SCHLUSSANTRÄGE DER GENERALANWÄLTIN
LAILA MEDINA
vom 11. April 2024(1 )
Rechtssache C ‑109/23 [Jemerak] (i )
GM,
ON
gegen
PR
(Vorabentscheidungsersuchen des Landgerichts Berlin [Deutschland])
„Vorlage zur Vorabentscheidung – Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik – Restriktive Maßnahmen – Handlungen Russlands, die die Lage in der Ukraine destabilisieren – Verordnung (EU) des Rates Nr. 833/2014 – Art. 5n Abs. 2 und 6 – Verbot, Dienstleistungen im Bereich der Rechtsberatung für in Russland niedergelassene juristische Personen zu erbringen – Ausnahme – Dienstleistungen, die zur Gewährleistung des Zugangs zu Gerichts‑, Verwaltungs- oder Schiedsverfahren in einem Mitgliedstaat unbedingt erforderlich sind – Beurkundung und Vollzug eines Immobilienkaufvertrags durch einen Notar – Dolmetscher zur Unterstützung des Notars – Art. 17 Abs. 1 der Charta“
I. Einleitung
1. Dieses Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Verordnung (EU) Nr. 833/2014(2 ) in der durch die Verordnung (EU) 2022/1904(3 ) geänderten Fassung, die restriktive Maßnahmen zum Gegenstand hat, die der Rat der Europäischen Union angesichts der Handlungen Russlands erlassen hat, die die Lage in der Ukraine destabilisieren.
2. Das Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen GM und ON, die eine Wohnung in Berlin (Deutschland) kaufen wollten, und PR, einem Notar, der sich weigerte, den Kaufvertrag über diese Wohnung zu beurkunden und zu vollziehen, weil der Verkäufer eine in Russland niedergelassene juristische Person war.
3. Im vorliegenden Fall ist der Begriff „Rechtsberatungsdienstleistungen“ im Sinne von Art. 5n Abs. 2 der Verordnung Nr. 833/2014 auszulegen, um insbesondere zu klären, ob die Beurkundung und der Vollzug eines Kaufvertrags durch einen Notar im Zusammenhang mit der Übertragung von Immobiliareigentum einer in Russland niedergelassenen juristischen Person nach dieser Bestimmung verboten sind.
4. Sollte dies der Fall sein, stellt sich die Frage, ob diese Beurkundung und dieser Vollzug gleichwohl nach Art. 5n Abs. 6 dieser Verordnung von dem Verbot ausgenommen werden können. Diese Bestimmung erlaubt im Wesentlichen die Erbringung von Dienstleistungen der Rechtsberatung, die zur Gewährleistung des Zugangs zu Gerichts‑, Verwaltungs- oder Schiedsverfahren unbedingt erforderlich sind.
5. Ähnliche Fragen stellen sich nach Art. 5n Abs. 2 und 6 der Verordnung Nr. 833/2014 in Bezug auf die Hilfstätigkeit eines Dolmetschers für Parteien, die die Sprache, in der das Beurkundungsverfahren vor einem Notar stattfindet, nicht ausreichend beherrschen.
II. Rechtlicher Rahmen
6. In den Erwägungsgründen 1, 2, 3, 19 und 22 der Verordnung 2022/1904 heißt es:
„(1) Am 31. Juli 2014 hat der Rat die Verordnung … Nr. 833/2014 … angenommen.
(2) Mit der Verordnung … Nr. 833/2014 werden bestimmte im Beschluss 2014/512/GASP des Rates … vorgesehene Maßnahmen umgesetzt.
(3) Angesichts der weiteren Aggression der Russischen Föderation gegen die Ukraine, [der] Organisation illegaler ‚Scheinreferenden‘ in den derzeit illegal von der Russischen Föderation besetzten Teilen der Regionen Cherson, Donezk, Luhansk und Saporischschja, [der] illegale[n] Annexion dieser ukrainischen Gebiete durch die Russische Föderation … sowie [der] Mobilmachung in der Russischen Föderation und der erneuten Drohung mit dem Einsatz von Massenvernichtungswaffen hat der Rat am 6. Oktober 2022 den Beschluss (GASP) 2022/1909 zur Änderung des Beschlusses 2014/512/GASP angenommen.
…
(19) …[M]it dem Beschluss (GASP) 2022/1909 [wird] das bestehende Verbot der Erbringung bestimmter Dienstleistungen für die Russische Föderation ausgeweitet, indem die Erbringung von Dienstleistungen in den Bereichen Architektur und Ingenieurwesen sowie IT‑Beratung und Rechtsberatung verboten wird. … ‚Rechtsberatungsdienstleistungen‘ umfassen die Rechtsberatung für Mandanten in nichtstreitigen Angelegenheiten, einschließlich Handelsgeschäften, bei denen es um die Anwendung oder Auslegung von Rechtsvorschriften geht; die Teilnahme mit oder im Namen von Mandanten an Handelsgeschäften, Verhandlungen und sonstigen Geschäften mit Dritten; die Ausarbeitung, Ausfertigung und Überprüfung von Rechtsdokumenten. ‚Rechtsberatungsdienstleistungen‘ umfasst nicht die Vertretung, Beratung, Ausarbeitung von Dokumenten oder Überprüfung von Dokumenten im Rahmen von Rechtsvertretungsdienstleistungen, insbesondere in Angelegenheiten oder Verfahren vor Verwaltungsbehörden, Gerichten, anderen ordnungsgemäß eingerichteten offiziellen Gerichten oder in Schieds- oder Mediationsverfahren.
…
(22) Die Verordnung … Nr. 833/2014 sollte daher entsprechend geändert werden.“
7. Art. 1 Nr. 12 der Verordnung 2022/1904 bestimmt:
„Artikel 5n erhält folgende Fassung:
‚Art. 5n
…
(2) Es ist verboten, unmittelbar oder mittelbar Dienstleistungen in den Bereichen … Rechtsberatung … zu erbringen für
…
b) in Russland niedergelassene juristische Personen, Organisationen oder Einrichtungen.
…
(6) Die Absätze 1 und 2 gelten nicht für die Erbringung von Dienstleistungen, die zur Gewährleistung des Zugangs zu Gerichts‑, Verwaltungs- oder Schiedsverfahren in einem Mitgliedstaat … unbedingt erforderlich sind, sofern … die Erbringung dieser Dienstleistungen mit den Zielen dieser Verordnung und der Verordnung (EU) Nr. 269/2014 des Rates … im Einklang steht …
…‘“
III. Sachverhalt, Verfahren und Vorlagefragen
8. GM und ON sind deutsche Staatsangehörige, die beabsichtigten, eine Wohnung in Berlin zu erwerben. Das betreffende Wohnungseigentumsrecht ist im Grundbuch des Amtsgerichts Schöneberg (Deutschland) verzeichnet. Im Grundbuch eingetragene Eigentümerin der Wohnung ist die Firma Visit-Moscow Ltd., eine in Moskau (Russland) ansässige Gesellschaft mit beschränkter Haftung.
9. Zur Durchführung dieses Geschäfts beauftragten GM, ON und Visit-Moscow den in Berlin tätigen Notar PR, ihren Kaufvertrag hinsichtlich der darin enthaltenen Angaben – d. h. Kaufgegenstand, Kaufpreis und sonstige vertragliche Regelungen – zu beurkunden. Sie ersuchten ihn auch, den Vertrag nach seiner Beurkundung zu vollziehen. Der Vollzug dieses Vertrags umfasste die Umschreibung des Wohnungseigentums auf die Käufer, die Beseitigung der bestehenden Grundstücksbelastungen sowie die Verwahrung und Auszahlung des Kaufpreises.
10. PR teilte den Parteien jedoch mit, dass er die Beurkundung des Kaufvertrags und somit auch dessen Vollzug vorläufig verweigere. Er könne nicht ausschließen, dass diese Beurkundung gegen das in Art. 5n Abs. 2 der Verordnung Nr. 833/2014 vorgesehene Verbot, in Russland niedergelassenen juristischen Personen unmittelbar oder mittelbar Dienstleistungen der Rechtsberatung zu erbringen, verstoße. PR half auch der von den Parteien eingelegten Beschwerde nicht ab, sondern legte sie gemäß den geltenden Vorschriften dem Landgericht Berlin (Deutschland) vor.
