Vorläufige Fassung
URTEIL DES GERICHTSHOFS (Sechste Kammer)
27. April 2023(* )
„Vorlage zur Vorabentscheidung – Gemeinsamer Zolltarif – Tarifierung der Waren – Kombinierte Nomenklatur – Auslegung – Allgemeine Vorschriften – Allgemeine Vorschrift 2 a – Zerlegt oder noch nicht zusammengesetzt gestellte Ware – Teile, die nach ihrer Zusammensetzung Satellitenempfänger darstellen sollen – Einreihung als vollständiger Satellitenempfänger“
In der Rechtssache C‑107/22
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Gerechtshof Amsterdam (Berufungsgericht Amsterdam, Niederlande) mit Entscheidung vom 8. Februar 2022, beim Gerichtshof eingegangen am 16. Februar 2022, in dem Verfahren
X BV,
Beteiligter:
Inspecteur van de Belastingdienst/Douane district Rotterdam,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten P. G. Xuereb sowie der Richter T. von Danwitz (Berichterstatter) und A. Kumin,
Generalanwältin: T. Ćapeta,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
– der X BV, vertreten durch R. Andringa, Advocaat,
– der niederländischen Regierung, vertreten durch M. K. Bulterman und H. S. Gijzen als Bevollmächtigte,
– der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Salyková und P. Vanden Heede als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung der Generalanwältin ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der allgemeinen Vorschrift 2 a der Allgemeinen Vorschriften für die Auslegung der Kombinierten Nomenklatur in Anhang I der Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 des Rates vom 23. Juli 1987 über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif (ABl. 1987, L 256, S. 1) in der durch die Verordnung (EG) Nr. 1549/2006 der Kommission vom 17. Oktober 2006 (ABl. 2006, L 301, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: KN).
2 Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der X BV und dem Inspecteur van de Belastingdienst/Douane district Rotterdam (Inspektor der Steuer-/Zollverwaltung des Bezirks Rotterdam, Niederlande) (im Folgenden: Inspecteur) über die zolltarifliche Einreihung von Teilen von Satellitenempfängern.
Rechtlicher Rahmen
HS
3 Das Harmonisierte System zur Bezeichnung und Codierung der Waren (im Folgenden: HS) wurde mit dem am 14. Juni 1983 in Brüssel geschlossenen Internationalen Übereinkommen über das Harmonisierte System zur Bezeichnung und Codierung der Waren im Rahmen der Weltzollorganisation (WZO) eingeführt und mit dem dazugehörigen Änderungsprotokoll vom 24. Juni 1986 durch den Beschluss 87/369/EWG des Rates vom 7. April 1987 (ABl. 1987, L 198, S. 1) im Namen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft genehmigt. Die Erläuterungen zum HS werden in der WZO nach den Bestimmungen dieses Übereinkommens ausgearbeitet.
4 Nach Art. 3 Abs. 1 Buchst. a Nr. 2 des Übereinkommens verpflichtet sich jede Vertragspartei, die Allgemeinen Vorschriften für die Auslegung des HS sowie alle Anmerkungen zu den Abschnitten, Kapiteln und Unterpositionen anzuwenden und die Tragweite der Abschnitte, Kapitel, Positionen oder Unterpositionen des HS nicht zu verändern.
5 Die Allgemeine Vorschrift 2 a für die Auslegung des HS sieht zum einen vor, dass jede Anführung einer Ware in einer Position auch für die unvollständige oder unfertige Ware gilt, wenn sie im vorliegenden Zustand die wesentlichen Beschaffenheitsmerkmale der vollständigen oder fertigen Ware hat, und zum anderen, dass diese Anführung auch für eine vollständige oder fertige oder nach den vorstehenden Bestimmungen dieser Vorschrift als solche geltende Ware gilt, wenn diese zerlegt oder noch nicht zusammengesetzt gestellt wird.
6 In den HS-Erläuterungen V bis VII zur Allgemeinen Vorschrift 2 a heißt es:
„V) Der zweite Teil der Allgemeinen Vorschrift 2 a reiht vollständige oder fertige Waren, die zerlegt oder noch nicht zusammengesetzt gestellt werden, in dieselbe Position ein wie die bereits zusammengesetzten Waren. Werden Waren in diesem Zustand gestellt, so geschieht dies gewöhnlich, um das Verpacken, Laden oder Befördern zu ermöglichen oder zu erleichtern.
