C-264/22 – Fonds de Garantie des Victimes des Actes de Terrorisme und d’Autres Infractions

C-264/22 – Fonds de Garantie des Victimes des Actes de Terrorisme und d’Autres Infractions

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Language of document : ECLI:EU:C:2023:417

Vorläufige Fassung

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Neunte Kammer)

17. Mai 2023(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen – Auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendendes Recht – Verordnung (EG) Nr. 864/2007 – Art. 4 Abs. 1 – Art. 15 Buchst. h – Art. 19 – Durch ein Boot in einem Mitgliedstaat verursachter Unfall – Entschädigung des Opfers dieses Unfalls – Gesetzlicher Forderungsübergang nach dem Recht eines anderen Mitgliedstaats – Erstattungsantrag des Dritten, auf den die Forderung übergegangen ist – Anzuwendendes Recht – Verjährung“

In der Rechtssache C‑264/22

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Tribunal da Relação de Lisboa (Berufungsgericht Lissabon, Portugal) mit Entscheidung vom 5. April 2022, beim Gerichtshof eingegangen am 20. April 2022, in dem Verfahren

Fonds de Garantie des Victimes des Actes de Terrorisme et d’Autres Infractions (FGTI)  

gegen

Victoria Seguros SA

erlässt

DER GERICHTSHOF (Neunte Kammer)

unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin L. S. Rossi, des Richters J.‑C. Bonichot und der Richterin O. Spineanu-Matei (Berichterstatterin),

Generalanwalt: J. Richard de la Tour,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        des Fonds de Garantie des Victimes des Actes de Terrorisme et d’Autres Infractions (FGTI), vertreten durch L. Franco e Abreu, Advogado,

–        der Victoria Seguros SA, vertreten durch J. Serrano Santos, Advogado,

–        der portugiesischen Regierung, vertreten durch P. Barros da Costa, S. Duarte Afonso, A. Pimenta und J. Ramos als Bevollmächtigte,

–        der tschechischen Regierung, vertreten durch A. Edelmannová, M. Smolek und J. Vláčil als Bevollmächtigte,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch I. Melo Sampaio und W. Wils als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 4 Abs. 1, Art. 15 Buchst. h und Art. 19 der Verordnung (EG) Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom II“) (ABl. 2007, S. 199, S. 40).

2        Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem Fonds de garantie des victimes des actes de terrorisme et d’autres infractions (FGTI) und der Victoria Seguros SA, einer Versicherungsgesellschaft, über die Erstattung der Entschädigung, die dieser Fonds dem Opfer eines Unfalls, der sich in Portugal ereignete, geleistet hat.

 Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

3        In den Erwägungsgründen 6, 14 und 16 der Verordnung Nr. 864/2007 heißt es:

„(6)      Um den Ausgang von Rechtsstreitigkeiten vorhersehbarer zu machen und die Sicherheit in Bezug auf das anzuwendende Recht sowie den freien Verkehr gerichtlicher Entscheidungen zu fördern, müssen die in den Mitgliedstaaten geltenden Kollisionsnormen im Interesse eines reibungslos funktionierenden Binnenmarkts unabhängig von dem Staat, in dem sich das Gericht befindet, bei dem der Anspruch geltend gemacht wird, dieselben Verweisungen zur Bestimmung des anzuwendenden Rechts vorsehen.

(14)      Das Erfordernis der Rechtssicherheit und die Notwendigkeit, in jedem Einzelfall Recht zu sprechen, sind wesentliche Anforderungen an einen Rechtsraum. Diese Verordnung bestimmt die Anknüpfungskriterien, die zur Erreichung dieser Ziele am besten geeignet sind. …

(16)      Einheitliche Bestimmungen sollten die Vorhersehbarkeit gerichtlicher Entscheidungen verbessern und einen angemessenen Interessenausgleich zwischen Personen, deren Haftung geltend gemacht wird, und Geschädigten gewährleisten. Die Anknüpfung an den Staat, in dem der Schaden selbst eingetreten ist (lex loci damni), schafft einen gerechten Ausgleich zwischen den Interessen der Person, deren Haftung geltend gemacht wird, und der Person, die geschädigt wurde, und entspricht der modernen Konzeption der zivilrechtlichen Haftung und der Entwicklung der Gefährdungshaftung.“

