SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS
JEAN RICHARD DE LA TOUR
vom 15. Juni 2023(1 )
Rechtssache C ‑222/22
Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl,
Mitbeteiligter:
JF
(Vorabentscheidungsersuchen des Verwaltungsgerichtshofs, Österreich)
„Vorlage zur Vorabentscheidung – Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts – Richtlinie 2011/95/EU – Normen für die Gewährung internationalen Schutzes und für dessen Inhalt – Aus Nachfluchtgründen entstehender Bedarf an internationalem Schutz – Voraussetzungen – Art. 5 Abs. 3 – Verweigerung der Anerkennung als Flüchtling – Begriff der ‚Umstände …, die der Antragsteller nach Verlassen des Herkunftslandes selbst geschaffen hat‘ – Ermessen der Mitgliedstaaten – Nationale Regelung, wonach die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft davon abhängt, dass es sich bei den Nachfluchtaktivitäten um erlaubte Aktivitäten handelt, die Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung sind – Religionswechsel des Drittstaatsangehörigen nach seiner Flucht“
I. Einleitung
1. Die vorliegende Rechtssache bietet dem Gerichtshof die Gelegenheit, zu klären, unter welchen Voraussetzungen und innerhalb welcher Grenzen die Mitgliedstaaten feststellen können, ob Bedarf an internationalem Schutz aufgrund von Aktivitäten entstanden ist, die ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser nach Verlassen seines Herkunftslandes, d. h. „nach der Flucht“, ausgeübt hat.
2. Der Gerichtshof soll sich insbesondere zu Bedeutung und Tragweite von Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 2011/95/EU(2 ) äußern, wonach die Mitgliedstaaten die Anerkennung als Flüchtling nach der Prüfung eines Folgeantrags „in der Regel“ verweigern können, wenn die Verfolgungsgefahr „auf Umständen beruht, die der Antragsteller nach Verlassen des Herkunftslandes selbst geschaffen hat“. In diesem Zusammenhang wird der Gerichtshof zu entscheiden haben, inwieweit ein Mitgliedstaat das ihm nach dieser Bestimmung zustehende Ermessen nutzen darf, um die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft davon abhängig zu machen, dass die vom Antragsteller nach seiner Flucht ausgeübten Aktivitäten in diesem Mitgliedstaat zulässig sowie nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung sind.
3. Diese Rechtssache beruht auf einem Rechtsstreit zwischen JF, einem iranischen Staatsangehörigen, der während seines Aufenthalts in Österreich zum Christentum übergetreten ist, und dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (Österreich) (im Folgenden: BFA). Streitgegenstand ist die Rechtmäßigkeit der Entscheidung, mit der das BFA JF die Anerkennung als Flüchtling verweigert hat. Das BFA war nämlich unter Berufung auf Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 2011/95 der Ansicht, die durch diesen Religionswechsel verursachte Verfolgungsgefahr beruhe auf Umständen, die der Antragsteller nach Verlassen seines Herkunftslandes selbst geschaffen habe.
4. Ich werde im Folgenden darlegen, warum Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 2011/95 meines Erachtens dahin auszulegen ist, dass ein Mitgliedstaat einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen, der einen Folgeantrag gestellt hat, die Anerkennung als Flüchtling nur verweigern darf, wenn feststeht, dass dieser Antrag eindeutig auf einer Verfolgungsgefahr beruht, die der Antragsteller nach der bestandskräftigen Entscheidung über seinen früheren Antrag vorsätzlich durch unredliche Aktivitäten, Handlungen oder Verhaltensweisen allein deshalb herbeigeführt hat, um die für seine Anerkennung als Flüchtling erforderlichen Voraussetzungen zu schaffen.
5. Ich werde auch ausführen, weshalb ein Mitgliedstaat nach meiner Meinung das ihm durch diese Bestimmung eingeräumte Ermessen nicht dazu nutzen darf, die Zuerkennung dieser Rechtsstellung von anderen als den in der Richtlinie 2011/95 ausdrücklich aufgestellten Voraussetzungen abhängig zu machen.
II. Rechtlicher Rahmen
A. Völkerrecht
6. Nach Art. 1 Abschnitt A Ziff. 2 Abs. 1 des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge(3 ) in der durch das Protokoll über die Rechtsstellung der Flüchtlinge(4 ) ergänzten Fassung (im Folgenden: Genfer Flüchtlingskonvention) findet der Ausdruck „Flüchtling“ auf jede Person Anwendung, die „aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Befürchtungen nicht in Anspruch nehmen will“.
B. Unionsrecht
7. Gemäß Art. 2 Buchst. d der Richtlinie 2011/95 bezeichnet der Ausdruck „Flüchtling“ „einen Drittstaatsangehörigen, der aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will … und auf den Artikel 12 keine Anwendung findet“.
8. Art. 4 Abs. 3 Buchst. d in Kapitel II („Prüfung von Anträgen auf internationalen Schutz“) dieser Richtlinie sieht vor:
„Die Anträge auf internationalen Schutz sind individuell zu prüfen, wobei Folgendes zu berücksichtigen ist:
…
d) die Frage, ob die Aktivitäten des Antragstellers seit Verlassen des Herkunftslandes ausschließlich oder hauptsächlich aufgenommen wurden, um die für die Beantragung von internationalem Schutz erforderlichen Voraussetzungen zu schaffen, damit bewertet werden kann, ob der Antragsteller im Fall einer Rückkehr in dieses Land aufgrund dieser Aktivitäten verfolgt oder ernsthaften Schaden erleiden würde.“
9. Art. 5 („Aus Nachfluchtgründen entstehender Bedarf an internationalem Schutz“) der Richtlinie lautet:
„(1) Die begründete Furcht vor Verfolgung oder die tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, kann auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Antragsteller das Herkunftsland verlassen hat.
(2) Die begründete Furcht vor Verfolgung oder die tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, kann auf Aktivitäten des Antragstellers nach Verlassen des Herkunftslandes beruhen, insbesondere wenn die Aktivitäten, auf die er sich stützt, nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung sind.
