C-10/22 – LEA

C-10/22 – LEA

CURIA – Documents

Language of document : ECLI:EU:C:2023:437

Vorläufige Fassung

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

MACIEJ SZPUNAR

vom 25. Mai 2023(1)

Rechtssache C10/22

Liberi editori e autori (LEA)

gegen

Jamendo SA

(Vorabentscheidungsersuchen des Tribunale ordinario di Roma [Ordentliches Gericht von Rom, Italien])

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Richtlinie 2014/26/EU – Kollektive Wahrnehmung von Urheber- und verwandten Schutzrechten – Organisationen für die kollektive Rechtewahrnehmung – Unabhängige Verwertungseinrichtungen – Aufnahme einer Tätigkeit der Wahrnehmung von Urheberrechten – Richtlinie 2000/31/EG – Dienste der Informationsgesellschaft – Art. 3 – Freier Verkehr von Diensten der Informationsgesellschaft – Richtlinie 2006/123/EG – Art. 16 – Dienstleistungsfreiheit – Art. 17 – Ausnahmen – Art. 56 AEUV“

 Einleitung

1.        Die Entstehungsgeschichte der kollektiven Wahrnehmung von Urheberrechten geht auf das 18. Jahrhundert zurück, als auf Initiative von Pierre-Augustin Caron de Beaumarchais, eines Autors von Theaterstücken, der über die als missbräuchlich angesehenen Praktiken der Comédie Française (Pariser Nationaltheater) entrüstet war, eine Vereinigung von Theaterschriftstellern gegründet wurde, aus der später die Société des auteurs et compositeurs dramatiques (Gesellschaft für Theaterautoren und ‑komponisten) hervorging. In Italien wurde 1882 von Persönlichkeiten wie Giuseppe Verdi, Giosuè Carducci und Edmondo De Amicis die Società Italiana degli Autori (italienische Autorengesellschaft) gegründet, nunmehr die heute noch tätige Società Italiana degli Autori ed Editori (italienische Gesellschaft der Autoren und Verleger, im Folgenden: SIAE).

2.        Der Grund für die kollektive Wahrnehmung von Urheberrechten ist nicht nur die effektivere, weil kollektive Verteidigung der Interessen der Rechtsinhaber gegenüber den Nutzern der Werke(2). Die Vielzahl der Verbreitungswege der Werke und der daran beteiligten Personen, die durch die Internationalisierung der Kultur und damit der Verwertung von Werken verstärkt wird, macht die individuelle Wahrnehmung von Rechten durch ihre Urheber oft ineffizient oder gar unmöglich. Nur eine Organisation, die mehrere Urheber vertritt und über eine angemessene Verwaltungsstruktur verfügt, ist in der Lage, den verschiedenen Nutzern auf effiziente und wirtschaftlich tragfähige Weise die Erlaubnis zur Verwertung der Werke zu erteilen, die fälligen Vergütungen einzuziehen und zwischen den Rechtsinhabern aufzuteilen und die Einhaltung der Bedingungen für die Verwertung von Werken durch die Nutzer zu überwachen sowie Verletzungshandlungen zu verfolgen.

3.        Die kollektive Rechtewahrnehmung kommt jedoch nicht nur den Inhabern der Rechte zugute. Auch die Nutzer profitieren davon, weil sie die Möglichkeit haben, sich an eine einzige Organisation zu wenden, um für mehrere Werke die Erlaubnis zur Verwertung zu erhalten, ohne die verschiedenen Urheberrechtsinhaber ausfindig machen und mit ihnen einzeln Verträge abschließen zu müssen.

4.        Dieses Bedürfnis nach Effizienz sowohl seitens der Rechtsinhaber als auch seitens der Nutzer führte zu einer Monopolstellung der Organisationen für die kollektive Rechtewahrnehmung in ihren jeweiligen Ländern. Dieses Monopol kann rechtlichen Charakter haben, wie dies noch bis vor Kurzem bei der SIAE in Italien der Fall war, oder de facto bestehen, wenn mehrere Organisationen für die kollektive Rechtewahrnehmung nebeneinander bestehen, die jedoch auf die von ihnen verwalteten Kategorien von Werken oder Rechten spezialisiert sind, so dass jede Organisation in ihrem Tätigkeitsbereich das Monopol innehat. Auf internationaler Ebene erteilt zwar jede Organisation für die kollektive Rechtewahrnehmung gemäß dem urheberrechtlichen Territorialitätsprinzip für ihr eigenes Gebiet über ein Netz von Vereinbarungen über die gegenseitige Vertretung die Erlaubnis zur Verwertung, doch kann sie diese Erlaubnis auch für Werke anbieten, die zum Repertoire von Organisationen anderer Länder, d. h. in der Praxis der ganzen Welt, gehören.

5.        Ein solches System hat natürlich erhebliche Vorteile. Erstens ermöglicht es aus Sicht der Nutzer, gegen Zahlung einer einzigen, oft pauschalen Gebühr, praktisch auf alle auf dem Markt befindlichen Werke einer bestimmten Kategorie zuzugreifen und sie zu nutzen, ohne sich Gedanken darüber machen zu müssen, möglicherweise eine Urheberrechtsverletzung zu begehen. Zweitens ermöglicht es dieses System, weniger bekannten Künstlern und Werken, die insbesondere aus kulturellen und sprachlichen Gründen ein kleineres Publikum haben, auf dem Markt gleichberechtigt neben den beim Publikum beliebteren Künstlern zu bestehen, ohne dass sich die Nutzer aus den Repertoires nur die beliebtesten und damit rentabelsten Werke „herauspicken“. Drittens ermöglicht es das System der territorialen Erlaubniserteilungen und Vertretungsvereinbarungen Organisationen, die die Rechte „kleinerer“ Repertoires wahrnehmen, einen Teil der Erträge aus der Nutzung international renommierter Werke in ihren Gebieten zu vereinnahmen, ohne die die Rechtewahrnehmung für ihr eigenes Repertoire aufgrund der hohen Fixkosten, die eine solche Tätigkeit mit sich bringt, nicht rentabel sein könnte. Viertens schließlich sind die Überwachung der Verwertung der Werke und die Verfolgung von Verletzungshandlungen ebenfalls nach dem Territorialitätsprinzip organisiert, was diese Überwachung stark erleichtert und eine Begrenzung der damit verbundenen Kosten ermöglicht.

6.        Dieses auf dem Monopol und der Territorialität beruhende System der kollektiven Rechtewahrnehmung muss sich jedoch zwei großen Herausforderungen stellen, und zwar erstens einer rechtlichen und zweitens einer tatsächlichen.

7.        Zum einen wirft ein solches System im Unionsrecht Fragen sowohl unter dem Gesichtspunkt des Wettbewerbsrechts als auch unter dem Gesichtspunkt der Freiheiten des Binnenmarkts auf. Wenngleich die Entscheidungen der Unionsgerichte in diesen beiden Bereichen ein gewisses Gleichgewicht hergestellt haben(3), konnten sie jedoch nicht alle Zweifel hinsichtlich der Vereinbarkeit der Monopolstellung der Organisationen für die kollektive Rechtewahrnehmung mit dem Unionsrecht ausräumen.

8.        Zum anderen hat das Aufkommen der Digitaltechnik und des Internets die Landschaft des künstlerischen Schaffens und der Verbreitung der Werke stark verändert. Inzwischen bedarf es nicht mehr der Unterstützung eines Verlagshauses oder eines Studios, um literarische, musikalische oder audiovisuelle Werke zu erschaffen und zu verbreiten. Die Verbreitung über das Internet erweist sich für zahlreiche Urheber als weitgehend ausreichend, was auch die Wahrnehmung ihrer Rechte vereinfacht und ihre individuelle Ausübung wesentlich realistischer macht. Parallel dazu hat eine wachsende Zahl individueller Nutzer von Werken weder die Mittel für einen noch den Bedarf an einem Zugriff auf alle Repertoires der Organisationen für die kollektive Rechtewahrnehmung. An der Schnittstelle zwischen diesem Angebot und dieser Nachfrage entstanden unabhängige Verwertungseinrichtungen mit rein kommerziellem Charakter, die oft über das Internet tätig sind, deren Rechtsstellung und Beziehungen zu den Organisationen für die kollektive Rechtewahrnehmung trotz ihrer ausdrücklichen Anerkennung durch den Unionsgesetzgeber noch immer Anlass zu Konflikten geben.