4        Art. 4 („Allgemeine Kollisionsnorm“) Abs. 1 der Verordnung bestimmt:

„Soweit in dieser Verordnung nichts anderes vorgesehen ist, ist auf ein außervertragliches Schuldverhältnis aus unerlaubter Handlung das Recht des Staates anzuwenden, in dem der Schaden eintritt, unabhängig davon, in welchem Staat das schadensbegründende Ereignis oder indirekte Schadensfolgen eingetreten sind.“

5        Art. 15 („Geltungsbereich des anzuwendenden Rechts“) der Verordnung sieht vor:

„Das nach dieser Verordnung auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht ist insbesondere maßgebend für

h)      die Bedingungen für das Erlöschen von Verpflichtungen und die Vorschriften über die Verjährung und die Rechtsverluste, einschließlich der Vorschriften über den Beginn, die Unterbrechung und die Hemmung der Verjährungsfristen und der Fristen für den Rechtsverlust.“

6        In Art. 19 („Gesetzlicher Forderungsübergang“) der Verordnung heißt es:

„Hat eine Person (‚der Gläubiger‘) aufgrund eines außervertraglichen Schuldverhältnisses eine Forderung gegen eine andere Person (‚den Schuldner‘) und hat ein Dritter die Verpflichtung, den Gläubiger zu befriedigen, oder befriedigt er den Gläubiger aufgrund dieser Verpflichtung, so bestimmt das für die Verpflichtung des Dritten gegenüber dem Gläubiger maßgebende Recht, ob und in welchem Umfang der Dritte die Forderung des Gläubigers gegen den Schuldner nach dem für deren Beziehungen maßgebenden Recht geltend zu machen berechtigt ist.“

 Portugiesisches Recht

7        Gemäß Art. 45 Abs. 1 des Código Civil (Zivilgesetzbuch) ist, wenn sich ein Unfall oder eine unerlaubte Handlung auf portugiesischem Hoheitsgebiet ereignet hat, das portugiesische Recht das auf die außervertragliche Haftung aus diesem Unfall oder dieser Handlung anzuwendende Recht.

8        Art. 498 Abs. 1 des Zivilgesetzbuchs sieht vor, dass die Verjährungsfrist für den Schadensersatzanspruch drei Jahre ab dem Zeitpunkt der unerlaubten Handlung beträgt. Stellt die unerlaubte Handlung eine Straftat dar, für die gesetzlich eine längere Verjährungsfrist vorgesehen ist, so findet gemäß Art. 498 Abs. 3 des Zivilgesetzbuchs diese Frist Anwendung.

 Ausgangsverfahren und Vorlagefrage

9        Am 4. August 2010 wurde ein französischer Staatsangehöriger beim Baden und Tauchen vor dem Strand von Alvor (Portugal) von der Schiffsschraube eines in Portugal registrierten Bootes erfasst. Als Folge dieses Unfalls erlitt der Geschädigte schwere Körperverletzungen und wurde in Portugal und Frankreich im Krankenhaus behandelt und mehrfach operiert.

10      Im Rahmen des Antrags auf Entschädigung, den der Geschädigte vor dem Tribunal de grande instance de Lyon (Großinstanzgericht Lyon, Frankreich) gegen den FGTI gestellt hatte, einigten sich die Parteien darauf, den Betrag der als Ersatz des durch den genannten Unfall erlittenen Schadens geschuldeten Entschädigung auf 229 480,73 Euro festzulegen. Am 20. März 2014 billigte dieses Gericht die so getroffene Vereinbarung, aufgrund derer der FGTI am 7. April 2014 die letzte Zahlung an den Geschädigten leistete.