(3) Unbeschadet der Genfer Flüchtlingskonvention können die Mitgliedstaaten festlegen, dass ein Antragsteller, der einen Folgeantrag stellt, in der Regel nicht als Flüchtling anerkannt wird, wenn die Verfolgungsgefahr auf Umständen beruht, die der Antragsteller nach Verlassen des Herkunftslandes selbst geschaffen hat.“
C. Österreichisches Recht
10. In § 2 Abs. 1 Z 23 des Bundesgesetzes über die Gewährung von Asyl(5 ) vom 16. August 2005 in der Fassung des Bundesgesetzes vom 20. Mai 2016, mit dem das Asylgesetz 2005, das Fremdenpolizeigesetz 2005 und das BFA-Verfahrensgesetz geändert werden(6 ), wird der Begriff „Folgeantrag“ definiert als „jeder einem bereits rechtskräftig erledigten Antrag nachfolgender weiterer Antrag“.
11. § 3 („Status des Asylberechtigten“) AsylG 2005 bestimmt:
„(1) Einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, ist, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.
(2) Die Verfolgung kann auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Fremde seinen Herkunftsstaat verlassen hat (objektive Nachfluchtgründe), oder auf Aktivitäten des Fremden beruhen, die dieser seit Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt hat, die insbesondere Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind (subjektive Nachfluchtgründe). Einem Fremden, der einen Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23) stellt, wird in der Regel nicht der Status des Asylberechtigten zuerkannt, wenn die Verfolgungsgefahr auf Umständen beruht, die der Fremde nach Verlassen seines Herkunftsstaates selbst geschaffen hat, es sei denn, es handelt sich um in Österreich erlaubte Aktivitäten, die nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind.
…“
III. Sachverhalt des Ausgangsrechtsstreits und Vorlagefrage
12. JF, ein iranischer Staatsangehöriger, stellte am 3. Oktober 2015 bei den österreichischen Behörden einen Antrag auf internationalen Schutz mit der Begründung, er sei u. a. vom iranischen Geheimdienst als Fahrschullehrer wegen Dienstverweigerung verhört sowie verfolgt worden, weil er als Studienanfänger einen Prediger kritisiert habe.
13. Mit Bescheid vom 7. Juni 2017 wies das BFA diesen Antrag ab, da es die von JF vorgebrachten Gründe für die Flucht aus seinem Herkunftsland für unglaubwürdig hielt, und erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung. JF erhob hiergegen Beschwerde, die das Bundesverwaltungsgericht (Österreich) mit Erkenntnis vom 3. Jänner 2018 abwies; dieses Erkenntnis wurde rechtskräftig.
14. Am 26. Juni 2019 stellte JF einen Folgeantrag auf internationalen Schutz mit der Begründung, er sei nach der Rechtskraft des Erkenntnisses zum Christentum übergetreten und befürchte deshalb, in seinem Herkunftsland verfolgt zu werden. Mit Bescheid vom 24. Juni 2020 lehnte das BFA unter Berufung auf § 3 Abs. 2 zweiter Satz AsylG 2005 die Zuerkennung des Flüchtlingsstatus ab. Es erkannte JF jedoch den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu. Das BFA war der Auffassung, JF habe bei mehreren Befragungen und unter Vorlage konkreter Beweise glaubhaft gemacht, dass er während seines Aufenthalts in Österreich zum Christentum konvertiert sei und diese Religion dort aktiv praktiziere, weshalb er bei einer Rückkehr in den Iran der Gefahr einer individuellen Verfolgung ausgesetzt wäre. Dieser Anlass für eine Verfolgung sei aber nach der Flucht entstanden und vom Antragsteller selbst geschaffen worden.
15. Mit Erkenntnis vom 29. September 2020 gab das Bundesverwaltungsgericht der von JF gegen diesen Bescheid gerichteten Beschwerde statt. Zwar sei im Rahmen eines Folgeantrags, wenn die Verfolgungsgefahr auf Umständen beruhe, die der Antragsteller „selbst“ geschaffen habe, dessen Anerkennung als Flüchtling „in der Regel“ ausgeschlossen; dem letzteren Ausdruck sei jedoch zu entnehmen, dass es Fälle gebe, in denen diese Anerkennung möglich sei, und zwar ungeachtet des § 3 Abs. 2 zweiter Satz AsylG 2005, der die Prüfung eines etwaigen Missbrauchs seitens des Antragstellers verlange. Die Tatsache, dass es keine Anhaltspunkte dafür gebe, dass der Religionswechsel des Antragstellers Ausdruck und Fortsetzung einer bereits in seinem Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung gewesen sei, genüge für sich allein nicht, um die Anerkennung als Flüchtling zu verweigern.
16. Gegen dieses Erkenntnis erhob das BFA Revision an den Verwaltungsgerichtshof (Österreich), mit der es geltend machte, dass § 3 Abs. 2 zweiter Satz AsylG 2005 eine allgemeine Regel aufstelle, nach der die Flüchtlingseigenschaft in Fällen wie dem des Ausgangsverfahrens nicht zuerkannt werden könne. Die einzige Ausnahme von dieser Regel betreffe den Fall, dass es sich bei den fraglichen Aktivitäten um solche handle, die in Österreich erlaubt sowie nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung des Antragstellers seien.
17. Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts hängt die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits von der Auslegung von Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 2011/95 ab.
18. Unter diesen Umständen hat der Verwaltungsgerichtshof beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:
Ist Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 2011/95 dahin auszulegen, dass er einer Regelung eines Mitgliedstaats, wonach einem Fremden, der einen Folgeantrag stellt, in der Regel nicht der Status des Asylberechtigten zuerkannt wird, wenn die Verfolgungsgefahr auf Umständen beruht, die der Fremde nach Verlassen seines Herkunftsstaates selbst geschaffen hat, es sei denn, es handelt sich um in Österreich erlaubte Aktivitäten, die nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind, entgegensteht?
19. JF, die österreichische und die deutsche Regierung sowie die Europäische Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht.
IV. Rechtliche Würdigung
20. Mit seiner Vorlagefrage ersucht das vorlegende Gericht den Gerichtshof im Wesentlichen, Bedeutung und Tragweite der in Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 2011/95 aufgestellten Regel zu klären, damit bestimmt werden kann, inwieweit ein Mitgliedstaat im Rahmen des ihm durch diese Bestimmung eingeräumten Ermessens von dieser Regel abweichen darf.
21. Bei der Auslegung dieser Bestimmung sind nicht nur ihr Wortlaut, sondern auch ihr Zusammenhang und die Ziele zu berücksichtigen, die mit der Richtlinie 2011/95 verfolgt werden. Die Entstehungsgeschichte dieser Bestimmung kann ebenfalls relevante Anhaltspunkte für ihre Auslegung liefern(7 ). Außerdem ist die Genfer Flüchtlingskonvention zu berücksichtigen(8 ); auch die Konsultationen des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge (UNHCR) stellen eine Quelle wertvoller Hinweise dar(9 ).