VI) Diese Allgemeine Vorschrift wird auch auf unvollständige oder unfertige Waren angewendet, die zerlegt oder noch nicht zusammengesetzt gestellt werden, sofern sie nach dem ersten Teil dieser Allgemeinen Vorschrift als vollständig oder fertig anzusehen sind.
VII) Zerlegte oder noch nicht zusammengesetzte Waren im Sinne dieser Allgemeinen Vorschrift sind Waren, deren verschiedene Teile dazu bestimmt sind, entweder durch Hilfsmittel (Schrauben, Muttern, Bolzen usw.) oder z. B. durch Vernieten oder Schweißen zusammengesetzt zu werden, sofern es sich dabei tatsächlich nur um Zusammensetzen handelt.
Dabei kommt es nicht auf die Kompliziertheit des Zusammensetzens an. Jedoch dürfen die verschiedenen Teile bei der Vervollständigung zu einer fertigen Ware keiner weiteren Bearbeitung unterzogen werden.
Nicht zusammengesetzte Teile einer Ware, die die für eine vollständige Ware erforderliche Anzahl übersteigen, werden nach Beschaffenheit gesondert eingereiht.
…“
KN
7 Die Allgemeinen Vorschriften für die Auslegung der KN in Anhang I Teil I Titel I Abschnitt A der Verordnung Nr. 2658/87 bestimmen:
„Für die Einreihung von Waren in die [KN] gelten folgende Grundsätze:
1. Die Überschriften der Abschnitte, Kapitel und Teilkapitel sind nur Hinweise. Maßgebend für die Einreihung sind der Wortlaut der Positionen und der Anmerkungen zu den Abschnitten oder Kapiteln und – soweit in den Positionen oder in den Anmerkungen zu den Abschnitten oder Kapiteln nichts Anderes bestimmt ist – die nachstehenden Allgemeinen Vorschriften.
2. a) Jede Anführung einer Ware in einer Position gilt auch für die unvollständige oder unfertige Ware, wenn sie im vorliegenden Zustand die wesentlichen Beschaffenheitsmerkmale der vollständigen oder fertigen Ware hat. Sie gilt auch für eine vollständige oder fertige oder nach den vorstehenden Bestimmungen dieser Vorschrift als solche geltende Ware, wenn diese zerlegt oder noch nicht zusammengesetzt gestellt wird.
…“
Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen
8 Im Zeitraum vom 3. Juli 2006 bis zum 22. Januar 2007 gab X in den Niederlanden im eigenen Namen und für eigene Rechnung 38 Anmeldungen zur Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr für Teile von Satellitenempfängern ab. Diese Teile stammten alle vom selben in China ansässigen Lieferanten und wurden auf demselben Schiff in ein und demselben Container transportiert.
9 X gab jedes Mal zwei getrennte Erklärungen am selben Tag ab, und zwar eine Erklärung für die für das deutsche Unternehmen C GmbH bestimmten Waren und eine Erklärung für die für das deutsche Unternehmen D GmbH bestimmten Waren. Diese Unternehmen gehörten zur selben Gruppe. Die Erklärungen wurden bei derselben Zollstelle in Rotterdam (Niederlande) abgegeben.
10 Die beiden Erklärungen umfassten jedes Mal in übereinstimmenden Mengen alle Teile eines bestimmten Typs von Satellitenempfänger. Die Teile waren zwar für zwei verschiedene Unternehmen bestimmt, aber komplementär. Nach ihrer Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr sollten sie zu einem vollständigen Satellitenempfänger zusammengesetzt werden.
11 Am 23. Juli 2007 gab X in den Niederlanden eine Anmeldung zur Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr für Teile von Satellitenempfängern ab, die für das Unternehmen C bestimmt waren. Diese Teile waren im selben Container wie die für das Unternehmen D bestimmten Teile transportiert worden. Sie wurden allerdings in einem anderen Zollverfahren – im externen gemeinschaftlichen Versandverfahren – angemeldet und unter zollamtlicher Überwachung nach Deutschland transportiert, um später dort in den zollrechtlich freien Verkehr übergeführt zu werden.
12 Nach Ansicht des Inspecteurs sind die von X in die Niederlande eingeführten Waren nicht als Teile von Satellitenempfängern anzusehen, sondern als vollständige, noch nicht zusammengesetzte Empfänger. Deshalb richtete er am 1. Juli 2009 an X einen Zahlungsbescheid für alle betroffenen Satellitenempfänger über einen Gesamtbetrag von 389 973,70 Euro an Zöllen.
