C-12/19 P – Troszczynski/ Parlament

C-12/19 P – Troszczynski/ Parlament

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Language of document : ECLI:EU:C:2020:725

Vorläufige Fassung

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Vierte Kammer)

17. September 2020(*)

„Rechtsmittel – Institutionelles Recht – Mitglied des Europäischen Parlaments – Protokoll über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Union – Art. 8 – Parlamentarische Immunität – Tätigkeit ohne Zusammenhang mit dem Amt eines Abgeordneten – Veröffentlichung auf dem Twitter-Konto des Abgeordneten – Art. 9 – Parlamentarische Unverletzlichkeit – Umfang – Beschluss über die Aufhebung der parlamentarischen Immunität“

In der Rechtssache C‑12/19 P

betreffend ein Rechtsmittel nach Art. 56 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union, eingelegt am 7. Januar 2019,

Mylène Troszczynski, wohnhaft in Noyon (Frankreich), Prozessbevollmächtigter: F. Wagner, avocat,

Rechtsmittelführerin,

andere Partei des Verfahrens:

Europäisches Parlament, vertreten durch S. Alonso de León und C. Burgos als Bevollmächtigte,

Beklagter im ersten Rechtszug,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Vilaras, der Richter S. Rodin und D. Šváby, der Richterin K. Jürimäe sowie des Richters N. Piçarra (Berichterstatter),

Generalanwalt: P. Pikamäe,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 2. April 2020

folgendes

Urteil

1        Mit ihrem Rechtsmittel beantragt die Rechtsmittelführerin die Aufhebung des Urteils des Gerichts der Europäischen Union vom 8. November 2018, Troszczynski/Parlament (T‑550/17, nicht veröffentlicht, im Folgenden: angefochtenes Urteil, EU:T:2018:754), mit dem dieses ihre Klage auf Nichtigerklärung des Beschlusses des Europäischen Parlaments vom 14. Juni 2017 über die Aufhebung ihrer parlamentarischen Immunität (im Folgenden: streitiger Beschluss) abgewiesen hat.

 Rechtlicher Rahmen

2        Art. 8 des Protokolls Nr. 7 über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Union im Anhang des EU‑Vertrags und des AEU‑Vertrags (ABl. 2016, C 202, S. 266, im Folgenden: Protokoll) sieht vor:

„Wegen einer in Ausübung ihres Amtes erfolgten Äußerung oder Abstimmung dürfen Mitglieder des Europäischen Parlaments weder in ein Ermittlungsverfahren verwickelt noch festgenommen oder verfolgt werden.“

3        Art. 9 des Protokolls bestimmt:

„Während der Dauer der Sitzungsperiode des Europäischen Parlaments

a)      steht seinen Mitgliedern im Hoheitsgebiet ihres eigenen Staates die den Parlamentsmitgliedern zuerkannte Unverletzlichkeit zu,

b)      können seine Mitglieder im Hoheitsgebiet jedes anderen Mitgliedstaats weder festgehalten noch gerichtlich verfolgt werden.

Die Unverletzlichkeit besteht auch während der Reise zum und vom Tagungsort des Europäischen Parlaments.

Bei Ergreifung auf frischer Tat kann die Unverletzlichkeit nicht geltend gemacht werden; sie steht auch nicht der Befugnis des Europäischen Parlaments entgegen, die Unverletzlichkeit eines seiner Mitglieder aufzuheben.“

4        Art. 5 („Vorrechte und Befreiungen“) der Geschäftsordnung des Europäischen Parlaments (8. Legislaturperiode – Januar 2017) sieht in seinem Abs. 2 Satz 2 vor:

„Die parlamentarische Immunität ist kein persönliches Vorrecht eines Mitglieds, sondern eine Garantie der Unabhängigkeit des Parlaments als Ganzes und seiner Mitglieder.“

 Vorgeschichte des Rechtsstreits

5        Die in den Rn. 1 bis 10 des angefochtenen Urteils dargestellte Vorgeschichte des Rechtsstreits kann für die Zwecke des vorliegenden Verfahrens wie folgt zusammengefasst werden.

6        Die Rechtsmittelführerin wurde bei den vom 22. bis 25. Mai 2014 abgehaltenen Wahlen für die 8. Legislaturperiode des Europäischen Parlaments zur Abgeordneten gewählt.

7        Am 23. September 2015 wurde auf dem Twitter-Konto der Rechtsmittelführerin ein Foto veröffentlicht, auf dem eine Gruppe von Frauen zu sehen war, die ein Kleidungsstück trugen, das ihr gesamtes Gesicht mit Ausnahme der Augen verdeckte, und die vor einer Caisse d’allocations familiales (CAF, Familienkasse) zu warten schienen. Das Foto war mit folgendem Kommentar versehen: „CAF in Rosny-sous-Bois am 9. Dezember 2014. Die Vollverschleierung gilt als gesetzlich verboten …“ (im Folgenden: streitiger Tweet).

