C-226/22 – Nexive Commerce u.a.

C-226/22 – Nexive Commerce u.a.

CURIA – Documents

Language of document : ECLI:EU:C:2023:251

Vorläufige Fassung

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

MANUEL CAMPOS SÁNCHEZ-BORDONA

vom 23. März 2023(1)

Rechtssache C226/22

Nexive Commerce Srl,

Nexive Scarl,

Nexive Services Srl,

Nexive Network Srl,

Nexive SpA,

BRT SpA,

A.I.C.A.I. Associazione Italiana Corrieri Aerei Internazionali,

DHL Express (Italy) Srl,

TNT Global Express Srl,

Federal Express Europe Inc. Filiale Italiana,

United Parcel Service Italia Srl,

General Logistics Systems Enterprise Srl,

General Logistics Systems Italy SpA,

Fedex Express Italy Srl

gegen

Autorità per le Garanzie nelle Comunicazioni,

Presidenza del Consiglio dei ministri,

Ministero dell’Economia e delle Finanze,

Ministero dello Sviluppo Economico,

Beteiligte:

Nexive SpA

(Vorabentscheidungsersuchen des Consiglio di Stato [Staatsrat, Italien])

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Postdienste in der Europäischen Union – Finanzierung der Regulierungsbehörde des Postsektors – Erfordernis der öffentlichen Finanzierung – Verpflichtung der Unternehmen des Sektors, zu den Betriebskosten der Regulierungsbehörde des Postsektors beizutragen – Finanzierung, die ausschließlich den Postdiensteanbietern, ohne Unterscheidung zwischen Anbietern von Universaldienstleistungen und Anbietern von Kurierdiensten, auferlegt wird“

1.        In Italien müssen die privaten Wirtschaftsteilnehmer des Postsektors die Kosten der nationalen Regulierungsbehörde (im Folgenden: NRB) tragen, ohne dass eine öffentliche Kofinanzierung existiert. Diese Verpflichtung besteht sowohl für die Anbieter von Kurierdiensten als auch für die Anbieter von Universaldiensten.

2.        Mit dem vorliegenden Vorabentscheidungsersuchen möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen klären, ob die im Ausgangsverfahren anzuwendende nationale Regelung mit der Richtlinie 97/67/EG in der durch die Richtlinie 2008/6/EG geänderten Fassung(2) sowie mit den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit und der Nichtdiskriminierung vereinbar ist.

I.      Rechtlicher Rahmen

A.      Unionsrecht. Richtlinie 97/67 (in geänderter Fassung)

3.        Art. 9 bestimmt:

„(1)      Für Dienste, die nicht zum Universaldienst gehören, können die Mitgliedstaaten Allgemeingenehmigungen einführen, soweit diese erforderlich sind, um die Erfüllung der Grundanforderungen zu gewährleisten.

(2)      Für Dienste, die zum Universaldienst gehören, können die Mitgliedstaaten Genehmigungsverfahren einschließlich Einzelgenehmigungen einführen, soweit diese erforderlich sind, um die Erfüllung der Grundanforderungen zu gewährleisten und die Bereitstellung des Universaldienstes zu gewährleisten.

Die Bewilligung der Genehmigungen kann

–       gegebenenfalls an die Verpflichtung gebunden sein, einen finanziellen Beitrag zu den betrieblichen Aufwendungen der in Artikel 22 genannten nationalen Regulierungsbehörde zu leisten;

Die im ersten Gedankenstrich und in Artikel 3 genannten Verpflichtungen und Anforderungen können nur benannten Universaldiensteanbietern auferlegt werden.

(3)      Die in den Absätzen 1 und 2 genannten Verfahren, Verpflichtungen und Auflagen müssen transparent, zugänglich, nichtdiskriminierend, verhältnismäßig, präzise und eindeutig sein, vorab der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden und auf objektiven Kriterien beruhen …“

4.        Art. 22 legt fest:

„(1)      Jeder Mitgliedstaat bestimmt eine oder mehrere nationale Regulierungsbehörden für den Postsektor, die von den Postbetreibern rechtlich getrennt und betrieblich unabhängig sind.

(2)      Aufgabe der nationalen Regulierungsbehörden ist insbesondere die Gewährleistung der Einhaltung der sich aus dieser Richtlinie ergebenden Verpflichtungen, vor allem durch die Einrichtung von Überwachungs- und Regulierungsverfahren zur Sicherstellung der Erbringung des Universaldienstes. Sie können auch beauftragt werden, die Einhaltung der Wettbewerbsvorschriften im Postsektor zu überwachen.

…“

B.      Nationales Recht

5.        Die Umsetzung der Richtlinie 97/67 in italienisches Recht erfolgte durch das Decreto legislativo Nr. 261 vom 22. Juli 1999(3), dessen Art. 2 Abs. 1 vorsah: „Die Regulierungsbehörde für den Postsektor ist das Ministerium für Kommunikation“.

6.        Art. 1 des Decreto legislativo Nr. 58 vom 31. März 2011(4) änderte Art. 2 des Decreto legislativo Nr. 261 vom 22. Juli 1999 wie folgt:

–      „Es wird eine nationale Regulierungsagentur für die Regulierung des Postsektors geschaffen, … die als nationale Regulierungsbehörde für den Postsektor im Sinne von Art. 22 der Richtlinie 97/67/EG und ihren späteren Fassungen bestimmt wird“ (Abs. 1);

–      „Die … vom Ministerium für wirtschaftliche Entwicklung … ausgeübten Funktionen werden mit den entsprechenden personellen, finanziellen und funktionellen Mitteln auf die Agentur übertragen“ (Abs. 12);

–      „Die Betriebskosten der Agentur werden gedeckt: a) durch einen speziellen, im Haushalt des Ministeriums für wirtschaftliche Entwicklung enthaltenen Fonds, dem die in Abs. 12 genannten Finanzmittel zugewiesen werden; b) durch einen Beitrag von höchstens 1 Promille der Einkünfte des letzten Jahres aus dem Postsektor, der von allen Wirtschaftsteilnehmern des Sektors zu entrichten ist …“ (Abs. 14);

–      Das Ministerium für Wirtschaft und Finanzen legt die Höhe der in Abs. 12 vorgesehenen Finanzmittel per Dekret fest (Abs. 18).