13 Nachdem X beim Inspecteur erfolglos Einspruch eingelegt hatte, erhob er gegen den Zahlungsbescheid Klage bei der Rechtbank Noord-Holland (Bezirksgericht Nord-Holland, Niederlande). Dieses Gericht gab der Klage statt und hob den Zahlungsbescheid teilweise auf. Sowohl X als auch der Inspecteur legten gegen dieses Urteil beim Gerechtshof Amsterdam (Berufungsgericht Amsterdam, Niederlande), dem vorlegenden Gericht, Berufung ein.
14 Der Ausgangsrechtsstreit betrifft die Frage, ob die eingeführten Waren als getrennte Teile in die jeweiligen Tarifpositionen der KN eingereiht werden müssen oder ob sie, wie der Inspecteur meint, gemäß der Allgemeinen Vorschrift 2 a in Anhang I Teil I Titel I Abschnitt A der Verordnung Nr. 2658/87 als vollständige, noch nicht zusammengesetzte Satellitenempfänger zu betrachten sind.
15 Unter diesen Umständen hat der Gerechtshof Amsterdam (Berufungsgericht Amsterdam) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
1. Ist die allgemeine Einreihungsvorschrift 2 a dahin auszulegen, dass sie auf Einzelteile eines Satellitenempfängers anwendbar ist, die dazu bestimmt sind, nach ihrer Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr zu einem vollständigen Satellitenempfänger zusammengesetzt zu werden, und die in ein und demselben Container transportiert werden und am selben Tag bei derselben Zollstelle vom selben Anmelder im eigenen Namen und für eigene Rechnung mit zwei getrennten Anmeldungen zum zollrechtlich freien Verkehr angemeldet werden und bei der Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr Eigentum von zwei verbundenen Unternehmen sind?
2. Wenn Frage 1 bejaht wird: Ist die allgemeine Einreihungsvorschrift 2 a dann dahin auszulegen, dass sie auch anwendbar ist auf Einzelteile eines Satellitenempfängers, die vom selben Anmelder im eigenen Namen und für eigene Rechnung am selben Tag bei derselben Zollstelle wie der, bei der die übrigen Teile für den Satellitenempfänger in das externe gemeinschaftliche Versandverfahren übergeführt werden, zum zollrechtlich freien Verkehr angemeldet werden, wobei die Teile bei der Abgabe der Anmeldungen Eigentum von zwei verbundenen Unternehmen sind und alle Teile zusammen dazu bestimmt sind, nach der Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr zu einem vollständigen Satellitenempfänger zusammengesetzt zu werden?
Zu den Vorlagefragen
Zur ersten Frage
16 Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Allgemeine Vorschrift 2 a für die Auslegung der KN dahin auszulegen ist, dass Teile eines Satellitenempfängers, die dazu bestimmt sind, nach ihrer Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr zu einem vollständigen Gerät zusammengesetzt zu werden, in ein und demselben Container transportiert werden, für ihre Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr am selben Tag bei derselben Zollstelle vom selben Anmelder im eigenen Namen und für eigene Rechnung mit zwei getrennten Anmeldungen zum zollrechtlich freien Verkehr angemeldet werden und bei ihrer Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr Eigentum von zwei verbundenen Unternehmen sind, als Satellitenempfänger, der im Sinne dieser Vorschrift zerlegt oder noch nicht zusammengesetzt gestellt wird, anzusehen sind und daher unter ein und dieselbe Tarifposition fallen.
17 Vorab ist darauf hinzuweisen, dass es in einem Vorabentscheidungsverfahren auf dem Gebiet der zolltariflichen Einreihung Aufgabe des Gerichtshofs ist, den nationalen Gerichten die Kriterien aufzuzeigen, anhand deren sie die betreffenden Waren richtig in die KN einreihen können, nicht aber, diese Einreihung selbst vorzunehmen. Die Einstufung der in Rede stehenden Waren zum Zweck ihrer zolltariflichen Einreihung beruht nämlich auf einer reinen Tatsachenfeststellung, die der Gerichtshof im Rahmen eines Vorabentscheidungsersuchens nicht vorzunehmen hat (Urteil vom 28. April 2022, PRODEX, C‑72/21, EU:C:2022:312, Rn. 27 und die dort angeführte Rechtsprechung).
