C-340/22 – Cofidis

C-340/22 – Cofidis

CURIA – Documents

Language of document : ECLI:EU:C:2023:584

Vorläufige Fassung

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

PRIIT PIKAMÄE

vom 13. Juli 2023(1)

Rechtssache C340/22

Cofidis

gegen

Autoridade Tributária e Aduaneira

(Vorabentscheidungsersuchen des Tribunal Arbitral Tributário [Centro de Arbitragem Administrativa – CAAD] [Schiedsgericht für Steuersachen (Zentrum für Verwaltungsschiedsverfahren), Portugal])

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Direkte Besteuerung – Art. 49 AEUV – Abgabe zu Lasten von Kreditinstituten zur Finanzierung der sozialen Sicherheit – Abzüge von der Besteuerungsgrundlage, die Körperschaften mit Rechtspersönlichkeit offen stehen – Rechtfertigung – Ausgewogene Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten“

1.        In der vorliegenden Rechtssache wird der Gerichtshof vom Tribunal Arbitral Tributário (Centro de Arbitragem Administrativa – CAAD) [Schiedsgericht für Steuersachen (Zentrum für Verwaltungsschiedsverfahren), Portugal] um Vorabentscheidung über die Auslegung von Art. 49 AEUV und der Richtlinie 2014/59/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 zur Festlegung eines Rahmens für die Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen und zur Änderung der Richtlinie 82/891/EWG des Rates, der Richtlinien 2001/24/EG, 2002/47/EG, 2004/25/EG, 2005/56/EG, 2007/36/EG, 2011/35/EU, 2012/30/EU und 2013/36/EU sowie der Verordnungen (EU) Nr. 1093/2010 und (EU) Nr. 648/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates ersucht(2).

2.        Auf Bitte des Gerichtshofs behandeln die vorliegenden Schlussanträge nur die zweite Vorlagefrage. Diese Frage bietet dem Gerichtshof die Gelegenheit zur weiteren Präzisierung der Tragweite der in Art. 49 AEUV verankerten Niederlassungsfreiheit im Bereich der direkten Besteuerung und des Anwendungsbereichs der zwingenden Gründe des Allgemeininteresses, die eine Beschränkung dieser Freiheit rechtfertigen können, wie z. B. die Notwendigkeit, die ausgewogene Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten zu bewahren.

 Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

3.        Im Rahmen der vorliegenden Rechtssache ist Art. 49 AEUV relevant.

 Portugiesisches Recht

4.        Mit Art. 18 und Anhang VI der Lei no 27-A/2020 da Assembleia da República, que aprova o Orçamento Suplementar para 2020 (Gesetz Nr. 27-A/2020 des Parlaments der Portugiesischen Republik zur Genehmigung des Nachtragshaushalts 2020) vom 24. Juli 2020 wurde die Adicional de Solidariedade sobre o Sector Bancário (zusätzliche Solidaritätsabgabe des Bankensektors, im Folgenden: ASSB) eingeführt.

5.        Gemäß Art. 1 Abs. 2 und Art. 9 des Anhangs VI dieses Gesetzes wurde diese Abgabe eingeführt, um die Mechanismen zur Finanzierung des Systems der sozialen Sicherheit dadurch zu stärken, dass die Erträge dieser Abgabe vollständig dem Fundo de Establização Financeira da Segurança Social (Finanzstabilisierungsfonds der sozialen Sicherheit) zugeführt werden. Nach diesen Bestimmungen soll die Einführung der ASSB die Befreiung des Bankensektors von der Mehrwertsteuer auf die meisten Finanzdienstleistungen und ‑geschäfte ausgleichen, um die steuerliche Belastung dieses Sektors an die der anderen Wirtschaftssektoren anzugleichen.

6.        Nach Art. 2 Abs. 1 dieses Anhangs unterliegen der ASSB: a) in Portugal ansässige Kreditinstitute; b) in Portugal ansässige Tochtergesellschaften von in anderen Staaten ansässigen Kreditinstituten und c) in Portugal ansässige Zweigstellen von in anderen Staaten ansässigen Kreditinstituten.

7.        Der sachliche Anwendungsbereich der ASSB ist in Art. 3 dieses Anhangs wie folgt festgelegt:

„Der ASSB unterliegen:

a)      die von den Abgabepflichtigen ermittelten und genehmigten Verbindlichkeiten, gegebenenfalls nach Abzug der zu den Eigenmitteln gehörenden Passivposten, der von der Garantie des Einlagensicherungsfonds, vom Garantiefonds auf Gegenseitigkeit für Agrarkredite oder von einem gemäß Artikel 4 der Richtlinie 2014/49/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. April 2014 über Einlagensicherungssysteme [ABl. 2014, L 173, S. 149] offiziell anerkannten oder gemäß Artikel 156 Absatz 1 Buchstabe b der Allgemeinen Regelung für Kreditinstitute und Finanzunternehmen als gleichwertig angesehenen Einlagensicherungssystem erfassten Einlagen innerhalb der in den geltenden Rechtsvorschriften vorgesehenen Grenzen sowie der Einlagen bei der Zentralkasse durch die dem integrierten Agrarkreditsystem angehörenden Agrarkreditbanken, in Einklang mit Artikel 72 des Regime Jurídico do Crédito Agrícola Mútuo e das Cooperativas de Crédito Agrícola [Regelung für Agrarkredite auf Gegenseitigkeit und für Agrarkreditgenossenschaften], das als Anhang des Decreto-lei n° 24/91 (Gesetzesdekret Nr. 24/91) vom 11. Januar 1991 genehmigt wurde;

b)      der von den Abgabepflichtigen ermittelte Nominalwert außerbilanzieller derivativer Finanzinstrumente.“

