftqualitätsgrenzwerte für SO2 und aufgrund der Unzulänglichkeit der Luftqualitätspläne gegen ihre Verpflichtungen aus den Art. 13 und 23 der Richtlinie 2008/50 verstoßen hat (Urteil vom 12. Mai 2022, Kommission/Bulgarien [Grenzwerte – SO2], C‑730/19, nicht veröffentlicht, EU:C:2022:382, Rn. 21, 23, 29 und 149].

42      Zu den Verbindungen, die möglicherweise zwischen der Richtlinie 2008/50 und der Richtlinie 2010/75 bestehen, ist zunächst darauf hinzuweisen, dass es im 18. Erwägungsgrund der Richtlinie 2008/50 ausdrücklich heißt, dass die in der letztgenannten Richtlinie enthaltenen Luftqualitätsziele in den Fällen uneingeschränkt berücksichtigt werden, in denen aufgrund der Richtlinie 2008/1, die inzwischen durch die Richtlinie 2010/75 ersetzt wurde, mit der verschiedene bis dahin in diesem Bereich geltende Richtlinien neu gefasst wurden, Genehmigungen für industrielle Tätigkeiten erteilt werden.

43      In Bezug auf die Richtlinie 2010/75 ist darauf hinzuweisen, dass die konkrete Festlegung von Emissionsgrenzwerten für eine Anlage wie das im Ausgangsverfahren in Rede stehende Kraftwerk in dieser Richtlinie geregelt ist, insbesondere in ihrem Art. 15 Abs. 3, wonach die zuständige Behörde Emissionsgrenzwerte festlegt, mit denen sichergestellt wird, dass die Emissionen unter normalen Betriebsbedingungen die mit den BVT assoziierten Emissionswerte, wie sie in den Beschlüssen über die BVT‑Schlussfolgerungen gemäß Art. 13 Abs. 5 festgelegt sind, nicht überschreiten.

44      Abweichend von Art. 15 Abs. 3 der Richtlinie 2010/75 ermächtigt deren Art. 15 Abs. 4 die zuständige Behörde, weniger strenge Emissionsgrenzwerte festzulegen, wenn die Erreichung der mit den BVT assoziierten Emissionswerte aufgrund des Standorts dieser Anlage oder aufgrund der technischen Merkmale der Anlage gemessen am Umweltnutzen zu unverhältnismäßig höheren Kosten führen würde.

45      Aus Art. 15 Abs. 4 der Richtlinie 2010/75 geht jedoch hervor, dass eine solche Ausnahmeregelung nur unter Beachtung der übrigen in dieser Bestimmung aufgestellten Voraussetzungen gewährt werden kann und dass die Möglichkeit der Gewährung einer solchen Regelung darüber hinaus unbeschadet des Art. 18 der Richtlinie 2010/75 besteht.

46      So ist als Erstes darauf hinzuweisen, dass die zuständige Behörde nach Art. 15 Abs. 4 Unterabs. 4 der Richtlinie 2010/75 in jedem Fall sicherstellt, dass keine „erheblichen Umweltverschmutzungen“ durch die Gewährung einer Ausnahmeregelung verursacht werden und ein „hohes Schutzniveau für die Umwelt insgesamt“ erreicht wird.

47      Die in Art. 15 Abs. 4 der Richtlinie 2010/75 vorgesehene Ausnahme findet daher nicht in allen Fällen Anwendung, in denen die Einhaltung der allgemeinen Emissionsgrenzwerte für den Betreiber einer Anlage zu unverhältnismäßigen Kosten führt. Eine solche Ausnahmeregelung darf nämlich nur gewährt werden, wenn die weniger strengen Emissionsgrenzwerte keine „erheblichen Umweltverschmutzungen“ verursachen und trotz dieser Ausnahmeregelung ein „hohes Schutzniveau für die Umwelt insgesamt“ erreicht wird.

48      Was erstens die Voraussetzung betrifft, dass keine erheblichen Umweltverschmutzungen vorliegen dürfen, ist darauf hinzuweisen, dass im Hinblick zum einen auf die Definition des Begriffs „Umweltverschmutzung“ in Art. 3 Nr. 2 der Richtlinie 2010/75, die u. a. die Freisetzung von Stoffen in die Luft, die der menschlichen Gesundheit oder der Umweltqualität schaden, umfasst, und zum anderen im Hinblick auf den Inhalt der Richtlinie 2008/50, mit der die Luftqualitätsgrenzwerte für SO2 festgelegt wurden, jede Freisetzung dieses Stoffes in die Luft Umweltverschmutzungen im Sinne von Art. 15 Abs. 4 Unterabs. 4 der Richtlinie 2010/75 darstellt.