18 Ferner ist nach der Allgemeinen Vorschrift 1 für die Auslegung der KN für die Einreihung von Waren der Wortlaut der Positionen und der Anmerkungen zu den Abschnitten oder Kapiteln der KN maßgebend. Im Interesse der Rechtssicherheit und der leichten Nachprüfbarkeit ist das entscheidende Kriterium für die zolltarifliche Einreihung von Waren allgemein in deren objektiven Merkmalen und Eigenschaften zu suchen, wie sie im Wortlaut der KN-Positionen und der Anmerkungen zu den Abschnitten oder Kapiteln festgelegt sind (Urteil vom 28. April 2022, PRODEX, C‑72/21, EU:C:2022:312, Rn. 28 und die dort angeführte Rechtsprechung).
19 Außerdem hat der Gerichtshof wiederholt entschieden, dass die Erläuterungen sowohl zum HS als auch zur KN zwar nicht verbindlich sind, aber wichtige Hilfsmittel darstellen, um eine einheitliche Anwendung des Gemeinsamen Zolltarifs zu gewährleisten, und als solche wertvolle Hinweise für dessen Auslegung liefern (Urteil vom 28. April 2022, PRODEX, C‑72/21, EU:C:2022:312, Rn. 29 und die dort angeführte Rechtsprechung).
20 Nach der Allgemeinen Vorschrift 2 a für die Auslegung der KN, die der Allgemeinen Vorschrift 2 a für die Auslegung des HS entspricht, gilt „[j]ede Anführung einer Ware in einer Position … auch für die unvollständige oder unfertige Ware, wenn sie im vorliegenden Zustand die wesentlichen Beschaffenheitsmerkmale der vollständigen oder fertigen Ware hat. Sie gilt auch für eine vollständige oder fertige oder nach den vorstehenden Bestimmungen dieser Vorschrift als solche geltende Ware, wenn diese zerlegt oder noch nicht zusammengesetzt gestellt wird.“
21 Aus Nr. VII der Erläuterungen zur Allgemeinen Vorschrift 2 a des HS geht hervor, dass zerlegt oder noch nicht zusammengesetzt gestellte Waren im Sinne dieser Allgemeinen Vorschrift Waren sind, deren verschiedene Teile dazu bestimmt sind, entweder durch Hilfsmittel (Schrauben, Muttern, Bolzen usw.) oder z. B. durch Vernieten oder Schweißen zusammengesetzt zu werden, sofern es sich dabei tatsächlich nur um Zusammensetzen handelt. Dabei kommt es nicht auf die Kompliziertheit des Zusammensetzens an. Jedoch dürfen die verschiedenen Teile bei der Vervollständigung zu einer fertigen Ware keiner weiteren Bearbeitung unterzogen werden.
22 Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs ist eine Ware, deren sämtliche Bestandteile – das sind diejenigen Teile, die erkennbar zur Erstellung der fertigen Ware bestimmt sind – gleichzeitig zur Zollabfertigung gestellt werden, als eine zerlegt oder nicht zusammengesetzt gestellte Ware anzusehen; auf die Technik des Zusammensetzens oder die Kompliziertheit der Montagemethode kommt es hierfür nicht an (Urteil vom 16. Juni 1994, Develop Dr. Eisbein, C‑35/93, EU:C:1994:252, Rn. 19).
23 Im vorliegenden Fall geht aus den vom vorlegenden Gericht vorgelegten Informationen hervor, dass sämtliche Bestandteile der in Rede stehenden Ware, eines Satellitenempfängers, gleichzeitig zur Zollabfertigung gestellt wurden.
24 Zwar können diese Bestandteile nur dann als eine zerlegt oder noch nicht zusammengesetzt gestellte Ware angesehen werden, wenn sie gleichzeitig zur Zollabfertigung gestellt werden, doch ergibt sich weder aus dem Wortlaut der Allgemeinen Vorschrift 2 a für die Auslegung der KN noch aus den Erläuterungen zur Allgemeinen Vorschrift 2 a für die Auslegung des HS, dass sämtliche Bestandteile Gegenstand ein und derselben Zollanmeldung sein müssten.
25 Dass solche Waren bei ihrer zollrechtlichen Gestellung Gegenstand ein und derselben Anmeldung sind, ist also keine unabdingbare Voraussetzung für ihre Einstufung als Einheit und damit als eine „zerlegt oder noch nicht zusammengesetzt gestellte Ware“ im Sinne der Allgemeinen Vorschrift 2 a für die Auslegung der KN, sondern nur ein Indiz, aus dem eine solche Feststellung abgeleitet werden kann (vgl. entsprechend Urteil vom 10. März 2016, VAD und van Aert, C‑499/14, EU:C:2016:155, Rn. 38).
