C-266/22 – CRRC Qingdao Sifang u.a.

C-266/22 – CRRC Qingdao Sifang u.a.

CURIA – Documents

Language of document : ECLI:EU:C:2023:399

Vorläufige Fassung

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

ATHANASIOS RANTOS

vom 11. Mai 2023(1)

Rechtssache C266/22

CRRC Qingdao Sifang CO LTD,

Astra Vagoane Călători SA

gegen

Autoritatea pentru Reformă Feroviară,

Alstom Ferroviaria SpA

(Vorabentscheidungsersuchen der Curtea de Apel Bucureşti [Berufungsgericht Bukarest, Rumänien])

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Rechtsangleichung – Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge – Richtlinie 2014/24/EU – Art. 25 – Nationale Rechtsvorschriften, die nach Veröffentlichung der Auftragsbekanntmachung in Kraft getreten sind – Änderung des Begriffs „Wirtschaftsteilnehmer“ – Ausschluss des Angebots eines in der Volksrepublik China ansässigen Wirtschaftsteilnehmers – Drittland, das kein Übereinkommen im Sinne von Art. 25 unterzeichnet hat“

I.      Einleitung

1.        Das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 2 Abs. 1 Nr. 13, Art. 18 Abs. 1, Art. 25 und Art. 49 der Richtlinie 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die öffentliche Auftragsvergabe und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/18/EG(2) in der durch die Delegierte Verordnung (EU) 2019/1828 der Kommission vom 30. Oktober 2019(3) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 2014/24).

2.        Mit ihren beiden Vorlagefragen ersucht die Curtea de Apel București (Berufungsgericht Bukarest, Rumänien) den Gerichtshof im Wesentlichen, zu prüfen, ob diese Vorschriften des Unionsrechts über das öffentliche Auftragswesen dem entgegenstehen, dass ein in der Volksrepublik China ansässiger Wirtschaftsteilnehmer von einem öffentlichen Vergabeverfahren, das von einem öffentlichen Auftraggeber eines Mitgliedstaats eröffnet wurde, ausgeschlossen wird, wenn dieser Ausschluss auf nationalen Rechtsvorschriften beruht, durch die der Begriff „Wirtschaftsteilnehmer“ geändert wurde, um Art. 25 der Richtlinie 2014/24 umzusetzen, und diese nationalen Rechtsvorschriften nach Veröffentlichung der Auftragsbekanntmachung in Kraft getreten sind.

3.        Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen einem Konsortium, das aus CRRC Qingdao Sifang und Astra Vagoane Călători (im Folgenden zusammen: Konsortium) besteht, auf der einen und der Autoritatea pentru Reformă Feroviară (für die Reform der Eisenbahnen zuständige Behörde, im Folgenden: ARF), einem Auftraggeber in Rumänien, und Alstom Ferroviaria, die als Streithelferin zur Unterstützung der ARF beigetreten ist, auf der anderen Seite. Konkret betrifft der Rechtsstreit die Entscheidung der ARF, mit der das im Rahmen eines öffentlichen Vergabeverfahrens über den Erwerb von 20 neuen überregionalen elektrischen Triebwagenzügen und der Wartungs- und Reparaturdienstleistungen für die betreffenden Züge gestellte Angebot des Konsortiums mit der Begründung ausgeschlossen wurde, dass CRRC Qingdao Sifang eine Gesellschaft mit Sitz in der Volksrepublik China sei.

4.        Die vorgelegten Fragen werden es dem Gerichtshof ermöglichen, erstmals die Vereinbarkeit nationaler Vorschriften zur Umsetzung von Art. 25 der Richtlinie 2014/24 mit dem Unionsrecht zu prüfen und den normativen Inhalt dieser Vorschrift auszulegen.

II.    Rechtlicher Rahmen

A.      Unionsrecht

1.      Richtlinie 2014/24

5.        In den Erwägungsgründen 1, 17 und 98 der Richtlinie 2014/24 heißt es:

„(1)      Die Vergabe öffentlicher Aufträge durch oder im Namen von Behörden der Mitgliedstaaten hat im Einklang mit den im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) niedergelegten Grundsätzen zu erfolgen, insbesondere den Grundsätzen des freien Warenverkehrs, der Niederlassungsfreiheit und der Dienstleistungsfreiheit sowie den sich daraus ableitenden Grundsätzen wie Gleichbehandlung, Nichtdiskriminierung, gegenseitige Anerkennung, Verhältnismäßigkeit und Transparenz. Für über einen bestimmten Wert hinausgehende öffentliche Aufträge sollten Vorschriften zur Koordinierung der nationalen Vergabeverfahren festgelegt werden, um zu gewährleisten, dass diese Grundsätze praktische Geltung erlangen und dass das öffentliche Auftragswesen für den Wettbewerb geöffnet wird.

(17)      Mit dem Beschluss 94/800/EG des Rates [vom 22. Dezember 1994 über den Abschluss der Übereinkünfte im Rahmen der multilateralen Verhandlungen der Uruguay-Runde (1986–1994) im Namen der Europäischen Gemeinschaft in Bezug auf die in ihre Zuständigkeiten fallenden Bereiche (ABl. 1994, L 336, S. 1)] wurde insbesondere das Übereinkommen der Welthandelsorganisation über das öffentliche Beschaffungswesen (‚Agreement on Government Procurement‘, im Folgenden ‚GPA‘) genehmigt. Ziel des GPA ist es, einen multilateralen Rahmen ausgewogener Rechte und Pflichten in Bezug auf öffentliche Aufträge zu schaffen, um den Welthandel zu liberalisieren und auszuweiten. Bei Aufträgen, die unter die Anhänge 1, 2, 4 und 5 sowie die Allgemeinen Anmerkungen zur Anlage I der Europäischen Union zum GPA sowie andere einschlägige, für die Union bindende internationale Übereinkommen fallen, sollten die öffentlichen Auftraggeber die Verpflichtungen aus den betreffenden Übereinkommen erfüllen, indem sie diese Richtlinie auf Wirtschaftsteilnehmer von Drittländern anwenden, die Unterzeichner der Übereinkommen sind.

(98)      Es ist von entscheidender Bedeutung, dass sich Zuschlagskriterien oder Bedingungen für die Auftragsausführung, die soziale Aspekte des Produktionsprozesses betreffen, auf die gemäß dem Auftrag zu erbringenden Bauleistungen, Lieferungen oder Dienstleistungen beziehen. Ferner sollten sie gemäß der Richtlinie 96/71/EG [des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 1996 über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen (ABl. 1997, L 18, S. 1)] in der Auslegung des [Gerichtshofs] angewandt werden und sollten nicht in einer Weise ausgewählt oder angewandt werden, durch die Wirtschaftsteilnehmer aus anderen Mitgliedstaaten oder aus Drittstaaten, die Partei des GPA oder der Freihandelsübereinkommen sind, denen die Union angehört, unmittelbar oder mittelbar diskriminiert werden. …“

6.        Art. 2 („Begriffsbestimmungen“) der Richtlinie 2014/24 enthält in seinem Abs. 1 u. a. die folgenden Begriffsbestimmungen:

„Für die Zwecke dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck

5.      ‚öffentliche Aufträge‘ zwischen einem oder mehreren Wirtschaftsteilnehmern und einem oder mehreren öffentlichen Auftraggebern schriftlich geschlossene entgeltliche Verträge über die Ausführung von Bauleistungen, die Lieferung von Waren oder die Erbringung von Dienstleistungen;