11      Ende November 2016 verklagte der FGTI Victoria Seguros, die Versicherungsgesellschaft des mutmaßlichen Unfallverursachers, vor den portugiesischen Gerichten, um von dieser Gesellschaft den Betrag erstattet zu bekommen, den der FGTI an das Unfallopfer gezahlt hatte.

12      Das erstinstanzliche Gericht, das Tribunal Marítimo de Lisboa (Seegericht Lissabon, Portugal), wies die Klage des FGTI mit der Begründung ab, dass dessen Anspruch angesichts des Ablaufs der im anzuwendenden portugiesischen Recht vorgesehenen Dreijahresfrist verjährt sei.

13      Der FGTI legte gegen diese klageabweisende Entscheidung beim vorlegenden Gericht, dem Tribunal da Relação de Lisboa (Berufungsgericht Lissabon, Portugal), Berufung ein und machte geltend, dass gemäß Art. 19 der Verordnung Nr. 864/2007 nicht die Verjährungsfrist nach portugiesischem Recht, sondern die Verjährungsfrist nach französischem Recht anzuwenden sei. Zu dem Zeitpunkt, zu dem er seinen Anspruch vor den portugiesischen Gerichten geltend gemacht habe, sei diese Frist jedoch noch nicht abgelaufen gewesen. Im Fall eines gesetzlichen Forderungsübergangs sehe das französische Recht nämlich eine Verjährungsfrist von zehn Jahren ab der betreffenden gerichtlichen Entscheidung vor, die im vorliegenden Fall im März 2014 ergangen sei. Hilfsweise trägt der FGTI vor, dass selbst unter der Annahme, dass das portugiesische Recht anzuwenden sei, auch die dort vorgesehene dreijährige Verjährungsfrist zum genannten Zeitpunkt noch nicht abgelaufen gewesen wäre, da sie erst mit der letzten Zahlung an das Opfer zu laufen beginne, d. h. im vorliegenden Fall am 7. April 2014, und er die Klage im November 2016 eingereicht habe.

14      Victoria Seguros beruft sich auf die Anwendbarkeit des portugiesischen Rechts, nach dem der Anspruch gemäß den im portugiesischen Zivilgesetzbuch vorgesehenen Regeln verjährt sei.

15      Unter diesen Umständen hat das Tribunal da Relação de Lisboa (Berufungsgericht Lissabon) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Ist in Bezug auf die Vorschriften über die Verjährung von Schadensersatzansprüchen gemäß Art. 4 Abs. 1 und Art. 15 Buchst. h der Verordnung Nr. 864/2007 das Recht des Unfallorts (portugiesisches Recht) anzuwenden, oder ist bei einem gesetzlichen Übergang der Forderung des Geschädigten gemäß Art. 19 der Verordnung das „Recht des Dritten“, auf den die Forderung übergegangen ist (französisches Recht), anzuwenden?

 Zur Vorlagefrage

16      Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 4 Abs. 1, Art. 15 Buchst. h und Art. 19 der Verordnung Nr. 864/2007 dahin auszulegen sind, dass das Recht, das für den Anspruch eines Dritten, auf den die Forderung des Geschädigten gegen den Schadensverursacher übergegangen ist, und insbesondere für die Vorschriften über die Verjährung dieses Anspruchs maßgebend ist, das Recht des Staates ist, in dem der Schaden eintritt.

17      Nach ständiger Rechtsprechung sind bei der Auslegung einer Unionsvorschrift nicht nur ihr Wortlaut, sondern auch ihr Zusammenhang und die Ziele zu berücksichtigen, die mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgt werden (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 7. April 2022, Berlin Chemie A. Menarini, C‑333/20, EU:C:2022:291, Rn. 34, und vom 20. Juni 2022, London Steam-Ship Owners’ Mutual Insurance Association, C‑700/20, EU:C:2022:488, Rn. 55).