11. Das Landgericht Berlin, das vorlegende Gericht in dieser Rechtssache, ist der Auffassung, in dem bei ihm anhängigen Verfahren sei zu klären, ob die notarielle Beurkundung eines Kaufvertrags und einige andere für dessen Vollzug ausgeführte zusätzliche Aufgaben in den Geltungsbereich von Art. 5n Abs. 2 der Verordnung Nr. 833/2014 fielen, da der Verkäufer eine in Russland niedergelassene juristische Person sei. Bejahendenfalls sei zu prüfen, ob diese Aufgaben nach Art. 5n Abs. 6 der Verordnung von diesem Verbot ausgenommen werden könnten.
12. Das vorlegende Gericht weist im Vorlagebeschluss erstens darauf hin, dass mehrere Aspekte gegen eine Anwendung des in Art. 5n Abs. 2 der Verordnung Nr. 833/2014 vorgesehenen Verbots auf die von einem Notar nach deutschem Recht ausgeübten Tätigkeiten sprächen. Insbesondere erbringe der Notar keine Dienstleistung, sondern übe eine Amtstätigkeit aus. Er sei als unabhängiger Träger eines öffentlichen Amtes für die Beurkundung von Rechtsvorgängen und andere Aufgaben auf dem Gebiet der vorsorgenden Rechtspflege bestellt. Bei der Ausübung seines Amtes dürfe der Notar keine bestimmte Seite vertreten, sondern müsse vielmehr unabhängiger und unparteiischer Betreuer aller Beteiligten sein.
13. Zweitens führt das vorlegende Gericht aus, selbst wenn die Tätigkeit der Notare als Dienstleistung der Rechtsberatung gemäß Art. 5n Abs. 2 der Verordnung Nr. 833/2014 anzusehen wäre, gelte das darin vorgesehene Verbot nicht für die notarielle Beurkundung eines Kaufvertrags über Immobiliareigentum. Zum Übergang des Eigentums an einer Wohnung sei in Deutschland nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch zusätzlich zur Eintragung des Erwerbers in das Grundbuch die Einigung beider Seiten über den Eigentumsübergang erforderlich, die im Regelfall notariell zu beurkunden sei. Sollte daher das Verbot in Art. 5n Abs. 2 der Verordnung Nr. 833/2014 für die notarielle Beurkundung eines Immobilienkaufvertrags gelten, würde in Russland ansässigen juristischen Personen rechtlich und tatsächlich jede Möglichkeit zur Verfügung über ihr Immobilienvermögen genommen, da die Mitwirkung eines Notars bei der Veräußerung von Immobiliareigentum nicht entbehrlich sei.
14. Drittens ist das vorlegende Gericht der Ansicht, dass jedenfalls Art. 5n Abs. 6 der Verordnung Nr. 833/2014 – der eine Ausnahme von dem vorerwähnten Verbot für die Erbringung von Dienstleistungen vorsehe, die zur Gewährleistung des Zugangs zu Gerichts‑, Verwaltungs- oder Schiedsverfahren in einem Mitgliedstaat unbedingt erforderlich seien – auf die notarielle Tätigkeit offenbar anwendbar sei. Nach deutschem Recht sei die Registrierung im Grundbuch für Begründung und Erwerb eines Rechts an einem Grundstück konstitutiv. Die Führung des Grundbuchs sei ein gerichtliches Verfahren, in dem die Notare eine zentrale Rolle spielten, da ein Antrag auf Eintragung im Grundbuch nur zulässig sei, wenn das betreffende Rechtsgeschäft durch öffentliche oder öffentlich beglaubigte Urkunden nachgewiesen werde. Daher bedürfe es für den Zugang zum Grundbuch in der Regel der Mitwirkung eines Notars.
15. Zuletzt weist das vorlegende Gericht jedoch darauf hin, dass die Europäische Kommission eine Arbeitshilfe mit dem Titel „Frequently asked questions on provision of services concerning sanctions adopted following Russia’s military aggression against Ukraine“(4 ) veröffentlicht habe. In diesem Leitfaden vertrete die Kommission die Auffassung, dass sich das Verbot in Art. 5n Abs. 2 der Verordnung Nr. 833/2014 auf die notarielle Tätigkeit für in Russland errichtete juristische Personen erstrecke. Wenngleich die Meinungsäußerung der Kommission nicht bindend sei, begründe sie doch eine erhebliche Ungewissheit über die zutreffende Auslegung dieser Vorschrift. Diese Ungewissheit gelte auch für die Aufgaben, die der Notar regelmäßig als Annex zu seiner Beurkundungstätigkeit im Rahmen des Vollzugs des beurkundeten Kaufvertrags wahrnehme, und für die Dienstleistungen eines Dolmetschers, der kraft Gesetzes eine nicht deutschsprachige Partei bei der Beurkundung eines Kaufvertrags zu unterstützen habe.
16. Unter diesen Umständen hat das Landgericht Berlin das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof die folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Verstößt ein deutscher Notar gegen das Verbot, unmittelbar oder mittelbar Dienstleistungen im Bereich der Rechtsberatung für eine in Russland niedergelassene juristische Person zu erbringen, wenn er einen Kaufvertrag über ein Wohnungseigentum zwischen dieser Person als Verkäuferin und einem Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats der Europäischen Union beurkundet?
2. Handelt ein Dolmetscher gegen das Verbot der unmittelbaren oder mittelbaren Dienstleistung im Bereich der Rechtsberatung, wenn er sich von dem Notar zur Beurkundung des Kaufvertrags hinzuziehen lässt, damit er dem der deutschen Sprache nicht ausreichend kundigen Vertreter der in Russland niedergelassenen juristischen Person den Inhalt der Beurkundungsverhandlung übersetzt?
3. Verletzt der Notar das Verbot der unmittelbaren oder mittelbaren Dienstleistung im Bereich der Rechtsberatung, wenn er gesetzlich vorgesehene notarielle Tätigkeiten zum Vollzug des Kaufvertrags (z. B. Abwicklung der Kaufpreiszahlung über ein vom Notar geführtes Treuhandkonto, Anforderung von Dokumenten zur Löschung von Hypotheken und anderen Belastungen der Kaufsache, Vorlage der zur Eigentumsumschreibung notwendigen Dokumente bei der das Grundbuch führenden Stelle) übernimmt und ausführt?
17. Das Vorabentscheidungsersuchen ist am 23. Februar 2023 beim Gerichtshof eingegangen. Die deutsche, die estnische, die finnische, die niederländische und die polnische Regierung, die Europäische Kommission sowie die Parteien des Ausgangsverfahrens haben schriftliche Erklärungen eingereicht. Gemäß Art. 24 Abs. 2 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist auch der Rat zur Teilnahme an der mündlichen Verhandlung am 25. Januar 2024 aufgefordert worden.
IV. Würdigung
18. Mit seinen drei Fragen bittet das vorlegende Gericht um Klärung der Auslegung von Art. 5n Abs. 2 und 6 der Verordnung Nr. 833/2014.
19. Das Gericht möchte im Kern wissen, ob die Aufgaben, die ein Notar in einem Mitgliedstaat bei der Beurkundung eines Kaufvertrags über Immobiliareigentum einer in Russland niedergelassenen juristischen Person wahrnimmt, von dem Verbot in Art. 5n Abs. 2 der Verordnung Nr. 833/2014 erfasst werden. Wenn ja, möchte das Gericht sodann wissen, ob diese Aufgaben unter die in Art. 5n Abs. 6 dieser Verordnung vorgesehene Ausnahme von diesem Verbot fallen (erste Frage).
20. Außerdem stellt das vorlegende Gericht dem Gerichtshof dieselben Fragen in Bezug auf den Dolmetscher, der nach nationalem Recht einem Notar während des Beurkundungsverfahrens zur Seite stehen muss, wenn eine der Parteien die in diesem Verfahren verwendete Sprache nicht beherrscht (zweite Frage).
21. Schließlich möchte das vorlegende Gericht wissen, ob das oben genannte Verbot und die oben genannnnte Ausnahme für Tätigkeiten gelten, mit denen ein Notar von den Parteien beauftragt werden kann, um den Kaufvertrag nach seiner Beurkundung zu vollziehen, wie etwa die Verwahrung und Auszahlung des Kaufpreises, die Löschung der bestehenden Grundstücksbelastungen sowie die Umschreibung des Immobiliareigentums auf die Käufer (dritte Frage).
22. Da sich die erste und die dritte Frage auf die Aufgaben eines Notars und die zweite Frage auf diejenigen eines Dolmetschers beziehen, werde ich zunächst die erste Frage, dann die dritte und zuletzt die zweite Frage prüfen.