10.      ‚Wirtschaftsteilnehmer‘ eine natürliche oder juristische Person oder öffentliche Einrichtung oder eine Gruppe solcher Personen und/oder Einrichtungen, einschließlich jedes vorübergehenden Zusammenschlusses von Unternehmen, die beziehungsweise der auf dem Markt die Ausführung von Bauleistungen, die Errichtung von Bauwerken, die Lieferung von Waren beziehungsweise die Erbringung von Dienstleistungen anbietet;

11.      ‚Bieter‘ einen Wirtschaftsteilnehmer, der ein Angebot abgegeben hat;

13.      ‚Auftragsunterlagen‘ sämtliche Unterlagen, die vom öffentlichen Auftraggeber erstellt werden oder auf die er sich bezieht, um Bestandteile der Auftragsvergabe oder des Verfahrens zu beschreiben oder festzulegen; dazu zählen die Bekanntmachung, die Vorinformationen, sofern sie als Aufruf zum Wettbewerb dienen, die technischen Spezifikationen, die Beschreibung, die vorgeschlagenen Auftragsbedingungen, Formate für die Einreichung von Unterlagen seitens der Bewerber und Bieter, Informationen über allgemeingültige Verpflichtungen sowie sonstige zusätzliche Unterlagen;

…“

7.        Nach ihrem Art. 7 („Aufträge im Bereich der Wasser‑, Energie- und Verkehrsversorgung sowie der Postdienste“) gilt die Richtlinie 2014/24 nicht für öffentliche Aufträge und Wettbewerbe, die gemäß der Richtlinie 2014/25/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die Vergabe von Aufträgen durch Auftraggeber im Bereich der Wasser‑, Energie- und Verkehrsversorgung sowie der Postdienste und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/17/EG (ABl. 2014, L 94, S. 243) in der durch die Delegierte Verordnung (EU) 2019/1829 der Kommission vom 30. Oktober 2019 (ABl. 2019, L 279, S. 27) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 2014/25) von öffentlichen Auftraggebern, die eine oder mehrere Tätigkeiten gemäß den Art. 8 bis 14 der Richtlinie 2014/25 ausüben, vergeben oder durchgeführt werden und der Durchführung dieser Tätigkeiten dienen.

8.        Art. 18 („Grundsätze der Auftragsvergabe“) der Richtlinie 2014/24 bestimmt in seinem Abs. 1 Unterabs. 1, dass die öffentlichen Auftraggeber alle Wirtschaftsteilnehmer in gleicher und nicht diskriminierender Weise behandeln und transparent und verhältnismäßig handeln.

9.        Art. 19 („Wirtschaftsteilnehmer“) dieser Richtlinie sieht in seinem Abs. 1 Unterabs. 1 vor:

„Wirtschaftsteilnehmer, die gemäß den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, in dem sie niedergelassen sind, zur Erbringung der betreffenden Leistung berechtigt sind, dürfen nicht allein deshalb zurückgewiesen werden, weil sie gemäß den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, in dem der Auftrag vergeben wird, eine natürliche oder juristische Person sein müssten.“

10.      Art. 25 („Bedingungen betreffend das GPA und andere internationale Übereinkommen“) dieser Richtlinie lautet wie folgt:

„Sofern durch die Anhänge 1, 2, 4 und 5 sowie die Allgemeinen Anmerkungen zur Anlage I der Europäischen Union zum GPA sowie die anderen internationalen für die Union rechtsverbindlichen Übereinkommen abgedeckt, wenden die öffentlichen Auftraggeber auf Bauleistungen, Lieferungen, Dienstleistungen und Wirtschaftsteilnehmer aus den Unterzeichnerstaaten dieser Übereinkommen keine ungünstigeren Bedingungen an als auf Bauleistungen, Lieferungen, Dienstleistungen und Wirtschaftsteilnehmer aus der Europäischen Union.“

11.      Art. 49 („Auftragsbekanntmachungen“) dieser Richtlinie bestimmt:

„Auftragsbekanntmachungen werden unbeschadet des Artikels 26 Absatz 5 Unterabsatz 2 und des Artikels 32 als Mittel für den Aufruf zum Wettbewerb für alle Verfahren verwendet. Auftragsbekanntmachungen enthalten die Informationen nach Anhang V Teil C und werden gemäß Artikel 51 veröffentlicht.“

12.      Art. 58 („Eignungskriterien“) der Richtlinie 2014/24 bestimmt in seinem Abs. 2 Unterabs. 1:

„Im Hinblick auf die Befähigung zur Berufsausübung können die öffentlichen Auftraggeber den Wirtschaftsteilnehmern vorschreiben, in einem Berufs- oder Handelsregister ihres Niederlassungsmitgliedstaats gemäß Anhang XI verzeichnet zu sein oder jedwede andere in dem Anhang genannte Anforderungen zu erfüllen.“

2.      Richtlinie 2014/25

13.      Art. 1 („Gegenstand und Anwendungsbereich“) der Richtlinie 2014/25 bestimmt in seinem Abs. 2:

„Auftragsvergabe im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet den Erwerb von Bauleistungen, Lieferungen oder Dienstleistungen mittels eines Liefer‑, Bauleistungs- oder Dienstleistungsauftrags durch einen oder mehrere Auftraggeber von Wirtschaftsteilnehmern, die von diesen Auftraggebern ausgewählt werden, sofern die Bauleistungen, Lieferungen oder Dienstleistungen für einen der in Artikel 8 bis 14 genannten Zwecke bestimmt sind.“

14.      Art. 11 („Verkehrsleistungen“) dieser Richtlinie sieht vor:

„Unter diese Richtlinie fallen die Bereitstellung oder das Betreiben von Netzen zur Versorgung der Allgemeinheit mit Verkehrsleistungen per Eisenbahn, automatischen Systemen, Straßenbahn, Trolleybus, Bus oder Seilbahn.

Im Verkehrsbereich gilt ein Netz als vorhanden, wenn die Verkehrsleistung gemäß den von einer zuständigen Behörde eines Mitgliedstaats festgelegten Bedingungen erbracht wird; dazu gehören die Festlegung der Strecken, die Transportkapazitäten und die Fahrpläne.“

15.      Art. 43 („Bedingungen betreffend das GPA und andere internationale Übereinkommen“) dieser Richtlinie lautet wie folgt:

„Soweit sie durch die Anhänge 3, 4 und 5 sowie die Allgemeinen Anmerkungen zu Anlage I der Europäischen Union zum GPA sowie die anderen internationalen für die Union rechtsverbindlichen Übereinkommen erfasst sind, wenden die Auftraggeber im Sinne des Artikels 4 Absatz 1 Buchstabe a auf Bauleistungen, Lieferungen, Dienstleistungen und Wirtschaftsteilnehmer aus den Unterzeichnerstaaten dieser Übereinkommen keine ungünstigeren Bedingungen an als auf Bauleistungen, Lieferungen, Dienstleistungen und Wirtschaftsteilnehmer aus der Europäischen Union.“

3.      Mitteilung der Kommission vom 24. Juli 2019

16.      Die Mitteilung der Kommission vom 24. Juli 2019 mit dem Titel „Leitlinien zur Teilnahme von Bietern und Waren aus Drittländern am EU-Beschaffungsmarkt“ (C[2019] 5494 final)(4) (im Folgenden: Mitteilung der Kommission vom 24. Juli 2019) enthält die folgenden einschlägigen Passagen:

„Die EU hat sich im Rahmen mehrerer internationaler Übereinkommen (z. B. im Rahmen des Übereinkommens über das öffentliche Beschaffungswesen und der bilateralen Freihandelsabkommen mit Kapiteln zum öffentlichen Beschaffungswesen) verpflichtet, für bestimmte Bauleistungen, Lieferungen, Dienstleistungen und Wirtschaftsteilnehmer aus mehreren Drittländern den Zugang zu ihrem Beschaffungsmarkt zu gewähren.