8        Nachdem der Generaldirektor der CAF von Seine-Saint-Denis (Frankreich) am 27. November 2015 eine Beschwerde wegen öffentlicher Verleumdung einer Behörde eingereicht hatte, eröffnete der Staatsanwalt von Bobigny (Frankreich) am 19. Januar 2016 eine gerichtliche Voruntersuchung wegen Aufstachelung zu „Hass und Gewalt gegen eine Person oder eine Gruppe von Personen aus Gründen von deren Herkunft oder Zugehörigkeit bzw. Nichtzugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen Gruppe, Nation, Rasse oder Religion“ sowie wegen öffentlicher Verleumdung.

9        Die Rechtsmittelführerin wurde von einem Ermittlungsrichter zu einer ersten Einvernahme am 20. September 2016 geladen. Sie weigerte sich, dieser Ladung nachzukommen, und begründete dies mit ihrer parlamentarischen Immunität.

10      Mit Schriftsatz vom 23. September 2016 beantragte der Ermittlungsrichter des Tribunal de grande instance de Bobigny (Gericht erster Instanz Bobigny, Frankreich), das Parlament mit einem Antrag auf Aufhebung dieser Immunität zu befassen.

11      Am 1. Dezember 2016 leitete das französische Justizministerium diesen Antrag an den Präsidenten des Parlaments weiter.

12      Die Rechtsmittelführerin wurde am 11. April 2017 vom Rechtsausschuss des Parlaments angehört.

13      Am 14. Juni 2017 erließ das Parlament den streitigen Beschluss.

14      Mit Beschluss vom 26. April 2018 verwies der mit der Untersuchung befasste Vizepräsident des Tribunal de grande instance de Bobigny (Gericht erster Instanz Bobigny) die Rechtsmittelführerin an das Tribunal correctionnel (Strafgericht, Frankreich).

 Verfahren vor dem Gericht und angefochtenes Urteil

15      Mit Klageschrift, die am 12. August 2017 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, erhob die Rechtsmittelführerin eine Klage auf Nichtigerklärung des streitigen Beschlusses sowie auf Ersatz des durch diesen Beschluss angeblich verursachten immateriellen Schadens.

16      Die Rechtsmittelführerin stützte ihre Anträge auf vier Gründe: erstens einen Verstoß gegen Art. 8 des Protokolls, zweitens einen Verstoß gegen Art. 9 des Protokolls, drittens eine Verletzung der Begründungspflicht, des Grundsatzes der Gleichbehandlung und des Grundsatzes der ordnungsgemäßen Verwaltung sowie viertens eine Verletzung der Verteidigungsrechte sowie eine Einrede der Rechtswidrigkeit nach Art. 9 Abs. 9 und Art. 150 Abs. 2 der Geschäftsordnung des Parlaments.

17      Das Gericht behandelte den ersten und den zweiten Klagegrund gemeinsam und wies zunächst in Rn. 34 des angefochtenen Urteils darauf hin, dass das mit einem Antrag auf Aufhebung der Immunität befasste Parlament, wenn es zu dem Ergebnis gelange, dass der diesem Aufhebungsantrag zugrunde liegende Sachverhalt nicht unter Art. 8 des Protokolls falle, zu prüfen habe, ob der betreffende Abgeordnete für diesen Sachverhalt Immunität nach Art. 9 des Protokolls genieße, und dass es, wenn dies der Fall sei, entscheiden müsse, ob diese Immunität aufzuheben sei.

18      Danach unterteilte das Gericht das Vorbringen der Rechtsmittelführerin zur Stützung dieser zwei Klagegründe in fünf Teile: der erste beruht darauf, dass Art. 26 der französischen Verfassung auf den streitigen Tweet anwendbar sei, der zweite darauf, dass dieser Tweet eine in Ausübung des parlamentarischen Amtes der Rechtsmittelführerin erfolgte Äußerung im Sinne von Art. 8 des Protokolls darstelle, der dritte darauf, dass ein Verstoß gegen das Grundrecht der freien Meinungsäußerung vorliege, den das Parlament begangen habe, indem es zu Unrecht die parlamentarische Immunität der Rechtsmittelführerin aufgehoben habe, der vierte darauf, dass die Rechtsmittelführerin nicht die Urheberin des streitigen Tweets gewesen sei, und der fünfte darauf, dass eine Beeinträchtigung der Unabhängigkeit der Rechtsmittelführerin sowie des Parlaments vorliege.

19      Das Gericht wies den ersten Teil als ins Leere gehend zurück. Es stellte in Rn. 41 des angefochtenen Urteils fest, dass der Grund, aus dem das Parlament davon ausgegangen sei, dass die Rechtsmittelführerin Art. 26 der französischen Verfassung nicht in Anspruch nehmen könne, nicht darin liege, dass die streitige Erklärung auf Twitter erfolgt sei, sondern vielmehr darin, dass der streitige Tweet nicht als eine in Ausübung des Abgeordnetenamts der Rechtsmittelführerin erfolgte Äußerung oder Abstimmung im Sinne von Art. 8 des Protokolls eingestuft werden könne.