49      Im Übrigen, wie sich aus Rn. 41 des vorliegenden Urteils ergibt, steht fest, dass die in der Richtlinie 2008/50 für SO2 vorgesehenen Luftqualitätsgrenzwerte im Einwirkungsbereich des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Kraftwerks als überschritten anzusehen sind.

50      Wie die Generalanwältin in Nr. 57 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, kann eine solche Überschreitung der Luftqualitätsgrenzwerte für SO2 nicht als unerhebliche Umweltverschmutzung hingenommen werden, sondern ist zwangsläufig als „erhebliche Umweltverschmutzungen“ im Sinne von Art. 15 Abs. 4 Unterabs. 4 der Richtlinie 2010/75 anzusehen, wenn man sowohl die in Rn. 38 des vorliegenden Urteils angeführten Ziele der Richtlinie 2008/50 als auch den weiteren Umstand berücksichtigt, dass der Unionsgesetzgeber in Bezug auf SO2 nicht die Möglichkeit einer Verlängerung der Frist für die Einhaltung der Luftqualitätsgrenzwerte vorgesehen hat.

51      Was zweitens die Einschränkung der Gewährung der in Art. 15 Abs. 4 der Richtlinie 2010/75 vorgesehenen Ausnahmeregelung durch das Erfordernis betrifft, „ein hohes Schutzniveau für die Umwelt insgesamt“ zu gewährleisten, ist darauf hinzuweisen, dass die mit der Richtlinie 2008/50 eingeführten Regelungen die Schutzpflichten der Union im Bereich des Schutzes der Umwelt und der öffentlichen Gesundheit konkretisieren, die u. a. aus Art. 3 Abs. 3 EUV und Art. 191 Abs. 1 und 2 AEUV folgen, wonach die Umweltpolitik der Union unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Gegebenheiten in den einzelnen Regionen der Union auf ein hohes Schutzniveau abzielt und u. a. auf den Grundsätzen der Vorsorge und der Vorbeugung beruht (Urteil vom 26. Juni 2019, Craeynest u. a., C‑723/17, EU:C:2019:533, Rn. 33 und die dort angeführte Rechtsprechung).

52      Daher kann eine Ausnahme nicht auf der Grundlage von Art. 15 Abs. 4 der Richtlinie 2010/75 gewährt werden, wenn sie naturgemäß zur Überschreitung der in der Richtlinie 2008/50 für SO2 festgelegten Luftqualitätsgrenzwerte beiträgt.

53      In diesem Zusammenhang ist außerdem klarzustellen, dass nach dem Vorsorgeprinzip, wenn Unsicherheiten hinsichtlich der Frage bestehen, ob weniger strenge Emissionsgrenzwerte zu „erheblichen Umweltverschmutzungen“ im Sinne von Art. 15 Abs. 4 Unterabs. 4 der Richtlinie 2010/75 führen, keine Ausnahmeregelung gewährt werden kann (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 10. Oktober 2019, Luonnonsuojeluyhdistys Tapiola, C‑674/17, EU:C:2019:851, Rn. 66).

54      In diesem Zusammenhang verlangt die Gewährung einer Ausnahmeregelung nach Art. 15 Abs. 4 der Richtlinie 2010/75 eine umfassende Beurteilung unter Berücksichtigung aller Schadstoffquellen und ihres kumulativen Effekts, um sicherzustellen, dass, selbst wenn eine Ausnahme für eine der Quellen erteilt wird, die Summe ihrer Emissionen nicht zu einer Überschreitung der Luftqualitätsgrenzwerte führt, wie sie in der Richtlinie 2008/50 festgelegt sind.

55      Als Zweites ist darauf hinzuweisen, dass die in Art. 15 Abs. 4 der Richtlinie 2010/75 vorgesehene Ausnahmeregelung die Anwendung von Art. 18 dieser Richtlinie unberührt lässt. Dieser Art. 18 sieht für den Fall, dass eine Umweltqualitätsnorm strengere Auflagen erfordert, als durch die Anwendung der BVT zu erfüllen sind, vor, dass unbeschadet anderer Maßnahmen, die zur Einhaltung der Umweltqualitätsnormen ergriffen werden können, zusätzliche Auflagen in der Genehmigung vorgesehen werden.