9.        Vor diesem Hintergrund wird der Gerichtshof die Vorlagefrage in der vorliegenden Rechtssache zu beantworten haben.

 Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

 Richtlinie 2000/31/EG

10.      Art. 2 Buchst. a der Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt(4) definiert die Dienste der Informationsgesellschaft als „Dienste im Sinne von Artikel 1 Nummer 2 der Richtlinie 98/34/EG[(5)] in der Fassung der Richtlinie 98/48/EG“.

11.      Die Richtlinie 98/34 wurde durch die Richtlinie (EU) 2015/1535 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. September 2015 über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der technischen Vorschriften und der Vorschriften für die Dienste der Informationsgesellschaft(6) aufgehoben. Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 98/34 wurde durch Art. 1 Buchst. b der Richtlinie 2015/1535 ersetzt, der wie folgt lautet:

„Für die Zwecke dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck:

b)      ‚Dienst‘ eine Dienstleistung der Informationsgesellschaft, d. h. jede in der Regel gegen Entgelt elektronisch im Fernabsatz und auf individuellen Abruf eines Empfängers erbrachte Dienstleistung.

Im Sinne dieser Definition bezeichnet der Ausdruck

i)      ‚im Fernabsatz erbrachte Dienstleistung‘ eine Dienstleistung, die ohne gleichzeitige physische Anwesenheit der Vertragsparteien erbracht wird;

ii)      ‚elektronisch erbrachte Dienstleistung‘ eine Dienstleistung, die mittels Geräten für die elektronische Verarbeitung (einschließlich digitaler Kompression) und Speicherung von Daten am Ausgangspunkt gesendet und am Endpunkt empfangen wird und die vollständig über Draht, über Funk, auf optischem oder anderem elektromagnetischem Wege gesendet, weitergeleitet und empfangen wird;

iii)      ‚auf individuellen Abruf eines Empfängers erbrachte Dienstleistung‘ eine Dienstleistung die durch die Übertragung von Daten auf individuelle Anforderung erbracht wird.

…“

12.      Art. 3 („Binnenmarkt“) der Richtlinie 2000/31 bestimmt:

„(1)      Jeder Mitgliedstaat trägt dafür Sorge, dass die Dienste der Informationsgesellschaft, die von einem in seinem Hoheitsgebiet niedergelassenen Diensteanbieter erbracht werden, den in diesem Mitgliedstaat geltenden innerstaatlichen Vorschriften entsprechen, die in den koordinierten Bereich fallen.

(2)      Die Mitgliedstaaten dürfen den freien Verkehr von Diensten der Informationsgesellschaft aus einem anderen Mitgliedstaat nicht aus Gründen einschränken, die in den koordinierten Bereich fallen.

(3)      Die Absätze 1 und 2 finden keine Anwendung auf die im Anhang genannten Bereiche.

(4)      Die Mitgliedstaaten können Maßnahmen ergreifen, die im Hinblick auf einen bestimmten Dienst der Informationsgesellschaft von Absatz 2 abweichen, wenn die folgenden Bedingungen erfüllt sind:

a)      Die Maßnahmen

i)       sind aus einem der folgenden Gründe erforderlich:

–        Schutz der öffentlichen Ordnung, insbesondere Verhütung, Ermittlung, Aufklärung und Verfolgung von Straftaten, einschließlich des Jugendschutzes und der Bekämpfung der Hetze aus Gründen der Rasse, des Geschlechts, des Glaubens oder der Nationalität, sowie von Verletzungen der Menschenwürde einzelner Personen,

–        Schutz der öffentlichen Gesundheit,

–        Schutz der öffentlichen Sicherheit, einschließlich der Wahrung nationaler Sicherheits- und Verteidigungsinteressen,

–        Schutz der Verbraucher, einschließlich des Schutzes von Anlegern;

ii)       betreffen einen bestimmten Dienst der Informationsgesellschaft, der die unter Ziffer i) genannten Schutzziele beeinträchtigt oder eine ernsthafte und schwerwiegende Gefahr einer Beeinträchtigung dieser Ziele darstellt;

iii)       stehen in einem angemessenen Verhältnis zu diesen Schutzzielen.

…“

13.      Im Anhang der Richtlinie 2000/31 heißt es:

„Bereiche gemäß Artikel 3 Absatz 3, auf die Artikel 3 Absätze 1 und 2 keine Anwendung findet:

–        Urheberrecht, verwandte Schutzrechte …

…“

 Richtlinie 2006/123/EG

14.      Art. 1 Abs. 1 bis 3 der Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt(7) bestimmt:

„(1)      Diese Richtlinie enthält allgemeine Bestimmungen, die bei gleichzeitiger Gewährleistung einer hohen Qualität der Dienstleistungen die Wahrnehmung der Niederlassungsfreiheit durch Dienstleistungserbringer sowie den freien Dienstleistungsverkehr erleichtern sollen.

(2)      Diese Richtlinie betrifft weder die Liberalisierung von Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse, die öffentlichen oder privaten Einrichtungen vorbehalten sind, noch die Privatisierung öffentlicher Einrichtungen, die Dienstleistungen erbringen.

(3)      Diese Richtlinie betrifft [nicht] die Abschaffung von Dienstleistungsmonopolen … “

15.      In Art. 3 Abs. 1 dieser Richtlinie heißt es:

„Widersprechen Bestimmungen dieser Richtlinie einer Bestimmung eines anderen Gemeinschaftsrechtsaktes, der spezifische Aspekte der Aufnahme oder Ausübung einer Dienstleistungstätigkeit in bestimmten Bereichen oder bestimmten Berufen regelt, so hat die Bestimmung des anderen Gemeinschaftsrechtsaktes Vorrang und findet auf die betreffenden Bereiche oder Berufe Anwendung. …“

16.      Art. 4 Nrn. 1, 5 und 7 dieser Richtlinie sieht vor:

„Für die Zwecke dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck:

1.      ‚Dienstleistung‘ jede von Artikel 50 des Vertrags erfasste selbstständige Tätigkeit, die in der Regel gegen Entgelt erbracht wird;

5.      ‚Niederlassung‘ die tatsächliche Ausübung einer von Artikel 43 des Vertrags erfassten wirtschaftlichen Tätigkeit durch den Dienstleistungserbringer auf unbestimmte Zeit und mittels einer festen Infrastruktur, von der aus die Geschäftstätigkeit der Dienstleistungserbringung tatsächlich ausgeübt wird;

7.      ‚Anforderungen‘ alle Auflagen, Verbote, Bedingungen oder Beschränkungen, die in den Rechts- oder Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten festgelegt sind …“

17.      Art. 16 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2006/123 bestimmt:

„(1)      Die Mitgliedstaaten achten das Recht der Dienstleistungserbringer, Dienstleistungen in einem anderen Mitgliedstaat als demjenigen ihrer Niederlassung zu erbringen.

Der Mitgliedstaat, in dem die Dienstleistung erbracht wird, gewährleistet die freie Aufnahme und freie Ausübung von Dienstleistungstätigkeiten innerhalb seines Hoheitsgebiets.

Die Mitgliedstaaten dürfen die Aufnahme oder Ausübung einer Dienstleistungstätigkeit in ihrem Hoheitsgebiet nicht von Anforderungen abhängig machen, die gegen folgende Grundsätze verstoßen:

a)      Nicht-Diskriminierung: die Anforderung darf weder eine direkte noch eine indirekte Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit oder – bei juristischen Personen – aufgrund des Mitgliedstaats, in dem sie niedergelassen sind, darstellen;

b)      Erforderlichkeit: die Anforderung muss aus Gründen der öffentlichen Ordnung, der öffentlichen Sicherheit, der öffentlichen Gesundheit oder des Schutzes der Umwelt gerechtfertigt sein;

c)      Verhältnismäßigkeit: die Anforderung muss zur Verwirklichung des mit ihr verfolgten Ziels geeignet sein und darf nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist.