20      Der zweite Teil wurde als unbegründet zurückgewiesen. Das Gericht stellte in Rn. 53 des angefochtenen Urteils im Wesentlichen fest, dass der streitige Tweet den Verstoß anlässlich eines bestimmten Ereignisses, das sich vor einer Einrichtung mit öffentlich-rechtlichem Auftrag im französischen Hoheitsgebiet abgespielt haben solle, gegen ein französisches Gesetz, wonach im öffentlichen Raum das Gesicht nicht verschleiert werden dürfe, habe anprangern sollen; er könne nicht mit einer allgemeinen Stellungnahme zu aktuellen oder vom Parlament behandelten Themen gleichgesetzt werden. In Rn. 54 des angefochtenen Urteils schloss das Gericht daraus, dass ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen dem streitigen Tweet und dem Abgeordnetenamt der Rechtsmittelführerin nicht offenkundig sei, so dass das Parlament, ohne einen offensichtlichen Beurteilungsfehler zu begehen, angenommen habe, dass die Vorwürfe gegen die Rechtsmittelführerin keine in Ausübung ihres Amtes als Mitglied des Parlaments erfolgten Äußerungen oder Abstimmungen im Sinne von Art. 8 des Protokolls beträfen.

21      Der dritte Teil wurde ebenfalls als unbegründet zurückgewiesen. Zwar stellte das Gericht in Rn. 58 des angefochtenen Urteils fest, dass Art. 8 des Protokolls eng mit dem Schutz der Meinungsfreiheit verknüpft sei, doch ging es in Rn. 59 des Urteils davon aus, dass der der Rechtsmittelführerin vorgeworfene Sachverhalt nicht unter diesen Artikel falle und das Parlament folglich nicht gegen diese Freiheit verstoßen habe.

22      Das Gericht wies den vierten Teil als ins Leere gehend zurück. In den Rn. 61 und 62 des angefochtenen Urteils führte es aus, dass zum einen die Frage, ob die Voraussetzungen für die Aufhebung der Immunität zu dem Zeitpunkt, zu dem der entsprechende Antrag gestellt worden sei, erfüllt gewesen seien, von der Frage zu unterscheiden sei, ob der dem fraglichen Abgeordneten vorgeworfene Sachverhalt nachgewiesen sei, und dass es zum anderen nicht dem Parlament obliege, über die Zurechenbarkeit dieses Sachverhalts zu entscheiden.

23      Auch der fünfte Teil wurde als unbegründet zurückgewiesen. In den Rn. 66 und 67 des angefochtenen Urteils stellte das Gericht fest, dass dem Parlament, da es nach Art. 9 des Protokolls die Immunität der Abgeordneten aufheben dürfe, nicht vorgeworfen werden könne, dass dieses Organ es unter Berücksichtigung der Umstände des vorliegenden Falles und auf Antrag des französischen Justizministers für angebracht gehalten habe, die Immunität der Rechtsmittelführerin aufzuheben, um den französischen Justizbehörden die Fortsetzung ihrer Untersuchung zu ermöglichen.

24      Den dritten Klagegrund, dessen erster Teil eine Verletzung der Begründungspflicht und des Grundsatzes der Gleichbehandlung betraf und mit dessen zweitem Teil eine Verletzung des Grundsatzes der ordnungsgemäßen Verwaltung gerügt wurde, wies das Gericht in Rn. 102 des angefochtenen Urteils insgesamt zurück.

25      Zum ersten Teil dieses Klagegrundes, mit dem die Rechtsmittelführerin geltend machte, das Parlament habe sie anders als andere Mitglieder des Parlaments in vergleichbaren Situationen behandelt, ohne dies hinreichend begründet zu haben, führte das Gericht zunächst in Rn. 76 des angefochtenen Urteils aus, dass es sich bei der „Mitteilung an die Mitglieder Nr. 11/2003“ des Rechts- und Binnenmarktausschusses des Parlaments vom 6. Juni 2003 unter dem Betreff „Aufhebung der Immunität nach Art. [9] des Protokolls über die Vorrechte und Befreiungen. Grundsätze nach den Rechtssachen betreffend die Meinungsäußerung“ (im Folgenden: Mitteilung Nr. 11/2003), auf das die Rechtsmittelführerin diesen ersten Teil stützt, nicht um einen Rechtsakt des Parlaments im Sinne von Art. 288 AEUV handele und sie nicht bindend sei. Das Gericht wies sodann in den Rn. 80 und 81 des angefochtenen Urteils zum einen darauf hin, dass die Rechtsmittelführerin weder die Handlungen oder Äußerungen, die den Abgeordneten, denen ihrer Ansicht nach die Anwendung dieser Mitteilung zugutegekommen sei, vorgeworfen würden, noch die Umstände, unter denen sich der in Rede stehende Sachverhalt ereignet habe, dargelegt habe und daher keinen Nachweis dafür erbringe, dass die Situation dieser Abgeordneten mit der ihrigen vergleichbar sei. Zum anderen habe die Rechtsmittelführerin, da vorliegend kein unmittelbarer Zusammenhang zwischen dem streitigen Tweet und ihrem Abgeordnetenamt bestehe, nicht nachgewiesen, dass das Parlament von dem in dieser Mitteilung verankerten Grundsatz abgewichen sei, der vorsehe, dass in den Fällen, in denen die Handlungen, die dem Abgeordneten vorgeworfen würden, im Rahmen seiner politischen Tätigkeit erfolgten oder unmittelbar damit zusammenhingen, die Immunität nicht aufgehoben werde.