Dementsprechend sehen die Richtlinien für die öffentliche Auftragsvergabe vor, dass öffentliche Auftraggeber in der EU auf Bauleistungen, Lieferungen, Dienstleistungen und Wirtschaftsteilnehmer aus den Unterzeichnerstaaten dieser Übereinkommen keine ungünstigeren Bedingungen anwenden als die Bedingungen für die Bauleistungen, Lieferungen, Dienstleistungen und Wirtschaftsteilnehmer aus der EU, soweit diese durch die genannten Übereinkommen abgedeckt sind.

Über diese Verpflichtung hinaus wird Wirtschaftsteilnehmern aus Drittländern, die keine Vereinbarung über die Öffnung des EU-Beschaffungsmarkts geschlossen haben oder deren Waren, Dienstleistungen und Bauleistungen nicht unter eine solche Vereinbarung fallen, kein Zugang zu Vergabeverfahren in der EU zugestanden und sie dürfen ausgeschlossen werden.“

B.      Rumänisches Recht

17.      Art. 3 Abs. 1 Buchst. jj der Legea nr. 98/2016 privind achiziţiile publice (Gesetz Nr. 98/2016 über das öffentliche Auftragswesen) vom 19. Mai 2016 (Monitorul Oficial al României, Teil I, Nr. 390 vom 23. Mai 2016) in seiner am 3. April 2020 geltenden Fassung (im Folgenden: Gesetz über das öffentliche Auftragswesen) definiert den Begriff „Wirtschaftsteilnehmer“ wie folgt:

„Im Sinne dieses Gesetzes haben die nachfolgenden Begriffe und Ausdrücke die folgende Bedeutung:

(jj)      ‚Wirtschaftsteilnehmer‘ – jede natürliche oder juristische Person des öffentlichen Rechts oder des Privatrechts oder Gruppe oder Vereinigung solcher Personen, die auf dem Markt rechtmäßig die Ausführung von Bauleistungen, die Errichtung von Bauwerken, die Lieferung von Waren beziehungsweise die Erbringung von Dienstleistungen anbietet, einschließlich jedes vorübergehenden Zusammenschlusses zweier oder mehrerer solcher Einheiten“.

18.      Art. 236 des Gesetzes über das öffentliche Auftragswesen sieht vor:

„(1)      Dieses Gesetz findet auf Vergabeverfahren Anwendung, die nach seinem Inkrafttreten eingeleitet werden.

(2)      Auf bei Inkrafttreten dieses Gesetzes laufende Vergabeverfahren findet das Gesetz Anwendung, das zum Zeitpunkt der Einleitung des Ausschreibungsverfahrens gilt.

(3)      Dieses Gesetz findet auf öffentliche Aufträge/Rahmenvereinbarungen Anwendung, die nach seinem Inkrafttreten geschlossen werden.

(4)      Öffentliche Aufträge/Rahmenvereinbarungen, die vor Inkrafttreten dieses Gesetzes geschlossen wurden, unterliegen in Bezug auf ihren Abschluss, ihre Änderung, Auslegung, Wirkungen, Ausführung und Beendigung den Bestimmungen des zum Zeitpunkt ihres Abschlusses geltenden Gesetzes“.

19.      Mit der Ordonanța de urgență a Guvernului nr. 25/2021 privind modificarea și completarea unor acte normative în domeniul achizițiilor publice (Dringlichkeitsverordnung Nr. 25/2021 der Regierung zur Änderung und Ergänzung bestimmter normativer Rechtsakte im Bereich des öffentlichen Auftragswesens) vom 31. März 2021 (Monitorul Oficial al României, Teil I, Nr. 346 vom 5. April 2021) (im Folgenden: OUG Nr. 25/2021), das am 5. April 2021 in Kraft trat, wurden mehrere Vorschriften des Gesetzes über das öffentliche Auftragswesen geändert, um Art. 25 der Richtlinie 2014/24 sowie Art. 43 der Richtlinie 2014/25 umzusetzen.

20.      Art. V der OUG Nr. 25/2021 bestimmt:

„Vergabeverfahren, bei denen Wirtschaftsteilnehmer zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Dringlichkeitsverordnung Angebote abgegeben haben, unterliegen den Rechtsvorschriften, die zu dem Zeitpunkt galten, als diese Verfahren begannen.“

21.      Art. 3 Abs. 1 Buchst. jj des Gesetzes über das öffentliche Auftragswesen in der durch die OUG Nr. 25/2021 geänderten Fassung definiert den Begriff „Wirtschaftsteilnehmer“ wie folgt:

„Im Sinne dieses Gesetzes haben die nachfolgenden Begriffe und Ausdrücke die folgende Bedeutung:

(jj)      ‚Wirtschaftsteilnehmer‘ – jede natürliche oder juristische Person des öffentlichen Rechts oder des Privatrechts oder Gruppe oder Vereinigung solcher Personen, einschließlich jedes vorübergehenden Zusammenschlusses zweier oder mehrerer solcher Einheiten, die beziehungsweise der auf dem Markt rechtmäßig die Ausführung von Bauleistungen, die Errichtung von Bauwerken, die Lieferung von Waren oder die Erbringung von Dienstleistungen anbietet, und
ansässig ist in

i)      einem Mitgliedstaat der [Union];

ii)      einem Mitgliedstaat des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR);

iii)      Drittländern, die das [GPA] ratifiziert haben, soweit der vergebene öffentliche Auftrag in den Anwendungsbereich der Anhänge 1, 2, 4 und 5, 6 und 7 der Anlage I der Europäischen Union [zum GPA] fällt;

iv)      Drittländern, die sich im Stadium des Beitritts zur [Union] befinden;

v)      Drittländern, die nicht in den Anwendungsbereich von Ziffer iii fallen, aber Unterzeichner anderer internationaler Übereinkommen sind, die die [Union] verpflichten, freien Zugang zum Markt für öffentliche Aufträge zu gewähren“.

22.      Art. 49 des Gesetzes über das öffentliche Auftragswesen in der durch die OUG Nr. 25/2021 geänderten Fassung bestimmt:

„(1)      Die öffentlichen Auftraggeber sind verpflichtet, alle Wirtschaftsteilnehmer in gleicher und nicht diskriminierender Weise zu behandeln und transparent und verhältnismäßig zu handeln.

(2)      Sofern durch die Anhänge 1, 2, 4 und 5, 6 und 7 der Anlage I der Europäischen Union zum GPA sowie die anderen internationalen für die [Union] rechtsverbindlichen Übereinkommen abgedeckt, wenden die öffentlichen Auftraggeber auf Bauleistungen, Lieferungen, Dienstleistungen und Wirtschaftsteilnehmer aus den Unterzeichnerstaaten dieser Übereinkommen gleiche Bedingungen an wie auf Bauleistungen, Lieferungen, Dienstleistungen und Wirtschaftsteilnehmer aus der [Union].“

23.      Art. 53 Abs. 1 und 11 des Gesetzes über das öffentliche Auftragswesen in der durch die OUG Nr. 25/2021 geänderten Fassung bestimmt:

„(1) Die in Artikel 3 Abs. 1 Buchst. jj definierten Wirtschaftsteilnehmer sind berechtigt, als Einzelbieter/bietende Gesellschafter/Bewerber/Drittunterstützer/Unterauftragnehmer an den in Art. 68 genannten Vergabeverfahren teilzunehmen.

(11) Der öffentliche Auftraggeber schließt vom Vergabeverfahren natürliche oder juristische Personen aus, die die Eigenschaft eines Einzelbieters/bietenden Gesellschafters/Bewerbers/Drittunterstützers/Unterauftragnehmers haben und nicht der Definition in Art. 3 Abs. 1 Buchst. jj entsprechen, ohne dass die Einstufung nach den Art. 164, 165 und 167 geprüft zu werden braucht“.