18      Insoweit ist als Erstes darauf hinzuweisen, dass Art. 4 Abs. 1 der Verordnung Nr. 864/2007 bestimmt, dass, „[s]oweit in dieser Verordnung nichts anderes vorgesehen ist, … auf ein außervertragliches Schuldverhältnis aus unerlaubter Handlung das Recht des Staates anzuwenden [ist], in dem der Schaden eintritt“. Daraus folgt, dass das auf den Anspruch des Geschädigten gegen den Schadensverursacher anzuwendende Recht, sofern in der genannten Verordnung nichts anderes bestimmt ist, das Recht des Staates ist, in dem der Schaden eintritt.

19      Ferner heißt es in Art. 15 Buchst. h der Verordnung Nr. 864/2007, dass „[d]as nach dieser Verordnung auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht … insbesondere maßgebend [ist] für … die Bedingungen für das Erlöschen von Verpflichtungen und die Vorschriften über die Verjährung und die Rechtsverluste“.

20      Somit ergibt sich erstens aus Art. 4 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 15 Buchst. h der genannten Verordnung, dass, soweit in dieser Verordnung nichts anderes vorgesehen ist, das Recht, das für den Anspruch eines Geschädigten gegen den Schadensverursacher und insbesondere für die Vorschriften über die Verjährung dieses Anspruchs maßgebend ist, das Recht des Staates ist, in dem der Schaden eintritt.

21      Zweitens bestimmt Art. 19 („Gesetzlicher Forderungsübergang“) dieser Verordnung in Bezug auf die Verpflichtung eines Dritten, den Geschädigten zu befriedigen, dass „das für die Verpflichtung des Dritten gegenüber dem Gläubiger maßgebende Recht [bestimmt], ob und in welchem Umfang der Dritte die Forderung des Gläubigers gegen den Schuldner nach dem für deren Beziehungen maßgebenden Recht geltend zu machen berechtigt ist“. Diese Vorschrift unterscheidet somit zwischen dem Recht, das auf die Beziehungen zwischen dem Gläubiger, d. h. dem Geschädigten im Fall eines Schadens, und dem Dritten, auf den seine Forderung übergegangen ist, anzuwenden ist, einerseits und dem Recht, das für die Beziehungen zwischen dem Gläubiger und dem Schuldner, d. h. im Fall eines Schadens die Beziehungen zwischen dem Geschädigten und dem Schadensverursacher, maßgebend ist, andererseits.

22      Außerdem stellt der genannte Art. 19 klar, dass der Dritte, auf den die Forderung des Geschädigten übergegangen ist, diese nach dem für die Beziehungen zwischen dem Geschädigten und dem Schadensverursacher maßgebenden Recht geltend zu machen berechtigt ist. Daraus folgt, dass der Dritte, auf den die Forderung übergegangen ist, anstelle des Geschädigten den diesem zustehenden Anspruch nach diesem Recht gegen den Schadensverursacher geltend machen kann. Das bedeutet, dass das Recht, das auf den Anspruch des Dritten, auf den die Forderung übergegangen ist, gegen den Schadensverursacher anzuwenden ist, das Recht ist, das auf den Anspruch des Geschädigten gegen den Schadensverursacher anzuwenden ist.

23      Wie in Rn. 27 des vorliegenden Urteils ausgeführt, bestimmt sich das letztgenannte Recht aber nach den Art. 4 ff. der Verordnung Nr. 864/2007, die in deren Kapiteln II bis IV enthalten sind. Im Fall eines durch einen Unfall verursachten Schadens wie des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden ist das auf den Anspruch des Geschädigten gegen den Verursacher dieses Schadens anzuwendende Recht, wie in Rn. 18 des vorliegenden Urteils ausgeführt, nach der allgemeinen Regel von Art. 4 Abs. 1 dieser Verordnung grundsätzlich das Recht des Staates, in dem der Schaden eintritt.