(2)      Die Mitgliedstaaten dürfen die Dienstleistungsfreiheit eines in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenen Dienstleistungserbringers nicht einschränken, indem sie diesen einer der folgenden Anforderungen unterwerfen:

d)      der Anwendung bestimmter vertraglicher Vereinbarungen zur Regelung der Beziehungen zwischen dem Dienstleistungserbringer und dem Dienstleistungsempfänger, die eine selbstständige Tätigkeit des Dienstleistungserbringers verhindert oder beschränkt;

…“

18.      Schließlich bestimmt Art. 17 Nr. 11 dieser Richtlinie:

„Artikel 16 findet keine Anwendung auf:

11.      die Urheberrechte, die verwandten Schutzrechte …“

 Richtlinie 2014/26/EU

19.      In Art. 3 Buchst. a und b der Richtlinie 2014/26/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die kollektive Wahrnehmung von Urheber- und verwandten Schutzrechten und die Vergabe von Mehrgebietslizenzen für Rechte an Musikwerken für die Online-Nutzung im Binnenmarkt(8) heißt es:

„Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck

a)      ‚Organisation für die kollektive Rechtewahrnehmung‘ jede Organisation, die gesetzlich oder auf der Grundlage einer Abtretungs‑, Lizenz- oder sonstigen vertraglichen Vereinbarung berechtigt ist und deren ausschließlicher oder hauptsächlicher Zweck es ist, Urheber- oder verwandte Schutzrechte im Namen mehrerer Rechtsinhaber zu deren kollektivem Nutzen wahrzunehmen und eine oder beide der folgenden Voraussetzungen erfüllt:

i)      sie steht im Eigentum ihrer Mitglieder oder wird von ihren Mitgliedern beherrscht;

ii)      sie ist nicht auf Gewinnerzielung ausgerichtet;

b)      ‚unabhängige Verwertungseinrichtung‘ jede Organisation, die gesetzlich oder auf der Grundlage einer Abtretungs‑, Lizenz- oder sonstigen vertraglichen Vereinbarung berechtigt ist und deren ausschließlicher oder hauptsächlicher Zweck es ist, Urheber- oder verwandte Schutzrechte im Namen mehrerer Rechtsinhaber zu deren kollektivem Nutzen wahrzunehmen und die

i)      weder direkt noch indirekt, vollständig oder teilweise im Eigentum der Rechtsinhaber steht noch direkt oder indirekt, vollständig oder teilweise von den Rechtsinhabern beherrscht wird;

ii)      auf Gewinnerzielung ausgerichtet ist“.

20.      Art. 5 Abs. 2, 4 und 6 dieser Richtlinie bestimmt:

„(2)      Die Rechtsinhaber haben das Recht, eine Organisation für die kollektive Rechtewahrnehmung ihrer Wahl mit der Wahrnehmung von Rechten, von Kategorien von Rechten oder von Arten von Werken und sonstigen Schutzgegenständen ihrer Wahl in den Gebieten ihrer Wahl ungeachtet des Mitgliedstaats der Staatsangehörigkeit, des Wohnsitzes oder der Niederlassung der Organisation für die kollektive Rechtewahrnehmung beziehungsweise des Rechtsinhabers zu beauftragen. Sofern die Organisation für die kollektive Rechtewahrnehmung die Rechtewahrnehmung nicht aus objektiv nachvollziehbaren Gründen ablehnen kann, ist sie verpflichtet, Rechte, Kategorien von Rechten oder Arten von Werken und sonstige Schutzgegenstände, die in ihren Tätigkeitsbereich fallen, wahrzunehmen.

(4)      Die Rechtsinhaber haben das Recht, … für die Gebiete ihrer Wahl den einer Organisation für die kollektive Rechtewahrnehmung gemäß Absatz 2 erteilten Auftrag zur Wahrnehmung von Rechten zu beenden oder der Organisation für die kollektive Rechtewahrnehmung Rechte, Kategorien von Rechten oder Arten von Werken und sonstigen Schutzgegenständen ihrer Wahl gemäß Absatz 2 zu entziehen. …

(6)      Organisationen für die kollektive Rechtewahrnehmung dürfen die Ausübung von Rechten gemäß den Absätzen 4 und 5 nicht dadurch beschränken, dass sie als Bedingung für die Ausübung dieser Rechte verlangen, eine andere Organisation für die kollektive Rechtewahrnehmung mit der Wahrnehmung derjenigen Rechte oder Kategorien von Rechten oder Arten von Werken und sonstigen Schutzgegenständen zu betrauen, die entzogen wurden oder in Bezug auf die der Wahrnehmungsauftrag beendet wurde.“

 Italienisches Recht

21.      Art. 180 der Legge n. 633 – Protezione del diritto d’autore e di altri diritti connessi al suo esercizio (Gesetz Nr. 633 über den Schutz des Urheberrechts und anderer mit seiner Ausübung zusammenhängender Rechte) vom 22. April 1941(9) in der durch das Decreto legge n. 148 recante „Disposizioni urgenti in materia finanziaria e per esigenze indifferibili“ (Gesetzesdekret Nr. 148 über „Sofortmaßnahmen im Finanzwesen und für unaufschiebbare Bedürfnisse“) vom 16. Oktober 2017(10) geänderten Fassung (im Folgenden: Gesetz über den Schutz des Urheberrechts) bestimmt:

„Ausschließlich der [SIAE] und den anderen Organisationen für die kollektive Rechtewahrnehmung laut dem [Decreto legislativo n. 35 – Attuazione della direttiva 2014/26/UE sulla gestione collettiva dei diritti d’autore e dei diritti connessi e sulla concessione di licenze multiterritoriali per i diritti su opere musicali per l’uso online nel mercato interno (gesetzesvertretendes Dekret Nr. 35 zur Umsetzung der Richtlinie 2014/26) vom 15. März 2017(11) (im Folgenden: Decreto legislativo Nr. 35/2017)] ist jegliche Vermittlungstätigkeit vorbehalten, die, wie auch immer, direkt oder indirekt in beliebiger Form von Beteiligung, Vermittlung, Bevollmächtigung, Vertretung oder auch Abtretung zur Wahrnehmung der Aufführungs‑, Vortrags‑, Vorführungs- und Senderechte, einschließlich der öffentlichen Wiedergabe durch Satellitenübertragung, sowie der Rechte zur mechanischen oder kinematografischen Vervielfältigung von geschützten Werken ausgeübt wird.

Diese Tätigkeit wird ausgeführt, um folgende Handlungen vorzunehmen:

1)       die Erteilung der Erlaubnis zur Verwertung von geschützten Werken auf Rechnung und im Interesse der Anspruchsberechtigten;

2)       die Vereinnahmung der Erträge aus dieser Erlaubnis;

3)       die Aufteilung dieser Erträge unter den Anspruchsberechtigten.

Durch die genannte ausschließliche Vollmacht wird das Recht des Urhebers, seiner Erben oder der Rechtsnachfolger zur direkten Wahrnehmung der ihnen durch dieses Gesetz zuerkannten Rechte nicht berührt.