A. Erste Frage
23. Im Rahmen der ersten Frage des vorlegenden Gerichts ist zu prüfen, ob die notarielle Beurkundung eines Kaufvertrags über Immobiliareigentum einer in Russland niedergelassenen juristischen Person unter das Verbot in Art. 5n Abs. 2 der Verordnung Nr. 833/2014 fällt und, wenn ja, ob sie von der in Art. 5n Abs. 6 dieser Verordnung vorgesehenen Ausnahme von diesem Verbot erfasst wird.
1. Das Verbot gemäß Art. 5n Abs. 2 der Verordnung Nr. 833/2014
24. Nach Art. 5n Abs. 2 der Verordnung Nr. 833/2014 ist es verboten, unmittelbar oder mittelbar Dienstleistungen im Bereich der Rechtsberatung für in Russland niedergelassene juristische Personen, Organisationen oder Einrichtungen zu erbringen. Da ausweislich des Vorlagebeschlusses eine der Parteien, die im Ausgangsverfahren notarielle Leistungen in Anspruch nehmen, eine in Russland niedergelassene juristische Person ist, bedarf es zur Klärung dieser Frage in erster Linie einer Auslegung des Begriffs „Rechtsberatungsdienstleistungen“ im Sinne dieser Bestimmung, damit festgestellt werden kann, ob die notarielle Beurkundung eines Immobilienkaufvertrags von diesem Begriff erfasst wird.
25. Nach ständiger Rechtsprechung verlangen sowohl die einheitliche Anwendung des Unionsrechts als auch der Gleichheitssatz, dass die Begriffe einer unionsrechtlichen Bestimmung, die für die Ermittlung ihres Sinns und ihrer Bedeutung nicht ausdrücklich auf das Recht der Mitgliedstaaten verweist, in der gesamten Europäischen Union in der Regel autonom und einheitlich auszulegen sind(5 ).
26. Im vorliegenden Fall ist der Begriff „Rechtsberatungsdienstleistungen“, da er nur in der Verordnung Nr. 833/2014 vorkommt und da für die Bestimmung seines Sinns und seiner Bedeutung nicht auf das Recht der Mitgliedstaaten verwiesen wird, als autonomer Begriff des Unionsrechts anzusehen, der daher in allen Mitgliedstaaten gleich auszulegen und anzuwenden ist. Es ist daher Sache des Gerichtshofs, ihm in der Rechtsordnung der Europäischen Union eine einheitliche Auslegung zu geben.
27. Außerdem hat der Gerichtshof mehrfach an die Auslegungsgrundsätze erinnert, die bei der Auslegung einer unionsrechtlichen Bestimmung zu beachten sind. Nach ständiger Rechtsprechung sind dabei nicht nur der Wortlaut dieser Bestimmung, sondern auch ihr Zusammenhang und die Ziele zu berücksichtigen, die mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgt werden(6 ).
a) Wörtliche Auslegung
28. Was zunächst die wörtliche Auslegung betrifft, so ist darauf hinzuweisen, dass weder Art. 5n Abs. 2 der Verordnung Nr. 833/2014 noch eine andere Bestimmung dieser Verordnung eine Definition des Begriffs „Rechtsberatungsdienstleistungen“ enthält.
29. Eine Erläuterung dieses Begriffs findet sich nur im 19. Erwägungsgrund der Verordnung 2022/1904, mit der die Verordnung Nr. 833/2014 u. a. durch die Einfügung von Art. 5n Abs. 2 geändert wurde.
30. Nach diesem Erwägungsgrund ist der Begriff dahin zu verstehen, dass „Rechtsberatungsdienstleistungen“ i) die Rechtsberatung für Mandanten in nicht streitigen Angelegenheiten, einschließlich Handelsgeschäften, bei denen es um die Anwendung oder Auslegung von Rechtsvorschriften geht, ii) die Teilnahme mit oder im Namen von Mandanten an Handelsgeschäften, Verhandlungen und sonstigen Geschäften mit Dritten und iii) die Ausarbeitung, Ausfertigung und Überprüfung von Rechtsdokumenten umfassen.
31. Was erstens die Frage angeht, ob die von einem Notar vorgenommene Beurkundung eine Rechtsberatung für Mandanten in nicht streitigen Angelegenheiten darstellt, so besteht die Beurkundung eines Akts – einschließlich eines Immobilienkaufvertrags – eindeutig im Wesentlichen darin, das Vorliegen aller gesetzlich vorgeschriebenen Voraussetzungen für das Zustandekommen dieses Akts sowie die Rechts- und Geschäftsfähigkeit der Beteiligten festzustellen.
32. In diesem Sinne ist das Beurkundungsverfahren zu verstehen, wie aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs(7 ) und speziell aus der Beschreibung dieses im deutschen Recht vorgesehenen Verfahrens durch das vorlegende Gericht hervorgeht. Die Beurkundung verleiht dem Akt bedeutsame Rechtswirkungen, nämlich volle Beweiskraft und Vollstreckbarkeit(8 ). Bei einem Kaufvertrag erstrecken sich diese Wirkungen im Allgemeinen auf die Identität und die Geschäftsfähigkeit der Parteien, die Erklärungen der Parteien, die Bezeichnung und die Merkmale des Kaufgegenstands, den Kaufpreis, die Zustimmung der Parteien sowie den Zeitpunkt und den Ort der Beurkundung(9 ).
33. Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs geht auch hervor, dass bei einem zur Beurkundung vorgelegten Akt davon auszugehen ist, dass sich die Parteien ihm freiwillig unterworfen haben(10 ).
34. Der Gerichtshof hat nämlich bei der Prüfung der Art der notariellen Tätigkeiten in einigen Mitgliedstaaten – einschließlich Deutschlands(11 ) – entschieden, dass die Parteien innerhalb der gesetzlich vorgegebenen Grenzen selbst über den Umfang ihrer Rechte und Pflichten entscheiden. Darüber hinaus können sie die Bestimmungen, denen sie sich unterwerfen wollen, frei wählen, wenn sie dem Notar einen Akt oder einen Vertrag zur Beurkundung unterbreiten. Dessen Tätigwerden setzt daher – so der Gerichtshof – voraus, dass zuvor eine Einigung oder Willensübereinstimmung der Parteien zustande gekommen ist(12 ), in die der Notar nicht involviert ist.
35. Da der Notar nicht in den Entscheidungsprozess der Parteien eingebunden ist, kann in dem von ihm durchgeführten Beurkundungsverfahren an sich keine Rechtsberatung gesehen werden. Nach der üblichen Definition dieses Begriffs(13 ) wäre die notarielle Beurkundung eines Akts nur dann als Rechtsberatung einzustufen, wenn der Notar das, worauf sich die Parteien etwa bei der Bestimmung der in diesem Akt enthaltenen Vertragsbedingungen einigen sollten, oder die Vor- und Nachteile des Vorgangs für die Parteien rechtlich begutachten würde. Die Beurkundung eines Akts, mit der ein Notar lediglich die Rechtmäßigkeit des betreffenden Vorgangs bestätigt und die Urkunde mit der Vollstreckungsklausel versieht(14 ), ist jedoch nicht mit einer Rechtsberatung verbunden.
36. Dies gilt auch dann, wenn der Notar die Beurkundung eines Akts oder eines Vertrags verweigert, der nicht die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt. In diesen Fällen hat der Gerichtshof insbesondere hervorgehoben, dass es den Parteien nach einer solchen Weigerung freisteht, die festgestellte Regelwidrigkeit abzustellen, die Bestimmungen des fraglichen Akts oder Vertrags zu ändern oder auf diesen Akt oder Vertrag zu verzichten(15 ).
37. Die mit der Beurkundung eines Immobilienkaufvertrags wahrgenommene Aufgabe eines Notars wird folglich nicht vom ersten Teil der Erläuterung im 19. Erwägungsgrund der Verordnung 2022/1904 erfasst.
38. Gleiches gilt nach meinem Dafürhalten für den zweiten Teil dieser Erläuterung, der sich, wie bereits erwähnt, auf die Teilnahme mit oder im Namen von Mandanten an Handelsgeschäften, Verhandlungen und sonstigen Geschäften mit Dritten bezieht. Es versteht sich von selbst, dass ein Notar bei der Beurkundung eines Akts nicht zusammen mit den Parteien, die diese Beurkundung wünschen, oder als deren Vertreter an irgendeinem Geschäft, an einer Verhandlung oder an einem sonstigen Vorgang gegenüber Dritten beteiligt ist.