A. Wortlaut von Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 2011/95
22. Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 2011/95 lautet: „Unbeschadet der Genfer Flüchtlingskonvention können die Mitgliedstaaten festlegen, dass ein Antragsteller, der einen Folgeantrag stellt, in der Regel nicht als Flüchtling anerkannt wird, wenn die Verfolgungsgefahr auf Umständen beruht, die der Antragsteller nach Verlassen des Herkunftslandes selbst geschaffen hat.“
23. Erstens ist dieser Artikel, wie aus seinem Wortlaut hervorgeht, eine Kann-Bestimmung, so dass die Verweigerung der Anerkennung als Flüchtling nur eine Option ist, die im Ermessen der Mitgliedstaaten liegt. Diese Bestimmung unterscheidet sich somit von Art. 12 der Richtlinie 2011/95, der zwingende Gründe für den Ausschluss von der Anerkennung als Flüchtling vorsieht, und von Art. 14 Abs. 1 und 3 dieser Richtlinie, der zwingende Gründe für die Aberkennung, die Beendigung oder die Ablehnung der Verlängerung der Flüchtlingseigenschaft festlegt.
24. Die Verwendung der Wortverbindung „in der Regel“ bringt zudem den Willen des Unionsgesetzgebers zum Ausdruck, den Mitgliedstaaten die Möglichkeit zu geben, diese Regel flexibel anzuwenden und hiervon gegebenenfalls Ausnahmen vorzusehen.
25. Zweitens können die Mitgliedstaaten von dieser Möglichkeit „[u]nbeschadet der Genfer Flüchtlingskonvention“ Gebrauch machen. Das vorlegende Gericht fragt sich, inwieweit die Mitgliedstaaten angesichts dieses in der deutschen Sprachfassung der Richtlinie 2011/95 verwendeten Ausdrucks verpflichtet seien, die Einhaltung dieser Konvention zu gewährleisten. Der Begriff „unbeschadet“ sei mehrdeutig und könne sowohl im Sinne von „ohne Nachteil für“ als auch im Sinne von „ohne Rücksicht auf“, „trotz“ und „ungeachtet“(10 ) verstanden werden.
26. Nach ständiger Rechtsprechung kann die in einer der Sprachfassungen einer unionsrechtlichen Vorschrift verwendete Formulierung nicht als alleinige Grundlage für die Auslegung dieser Vorschrift herangezogen werden oder Vorrang vor den anderen Sprachfassungen beanspruchen(11 ). Hierzu stelle ich fest, dass die meisten Sprachfassungen der Richtlinie 2011/95, wie etwa die spanische, die englische, die italienische, die lettische, die portugiesische, die schwedische oder die französische Fassung, den Ausdruck „unbeschadet“ oder einen gleichwertigen Begriff verwenden. Dies bedeutet, dass die betreffende Regelung „nicht verletzt werden darf“, „nicht unberücksichtigt bleiben darf“(12 ) oder „nicht beeinträchtigt werden darf“(13 ), was durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs bestätigt wird(14 ).
27. Darüber hinaus müssen die Bestimmungen des Unionsrechts im Licht der Fassungen in allen Sprachen der Union einheitlich ausgelegt und angewandt werden; weichen diese verschiedenen Fassungen voneinander ab, muss die fragliche Vorschrift nach der allgemeinen Systematik und dem Zweck der Regelung ausgelegt werden, zu der sie gehört(15 ). Gemäß Art. 78 Abs. 1 AEUV und Art. 18 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union(16 ) stützt sich das Gemeinsame Europäische Asylsystem, zu dem die Richtlinie 2011/95 gehört, auf die uneingeschränkte und umfassende Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention, die einen wesentlichen Bestandteil des internationalen Rechtsrahmens für den Schutz von Flüchtlingen darstellt(17 ). Diese Richtlinie begründet zwar ein Regelwerk mit für die Mitgliedstaaten gemeinsamen und damit unionsspezifischen Begriffen und Kriterien, soll aber gleichwohl sicherstellen, dass Art. 1 dieser Konvention in vollem Umfang beachtet wird(18 ).
28. Daraus schließe ich, dass die Mitgliedstaaten einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen, der einen Folgeantrag stellt, die Anerkennung als Flüchtling aus den in Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 2011/95 genannten Gründen nur verweigern dürfen, wenn sie die tatsächliche Achtung der in der Genfer Flüchtlingskonvention verankerten Rechte, auf die sich die Richtlinie bezieht, und insbesondere des Grundsatzes der Nichtzurückweisung gewährleisten.
29. Drittens regelt Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 2011/95 die Voraussetzungen, unter denen die Zuerkennung der „Flüchtlingseigenschaft“ verweigert werden kann. Dieser Begriff wird in Art. 2 Buchst. e der Richtlinie dahin definiert, dass er „die Anerkennung eines Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtling durch einen Mitgliedstaat“ bezeichnet. In dem durch diese Richtlinie geschaffenen System verfügt daher ein Drittstaatsangehöriger oder ein Staatenloser, der die materiellen Voraussetzungen des Kapitels III der Richtlinie erfüllt, allein aus diesem Grund über die Eigenschaft als Flüchtling im Sinne von Art. 2 Buchst. d der Richtlinie und Art. 1 Abschnitt A der Genfer Flüchtlingskonvention(19 ). Die förmliche Anerkennung als Flüchtling, die in der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft besteht, hat zur Folge, dass der betreffende Flüchtling nach Art. 2 Buchst. b der Richtlinie 2011/95 internationalen Schutz genießt, so dass ihm alle in Kapitel VII dieser Richtlinie festgelegten Rechte und Leistungen zustehen. Ansonsten kommen ihm zumindest die in der Genfer Flüchtlingskonvention vorgesehenen Rechte und Schutzvorkehrungen zugute, auf die Art. 14 Abs. 6 der Richtlinie verweist und zu denen auch der Grundsatz der Nichtzurückweisung gehört(20 ).