8.        Art. 4 dieses Anhangs, der die Ermittlung der Besteuerungsgrundlage der ASSB betrifft, bestimmt:

„1.      Unter Verbindlichkeiten im Sinne von Buchstabe a) des vorangehenden Artikels sind alle in der Bilanz ausgewiesenen Posten zu verstehen, die unabhängig von ihrer Form oder Modalität eine Schuld gegenüber Dritten darstellen, mit folgenden Ausnahmen:

a)      Posten, die nach den anwendbaren Rechnungslegungsstandards als Eigenkapital gelten;

b)      Verbindlichkeiten, die mit der Anerkennung von Verpflichtungen aus leistungsorientierten Plänen zusammenhängen;

c)      Einlagen, die durch den Einlagensicherungsfonds und den Garantiefonds auf Gegenseitigkeit für Agrarkredite gedeckt sind, die nur in der durch diese Fonds gedeckten Höhe berücksichtigt werden;

d)      Verbindlichkeiten aufgrund der Neubewertung derivativer Finanzinstrumente;

e)      transitorische Einnahmen außer Einnahmen, die Belastungstransaktionen betreffen, und

f)      Verbindlichkeiten für bei Verbriefungen nicht ausgebuchte Vermögenswerte.

2.      Für die Anwendung des Absatzes a) des vorangehenden Artikels gelten folgende Regeln:

a)      Der Wert der Eigenmittel einschließlich des Kernkapitals und des Ergänzungskapitals umfasst die Aktivposten, die zur Berechnung der Eigenmittel in Einklang mit den Bestimmungen in Teil 2 der Verordnung (EU) Nr. 575/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 über Aufsichtsanforderungen an Kreditinstitute und Wertpapierfirmen und zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 648/2012 [ABl. 2013, L 176, S. 1] unter Berücksichtigung der Übergangsbestimmungen in Teil 10 der Verordnung Nr. 575/2013 herangezogen werden und zugleich dem Konzept der Verbindlichkeiten entsprechen, wie es im vorangehenden Absatz definiert worden ist;

b)      Die von der Garantie des Einlagensicherungsfonds, vom Garantiefonds auf Gegenseitigkeit für Agrarkredite oder von einem gemäß Artikel 4 der [Richtlinie 2014/49] offiziell anerkannten oder gemäß Artikel 156 Absatz 1 Buchstabe b der Allgemeinen Regelung für Kreditinstitute und Finanzunternehmen als gleichwertig angesehenen Einlagensicherungssystem erfassten Einlagen sind innerhalb der in den geltenden Rechtsvorschriften vorgesehenen Grenzen nur in Höhe des durch diese Fonds tatsächlich gedeckten Betrags zu berücksichtigen.“

 Sachverhalt des Ausgangsrechtsstreits, Ausgangsverfahren, Vorlagefragen und Verfahren vor dem Gerichtshof

9.        Die Klägerin des Ausgangsverfahrens ist eine portugiesische Zweigstelle eines Kreditinstituts, das seinen Sitz in Frankreich hat. In dieser Eigenschaft unterliegt sie der ASSB, d. h. einer Abgabe des Bankensektors, die die Portugiesische Republik eingeführt hat, um die soziale Sicherheit zu finanzieren und das Gleichgewicht zwischen der steuerlichen Belastung dieses Sektors, der für die meisten Finanzdienstleistungen und-geschäfte von der Mehrwertsteuer befreit ist, und der Belastung aller anderen Sektoren der portugiesischen Wirtschaft wiederherzustellen.

10.      Am 11. Dezember 2020 nahm die Klägerin die Selbstveranlagung der ASSB für das erste Halbjahr 2020 vor. Darauf zahlte sie einen Betrag in Höhe von 364 229,67 Euro. Am 5. Januar 2021 legte die Klägerin bei der Steuerverwaltung Einspruch mit dem Ziel der Erstattung dieses Betrags ein. Mit Bescheid vom 21. Mai 2021 lehnte die Steuerverwaltung diesen Antrag ab.

11.      Am 23. August 2021 hat die Klägerin beim vorlegenden Gericht Klage gegen diese ablehnende Entscheidung erhoben. Zur Stützung ihrer Klage machte sie u. a. geltend, die ASSB verstoße gegen das Unionsrecht.

12.      Insbesondere verstoße die Einführung der ASSB gegen die Richtlinie 2014/59 und die sich vermeintlich aus dieser Richtlinie ergebende Steuerharmonisierung in Bezug auf die Abwicklungsbeiträge von Kreditinstituten. Sie werde nämlich bereits in dem Mitgliedstaat, in dem die Klägerin ihren Sitz habe, d. h. in Frankreich, nach dieser Richtlinie besteuert, so dass die Portugiesische Republik ihr keine ähnliche Abgabe mit derselben Bemessungsgrundlage auferlegen könne.