26      Zum zweiten Teil desselben Klagegrundes führte das Gericht in den Rn. 88 und 99  des angefochtenen Urteils aus, dass die Rechtsmittelführerin, abgesehen von der abweichenden politischen Einstellung keinen konkreten Anhaltspunkt zum Nachweis dafür beigebracht habe, dass die französische Regierung, und insbesondere der französische Justizminister, den Front National verfolge, dessen Abgeordnete sie sei, und auch nicht dafür, dass nur oder zumindest zum Teil ihre Zugehörigkeit zu dieser Partei die Einleitung einer gerichtlichen Voruntersuchung ausgelöst habe. Weiter stellte das Gericht in Rn. 94 des angefochtenen Urteils fest, es gebe keine Anhaltspunkte dafür, dass der Antrag auf Aufhebung der parlamentarischen Immunität der Rechtsmittelführerin im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens erfolgt sei, das – insbesondere im Hinblick auf Fristen – ungewöhnlich abgelaufen sei. Schließlich vertrat das Gericht in Rn. 96 des angefochtenen Urteils die Auffassung, dass keiner der von der Rechtsmittelführerin in diesem Kontext geltend gemachten Gesichtspunkte – nämlich, dass ihr Assistent den streitigen Tweet abgefasst habe und dieser von ihr gelöscht worden sei, sobald sie davon Kenntnis erlangt habe, dass sie im Fall einer Verurteilung Gefahr laufe, dass ihr das passive Wahlrecht aberkannt werde und sie zudem ihr Mandat als Europaabgeordnete sowie alle ihre Wahlmandate verliere – zu den Umständen gehöre, die das Parlament für die Feststellung, ob die Voraussetzungen für eine Aufhebung der parlamentarischen Immunität nach Art. 9 des Protokolls im vorliegenden Fall erfüllt gewesen seien, berücksichtigen müsse.

27      Ergänzend stellte das Gericht in Rn. 101 des angefochtenen Urteils fest, dass der in Rn. 14 des vorliegenden Urteils erwähnte Verweisungsbeschluss vor das Tribunal correctionnel (Strafgericht), nach dem streitigen Beschluss erlassen worden sei, tendenziell der Argumentation der Rechtsmittelführerin betreffend das Bestehen eines fumus persecutionis seitens der französischen Justizbehörden widerspreche. Das Gericht wies insoweit darauf hin, dass nach dem Verweisungsbeschluss der Umstand, dass die Rechtsmittelführerin nicht die Urheberin des streitigen Tweets sei, ihrer Verfolgung auf der Grundlage der Loi du 29 juillet 1881 sur la liberté de la presse (Gesetz vom 29. Juli 1881 über die Pressefreiheit [JORF vom 30. Juli 1881, S. 4201]) in seiner anwendbaren Fassung (im Folgenden: Gesetz vom 29. Juli 1881) nicht entgegenstehe.

 Anträge der Parteien

28      Die Rechtsmittelführerin beantragt,

–        das angefochtene Urteil aufzuheben;

–        den streitigen Beschluss für nichtig zu erklären;

–        der Rechtsmittelführerin die Erstattung der Verfahrenskosten in angemessener Höhe zuzuerkennen und

–        dem Parlament die Kosten aufzuerlegen.

29      Das Parlament beantragt, das Rechtsmittel zurückzuweisen und der Rechtsmittelführerin die Kosten aufzuerlegen.

 Zum Rechtsmittel

30      Die Rechtsmittelführerin stützt ihr Rechtsmittel auf zwei Gründe, die in einem einzigen Abschnitt mit der Überschrift „Unionsrechtsverstöße des Gerichts – Rechtsfehler und Fehler bei der rechtlichen Qualifikation des Sachverhalts – offensichtlicher Beurteilungsfehler“ zusammengefasst werden. Insbesondere rügt die Rechtsmittelführerin, dass das Gericht bei der Würdigung des zweiten und des dritten Klagegrundes zwei „offensichtliche Beurteilungsfehler“ begangen habe, die „Folgen für die rechtliche Einstufung [hätten], die das Gericht zu den verfolgten Äußerungen und ihrem Kontext [treffe]“, und die dazu geführt hätten, „dass [der Rechtsmittelführerin] die Art. 8 und 9 des Protokolls nicht zugute[kämen]“.

 Zum ersten Rechtsmittelgrund

 Vorbringen der Parteien

31      Mit ihrem ersten Rechtsmittelgrund, der die Rn. 47 und 52 bis 54 des angefochtenen Urteils betrifft, rügt die Rechtsmittelführerin, dass das Gericht den streitigen Tweet nicht als Meinungsäußerung der Rechtsmittelführerin in Ausübung ihres parlamentarischen Amtes angesehen habe. Hierfür trägt die Rechtsmittelführerin drei Argumente vor.

32      Erstens habe das Gericht fehlerhaft festgestellt, dass das in dem streitigen Tweet kommentierte Ereignis aufgrund seiner geografischen Lokalisierung in Frankreich nicht zu den Angelegenheiten gehöre, die für einen Europaabgeordneten von Bedeutung seien, obwohl jeder Abgeordnete in seinem Land gewählt werde, seine Wähler vertrete und für die Dauer seines Mandats eine notwendige Verbindung zu ihnen aufrechterhalten müsse, indem er u. a. Sachverhalte anspreche, die sie interessierten oder angingen.