…“

22.      Art. 4 Abs. 2 des Decreto legislativo Nr. 35/2017 bestimmt:

„Vorbehaltlich der Bestimmungen in Art. 180 des [Gesetzes über den Schutz des Urheberrechts] können die Rechtsinhaber eine Organisation für die kollektive Rechtewahrnehmung oder eine unabhängige Verwertungseinrichtung ihrer Wahl mit der Wahrnehmung ihrer Rechte, von Kategorien von Rechten oder von Arten von Werken und sonstigen Schutzgegenständen in den von ihnen angegebenen Gebieten ungeachtet des Mitgliedstaats der Staatsangehörigkeit, des Wohnsitzes oder der Niederlassung der Organisation für die kollektive Rechtewahrnehmung, der unabhängigen Verwertungseinrichtung bzw. des Rechtsinhabers beauftragen.“

 Sachverhalt des Ausgangsverfahrens, Verfahren und Vorlagefrage

23.      Die Liberi editori e autori (im Folgenden: LEA) ist eine Organisation für die kollektive Rechtewahrnehmung, die italienischem Recht unterliegt und zur Vermittlung von Urheberrechten in Italien berechtigt ist(12).

24.      Die Jamendo SA ist eine Gesellschaft nach luxemburgischem Recht. Ihre Tätigkeit umfasst zwei Bereiche. Zum einen macht sie unter der Bezeichnung Jamendo Music auf ihrer Website der Öffentlichkeit Musikwerke zugänglich, die die Künstler auf dieser Website unter sogenannten Creative-Commons-Lizenzen veröffentlicht haben(13). Zum anderen nimmt sie unter der Bezeichnung Jamendo Licensing die Urheberrechte an Musikwerken wahr, die ihr zu diesem Zweck von den Künstlern übertragen wurden, indem sie nur zwei Verwertungsarten erlaubt, nämlich die Verwertung als Hintergrundmusik in Geschäften und anderen Einrichtungen mit Publikumsverkehr sowie als Hintergrundmusik für audiovisuelle Werke, vor allem solche, die über das Internet vertrieben werden. In diesem zweiten Bereich ihrer Tätigkeit tritt Jamendo somit als unabhängige Verwertungseinrichtung im Sinne von Art. 3 Buchst. b der Richtlinie 2014/26 auf. Diese Tätigkeit erstreckt sich insbesondere auf das italienische Hoheitsgebiet. Dieser zweite Bereich ist Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits und der vorliegenden Rechtssache. Nach den Angaben von Jamendo erfolgt ihre Tätigkeit der Rechtewahrnehmung, sowohl was die Einbringung der Rechte durch die Künstler als auch was die Erteilung der Erlaubnis zur Verwertung anbelangt, vollständig online über ihre Website. Im Übrigen verlangen die von Jamendo mit den Künstlern geschlossenen Verträge von diesen, dass sie unabhängig sind, d. h. insbesondere, dass sie keiner Organisation für die kollektive Rechtewahrnehmung angehören oder mit einer solchen Organisation in einer Weise verbunden sind, die sie daran hindern würde, weltweit die Verwertungsdienstleistungen von Jamendo zu nutzen.

25.      Die LEA stellte beim Tribunale ordinario di Roma (Ordentliches Gericht von Rom, Italien), dem vorlegenden Gericht, einen Antrag auf Unterlassung gegen Jamendo, der darauf gerichtet war, Jamendo aufzugeben, ihre in Italien ausgeübte Vermittlungstätigkeit im Bereich des Urheberrechts einzustellen. Zur Stützung dieses Antrags macht die LEA geltend, Jamendo übe diese Tätigkeit in Italien rechtswidrig aus, weil sie erstens nicht in die Liste der in Italien zur Vermittlung von Urheberrechten berechtigten Organisationen eingetragen sei, zweitens die spezifischen Anforderungen des Decreto legislativo Nr. 35/2017 nicht erfülle und drittens das Ministero delle comunicazioni (Ministerium für Fernmeldewesen, Italien) unter Verstoß gegen Art. 8 dieses Decreto legislativo nicht vor der Aufnahme ihrer Tätigkeit darüber in Kenntnis gesetzt habe.

26.      Vor dem vorlegenden Gericht behauptet Jamendo, die Richtlinie 2014/26 sei nicht ordnungsgemäß in italienisches Recht umgesetzt worden und macht geltend, der italienische Gesetzgeber habe es unterlassen, den unabhängigen Verwertungseinrichtungen die in dieser Richtlinie vorgesehenen Rechte einzuräumen. Nach Art. 180 des Gesetzes über den Schutz des Urheberrechts könnten nur die SIAE und die anderen dort genannten Organisationen für die kollektive Rechtewahrnehmung in Italien Vermittlungstätigkeiten ausüben, was dazu führe, dass es unabhängigen Verwertungseinrichtungen verwehrt sei, im Bereich der Vermittlung von Urheberrechten tätig zu werden, und sie zwinge, Vertretungsvereinbarungen mit der SIAE oder anderen Organisationen für die kollektive Rechtewahrnehmung abzuschließen.

27.      Das Tribunale ordinario di Roma (Ordentliches Gericht von Rom) teilt im Wesentlichen die von den Parteien des Ausgangsverfahrens vertretene Auslegung des italienischen Rechts. Vor diesem Hintergrund hat es das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Ist die Richtlinie 2014/26 dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung entgegensteht, die den Zugang zum Markt der Vermittlung der Urheberrechte oder jedenfalls die Vergabe von Lizenzen an die Nutzer allein den Personen vorbehält, die nach der Definition dieser Richtlinie als Organisationen für die kollektive Rechtewahrnehmung eingestuft werden können, und die, sei es in diesem Staat, sei es in anderen Mitgliedstaaten errichteten, unabhängigen Verwertungseinrichtungen ausschließt?

28.      Das Vorabentscheidungsersuchen ist am 5. Januar 2022 beim Gerichtshof eingegangen. Schriftliche Erklärungen haben die Parteien des Ausgangsverfahrens, die Europäische Kommission und die österreichische Regierung eingereicht. Dieselben Verfahrensbeteiligten sowie die italienische Regierung haben an der mündlichen Verhandlung vom 9. Februar 2023 teilgenommen.

 Würdigung

29.      Der inhaltlichen Würdigung des vorliegenden Vorabentscheidungsersuchens müssen einige Klarstellungen hinsichtlich seiner Zulässigkeit vorausgehen. Außerdem halte ich es für erforderlich, auf die anwendbaren Vorschriften des Unionsrechts sowie auf die Tragweite der Vorlagefrage näher einzugehen.

 Zulässigkeit

30.      Vor dem Gerichtshof vertreten die Parteien des Ausgangsverfahrens übereinstimmende Standpunkte, die im Wesentlichen auf die Feststellung gerichtet sind, dass es mit dem Unionsrecht unvereinbar sei, dass die Vermittlung im Bereich der Urheberrechte allein Organisationen für die kollektive Rechtewahrnehmung vorbehalten ist und unabhängige Verwertungseinrichtungen davon ausgeschlossen sind, wie es im italienischen Recht verankert sei. Man könnte sich daher fragen, ob der Ausgangsrechtsstreit tatsächlich besteht und ob die vom vorlegenden Gericht erbetene Auslegung des Unionsrechts erforderlich ist. Diese Frage ist im Übrigen in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich von der italienischen Regierung gestellt worden, die geltend gemacht hat, dass dieser Rechtsstreit fiktiv und künstlich sei, und damit die Zulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens in Frage gestellt hat. Ich denke jedoch, dass diese Zweifel durch eine Klärung der speziellen Situation der LEA und ihrer Rolle auf dem italienischen Markt zerstreut werden können.

31.      In einem ähnlichen Rechtsstreit standen einander nämlich bereits die SIAE und die Soundreef Ltd, eine unabhängige Verwertungseinrichtung mit Sitz im Vereinigten Königreich, die in Italien tätig werden wollte, gegenüber. Im Rahmen jenes Rechtsstreits hatte dasselbe nationale Gericht wie in der vorliegenden Rechtssache dem Gerichtshof eine ähnliche Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt. Es zog sein Vorabentscheidungsersuchen jedoch zurück, nachdem die Parteien eine Vereinbarung abgeschlossen hatten(14). Gemäß dieser Vereinbarung war eine Organisation für die kollektive Rechtewahrnehmung italienischen Rechts, nämlich die LEA, beauftragt worden, Soundreef im italienischen Hoheitsgebiet zu vertreten.