30. Viertens ist der Anwendungsbereich von Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 2011/95 auf die Prüfung eines „Folgeantrags“ auf internationalen Schutz beschränkt. Aus der Definition dieses Begriffs in Art. 2 Buchst. q der Richtlinie 2013/32/EU(21 ) ergibt sich, dass ein Mitgliedstaat die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nur dann verweigern darf, wenn die zuständige Behörde bereits eine bestandskräftige Entscheidung über einen früheren Antrag auf internationalen Schutz erlassen hat, mit der sie die Unzulässigkeit des Antrags, dessen Unbegründetheit oder dessen ausdrückliche oder stillschweigende Rücknahme festgestellt hat(22 ).
31. Fünftens haben die Mitgliedstaaten schließlich die Möglichkeit, die Anerkennung als Flüchtling zu verweigern, wenn feststeht, dass die Verfolgungsgefahr für den Antragsteller „auf Umständen beruht, die [er] … selbst geschaffen hat“. Für die Wahrnehmung der in Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 2011/95 genannten Möglichkeit ist diese Voraussetzung zwar von wesentlicher Bedeutung, doch scheint mir ihre genaue Bedeutung aus den vom Unionsgesetzgeber verwendeten Formulierungen nicht hervorzugehen.
32. Die Richtlinie 2011/95 enthält keine Definition des Begriffs „Umstände“. In Bezug auf die Verfolgungsgefahr, die solche Umstände begründen können, umfasst dieser Begriff meines Erachtens eine breite Palette von Aktivitäten, Handlungen oder auch Verhaltensweisen, die der Antragsteller nach Verlassen des Herkunftslandes eventuell vorgenommen bzw. an den Tag gelegt hat und die geeignet sind, von den Verfolgern wegen der Rasse, Nationalität, Religion oder politischen Überzeugung des Antragstellers oder wegen seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe zum Anlass für Verfolgungsmaßnahmen genommen zu werden. Was die Formulierung „Umstände, die der Antragsteller selbst geschaffen hat“(23 ), anbelangt, so kommt meines Erachtens besondere Bedeutung der Wahl des Verbs „schaffen“ zu, die angesichts der Vorarbeiten zur Richtlinie 2004/83/EG(24 ), einer Vorgängerin der Richtlinie 2011/95, nicht zufällig ist. Aus dem Richtlinienvorschlag(25 ) der Kommission geht nämlich hervor, dass diese eine Situation erfassen wollte, in der die Furcht des Antragstellers, Verfolgung zu erleiden, „durch eigenes Zutun erzeugt“ wurde (in der englischen Fassung der Erläuterungen zu den Artikeln: „manufactured“). Nach meinem Dafürhalten soll der vom Unionsgesetzgeber verwendete Ausdruck daher neue Umstände – im Gegensatz zu bereits bestehenden Umständen, die seine Flucht aus dem Herkunftsland hätten rechtfertigen können – erfassen, die der Antragsteller nach Verlassen des Herkunftslandes geplant oder „erzeugt“ hat und über die er – im Gegensatz zu den in Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95 genannten Ereignissen, die im Herkunftsland eintreten können – eine gewisse Form der Kontrolle ausübt.
33. Wie bereits erwähnt, kann anhand dieser wörtlichen Auslegung die genaue Bedeutung der Voraussetzung, die der Unionsgesetzgeber in Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 2011/95 aufgestellt hat, nicht ermittelt werden. Hierfür bedarf es meines Erachtens einer Prüfung des Regelungszusammenhangs dieser Bestimmung sowie des mit der Richtlinie 2011/95 verfolgten Zwecks.
B. Systematik und Zielsetzung der Richtlinie 2011/95
34. Die Prüfung von Anträgen auf internationalen Schutz ist in Kapitel II der Richtlinie 2011/95 geregelt. Art. 4 dieser Richtlinie enthält die allgemeinen Regeln für die Prüfung der Tatsachen und Umstände, auf denen ein Antrag auf internationalen Schutz beruht. In Art. 5 der Richtlinie sind entsprechend deren 25. Erwägungsgrund die besonderen Regeln für die Beurteilung eines aus Nachfluchtgründen entstehenden Bedarfs an internationalem Schutz festgelegt(26 ).
35. Sowohl Art. 4 als auch Art. 5 der Richtlinie 2011/95 finden auf einen Folgeantrag Anwendung, wenn die zuständige Behörde nach ihrer ersten Prüfung feststellt, dass die vom Antragsteller beigebrachten neuen Elemente oder Erkenntnisse zu der Wahrscheinlichkeit beitragen, dass er die Voraussetzungen für die Gewährung internationalen Schutzes erfüllt(27 ).
36. Während Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie 2011/95 den Grundsatz festlegt, wonach die zuständige Behörde feststellen kann, dass wegen der Nachfluchtaktivitäten eine begründete Furcht vor Verfolgung besteht, ermächtigt Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie diese Behörde hingegen, die Anerkennung als Flüchtling bei einer Instrumentalisierung des Verfahrens zur Gewährung internationalen Schutzes zu verweigern.
1. Anerkennung einer begründeten Furcht vor Verfolgung wegen der Nachfluchtaktivitäten des Antragsteller s im Sinne von Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie 2011/95
37. Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie 2011/95 betrifft die Eigenschaft als Flüchtling „nach der Flucht“. Der in Art. 2 Buchst. d dieser Richtlinie definierte Begriff „Flüchtling“ umfasst nämlich nicht nur die Situation einer Person, die aus ihrem Herkunftsland geflohen ist, weil sie befürchtet, wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe verfolgt zu werden, sondern auch die Situation einer Person, die sich bereits außerhalb dieses Landes befindet und sich davor fürchtet, dorthin zurückzukehren, weil ihr Verfolgung wegen der Aktivitäten droht, die sie im Aufnahmemitgliedstaat, d. h. „nach der Flucht“, ausübt. In jeder dieser beiden Situationen befindet sich die betreffende Person im Sinne von Art. 2 Buchst. d der Richtlinie „außerhalb des Landes …, dessen Staatsangehörigkeit [sie] besitzt“(28 ).
38. In Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie 2011/95 wird somit der Grundsatz aufgestellt, dass „[d]ie begründete Furcht vor Verfolgung oder die tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, … auf Aktivitäten des Antragstellers nach Verlassen des Herkunftslandes beruhen [kann], insbesondere wenn die Aktivitäten, auf die er sich stützt, nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung sind“.