33      Zweitens habe das Gericht unzutreffend die Auffassung vertreten, dass eine Meinungsäußerung zwangsläufig eine allgemeine Stellungnahme darstelle und sich nicht auf ein bestimmtes Ereignis beziehen könne. Diese Feststellung widerspreche sowohl der Mitteilung Nr. 11/2003, insbesondere deren Grundsatz Nr. 2, als auch dem Gesetz vom 29. Juli 1881, wonach der streitige Tweet als Meinungsäußerung anzusehen sei. Schließlich verweist die Rechtsmittelführerin auf das Urteil vom 8. Oktober 2009, Brunet-Lecomte und Tanant/Frankreich (CE:ECHR:2009:1008JUD001266206), in dem der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte erklärt habe, dass eine beleidigende oder verleumderische Äußerung Bestandteil der politischen Auseinandersetzung werden und vom Grundrecht der Freiheit der Meinungsäußerung geschützt sein könne, wenn ein allgemeines Interesse daran bestehe, darüber zu debattieren.

34      Drittens habe das Gericht zu Unrecht festgestellt, dass der Umstand, dass ein Parlamentarier auf ein Verhalten hinweise, das dem französischen Recht widerspreche, kein aktuelles Thema sei. Hierzu macht die Rechtsmittelführerin geltend, dass zum einen die Vollverschleierung im öffentlichen Raum als äußere Bekundung der Zugehörigkeit zum Islam ein „Thema von allgemeinem Interesse [sei], das das öffentliche Leben wie auch die Rechte der Frauen betrifft“. Zum anderen hätte das Gericht die mit dem Urteil vom 6. September 2011, Patriciello (C‑163/10, EU:C:2011:543), begründete Rechtsprechung anwenden müssen, wonach für die Ablehnung der Aufhebung der parlamentarischen Immunität eines Abgeordneten geprüft werden müsse, ob die Äußerung im allgemeinen Interesse seiner Wähler im Rahmen seiner politischen Tätigkeit erfolgt sei.

35      Das Parlament ist dagegen der Auffassung, diese drei Argumente beruhten auf einem falschen Verständnis des angefochtenen Urteils, so dass der erste Rechtsmittelgrund als unbegründet zurückzuweisen sei.

 Würdigung durch den Gerichtshof

36      Mit ihrem ersten Rechtsmittelgrund rügt die Rechtsmittelführerin im Wesentlichen, dass das Gericht Art. 8 des Protokolls dadurch verletzt habe, dass es den streitigen Tweet nicht als eine Äußerung ansehe, die in Ausübung ihres parlamentarischen Amtes im Sinne dieser Bestimmung erfolgt sei.

37      Insoweit ist erstens darauf hinzuweisen, dass Art. 8 des Protokolls eine Sondervorschrift ist, die die freie Meinungsäußerung und die Unabhängigkeit der Europaabgeordneten schützen soll und daher jedem Gerichtsverfahren wegen in Ausübung des Abgeordnetenamts erfolgter Äußerungen und Abstimmungen entgegensteht (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 6. September 2011, Patriciello, C‑163/10, EU:C:2011:543, Rn. 26 und die dort angeführte Rechtsprechung).

38      Zweitens findet Art. 8 des Protokolls in Anbetracht seines Zwecks und seines Wortlauts, der sich ausdrücklich auf die Äußerungen von Europaabgeordneten und deren Abstimmungen bezieht, im Wesentlichen auf die Erklärungen der Europaabgeordneten Anwendung, die sie im Parlament selbst abgeben. Nicht ausgeschlossen ist jedoch, dass eine Erklärung, die ein Abgeordneter außerhalb des Parlaments abgibt, eine in Ausübung seines Amtes erfolgte Meinungsäußerung darstellt, denn das Vorliegen einer derartigen Äußerung hängt nicht vom Ort, an dem sie erfolgt, sondern von ihrer Art und ihrem Inhalt ab. Der Begriff „Äußerung“ im Sinne dieser Bestimmung ist also in einem weiten Sinn dahin aufzufassen, dass er Worte und Erklärungen umfasst, die ihrem Inhalt nach Aussagen entsprechen, die subjektive Beurteilungen bilden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 6. September 2011, Patriciello, C‑163/10, EU:C:2011:543, Rn. 29, 30 und 32).

39      Drittens muss, da die in Art. 8 des Protokolls vorgesehene Immunität geeignet ist, die nationalen Justizbehörden und Gerichte in endgültiger Weise daran zu hindern, in ihrem Hoheitsgebiet ihre jeweiligen Befugnisse zur Strafverfolgung und zur Ahndung von Straftaten auszuüben, und dementsprechend den durch diese Äußerungen geschädigten Personen den Zugang zu den Gerichten, einschließlich gegebenenfalls der Zivilgerichte für die Erwirkung von Schadensersatz, vollständig zu verwehren, der Zusammenhang zwischen der Äußerung des Abgeordneten und seinem parlamentarischen Amt unmittelbar und in offenkundiger Weise ersichtlich sein (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 6. September 2011, Patriciello, C‑163/10, EU:C:2011:543, Rn. 33 bis 35).