III. Ausgangsrechtsstreit, Vorlagefragen und Verfahren vor dem Gerichtshof

24.      Am 3. April 2020 leitete die ARF mit der Veröffentlichung der Auftragsbekanntmachung CN1020204 vom 3. April 2020 im Sistemul Electronic de Achiziții Publice (elektronisches System für die öffentliche Auftragsvergabe) zusammen mit den entsprechenden Ausschreibungsunterlagen im Wege einer offenen Ausschreibung ein öffentliches Vergabeverfahren für den „Erwerb von 20 neuen überregionalen elektrischen Triebwagenzügen mit der Bezeichnung RE‑IR und den Erwerb der für den Betrieb der betreffenden Züge erforderlichen Wartungs- und Reparaturdienstleistungen“ ein.

25.      Am 5. April 2012 trat die OUG Nr. 25/2021 in Kraft, mit der bestimmte normative Rechtsakte im Bereich des öffentlichen Auftragswesens geändert und ergänzt wurden.

26.      Am 19. April 2021, dem letzten Termin für die Abgabe von Angeboten im Rahmen des in Rede stehenden Vergabeverfahrens, gaben zwei Wirtschaftsteilnehmer, nämlich das Konsortium und Alstom Ferroviaria, Angebote ab.

27.      Am 2. November 2021 veröffentlichte die ARF den endgültigen Bericht Nr. 22/410/28.10.2021 über das Vergabeverfahren, mit dem das vom Konsortium abgegebene Angebot vom Verfahren ausgeschlossen wurde und das von Alstom Ferroviaria abgegebene Angebot den Zuschlag erhielt (im Folgenden: Ausschlussbericht). Als Grund für den Ausschluss wurde angeführt, dass das federführende Unternehmen des Konsortiums, d. h. CRRC Qingdao Sifang, nicht unter den in Art. 3 Abs. 1 Buchst. jj des Gesetzes über das öffentliche Auftragswesen in der durch die OUG Nr. 25/2021 geänderten und ergänzten Fassung definierten Begriff des „Wirtschaftsteilnehmers“ falle, da sich sein Sitz in der Volksrepublik China befinde.

28.      Am 11. November 2021 legte das Konsortium beim Consiliul Național de Soluționare a Contestațiilor (Nationaler Rat für Beschwerdeentscheidungen, Rumänien, im Folgenden: CNSC) gegen den Ausschlussbericht Beschwerde ein. Im Rahmen dieser Beschwerde machte das Konsortium geltend, der auf der rückwirkenden Anwendung der OUG Nr. 25/2021 beruhende Ausschluss verstoße gegen die rumänische Verfassung und gegen das Unionsrecht.

29.      Mit Entscheidung vom 31. Januar 2022 wies der CNSC die Beschwerde des Konsortiums zurück. Zunächst stellte dieses Gremium fest, dass die Volksrepublik China keine der in Art. 3 Abs. 1 Buchst. jj, Ziff. i bis v des Gesetzes über das öffentliche Auftragswesen in der durch die OUG Nr. 25/2021 geänderten Fassung genannten Voraussetzungen erfülle. Sodann stellte der CNSC fest, dass das Konsortium sein Angebot am 19. April 2021, also nach Inkrafttreten der OUG Nr. 25/2021 am 5. April 2021, abgegeben habe. Nach Art. V der OUG Nr. 25/2021 unterlägen nur Vergabeverfahren, bei denen Wirtschaftsteilnehmer zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser OUG Angebote abgegeben hätten, den Rechtsvorschriften, die zu dem Zeitpunkt gegolten hätten, als diese Verfahren begonnen hätten. Dagegen unterlägen Vergabeverfahren, bei denen bis zum 5. April 2021, dem Tag des Inkrafttretens der OUG Nr. 25/2021, kein Angebot abgegeben worden sei, dieser OUG.

30.      Am 14. Februar 2022 erhob das Konsortium bei der Curtea de Apel București (Berufungsgericht Bukarest), dem vorlegenden Gericht, das in letzter Instanz entscheidet, Klage gegen die Entscheidung des CNSC. Im Rahmen dieser Klage macht das Konsortium geltend, die Änderung der Vorschriften eines Vergabeverfahrens während des Verfahrens stelle einen Verstoß gegen die Grundsätze des Unionsrechts, insbesondere gegen die Grundsätze des Vertrauensschutzes, der Rechtssicherheit, des Rückwirkungsverbots, der Transparenz und der Gleichbehandlung, dar.

31.      Am 2. Mai 2022 beantragten die Klägerinnen, dem Gerichtshof drei Fragen zu Vorabentscheidung vorzulegen.

32.      Das vorlegende Gericht weist darauf hin, dass mit der OUG Nr. 25/2021 der Rechtsrahmen für öffentliche Aufträge geändert und bestimmte allgemeine Regeln für die Teilnahme an Vergabeverfahren gemäß Art. 25 der Richtlinie 2014/24 neu festgelegt worden seien, der vorsehe, dass die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, die Gleichbehandlung mit Wirtschaftsteilnehmern der Mitgliedstaaten sicherzustellen, nur für Wirtschaftsteilnehmer aus Drittstaaten gelte, die Übereinkommen unterzeichnet hätten, auf die diese Vorschrift Bezug nehme.

33.      In der Präambel der OUG Nr. 25/2021 habe die rumänische Regierung darauf hingewiesen, dass in den letzten Jahren die Zahl der an Vergabeverfahren teilnehmenden Bieter aus Drittländern, die geringere Garantien für die Einhaltung bestimmter Anforderungen wie zertifizierte Qualitätsstandards, Standards für Umwelt und nachhaltige Entwicklung, Anforderungen an die Arbeitsbedingungen und Sozialschutz sowie Wettbewerbspolitik böten, tendenziell gestiegen sei.

34.      Das vorlegende Gericht stellt fest, dass Art. 25 der Richtlinie 2014/24 bei der Behandlung der von dieser Vorschrift betroffenen Wirtschaftsteilnehmer nicht danach unterscheide, wann sie ihre Angebote in den öffentlichen Vergabeverfahren, an denen sie teilnähmen, abgegeben hätten.

35.      Diesem Gericht stellt sich die Frage, inwieweit die Einhaltung der im Unionsrecht verankerten Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes sowie der in Art. 18 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 Nr. 13 und Art. 49 der Richtlinie 2014/24 vorgesehenen Grundsätze der Gleichbehandlung, der Transparenz und der Verhältnismäßigkeit gewährleistet ist, wenn ein Bieter aufgrund eines normativen Rechtsakts mit Gesetzeskraft, der die Definition des Wirtschaftsteilnehmers nach Veröffentlichung der Auftragsbekanntmachung ändert, ausgeschlossen wird.

36.      Unter diesen Umständen hat die Curtea de Apel București (Berufungsgericht Bukarest) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Stehen die Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes einer nationalen Regelung entgegen, mit der Art. 25 der Richtlinie 2014/24 mit Wirkung vom 5. April 2021 umgesetzt wurde und die vorsieht, dass Wirtschaftsteilnehmer, die diesen Unionsvorschriften nicht unterliegen, nur dann weiterhin an öffentlichen Vergabeverfahren teilnehmen können, wenn sie bis zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Gesetzesänderung Angebote abgegeben haben?