39. Was schließlich den dritten Teil der Erläuterung im 19. Erwägungsgrund der Verordnung 2022/1904 anbelangt, der die Ausarbeitung, Ausfertigung und Überprüfung von Rechtsdokumenten betrifft, so handelt es sich dabei zwar vordergründig um Aufgaben, die ein Notar wahrnimmt, wenn er einen Beurkundungsauftrag bearbeitet. Dies reicht jedoch meines Erachtens nicht für die Annahme aus, dass die notarielle Beurkundung eines Kaufvertrags von dem Verbot von Art. 5n Abs. 2 der Verordnung Nr. 833/2014 erfasst würde.
40. Wie der Rat in der mündlichen Verhandlung vorgetragen hat, muss nämlich, da der 19. Erwägungsgrund der Verordnung 2022/1904 den Begriff „Rechtsberatungsdienstleistungen“ im Sinne von Art. 5n Abs. 2 der Verordnung Nr. 833/2014 erläutert, jede der in dieser Erläuterung genannten Aufgaben die wesentlichen Elemente dieses Begriffs enthalten. Zu diesen Elementen gehört insbesondere ihr „beratender“ Charakter.
41. Daher müssen die im 19. Erwägungsgrund der Verordnung 2022/1904 angeführten Aufgaben der Ausarbeitung, Ausfertigung und Überprüfung von Rechtsdokumenten ein Element der Rechtsberatung beinhalten, um unter den Begriff „Rechtsberatungsdienstleistungen“ im Sinne von Art. 5n Abs. 2 der Verordnung Nr. 833/2014 subsumiert werden zu können.
42. Im vorliegenden Fall bin ich aus ähnlichen Gründen, wie sie oben in Nr. 35 dargelegt sind, der Ansicht, dass die Ausarbeitung und die Überprüfung, die ein Notar bei der Beurkundung eines Immobilienkaufvertrags vorzunehmen hat, nicht dieses beratende Element aufweisen. An diesem Element fehlt es grundsätzlich auch beim Vollzug eines beurkundeten Vertrags, den ich im Rahmen der dritten Vorlagefrage prüfen werde(16 ).
43. Insoweit trifft es erstens zu, dass der Notar im Rahmen des Beurkundungsverfahrens die Absichten der Parteien zu ermitteln und in einigen Fällen deren Erklärungen schriftlich in einer standardisierten Form wiederzugeben hat, was mit der Ausarbeitung und Überprüfung eines Rechtsdokuments verbunden sein kann. Wie sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs ergibt, soll dadurch jedoch nur gewährleistet werden, dass der beurkundete Akt ordnungsgemäß und in der gesetzlich vorgeschriebenen Form erstellt wird(17 ), damit dieser Akt öffentliches Vertrauen genießt und uneingeschränkt glaubhaft sowie vollstreckbar wird. Bei der Ausarbeitung und Überprüfung des in diesem Zusammenhang erwähnten Rechtsdokuments geht es keinesfalls darum, die Parteien darüber zu beraten, wie sich ihre Wünsche, insbesondere in vertraglicher Hinsicht, am besten verwirklichen lassen.
44. Zweitens hat der Notar zwar die Parteien während des Beurkundungsverfahrens über ihre Rechte und Pflichten sowie über die Wirkungen der Beurkundung des betreffenden Akts zu belehren – was das deutsche Recht laut Vorlagebeschluss vorschreibt –, doch umfasst diese Aufgabe nicht die Erteilung von Ratschlägen, um spezielle Interessen einer Partei oder beider Parteien zu unterstützen. Es handelt sich um eine gesetzliche Pflicht, mit der Informationszwecke verfolgt werden, damit die Parteien die Tragweite dieses Verfahrens richtig verstehen. Auf diese Weise sorgt der Notar auch dafür, dass die Vertragsparteien eine fundierte Entscheidung über den Abschluss der Vereinbarung treffen, die sie zuvor erzielt haben.
45. Zwar lässt sich nicht ausschließen, dass ein Notar im Rahmen eines Beurkundungsverfahrens Rechtsberatung in Angelegenheiten erteilt, die nichts mit der Beurkundung zu tun haben, so dass diese Vorschrift zur Anwendung käme. Dies ist jedoch ein Aspekt, der sich begrifflich von der eigentlichen Beurkundung unterscheidet und der nur anhand der besonderen Umstände des Einzelfalls vom damit befassten Gericht beurteilt werden kann.
46. Daher wird aus meiner Sicht die notarielle Beurkundung eines Immobilienkaufvertrags nicht vom dritten Teil der Erläuterung im 19. Erwägungsgrund der Verordnung 2022/1904 erfasst, solange der Notar im Rahmen des Beurkundungsverfahrens keine Rechtsberatung in Angelegenheiten erteilt, die nichts mit der Beurkundung zu tun haben.
47. Da keine der in diesem Erwägungsgrund beschriebenen Tätigkeiten den Aufgaben entspricht, die ein Notar bei der Beurkundung eines Immobilienkaufvertrags wahrnimmt, ist diese Beurkundung nicht als Erbringung von Dienstleistungen im Bereich der Rechtsberatung im Sinne von Art. 5n Abs. 2 der Verordnung Nr. 833/2014 anzusehen.
48. Ich möchte hinzufügen, dass es hierfür unerheblich ist, ob die im 19. Erwägungsgrund der Verordnung 2022/1904 enthaltene Aufzählung von Tätigkeiten abschließend ist oder nicht. Wie bereits dargelegt, müssen diese Tätigkeiten beratenden Charakter haben, woran es bei der Beurkundung eines Akts nach der Auslegung fehlt, die ich dem Gerichtshof vorschlage.
49. Aus demselben Grund ist es auch irrelevant, ob das Beurkundungsverfahren als „Dienstleistung“ im Sinne von Art. 5n Abs. 2 der Verordnung Nr. 833/2014 angesehen werden kann(18 ). Da sich diese Bestimmung auf „Dienstleistungen [im Bereich] Rechtsberatung“ bezieht und nicht auf „Dienstleistungen im Bereich des Rechts“, ist das darin enthaltene Verbot nur auf Leistungen anwendbar, die mit einer Beratung einhergehen, was meines Erachtens bei den Beurkundungsaufgaben des Notars wiederum nicht der Fall ist.
50. Infolgedessen komme ich aufgrund einer wörtlichen Auslegung von Art. 5n Abs. 2 der Verordnung Nr. 833/2014 im Licht des 19. Erwägungsgrundes der Verordnung 2022/1904 zu dem Schluss, dass das von einem Notar durchgeführte Beurkundungsverfahren nicht unter das in dieser Bestimmung vorgesehene Verbot fällt, es sei denn, der Notar erteilt neben der Beurkundung zusätzlich eine Rechtsberatung.
b) Systematische Auslegung
51. Die Auslegung einer Unionsvorschrift, die sich ausschließlich an deren Wortlaut orientiert, kann neu beurteilt werden, nachdem diese Vorschrift in ihrem Zusammenhang betrachtet und im Licht des gesamten Unionsrechts ausgelegt worden ist(19 ).
52. Im vorliegenden Fall hat der Gerichtshof zu entscheiden, ob die in den vorstehenden Nummern dieser Schlussanträge vorgeschlagene wörtliche Auslegung von Art. 5n Abs. 2 der Verordnung Nr. 833/2014 im Hinblick auf dessen systematische Kohärenz weiter untermauert wird, wenn diese Bestimmung mit anderen einschlägigen Artikeln der Verordnung und mit anderen unionsrechtlichen Regelungen, die restriktive Maßnahmen für in Russland niedergelassene juristische Personen vorsehen, in Zusammenhang gebracht wird. Der Gerichtshof muss auch prüfen, ob die vorgeschlagene wörtliche Auslegung im Einklang mit der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) steht.
53. Was zunächst die innere Kohärenz der Verordnung Nr. 833/2014 betrifft, so enthält Art. 5aa Abs. 1 der Verordnung Nr. 833/2014 im Wesentlichen das Verbot, unmittelbar oder mittelbar Geschäfte mit juristischen Personen zu tätigen, die nicht nur in Russland niedergelassen sind, sondern sich zudem in der Inhaberschaft oder unter der Kontrolle des russischen Staates befinden oder enge Beziehungen zu diesem Staat oder zu den in Anhang XIX dieser Verordnung aufgeführten juristischen Personen unterhalten.