40      Viertens bestimmt sich – im Gegensatz zu der nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. a des Protokolls vorgesehenen parlamentarischen Unverletzlichkeit, die vom nationalen Recht abhängt – der Umfang der in Art. 8 des Protokolls vorgesehenen Immunität, da diese Vorschrift keinerlei Verweis auf die nationalen Rechtsordnungen enthält, allein nach dem Unionsrecht (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 6. September 2011, Patriciello, C‑163/10, EU:C:2011:543, Rn. 25).

41      Vorliegend ist in Bezug auf das erste zur Begründung des ersten Rechtsmittelgrundes vorgebrachte Argument festzustellen, dass das Gericht – wie vom Generalanwalt in den Nrn. 61 bis 63 seiner Schlussanträge ausgeführt – entgegen dem Vorbringen der Rechtsmittelführerin nicht bestätigt hat, dass das angebliche Ereignis, das im streitigen Tweet kommentiert wurde, aufgrund seiner geografischen Lokalisierung in Frankreich nicht zu den Angelegenheiten gehöre, die für einen Europaabgeordneten von Bedeutung seien. Ebenso wenig hat das Gericht ausgeschlossen, dass Ereignisse, die mit Problemstellungen im Zusammenhang mit dem Islamismus und mit der Verletzung der Rechte der Frauen verbunden sein könnten, Fragen von allgemeinem Interesse darstellten. In Rn. 53 des angefochtenen Urteils hat das Gericht festgestellt, dass der streitige Tweet, da er eher den Willen zum Ausdruck bringe, auf ein mit dem französischen Recht unvereinbares Verhalten hinzuweisen, als das Anliegen, die Rechte der Frauen zu verteidigen, keiner allgemeineren Stellungnahme zu aktuellen oder vom Parlament gewöhnlich behandelten Themen gleichgesetzt werden könne.

42      Folglich beruht das erste Argument zur Stützung des ersten Rechtsmittelgrundes auf einem unzutreffenden Verständnis des angefochtenen Urteils und ist zurückzuweisen.

43      Zum zweiten Argument, das zur Stützung des ersten Rechtsmittelgrundes angeführt wird, ist erstens festzustellen, dass das Gericht in Rn. 46 des angefochtenen Urteils, worauf der Generalanwalt in den Nrn. 64 und 65 seiner Schlussanträge hinweist, den Begriff „Äußerung“ im Sinne von Art. 8 des Protokolls nicht auf allgemeine Stellungnahmen unter Ausschluss jeder Bezugnahme auf ein bestimmtes Ereignis beschränkt hat. Vielmehr erinnerte das Gericht unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs zum Begriff „Äußerung“ daran, dass dieser Begriff in einem weiten Sinn dahin aufzufassen ist, dass er Worte und Erklärungen umfasst, die ihrem Inhalt nach Aussagen entsprechen, welche subjektive Beurteilungen bilden. Das Gericht hat diesen Begriff somit nicht unzulässig beschränkt, sondern sich nach Abschluss seiner Würdigung auf die Feststellung beschränkt, dass zwischen dem streitigen Tweet und dem parlamentarischen Amt der Rechtsmittelführerin kein unmittelbarer und in offenkundiger Weise ersichtlicher Zusammenhang vorliege.

44      Zweitens weist die von der Rechtsmittelführerin angeführte Mitteilung Nr. 11/2003 ungeachtet ihrer rechtlichen Unverbindlichkeit in ihrem Grundsatz Nr. 2 lediglich darauf hin, dass Bekundungen, selbst wenn sie von der für das Publikum eines nationalen Parlaments vorbehaltenen Rednertribüne aus, auf öffentlichen Versammlungen, in politischen Veröffentlichungen, in der Presse, in einem Buch, im Fernsehen, in politischen Veröffentlichungen, durch Unterzeichnung eines politischen Flugblatts und sogar vor Gericht erfolgen, als einer Aufhebung der Immunität entgegenstehende Meinungsäußerungen im Rahmen der politischen Tätigkeit des Abgeordneten anzusehen sind; allerdings wird darin nicht auf die Voraussetzungen eingegangen, unter denen diese Meinungsäußerungen der Abgeordneten als in Ausübung ihres parlamentarischen Amtes erfolgte Äußerungen oder Abstimmungen gerade unter Art. 8 des Protokolls fallen können. Daher kann diese Mitteilung nicht ins Treffen geführt werden, um die Feststellung des Gerichts zu beanstanden, der streitige Tweet falle nicht unter die Ausübung des parlamentarischen Amtes der Rechtsmittelführerin im Sinne von Art. 8 des Protokolls in seiner Auslegung durch das Urteil vom 6. September 2011, Patriciello (C‑163/10, EU:C:2011:543, Rn. 32 bis 35).

45      Drittens ist der Umfang der Immunität nach Art. 8 des Protokolls, wie in Rn. 40 des vorliegenden Urteils ausgeführt, allein auf der Grundlage des Unionsrechts zu bestimmen, so dass das auf das Gesetz vom 29. Juli 1881 gestützte Vorbringen der Rechtsmittelführerin irrelevant und als ins Leere gehend zurückzuweisen ist.