2.      Stehen die Grundsätze der Gleichbehandlung, der Transparenz und der Verhältnismäßigkeit nach Art. 18 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 Nr. 13 und Art. 49 der Richtlinie 2014/24 dem Ausschluss eines Bieters auf der Grundlage eines von der Regierung des Mitgliedstaats erlassenen normativen Rechtsakts mit Gesetzeskraft entgegen, der nach Veröffentlichung der Bekanntmachung des Vergabeverfahrens, an dem der Wirtschaftsteilnehmer teilnimmt, eine neue Regelung zur Änderung der Definition des Wirtschaftsteilnehmers festlegt?

37.      Das Konsortium, die ARF, Alstom Ferroviaria, die österreichische Regierung sowie die Europäische Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht.

38.      Alstom Ferroviaria und die ARF, beide hilfsweise, sowie die österreichische Regierung und die Kommission schlagen vor, die Vorlagefragen zu verneinen. Das Konsortium schlägt vor, die Fragen zu bejahen.

IV.    Würdigung

A.      Zulässigkeit der Vorlagefragen und Zuständigkeit des Gerichtshofs für ihre Beantwortung

39.      Sowohl Alstom Ferroviaria als auch die ARF machen die Unzulässigkeit des gesamten Vorabentscheidungsersuchens geltend. Konkret macht Alstom Ferroviaria geltend, die Vorlagefragen seien unzulässig, da sie nicht die Auslegung von Bestimmungen des Unionsrechts, sondern die Auslegung von Vorschriften des nationalen Rechts beträfen(5), die in die ausschließliche Zuständigkeit des nationalen Gerichts fielen. Die ARF vertritt die Auffassung, dass die dem Ausgangsrechtsstreit zugrunde liegende Rechtslage nicht in den persönlichen Anwendungsbereich des Unionsrechts falle und dass das Vorabentscheidungsersuchen in Bezug auf CRRC Qingdao Sifang unzulässig sei. Außerdem müsse das Vorabentscheidungsersuchen, wenn es in Bezug auf CRRC Qingdao Sifang für unzulässig erklärt werde, auch in Bezug auf Astra Vagoane Călători für unzulässig erklärt werden, die zwar ihren Sitz in Rumänien habe, aber im Rahmen eines Konsortiums mit CRRC Qingdao Sifang am Vergabeverfahren teilgenommen habe.

40.      Hierzu möchte ich darauf hinweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung im Rahmen des durch Art. 267 AEUV eingeführten Verfahrens der Zusammenarbeit zwischen den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof allein das nationale Gericht, das mit dem Rechtsstreit befasst ist und in dessen Verantwortungsbereich die zu erlassende Entscheidung fällt, anhand der Besonderheiten der Rechtssache sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung für den Erlass seines Urteils als auch die Erheblichkeit der dem Gerichtshof von ihm vorgelegten Fragen zu beurteilen hat. Daher ist der Gerichtshof grundsätzlich gehalten, über ihm vorgelegte Fragen zu befinden, wenn sie die Auslegung einer Vorschrift des Unionsrechts betreffen(6). Die Beantwortung einer Vorlagefrage eines nationalen Gerichts kann zudem nur dann abgelehnt werden, wenn die Auslegung des Unionsrechts, um die der Gerichtshof ersucht wird, offensichtlich in keinem Zusammenhang mit den Gegebenheiten oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, wenn das Problem hypothetischer Natur ist oder wenn der Gerichtshof nicht über die tatsächlichen und rechtlichen Angaben verfügt, die für eine zweckdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind(7).

41.      In der vorliegenden Rechtssache möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die nach Veröffentlichung der Auftragsbekanntmachung erfolgte Anwendung nationaler Rechtsvorschriften, mit denen der Begriff „Wirtschaftsteilnehmer“ zur Umsetzung von Art. 25 der Richtlinie 2014/24 geändert wurde und die den Ausschluss des Konsortiums zur Folge hatten, mit dem Unionsrecht vereinbar ist. Unter diesen Umständen kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Auslegung des Unionsrechts, um die der Gerichtshof ersucht wird, offensichtlich in keinem Zusammenhang mit den Gegebenheiten oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht oder hypothetischer Natur ist. Außerdem enthält die Vorlageentscheidung hinreichende tatsächliche und rechtliche Angaben für eine zweckdienliche Beantwortung der Fragen des vorlegenden Gerichts. Was im Übrigen das Vorbringen der ARF zur Unanwendbarkeit der Richtlinie 2014/24 auf Wirtschaftsteilnehmer mit Sitz in Drittländern anbelangt, die kein Übereinkommen unterzeichnet haben, das ihnen den öffentlichen Beschaffungsmarkt der Union eröffnet, so handelt es sich dabei um Argumente, die die inhaltliche Prüfung der Vorlagefragen und nicht ihre Zulässigkeit betreffen.

42.      Nach alledem bin ich der Ansicht, dass das Vorabentscheidungsersuchen zulässig sind.

B.      Zur Beantwortung der Vorlagefragen

43.      Mit seinen zwei Vorlagefragen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob zum einen die Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes und zum anderen die in Art. 18 Abs. 1 der Richtlinie 2014/24 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 Nr. 13 und Art. 49 dieser Richtlinie vorgesehenen Grundsätze der Gleichbehandlung, der Transparenz und der Verhältnismäßigkeit dem Ausschluss eines Bieters entgegenstehen, der damit begründet wird, dass er seinen Sitz in einem Drittland habe, das nicht Unterzeichner eines Übereinkommens im Sinne von Art. 25 der genannten Richtlinie sei, wenn sich zum einen dieser Ausschluss aus nationalen Rechtsvorschriften ergibt, die den Begriff „Wirtschaftsteilnehmer“ zwecks Umsetzung dieses Art. 25 geändert haben, und zum anderen diese nationalen Rechtsvorschriften nach Veröffentlichung der betreffenden Auftragsbekanntmachung und vor Abgabe der Angebote in Kraft getreten sind.

44.      In Anbetracht des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Sachverhalts sind einige Bemerkungen zum sachlichen, zeitlichen und persönlichen Anwendungsbereich der Richtlinie 2014/24 zu machen. Denn nur wenn das Konsortium in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fällt, kann es sich auf die verschiedenen Grundsätze des Unionsrechts berufen, zu denen uns das vorlegende Gericht befragt.

45.      Wie im Folgenden aufgezeigt wird, wirft die materielle und zeitliche Anwendbarkeit dieser Richtlinie zwar Fragen auf, die letztlich der Beurteilung des nationalen Gerichts unterliegen, doch ist dies bei der persönlichen Anwendbarkeit nicht der Fall, da Art. 25 der Richtlinie bewirkt, dass Wirtschaftsteilnehmer aus Drittländern, die nicht Unterzeichner von Übereinkommen im Sinne dieser Vorschrift sind, nicht die in dieser Richtlinie vorgesehenen Rechte genießen und sich daher nicht mit Erfolg auf einen Verstoß gegen die im Unionsrecht vorgesehenen Grundsätze der Gleichheit, der Nichtdiskriminierung, der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes berufen können.

1.      Zur materiellen Anwendbarkeit

46.      Wie die österreichische Regierung und die Kommission halte ich es für möglich, dass der im Ausgangsverfahren in Rede stehende öffentliche Auftrag, der den Erwerb von elektrischen Triebwagenzügen für den Eisenbahnverkehr und der für den Betrieb der betreffenden Züge erforderlichen Wartungs- und Reparaturdienstleistungen betrifft, nicht unter die Richtlinie 2014/24, zu der uns das vorlegende Gericht befragt, sondern unter die Richtlinie 2014/25 fällt.