13.      Außerdem verstoße die ASSB gegen Art. 49 AEUV, indem sie Zweigstellen ausländischer Kreditinstitute diskriminiere. Da diese Zweigstellen keine Rechtspersönlichkeit hätten, könnten sie bestimmte Bestandteile ihrer Eigenmittel nicht von ihrer Besteuerungsgrundlage der ASSB abziehen.

14.      Vor diesem Hintergrund hat das Tribunal Arbitral Tributário (Centro de Arbitragem Administrativa – CAAD) [Schiedsgericht für Steuersachen (Zentrum für Verwaltungsschiedsverfahren)] beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Steht die Richtlinie 2014/59 dem entgegen, dass in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union Zweigniederlassungen von in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Finanzinstituten durch Rechtsvorschriften wie der portugiesischen Regelung über die ASSB besteuert werden, wenn die Abgabe auf die bereinigten Verbindlichkeiten und den Nominalwert außerbilanzieller derivativer Finanzinstrumente erhoben wird und ihre Erträge weder den nationalen Mechanismen zur Finanzierung von Abwicklungsmaßnahmen zugewiesen werden noch der Finanzierung des Einheitlichen Abwicklungsfonds dienen?

2.      Steht die in Art. 49 AEUV vorgesehene Niederlassungsfreiheit einer nationalen Regelung wie der streitigen portugiesischen Regelung über die ASSB entgegen, die es gestattet, von den ermittelten und genehmigten Verbindlichkeiten bestimmte Passivposten abzuziehen, die in Einklang mit den Bestimmungen in Teil 2 der Verordnung (EU) Nr. 575/2013 unter Berücksichtigung der Übergangsbestimmungen in Teil 10 dieser Verordnung in die Berechnung des Kernkapitals und des Ergänzungskapitals einbezogen werden und nur von Körperschaften mit Rechtspersönlichkeit emittiert werden können, also von Zweigstellen gebietsfremder Kreditinstitute nicht emittiert werden können?

15.      Cofidis, die portugiesische Regierung und die Europäische Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht.

16.      Diese Parteien haben in der Verhandlung am 20. April 2023 mündliche Erklärungen abgegeben.

 Würdigung

17.      Wie in der Einleitung ausgeführt, werden sich die vorliegenden Schlussanträge ausschließlich auf die zweite Vorlagefrage konzentrieren.

 Zur zweiten Frage

18.      Mit dieser Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob die in Art. 49 AEUV verankerte Niederlassungsfreiheit dahin auszulegen ist, dass sie einer nationalen Regelung entgegensteht, nach der es nur mit Rechtspersönlichkeit ausgestatteten gebietsansässigen Kreditinstituten und Tochtergesellschaften gebietsfremder Kreditinstitute – und somit nicht Zweigstellen gebietsfremder Kreditinstitute ohne Rechtspersönlichkeit – gestattet ist, ihre Eigenmittel und vergleichbaren Schuldtitel von der Besteuerungsgrundlage einer Steuer auf Verbindlichkeiten dieser Körperschaften abzuziehen.

 Zur Zulässigkeit

19.      Die portugiesische Regierung hat in ihren schriftlichen Erklärungen geltend gemacht, die vorliegende Frage sei unzulässig, da sie auf der Behauptung der Klägerin beruhe, dass es den Zweigstellen gebietsfremder Kreditinstitute nicht möglich sei, Eigenmittel von ihrer Besteuerungsgrundlage der ASSB abzuziehen. Diese Behauptung, bei der es sich um eine Frage des portugiesischen Rechts handele, werde von der Steuerverwaltung im Rahmen des Ausgangsrechtsstreits bestritten und sei vom vorlegenden Gericht noch nicht geprüft worden, so dass die Vorlagefrage in diesem Stadium rein hypothetisch und abstrakt sei.

20.      Nach ständiger Rechtsprechung ist es allein Sache des nationalen Gerichts im Hinblick auf die Besonderheiten der bei ihm anhängigen Rechtssache sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung zum Erlass seines Urteils als auch die Erheblichkeit der dem Gerichtshof von ihm vorgelegten Fragen zu beurteilen. Betreffen die vorgelegten Fragen die Auslegung des Unionsrechts, so sind sie als erheblich anzusehen, und der Gerichtshof ist grundsätzlich gehalten, darüber zu befinden. Diese Vermutung der Entscheidungserheblichkeit kann nur widerlegt werden, wenn die erbetene Auslegung des Unionsrechts offensichtlich in keinem Zusammenhang mit den Gegebenheiten oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, wenn das Problem hypothetischer Natur ist oder wenn der Gerichtshof nicht über die tatsächlichen und rechtlichen Angaben verfügt, die für eine zweckdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind.

21.      Insoweit steht fest, dass die Notwendigkeit, zu einer dem nationalen Gericht dienlichen Auslegung des Unionsrechts zu gelangen, es erforderlich macht, dass dieses Gericht in eigener Verantwortung den tatsächlichen und rechtlichen Rahmen, in dem sich seine Fragen stellen, darlegt, dessen Richtigkeit der Gerichtshof nicht zu prüfen hat(3).