39. Wie die Verwendung des Begriffs „insbesondere“, der hier dem Ausdruck „unter anderem“ entspricht, erkennen lässt, ist der Umstand, dass die vom Antragsteller im Aufnahmemitgliedstaat ausgeübten Aktivitäten an die Überzeugung oder Ausrichtung anknüpfen, die er zuvor in seinem Herkunftsland manifestiert hat, keine wesentliche Voraussetzung für die Anerkennung eines aus Nachfluchtgründen entstandenen Bedarfs an internationalem Schutz. Es handelt sich vielmehr um ein Element zur Erhöhung der Glaubwürdigkeit des Antragstellers, wodurch das Risiko einer missbräuchlichen Absicht eher ausgeschlossen und somit die Begründetheit seines Antrags leichter festgestellt werden kann.
40. Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie 2011/95 erlaubt folglich die Berücksichtigung einer Situation, in der die betreffende Person ihre politischen Ansichten, ihre religiösen Überzeugungen oder ihre sexuelle Ausrichtung in ihrem Herkunftsland nicht geäußert hat, weil sie dazu gezwungen war oder sich wegen der drohenden Gefahren bewusst dafür entschieden hat, sie zu verschweigen, oder weil sie wegen ihres jungen Alters dazu nicht in der Lage war(29 ). Wegen des Begriffs „insbesondere“ in diesem Art. 5 Abs. 2 kann auch eine Situation berücksichtigt werden, in der die betreffende Person nach Verlassen ihres Herkunftslandes beschließt, aufgrund einer Änderung ihrer persönlichen Identität, ihrer religiösen Anschauungen oder auch ihrer politischen Überzeugungen neue Nachfluchtaktivitäten aufzunehmen, hiermit also nicht ihre frühere Überzeugung oder Ausrichtung zum Ausdruck bringt oder fortsetzt.
41. Angesichts der Brisanz von Fragen, die die persönliche Sphäre eines Antragstellers und namentlich seine Religionszugehörigkeit oder sexuelle Orientierung betreffen, darf die zuständige Behörde z. B. nicht allein daraus, dass er nach Verlassen seines Herkunftslandes etwa zu einer anderen Religion konvertiert ist oder seine Homosexualität geoutet hat, auf einen Rechtsmissbrauch schließen. Durch ein solches Vorgehen würde nicht nur verkannt, dass dieser Antragsteller internationalen Schutz benötigt, da ihm auch wegen seiner Nachfluchtaktivitäten bei einer Rückkehr in sein Herkunftsland die Gefahr drohen könnte, verfolgt zu werden oder einen ernsthaften Schaden zu erleiden; vielmehr würden auch seine Grundrechte aus der Charta verletzt, wie etwa das Recht auf Religionsfreiheit, wozu das Recht gehört, die Religion zu wechseln, oder das Recht auf Meinungsfreiheit und freie Meinungsäußerung(30 ).
42. Bei der Anwendung von Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie 2011/95 muss die zuständige Behörde daher alle für den jeweiligen Einzelfall maßgeblichen Umstände prüfen, und zwar gemäß den Regeln in Art. 4 dieser Richtlinie.
43. Insofern enthält Art. 4 Abs. 3 Buchst. d der Richtlinie eine Grundregel für die Beurteilung der Frage, ob ein Bedarf an internationalem Schutz aus Nachfluchtgründen entstanden ist. Denn diese Bestimmung beleuchtet eine besondere Schwierigkeit bei der Prüfung eines auf Nachfluchtaktivitäten des Antragstellers gestützten internationalen Schutzantrags: die Situation, in der Letzterer diese Aktivitäten im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats gezielt aufnimmt, um einen solchen Antrag zu stellen oder zu untermauern(31 ).
44. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte erkennt an, dass es im Allgemeinen sehr schwierig ist, zu beurteilen, ob eine Person ein ernsthaftes Interesse an der betreffenden Aktivität hat – sei es eine politische Betätigung oder eine religiöse Praxis – oder ob sie sich darauf nur eingelassen hat, um ihre Flucht nachträglich zu rechtfertigen(32 ). Der UNHCR ist der Ansicht, eine Person, die in ihrem Herkunftsland objektiv einer Verfolgungsgefahr ausgesetzt sei, habe unabhängig von ihren Beweggründen, ihren Absichten oder ihrem Verhalten Anspruch auf internationalen Schutz, da weder die Richtlinie 2011/95 noch die Genfer Flüchtlingskonvention eine Rechtspflicht enthalte, im Rahmen von Anträgen auf internationalen Schutz in gutem Glauben zu handeln, und die Voraussetzungen für die Gewährung des Schutzes objektiver Natur seien(33 ).
45. Gemäß Art. 4 Abs. 3 Buchst. d der Richtlinie 2011/95 verlangt der Unionsgesetzgeber daher von der zuständigen Behörde, bei der individuellen Prüfung des Antrags zu berücksichtigen, „ob die Aktivitäten des Antragstellers seit Verlassen des Herkunftslandes ausschließlich oder hauptsächlich aufgenommen wurden, um die für die Beantragung von internationalem Schutz erforderlichen Voraussetzungen zu schaffen, damit bewertet werden kann, ob der Antragsteller im Fall einer Rückkehr in dieses Land aufgrund dieser Aktivitäten verfolgt oder ernsthaften Schaden erleiden würde “(34 ).
46. Diese Bestimmung ist Ausdruck des Spannungsverhältnisses zwischen dem Erfordernis einer rein objektiven Prüfung des Antrags im Hinblick auf die dem Antragsteller in seinem Herkunftsland wegen seiner dortigen Aktivitäten konkret drohende Gefahr einer Verfolgung oder eines ernsthaften Schadens und dem Erfordernis, eher subjektive Elemente zu berücksichtigen und zu prüfen, inwieweit der Antragsteller versucht, das System des internationalen Schutzes durch „Scheinaktivitäten“ zu missbrauchen, die nur als Vorwand dienen, um die Flüchtlingseigenschaft oder den subsidiären Schutzstatus zu erlangen.
47. Zwar leidet die Glaubwürdigkeit des Antragstellers offensichtlich, wenn er nach seiner Flucht „eigennützige“ Aktivitäten entfaltet; die Formulierung des Unionsgesetzgebers in Art. 4 Abs. 3 Buchst. d der Richtlinie 2011/95 zeigt jedoch, dass die zuständige Behörde bei ihrer Beurteilung stets zu prüfen hat, ob die vom Antragsteller geschaffenen Umstände darauf schließen lassen, dass er in Anbetracht seiner individuellen Situation ernsthaft befürchten muss, bei einer Rückkehr in sein Herkunftsland Verfolgungshandlungen aus einem der in Art. 10 dieser Richtlinie genannten Gründe ausgesetzt zu sein oder einen gravierenden Schaden zu erleiden(35 ).