47.      Die Richtlinie 2014/24 gilt für Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge, deren geschätzter Wert die in Art. 4 dieser Richtlinie festgesetzten Schwellenwerte nicht unterschreitet, durch öffentliche Auftraggeber. Nach Art. 7 dieser Richtlinie gilt diese u. a. nicht für öffentliche Aufträge, die von öffentlichen Auftraggebern, die eine oder mehrere Tätigkeiten gemäß den Art. 8 bis 14 der genannten Richtlinie ausüben, vergeben oder durchgeführt werden und der Durchführung dieser Tätigkeiten dienen. Somit erstreckt sich der sachliche Anwendungsbereich der Richtlinie 2014/24 insbesondere nicht auf öffentliche Aufträge im Bereich der Verkehrsleistungen im Sinne von Art. 11 der Richtlinie 2014/25(8). Dieser Art. 11 („Verkehrsleistungen“) bestimmt nämlich in seinem Abs. 1, dass unter diese Richtlinie die Bereitstellung oder das Betreiben von Netzen zur Versorgung der Allgemeinheit mit Verkehrsleistungen u. a. per Eisenbahn fallen. Zudem gilt nach Abs. 2 des genannten Art. 11 ein Netz als vorhanden, wenn die Verkehrsleistung gemäß den von einer zuständigen Behörde eines Mitgliedstaats festgelegten Bedingungen erbracht wird; dazu gehören die Festlegung der Strecken, die Transportkapazitäten und die Fahrpläne.

48.      In der vorliegenden Rechtssache lässt sich anhand der dem Gerichtshof vorliegenden Akte allerdings weder abschließend bestimmen, ob der in Rede stehende öffentliche Auftraggeber trotz seiner Bezeichnung selbst Verkehrsleistungen im Sinne von Art. 11 der Richtlinie 2014/25 erbringt(9), noch, ob die elektrischen Triebwagenzüge, die Gegenstand des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Auftrags sind, im Rahmen eines Netzes im Sinne dieser Vorschrift betrieben werden(10). Es wird daher Sache des für die Beurteilung des Sachverhalts allein zuständigen vorlegenden Gerichts sein, diese Aspekte zu prüfen und festzustellen, ob der in Rede stehende Auftrag unter die Richtlinie 2014/24 oder unter die Richtlinie 2014/25 fällt.

49.      Allerdings ist festzustellen, dass Art. 25 der Richtlinie 2014/24, zu dem der Gerichtshof befragt wird, einen dem Wortlaut von Art. 43 der Richtlinie 2014/25 entsprechenden Wortlaut hat und im Wesentlichen auf dieselben Übereinkommen verweist(11). Daher sollte die fehlende exakte Ermittlung der im Ausgangsverfahren anwendbaren Richtlinie den Gerichtshof nicht an der Beantwortung der Vorlagefragen hindern, da die Auslegung von Art. 25 der Richtlinie 2014/24 unmittelbar auf Art. 43 der Richtlinie 2014/25 übertragbar ist(12).

2.      Zur zeitlichen Anwendbarkeit

50.      Nach ständiger Rechtsprechung ist grundsätzlich diejenige Richtlinie anwendbar, die zu dem Zeitpunkt gilt, zu dem der öffentliche Auftraggeber die Art des Verfahrens auswählt und endgültig entscheidet, ob die Verpflichtung zu einem vorherigen Aufruf zum Wettbewerb für die Vergabe eines öffentlichen Auftrags besteht(13).

51.      Insoweit weise ich darauf hin, dass die Richtlinie 2004/18 mit Wirkung vom 18. April 2016 durch die Richtlinie 2014/24 aufgehoben wurde. Art. 90 der Richtlinie 2014/24 bestimmt, dass die Mitgliedstaaten die Rechts- und Verwaltungsvorschriften in Kraft setzen müssen, die erforderlich sind, um dieser Richtlinie bis zum 18. April 2016 nachzukommen, dies vorbehaltlich bestimmter Ausnahmen(14), die im vorliegenden Fall nicht relevant sind.

52.      In der vorliegenden Rechtssache erfolgte die Veröffentlichung der Ausschreibung am 3. April 2020, fast vier Jahre nach der Aufhebung der Richtlinie 2004/18 und dem Ablauf der Frist für die Umsetzung der Richtlinie 2014/24. Daher war für die Unionsrechtsordnung die Richtlinie 2014/24 diejenige Richtlinie, die zu dem Zeitpunkt galt, zu dem der öffentliche Auftraggeber die Art des Verfahrens auswählte.

53.      Diese Schlussfolgerung kann nicht dadurch in Frage gestellt werden, dass die OUG Nr. 25/2021, mit der Art. 25 der Richtlinie 2014/24 in rumänisches Recht umgesetzt wurde, erst am 5. April 2021 in Kraft getreten ist, also nach Veröffentlichung der Ausschreibung am 3. April 2020 und fast fünf Jahre nach Ablauf der Frist für die Umsetzung der Richtlinie 2014/24.

54.      Erstens ergibt sich nämlich aus der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs zur Anwendung der Richtlinie 2014/24, dass die Bestimmungen dieser Richtlinie in der Zeit nach der Umsetzungsfrist gelten, und zwar auch vor dem Zeitpunkt, zu dem sie tatsächlich umgesetzt wurde(15). Im Übrigen hat der Gerichtshof jüngst entschieden, dass der Ausschluss eines Angebots von einem Verfahren zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags, bevor die Frist für die Umsetzung der maßgeblichen Richtlinie abgelaufen war und diese Richtlinie in das nationale Recht umgesetzt wurde, gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit verstoßen würde, wenn die Entscheidung, durch die gegen Unionsrecht verstoßen worden sein soll, vor diesem Zeitpunkt getroffen wurde(16). Im Umkehrschluss zu dieser Rechtsprechung kann festgestellt werden, dass die Richtlinie 2014/24 nur gilt, wenn sie zumindest zum Zeitpunkt des Ausschlusses in nationales Recht umgesetzt war. Dies war hier tatsächlich der Fall. Daher war die Richtlinie 2014/24 eindeutig anwendbar. Dies gilt auch in Bezug auf die Vorschriften zur Umsetzung der Richtlinie 2014/25(17).

55.      Zweitens ist darauf hinzuweisen, dass eine Richtlinie zwar nach ständiger Rechtsprechung nicht selbst Verpflichtungen für einen Einzelnen begründen kann, so dass ihm gegenüber eine Berufung auf die Richtlinie als solche nicht möglich ist. Würde die Möglichkeit, sich auf eine Bestimmung einer nicht oder unrichtig umgesetzten Richtlinie zu berufen, auf den Bereich der Beziehungen zwischen Privaten ausgedehnt, liefe das nämlich darauf hinaus, der Union die Befugnis zuzuerkennen, mit unmittelbarer Wirkung zulasten der Einzelnen Verpflichtungen anzuordnen, obwohl sie dies nur dort darf, wo ihr die Befugnis zum Erlass von Verordnungen zugewiesen ist(18). Dies ist hier jedoch nicht der Fall.

56.      Zum einen kann der Einzelne, wenn er sich nicht einem Privaten, sondern dem Staat gegenüber auf eine nicht fristgerecht umgesetzte Richtlinie berufen kann, dies unabhängig davon tun, in welcher Eigenschaft der Staat handelt. Es muss nämlich verhindert werden, dass der Staat aus der Nichtbeachtung des Unionsrechts Nutzen ziehen kann. Somit können die unmittelbar anwendbaren Bestimmungen einer Richtlinie nicht nur einer öffentlichen Einrichtung, sondern auch einer Einrichtung, die unabhängig von ihrer Rechtsform kraft staatlichen Rechtsakts unter staatlicher Aufsicht eine Dienstleistung im öffentlichen Interesse zu erbringen hat und die hierzu mit besonderen Rechten ausgestattet ist, die über die für die Beziehungen zwischen Privatpersonen geltenden Vorschriften hinausgehen, entgegengehalten werden(19).