24      Diese Auslegung wird außerdem durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs gestützt. So wurde in den Rn. 56 bis 59 des Urteils vom 21. Januar 2016, ERGO Insurance und Gjensidige Baltic (C‑359/14 und C‑475/14, EU:C:2016:40), im Kern festgestellt, dass in dem Fall, dass ein Dritter den Schaden des Unfallopfers aufgrund einer Verpflichtung gegenüber seinem Versicherten beglichen hat, Art. 19 der genannten Verordnung vorsieht, dass für die Frage eines möglichen gesetzlichen Übergangs der Forderung dieses Geschädigten sowie für die Voraussetzungen für die Geltendmachung dieses gesetzlichen Forderungsübergangs das auf die Verpflichtung des Dritten, den Geschädigten zu entschädigen, anzuwendende Recht maßgebend ist. Dagegen unterliegt das auf die Bestimmung der Personen, die für den Unfall haftbar gemacht werden können, anzuwendende Recht gemäß diesem Art. 19 weiterhin den Art. 4 ff. der genannten Verordnung. Daraus folgt, dass das Recht, das die Beziehungen zwischen dem Geschädigten und dem Schadensverursacher, d. h. dem Gläubiger und dem Schuldner im Sinne des genannten Art. 19, maßgebend ist, sich nach diesen Art. 4 ff. bestimmt.

25      Nach alledem ergibt sich aus Art. 4 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 15 Buchst. h und Art. 19 der Verordnung Nr. 864/2007, dass das Recht, das für den Anspruch eines Geschädigten gegen den Schadensverursacher maßgebend ist und insbesondere die Vorschriften über die Verjährung dieses Anspruchs bestimmt, bei dem es sich grundsätzlich um das Recht des Staates handelt, in dem der Schaden eintritt, auch das Recht ist, das für den Anspruch eines Dritten maßgebend ist, auf den die Forderung des Geschädigten gegen diesen Verursacher übergegangen ist.

26      Als Zweites ist festzustellen, dass die Auslegung, wonach Art. 19 der Verordnung Nr. 864/2007 nicht bezweckt, das Recht zu bestimmen, das auf die Verjährung des Anspruchs anzuwenden ist, den ein Dritter, auf den die Forderung übergegangen ist, gegen den Schuldner im Sinne dieser Vorschrift geltend machen kann, durch die allgemeine Systematik dieser Verordnung bestätigt wird.

27      In Kapitel V der Verordnung Nr. 864/2007, zu dem auch deren Art. 19 gehört, sind nämlich gemeinsame Vorschriften festgelegt, die auf Fälle anzuwenden sind, in denen das auf das betreffende außervertragliche Schuldverhältnis anzuwendende Recht als solches bereits bestimmt worden ist. Eine solche Bestimmung erfolgt nach den Vorschriften des Kapitels II („Unerlaubte Handlungen“), des Kapitels III („Ungerechtfertigte Bereicherung, Geschäftsführung ohne Auftrag und Verschulden bei Vertragsverhandlungen“) und des die freie Wahl des anzuwendenden Rechts betreffenden Kapitels IV dieser Verordnung.

28      Wie in den Rn. 20 und 23 des vorliegenden Urteils ausgeführt, ergibt sich aus den Vorschriften dieser Kapitel, dass das auf die Vorschriften über die Verjährung betreffend ein außervertragliches Schuldverhältnis aus unerlaubter Handlung anzuwendende Recht jedoch grundsätzlich nach der allgemeinen Regelung von Art. 4 Abs. 1 der Verordnung Nr. 864/2007 zu bestimmen ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 31. Januar 2019, Da Silva Martins, C‑149/18, EU:C:2019:84, Rn. 33), der als anzuwendendes Recht das Recht des Staates bestimmt, in dem der Schaden eintritt.

29      Als Drittes ist festzustellen, dass eine Auslegung von Art. 19 der Verordnung Nr. 864/2007, wonach, wenn der Dritte, auf den die Forderung übergegangen ist, den Anspruch gegen den Schuldner geltend macht, das Recht, das auf die Verpflichtung dieses Dritten, den Gläubiger zu befriedigen, anzuwenden ist, die Vorschriften über die Verjährung des Anspruchs bestimmt, dem mit dieser Verordnung verfolgten Ziel zuwiderlaufen würde.