48. In diesem Zusammenhang stimmen die Asylagentur der Europäischen Union (EUAA)(36 ), der UNHCR(37 ) und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte(38 ) darin überein, nach welchem Verfahren die zuständige Behörde ihre Prüfung durchzuführen hat. In einem ersten Schritt muss sie prüfen, ob die Ausübung der Nachfluchtaktivitäten von einer echten, aufrichtigen und ernsthaften Überzeugung oder Ausrichtung zeugt. Diese Prüfung soll Aufschluss darüber geben, inwieweit der Antragsteller diese Aktivitäten nach seiner Rückkehr in das Herkunftsland fortsetzen wird, damit Ausmaß und Art der ihm drohenden Gefahren eingeschätzt werden können. Wie der Gerichtshof entschieden hat, ist diese Beurteilung der Größe der Gefahr mit Wachsamkeit und Vorsicht vorzunehmen, da Fragen der Integrität der menschlichen Person und der individuellen Freiheiten betroffen sind, die zu den Grundwerten der Europäischen Union gehören(39 ). So könnte sogar eine Person, deren Religionswechsel nicht aufrichtig wäre, aber durch die Taufurkunde dokumentiert würde, von den Behörden bestimmter Länder, wie etwa im Ausgangsverfahren des Irans, als des Verbrechens der Apostasie für schuldig befunden werden, so dass ihr bei einer Rückkehr in dieses Land die reale Gefahr einer Verfolgung drohen würde.
49. In einem zweiten Schritt muss die zuständige Behörde prüfen, inwieweit die Nachfluchtaktivitäten geeignet sind, die Aufmerksamkeit der Verfolger auf sich zu ziehen, bzw. ihnen bereits bekannt geworden sind und wie sie gegebenenfalls von den Verfolgern wahrgenommen werden. (Werden sie als „Scheinaktivitäten“ aufgefasst oder im Gegenteil als Beleg für ein Merkmal, das z. B. auf die Religion oder die Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe verweist und Verfolgungshandlungen auslösen würde(40 )?)
50. Nach dieser Einzelfallprüfung kann die zuständige Behörde feststellen, ob die Nachfluchtaktivitäten des Antragstellers trotz ihrer eigennützigen Natur eine begründete Furcht vor Verfolgung aus einem der in Art. 10 der Richtlinie 2011/95 genannten Gründe auslösen und ob der Antragsteller daher die Voraussetzungen für die Anerkennung als Flüchtling gemäß Art. 2 Buchst. d dieser Richtlinie erfüllt(41 ).
2. Verweigerung der Anerkennung als Flüchtling wegen Instrumentalisierung des Verfahrens zur Gewährung internationale n Schutz es im Sinne von Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 2011/95
51. Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 2011/95 knüpft an Art. 5 Abs. 2 dieser Richtlinie an. Er eröffnet den Mitgliedstaaten die Möglichkeit, im besonderen Rahmen der Einreichung eines Folgeantrags die Flüchtlingseigenschaft nicht förmlich zuzuerkennen, indem sie die Anerkennung als Flüchtling verweigern, wenn „die Verfolgungsgefahr auf Umständen beruht, die der Antragsteller … selbst geschaffen hat“.
52. Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 2011/95 ist eindeutig eng auszulegen.
53. Zunächst möchte ich darauf hinweisen, dass die Mitgliedstaaten nach Art. 13 der Richtlinie 2011/95 einem Drittstaatsangehörigen oder einem Staatenlosen, der die Voraussetzungen der Kapitel II und III dieser Richtlinie erfüllt, die Flüchtlingseigenschaft zuerkennen müssen(42 ). Der Gerichtshof hat in seiner Rechtsprechung klargestellt, dass die Mitgliedstaaten „in dieser Hinsicht über [k]ein Ermessen … verfügen“(43 ).
54. Indem Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 2011/95 den Mitgliedstaaten gestattet, die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zu verweigern, stellt er folglich eine Ausnahme von der allgemeinen Regel in Art. 13 dieser Richtlinie dar. Konkret wird einer Person, die die Voraussetzungen für die Anerkennung als Flüchtling erfüllt, gleichwohl die Flüchtlingseigenschaft verweigert, weil sie die Verfolgungsgefahr selbst geschaffen hat. Die Umstände, unter denen ein Mitgliedstaat von dieser Möglichkeit Gebrauch machen kann, müssen daher eng gefasst werden.
55. Sodann hat die Weigerung, die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, weitreichende Folgen: Die betroffene Person verfügt nämlich nicht über alle in Kapitel VII dieser Richtlinie genannten Rechte und Leistungen, da diese mit dieser Rechtsstellung verbunden sind(44 ).
56. Unter diesen Umständen kann meines Erachtens die Weigerung, die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, nur gerechtfertigt sein, wenn dadurch ein offensichtlich missbräuchliches oder zweckgerichtetes Verhalten(45 ) des Antragstellers geahndet werden soll, der die Umstände, derentwegen er befürchten muss, verfolgt zu werden, „durch eigenes Zutun erzeugt hat“(46 ), um die Erfolgsaussichten seines Folgeantrags zu erhöhen(47 ).
57. Dazu muss die zuständige Behörde nach meiner Meinung nachweisen, dass der Folgeantrag eindeutig auf einer Verfolgungsgefahr beruht, die der Antragsteller nach Erlass der bestandskräftigen Entscheidung über seinen früheren Antrag bewusst herbeigeführt hat, indem er unredliche Aktivitäten, Handlungen oder Verhaltensweisen vorgenommen bzw. an den Tag gelegt hat, und zwar ausschließlich zu dem Zweck, die für seine Anerkennung als Flüchtling erforderlichen Voraussetzungen zu schaffen.
58. Insoweit kann in gewissem Maß eine Parallele zu Art. 14 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie 2011/95 gezogen werden, wonach das offenkundig betrügerische Verhalten eines Drittstaatsangehörigen dadurch geahndet werden soll, dass die Mitgliedstaaten die Flüchtlingseigenschaft aberkennen, beenden oder ihre Verlängerung ablehnen müssen, wenn der Betreffende Tatsachen verfälscht oder verschwiegen oder falsche bzw. gefälschte Dokumente verwendet hat, um die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zu erlangen.