57.      Im vorliegenden Fall scheint das Vorabentscheidungsersuchen die Feststellung zu erlauben, dass die ARF als öffentliche Einrichtung gehandelt hat, die die von der Richtlinie 2014/24 geforderten Voraussetzungen erfüllt, was ihre Einstufung als „öffentlichen Auftraggeber“ im Sinne von Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2014/24 anbelangt, was zu überprüfen jedoch Sache des vorlegenden Gerichts ist(20). Wird dies bestätigt, hätten der ARF die Bestimmungen der Richtlinie 2014/24 einschließlich der Vorschriften über deren Anwendungsbereich (die oben analysiert worden sind) entgegengehalten werden können. Daher hätten sich die Wirtschaftsteilnehmer, die an dem im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Vergabeverfahren teilgenommen haben und in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2014/24 fallen, nach Ablauf der Frist für deren Umsetzung jedenfalls auf die Anwendung dieser Richtlinie berufen können, unabhängig davon, dass sie erst verspätet in rumänisches Recht umgesetzt wurde.

58.      Zum anderen ist auch darauf hinzuweisen, dass das nationale Gericht verpflichtet ist, das innerstaatliche Recht ab Ablauf der Umsetzungsfrist einer nicht umgesetzten Richtlinie in der Weise auszulegen, dass der in Rede stehende Sachverhalt unmittelbar mit den Bestimmungen dieser Richtlinie vereinbar wird, ohne jedoch eine Auslegung contra legem des nationalen Rechts vorzunehmen(21). In der vorliegenden Rechtssache kann aber keine Gefahr einer solchen Auslegung contra legem bestehen, da die OUG Nr. 25/2021, mit der die Richtlinie 2014/24 umgesetzt wurde, zum Zeitpunkt der Klageerhebung, d. h. am 11. November 2021, bereits in Kraft war(22).

3.      Zur persönlichen Anwendbarkeit

59.      Um sich auf die in den Vorlagefragen genannten Grundsätze des Unionsrechts berufen zu können, muss das Konsortium zwingend in den persönlichen Anwendungsbereich der Richtlinie 2014/24 fallen. Andernfalls müsste nämlich der Schluss gezogen werden, dass das Konsortium aus dieser Richtlinie im Rahmen des Ausgangsrechtsstreits keine Ansprüche ableiten kann. Da das Unionsrecht auf das Konsortium nicht anwendbar wäre, könnte es sich auch nicht auf die allgemeinen Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes, wie sie im Unionsrecht gewährleistet sind, stützen.

60.      Hierzu weise ich darauf hin, dass es sich bei CRRC Qingdao Sifang, der Holdinggesellschaft des Konsortiums, um eine Gesellschaft mit Sitz in der Volksrepublik China, die nicht Unterzeichnerin der in Art. 25 der Richtlinie 2014/24 genannten Übereinkommen ist, handelt. Für die Beantwortung der Vorlagefragen ist somit zunächst zu ermitteln, ob eine in diesem Land ansässige Gesellschaft in den persönlichen Anwendungsbereich dieser Richtlinie fällt(23).

61.      Insoweit ist Art. 1 („Gegenstand und Anwendungsbereich“) der Richtlinie 2014/24 zu prüfen, der lediglich darauf hinweist, dass mit dieser Richtlinie „Regeln für die Verfahren öffentlicher Auftraggeber bei der Vergabe öffentlicher Aufträge … festgelegt [werden]“ , und den Begriff „Auftragsvergabe“ im Sinne dieser Richtlinie als „im Wege eines öffentlichen Auftrags erfolgende[r] Erwerb von Bauleistungen, Lieferungen oder Dienstleistungen durch einen oder mehrere öffentliche Auftraggeber von Wirtschaftsteilnehmern, die von diesen öffentlichen Auftraggebern ausgewählt werden“, beschreibt(24). Der Anwendungsbereich der genannten Richtlinie hängt daher teilweise von der Definition des Begriffs „Wirtschaftsteilnehmer“ ab. Nach Art. 2 Abs. 1 Nr. 10 dieser Richtlinie ist unter diesem Begriff aber „eine natürliche oder juristische Person oder öffentliche Einrichtung oder eine Gruppe solcher Personen und/oder Einrichtungen, einschließlich jedes vorübergehenden Zusammenschlusses von Unternehmen, die beziehungsweise der auf dem Markt die Ausführung von Bauleistungen, die Errichtung von Bauwerken, die Lieferung von Waren beziehungsweise die Erbringung von Dienstleistungen anbietet“, zu verstehen.

62.      Auf der Grundlage dieser Definition, die in Drittländern ansässige natürliche oder juristische Personen nicht förmlich vom Begriff „Wirtschaftsteilnehmer“ ausschließt, könnte behauptet werden, dass grundsätzlich jeder Wirtschaftsteilnehmer eines Drittlands in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2014/24 fällt. Eben diese These vertritt das Konsortium, um sich auf die Anwendbarkeit des Unionsrechts und der Verfahrensrechte ihm gegenüber berufen zu können.

63.      Ich kann mich dieser Position jedoch nicht anschließen. Ebenso wie die ARF, die österreichische Regierung und die Kommission vertrete ich die Auffassung, dass Wirtschaftsteilnehmer mit Sitz in Drittländern grundsätzlich nicht unter die Richtlinie 2014/24 fallen, mit Ausnahme derjenigen, die in Drittländern ansässig sind, die Unterzeichner der in Art. 25 dieser Richtlinie genannten Übereinkommen sind. Diese Vorschrift ist daher auszulegen.

64.      Nach ständiger Rechtsprechung sind bei der Auslegung einer Vorschrift des Unionsrechts nicht nur ihr Wortlaut, sondern auch die Ziele, die mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgt werden, und die Entstehungsgeschichte dieser Regelung zu berücksichtigen (25).

a)      Wörtliche Auslegung

65.      Was erstens den Wortlaut von Art. 25 der Richtlinie 2014/24(26) anbelangt, so sieht diese Vorschrift vor, dass auf Wirtschaftsteilnehmer aus Drittländern, die Übereinkommen unterzeichnet haben, die Zugang zu Vergabeverfahren in der Union gewähren, „keine ungünstigeren“ Bedingungen angewandt werden dürfen als auf Wirtschaftsteilnehmer aus den Mitgliedstaaten. Mit anderen Worten haben nur Unternehmen aus Drittländern, mit denen die Union verbindliche internationale Übereinkommen oder bilaterale Freihandelsabkommen geschlossen hat, die sich auf öffentliche Aufträge erstrecken, einen privilegierten Zugang zu Vergabeverfahren in der Union. Im Umkehrschluss müsste daraus abgeleitet werden, dass die Mitgliedstaaten die Möglichkeit haben, auf Wirtschaftsteilnehmer aus Drittländern, die solche Übereinkommen nicht unterzeichnet haben, ungünstigere Bedingungen anzuwenden, und dass daher Unternehmen aus Drittländern, die nicht Parteien eines Übereinkommens in diesem Bereich sind, keinen privilegierten Zugang zu Vergabeverfahren in der Union beanspruchen können. Jede andere Auslegung würde die Unterscheidung zwischen Unterzeichnerstaaten und Nicht-Unterzeichnerstaaten bedeutungslos machen.