7.        Die Aufgaben und Zuständigkeiten der nationalen Agentur für die Regulierung des Postsektors wurden auf die Autorità per le garanzie nelle comunicazioni (Aufsichts- und Regulierungsbehörde für das Kommunikationswesen, im Folgenden: AGCOM)(5) durch das Decreto-legge Nr. 201 vom 6. Dezember 2011(6) übertragen. Die für die Finanzierung dieser Agentur geltenden Vorschriften wurden jedoch nicht geändert.

8.        Art. 1 Abs. 65 und 66 des Gesetzes Nr. 266 vom 23. Dezember 2005(7) sah vor:

–      „65. Ab dem Jahr 2007 werden die Betriebskosten … der Autorità per le Garanzie nelle Comunicazioni …, soweit sie nicht aus Mitteln des Staatshaushalts gedeckt sind, von den ihrer Zuständigkeit unterliegenden Marktteilnehmern nach den in den geltenden Vorschriften vorgesehenen Modalitäten finanziert, wobei die Höhe des unmittelbar an die Behörden entrichteten Beitrags durch Beschluss der jeweiligen Behörde unter Berücksichtigung der gesetzlich vorgesehenen Höchstgrenzen festgelegt wird …“.

–      „66. Ab der ersten Anwendung im Jahr 2006 wird die Höhe des Beitrags zulasten der im Kommunikationssektor tätigen Wirtschaftsteilnehmer … auf 1,5 Promille der Einkünfte, die im letzten Haushalt vor dem Inkrafttreten des vorliegenden Gesetzes angegeben wurden, festgesetzt. Für die folgenden Jahre können gegebenenfalls Änderungen der Höhe und der Modalitäten des Beitrags von der [AGCOM] gemäß Abs. 65 bis zu einer Höchstgrenze von 2 Promille der Einkünfte, die im letzten Haushalt vor Erlass des Beschlusses angegeben wurden, vorgenommen werden.“

9.        Art. 65 des Decreto-legge Nr. 50 vom 24. April 2017(8) änderte die Finanzierung der AGCOM wie folgt:

„(1)      Ab dem Jahr 2017 werden die Betriebskosten der Aufsichts‑ und Regulierungsbehörde für das Kommunikationswesen im Zusammenhang mit den Aufgaben der nationalen Regulierungsbehörde für den Postsektor ausschließlich nach den in Art. 1 Abs. 65 und 66 Satz 2 des Gesetzes Nr. 266 vom 23. Dezember 2005 vorgesehenen Modalitäten unter Bezugnahme auf die von den Betreibern im Postsektor erzielten Einkünfte gedeckt. Die Bestimmungen von Art. 2 Abs. 6 bis 21 und Art. 15 Abs. 2bis des Decreto legislativo Nr. 261 vom 22. Juli 1999 werden aufgehoben.“

10.      Mit dieser Änderung wurde das gemischte System der öffentlichen und privaten Finanzierung der Regulierungsbehörde abgeschafft, und der Beitrag der Postbetreiber zur AGCOM wurde an die Beiträge der anderen von der Behörde beaufsichtigten Wirtschaftssektoren angepasst.

II.    Sachverhalt, Verfahren und Vorlagefragen

11.      In den Jahren 2017 und 2018 erließ die AGCOM die Beschlüsse Nr. 182/17/CONS, Nr. 427/17/CONS und Nr. 528/18/CONS (im Folgenden: Beschlüsse), mit denen sie die Höhe und die Modalitäten eines zu ihren Gunsten zu leistenden Beitrags festlegte, der von den privaten Wirtschaftsteilnehmern im Bereich der Postdienste für die Jahre 2017, 2018 und 2019 geschuldet wird. Konkret legte die AGCOM für die Jahre 2017 und 2018 eine Abgabe in Höhe von 1,4 Promille (der vom jeweiligen Betreiber erklärten Einkünfte) und für das Jahr 2019 eine Abgabe in Höhe von 1,35 Promille fest.

12.      In diesen Beschlüssen

–      wurden sowohl die Universaldiensteanbieter als auch die anderen privaten Betreiber im Bereich der Postdienste, die Inhaber einer Genehmigung sind, als Beitragsschuldner festgelegt;

–      wurde die Höhe des fraglichen Beitrags so bestimmt, dass der Beitrag der Wirtschaftsteilnehmer es gestattete, die gesamten Kosten der von der AGCOM in diesem Sektor durchgeführten Tätigkeiten ohne öffentliche Kofinanzierung zu decken.

13.      Diese Kosten wurden unter Berücksichtigung nicht nur der unmittelbar die Regulierung des Marktes der Postdienste betreffenden Tätigkeiten beziffert, sondern umfassten auch die gemeinsamen Dienste der verschiedenen Direktionen der AGCOM wie die Nutzung der Gebäude und Sekretariatstätigkeiten. Die indirekten Kosten, die sich aus den gemeinsamen Diensten ergeben, wurden auf die verschiedenen Märkte, die in die Zuständigkeit der AGCOM fallen, verhältnismäßig aufgeteilt.

14.      Einige private Wirtschaftsteilnehmer, die Kurierdienste erbringen, die nicht zum Universaldienst gehören, fochten die Beschlüsse vor dem Tribunale amministrativo regionale per il Lazio (Verwaltungsgericht für die Region Latium) an.

15.      Sie beanstandeten insbesondere,

–      mit den Beschlüssen sei ein Beitragssystem eingeführt worden, das unter Ausschluss einer staatlichen Beteiligung vollständig zulasten des Marktes gehe,

–      die Kosten, die finanziert werden könnten, seien höher als die Kosten, die die Regulierungstätigkeit der AGCOM auf dem Markt für Postdienste beträfen,

–      es komme zur einer Gleichstellung der Anbieter von Kurierdiensten mit denen des Universaldiensts.