32.      Die LEA erläutert in ihren schriftlichen Erklärungen, dass sie als nicht auf Gewinnerzielung ausgerichtete Organisation für die kollektive Rechtewahrnehmung nicht in der Lage sei, ihre wirtschaftliche Entwicklung hinreichend sicherzustellen und in einem Wettbewerb durch Einrichtungen wie Jamendo zu bestehen, der beim derzeitigen Stand des italienischen Rechts einen unlauteren Charakter habe. Sie habe daher ein legitimes Interesse daran, ein Verbot der Tätigkeit von Jamendo zu erwirken. Gleichzeitig habe sie als Vertreterin von Soundreef auch ein Interesse daran, dass die Auslegung des Unionsrechts durch den Gerichtshof zu einer Liberalisierung des italienischen Rechtsrahmens führe. In diesem Punkt deckten sich ihre Interessen daher mit den Interessen von Jamendo.

33.      Dass sich die Parteien des Ausgangsrechtsstreits über die Auslegung des Unionsrechts einig sind, ändert nichts daran, dass dieser Rechtsstreit tatsächlich besteht und das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen folglich zulässig ist(15).

 Anwendbare Vorschriften des Unionsrechts und Tragweite der Vorlagefrage

34.      Das vorlegende Gericht stellt seine Vorlagefrage unter dem Blickwinkel der Richtlinie 2014/26. Wie ich jedoch im Folgenden zeigen werde, scheint diese Richtlinie für sich allein das Problem nicht lösen zu können, das sich diesem Gericht stellt. Es ist daher meiner Meinung nach unabdingbar, weitere Vorschriften des Unionsrechts zu prüfen, um diesem Gericht eine für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits sachdienliche Antwort zu geben(16).

 Richtlinie 2014/26

35.      Die Lektüre der Erwägungsgründe der Richtlinie 2014/26 könnte den Eindruck vermitteln, dass mit diesem Rechtsakt eine allgemeine Liberalisierung der kollektiven Wahrnehmung von Urheberrechten in der Union festgelegt wird, und zwar auch zugunsten der unabhängigen Verwertungseinrichtungen. Es handelt sich insbesondere um die Erwägungsgründe 4(17), 8(18) und 15(19). Aus dem normativen Teil dieser Richtlinie ergibt sich jedoch, dass dieses Ziel nur teilweise, ja gar nicht verwirklicht wurde, was die unabhängigen Verwertungseinrichtungen betrifft.

36.      Tatsächlich nämlich räumt Art. 5 der Richtlinie 2014/26 den Rechtsinhabern eine breite Wahlmöglichkeit in Bezug auf die Organisation für die kollektive Rechtewahrnehmung ein, die sie mit der Wahrnehmung ihrer Rechte betrauen möchten, ohne Beschränkungen hinsichtlich des Wohnsitzes oder der Niederlassung sowohl des Rechtsinhabers als auch der fraglichen Organisation vorzusehen. Die Organisationen für die kollektive Rechtewahrnehmung dürfen die Wahrnehmung von Rechten, einschließlich derjenigen von Rechtsinhabern, die im Hoheitsgebiet anderer Mitgliedstaaten ihren Wohnsitz haben oder niedergelassen sind, nicht ohne triftigen Grund verweigern.

37.      Dagegen enthält die Richtlinie 2014/26 weder hinsichtlich der Aufnahme der Tätigkeit von Organisationen für die kollektive Rechtewahrnehmung noch hinsichtlich der Gebiete, für die diese Organisationen die Erlaubnis zur Verwertung erteilen dürfen, eine Regelung. Somit steht diese Richtlinie nationalen Vorschriften der Mitgliedstaaten nicht entgegen, die sowohl die Aufnahme der Tätigkeit der Rechtewahrnehmung durch diese Organisationen als auch den territorialen Umfang der Verwertungserlaubnisse beschränken, die diese Organisationen erteilen dürfen(20). Die Wahlmöglichkeit, über die die Rechtsinhaber nach Art. 5 dieser Richtlinie verfügen, muss sich daher auf die Organisationen für die kollektive Rechtewahrnehmung beschränken, die nach ihrem nationalen Recht die Erlaubnis besitzen, in verschiedenen Mitgliedstaaten tätig zu sein.

38.      Was im Übrigen die unabhängigen Verwertungseinrichtungen betrifft, so erkennt die Richtlinie 2014/26 ihre Existenz an, indem sie ihnen eine Definition gibt und sie bestimmten Verpflichtungen gegenüber den Rechtsinhabern und Nutzern sowie Kontrollmaßnahmen der Mitgliedstaaten unterwirft(21). Keine Vorschrift dieser Richtlinie erwähnt allerdings die Freiheit dieser Einrichtungen, was den Zugang zum Markt für die Wahrnehmung von Urheberrechten betrifft. Diese Richtlinie legt in ihrem Art. 5 nur die Freiheit der Rechtsinhaber fest, zwischen den Organisationen für die kollektive Rechtewahrnehmung zu wählen, ohne die unabhängigen Verwertungseinrichtungen zu erwähnen, was den ersten Satz des 15. Erwägungsgrundes zu leeren Worten macht. Nur Art. 5 Abs. 6 dieser Richtlinie, der es den Organisationen für die kollektive Rechtewahrnehmung untersagt, das Recht der Rechtsinhaber auf Rechtsentzug dadurch zu beschränken, dass sie von ihnen verlangen, eine andere Organisation für die kollektive Rechtewahrnehmung mit der Wahrnehmung ihrer Rechte zu betrauen, legt nahe, dass diese Rechtsinhaber die Möglichkeit haben, auf andere Arten der Wahrnehmung ihrer Rechte zurückzugreifen, wie die individuelle Rechtewahrnehmung oder die Rechtewahrnehmung durch unabhängige Verwertungseinrichtungen. Die freie Aufnahme der Tätigkeit durch diese Einrichtungen ist jedoch keineswegs garantiert.

39.      Die Antwort auf die Vorlagefrage, so wie sie vom vorlegenden Gericht formuliert worden ist, könnte daher nur negativ ausfallen, da die Richtlinie 2014/26 selbst Regelungen von Mitgliedstaaten, die die Aufnahme der Tätigkeit der Wahrnehmung von Urheberrechten beschränken, nicht entgegensteht(22). Die für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits sachdienliche Antwort muss daher in anderen Vorschriften des Unionsrechts gesucht werden.

 Weitere anwendbare Vorschriften des Unionsrechts

40.      Nach den Angaben in ihren Erklärungen übt Jamendo ihre Tätigkeit hauptsächlich, wenn nicht ausschließlich, online über ihre Website aus. Auf diesem Weg wird sie nicht nur von den Rechtsinhabern mit der Wahrnehmung ihrer Rechte betraut, sondern erteilt Jamendo auch die Erlaubnisse zur Verwertung. Es scheint sich somit um eine Dienstleistung zu handeln, die im Fernabsatz, elektronisch und auf Abruf eines Empfängers erbracht wird, d. h. um einen Dienst der Informationsgesellschaft im Sinne der Richtlinie 2000/31. Daher ist die im Rahmen des vorliegenden Vorabentscheidungsersuchens aufgeworfene Frage im Licht dieser Richtlinie zu prüfen. Da jedoch das vorlegende Gericht die Anwendung dieser Richtlinie im Ausgangsrechtsstreit nicht in Betracht gezogen hat, gibt es nicht an, ob seiner Ansicht nach die Dienstleistungen von Jamendo als „Dienst der Informationsgesellschaft“ im Sinne dieser Richtlinie eingestuft werden können. Es wird daher diese Beurteilung vorzunehmen haben.