54. Dagegen verbietet weder Art. 5aa Abs. 1 noch irgendeine andere Bestimmung der Verordnung Nr. 833/2014 den Abschluss eines Geschäfts mit einer in Russland niedergelassenen juristischen Person, die keine Beziehungen zum russischen Staat unterhält oder nicht in den von der Verordnung speziell erfassten Wirtschaftssektoren tätig ist. Diese Verordnung enthält keine Bestimmung, die es in Russland niedergelassenen juristischen Personen ausdrücklich verbieten würde, über ihr im Gebiet der Europäischen Union belegenes unbewegliches Vermögen zu verfügen.
55. Wie die meisten Verfahrensbeteiligten in der mündlichen Verhandlung vorgetragen haben, lässt sich deshalb Art. 5n Abs. 2 der Verordnung Nr. 833/2014 aus Gründen der Kohärenz schwerlich dahin auslegen, dass das notarielle Beurkundungsverfahren – im Rahmen von Immobilienübertragungen durch in Russland niedergelassene juristische Personen – verboten wäre, während gleichzeitig die Veräußerung des unbeweglichen Vermögens dieser Personen keinerlei Beschränkung unterliegt.
56. Insoweit ist zu beachten, dass die notarielle Beurkundung des Kaufvertrags vor allem in den Mitgliedstaaten, die das lateinische Notariat kennen, eine wesentliche Voraussetzung für die Veräußerung unbeweglichen Vermögens ist(20 ).
57. Dies gilt insbesondere für die deutsche Rechtsordnung, in der, wie sich aus dem Urteil in der Rechtssache Kommission/Deutschland(21 ) ergibt, für den Erwerb und die Übertragung von Immobiliareigentum die notarielle Beurkundung des den Eigentumsübergang bestätigenden Akts als Voraussetzung für die Eintragung dieser Übertragung in das Grundbuch vorgeschrieben ist.
58. In diesen Mitgliedstaaten setzt die Eintragung in das Grundbuch nämlich eine notarielle Beurkundung voraus, damit die Richtigkeit dieser Eintragung gewährleistet ist und somit die Rechtssicherheit von Immobilientransaktionen sowie ganz allgemein eine ordnungsgemäße Rechtspflege sichergestellt sind(22 ). Zugleich sind das Grundbuch und dessen Funktionsfähigkeit von entscheidender Bedeutung, da die Durchsetzbarkeit der Rechte des neuen Eigentümers von der Eintragung im Grundbuch abhängt(23 ).
59. Aus systematischer Sicht ist somit die notarielle Beurkundung nicht als nach Art. 5n Abs. 2 der Verordnung Nr. 833/2014 verboten anzusehen, soweit i) sie in einigen Mitgliedstaaten eine wesentliche Voraussetzung für die Übertragung von Immobiliareigentum ist und ii) diese Übertragung für in Russland niedergelassene juristische Personen, die weder unter der Kontrolle oder in der Inhaberschaft des russischen Staates stehen noch enge Beziehungen zu diesem Staat unterhalten, nicht ausdrücklich durch diese Verordnung verboten ist. Andernfalls käme es bei der Anwendung dieser Verordnung zu einem Wertungswiderspruch, der darin bestünde, bestimmte Arten von Transaktionen zuzulassen, während das einzige Instrument, kraft dessen sie durchgeführt werden könnten, verboten wäre(24 ).
60. Zum gleichen Ergebnis gelangt man meines Erachtens bei einer umfassenderen systematischen Betrachtung, insbesondere wenn man das im gegenwärtigen Kontext relevante andere unionsrechtliche Instrument zur Verhängung restriktiver Maßnahmen gegen in Russland niedergelassene juristische Personen berücksichtigt: die Verordnung (EU) Nr. 269/2014(25 ). Letztere sieht Maßnahmen zum Einfrieren von Geldern angesichts von Handlungen vor, die die territoriale Unversehrtheit, Souveränität und Unabhängigkeit der Ukraine untergraben oder bedrohen.
61. Art. 2 Abs. 1 der Verordnung Nr. 269/2014 bestimmt konkret, dass sämtliche Gelder und wirtschaftlichen Ressourcen eingefroren werden, die Eigentum oder Besitz von in Anhang I aufgeführten natürlichen Personen oder mit diesen in Verbindung stehenden natürlichen oder juristischen Personen, Einrichtungen oder Organisationen sind oder von diesen gehalten oder kontrolliert werden.
62. Im vorliegenden Fall wird die vom Verfahren vor dem vorlegenden Gericht betroffene juristische Person, wie die deutsche Regierung feststellt, nicht in der Liste im genannten Anhang aufgeführt, was bedeutet, dass sie keiner der in dieser Verordnung vorgesehenen Maßnahmen zum Einfrieren von Geldern unterlag. Hätte der Rat dieser juristischen Person die Verfügung über ihre Gelder und Vermögenswerte untersagen wollen, hätte er auf dieselbe Art von Maßnahmen zurückgreifen können, wie sie für die dort gelisteten juristischen Personen oder Einrichtungen vorgesehen waren.
63. Daher würde eine Auslegung von Art. 5n Abs. 2 der Verordnung Nr. 833/2014 in dem Sinne, dass die notarielle Beurkundung eines Immobilienkaufvertrags untersagt wäre, obwohl diese Beurkundung eine wesentliche Voraussetzung für die Eintragung in das Grundbuch eines Mitgliedstaats ist, der betroffenen juristischen Person jede Möglichkeit nehmen, über ihr Vermögen zu verfügen, und sie in eine ähnliche Lage wie die in Anhang I der Verordnung Nr. 269/2014 gelisteten Personen versetzen. Diese Auslegung scheint mir nicht der Absicht des Rates zu entsprechen.
64. Widersprüche zwischen diesen beiden Verordnungen wären folglich nur durch eine Auslegung zu vermeiden, der zufolge die Beurkundung eines Immobilienkaufvertrags, der eine in Russland niedergelassene juristische Person betrifft, nicht nach Art. 5n Abs. 2 der Verordnung Nr. 833/2014 verboten ist.
65. Schließlich würde eine Auslegung, der zufolge im Beurkundungsverfahren eine Dienstleistung im Bereich der Rechtsberatung zu sehen wäre, dazu führen, dass in Russland niedergelassene juristische Personen nicht mehr über ihr unbewegliches Vermögen verfügen könnten, so dass eine solche Auslegung definitionsgemäß(26 ) deren in Art. 17 Abs. 1 der Charta verankertes Grundrecht auf Eigentum beschränken würde. Nach Satz 1 dieser Bestimmung hat jede Person das Recht, ihr rechtmäßig erworbenes Eigentum zu besitzen, zu nutzen, darüber zu verfügen und es zu vererben.
66. Nach Art. 52 Abs. 1 der Charta muss jedoch jede Beschränkung der Ausübung der in der Charta anerkannten Rechte und Freiheiten vor allem gesetzlich vorgesehen sein. Im vorliegenden Fall wäre diese Voraussetzung, wie die finnische Regierung ausführt, nicht erfüllt, da die Verordnung Nr. 833/2014 keine Bestimmung enthält, die es allen in Russland niedergelassenen juristischen Personen ausdrücklich verbieten würde, über ihr unbewegliches Vermögen zu verfügen.
67. Infolgedessen ist eine Auslegung, die zu einem Verbot der notariellen Beurkundung eines Immobilienkaufvertrags aufgrund von Art. 5n Abs. 2 der Verordnung Nr. 833/2014 – und damit zu einer Beschränkung der Eigentumsrechte in Russland niedergelassener juristischer Personen – führt, auch mit Art. 17 Abs. 1 der Charta in Verbindung mit deren Art. 52 Abs. 1 unvereinbar.
68. In Anbetracht der vorstehenden Ausführungen lässt die systematische Auslegung der Verordnung Nr. 833/2014 keinen anderen Schluss zu als die wörtliche Auslegung von deren Art. 5n Abs. 2, wie sie in Nr. 50 der vorliegenden Schlussanträge dargelegt ist. Sie untermauert vielmehr den Standpunkt, dass das von einem Notar insbesondere in Bezug auf einen Immobilienkaufvertrag durchgeführte Beurkundungsverfahren nicht unter das Verbot dieser Bestimmung fällt.