16.      Das Tribunale amministrativo regionale per il Lazio (Verwaltungsgericht für die Region Latium) wies die Klagen ab und begründete dies zusammengefasst wie folgt:

–      Die in zeitlicher Hinsicht anwendbare nationale Regelung begründe keine Verpflichtung zur staatlichen Kofinanzierung der Tätigkeiten der AGCOM und ermächtige diese auch nicht, einen Beitragsanteil zulasten des Staates festzulegen, da das jährliche Haushaltsgesetz keine entsprechende Bestimmung enthalte,

–      Art. 9 Abs. 2 Unterabs. 2 vierter Gedankenstrich der Richtlinie 97/67 erlaube es den Mitgliedstaaten, die Kosten der NRB über die Finanzierung durch die ihrer Zuständigkeit unterliegenden Marktteilnehmer zu decken,

–      die in Art. 9 Abs. 2 der Richtlinie 97/67 vorgesehenen Dienste beträfen nicht nur den Universaldienst,

–      auch die Kosten betreffend Kurierdienste und die indirekten betrieblichen Aufwendungen stellten, verhältnismäßig aufgeteilt, Kosten dar, die finanziert werden könnten.

17.      Die Rechtsmittelführerinnen legten gegen das erstinstanzliche Urteil Rechtsmittel beim Consiglio di Stato (Staatsrat, Italien) ein, der dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorlegt:

1.      Sind Art. 9 Abs. 2 Unterabs. 2 vierter Gedankenstrich und Art. 9 Abs. 3 sowie Art. 22 der Richtlinie 97/67/EG in der durch die Richtlinie 2008/6/EG geänderten Fassung dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung wie der einschlägigen Regelung im italienischen Recht (nach Art. 1 Abs. 65 und 66 des Gesetzes Nr. 266 vom 23. Dezember 2005 und Art. 65 des Decreto-legge Nr. 50 vom 24. April 2017, mit Änderungen umgewandelt in das Gesetz Nr. 96 vom 21. Juni 2017) entgegenstehen, die es gestattet, die Verpflichtung zur Leistung eines finanziellen Beitrags zu den betrieblichen Aufwendungen der Regulierungsbehörde des Postsektors ausschließlich den Anbietern des Postsektors aufzuerlegen, einschließlich derjenigen, die keine zum Universaldienst gehörenden Postdienste erbringen, so dass zugelassen wird, dass jede Form der öffentlichen Kofinanzierung zulasten des Staatshaushalts ausgeschlossen werden kann?

2.      Sind Art. 9 Abs. 2 Unterabs. 2 vierter Gedankenstrich und Art. 22 der Richtlinie 97/67/EG in der durch die Richtlinie 2008/6/EG geänderten Fassung dahin auszulegen, dass sie gestatten, zu den betrieblichen Aufwendungen, die von den Postdiensteanbietern finanziert werden können, auch die Kosten für die Regulierungstätigkeit für Postdienste zu zählen, die nicht zum Universaldienst gehören, sowie die Kosten für Verwaltungseinrichtungen und politische Einrichtungen (so genannte „Querschnitts“-Einrichtungen), deren Tätigkeiten, auch wenn sie nicht unmittelbar auf die Regulierung der Märkte für Postdienste ausgerichtet sind, jedoch der Ausübung aller institutionellen Zuständigkeiten der Autorità dienen, so dass sie folglich mittelbar oder teilweise (anteilig) dem Bereich der Postdienste zugeordnet werden können?

3.      Stehen der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und der Grundsatz der Nichtdiskriminierung, Art. 9 Abs. 2 Unterabs. 2 vierter Gedankenstrich und Art. 9 Abs. 3 sowie Art. 22 der Richtlinie 97/67/EG in der durch die Richtlinie 2008/6/EG geänderten Fassung einer nationalen Regelung wie der italienischen (nach Art. 1 Abs. 65 und 66 des Gesetzes Nr. 266 vom 23. Dezember 2005 und Art. 65 des Decreto-legge Nr. 50 vom 24. April 2017, mit Änderung umgewandelt in das Gesetz Nr. 96 vom 21. Juni 2017) entgegen, die vorschreibt, die Verpflichtung, einen Beitrag zur Finanzierung der Regulierungsbehörde des Postsektors zu leisten, den Anbietern des Postsektors aufzuerlegen, ohne Möglichkeit, zwischen der Lage der Anbieter von Kurierdiensten und der Anbieter von Universaldienstleistungen zu unterscheiden, und daher ohne Möglichkeit, die unterschiedliche Intensität der Regulierungstätigkeit der nationalen Regulierungsbehörde (NRB) in Bezug auf die verschiedenen Arten von Postdiensten zu berücksichtigen?

III. Verfahren vor dem Gerichtshof

18.      Das Vorabentscheidungsersuchen ist am 31. März 2022 beim Gerichtshof eingegangen.

19.      Die General Logistic System Enterprises Srl und die General Logistic System Italy SpA, die BRT SpA, die Associazione Italiana Corrieri Aerei Internazionali (A.I.C.A.D.I.) u. a., die belgische, die griechische, die italienische, die litauische, die norwegische und die portugiesische Regierung sowie die Europäische Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht.

20.      Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung ist nicht für erforderlich erachtet worden.

IV.    Würdigung

A.      Vorbemerkungen

21.      Nach der Richtlinie 97/67 in der durch die Richtlinie 2008/6 geänderten Fassung können Mitgliedstaaten die Bewilligung der Genehmigungen für Postbetreiber „gegebenenfalls“ „an die Verpflichtung [binden], einen finanziellen Beitrag zu den betrieblichen Aufwendungen der [NRB] zu leisten“(9).

22.      Generalanwalt Mengozzi wies bereits darauf hin, dass die Auslegung von Art. 9 Abs. 2 der Richtlinie 97/67 aufgrund des verwirrenden Wortlauts schwierig sei(10). Die vorliegende Rechtssache bestätigt seine Auffassung.