22.      Aus Rn. 9 des Vorabentscheidungsersuchens geht allerdings hervor, dass das vorlegende Gericht Zweifel an der Vereinbarkeit der in Rede stehenden portugiesischen Regelung mit der Niederlassungsfreiheit hat, weil die Zweigstellen gebietsfremder Kreditinstitute nach dieser Regelung zu den Eigenmitteln gehörende Posten nicht abziehen könnten, da diese nur von Körperschaften mit Rechtspersönlichkeit emittiert werden könnten. Daraus folgt, dass das vorlegende Gericht entgegen dem Vorbringen der portugiesischen Regierung das Vorbringen der Klägerin zur Auslegung des portugiesischen Rechts bereits bestätigt hat.

23.      In Anbetracht dessen ist davon auszugehen, dass der Gerichtshof über die rechtlichen Angaben verfügt, die für eine zweckdienliche Beantwortung der vorliegenden Frage erforderlich sind. Sie ist daher nicht hypothetischer oder abstrakter Natur, so dass die Vermutung der Entscheidungserheblichkeit nicht in Frage gestellt werden kann. Im Ergebnis schlage ich dem Gerichtshof vor, die zweite Frage für zulässig zu erklären.

 Zur Beantwortung der Frage

–       Zum Vorliegen einer Diskriminierung

24.      Mit der in den Artikeln 49 und 54 AEUV garantierten Niederlassungsfreiheit ist für die nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats gegründeten Gesellschaften, die ihren satzungsmäßigen Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung innerhalb der Europäischen Union haben, das Recht verbunden, ihre Tätigkeit in anderen Mitgliedstaaten durch eine Tochtergesellschaft, Zweigniederlassung oder Agentur auszuüben(4).

25.      Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs sind alle Maßnahmen, die die Ausübung der Niederlassungsfreiheit unterbinden, behindern oder weniger attraktiv machen, nach Art. 49 AEUV verbotene Maßnahmen(5).

26.      Diese Bestimmung verbietet mit anderen Worten nicht nur offene Diskriminierungen aufgrund des Sitzes der Gesellschaften, sondern auch alle verdeckten Formen der Diskriminierung, die durch die Anwendung anderer Unterscheidungsmerkmale tatsächlich zum gleichen Ergebnis führen(6). Insbesondere hat der Gerichtshof entschieden, dass eine Pflichtabgabe, die an ein scheinbar objektives Unterscheidungskriterium anknüpft, aber aufgrund dieser Merkmale in den meisten Fällen Gesellschaften benachteiligt, die ihren Sitz in einem anderen Mitgliedstaat haben und sich in einer vergleichbaren Situation wie die Gesellschaften mit Sitz in dem die Abgabe erhebenden Mitgliedstaat befinden, eine nach den Art. 49 und 54 AEUV verbotene mittelbare Diskriminierung aufgrund des Sitzes der Gesellschaften ist(7).

27.      Im vorliegenden Fall steht fest, dass die fragliche portugiesische Regelung unterschiedslos für gebietsansässige Kreditinstitute, portugiesische Tochtergesellschaften gebietsfremder Kreditinstitute und portugiesische Zweigstellen gebietsfremder Kreditinstitute gilt. Was die Regeln für die Ermittlung der Besteuerungsgrundlage anbelangt, so betrifft die ASSB die Passiva dieser Körperschaften, d. h. „alle in der Bilanz ausgewiesenen Posten …, die unabhängig von ihrer Form oder Modalität eine Schuld gegenüber Dritten darstellen“, mit Ausnahme gegebenenfalls der zu den Eigenmitteln gehörenden Passivposten.

28.      Die Klägerin ist der Ansicht, dass der Abzug der Eigenmittel von der Besteuerungsgrundlage der ASSB Körperschaften ohne Rechtspersönlichkeit wie Zweigstellen gebietsfremder Kreditinstitute nicht offenstehe, da diese Körperschaften von Rechts wegen nicht mit Eigenkapital ausgestattet seien. Daraus folge, dass aufgrund der in Rede stehenden Regelung gebietsfremde Kreditinstitute, die sich dafür entschieden hätten, sich über eine Zweigstelle in Portugal niederzulassen, sich in einer ungünstigeren Lage befänden als gebietsansässige Kreditinstitute und Tochtergesellschaften gebietsfremder Kreditinstitute.

29.      In ihren schriftlichen Erklärungen hat die Kommission die Auffassung vertreten, dass sich eine etwaige mittelbare Diskriminierung somit nicht aus der portugiesischen Regelung selbst, sondern aus der Rechtsstellung der Zweigstellen ergeben könnte, die wegen fehlender Rechtspersönlichkeit von Rechts wegen nicht in der Lage seien, Eigenkapital zu besitzen. Eine solche unterschiedliche Behandlung von Tochtergesellschaften und Zweigstellen falle jedoch unter die Steuerhoheit der Mitgliedstaaten. Zur Stützung dieses Ergebnisses führt sie das Urteil vom 10. Juni 2015, X AB (C‑686/13, EU:C:2015:375, im Folgenden: Urteil X AB) an.

30.      Dieses Argument überzeugt meines Erachtens aus zwei Gründen nicht.

31.      Erstens steht es nicht im Einklang mit der einschlägigen Rechtsprechung. Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof seit dem Urteil Kommission/Frankreich(8) wiederholt entschieden hat, dass, da Art. 49 Abs. 1 Satz 2 AEUV den Wirtschaftsteilnehmern ausdrücklich die Möglichkeit lässt, die geeignete Rechtsform für die Ausübung ihrer Tätigkeiten in einem anderen Mitgliedstaat frei zu wählen, diese freie Wahl nicht durch diskriminierende Steuerbestimmungen eingeschränkt werden darf(9).