46      Viertens ist auch das von der Rechtsmittelführerin in diesem Zusammenhang angeführte Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 8. Oktober 2009, Brunet-Lecomte und Tanant/Frankreich (CE:ECHR:2009:1008JUD001266206), nicht maßgeblich. Insoweit genügt die Feststellung, dass es in diesem Urteil nicht um die Frage geht, ob es sich bei einer Äußerung um eine von einem Abgeordneten in Ausübung seines Amtes erfolgte Meinungsäußerung handelt, sondern dass dieses Urteil, worauf die Rechtsmittelführerin selbst hinweist, die Möglichkeit betrifft, eine diffamierende Äußerung als durch das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung geschützt anzusehen.

47      In Bezug auf das dritte Argument, auf das der erste Rechtsmittelgrund gestützt ist, hat das Gericht, anders als von der Rechtsmittelführerin geltend gemacht, nicht festgestellt, dass es sich beim Hinweis eines Abgeordneten auf ein mit dem nationalen Recht unvereinbares Verhalten um ein aktuelles Thema handele. Denn das Gericht hat sich in Rn. 53 des angefochtenen Urteils auf die Feststellung beschränkt, dass mit dem streitigen Tweet eher der Wille, auf ein mit dem französischen Recht unvereinbares Verhalten hinzuweisen, zum Ausdruck gebracht werde als das Anliegen, die Rechte der Frauen zu verteidigen, so dass durch den Umstand, dass die Rechtsmittelführerin stellvertretendes Mitglied des Ausschusses für die Rechte der Frau und Chancengleichheit des Parlaments ist, kein Zusammenhang zwischen dem streitigen Tweet und dem von ihr als Abgeordnete ausgeübten Amt hergestellt werden kann.

48      Folglich ist der erste Rechtsmittelgrund, mit dem ein Verstoß des Gerichts gegen Art. 8 des Protokolls geltend gemacht wird, als unbegründet zurückzuweisen.

 Zum zweiten Rechtsmittelgrund

 Vorbringen der Parteien

49      Mit ihrem zweiten Rechtsmittelgrund nimmt die Rechtsmittelführerin Bezug auf die Rn. 61, 62, 96, 100 und 101 des angefochtenen Urteils und rügt im Wesentlichen, das Gericht habe den streitigen Beschluss bestätigt und zu Unrecht festgestellt, dass die für die Aufhebung ihrer parlamentarischen Immunität erforderlichen Voraussetzungen erfüllt seien. Zur Begründung trägt die Rechtsmittelführerin drei Argumente vor.

50      Erstens habe das Gericht unzutreffend festgestellt, dass die Prüfung, ob der dem Abgeordneten, dessen parlamentarische Immunität aufgehoben werden solle, vorgeworfene Sachverhalt nachgewiesen sei, nicht dem Parlament obliege; dennoch habe das Parlament diesen Sachverhalt geprüft und anerkannt.

51      Zweitens habe das Gericht nicht die zutreffenden rechtlichen Schlussfolgerungen aus Art. 42 des Gesetzes vom 29. Juli 1881 gezogen, der mit der Festlegung einer „Kaskadenhaftung“ den zuständigen nationalen Behörden gestatte, den Assistenten der Rechtsmittelführerin, der der tatsächliche Urheber des streitigen Tweets sei, getrennt von dieser zu verfolgen.

52      Drittens sei die rechtliche Schlussfolgerung, die das Gericht in Rn. 101 des angefochtenen Urteils aus dem in Rn. 14 des vorliegenden Urteils erwähnten Verweisungsbeschluss an das Tribunal correctionnel (Strafgericht) gezogen habe, das Gegenteil dessen gewesen, was es daraus hätte folgern müssen, da die Rechtsmittelführerin nicht die Urheberin des streitigen Tweets gewesen sei und diesen gelöscht habe, sobald sie von ihm Kenntnis erlangt habe, was beweise, dass sie nicht beabsichtigt habe, eine Straftat zu begehen. Außerdem drücke die Tatsache, dass die Rechtsmittelführerin als einzige vor ein Strafgericht verwiesen worden sei, während dem Urheber des streitigen Tweets eine Verjährung der Klage zugutegekommen sei, „die Verbissenheit eines Richters“ ihr gegenüber aus, also eine „Absicht, ihr politisch zu schaden, was eine für einen fumus persecutionis charakteristische Verhaltensweise“ sei.

53      Das Parlament hält den zweiten Rechtsmittelgrund für unzulässig, da die drei Argumente, auf die er gestützt sei, weder den Anforderungen von Art. 58 Abs. 1 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union, Art. 168 Abs. 1 Buchst. d und Art. 169 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs sowie der Rechtsprechung des Gerichtshofs zur Bezeichnung der Rechtsfehler des Gerichts, die zur Begründung eines Rechtsmittels geltend gemacht werden könnten, genügten noch die Voraussetzungen erfüllten, unter denen die fehlerhafte Beurteilung von Beweisen im Rahmen eines Rechtsmittels der Kontrolle des Gerichtshofs unterliegen könne. Das Parlament stützt sich u. a. auf die Beschlüsse vom 27. Juni 2013, Concal/Kommission(C‑570/12 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2013:440, Rn. 13), und vom 16. September 2010, Dominio de la Vega/HABM (C‑459/09 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2010:533, Rn. 44).