23.      Bei der Würdigung der Vorlagefragen des Consiglio di Stato (Staatsrat, Italien) halte ich es für besser, mit der zweiten Frage zu beginnen, um klären zu können, welche Arten von Kosten der NRB für den Postsektor von den Betreibern dieses Sektors zu finanzieren sind(11). Im Anschluss werde ich prüfen, ob die Richtlinie 97/67 zwingend eine Mindestfinanzierung der NRB durch öffentliche Mittel vorschreibt. Schließlich werde ich darauf eingehen, ob alle Postbetreiber von ihren Einkünften abhängige Beiträge leisten müssen oder ob insoweit zwischen Anbietern von Universaldienstleistungen und Anbietern von Kurierdiensten zu unterscheiden ist.

B.      Zweite Vorlagefrage

24.      Das vorlegende Gericht möchte wissen, ob nach Art. 9 Abs. 2 Unterabs. 2 vierter Gedankenstrich und Art. 22 der Richtlinie 97/67 zu den betrieblichen Aufwendungen der NRB, die von den Postdiensteanbietern finanziert werden können, auch folgende Kosten zählen:

–      die Kosten für die Regulierungstätigkeit für Postdienste, die nicht zum Universaldienst gehören,

–      sowie die „Kosten für Verwaltungseinrichtungen und politische Einrichtungen (so genannte, Querschnitts‘-Einrichtungen), deren Tätigkeiten, auch wenn sie nicht unmittelbar auf die Regulierung der Märkte für Postdienste ausgerichtet sind, jedoch der Ausübung aller institutionellen Zuständigkeiten der Autorità dienen, so dass sie folglich mittelbar oder teilweise (anteilig) dem Bereich der Postdienste zugeordnet werden können“.

1.      Kosten für die Regulierungstätigkeit der NRB für Postdienste, die nicht zum Universaldienst gehören

25.      In Bezug auf diese Kategorie halte ich die Rechtsprechung des Gerichtshofs für überzeugend: „… [Z]u der spezifischen Verpflichtung, einen Beitrag zur Finanzierung der Regulierungsbehörde des Postsektors zu leisten, die in Art. 9 Abs. 2 Unterabs. 2 vierter Gedankenstrich der Richtlinie 97/67 genannt wird …, [ist] festzustellen, dass die Tätigkeiten, die den nationalen Regulierungsbehörden zukommen, den gesamten Postsektor und nicht nur die zum Universaldienst gehörenden Dienstleistungen betreffen.“(12)

26.      Die so gestaltete Verpflichtung steht im Einklang mit den Aufgaben der NRB für den Postsektor, die dafür zuständig sind, die Einhaltung der sich aus der Richtlinie 97/67 ergebenden Verpflichtungen sowie der Wettbewerbsvorschriften im Postsektor zu überwachen. Sie dienen somit allen Postbetreibern und nicht nur einzelnen Kategorien von ihnen.

27.      Daher ist Art. 9 Abs. 2 Unterabs. 2 vierter Gedankenstrich der Richtlinie 97/67 dahin auszulegen, dass sämtliche Postdiensteanbieter im Gegenzug für die Vorteile, die sie aus der Tätigkeit der NRB ziehen, „verpflichtet werden können, einen Beitrag zur Finanzierung der Tätigkeiten dieser Behörden zu leisten“(13).

28.      Im Ergebnis umfasst die Verpflichtung die Kosten, die mit den Tätigkeiten der NRB in Bezug auf alle Postdienste in Zusammenhang stehen, unabhängig davon, ob sie zum Universaldienst gehören oder nicht.

2.      Kosten für Verwaltungseinrichtungen und politische Einrichtungen

29.      Weniger offensichtlich ist meiner Meinung nach die Antwort auf die Frage, ob zu den betrieblichen Aufwendungen im Sinne von Art. 9 Abs. 2 Unterabs. 2 vierter Gedankenstrich der Richtlinie 97/67 auch die sogenannten für „Querschnitts“-Einrichtungen und -Dienste anfallenden Kosten(14) (im Folgenden: Querschnittskosten) der NRB zählen, auf die sich das vorlegende Gericht bezieht.

30.      In der Richtlinie 97/67 ist der Begriff „betriebliche Aufwendungen“ nicht definiert, und die Beteiligten des Vorabentscheidungsverfahrens sind sich über seine Auslegung nicht einig:

–      Die Kommission ist der Auffassung, diese Kategorie umfasse die Querschnittskosten, die den NRB durch ihre administrativen und institutionellen Tätigkeiten entstünden, die eng mit den von ihnen auszuübenden Regulierungstätigkeiten verbunden seien und diesen vorausgingen.

–      Die BRT SpA hingegen vertritt den Standpunkt, der Gesetzgeber hätte, wenn er der Ansicht gewesen wäre, dass die Postbetreiber die Querschnittskosten der NRB tragen müssten, einen weiter gefassten Begriff als den der betrieblichen Aufwendungen verwendet. Der Begriff „betrieblich“ bedeute, dass die Aufwendungen der konkreten Tätigkeit dienten und die Phase der praktischen Durchführung beträfen.

31.      Der Rückgriff auf die verschiedenen Sprachfassungen ist für eine am Wortlaut orientierte Auslegung, die die Vorschrift verdeutlichen soll, wenig hilfreich(15). Daher sind nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs(16) bei der Auslegung dieser Vorschrift ihre Systematik und ihre Ziele zu berücksichtigen.

32.      Die Richtlinie 97/67 bietet für sich betrachtet jedoch auch keine Anhaltspunkte für eine systematische Auslegung, die zur Klärung der Bedeutung des Begriffs „betriebliche Aufwendungen“ beiträgt(17).

33.      Allerdings könnten andere unionsrechtliche Vorschriften zur elektronischen Kommunikation (insbesondere die Richtlinie 2002/21/EG(18) und die Richtlinie 2002/20/EG(19) sowie ihre Vorgängerinnen)  in systematischer Hinsicht nützliche Hinweise für das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen liefern.

34.      Dies wäre der Fall, wenn diese anderen Vorschriften(20), die bereits vom Gerichtshof ausgelegt wurden, ähnliche Begriffe eingeführt hätten, die auf den Postsektor übertragen werden könnten(21).