32.      Im Urteil CLT‑UFA hat der Gerichtshof sodann klargestellt, dass die Freiheit, die geeignete Rechtsform zu wählen, insbesondere zum Ziel hat, es jeder Gesellschaft mit Sitz in einem Mitgliedstaat zu ermöglichen, eine Zweigniederlassung in einem anderen Mitgliedstaat zu eröffnen, um ihre Tätigkeiten dort unter den gleichen Bedingungen auszuüben, wie sie für Tochtergesellschaften gelten(10).

33.      Aus der Rechtsprechung geht somit hervor, dass diese Freiheit dem entgegensteht, die Ausübung der Tätigkeit einer gebietsfremden Gesellschaft im Aufnahmemitgliedstaat je nachdem steuerlich verschieden zu behandeln, ob sie mittels einer Tochtergesellschaft oder einer Zweigstelle operiert, da diese Ungleichbehandlung eine Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit darstellt(11).

34.      Die dieser Auslegung zugrunde liegende Logik besteht darin, dass Zweigstellen, die keine Rechtspersönlichkeit haben, die bloße Präsenz ihrer Muttergesellschaft im Ausland darstellen, während Tochtergesellschaften gebietsfremder Gesellschaften in ihrem Niederlassungsstaat zu steuerlichen Zwecken selbständige Rechtssubjekte und damit in diesem Staat ansässige Gesellschaften sind. Folglich laufen nationale Rechtsvorschriften, die Tochtergesellschaften eine günstigere Behandlung gewähren als Zweigstellen, letztlich darauf hinaus, gebietsansässige Gesellschaften günstiger zu behandeln als gebietsfremde Gesellschaften.

35.      Diese Gleichwertigkeit wird in Rn. 44 des Urteils Saint-Gobain ZN(12) vom Gerichtshof folgendermaßen noch deutlicher zum Ausdruck gebracht: „Die unterschiedliche Behandlung der Zweigniederlassungen ausländischer Gesellschaften und der inländischen Gesellschaften sowie die Einschränkung der freien Wahl der Form des Zweigbetriebs sind somit als ein einheitlicher Verstoß gegen die Artikel [49 und 54 AEUV] anzusehen.“(13) In jüngerer Zeit wurde in Rn. 36 des Urteils vom 17. Mai 2017, X (C‑68/15, EU:C:2017:379) ausgeführt, dass „die Anwendung einer nationalen Steuerregelung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden auf eine gebietsansässige Tochtergesellschaft einer gebietsfremden Gesellschaft auf der einen und auf eine gebietsansässige Betriebsstätte einer gebietsfremden Gesellschaft(14) auf der anderen Seite zum einen die steuerliche Behandlung einer gebietsansässigen Gesellschaft und zum anderen die einer gebietsfremden Gesellschaft betrifft.“

36.      Zweitens scheint mir die Feststellung des Gerichtshofs in Rn. 33 des Urteils X AB entgegen dem Vorbringen der Kommission nicht auf den vorliegenden Fall übertragbar zu sein. Auf dieses Urteil ist kurz einzugehen.

37.      Die in Rede stehenden schwedischen Rechtsvorschriften nahmen Kapitalgewinne bei einer Veräußerung von Anteilen bestimmter Arten von Gesellschaften von der Besteuerungsgrundlage der Körperschaftsteuer aus und sahen dementsprechend keinen Abzug von aus solchen Umsätzen erzielten Verlusten vor, und zwar auch dann nicht, wenn diese Verluste auf Wechselkursverlusten beruhten. Für die Zwecke dieser Rechtsvorschriften war es unerheblich, ob die Gesellschaften, deren Gesellschaftsanteile veräußert wurden, in Schweden oder in einem anderen Mitgliedstaat ansässig waren.

38.      Der Gerichtshof, der mit der Frage befasst war, ob die in einem anderen Mitgliedstaat als dem Königreich Schweden getätigten Investitionen in Anteile angesichts der fehlenden Abzugsfähigkeit von Wechselkursverlusten, die sich aus den schwedischen Rechtsvorschriften ergab, ungünstiger behandelt wurden als vergleichbare in Schweden getätigte Investitionen, hat in Rn. 33 den Grundsatz angewandt, dass die Niederlassungsfreiheit nicht dahin verstanden werden kann, dass ein Mitgliedstaat verpflichtet ist, seine Steuervorschriften auf diejenigen eines anderen Mitgliedstaats abzustimmen, um in allen Situationen eine Besteuerung zu gewährleisten, die jede Ungleichheit, die sich aus den nationalen Steuerregelungen ergibt, beseitigt, da die Entscheidungen, die eine Gesellschaft in Bezug auf die Festlegung von Unternehmensstrukturen im Ausland trifft, je nach Fall Vor- oder Nachteile für sie haben können(15).

39.      Die vorliegende Rechtssache unterscheidet sich meines Erachtens insofern von jener Rechtssache, als die mittelbare Diskriminierung nicht das Ergebnis des Zusammenspiels der geltenden Steuerregelung in dem Staat, in dem sich der Sitz der Gesellschaft befindet, zu der die Zweigstelle gehört, und der Besteuerung in dem Staat, in dem sich die Zweigstelle befindet, ist, sondern nur das Ergebnis der letztgenannten Besteuerung.