41.      Sollte das vorlegende Gericht nach der soeben dargelegten Sachverhaltseinschätzung zu der Auffassung gelangen, dass die Tätigkeit von Jamendo nicht unter die Richtlinie 2000/31 falle, wird sich die Frage der Anwendbarkeit der Richtlinie 2006/123 auf diese Tätigkeit stellen(23). Richtig ist, dass der Gerichtshof die Anwendbarkeit der Vorschriften der Richtlinie 2006/123 über die Dienstleistungsfreiheit auf die Tätigkeit von Organisationen für die kollektive Rechtewahrnehmung ausgeschlossen hat(24). Ich werde im Folgenden die Frage prüfen, ob dieser Ausschluss auch für die unabhängigen Verwertungseinrichtungen gilt. Ich weise indes vorab darauf hin, dass der Grund dafür, dass die Richtlinie 2014/26 zur Freiheit des Zugangs der Organisationen für die kollektive Rechtewahrnehmung und der unabhängigen Verwertungseinrichtungen zum Markt schweigt, wahrscheinlich darin liegt, dass es die Verfasser dieser Richtlinie als selbstverständlich erachteten, dass auf diese Tätigkeit die Richtlinie 2006/123 angewandt wird, was der ursprüngliche Vorschlag für die Richtlinie 2014/26 belegt(25).

42.      Sollte schließlich weder die Richtlinie 2000/31 noch die Richtlinie 2006/123 als auf die Tätigkeit der unabhängigen Verwertungseinrichtungen anwendbar angesehen werden, müsste die durch das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen aufgeworfene Problematik im Licht der einschlägigen Vorschriften des Vertrags geprüft werden.

 Formulierung der Vorlagefrage

43.      Nach alledem bin ich der Ansicht, dass die Vorlagefrage in der vorliegenden Rechtssache so zu verstehen ist, dass sie nicht nur die Auslegung der Richtlinie 2014/26, sondern allgemeiner die Auslegung aller im Hinblick auf die Sachverhaltskonstellation des Ausgangsverfahrens maßgeblichen Vorschriften des Unionsrechts betrifft. Diese Sachverhaltskonstellation muss sich im Übrigen in der Antwort des Gerichtshofs widerspiegeln, da sie sowohl die anwendbaren Vorschriften des Unionsrechts als auch den Handlungsspielraum, über den die Mitgliedstaaten insoweit verfügen, bestimmen kann.

44.      Im Übrigen nimmt das vorlegende Gericht in seiner Vorlagefrage darauf Bezug, dass die, „sei es in diesem [Mitglied-(26)]Staat, sei es in anderen Mitgliedstaaten errichteten“, unabhängigen Verwertungseinrichtungen von der Tätigkeit der Wahrnehmung von Urheberrechten ausgeschlossen seien. In den Akten findet sich jedoch keine Bestätigung dafür, dass der Ausgangsrechtsstreit irgendeine in Italien niedergelassene unabhängige Verwertungseinrichtung betrifft, da die einzige betroffene Einrichtung Jamendo ist, deren Niederlassung sich in Luxemburg befindet. Da die auf diese beiden Situationen anwendbaren Regeln, die die Niederlassungsfreiheit bzw. die Dienstleistungsfreiheit betreffen, unterschiedlich sein können, wäre die Antwort bezüglich der Aufnahme der Tätigkeit durch eine unabhängige Verwertungseinrichtung mit Sitz in dem in Rede stehenden Mitgliedstaat hypothetisch. Ich schlage daher vor, die Prüfung der Vorlagefrage auf die Situation einer in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenen unabhängigen Verwertungseinrichtung zu beschränken.

45.      Somit möchte das vorlegende Gericht mit seiner Vorlagefrage im Wesentlichen wissen, ob die einschlägigen Bestimmungen des Unionsrechts dahin auszulegen sind, dass sie Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats entgegenstehen, die die Aufnahme der Tätigkeit der Wahrnehmung von Urheberrechten allein den Organisationen für die kollektive Rechtewahrnehmung vorbehalten(27) und die unabhängigen, in anderen Mitgliedstaaten niedergelassenen Verwertungseinrichtungen ausschließen.

 Zur Vorlagefrage

46.      Wie ich bereits ausgeführt habe(28), lässt sich das Problem, mit dem das vorlegende Gericht konfrontiert ist, zwar nicht allein anhand der Richtlinie 2014/26 lösen, doch können andere Bestimmungen des Unionsrechts auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbar sein. Ich werde daher prüfen, welche Folgen sich aus deren Anwendung auf diesen Rechtsstreit ergeben und wie meines Erachtens die Vorlagefrage in der vorstehend formulierten Form zu beantworten ist.

 Richtlinie 2000/31

47.      Nach den vorliegenden Informationen wären die von Jamendo angebotenen Dienste wahrscheinlich – vorbehaltlich einer Überprüfung durch das nationale Gericht – als Dienste der Informationsgesellschaft im Sinne der Richtlinie 2000/31 einzustufen(29). Daher ist die Antwort auf die Vorlagefrage meines Erachtens vor allem in dieser Richtlinie zu suchen.

48.      Zunächst einmal führt die Richtlinie 2000/31 in ihrem Art. 2 Buchst. h den Begriff „koordinierter Bereich“ ein, der die für die Anbieter von Diensten der Informationsgesellschaft und diese Dienste im innerstaatlichen Recht der Mitgliedstaaten festgelegten Anforderungen erfasst, unabhängig davon, ob diese Anforderungen speziell für diese Kategorie von Diensten bestimmt sind oder ob sie allgemeiner Art sind. Der koordinierte Bereich erfasst u. a. die Anforderungen in Bezug auf die Aufnahme der Tätigkeit eines Dienstes der Informationsgesellschaft, insbesondere Anforderungen betreffend Genehmigung und Anmeldung.

49.      Sodann unterscheidet Art. 3 der Richtlinie 2000/31 zwischen den Regeln, die für in dem fraglichen Mitgliedstaat niedergelassene Diensteanbieter gelten, und den Regeln, die für in anderen Mitgliedstaaten niedergelassene Diensteanbieter gelten. Im erstgenannten Fall sind die Mitgliedstaaten nach Art. 3 Abs. 1 dieser Richtlinie verpflichtet, sicherzustellen, dass die in ihrem Hoheitsgebiet niedergelassenen Diensteanbieter die für sie nach nationalem Recht geltenden Vorschriften beachten. Was hingegen die in anderen Mitgliedstaaten niedergelassenen Diensteanbieter betrifft, verbietet Art. 3 Abs. 2 dieser Richtlinie den Mitgliedstaaten, den freien Verkehr von Diensten aus diesen anderen Mitgliedstaaten einzuschränken. Diese beiden Bestimmungen führen daher den Grundsatz des Herkunftsmitgliedstaats und die gegenseitige Anerkennung der Voraussetzungen für die Aufnahme (und Ausübung) der Tätigkeit eines Dienstes der Informationsgesellschaft ein.

50.      Da Jamendo Ihren Sitz in Luxemburg hat, befindet sie sich in Italien in der Situation eines Diensteanbieters, der in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassen ist. Die Einschränkung ihrer Tätigkeit, die sich daraus ergibt, dass das italienische Recht die Erbringung von Vermittlungsdiensten im Bereich des Urheberrechts allein Organisationen für die kollektive Rechtewahrnehmung vorbehält, fällt meines Erachtens als Anforderung in Bezug auf die Aufnahme der Tätigkeit dieses Dienstes eindeutig in den koordinierten Bereich. Diese Einschränkung fällt daher unter das Verbot von Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 2000/31 und verstößt gegen diese Bestimmung.

51.      Zwar können die Mitgliedstaaten nach Art. 3 Abs. 4 der Richtlinie 2000/31 Maßnahmen ergreifen, die im Hinblick auf bestimmte Dienste von diesem Verbot abweichen, wenn die unter Buchst. a dieser Bestimmung genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Die streitige Einschränkung ist jedoch keine Maßnahme, die im Hinblick auf einen bestimmten Dienst getroffen wurde, sondern ist allgemeiner Art(30). Im Übrigen entspricht sie keinem der in Art. 3 Abs. 4 Buchst. a Ziff. i dieser Richtlinie genannten Gründe, nämlich dem Schutz der öffentlichen Ordnung, dem Schutz der öffentlichen Gesundheit, dem Schutz der öffentlichen Sicherheit oder dem Schutz der Verbraucher.