26 Eine andere Auslegung des Begriffs der zerlegt oder noch nicht zusammengesetzt gestellten Ware würde es Importeuren in der Praxis ermöglichen, mittels einer relativ einfachen Manipulation wie der Gestellung der Waren in getrennten Anmeldungen die für sie günstigste tarifliche Einordnung der betreffenden Waren – als Einheit oder gesondert – selbst zu wählen (vgl. entsprechend Urteil vom 10. März 2016, VAD und van Aert, C‑499/14, EU:C:2016:155, Rn. 39).
27 Dies verstieße jedoch gegen den Grundsatz, dass das entscheidende Kriterium für die zollrechtliche Tarifierung von Waren allgemein in deren objektiven Merkmalen und Eigenschaften zu suchen ist, und würde daher zu einer Beeinträchtigung des Ziels, die Zollkontrollen zu erleichtern, und der Rechtssicherheit, die bei der Tarifierung der eingeführten Waren im Vordergrund stehen muss, führen (vgl. entsprechend Urteil vom 10. März 2016, VAD und van Aert, C‑499/14, EU:C:2016:155, Rn. 40 und die dort angeführte Rechtsprechung).
28 Folglich kann der Umstand, dass Waren dem Zoll in getrennten Anmeldungen gestellt werden, für sich genommen einer Einordnung dieser Waren als zerlegte oder noch nicht zusammengesetzte Waren im Sinne der Allgemeinen Vorschrift 2 a für die Auslegung der KN entgegenstehen, wenn zum Zeitpunkt der Zollabfertigung aus anderen objektiven Faktoren hervorgeht, dass diese Waren eine Einheit bilden und später zu einem einzigen Gerät zusammengesetzt werden sollen (vgl. entsprechend Urteil vom 10. März 2016, VAD und van Aert, C‑499/14, EU:C:2016:155, Rn. 43).
29 Im vorliegenden Fall führt das vorlegende Gericht objektive Faktoren an, die dafür sprechen, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Teile als eine zerlegte oder noch nicht zusammengesetzte Ware im Sinne der genannten Allgemeinen Vorschrift 2 a einzustufen sind. Insbesondere stellt das vorlegende Gericht fest, dass diese Teile nach ihrer Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr zu einem Endprodukt zusammengesetzt werden sollten, dass sie in ein und demselben Container transportiert wurden, dass sie bei derselben Zollstelle vom selben Anmelder im eigenen Namen und für eigene Rechnung zum zollrechtlich freien Verkehr angemeldet wurden und dass sie bei ihrer Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr Eigentum von zwei verbundenen Unternehmen waren.
30 Solche Umstände können nämlich bestätigen, dass es sich um eine zerlegte oder noch nicht zusammengesetzte Ware handelt. Wie die Europäische Kommission zutreffend ausgeführt hat, ist der Umstand, dass diese Teile in zwei getrennten Anmeldungen zum zollrechtlich freien Verkehr gestellt werden, parallel zu den anderen maßgeblichen Umständen zu prüfen, für sich genommen aber nicht entscheidend.
31 Infolgedessen ist die Allgemeine Vorschrift 2 a der Allgemeinen Vorschriften für die Auslegung der KN dahin auszulegen, dass Teile eines Satellitenempfängers, die dazu bestimmt sind, nach ihrer Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr zu einem vollständigen Gerät zusammengesetzt zu werden, in ein und demselben Container transportiert werden, für ihre Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr am selben Tag bei derselben Zollstelle vom selben Anmelder im eigenen Namen und für eigene Rechnung mit zwei getrennten Anmeldungen zum zollrechtlich freien Verkehr angemeldet werden und bei ihrer Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr Eigentum von zwei verbundenen Unternehmen sind, als Satellitenempfänger, der im Sinne dieser Vorschrift zerlegt oder noch nicht zusammengesetzt gestellt wird, anzusehen sind und daher unter ein und dieselbe Tarifposition fallen, soweit aufgrund objektiver Faktoren feststeht, dass diese Teile eine Einheit bilden und sämtliche Bestandteile dieses Geräts umfassen.
Zur zweiten Frage
32 Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Allgemeine Vorschrift 2 a für die Auslegung der KN dahin auszulegen ist, dass sie auch dann anwendbar ist, wenn bestimmte der in Rede stehenden Waren zum zollrechtlich freien Verkehr angemeldet, andere hingegen in das externe gemeinschaftliche Versandverfahren übergeführt werden.