40.      Nach alledem bin ich der Ansicht, dass die fehlende Möglichkeit für Körperschaften ohne Rechtspersönlichkeit, in ihrer Bilanz Eigenkapital auszuweisen und es somit von ihrer Besteuerungsgrundlage der ASSB abziehen zu können, dazu führt, dass die Zweigstellen gebietsfremder Kreditinstitute gegenüber gebietsansässigen Kreditinstituten und Tochtergesellschaften gebietsfremder Kreditinstitute benachteiligt werden.

41.      Die portugiesische Regierung hat sowohl in ihren schriftlichen Erklärungen als auch in der mündlichen Verhandlung jedoch entschieden bestritten, dass die Behauptung zutreffe, dass die Zweigstellen gebietsfremder Kreditinstitute ihr Dotationskapital nicht als Eigenkapital erfassen könnten. Insbesondere hat die portugiesische Regierung geltend gemacht, dass es einer solchen Zweigstelle nach portugiesischem Recht freistehe, die ihr zugewiesenen Mittel in ihrer Buchführung als Verbindlichkeit oder als Eigenkapital einzustufen, je nachdem, ob es eine Vergütung gebe oder diese Mittel dauerhaft seien.

42.      Hierzu beschränke ich mich auf den Hinweis, dass der Gerichtshof, wenn ihm ein nationales Gericht ein Vorabentscheidungsersuchen vorlegt, von der Auslegung des nationalen Rechts auszugehen hat, die ihm dieses Gericht vorgetragen hat(16). Wie in den vorliegenden Schlussanträgen bereits ausgeführt, geht aus dem Vorabentscheidungsersuchen hervor, dass das vorlegende Gericht eine Auslegung des portugiesischen Rechts vorgenommen hat, die der Auslegung der Klägerin entspricht.

43.      Im Übrigen würden nach Ansicht der Klägerin die Zweigstellen gebietsfremder Kreditinstitute gegenüber gebietsansässigen Körperschaften diskriminiert, da es eine ganze Reihe von mit Eigenmitteln vergleichbaren Posten gebe, die nur von Körperschaften mit Rechtspersönlichkeit emittiert werden könnten. Dazu gehörten u. a. Wandelschuldverschreibungen, Gewinnschuldverschreibungen, rückzahlbare Vorzugsaktien oder contingent convertible bonds. Diese Auslegung ist von der portugiesischen Regierung weder in ihren schriftlichen Erklärungen noch in der mündlichen Verhandlung bestritten worden.

44.      Meines Erachtens besteht kaum ein Zweifel daran, dass der Abzug des Werts dieser mit Eigenmitteln vergleichbaren Schuldtitel von der Besteuerungsgrundlage der ASSB ebenso wie der Abzug von Eigenmitteln bedeutet, dass Zweigstellen gebietsfremder Kreditinstitute ungünstiger behandelt werden als gebietsansässige Kreditinstitute und Tochtergesellschaften gebietsfremder Kreditinstitute.

45.      Daraus folgt, dass die Rechtsvorschriften zur Einführung der ASSB zu einer mittelbaren Diskriminierung gebietsfremder Kreditinstitute führen, die sich über eine Zweigstelle in Portugal niederlassen wollen, so dass sie unter die nach Art. 49 AEUV verbotenen Maßnahmen fallen(17).

46.      Nach gefestigter Rechtsprechung ist eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit nur statthaft, wenn sie Situationen betrifft, die nicht objektiv miteinander vergleichbar sind, oder wenn sie durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist(18). Folglich ist zu prüfen, ob auf die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Rechtsvorschriften, die – wie festgestellt worden ist – geeignet sind, die Niederlassungsfreiheit zu beschränken, einer dieser beiden Fälle zutrifft.

–       Zur objektiven Vergleichbarkeit der Situationen

47.      Was die objektive Vergleichbarkeit von Situationen anbelangt, ist nach ständiger Rechtsprechung die Vergleichbarkeit eines grenzüberschreitenden Sachverhalts mit einem innerstaatlichen Sachverhalt unter Berücksichtigung des mit der fraglichen nationalen Steuergesetzgebung verfolgten Ziels zu prüfen(19).

48.      In diesem Zusammenhang ist festzustellen, dass die ASSB eingeführt wurde, um die Mechanismen zur Finanzierung des Systems der sozialen Sicherheit dadurch zu stärken, dass die Erträge dieser Abgabe dem Finanzstabilisierungsfonds der sozialen Sicherheit zugeführt werden. Insbesondere geht aus der Vorlageentscheidung hervor, dass die Einführung der ASSB und ihre ausschließliche Geltung für den Bankensektor eine Form des Ausgleichs der für die meisten Finanzdienstleistungen und ‑transaktionen geltenden Mehrwertsteuerbefreiung ist und die Steuerbelastung des Finanzsektors an die der anderen Sektoren angleichen soll.

49.      In Anbetracht des mit dieser Steuergesetzgebung verfolgten Ziels besteht kein Zweifel daran, dass die Situation eines gebietsfremden Kreditinstituts, das in Portugal über eine Zweigstelle tätig ist, mit der eines gebietsansässigen Kreditinstituts oder einer Tochtergesellschaft eines gebietsfremden Kreditinstituts vergleichbar ist. Es besteht somit kein objektiver Unterschied in der Situation dieser Körperschaften, der eine unterschiedliche Behandlung im Hinblick auf die Regeln für die Ermittlung der Besteuerungsgrundlage der ASSB rechtfertigen könnte(20).