52.      Die Rechtfertigung der streitigen Einschränkung besteht nämlich in der Gewährleistung des ordnungsgemäßen Funktionierens des Systems zur Wahrnehmung von Urheberrechten im Interesse sowohl der Inhaber als auch der Nutzer, einschließlich der Förderung weniger bekannter Urheber und Werke. Weder die Rechtsinhaber, die eine Organisation für die kollektive Rechtewahrnehmung oder eine unabhängige Verwertungseinrichtung mit der Wahrnehmung ihrer Urheberrechte betrauen, noch die Nutzer, die eine Erlaubnis zur öffentlichen Verwertung von Werken erwirken möchten, können als Verbraucher eingestuft werden, weil sie diese Handlungen im Rahmen einer beruflichen und auf Gewinnerzielung ausgerichteten Tätigkeit vornehmen. Im Übrigen gewährleistet das ordnungsgemäße Funktionieren des Systems der Wahrnehmung von Urheberrechten, das die Förderung bestimmter Urheber oder bestimmter Werke einschließt, die Verwirklichung privater Interessen und fällt sicherlich nicht unter die öffentliche Ordnung.

53.      Es trifft auch zu, dass Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie 2000/31 in Verbindung mit deren Anhang die kombinierte Anwendung von Art. 3 Abs. 1 und 2 dieser Richtlinie insbesondere in den „Bereiche[n] Urheberrecht, verwandte Schutzrechte“ ausschließt. Dieser Ausschluss ist meiner Meinung nach dahin auszulegen, dass das Urheberrecht und die verwandten Schutzrechte vom Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung ausgenommen sind, d. h., dass die nationalen Vorschriften auch auf die in anderen Mitgliedstaaten niedergelassenen Diensteanbieter weiterhin Anwendung finden(31).

54.      Es handelt sich allerdings um materielles Recht, das die Urheberrechte und die verwandten Schutzrechte gemäß dem Territorialitätsprinzip für diese Rechte regelt. Besteht ein Dienst der Informationsgesellschaft in der Verwertung durch Urheberrechte oder verwandte Schutzrechte geschützter Werke (beispielsweise die Online-Verbreitung von Werken) oder erfordert er eine solche Verwertung, befreien die Bestimmungen der Richtlinie 2000/31 den Diensteanbieter daher nicht von der Verpflichtung, für die Hoheitsgebiete aller Mitgliedstaaten, in denen sein Dienst erbracht wird, und nicht nur für seinen Niederlassungsmitgliedstaat eine Erlaubnis zur Verwertung zu erwirken.

55.      Dagegen vermag ich weder dem Wortlaut noch dem Ziel dieser Bestimmung des Anhangs der Richtlinie 2000/31 zu entnehmen, aus welchem Grund diese dahin auszulegen sein sollte, dass sie die Dienstleistungen der Wahrnehmung von Urheberrechten oder verwandten Schutzrechten vom Anwendungsbereich von Art. 3 der Richtlinie 2000/31 ausschließt. Der Umstand, dass die Aufnahme solcher Dienstleistungstätigkeiten im italienischen Recht Organisationen für die kollektive Rechtewahrnehmung vorbehalten ist, fällt daher nicht unter diese Ausnahme vom Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung.

56.      Auf eine Frage in der mündlichen Verhandlung zur Anwendbarkeit der Richtlinie 2000/31 auf Dienste wie die von Jamendo erbrachten, hat die Kommission einen Vorbehalt geäußert und geltend gemacht, dass der Anbieter solcher Dienste, der u. a. die Erlaubnis zur Verwertung von Werken in „physischen“ Geschäften erteile, auch die Nutzung dieser Werke in diesen Geschäften überwachen müsse, was online nicht erfolgen könne. Allerdings deutet erstens nichts darauf hin, dass Jamendo tatsächlich einen solchen Dienst der Überwachung erbringt. Sollte, zweitens, ein solcher zusätzlicher „physischer“ Dienst von der Anwendung des in dieser Richtlinie gemäß ihrem Art. 2 Buchst. h Ziff. ii dritter Gedankenstrich vorgesehenen Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung ausgeschlossen sein, stünde dies der Anwendung der Bestimmungen dieser Richtlinie auf Leistungen, die den Kern ihrer Tätigkeit bilden und auf elektronischem Wege erbracht werden, nicht entgegen.

57.      Für den Fall, dass das vorlegende Gericht feststellen sollte, dass die Tätigkeit von Jamendo unter die Richtlinie 2000/31 fällt, vertrete ich in Anbetracht der vorstehenden Erwägungen die Ansicht, dass Art. 3 Abs. 2 dieser Richtlinie dahin auszulegen ist, dass er Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats entgegensteht, die die Aufnahme der Tätigkeit der Wahrnehmung von Urheberrechten allein den Organisationen für die kollektive Rechtewahrnehmung vorbehalten und die unabhängigen, in anderen Mitgliedstaaten niedergelassenen Verwertungseinrichtungen ausschließen.

 Richtlinie 2006/123

58.      Für den Fall, dass das vorlegende Gericht der Ansicht sein sollte, dass die Tätigkeit von Jamendo nicht unter die Richtlinie 2000/31 fällt, müsste diese Tätigkeit als „physische“ Dienstleistung behandelt werden. Solche Dienstleistungen werden indes grundsätzlich durch die Vorschriften der Richtlinie 2006/123 geregelt. Daher sind erstens die Anwendbarkeit dieser Richtlinie auf Tätigkeiten wie die von Jamendo und sodann zweitens die Folgen ihrer Anwendung in der vorliegenden Rechtssache zu prüfen.

–       Anwendbarkeit der Richtlinie 2006/123

59.      Die Richtlinie 2006/123 enthält detaillierte Vorschriften für die Ausübung von zwei Grundfreiheiten des Binnenmarkts, der Niederlassungsfreiheit und der Dienstleistungsfreiheit. Die Feststellung, welche dieser Freiheiten auf eine Tätigkeit wie die von Jamendo Anwendung findet, ist nicht so offensichtlich, wie es scheint.

60.      So hält die Kommission in ihren schriftlichen Erklärungen dies mangels hinreichender Angaben des vorlegenden Gerichts für unmöglich. Sie schlägt jedoch vor, auf die vom Gerichtshof in seinem Grundsatzurteil Gebhard(32) festgelegten Unterscheidungsmerkmale abzustellen. Nach diesen Kriterien ermöglicht es die Niederlassungsfreiheit allen Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats, in einem anderen Mitgliedstaat eine wirtschaftliche Tätigkeit mittels einer festen Einrichtung auf unbestimmte Zeit auszuüben. Die Dienstleistungsfreiheit umfasst hingegen alle Dienstleistungen, die nicht in stabiler und kontinuierlicher Weise von einem Berufsdomizil im Empfängermitgliedstaat aus angeboten werden(33). Es ist festzustellen, dass diese Unterscheidungskriterien lediglich den Wortlaut des Vertrags aufnehmen. Nach Art. 49 AEUV betrifft die Niederlassungsfreiheit nämlich die Gründung aller Arten von Unternehmen und die Ausübung ihrer Tätigkeit, während nach Art. 57 Abs. 3 AEUV die Dienstleistungsfreiheit in der vorübergehenden Ausübung der Tätigkeit des Dienstleistungserbringers im Empfängermitgliedstaat besteht.