33 In Anbetracht der Antwort auf die erste Frage ist festzustellen, dass der Umstand, dass diese Waren dem Zoll in getrennten Anmeldungen gestellt werden, um später zusammengesetzt zu werden, für sich genommen ihrer Einordnung als „zerlegte oder noch nicht zusammengesetzte“ Ware im Sinne der Allgemeinen Vorschrift 2 a für die Auslegung der KN dann nicht entgegenstehen, wenn zum Zeitpunkt der Zollabfertigung aus anderen objektiven Faktoren hervorgeht, dass diese Waren eine Einheit bilden und später zu einer Ware zusammengesetzt werden sollen.
34 Wie die Kommission zutreffend vorgetragen hat, können die Modalitäten, nach denen die Waren angemeldet wurden, oder die Zollregelung, unter der sie bis zu ihrem endgültigen Ziel transportiert wurden, einen der objektiven Faktoren darstellen, die für die Beurteilung der Anwendbarkeit dieser Allgemeinen Vorschrift 2 a relevant sind. Diese Umstände können jedoch für sich genommen nicht entscheidend sein, da das vorlegende Gericht auch alle anderen für diese Beurteilung relevanten objektiven Faktoren berücksichtigen muss.
35 Insoweit ist unerheblich, dass die auf den im Ausgangsrechtsstreit maßgeblichen Zeitraum anwendbare Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ABl. 1992, L 302, S. 1) nicht ausdrücklich die Möglichkeit vorsah, zum zollrechtlich freien Verkehr angemeldete Waren und unter dem externen gemeinschaftlichen Versandverfahren angemeldete Waren für die Zwecke ihrer zolltariflichen Einreihung zusammen zu betrachten.
36 Wie die niederländische Regierung zutreffend vorgetragen hat, würde jede andere Auslegung es ermöglichen, die Allgemeine Vorschrift 2 a für die Auslegung der KN zu umgehen, da die Importeure durch einen recht einfachen Vorgang, indem sie nämlich den Versand aufteilen und die Waren vor ihrer Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr unter zwei verschiedenen Zollregelungen anmelden, dafür sorgen könnten, dass sie, je nachdem, welcher Tarif günstiger ist, als Ganzes oder als getrennte Teile eingereiht werden.
37 Infolgedessen ist die Allgemeine Vorschrift 2 a für die Auslegung der KN dahin auszulegen, dass sie auch dann anwendbar ist, wenn bestimmte der in Rede stehenden Waren zum zollrechtlich freien Verkehr angemeldet werden, andere hingegen in das externe gemeinschaftliche Versandverfahren übergeführt werden.
Kosten
38 Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Sechste Kammer) für Recht erkannt:
1. Die Allgemeine Vorschrift 2 a der Allgemeinen Vorschriften für die Auslegung der Kombinierten Nomenklatur in Anhang I der Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 des Rates vom 23. Juli 1987 über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif in der Fassung der Verordnung (EG) Nr. 1549/2006 der Kommission vom 17. Oktober 2006
ist dahin auszulegen, dass
Teile eines Satellitenempfängers, die dazu bestimmt sind, nach ihrer Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr zu einem vollständigen Gerät zusammengesetzt zu werden, in ein und demselben Container transportiert werden, für ihre Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr am selben Tag bei derselben Zollstelle vom selben Anmelder im eigenen Namen und für eigene Rechnung mit zwei getrennten Anmeldungen zum zollrechtlich freien Verkehr angemeldet werden und bei ihrer Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr Eigentum von zwei verbundenen Unternehmen sind, als Satellitenempfänger, der im Sinne dieser Vorschrift zerlegt oder noch nicht zusammengesetzt gestellt wird, anzusehen sind und daher unter ein und dieselbe Tarifposition fallen, soweit aufgrund objektiver Faktoren feststeht, dass diese Teile eine Einheit bilden und alle Bestandteile dieses Geräts umfassen.
2. Die Allgemeine Vorschrift 2 a der Allgemeinen Vorschriften für die Auslegung der Kombinierten Nomenklatur in Anhang I der Verordnung Nr. 2658/87 in der Fassung der Verordnung Nr. 1549/2006
ist dahin auszulegen, dass
sie auch dann anwendbar ist, wenn bestimmte der in Rede stehenden Waren zum zollrechtlich freien Verkehr angemeldet werden, andere hingegen in das externe gemeinschaftliche Versandverfahren übergeführt werden.
Unterschriften