56      Art. 3 Nr. 6 der Richtlinie 2010/75 definiert den Begriff der „Umweltqualitätsnorm“ als die Gesamtheit von Anforderungen, die zu einem gegebenen Zeitpunkt in einer gegebenen Umwelt oder einem bestimmten Teil davon nach den Rechtsvorschriften der Union erfüllt werden müssen.

57      Wie sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs ergibt, beziehen sich solche Normen auf konkrete Anforderungen qualitativer Natur betreffend die Schadstoffkonzentrationen, die zu einem gegebenen Zeitpunkt in diesem besonderen Milieu erfüllt werden müssen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 26. Mai 2011, Stichting Natuur en Milieu u. a., C‑165/09 bis C‑167/09, EU:C:2011:348, Rn. 62).

58      Ferner ist darauf hinzuweisen, dass, wie in Rn. 42 des vorliegenden Urteils ausgeführt, im 18. Erwägungsgrund der Richtlinie 2008/50 ausdrücklich darauf hingewiesen wird, dass die in dieser Richtlinie enthaltenen Luftqualitätsziele in den Fällen uneingeschränkt berücksichtigt werden, in denen Genehmigungen für industrielle Tätigkeiten wie etwa jene erteilt werden, die unter die Richtlinie 2010/75 fallen.

59      Nach alledem und wie die Generalanwältin in den Nrn. 82 ff. ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, ist davon auszugehen, dass die für bestimmte Schadstoffe in Art. 13 und in Anhang XI der Richtlinie 2008/50 vorgesehenen Luftqualitätsgrenzwerte solche „Umweltqualitätsnormen“ im Sinne von Art. 18 der Richtlinie 2010/75 darstellen.

60      Die Luftqualitätsgrenzwerte müssen nämlich grundsätzlich jederzeit an jedem Ort der Union beachtet werden (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 30. April 2020, Kommission/Rumänien [Überschreitung der Grenzwerte für PM10], C‑638/18, nicht veröffentlicht, EU:C:2020:334, Rn. 73 und 74, sowie vom 10. November 2020, Kommission/Italien [Grenzwerte – PM10], C‑644/18, EU:C:2020:895, Rn. 96 und 97).

61      Der Umstand, dass die Definition der „Umweltqualitätsnormen“ auf eine Reihe von Anforderungen Bezug nimmt, die nur „zu einem gegebenen Zeitpunkt“ erfüllt werden müssen, schließt nicht aus, dass die Luftqualitätsgrenzwerte, die ständig einzuhalten sind, von dieser Definition erfasst werden. Denn wenn diese Definition die Einbeziehung von Anforderungen erlaubt, die nicht ständig zu beachten sind, sind dauerhafte Anforderungen erst recht „Umweltqualitätsnormen“ im Sinne dieser Definition, da sie jederzeit gelten.

62      Art. 18 der Richtlinie 2010/75 bestätigt somit die Auslegung von Art. 15 Abs. 4 dieser Richtlinie, wonach die zuständige Behörde prüfen muss, ob die Festlegung weniger strenger Emissionsgrenzwerte für Luftschadstoffe aus einer bestimmten Anlage zur Überschreitung der Luftqualitätsgrenzwerte, die in Bezug auf die Konzentrationen aus solchen Quellen der Umweltverschmutzung im betreffenden Gebiet oder Ballungsraum im Einklang mit Art. 13 der Richtlinie 2008/50 festgelegt wurden, beitragen würde, und falls ja, von der Gewährung der Ausnahme, die die Einhaltung der Umweltqualitätsnormen gefährden würde, absehen muss.

63      Als Drittes ist noch darauf hinzuweisen, dass in Fällen, in denen die Luftqualitätsgrenzwerte im Einwirkungsbereich einer bestimmten Anlage überschritten werden, die eventuelle Gewährung einer solchen Ausnahme von den Emissionsgrenzen nur unter Beachtung der Vorgaben der Luftqualitätspläne im Sinne von Art. 23 der Richtlinie 2008/50 erfolgen darf, die angesichts einer solchen Überschreitung erstellt worden sein müssen.

64      Erstens steht es nämlich, wie in Rn. 40 des vorliegenden Urteils in Erinnerung gerufen und wie die Generalanwältin in Nr. 67 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, den Mitgliedstaaten zwar frei, die Kompetenzen ihrer Behörden so zu organisieren, dass der betreffende Luftqualitätsplan aus verschiedenen Rechtsakten unterschiedlicher Behörden hervorgeht, sie müssen allerdings gewährleisten, dass diese Rechtsakte gemeinsam den Anforderungen nach Art. 23 der Richtlinie 2008/50 genügen und das Ziel der Einhaltung der Luftqualitätsgrenzwerte gemeinsam erreichen.