30      Wie aus den Erwägungsgründen 6, 14 und 16 der genannten Verordnung hervorgeht, besteht dieses Ziel insbesondere darin, die Sicherheit in Bezug auf das anzuwendende Recht zu gewährleisten, unabhängig von dem Staat, in dem sich das Gericht befindet, bei dem der Anspruch geltend gemacht wird, sowie die Vorhersehbarkeit gerichtlicher Entscheidungen zu verbessern und einen angemessenen Interessenausgleich zwischen Personen, deren Haftung geltend gemacht wird, und Geschädigten zu gewährleisten. Eine solche Vorhersehbarkeit des anzuwendenden Rechts wäre jedoch gefährdet, wenn im Fall eines gesetzlichen Forderungsübergangs die Bedingungen für die Erfüllung sowie die Art und Weise des Erlöschens der außervertraglichen Verpflichtung des Schuldners gegenüber dem Geschädigten durch das Recht bestimmt würden, das auf die Verpflichtung des Dritten, den Geschädigten zu befriedigen, anzuwenden ist. Nach dieser Auslegung könnten nämlich das anzuwendende Recht und folglich diese Bedingungen für die Erfüllung und diese Art und Weise des Erlöschens unterschiedlich sein, je nachdem, ob ein gesetzlicher Forderungsübergang stattgefunden hat oder nicht.

31      Darüber hinaus würde eine solche Auslegung von Art. 19 der Verordnung Nr. 864/2007 auch dem Ziel, einen angemessenen Interessenausgleich zu gewährleisten, sowie, worauf die Kommission hingewiesen hat, dem Wesen des Mechanismus des gesetzlichen Forderungsübergangs zuwiderlaufen. Diese Auslegung hätte nämlich zur Folge, dass sich der Schadensverursacher, der Schuldner, weil er von dem Dritten, auf den die Forderung übergegangen ist, und nicht vom Geschädigten, dem Gläubiger, verklagt wird, in einer anderen, gegebenenfalls weniger günstigen Lage befände als derjenigen, in der er sich befunden hätte, wenn dieser Gläubiger seine Forderung persönlich und unmittelbar gegen ihn geltend gemacht hätte. Da der gesetzliche Forderungsübergang grundsätzlich nur bezweckt, dem Dritten, auf den die Forderung übergegangen ist, die Geltendmachung der Forderung des Gläubigers zu ermöglichen, sollte die Anwendung dieses Mechanismus aber keine Auswirkungen auf die Rechtsstellung des Schuldners haben. Dieser sollte nämlich gegenüber dem Dritten, auf den die Forderung übergegangen ist, alle Verteidigungsmittel geltend machen können, die ihm gegen den Geschädigten zur Verfügung gestanden hätten, insbesondere diejenigen, die sich auf die Anwendung der Verjährungsvorschriften beziehen.

32      Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 4 Abs. 1, Art. 15 Buchst. h und Art. 19 der Verordnung Nr. 864/2007 dahin auszulegen sind, dass das Recht, das für den Anspruch eines Dritten, auf den die Forderung des Geschädigten gegen den Schadensverursacher übergegangen ist, und insbesondere für die Vorschriften über die Verjährung dieses Anspruchs maßgebend ist, grundsätzlich das Recht des Staates ist, in dem der Schaden eintritt.

 Kosten

33      Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Neunte Kammer) für Recht erkannt:

Art. 4 Abs. 1, Art. 15 Buchst. h und Art. 19 der Verordnung (EG) Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom II“)

sind dahin auszulegen, dass

das Recht, das für den Anspruch eines Dritten, auf den die Forderung des Geschädigten gegen den Schadensverursacher übergegangen ist, und insbesondere für die Vorschriften über die Verjährung dieses Anspruchs maßgebend ist, grundsätzlich das Recht des Staates ist, in dem der Schaden eintritt.

Unterschriften



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