–       Zum Vorliegen einer Rechtfertigung

50.      Zunächst darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof als zwingende Gründe des Allgemeininteresses, die die so festgestellte Beschränkung der Niederlassungsfreiheit rechtfertigen können, die Notwendigkeit, die Kohärenz des Steuersystems zu wahren, die Notwendigkeit, die Wirksamkeit steuerlicher Kontrollen zu gewährleisten, die Notwendigkeit, Steuerhinterziehung zu verhindern, und die Notwendigkeit, eine ausgewogene Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten zu wahren, anerkannt hat.

51.      Die Notwendigkeit, die Kohärenz des Steuersystems zu wahren, setzt voraus, dass ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen dem durch die in Rede stehende Regelung gewährten steuerlichen Vorteil und dessen Ausgleich durch eine bestimmte steuerliche Belastung dargetan ist(21). Im vorliegenden Fall gibt es keinen Anhaltspunkt dafür, dass der Abzug der zu den Eigenmitteln gehörenden Posten von der Besteuerungsgrundlage der ASSB, der gebietsansässigen Kreditinstituten und Tochtergesellschaften gebietsfremder Kreditinstitute offensteht, durch eine steuerliche Belastung dieser Kreditinstitute ausgeglichen wird.

52.      Die Notwendigkeit, die Wirksamkeit steuerlicher Kontrollen zu wahren, bedeutet im Wesentlichen, dass die Mitgliedstaaten Maßnahmen anwenden dürfen, die die eindeutige und genaue Prüfung des zu versteuernden Betrags ermöglichen(22). Meines Erachtens liegt es auf der Hand, dass die in Rede stehenden portugiesischen Rechtsvorschriften, die eine Methode zur Berechnung der Besteuerungsgrundlage vorsehen, die zwangsläufig zu einem höheren Ergebnis für Zweigstellen gebietsfremder Kreditinstitute führt, in keinem Zusammenhang mit einem solchen Ziel steht.

53.      Die Notwendigkeit, Missbräuche und Steuerhinterziehung zu verhindern, kann im vorliegenden Fall ebenso wenig geltend gemacht werden, da die portugiesischen Rechtsvorschriften zur Einführung der ASSB nicht – wie in der Rechtsprechung verlangt – speziell darauf abzielen, Verhaltensweisen zu verhindern, die darin bestehen, rein künstliche, jeder wirtschaftlichen Realität bare Konstruktionen zu dem Zweck zu errichten, ungerechtfertigt einen Steuervorteil zu nutzen(23).

54.      Es bleibt die Notwendigkeit zu prüfen, die ausgewogene Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse zwischen den Mitgliedstaaten zu wahren.

55.      Hierzu hat die Kommission in der mündlichen Verhandlung geltend gemacht, dass die mittelbare Diskriminierung der Zweigstellen, die sich daraus ergebe, dass sie keine mit Eigenmitteln vergleichbare Schuldtitel ausgeben könnten, mit dem Erfordernis gerechtfertigt werden könne, eine ausgewogene Aufteilung der Besteuerungsbefugnis der Mitgliedstaaten zu gewährleisten.

56.      Die Kommission hat in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass nach der in Rede stehenden portugiesischen Regelung Tochtergesellschaften gebietsfremder Kreditinstitute von der Besteuerungsgrundlage der ASSB nur den Wert der mit Eigenmitteln vergleichbaren Schuldtitel, die von ihnen selbst emittiert würden, abziehen könnten, und nicht den Wert der von ihren Muttergesellschaften ausgegebenen Titel. Ebenso wenig könnten Zweigstellen den Wert der von ihren Muttergesellschaften emittierten Titel abziehen, wenn diese Titel nicht mit der Tätigkeit dieser Zweigstellen zusammenhingen.

57.      Nach Ansicht der Kommission liegt dieser gesetzgeberischen Entscheidung das Ziel zugrunde, zu verhindern, dass es gebietsfremden Kreditinstituten, die in Portugal über eine Zweigstelle tätig seien, frei stehe, den Umfang ihrer Besteuerungsgrundlage der ASSB zu wählen, indem sie mit Eigenmitteln vergleichbare Schuldtitel künstlich mit der von dieser Zweigstelle in Portugal ausgeübten Tätigkeit verknüpften.

58.      Die Antwort, die ich auf dieses Argument der Kommission vorschlagen möchte, erfordert einige Vorbemerkungen zur Wahrung der ausgewogenen Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten.

59.      Die erstmals im Urteil Marks & Spencer(24) im Zusammenhang mit der Notwendigkeit der Vermeidung doppelter Verlustberücksichtigung und der Gefahr der Steuerumgehung bejahte Wahrung der ausgewogenen Verteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten wurde später vom Gerichtshof als Gegenstand einer eigenständigen Rechtfertigung anerkannt.

60.      Dabei hat der Gerichtshof dem Umstand Rechnung getragen, dass die Erhebung der direkten Steuern im Zentrum der Besteuerungsbefugnis der Mitgliedstaaten liegt. Mangels einer Harmonisierung durch das Unionsrecht ist es nämlich Sache der Mitgliedstaaten, die Kriterien für die Aufteilung ihrer Steuerbefugnisse durch den Abschluss von Doppelbesteuerungsabkommen oder durch einseitige Maßnahmen festzulegen(25).