65      Zweitens kann, wie den Rn. 46 bis 50 des vorliegenden Urteils zu entnehmen ist, eine Ausnahme von den Emissionsgrenzwerten nach Art. 15 Abs. 4 Unterabs. 4 der Richtlinie 2010/75 nicht in den Fällen gewährt werden, in denen diese naturgemäß zu „erheblichen Umweltverschmutzungen“ im Sinne dieser Bestimmung und insbesondere zu einer Überschreitung der nach der Richtlinie 2008/50 eingeführten Luftqualitätsgrenzwerte für SO2 beiträgt. Mit den Vorgaben der Luftqualitätspläne sollen gerade solche Überschreitungen in der Weise bekämpft werden, dass der Zeitraum der Überschreitung so kurz wie möglich gehalten wird.

66      Daher muss die für die Gewährung einer solchen Ausnahme zuständige Behörde auch davon absehen, für die aus einer Anlage stammenden Schadstoffe weniger strenge Emissionsgrenzwerte festzulegen, wenn eine solche Ausnahmeregelung den Maßnahmen in dem Luftqualitätsplan, der in dem betreffenden Gebiet oder Ballungsraum gemäß Art. 23 der Richtlinie 2008/50 erlassen wurde, zuwiderliefe, insbesondere denjenigen, die wie im vorliegenden Fall die Einhaltung von Schwefelabscheidegraden vorschreiben, und die Verwirklichung des Ziels, dafür zu sorgen, dass der Zeitraum der Überschreitung so kurz wie möglich gehalten wird, gefährden würde.

67      Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 15 Abs. 4 der Richtlinie 2010/75 in Verbindung mit deren Art. 18 sowie den Art. 13 und 23 der Richtlinie 2008/50 dahin auszulegen ist, dass die zuständige Behörde bei der Prüfung eines Antrags auf Ausnahmeregelung nach Art. 15 Abs. 4 der Richtlinie unter Berücksichtigung aller relevanten wissenschaftlichen Daten über die Umweltverschmutzung, einschließlich des kumulativen Effekts mit anderen Quellen des entsprechenden Schadstoffs, sowie der Maßnahmen im relevanten für das betreffende Gebiet oder den betreffenden Ballungsraum gemäß Art. 23 der Richtlinie 2008/50 erstellten Luftqualitätsplan eine solche Ausnahme versagen muss, wenn sie naturgemäß zur Nichteinhaltung der in Art. 13 der Richtlinie 2008/50 festgelegten Luftqualitätsnormen beiträgt oder naturgemäß den Maßnahmen zuwiderläuft, die dieser Plan umfasst, um die Einhaltung dieser Normen sicherzustellen und den Zeitraum der Nichteinhaltung dieser Normen möglichst kurz zu halten.

 Kosten

68      Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt:

Art. 15 Abs. 4 der Richtlinie 2010/75/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. November 2010 über Industrieemissionen (integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung) in Verbindung mit Art. 18 dieser Richtlinie sowie mit den Art. 13 und 23 der Richtlinie 2008/50/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Mai 2008 über Luftqualität und saubere Luft für Europa

ist dahin auszulegen, dass

die zuständige Behörde bei der Prüfung eines Antrags auf Ausnahmeregelung nach Art. 15 Abs. 4 der Richtlinie unter Berücksichtigung aller relevanten wissenschaftlichen Daten über die Umweltverschmutzung, einschließlich des kumulativen Effekts mit anderen Quellen des entsprechenden Schadstoffs, sowie der Maßnahmen im relevanten für das betreffende Gebiet oder den betreffenden Ballungsraum gemäß Art. 23 der Richtlinie 2008/50 erstellten Luftqualitätsplan eine solche Ausnahme versagen muss, wenn sie naturgemäß zur Nichteinhaltung der in Art. 13 der Richtlinie 2008/50 festgelegten Luftqualitätsnormen beiträgt oder naturgemäß den Maßnahmen zuwiderläuft, die dieser Plan umfasst, um die Einhaltung dieser Normen sicherzustellen und den Zeitraum der Nichteinhaltung dieser Normen möglichst kurz zu halten.

Unterschriften



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