69. Ich möchte kurz hinzufügen: Es ist irrelevant, dass die Kommission in ihrem Leitfaden für die Durchführung der Verordnung Nr. 833/2014 erklärt hat, notarielle Tätigkeiten fielen unter den Begriff der „Rechtsberatungsdienstleistungen“(27 ). Die Kommission erkennt in diesem Leitfaden zutreffend die alleinige Befugnis des Gerichtshofs zur Auslegung der Verordnungen im Bereich restriktiver Unionsmaßnahmen an, so dass dieser Leitfaden in keiner Weise das Ergebnis meiner Prüfung hinsichtlich der korrekten Auslegung von Art. 5n Abs. 2 der Verordnung Nr. 833/2014 vorgeben kann.
c) Teleologische Auslegung
70. Was schließlich die Frage angeht, ob die von mir vorgeschlagene wörtliche Auslegung der Verordnung Nr. 833/2014 mit deren Zielen in Einklang steht, so ist zu beachten, dass die Verordnung 2022/1904 – mit der die Verordnung Nr. 833/2014 u. a. durch die Einfügung von Art. 5n Abs. 2 geändert wurde – angesichts des Ernstes der Lage in der Ukraine zusammen mit dem Beschluss (GASP) 2022/1909(28 ) erlassen wurde. In diesem Beschluss wird die Abfolge der Ereignisse beschrieben, die den Rat veranlassten, weitere restriktive Maßnahmen einzuführen(29 ), was das sogenannte „achte Sanktionspaket“ zur Folge hatte(30 ). Wie im achten Erwägungsgrund des Beschlusses 2022/1909 dargelegt, wurden diese neuen Maßnahmen im Wesentlichen eingeführt, um den illegalen Handlungen Russlands entgegenzutreten und den Druck auf dieses Land, seinen Angriffskrieg zu beenden, weiter zu verstärken.
71. Allerdings enthält der Beschluss 2022/1909 – und damit ebenso wenig die Verordnung 2022/1904 – bezüglich des Verbots, Dienstleistungen im Bereich der Rechtsberatung zu erbringen, keine konkrete Begründung für eine Beschränkung der Erbringung dieser Dienstleistungen für in Russland niedergelassene juristische Personen. Ebenso wenig ist eine Erläuterung zu dem Verbot zu finden, andere Dienstleistungen zu erbringen, die beispielsweise unter Art. 5n Abs. 2 der Verordnung Nr. 833/2014 – d. h. Dienstleistungen in den Bereichen Architektur und Ingenieurwesen sowie IT‑Beratung – und unter Art. 5n Abs. 1 dieser Verordnung(31 ) – d. h. u. a. Dienstleistungen in den Bereichen Wirtschaftsprüfung, Abschlussprüfung, Buchführung oder Steuerberatung usw. – fallen.
72. Die Parteien sind sich darin einig, dass das Verbot dieser unternehmensrelevanten Dienstleistungen Teil des allgemeinen Ziels ist, die wirtschaftliche und industrielle Basis Russlands, insbesondere dessen militärisch-industrielle Infrastruktur, strategisch zu schwächen, um die Fähigkeit der Russischen Föderation zur weiteren Finanzierung und Fortführung des Krieges zu untergraben. Dagegen sind sie sich uneinig darüber, ob es zu diesem allgemeinen Ziel auch gehörte, alle Formen von Geschäften mit juristischen Personen, sofern sie nur in Russland niedergelassen sind, zu unterbinden oder stattdessen diesen Personen die wirtschaftliche Tätigkeit in der Europäischen Union zu erschweren.
73. Anders als die niederländische und die estnische Regierung halte ich es aus den bereits oben im Rahmen der systematischen Auslegung von Art. 5n Abs. 2 der Verordnung Nr. 833/2014 dargelegten Gründen für offenkundig, dass beim Erlass des Beschlusses 2022/1909 und der Verordnung 2022/1904 kein absolutes Verbot geschäftlicher Transaktionen mit in Russland niedergelassenen juristischen Personen beabsichtigt war. Ein solches absolutes Verbot war nur für bestimmte Wirtschaftssektoren und für bestimmte juristische Personen, die enge Beziehungen zum russischen Staat unterhalten, vorgesehen. Der zehnte Erwägungsgrund des Beschlusses 2022/1909 ist in dieser Hinsicht eindeutig, denn darin wird das Verbot aller Transaktionen nur in Bezug auf „bestimmte“ russische staatseigene oder staatlich kontrollierte juristische Personen, Organisationen oder Einrichtungen erwähnt(32 ).
74. Wenn man sodann davon ausgeht, dass das Verbot nach Art. 5n Abs. 1 und 2 der Verordnung Nr. 833/2014, unternehmensrelevante Dienstleistungen zu erbringen, mit dem Ziel eingeführt wurde, der russischen Wirtschaft zu schaden, lässt sich erstens daraus folgern, dass die russische Wirtschaft nach Auffassung des Rates in hohem Maß von der Einfuhr dieser Dienstleistungen europäischer Unternehmen und Firmen abhängig ist(33 ). Allerdings können notarielle Tätigkeiten nicht Gegenstand einer Einfuhr sein, so dass die notarielle Beurkundung eines Kaufvertrags über eine im Gebiet der Union belegene Immobilie dieses Ziel nicht berührt.
75. Zweitens bestand eines der Hauptanliegen, das der Rat im Beschluss 2022/1909, insbesondere in dessen fünftem Erwägungsgrund, zum Ausdruck gebracht hat, in der Notwendigkeit, die Umgehung der gegen russische Einrichtungen verhängten Sanktionen weiterhin zu verhindern(34 ). Unter Berücksichtigung dieses Erwägungsgrundes muss das Verbot der Erbringung von Dienstleistungen im Bereich der Rechtsberatung, das eine der wichtigsten normativen Neuerungen des Beschlusses 2022/1909 ist, auch als Mittel verstanden werden, um die Erbringer derartiger Dienstleistungen daran zu hindern, russischen Einrichtungen durch ihre Beratung zu helfen, die Auswirkungen der EU-Sanktionen zu umgehen. Da die Verordnung Nr. 833/2014 geschäftliche Transaktionen mit juristischen Personen, sofern sie in Russland nur ihre Niederlassung haben, nicht verbietet, steht für mich aber außer Frage, dass im Fall der notariellen Beurkundung eines Kaufvertrags dieses Verbot die Wirkungen der vom Rat in dem aktuellen Kontext erlassenen restriktiven Maßnahmen weder beeinträchtigt noch dazu beiträgt, sie zu umgehen.
76. Nimmt man schließlich an, dass der Rat das Verbot, Dienstleistungen im Bereich der Rechtsberatung zu erbringen, erlassen hat, um die russische Wirtschaft zu treffen, so hat er dies deshalb getan, weil es für die im Gebiet der Europäischen Union tätigen Organisationen ohne diese Dienste schwieriger würde, ihre Geschäftstätigkeit in der Union aufrechtzuerhalten. Insoweit ist die Entscheidung einer in Russland niedergelassenen juristischen Person, Immobilien in der Europäischen Union zu veräußern und für die Beurkundung des Kaufvertrags einen Notar in Anspruch zu nehmen, der beste Indikator dafür, dass diese juristische Person ihre Tätigkeit im Gebiet der Europäischen Union beendet und auf die wirtschaftlichen Vorteile verzichtet, die diese Tätigkeit mit sich bringen kann. Unter diesem Aspekt steht die Beteiligung des Notars an dieser Transaktion nicht im Widerspruch zu dem vom Rat angestrebten Ziel, die wirtschaftliche Basis Russlands zu schwächen.
77. Die Auslegung, wonach die notarielle Beurkundung eines Kaufvertrags keine „Rechtsberatungsdienstleistung“ im Sinne von Art. 5n Abs. 2 der Verordnung Nr. 833/2014 ist, steht also nicht im Widerspruch zu den mit dem Beschluss 2022/1909 verfolgten Zielen, wie sie sodann durch die Verordnung 2022/1904 konkretisiert wurden. Diese Auslegung stützt vielmehr die wörtliche Auslegung dieser Bestimmung, die ich dem Gerichtshof vorschlage.
78. Nach alledem führt keine der in den vorstehenden Nummern geprüften unionsrechtlichen Auslegungsgrundsätze zu dem Ergebnis, dass die notarielle Beurkundung eines Immobilienkaufvertrags eine Dienstleistung im Bereich der Rechtsberatung gemäß Art. 5n Abs. 2 der Verordnung Nr. 833/2014 darstellt.