35.      Im Bereich der elektronischen Kommunikation ist, wie auch im Postsektor, vorgesehen, dass die privaten Betreiber die entsprechenden NRB finanzieren. In der Richtlinie 2002/20 wird zu diesem Zweck der Begriff „Verwaltungskosten“ der NRB verwendet. Diese Behörden müssen, so wie im Postsektor auch, unparteiisch und unabhängig sein und eine angemessene Finanzierung erhalten(22).

36.      Die Vorschriften über die Finanzierung der NRB im Bereich der elektronischen Kommunikation sehen ausdrücklich vor, dass sich die Beiträge der Betreiber (die zur Finanzierung der NRB zu entrichtenden Abgaben) auf die Deckung bestimmter tatsächlicher Verwaltungskosten  beschränken,  die insbesondere mit der Abwicklung der Verfahren für Genehmigungen oder Nutzungsrechte verbunden sind(23).

37.      So dienen gemäß Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 2002/20 die Verwaltungsabgaben, die von Unternehmen zur Finanzierung der Tätigkeiten der NRB verlangt werden, „… insgesamt lediglich zur Deckung der administrativen Kosten für die Verwaltung, Kontrolle und Durchsetzung von Allgemeingenehmigungen und Nutzungsrechten sowie der in Artikel 6 Absatz 2 genannten besonderen Verpflichtungen“(24).

38.      Die von den Betreibern elektronischer Kommunikationsdienste erhobenen Abgaben können somit nicht der Deckung der Ausgaben im Zusammenhang mit anderen Aufgaben als den in dieser Bestimmung aufgeführten dienen, insbesondere nicht der Deckung aller Arten von Verwaltungskosten der NRB(25).

39.      Dem Gerichtshof zufolge ergibt sich aus Art. 12 Abs. 2 in Verbindung mit dem 30. Erwägungsgrund der Richtlinie 2002/20, dass die Abgaben, die von Betreibern elektronischer Kommunikationsdienste erhoben werden,

–      die tatsächlichen Verwaltungskosten für die in Art. 12 Abs. 1 Buchst. a genannten Tätigkeiten decken und diesen Kosten entsprechen sollen. Daher darf die Gesamtheit der Einnahmen, die die Mitgliedstaaten mit der fraglichen Abgabe erzielen, nicht die Gesamtheit der Kosten übersteigen, die für diese Tätigkeiten anfallen(26);

–      die Kosten decken können, die mit allen dort genannten Tätigkeiten der NRB verbunden sind, und nicht nur die durch die Tätigkeit der Vorabregulierung des Marktes anfallenden Kosten(27).

40.      Die Rechtsmittelführerinnen vor dem vorlegenden Gericht, die Erklärungen abgegeben haben, vertreten den Standpunkt, dass der Ansatz, den Art. 12 der Richtlinie 2002/20 und die Rechtsprechung des Gerichtshofs zur Auslegung dieses Artikels für den Sektor der elektronischen Kommunikation gefunden hätten, auf den Postsektor übertragbar sei.

41.      Dieser Vorschlag für eine Auslegung mag auf den ersten Blick attraktiv erscheinen(28), ist jedoch wenig geeignet: Die Voraussetzungen der Unabhängigkeit der NRB sind zwar im Sektor der elektronischen Kommunikation und im Postsektor ähnlich, jedoch unterscheiden sich die spezifischen Vorschriften für ihre Finanzierung:

–      Mit den von den Betreibern elektronischer Kommunikationsdienste erhobenen Abgaben werden, wie ich erläutert habe, bestimmte Verwaltungskosten finanziert, die in Art. 12 der Richtlinie 2002/20 genannt werden und mit der Abwicklung des Genehmigungsverfahrens und der Einräumung von Nutzungsrechten zusammenhängen, aber keine anderen Arten von Kosten der NRB, die über die in diesem Artikel genannten Kosten hinausgehen.

–      In Art. 9 Abs. 2 Unterabs. 2 vierter Gedankenstrich und in Art. 22 der Richtlinie 97/67 hat der Unionsgesetzgeber hingegen die von den privaten Betreibern zu finanzierenden Kosten nicht auf die reinen Verwaltungskosten und erst recht nicht auf die für die Abwicklung von Genehmigungsverfahren oder die Einräumung von Nutzungsrechten anfallenden Kosten beschränkt.

42.      Eine teleologische Auslegung von Art. 9 Abs. 2 Unterabs. 2 vierter Gedankenstrich und Art. 22 der Richtlinie 97/67 führt zu dem Schluss, dass diese Bestimmungen es den NRB für den Postsektor ermöglichen sollen, ihre allgemeinen Aufgaben wahrzunehmen, d. h. die Einhaltung der sich aus der Richtlinie 97/67 ergebenden Verpflichtungen(29). Zu diesem Zweck müssen sie eine angemessene Finanzierung erhalten, die auch die Querschnittskosten deckt, die durch ihren Betrieb verursacht werden und ohne die diese Einrichtungen schlichtweg nicht handeln könnten.

43.      Es gibt somit keinen Grund, warum die Querschnittskosten der NRB für den Postsektor (d. h. die gemeinsamen Kosten, die nicht speziell für Überwachungs- oder Regulierungstätigkeiten bestimmt sind), die ihnen bei der Erfüllung ihrer institutionellen Aufgaben entstehen, nicht als betriebliche Aufwendungen eingestuft werden sollten. Ich stimme insoweit mit der Kommission überein, die den engen Zusammenhang zwischen dieser Kostenkategorie, die allen anderen Tätigkeiten vorausgeht, und den eigenen Aufgaben der NRB betont.

44.      Wie das vorlegende Gericht zu Recht hervorhebt, werden die indirekten Kosten, wenn eine NRB (wie die AGCOM) Aufgaben in anderen Bereichen als dem Postsektor wahrnimmt, anteilig auf alle betroffenen Sektoren aufgeteilt.

C.      Erste Vorlagefrage

45.      Das vorlegende Gericht möchte wissen, ob die Richtlinie 97/67 einer nationalen Regelung entgegensteht, wonach die Finanzierung der Regulierungsbehörde des Postsektors ausschließlich den privaten Diensteanbietern auferlegt und jede Form der öffentlichen Kofinanzierung zulasten des Staatshaushalts ausgeschlossen wird.