59. Es steht außer Frage, dass Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 2011/95 mit Vorsicht angewandt werden muss und die zuständige Behörde, bevor sie entscheidet, die Anerkennung als Flüchtling abzulehnen, alle für die individuelle Situation des Antragstellers maßgeblichen Umstände umfassend zu prüfen hat.
60. Nach ständiger Rechtsprechung muss die zuständige Behörde nämlich, bevor sie Entscheidungen über den Ausschluss, die Aberkennung, die Beendigung oder die Ablehnung der Verlängerung der Flüchtlingseigenschaft erlässt, die genauen tatsächlichen Umstände, die ihr bekannt sind, würdigen und sämtliche für den Einzelfall des Antragstellers maßgeblichen Umstände umfassend prüfen, um zu ermitteln, ob schwerwiegende Gründe zu der Annahme berechtigen, dass die Situation des Betreffenden – der im Übrigen die Voraussetzungen, um internationalen Schutz zu erlangen oder diesen Schutz weiter zu genießen, erfüllt – zu einem der Fälle des Ausschlusses, der Aberkennung, der Beendigung oder der Ablehnung der Verlängerung dieser Eigenschaft gehört(48 ). Wie der Gerichtshof dargelegt hat, stellt diese Würdigung einen integralen Bestandteil des Verfahrens des internationalen Schutzes dar, das gemäß den Richtlinien 2011/95 und 2013/32 durchzuführen ist(49 ), weshalb jeglicher Automatismus ausgeschlossen ist(50 ).
61. Im Rahmen der Richtlinie 2004/83 sah der Unionsgesetzgeber im Übrigen eine Abstufung der Maßnahmen vor, die die Mitgliedstaaten gegenüber einem Antragsteller ergreifen durften, der eine Missbrauchsabsicht zu erkennen gegeben hatte. So konnten sie entweder „die einem Flüchtling … zugestandenen Rechte … einschränken , wenn ihm die Flüchtlingseigenschaft aufgrund von Aktivitäten zuerkannt wurde, die einzig oder hauptsächlich deshalb aufgenommen wurden, um die für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft erforderlichen Voraussetzungen zu schaffen“(51 ) (Art. 20 Abs. 6 dieser Richtlinie), oder ihm diese Eigenschaft aus denselben Gründen verweigern, wie sie heute in Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 2011/95 aufgeführt sind (Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 2004/83). Die entsprechende Wahl war nach einer Abwägung aller für den Antrag auf internationalen Schutz maßgeblichen Tatsachen und Umstände zu treffen.
62. Schließlich wird diese enge Auslegung von Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 2011/95 durch den mit dieser Richtlinie verfolgten Zweck untermauert.
63. Im zwölften Erwägungsgrund der Richtlinie 2011/95 kommt in der Tat klar der Wille des Unionsgesetzgebers zum Ausdruck, sicherzustellen, dass alle Mitgliedstaaten die Personen bestimmen, die „tatsächlich Schutz benötigen“, und diesen internationalen Schutz auf der Grundlage gemeinsamer Kriterien durch eine individuelle Prüfung der Situation jedes Antragstellers gewähren(52 ).
64. Mit Art. 5 Abs. 3 dieser Richtlinie kann die Glaubwürdigkeit und Integrität des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems gewährleistet werden, da die Mitgliedstaaten eine Person von der Anerkennung als Flüchtling ausschließen können, die versucht, dieses System dadurch zu missbrauchen, dass sie, nur um in den Genuss der mit einer solchen Anerkennung verbundenen Vorteile zu gelangen, absichtlich Umstände schafft, die sie bei ihrer Rückkehr in ihr Herkunftsland der Gefahr von Verfolgung aussetzen würden(53 ).
65. Infolgedessen ist Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 2011/95 nach meiner Meinung dahin auszulegen, dass ein Mitgliedstaat einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen, der einen Folgeantrag gestellt hat, die Anerkennung als Flüchtling nur verweigern darf, wenn er nach einer umfassenden Prüfung aller für die individuelle Situation des Antragstellers maßgeblichen Umstände mit hinreichender Gewissheit festgestellt hat, dass dieser Antrag eindeutig auf eine Verfolgungsgefahr gestützt ist, die der Antragsteller nach Erlass der bestandskräftigen Entscheidung über seinen früheren Antrag bewusst herbeigeführt hat, indem er unredliche Aktivitäten, Handlungen oder Verhaltensweisen allein deshalb vorgenommen bzw. an den Tag gelegt hat, um die für seine Anerkennung als Flüchtling erforderlichen Voraussetzungen zu schaffen.
C. Prüfung der fraglichen Regelung
66. In Anbetracht der vorstehenden Ausführungen bin ich der Ansicht, dass der österreichische Gesetzgeber mit dem Erlass einer Rechtsvorschrift wie des § 3 Abs. 2 AsylG 2005 das ihm durch Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 2011/95 eingeräumte Ermessen überschritten hat.
67. Zur Erinnerung: Die betreffende nationale Bestimmung besagt, dass „[e]inem Fremden, der einen Folgeantrag … stellt, … in der Regel nicht der Status des Asylberechtigten zuerkannt [wird], wenn die Verfolgungsgefahr auf Umständen beruht, die der Fremde nach Verlassen seines Herkunftsstaates selbst geschaffen hat, es sei denn, es handelt sich um in Österreich erlaubte Aktivitäten, die nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind“.
68. Diese Bestimmung enthält zunächst einen Grundsatz, der auch in Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 2011/95 festgelegt ist, und sodann eine Ausnahme, die der österreichische Gesetzgeber in Ausübung des ihm durch diesen Artikel eingeräumten Ermessens hinzugefügt hat(54 ). Nach meinem Verständnis von § 3 Abs. 2 AsylG 2005 kann hiernach ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser, der einen auf die Ausübung von Nachfluchtaktivitäten gestützten Folgeantrag stellt, als Flüchtling anerkannt werden, wenn sich die Verfolgungsgefahr aus der Ausübung von in Österreich erlaubten Aktivitäten ergibt, die nachweislich eine Fortsetzung seiner bereits in seinem Herkunftsland bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung sind.