79. Deshalb ist diese Beurkundung meines Erachtens nicht nach dieser Bestimmung verboten.
2. Die Ausnahmeregelung gemäß Art. 5n Abs. 6 der Verordnung Nr. 833/2014
80. Angesichts des Ergebnisses, zu dem ich bisher gelangt bin, werde ich mich nur der Vollständigkeit halber kurz dazu äußern, ob es für die Beurkundung eines Immobilienkaufvertrags jedenfalls gemäß Art. 5n Abs. 6 der Verordnung Nr. 833/2014 eine Ausnahme geben kann.
81. Nach dieser Bestimmung gilt das in Art. 5n Abs. 2 der Verordnung Nr. 833/2014 vorgesehene Verbot, Dienstleistungen im Bereich der Rechtsberatung für in Russland niedergelassene juristische Personen zu erbringen, nicht für Dienstleistungen, die zur Gewährleistung des Zugangs zu Gerichts‑, Verwaltungs- oder Schiedsverfahren unbedingt erforderlich sind, sofern deren Erbringung mit den Zielen dieser Verordnung und der Verordnung Nr. 269/2014 vereinbar ist(35 ).
82. Art. 5n Abs. 6 der Verordnung Nr. 833/2014 verlangt daher für die Anwendung der darin enthaltenen Ausnahmeregelung die Erfüllung dreier Voraussetzungen: Erstens muss sich der betreffende Zugang auf Gerichts‑, Verwaltungs- oder Schiedsverfahren beziehen, zweitens müssen die zu prüfenden Rechtsberatungsleistungen unbedingt erforderlich sein, um diesen Zugang zu gewährleisten, und drittens dürfen diese Leistungen die mit der Verordnung Nr. 833/2014 und der Verordnung Nr. 269/2014 verfolgten Ziele nicht beeinträchtigen.
83. Was die erste dieser drei Voraussetzungen betrifft, so habe ich bereits darauf hingewiesen, dass dem Grundbuch dem Gerichtshof zufolge vor allem in den Mitgliedstaaten, die das lateinische Notariat kennen, für die Übertragung von Immobilien entscheidende Bedeutung zukommt(36 ). Im Wesentlichen kann nur eine Eintragung im Grundbuch die Rechte des neuen Eigentümers begründen und durchsetzbar machen.
84. Ist die Führung des Grundbuchs in einem Mitgliedstaat den örtlichen Gerichten übertragen und durch eine gerichtliche Verfahrensordnung geregelt, ist außerdem davon auszugehen, dass diese Eintragung unter den Begriff „Gerichtsverfahren“ im Sinne von Art. 5n Abs. 6 der Verordnung Nr. 833/2014 fällt. Selbst wenn die das Grundbuch betreffenden Verfahren ungeachtet der Zuständigkeit dieser Gerichte nicht als Gerichtsverfahren anzusehen wären, müssten sie jedenfalls als Verwaltungsverfahren qualifiziert werden. Dies wäre auch in den Rechtsordnungen der Fall, in denen das Grundbuch Teil der öffentlichen Verwaltung des Mitgliedstaats selbst ist(37 ).
85. Unter den Umständen eines dem Ausgangsfall vergleichbaren Falls wäre somit die erste Voraussetzung erfüllt, da diese Elemente nach dem Vorlagebeschluss allesamt vorzuliegen scheinen.
86. Was die zweite Voraussetzung von Art. 5n Abs. 6 der Verordnung Nr. 833/2014 – strikte Erforderlichkeit der zu prüfenden Dienstleistungen für die Gewährleistung des Zugangs zu Gerichts- oder Verwaltungsverfahren – angeht, so beruht das Hauptmerkmal dieser Voraussetzung darauf, dass die betreffenden Dienstleistungen für die Zwecke dieser Verfahren unerlässlich sind. In Bezug auf das notarielle Beurkundungsverfahren ist diese Voraussetzung als erfüllt anzusehen, wenn diese Beurkundung erstens nur vom Notar vorgenommen werden kann und zweitens für die Eintragung in das Grundbuch zwingend erforderlich ist(38 ).
87. Auch dies träfe z. B. in einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens zu, in dem nach den Angaben des vorlegenden Gerichts im Vorlagebeschluss der Notar sowohl für die Errichtung öffentlicher Urkunden über private Rechtsgeschäfte als auch für die öffentliche Beglaubigung von Urkunden zuständig ist(39 ). Zugleich ist für ein privates Rechtsgeschäft ohne Beurkundung ein Zugang zum Grundbuch unmöglich(40 ), so dass das Kriterium der strikten Erforderlichkeit in vollem Umfang erfüllt ist.
88. Zur dritten Voraussetzung von Art. 5n Abs. 6 der Verordnung Nr. 833/2014 möchte ich schließlich im Einklang mit der teleologischen Auslegung in den vorstehenden Nummern dieser Schlussanträge kurz festhalten, dass die Ausnahme bezüglich des Beurkundungsverfahrens für Kaufverträge, die in Russland niedergelassene juristische Personen betreffen, die mit dieser Verordnung oder mit der Verordnung Nr. 269/2014 verfolgten Ziele nicht beeinträchtigt, natürlich unter der Bedingung, dass die an der Transaktion beteiligte juristische Person nicht in der letzteren Verordnung gelistet ist oder eine der in Art. 5aa Abs. 1 der Verordnung Nr. 833/2014 genannten Beziehungen unterhält.
89. Daher erfüllt die notarielle Beurkundung eines Kaufvertrags im Rahmen einer Transaktion, an der eine in Russland niedergelassene juristische Person beteiligt ist, die drei Anwendungsvoraussetzungen von Art. 5n Abs. 6 der Verordnung Nr. 833/2014. Sollte der Gerichtshof diese Beurkundung unter das Verbot in Art. 5n Abs. 2 dieser Verordnung subsumieren, wäre sie deshalb nach deren Art. 5n Abs. 6 davon auszunehmen.
B. Dritte Frage
90. Mit seiner dritten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 5n Abs. 2 und 6 der Verordnung Nr. 833/2014 es einem Notar verbietet, einen Kaufvertrag über Immobiliareigentum einer in Russland niedergelassenen juristischen Person nach dessen Beurkundung zu vollziehen. Das vorlegende Gericht stellt diese Frage insbesondere im Hinblick auf drei Aufgaben, mit denen die Parteien den Notar beauftragen könnten, nämlich die Verwahrung und Auszahlung des Kaufpreises, die Löschung der bestehenden Grundstücksbelastungen sowie die Umschreibung des Immobiliareigentums im Grundbuch auf die neuen Eigentümer.
91. Wie aus den Nrn. 30 und 39 der vorliegenden Schlussanträge hervorgeht, heißt es im 19. Erwägungsgrund der Verordnung 2022/1904, dass die Ausfertigung von Rechtsdokumenten unter den Begriff „Rechtsberatungsdienstleistungen“ fällt. Diese Tätigkeit kann jedoch nur dann unter Art. 5n Abs. 2 dieser Verordnung subsumiert werden, wenn sie ein Beratungselement enthält, welches somit zum Prüfungsmaßstab für die dritte Frage des vorlegenden Gerichts wird.
92. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs steht es den Mitgliedstaaten gemäß dem Grundsatz der Verfahrensautonomie frei, Regeln für die Vollstreckung von Rechtsvorgängen festzulegen und den Notaren eine Rolle im Rahmen des betreffenden Verfahrens zuzuweisen(41 ). Daher können Notare nach nationalem Recht mit der Übernahme bestimmter Vollstreckungsaufgaben für den Vollzug eines Vertrags, sobald dieser beurkundet ist, betraut werden.
93. Im Übrigen ist der Umstand, dass die von der vorliegenden Frage erfassten Vollzugsaufgaben z. B. auch von den Parteien selbst oder sogar von Dritten wahrgenommen werden können, für die Prüfung, ob diese Aufgaben nach Art. 5n Abs. 2 der Verordnung Nr. 833/2014 verboten sind, unerheblich. Während nämlich bei der Anwendung der Ausnahmeregelung in Art. 5n Abs. 6 dieser Verordnung das Kriterium der strikten Erforderlichkeit maßgeblich ist, gilt dies nicht für das Verbot in deren Art. 5n Abs. 2, bei dem sich die Prüfung darauf konzentrieren muss, ob eine bestimmte Aufgabe eine Rechtsberatung darstellt oder nicht.
94. Auch wenn die Angaben des vorlegenden Gerichts nicht besonders umfangreich sind, dürfte es im vorliegenden Fall schwierig sein, in den vom Gericht für den Vollzug des Immobilienkaufvertrags genannten konkreten Aufgaben bei genauer Betrachtung ein Element der Rechtsberatung zu erkennen. Denn diese Aufgaben sind Vorgänge, die sich automatisch an die Beurkundung dieses Vertrags anschließen.