46.      Die Antwort auf die erste Vorlagefrage ergibt sich implizit aus der Antwort, die ich auf der Grundlage von Art. 9 Abs. 2 Unterabs. 2 vierter Gedankenstrich sowie Art. 22 der Richtlinie 97/67 für die zweite Frage vorschlage.

47.      Wenn die betrieblichen Aufwendungen der NRB für den Postsektor sowohl die unmittelbar aus ihrer Überwachungs- und Regulierungstätigkeit entstehenden Kosten als auch die für ihre Verwaltungseinrichtungen und politischen Einrichtungen entstehenden Kosten umfassen, müssen die privaten Betreiber die NRB grundsätzlich in vollem Umfang selbst finanzieren.

48.      Die Frage des vorlegenden Gerichts, ob die Aufwendungen der NRB unter Ausschluss jeder Form der öffentlichen Finanzierung in vollem Umfang den privaten Betreibern auferlegt werden können, ist folglich zu bejahen.

49.      Diese Antwort wird nicht durch die Tatsache beeinträchtigt, dass Art. 9 Abs. 2 Unterabs. 2 vierter Gedankenstrich der Richtlinie 97/67 bei dem Verweis auf den Mechanismus zur Finanzierung der NRB den Zusatz „gegebenenfalls“ verwendet. Mit diesem Zusatz wird anerkannt, dass die Richtlinie 97/67 die Wahl zwischen den unterschiedlichen Formeln den Mitgliedstaaten überlässt(30).

50.      Daher ist der Umfang der in Art. 9 Abs. 2 Unterabs. 2 vierter Gedankenstrich der Richtlinie 97/67 festgeschriebenen Verpflichtung, „einen finanziellen Beitrag … zu leisten“, zu bestimmen.

51.      Der Wortlaut des Begriffs könnte auf eine enge Auslegung hindeuten: Die Betreiber wären lediglich verpflichtet, einen finanziellen Beitrag zur Deckung eines Teils der betrieblichen Aufwendungen der NRB zu leisten, nicht jedoch zur Deckung aller Aufwendungen.

52.      Die am Wortlaut orientierte Auslegung ist jedoch nicht ausschlaggebend, und somit ist erneut auf die systematische und teleologische Auslegung des Art. 9 Abs. 2 Unterabs. 2 vierter Gedankenstrich der Richtlinie 97/67 zurückzugreifen.

53.      Ausgehend von der Prämisse, dass der Begriff der betrieblichen Aufwendungen alle Kosten umfasst, die den NRB für den Postsektor bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben entstehen, kann festgehalten werden, dass die Mitgliedstaaten wählen können zwischen:

–      einem rein privaten Finanzierungssystem, das auf den Postbetreibern auferlegten Abgaben beruht,

–      einem System der öffentlichen Finanzierung aus dem Staatshaushalt,

–      einem gemischten System öffentlicher Kofinanzierung (aus dem Staatshaushalt) und privater Finanzierung (durch Beiträge der Betreiber des Postsektors). Bei einem solchen Modell spricht nichts dagegen, dass die Querschnittskosten durch öffentliche Mittel und die Überwachungs- und Regulierungskosten von den privaten Betreibern getragen werden.

54.      Nach Angaben der Kommission, die auf einer kürzlich veröffentlichten Studie(31) beruhen, haben sich 15 Mitgliedstaaten für ein rein privates Finanzierungssystem, sechs für ein öffentliches System und fünf für ein gemischtes System entschieden (wobei in vier dieser Staaten der Großteil der Finanzierung den Postbetreibern auferlegt wird).

55.      Meiner Auffassung nach verpflichtet Art. 9 der Richtlinie 97/67 weder dazu, zwischen den verschiedenen Modellen für die Finanzierung der NRB eine bestimmte Wahl zu treffen, noch schließt er eine solche Wahl aus. Solange die Unabhängigkeit und Funktionsweise der Behörden sichergestellt sind, schreibt Art. 9 Abs. 3 dieser Richtlinie lediglich vor, dass die Elemente des gewählten Systems „transparent, zugänglich, nichtdiskriminierend, verhältnismäßig, präzise und eindeutig [sind], vorab der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden und auf objektiven Kriterien beruhen“.

56.      Es spricht, wie ich betonen möchte, nichts dagegen, dass ein Mitgliedstaat ein öffentliches System oder ein gemischtes System einführt: Beide Systeme stehen im Einklang mit dem Ziel der Richtlinie 97/67, die die Unabhängigkeit der NRB von den Postbetreibern vorsieht(32), um sicherzustellen, dass sie ihre Überwachungs- und Regulierungsaufgaben in angemessener Weise erfüllen. Beide Systeme sind meines Erachtens mit Art. 9 Abs. 2 Unterabs. 2 vierter Gedankenstrich der Richtlinie 97/67 vereinbar, da sie die Unabhängigkeit der NRB gegenüber den Postbetreibern sowie ihre ordnungsgemäße Funktionsweise sicherstellen.

57.      Eine Vereinbarkeit ist auch bei rein privaten Finanzierungssystemen (wie dem italienischen) gegeben, sofern sie die Unabhängigkeit der NRB gewährleisten und sicherstellen, dass die jeweilige NRB in der Praxis über die notwendigen Mittel zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben verfügt(33).

58.      Tatsächlich ist die Finanzierungsquelle einer NRB nicht zwangsläufig ausschlaggebend für ihre Unabhängigkeit(34). Es ist sicherzustellen, dass die NRB über die notwendigen finanziellen Mittel verfügt, damit sie sich unzulässiger Einflussnahme durch wichtige Marktteilnehmer oder andere staatliche Stellen entziehen kann(35).