69. Ich muss gestehen, dass es mir schwerfällt, zu verstehen, in welchem Verhältnis die vom österreichischen Gesetzgeber dergestalt eingeführte Ausnahme zu dem in Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 2011/95 verankerten Grundsatz steht, wonach die Anerkennung als Flüchtling verweigert werden kann, wenn die Verfolgungsgefahr vom Antragsteller absichtlich herbeigeführt wurde. Von ihrer Zielrichtung her scheint die betreffende nationale Bestimmung eher dem Geist von Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie 2011/95 zu entsprechen, da § 3 Abs. 2 AsylG 2005, wie die österreichische Regierung in ihren Erklärungen hervorhebt, sicherstellen soll, dass „auch im Folgeantragsverfahren bestimmte Nachfluchtgründe … berücksichtig[t]“ werden. Dies ist der eigentliche Zweck von Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie 2011/95, der, wie erinnerlich, auch für Folgeanträge auf internationalen Schutz gilt. § 3 Abs. 2 AsylG 2005 weicht hiervon allerdings aufgrund seiner Anwendungsvoraussetzungen ab. Der Umstand, dass es sich bei den Nachfluchtaktivitäten des Antragstellers um eine Fortsetzung seiner im Herkunftsland bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung handelt, ist nämlich nicht nur ein Element, das dazu beiträgt, die Glaubwürdigkeit des Antragstellers zum Nachweis einer begründeten Furcht vor Verfolgung zu untermauern. Sie ist vielmehr, zusammen mit dem neuen Kriterium der Zulässigkeit der Aktivitäten, eine wesentliche Voraussetzung für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. In Anbetracht dessen scheint mir die fragliche nationale Bestimmung im besonderen Rahmen der Einreichung eines Folgeantrags letztlich eine neue Voraussetzung für die auf Nachfluchtgründen beruhende Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft aufzustellen.
70. Insofern weise ich darauf hin, dass die Mitgliedstaaten durch die Wahrnehmung der ihnen in Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 2011/95 eingeräumten Befugnis das Unionsrecht durchführen. Deshalb dürfen sie zum einen diese Befugnis nicht in einer Weise nutzen, die das Ziel und die praktische Wirksamkeit dieser Richtlinie beeinträchtigen würde. Deren Ziel besteht gemäß ihren Erwägungsgründen 12 und 25 darin, zu gewährleisten, dass alle Mitgliedstaaten gemeinsame Kriterien zur Bestimmung der Personen, die tatsächlich Schutz benötigen, und insbesondere zur Anerkennung von Nachfluchtgründen anwenden. Zum anderen müssen die Mitgliedstaaten den in dieser Bestimmung vorgesehenen Grund für die Verweigerung der Anerkennung als Flüchtling unter Wahrung der in der Charta verankerten Grundrechte anwenden(55 ). Im Übrigen heißt es im 16. Erwägungsgrund der Richtlinie 2011/95, dass diese die Grundrechte und die in der Charta anerkannten Grundsätze achtet(56 ).
71. Die Richtlinie 2011/95 enthält jedoch keine Bestimmung, die für die Feststellung eines nach der Flucht entstandenen Bedarfs an internationalem Schutz verlangen würde, dass die Aktivitäten des Antragstellers im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats erlaubt sind und außerdem nachweislich eine Fortsetzung der in dessen Herkunftsland bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung darstellen. Die Zulässigkeit dieser Aktivitäten darf keine Bedingung für die Gewährung internationalen Schutzes sein. Der österreichische Gesetzgeber stellt somit eine in der Richtlinie 2011/95 nicht vorgesehene zusätzliche Voraussetzung auf, wodurch die vom Unionsgesetzgeber beabsichtigte Einheitlichkeit der Kriterien für die Anerkennung des nach der Flucht entstandenen Bedarfs an internationalem Schutz nicht gewährleistet werden kann.
72. Darüber hinaus führt eine solche Voraussetzung in einer Situation, wie sie im Ausgangsverfahren gegeben ist – in der die zuständige Behörde die generelle Glaubwürdigkeit des Antragstellers festgestellt und nicht nur die Aufrichtigkeit seines Religionswechsels, sondern auch das Vorliegen einer begründeten Furcht vor Verfolgung bei Rückkehr in sein Herkunftsland anerkannt hat –, dazu, dass der Betroffene allein deshalb nicht als Flüchtling anerkannt wird, weil er nach Erlass der bestandskräftigen Entscheidung über seinen früheren Antrag konvertiert ist. Dies verkennt den eigentlichen Zweck von Folgeanträgen, die naturgemäß neue Umstände oder Tatsachen beinhalten, und verletzt die in der Charta garantierten Grundrechte, da die tatsächliche Achtung der in Art. 10 der Charta verankerten Religionsfreiheit, die das Recht, die Religion zu wechseln, einschließt, nicht gewährleistet werden kann.
73. Infolgedessen ist Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 2011/95 nach meiner Meinung dahin auszulegen, dass er der Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, wonach ein Drittstaatsangehöriger, der einen Folgeantrag stellt, in der Regel nicht als Flüchtling anerkannt wird, wenn die Verfolgungsgefahr auf Umständen beruht, die er nach Verlassen seines Herkunftslandes selbst geschaffen hat, es sei denn, es handelt sich um in diesem Mitgliedstaat erlaubte Aktivitäten, die nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung sind.
V. Ergebnis
74. Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, die Vorlagefrage des Verwaltungsgerichtshofs (Österreich) wie folgt zu beantworten:
Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes
ist dahin auszulegen, dass
– ein Mitgliedstaat einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen, der einen Folgeantrag gestellt hat, die Anerkennung als Flüchtling nur verweigern darf, wenn er nach einer umfassenden Prüfung aller für die individuelle Situation des Antragstellers maßgeblichen Umstände mit hinreichender Gewissheit festgestellt hat, dass dieser Antrag eindeutig auf eine Verfolgungsgefahr gestützt ist, die der Antragsteller nach Erlass der bestandskräftigen Entscheidung über seinen früheren Antrag bewusst herbeigeführt hat, indem er unredliche Aktivitäten, Handlungen oder Verhaltensweisen allein deshalb vorgenommen bzw. an den Tag gelegt hat, um die für seine Anerkennung als Flüchtling erforderlichen Voraussetzungen zu schaffen;
– er der Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, wonach ein Drittstaatsangehöriger, der einen Folgeantrag stellt, in der Regel nicht als Flüchtling anerkannt wird, wenn die Verfolgungsgefahr auf Umständen beruht, die er nach Verlassen seines Herkunftslandes selbst geschaffen hat, es sei denn, es handelt sich um in diesem Mitgliedstaat erlaubte Aktivitäten, die nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung sind.