95. Was insbesondere die Verwahrung und Auszahlung des Kaufpreises anbelangt, so kann in dieser Tätigkeit keine Rechtsberatung gesehen werden, da sich die Rolle des Notars darauf beschränkt, sich des für den Käufer verwahrten Kaufpreises anzunehmen und ihn an den Verkäufer auszuzahlen. Der Gerichtshof hat in diesem Zusammenhang nämlich erklärt, dass sich die Tätigkeiten eines Notars im Bereich der notariellen Hinterlegung auf die Prüfung beschränken, ob die rechtlichen Voraussetzungen eingehalten wurden(42 ).
96. Das gilt auch für die Umschreibung des Immobiliareigentums im Grundbuch auf die neuen Eigentümer, wofür es nur der Vorlage des beurkundeten Akts zur Registrierung oder allenfalls, wie im deutschen Recht, der Einreichung eines Antrags als eines bloßen Formerfordernisses bedarf(43 ).
97. Was schließlich die Löschung der bestehenden Grundstücksbelastungen betrifft, so scheint auch diese Aufgabe nicht unter die Kategorie der Dienstleistungen im Bereich der Rechtsberatung zu fallen. Eine solche Löschung setzt in der Regel nur einen entsprechenden Antrag beim Grundbuchamt voraus, der die vor einem Notar erklärte Löschungsbewilligung der Person enthalten muss, der das Recht auf diese Belastung zusteht(44 ).
98. Daraus folgt, dass die Tätigkeiten, die ein Notar für den Vollzug eines Kaufvertrags über Immobiliareigentum einer in Russland niedergelassenen juristischen Person übernimmt, nachdem er diesen Vertrag beurkundet hat, nicht unter das in Art. 5n Abs. 2 der Verordnung Nr. 833/2014 vorgesehene Verbot fallen.
99. Da es jedoch an konkreten Angaben über diese Tätigkeiten und die Art und Weise ihrer Durchführung in der deutschen Rechtsordnung fehlt, ist es Sache des vorlegenden Gerichts, unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Ausgangsrechtsstreits zu prüfen, ob sie ohne eine Rechtsberatung für die Parteien vorgenommen werden können.
100. Zu Art. 5n Abs. 6 der Verordnung Nr. 833/2014 genügt der Hinweis, dass das vorgenannte Kriterium der Erforderlichkeit nicht erfüllt wäre, da diese Tätigkeiten nicht nur von Notaren, sondern auch von anderen Akteuren, einschließlich der Kaufvertragsparteien, erledigt werden können. Sollte der Gerichtshof daher der Ansicht sein, dass die von einem Notar für den Vollzug eines Immobilienkaufvertrags übernommenen Aufgaben unter das Verbot von Art. 5n Abs. 2 der Verordnung Nr. 833/2014 fallen, könnten diese Aufgaben meines Erachtens nicht nach deren Art. 5n Abs. 6 von diesem Verbot ausgenommen werden.
C. Zweite Frage
101. Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht im Kern wissen, ob das Verbot von Art. 5n Abs. 2 der Verordnung Nr. 833/2014 auf die Dienstleistungen eines Dolmetschers anwendbar ist, der den Vertreter einer in Russland niedergelassenen juristischen Person in der Beurkundungsverhandlung unterstützt.
102. Der Einsatz eines Dolmetschers im Rahmen der Beurkundung eines Immobilienkaufvertrags dient hauptsächlich einem doppelten Zweck.
103. Erstens erbringt er eine Hilfstätigkeit, indem er die Gespräche zwischen einer Person und einem Notar dolmetscht und den wesentlichen Inhalt der zu beurkundenden Dokumente in die gewünschte Sprache übersetzt. Diese Aufgabe gewährleistet die Wahrung des Rechts auf Belehrung während des Beurkundungsverfahrens, insbesondere für die Person, die der Hilfe eines Dolmetschers bedarf.
104. Zweitens sorgt ein Dolmetscher für eine effektive mündliche Kommunikation zwischen dem Notar und den Parteien. Wie schon erörtert(45 ), stellt die öffentliche Urkunde einen vollgültigen Beweis für die vom Notar beurkundeten Tatsachen und Erklärungen dar. Diese Tatsachen beruhen auf den persönlichen Erkenntnissen des Notars aufgrund seiner mündliche Kommunikation mit den Parteien. Der Notar muss sich über die Absichten der Parteien vergewissern und gegebenenfalls deren Erklärungen klar und eindeutig niederschreiben. Diese Aufgaben sind Teil der vom Notar wahrgenommenen Rechtmäßigkeitskontrolle, da sie der Feststellung dienen, ob mit dem Vertrag ein unerlaubter oder unredlicher Zweck verfolgt wird, wobei der Notar in diesem Fall die Beurkundung verweigern muss.
105. Es liegt auf der Hand, dass die Tätigkeit des Dolmetschers eine Überprüfung der rechtlichen Voraussetzungen für die Beurkundung des Vertrags möglich macht, was bedeutet, dass ohne diese Tätigkeit die Beurkundung selbst erschwert würde. Daher ist die Mitwirkung des Dolmetschers, wenngleich sie eine reine Hilfstätigkeit im Rahmen des Beurkundungsverfahrens darstellt, für die wirksame Durchführung dieses Verfahrens wesentlich.
106. Ich bin jedoch davon überzeugt, dass die Beiziehung eines Dolmetschers nicht in den Anwendungsbereich von Art. 5n Abs. 2 der Verordnung Nr. 833/2014 fällt. In der Tat habe ich trotz des Zusammenhangs mit der eigentlichen Beurkundung starke Zweifel an einer Einstufung der Dolmetschertätigkeit als Dienstleistung im Bereich des Rechts, denn der Beruf des Dolmetschers ist definitionsgemäß nicht juristischer Natur, auch wenn er bei der Erstellung von Rechtsdokumenten behilflich ist. Die Rolle eines Dolmetschers besteht darin, die Worte einer Person in der Sprache einer anderen Person mündlich korrekt wiederzugeben, was unabhängig vom vermittelten Inhalt eine Dienstleistung im Bereich der Kommunikation ist.
107. Zusammenfassend bin ich der Auffassung, dass die Dolmetschertätigkeit im Rahmen einer Beurkundungsverhandlung nicht als „Rechtsberatungsdienstleistung“ im Sinne von Art. 5n Abs. 2 der Verordnung Nr. 833/2014 angesehen werden kann und daher nicht unter diese Bestimmung fällt.
V. Ergebnis
108. Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, die Fragen des Landgerichts Berlin (Deutschland) wie folgt zu beantworten:
1. Art. 5n Abs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 des Rates vom 31. Juli 2014 über restriktive Maßnahmen angesichts der Handlungen Russlands, die die Lage in der Ukraine destabilisieren,
ist dahin auszulegen, dass die notarielle Beurkundung eines Kaufvertrags über Immobiliareigentum einer in Russland niedergelassenen juristischen Person nicht unter das in dieser Bestimmung vorgesehene Verbot fällt, sofern sich die juristische Person nach dieser Verordnung an Transaktionen beteiligen darf und die Beurkundung nicht durch eine Rechtsberatung ergänzt wird, was das vorlegende Gericht zu überprüfen hat.
2. Art. 5n Abs. 2 der Verordnung Nr. 833/2014
ist dahin auszulegen, dass die Dienstleistungen eines Dolmetschers im Rahmen der notariellen Beurkundung eines Kaufvertrags über Immobiliareigentum einer in Russland niedergelassenen juristischen Person nicht unter das in dieser Bestimmung vorgesehene Verbot fallen.
3. Art. 5n Abs. 2 der Verordnung Nr. 833/2014
ist dahin auszulegen, dass es nicht unter das in dieser Bestimmung vorgesehene Verbot fällt, wenn ein Notar einen beurkundeten Kaufvertrag über Immobiliareigentum einer in Russland niedergelassenen juristischen Person vollzieht und dabei insbesondere die Verwahrung und Auszahlung des Kaufpreises, die Löschung der bestehenden Grundstücksbelastungen sowie die Eigentumsumschreibung im Grundbuch auf die neuen Eigentümer vornimmt, sofern sich die juristische Person nach dieser Verordnung an Transaktionen beteiligen darf und diese Aufgaben keinerlei Rechtsberatung beinhalten, was das vorlegende Gericht zu überprüfen hat.