66.      Der Grundsatz der Gleichbehandlung der Wirtschaftsteilnehmer ist aber das Herzstück der Vergaberichtlinien, um das sich fast alle ihre Vorschriften drehen. Wenn also ein öffentlicher Auftraggeber eines Mitgliedstaats die Möglichkeit hat, auf einen Wirtschaftsteilnehmer eines Drittlands ungünstigere Bedingungen anzuwenden, indem er beispielsweise dessen Angebot ausschließt, um das Angebot eines nationalen Unternehmens zu begünstigen, lässt sich meines Erachtens kaum die Auffassung vertreten, dass solche Wirtschaftsteilnehmer gewissermaßen pro forma noch in den Anwendungsbereich der Richtlinien 2014/24 und 2014/25 fallen. Mit anderen Worten scheint mir die Möglichkeit der Mitgliedstaaten, auf Wirtschaftsteilnehmer aus bestimmten Drittländern ungünstigere Bedingungen anzuwenden, darauf hinzudeuten, dass Letztere nicht in den Anwendungsbereich der Vergaberichtlinien fallen können.

67.      Diese wörtliche Auslegung wird im Übrigen durch den zehnten Erwägungsgrund der IPI-Verordnung(27) gestützt, die zwar später erlassen wurde als die Richtlinien 2014/24 und 2014/25 und zeitlich nicht auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbar ist, aber ausdrücklich vorsieht, dass „Wirtschaftsteilnehmer aus Drittländern, die über keine Vereinbarung über die Öffnung des Beschaffungsmarkts der Union verfügen oder deren Waren, Dienstleistungen und Bauleistungen nicht unter ein solches Abkommen fallen, keinen gesicherten Zugang zu den Beschaffungsverfahren in der Union [haben] und … ausgeschlossen werden [können]“.

b)      Systematische Auslegung

68.      Zweitens wird diese Auslegung durch die Systematik der einschlägigen Vorschriften untermauert.

69.      Insoweit ist zunächst darauf hinzuweisen, dass die Rechtsgrundlage der Richtlinie 2014/24 Art. 53 Abs. 1 sowie die Art. 62 und 114 AEUV sind. Diese Vorschriften betreffen jeweils das Niederlassungsrecht, die Dienstleistungsfreiheit und den Erlass von Maßnahmen zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten, die die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarkts zum Gegenstand haben. Nach ständiger Rechtsprechung sind die oben genannten Freiheiten jedoch auf Dienstleistungen und Gesellschaften aus Drittländern nicht anwendbar(28). Daher könnte aus der Rechtsgrundlage der Richtlinie 2014/24 abgeleitet werden, dass Letztere – außer im Rahmen der in ihrem Art. 25 vorgesehenen Ausnahme – auf Wirtschaftsteilnehmer aus Drittländern nicht anwendbar ist.

70.      Sodann gehen Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 1(29) und Art. 58 Abs. 2 Unterabs. 1(30) dieser Richtlinie von dem Postulat aus, das die „Wirtschaftsteilnehmer“ im Sinne dieser Richtlinie in einem Mitgliedstaat niedergelassen sind.

71.      Schließlich erklärt meiner Ansicht nach gerade der Umstand, dass die Richtlinie 2014/24 auf Wirtschaftsteilnehmer aus Drittländern grundsätzlich nicht anwendbar ist, die Notwendigkeit, die Vorschrift von Art. 25 in diese Richtlinie aufzunehmen, um das Unionsrecht über das öffentliche Auftragswesen an die von der Union im Rahmen internationaler Übereinkommen eingegangenen Verpflichtungen anzupassen.

c)      Teleologische Auslegung

72.      Drittens scheint die Ausschlussthese auch durch die teleologische Auslegung von Art. 25 der Richtlinie 2014/24 bestätigt zu werden. Aus den Erwägungsgründen 17 und 98 dieser Richtlinie sowie aus der Mitteilung der Kommission vom 24. Juli 2019(31) geht nämlich hervor, dass dieser Ausschluss die von der Union im Rahmen der gemeinsamen Handelspolitik und insbesondere in ihren Beziehungen mit der Volksrepublik China entwickelte Strategie der Gegenseitigkeit widerspiegelt. In dieser Mitteilung wird nämlich ausdrücklich darauf hingewiesen, dass über die in Art. 25 der Richtlinie 2014/24 (und in Art. 43 der Richtlinie 2014/25) festgelegte Verpflichtung hinaus Wirtschaftsteilnehmern aus Drittländern kein Zugang zu Vergabeverfahren in der Union zugestanden wird und dass sie „ausgeschlossen“ werden dürfen.

73.      Diese Strategie der Gegenseitigkeit besteht konkret darin, einen Zugang von Unternehmen aus der Union zu Vergabeverfahren in Drittländern im Gegenzug zu einem Zugang von Unternehmen dieser Länder zu Vergabeverfahren in der Union auszuhandeln(32). Es ist jedoch offensichtlich, dass diese Strategie in der Praxis unmöglich umzusetzen wäre, wenn die Vergaberichtlinien dahin auszulegen wären, dass Wirtschaftsteilnehmer aus allen Drittländern ein wirksames Recht auf Teilnahme an öffentlichen Vergabeverfahren der Union haben.

74.      In Anbetracht der vorstehenden Erwägungen bin ich der Ansicht, dass Wirtschaftsteilnehmer aus Drittstaaten, die wie die Volksrepublik China kein Übereinkommen im Sinne von Art. 25 der Richtlinie 2014/24 und Art. 43 der Richtlinie 2014/25 unterzeichnet haben, nicht in den persönlichen Anwendungsbereich dieser Richtlinien fallen und nicht die in diesen Richtlinien vorgesehenen Rechte genießen. Sie können sich daher nicht mit Erfolg auf einen Verstoß gegen die im Unionsrecht vorgesehenen Grundsätze der Gleichheit, der Nichtdiskriminierung, der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes berufen. Die einzige Möglichkeit, dass sich ein solcher Wirtschaftsteilnehmer auf diese Rechte aus dieser Richtlinie berufen kann, besteht darin, geltend zu machen, dass der öffentliche Auftraggeber eines Mitgliedstaats fälschlich davon ausgegangen sei, dass dieser Drittstaat nicht Unterzeichner eines der Übereinkommen im Sinne von Art. 25 der Richtlinie sei oder dass das betreffende Vergabeverfahren nicht unter das einschlägige Übereinkommen falle, was hier jedoch offensichtlich nicht der Fall ist. Da festgestellt worden ist, dass die Richtlinie im vorliegenden Fall nicht anwendbar ist, sind die beiden Fragen, die ihre Anwendbarkeit voraussetzen, jedenfalls nicht zu beantworten.

75.      Ergänzend ist schließlich darauf hinzuweisen, dass jeglicher Anspruch seitens des Konsortiums gegenüber der ARF hinsichtlich u. a. der Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes aufgrund des Verhaltens der ARF auf das nationale Recht gestützt werden müsste.

V.      Ergebnis

76.      Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, die zur Vorabentscheidung vorgelegten Fragen der Curtea de Apel București (Berufungsgericht Bukarest, Rumänien) wie folgt zu beantworten:

Art. 2 Abs. 1 Nr. 10, Art. 18 Abs. 1, Art. 25 und Art. 49 der Richtlinie 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die öffentliche Auftragsvergabe und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/18/EG in der durch die Delegierte Verordnung (EU) 2019/1828 der Kommission vom 30. Oktober 2019 geänderten Fassung

sind dahin auszulegen, dass

Wirtschaftsteilnehmer aus Drittländern, die nicht Unterzeichner von Übereinkommen im Sinne von Art. 25 dieser Richtlinie sind, nicht die in dieser Richtlinie vorgesehenen Rechte genießen und sich daher nicht mit Erfolg auf einen Verstoß gegen die im Unionsrecht vorgesehenen Grundsätze der Gleichheit, der Nichtdiskriminierung, der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes berufen können.




































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