59.      Die Wahrscheinlichkeit, dass die Tätigkeit einer NRB „blockiert“ wird, ist in der Tat höher, wenn ihre Finanzierung ausschließlich von Beiträgen der Postbetreiber abhängig ist. Der italienische Fall ist insoweit, wie das vorlegende Gericht feststellt(36), paradigmatisch: Nach eigenen Angaben konnte die AGCOM, seit sie 2012 zur italienischen Regulierungsbehörde für den Postsektor benannt wurde, keine Beiträge von privaten Postbetreibern erheben und musste ihre Überwachungs- und Regulierungsfunktionen mit finanziellen Mitteln ausüben, die von anderen Sektoren oder aus ihren Rücklagen entnommen wurden. Die AGCOM weist darauf hin, dass die Unmöglichkeit, die Beträge der Postbetreiber zu erheben, dazu führen werde, dass sie ihre Aufgaben im italienischen Postsektor nicht mehr erfüllen könne(37).

60.      Hierbei scheint es sich jedoch eher um das Ergebnis einer spezifischen (und unvermuteten) Pathologie des italienischen Finanzierungssystems zu handeln als um einen strukturellen Mangel des ausgewählten Modells. Eine Stärkung der Befugnisse der NRB zur Beitragserhebung könnte das Problem lösen.

61.      Zusammenfassend bin ich der Meinung, dass Art. 9 Abs. 2 Unterabs. 2 vierter Gedankenstrich in Verbindung mit Art. 22 der Richtlinie 97/67 die Auswahl des Systems zur Finanzierung der NRB für den Postsektor den jeweiligen Mitgliedstaaten überlässt. Entscheidet sich ein Mitgliedstaat für eine rein private Finanzierung durch von den Postbetreibern erhobene Abgaben, so hat er die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um in jedem Fall die Unabhängigkeit und Funktionsfähigkeit der NRB sicherzustellen. Diese Maßnahmen müssen hinreichend wirksam sein, um Praktiken zu verhindern, durch die die Funktionsfähigkeit der NRB blockiert wird.

62.      Sollte der Gerichtshof entgegen der von mir vertretenen Auslegung der Ansicht sein, dass der Begriff der betrieblichen Aufwendungen nur die Kosten umfasst, die sich aus der Überwachungs- und Regulierungstätigkeit der NRB ergeben, müsste der Staat die Querschnittskosten aus öffentlichen Mitteln finanzieren, damit die Funktionsfähigkeit der NRB sichergestellt ist.

D.      Dritte Vorlagefrage

63.      Das vorlegende Gericht möchte wissen, ob der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und der Grundsatz der Nichtdiskriminierung, Art. 9 Abs. 2 Unterabs. 2 vierter Gedankenstrich und Art. 9 Abs. 3 sowie Art. 22 der Richtlinie 97/67 einem System zur Finanzierung der NRB entgegenstehen, das auf den Postbetreibern auferlegten Abgaben beruht,

–      ohne die unterschiedliche Intensität der Überwachungs- und Regulierungstätigkeit in Bezug auf die verschiedenen Arten von Postdiensten zu berücksichtigen und

–      ohne insoweit zwischen Anbietern von Kurierdiensten und Anbietern von Universaldienstleistungen zu unterscheiden.

64.      Die Richtlinie 97/67 sieht nicht vor, dass die von den Postbetreibern zur Finanzierung der NRB erhobenen Abgaben auf eine bestimmte Art und Weise zu berechnen sind. Wie ich bereits ausgeführt habe, schreibt Art. 9 Abs. 3 lediglich vor, dass Berechnungsparameter festzulegen sind, die „transparent, zugänglich, nichtdiskriminierend, verhältnismäßig, präzise und eindeutig [sind], vorab der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden und auf objektiven Kriterien beruhen“.

1.      Grundsatz der Gleichbehandlung

65.      Der Grundsatz der Gleichbehandlung verlangt, dass vergleichbare Sachverhalte nicht unterschiedlich und unterschiedliche Sachverhalte nicht gleich behandelt werden dürfen, es sei denn, dass eine solche Behandlung objektiv gerechtfertigt ist(38).

66.      Die italienischen Betreiber von Kurierdiensten vertreten den Standpunkt, ihnen dürften nicht in gleicher Weise wie den Universaldienstbetreibern Beiträge für die NRB auferlegt werden, da es sich um unterschiedliche Sachverhalte handele. In Bezug auf die Universaldienstbetreiber übe die NRB eine viel umfangreichere Überwachungs- und Regulierungstätigkeit aus.

67.      Insoweit ist daran zu erinnern, dass Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 97/67 den Mitgliedstaaten gestattet, nicht zum Universaldienst gehörende Dienste von Unternehmen des Postsektors von Allgemeingenehmigungen abhängig zu machen. Art. 9 Abs. 2 Unterabs. 1 sieht für die Mitgliedstaaten die Möglichkeit vor, für Dienste, die zum Universaldienst gehören, Genehmigungsverfahren einzuführen(39).

68.      Nach dem 18. Erwägungsgrund der Richtlinie 97/67 besteht der wesentliche Unterschied zwischen Kurierpost und postalischen Universaldienstleistungen in dem von den Kurierdiensten erbrachten und von den Kunden wahrgenommenen Mehrwert (in beliebiger Form). Bei derartigen Dienstleistungen handelt es sich um spezifische, von den Dienstleistungen von allgemeinem Interesse trennbare Dienstleistungen, die besonderen Bedürfnissen von Wirtschaftsteilnehmern entsprechen und bestimmte zusätzliche Leistungen verlangen, die der herkömmliche Postdienst nicht anbietet(40).

69.      Die Unterschiede zwischen Kurierdiensten und Universaldiensten(41) führen jedoch nicht dazu, dass sich die jeweiligen Betreiber dieser Dienste in Bezug auf ihre Verpflichtung zur Finanzierung der NRB in einer unterschiedlichen Situation befinden. Mit anderen Worten: Diese Unterschiede führen nicht zwangsläufig dazu, dass der Beitrag zur Finanzierung der NRB höher oder niedriger ausfällt.

70.      Die Überwachungs- und Regulierungstätigkeit einer NRB erstreckt sich auf den gesamten Postsektor, d. h. sowohl auf den Universaldienst als auch auf den Kurierdienst(42).