 Würdigung durch den Gerichtshof

54      Mit ihrem zweiten Rechtsmittelgrund rügt die Rechtsmittelführerin im Wesentlichen, das Gericht habe bei der Bestätigung des streitigen Beschlusses Art. 9 des Protokolls falsch angewandt.

55      Vorab ist darauf hinzuweisen, dass in dem Vorbringen, auf das der zweite Rechtsmittelgrund gestützt wird, die Fehler hinreichend bezeichnet werden, die die Rechtsmittelführerin dem Gericht vorwirft, so dass dieser Rechtsmittelgrund entgegen dem Vorbringen des Parlaments nicht von vornherein als unzulässig zurückzuweisen ist.

56      In Bezug auf die Prüfung dieses Rechtsmittelgrundes in der Sache ist darauf hinzuweisen, dass Art. 9 des Protokolls in Abs. 1 Buchst. a zwar vorsieht, dass während der Dauer der Sitzungsperiode des Parlaments seinen Mitgliedern im Hoheitsgebiet ihres eigenen Staates die den Parlamentsmitgliedern zuerkannte Unverletzlichkeit zusteht, in Abs. 3 dieses Artikels es jedoch weiter heißt, dass das Parlament befugt ist, die Unverletzlichkeit eines seiner Mitglieder aufzuheben.

57      Zum ersten zur Begründung des zweiten Rechtsmittelgrundes geltend gemachten Argument ist darauf hinzuweisen, dass das Gericht in den Rn. 61, 62 und 96 des angefochtenen Urteils zutreffend festgestellt hat, dass die Frage, ob die Voraussetzungen für eine Aufhebung der parlamentarischen Immunität im Sinne von Art. 9 des Protokolls zu dem Zeitpunkt vorliegen, zu dem diese Aufhebung beantragt wird, von der durch die Behörden des Mitgliedstaats zu klärenden Frage zu unterscheiden ist, ob der dem betreffenden Abgeordneten vorgeworfene Sachverhalt nachgewiesen ist.

58      Zwar hat das Parlament, wie das Gericht in Rn. 100 des angefochtenen Urteils festgestellt hat, im streitigen Beschluss eingeräumt, dass die Rechtsmittelführerin nicht die Urheberin des streitigen Tweets gewesen sei und dass sie diesen gelöscht habe, sobald sie von ihm Kenntnis erlangt habe, doch betraf diese Feststellung nur die Darstellung des ihm im Zusammenhang mit dem Antrag auf Aufhebung der parlamentarischen Immunität der Rechtsmittelführerin vorgetragenen Sachverhalts und kann nicht einer Beurteilung der Verantwortlichkeit der Rechtsmittelführerin für die etwaige Nutzung ihres Twitter-Kontos durch ihren Assistenten gleichgestellt werden, die gegebenenfalls zur Folge haben könnte, dass das Parlament eine Aufhebung ihrer parlamentarischen Immunität nach Art. 9 des Protokolls ablehnt. Somit hat das Gericht rechtsfehlerfrei entschieden, dass sich dieser Umstand nicht auf die Rechtmäßigkeit des streitigen Beschlusses auswirkt.

59      Zum zweiten Argument, auf das der zweite Rechtsmittelgrund gestützt wird und mit dem die Rechtsmittelführerin rügt, das Gericht habe aus Art. 42 des Gesetzes vom 29. Juli 1881 nicht die zutreffenden rechtlichen Schlussfolgerungen gezogen, ist festzustellen, dass es weder dem Parlament beim Erlass des angefochtenen Beschlusses noch dem Gericht bei der Überprüfung der Rechtmäßigkeit dieses Beschlusses oblag, dieses Gesetz anzuwenden. Dieses Argument geht daher ins Leere.

60      Das dritte Argument betrifft Rn. 101 des angefochtenen Urteils; diese enthält, wie das Gericht selbst angibt, ergänzende Ausführungen zu den Rn. 99 und 100 jenes Urteils. Zum einen rügt die Rechtsmittelführerin aber nicht Rn. 99 des angefochtenen Urteils, und zum anderen ist Rn. 100 des Urteils, wie in Rn. 58 des vorliegenden Urteils ausgeführt, nicht rechtsfehlerhaft. Unter diesen Umständen ist dieses Argument als ins Leere gehend zurückzuweisen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 30. Mai 2018, Azoulay u. a./Parlament, C‑390/17 P, EU:C:2018:347, Rn. 29).

61      Folglich ist der zweite Rechtsmittelgrund als teils unbegründet und teils ins Leere gehend zurückzuweisen.

62      Nach alledem ist das vorliegende Rechtsmittel zurückzuweisen.

 Kosten

63      Nach Art. 138 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs, der nach deren Art. 184 Abs. 1 auf das Rechtsmittelverfahren entsprechende Anwendung findet, ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da das Parlament die Verurteilung der Rechtsmittelführerin beantragt hat und diese mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr die Kosten des Rechtsmittels aufzuerlegen.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Vierte Kammer) für Recht erkannt und entschieden:

1.      Das Rechtsmittel wird zurückgewiesen.

2.      Frau Mylène Troszczynski trägt die Kosten.

Unterschriften



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