61.      Diese Rechtfertigung ist somit Ausdruck des international weithin anerkannten Grundsatzes der Territorialität der Besteuerungsbefugnis der Staaten. Insbesondere wird die Notwendigkeit der Wahrung einer ausgewogenen Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten vom Gerichtshof anerkannt, wenn mit der betreffenden Regelung Verhaltensweisen verhindert werden sollen, die geeignet sind, das Recht eines Mitgliedstaats auf Ausübung seiner Besteuerungszuständigkeit für die in seinem Hoheitsgebiet durchgeführten Tätigkeiten zu gefährden(26).  Beispielsweise kann es den Gesellschaften nicht völlig freigestellt werden, ihre Gewinne von einem Mitgliedstaat in einen anderen zu verlagern oder sich für die Berücksichtigung ihrer Verluste im Mitgliedstaat ihrer Niederlassung oder in einem anderen Mitgliedstaat zu entscheiden, weil dies dazu führen würde, dass die Besteuerungsgrundlage je nach Wahl der betreffenden Gesellschaft in einem Mitgliedstaat in Höhe der verlagerten Gewinne bzw. Verluste erweitert und in einem anderen Mitgliedstaat verringert würde(27).

62.      Die Kommission ist im Wesentlichen der Ansicht, dass die in Rede stehenden Rechtsvorschriften die Besteuerungsbefugnis des portugiesischen Staates in Bezug auf die in seinem Hoheitsgebiet ausgeübten Tätigkeiten schützen sollten, da sie zur Folge hätten, dass gebietsfremde Kreditinstitute, die in Portugal über eine Zweigstelle tätig seien, daran gehindert seien, mit Eigenmitteln vergleichbare Schuldtitel, die nicht zu der Tätigkeit der Zweigstelle in Portugal gehörten, in die Bilanz dieser Zweigstelle aufzunehmen und so den Betrag der Besteuerungsgrundlage der ASSB dieser Zweigstelle verringerten.

63.      Meines Erachtens kann die Rechtfertigung der Notwendigkeit einer ausgewogenen Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten nicht mit Erfolg in der von der Kommission befürworteten Weise geltend gemacht werden.

64.      Ein Mitgliedstaat, der geltend machen möchte, dass seine nationalen Rechtsvorschriften jeder Verletzung der Territorialität seiner Besteuerungsbefugnis vorbeugen sollen, muss nach gefestigter Rechtsprechung nämlich einem Erfordernis der Kohärenz genügen.

65.      Insbesondere ergibt sich aus dieser Rechtsprechung, dass sich ein Mitgliedstaat, wenn er sich dafür entschieden hat, den in seinem Hoheitsgebiet ansässigen Gesellschaften einen Steuervorteil zu gewähren, und damit auf die Ausübung seiner Besteuerungsbefugnis über diese Gesellschaften verzichtet hat, nicht auf die Notwendigkeit berufen kann, eine ausgewogene Aufteilung der Steuerhoheit der Mitgliedstaaten sicherzustellen, um die Besteuerung von in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Gesellschaften zu rechtfertigen(28).

66.      Im vorliegenden Fall hat der portugiesische Staat auf die Ausübung seiner Besteuerungsbefugnis verzichtet, als er gebietsansässigen Kreditinstituten und Tochtergesellschaften gebietsfremder Kreditinstitute, die, wie bereits ausgeführt, zu steuerlichen Zwecken selbständige Rechtssubjekte und damit in diesem Staat ansässige Gesellschaften sind, einen Steuervorteil gewährt hat, der in der Möglichkeit besteht, von ihrer Besteuerungsgrundlage der ASSB den Wert der mit Eigenmitteln vergleichbaren Schuldtitel abzuziehen.

67.      In Anbetracht dessen kann sich dieser Staat nicht mit Erfolg auf die Territorialität seiner Besteuerungsbefugnis berufen, um die Benachteiligung der Zweigstellen gebietsfremder Kreditinstitute zu rechtfertigen, die aus den zuvor dargelegten Gründen nicht die Möglichkeit haben, von ihrer Besteuerungsgrundlage der ASSB den Wert dieser Titel abzuziehen.

 Ergebnis

68.      Im Licht der vorstehenden Erwägungen schlage ich dem Gerichtshof vor, die zweite Vorlagefrage des Tribunal Arbitral Tributário (Centro de Arbitragem Administrativa – CAAD) [Schiedsgericht für Steuersachen (Zentrum für Verwaltungsschiedsverfahren), Portugal] wie folgt zu beantworten:

Die in Art. 49 AEUV verankerte Niederlassungsfreiheit ist dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung entgegensteht, nach der es nur mit Rechtspersönlichkeit ausgestatteten gebietsansässigen Kreditinstituten und Tochtergesellschaften gebietsfremder Kreditinstitute – und somit nicht Zweigstellen gebietsfremder Kreditinstitute ohne Rechtspersönlichkeit – gestattet ist, ihre Eigenmittel und vergleichbare Schuldtitel von der Besteuerungsgrundlage einer Steuer auf Verbindlichkeiten dieser Körperschaften abzuziehen.






























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