71.      Die Methode zur Berechnung der Abgaben zur Finanzierung der NRB enthält keine diskriminierenden Elemente, da sie auf einem prozentualen Faktor beruht, der für alle Postbetreiber identisch ist und für den die jeweils von ihnen erzielten Einkünfte herangezogen werden. Der Gerichtshof hat bereits bestätigt, dass diese Berechnungsmethode bei vergleichbaren Abgaben, die den entsprechenden Betreibern zur Finanzierung der NRB anderer Wirtschaftssektoren auferlegt werden, als nicht diskriminierend, objektiv und transparent anzusehen ist(43).

2.      Grundsatz der Verhältnismäßigkeit

72.      Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs ist es bei der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit einer nationalen Regelung wie der, mit der in Italien die Richtlinie 97/67 hinsichtlich der Genehmigung der Erbringung von Postdiensten umgesetzt wurde, „… Sache des vorlegenden Gerichts …, im Rahmen einer Gesamtwürdigung aller relevanten rechtlichen und tatsächlichen Umstände zu prüfen, ob eine solche Regelung geeignet ist, die Erreichung der verfolgten Ziele zu gewährleisten, und nicht über das hierfür Erforderliche hinausgeht …“(44).

73.      Was die Eignung dieser Regelung betrifft, „die Erreichung des von ihr verfolgten Ziels zu gewährleisten, ist … eine nationale Regelung nur dann geeignet …, die Verwirklichung des geltend gemachten Ziels zu gewährleisten, wenn sie tatsächlich dem Anliegen gerecht wird, es in kohärenter und systematischer Weise zu erreichen“(45).

74.      Das Ziel des italienischen Postmodells (private Finanzierung) besteht darin, die betrieblichen Aufwendungen der NRB im vorstehend genannten Sinne zu decken. Die Verpflichtung zur Entrichtung der Abgaben, die allen Betreibern des Sektors auferlegt wird, ist grundsätzlich geeignet(46), die Wahrnehmung der Aufgaben der NRB sicherzustellen.

75.      Zu berücksichtigen ist, dass die in den italienischen Rechtsvorschriften festgelegte Abgabe, wie aus den Akten hervorgeht, nicht höher ist als die Abgaben, die andere Mitgliedstaaten von privaten Betreibern zur Finanzierung ihrer NRB für den Postsektor erheben.

76.      Streitig ist, ob die Verpflichtung, dass alle Postbetreiber entsprechend ihren Einkünften Beiträge leisten müssen, ohne dass dabei zwischen Anbietern von Universaldiensten und Anbietern von Kurierdiensten unterschieden wird, über das hinausgeht, was für eine angemessene Finanzierung der NRB erforderlich ist.

77.      Meiner Ansicht nach verstößt das streitige System nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, da die Tätigkeit der NRB darauf abzielt, die Liberalisierung des gesamten Postsektors sicherzustellen, und sich auf alle Postbetreiber erstreckt.

78.      Die folgenden zwei Argumente unterstützen meinen Standpunkt:

–      Es ist zwar richtig, dass die Anbieter von Universalpostdiensten stärker reguliert werden, jedoch hat die Liberalisierung des Postsektors die Anbieter von Kurierdiensten stärker begünstigt.

–      Außerdem müssen, wie der Gerichtshof zur Finanzierung der NRB für den Sektor der elektronischen Kommunikation ausgeführt hat, der Betrag der Gebühr, die einem Betreiber auferlegt wird, und die Kosten, die der zuständigen nationalen Behörde hinsichtlich dieses Betreibers entstanden sind, nicht genau übereinstimmen(47). Diese Argumentation lässt sich ohne Schwierigkeiten auf die Richtlinie 97/67 übertragen.

V.      Ergebnis

79.      Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, dem Consiglio di Stato (Staatsrat, Italien) wie folgt zu antworten:

Art. 9 Abs. 2 Unterabs. 2 vierter Gedankenstrich in Verbindung mit Art. 22 der Richtlinie 97/67/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Dezember 1997 über gemeinsame Vorschriften für die Entwicklung des Binnenmarktes der Postdienste der Gemeinschaft und die Verbesserung der Dienstequalität in der durch die Richtlinie 2008/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Februar 2008 zur Änderung der Richtlinie 97/67/EG im Hinblick auf die Vollendung des Binnenmarktes der Postdienste der Gemeinschaft geänderten Fassung

ist dahin auszulegen, dass

–      der Begriff der betrieblichen Aufwendungen der nationalen Regulierungsbehörden für den Postsektor, die von den Postdiensteanbietern zu finanzieren sind, sowohl die Kosten der Regulierungstätigkeiten für Postdienste, unabhängig davon, ob sie zum Universaldienst gehören oder nicht, als auch die Kosten für „Querschnitts“-Einrichtungen wie Verwaltungseinrichtungen und politische Einrichtungen umfasst;

–      eine nationale Regelung, wonach die Postdiensteanbieter verpflichtet werden können, unter Ausschluss jeglicher Form der öffentlichen Finanzierung zur Finanzierung der betrieblichen Aufwendungen der nationalen Regulierungsbehörde beizutragen, mit dem Unionsrecht vereinbar ist, sofern der Mitgliedstaat die erforderlichen Maßnahmen erlässt, um die Unabhängigkeit dieser Behörde und die Verfügbarkeit der zur Erfüllung ihrer Aufgaben notwendigen Mittel zu gewährleisten;

–      ein System zur Finanzierung der nationalen Regulierungsbehörde eines Mitgliedstaats, wonach den Postbetreibern Abgaben auferlegt werden, die auf der Grundlage eines Promillesatzes ihrer Einkünfte berechnet werden, ohne die unterschiedliche Intensität der Überwachungs- und Regulierungstätigkeit in Bezug auf die verschiedenen Arten von Postdiensten zu berücksichtigen und ohne insoweit zwischen Anbietern von Kurierdiensten und Anbietern von Universaldienstleistungen zu unterscheiden, ebenfalls mit dem Unionsrecht, insbesondere mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und dem Diskriminierungsverbot, vereinbar ist.

















































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