61.      Wie in vielen anderen Bereichen hat das Internet diese in der „realen“(34) Welt bestehenden Kategorien jedoch stark verändert. Während der Vertrag und in der Folge die im Urteil Gebhard(35) festgelegten Kriterien zum einen die dauerhafte Ausübung der Tätigkeit in einem Mitgliedstaat mit einer festen Niederlassung in diesem Mitgliedstaat und zum anderen die vorübergehende Ausübung einer Tätigkeit mit dem Fehlen einer solchen Niederlassung verbinden, ermöglicht das Internet nämlich die dauerhafte Ausübung einer Tätigkeit ohne feste Niederlassung in dem Mitgliedstaat, in dem diese Tätigkeit ausgeübt wird. Da eine über das Internet erbrachte Dienstleistung jedenfalls im Fernabsatz erbracht wird, ist es unerheblich, ob sich der Leistungserbringer und der Leistungsempfänger physisch in demselben Mitgliedstaat oder in zwei verschiedenen Mitgliedstaaten befinden.

62.      Es zeigt sich somit, dass in Bezug auf Dienstleistungen, die über das Internet erbracht werden, die im Urteil Gebhard(36) festgelegten Kriterien überholt sind und dass eine Unterscheidung auf anderer Grundlage vorgenommen werden muss.

63.      Trotz der potenziellen Dauerhaftigkeit einer über das Internet in einem Mitgliedstaat von einem anderen Mitgliedstaat aus ausgeübten Tätigkeit muss eine solche Tätigkeit meiner Ansicht nach unter dem Blickwinkel des freien Dienstleistungsverkehrs geprüft werden. Eine gegenteilige Lösung würde zu dem absurden Ergebnis führen, dass ein Dienstleistungserbringer, der nicht im Empfängermitgliedstaat seiner Dienstleistung niedergelassen ist, dennoch als dort niedergelassen erachtet würde und die Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats nicht nur hinsichtlich seiner Tätigkeit im eigentlichen Sinne, sondern auch in Bezug auf die Gründung und den Betrieb seines Unternehmens beachten müsste. Dies wird noch widersinniger, wenn man bedenkt, dass die über das Internet ausgeübten Tätigkeiten oft für mehrere oder sogar alle Mitgliedstaaten bestimmt sind.

64.      Dieses Ergebnis wird mittelbar durch die Richtlinie 2000/31 bestätigt. Wenngleich diese Richtlinie nicht offen zur Unterscheidung zwischen der Niederlassungsfreiheit und der Dienstleistungsfreiheit Stellung nimmt und die einschlägigen Vorschriften unter dem Begriff „Binnenmarkt“(37) zusammenfasst, trifft sie gleichwohl eine klare Unterscheidung zwischen den Mitgliedstaaten, in denen ein Diensteanbieter niedergelassen ist(38), dessen Pflichten in Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie definiert sind, und den Mitgliedstaaten, in denen eine Dienstleistung von einem anderen Mitgliedstaat aus erbracht wird, bei denen sie die in deren Art. 3 Abs. 2 ff. festgelegten Regeln befolgen müssen. Diese Unterscheidung spiegelt somit die Unterscheidung zwischen der Ausübung der Niederlassungsfreiheit und der Ausübung der Dienstleistungsfreiheit wider(39).

65.      Folglich bin ich im Licht der in der Vorlageentscheidung enthaltenen Angaben zur Tätigkeit von Jamendo, die in den Erklärungen dieser Gesellschaft ergänzt worden sind, der Ansicht, dass in der vorliegenden Rechtssache die Vorschriften über die Dienstleistungsfreiheit anzuwenden sind.

66.      In der Richtlinie 2006/123 finden sich die Vorschriften über die Dienstleistungsfreiheit in deren Art. 16. Allerdings findet dieser Artikel gemäß Art. 17 Nr. 11 dieser Richtlinie u. a. keine Anwendung auf „die Urheberrechte [und] die verwandten Schutzrechte“.

67.      Im Urteil OSA hat der Gerichtshof entschieden, dass Art. 16 der Richtlinie 2006/123 aufgrund dieses Ausschlusses auf die Tätigkeiten der Organisationen für die kollektive Wahrnehmung von Urheberrechten keine Anwendung finde(40). In diesem Punkt der Auffassung der Generalanwältin Sharpston(41) folgend, hat er nämlich festgestellt, dass der in Art. 17 Nr. 11 dieser Richtlinie enthaltene Ausschluss, da nur Dienstleistungen vom Anwendungsbereich des Art. 16 ausgenommen sein können, notwendigerweise die Dienstleistungen im Bereich der Urheberrechte und der verwandten Schutzrechte betreffen müsse, wie beispielsweise Dienstleistungen, die von Organisationen für die kollektive Rechtewahrnehmung erbracht werden(42).

68.      In Anbetracht der nachstehenden Erwägungen überzeugt mich diese Feststellung jedoch nicht. Da es sich um eine Frage handelt, die für die Auslegung der Richtlinie 2006/123 von grundlegender Bedeutung ist, schlage ich dem Gerichtshof vor, die Bedeutung und die Tragweite der Ausnahmen vom Anwendungsbereich dieser Richtlinie erneut zu prüfen.

69.      Die Richtlinie 2006/123 sieht zahlreiche Ausschlüsse von ihrem Anwendungsbereich vor, und zwar allgemeine oder spezifische in ihrem Art. 16. Betrifft ein Ausschluss eine Kategorie von Dienstleistungen, nennt sie diese Richtlinie ausdrücklich. Dies gilt insbesondere für die in deren Art. 2 Abs. 2 aufgeführten Ausschlüsse, in dem der Begriff „Dienstleistungen“ zur Bezeichnung jeder betroffenen Tätigkeit verwendet wird. Dies gilt auch für bestimmte Ausschlüsse, die in Art. 17 dieser Richtlinie aufgeführt sind, insbesondere in Nr. 1, der „Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse“ betrifft, und in Nr. 5, der „die gerichtliche Beitreibung von Forderungen“ betrifft.

70.      Hingegen betreffen bestimmte andere Ausschlüsse offenbar keine Kategorien von Dienstleistungen. Dies ist insbesondere der Fall bei Art. 2 Abs. 3 der Richtlinie 2006/123, wonach diese Richtlinie nicht für den Bereich der Steuern gilt. Der Gerichtshof hat bereits entschieden, dass dieser Ausschluss keine Dienstleistungen, sondern die Steuerregelungen der Mitgliedstaaten betreffe(43). Gleiches gilt notwendigerweise für die Ausschlüsse, die in Art. 17 dieser Richtlinie in den Nrn. 6 (die ausdrücklich auf „Anforderungen im Mitgliedstaat der Dienstleistungserbringung“ abzielt), 8 („Verwaltungsformalitäten betreffend die Freizügigkeit von Personen und ihren Wohnsitz“), 9 („die Möglichkeit der Mitgliedstaaten, Visa oder Aufenthaltstitel … zu verlangen“), 12 („Handlungen, für die die Mitwirkung eines Notars gesetzlich vorgeschrieben ist“), 14 („die Zulassung von Fahrzeugen“) und 15 („Bestimmungen betreffend vertragliche und außervertragliche Schuldverhältnisse“) vorgesehen sind, die offensichtlich keine Kategorien von Dienstleistungen, sondern in den Mitgliedstaaten in Kraft befindliche Maßnahmen betreffen. Schließlich scheinen die in Art. 17 Nrn. 2, 3, 4, 10 und 13 dieser Richtlinie vorgesehenen Ausschlüsse, bei denen es um „Angelegenheiten“ geht, die von verschiedenen Unionsrechtsakten erfasst werden, keine Kategorien von Dienstleistungen zu betreffen, sondern die Regelung in den auf Unionsebene bereits harmonisierten Bereichen.

71.      Das Postulat, dass die in Art. 17 der Richtlinie 2006/123 vorgesehenen Ausnahmen vom Anwendungsbereich von Art. 16 dieser Richtlinie nur Dienstleistungen betreffen können, ist daher nicht erwiesen und kann nicht als Grundlage für die Auslegung des in Art. 17 Nr. 11 dieser Richtlinie vorgesehenen Ausschlusses dienen, der, wie ich bereits ausgeführt habe, insbesondere „die Urheberrechte [und] die verwandten Schutzrechte“ betrifft.

72.      Wie oben erwähnt, betreffen die meisten in Art. 17 der Richtlinie 2006/123 vorgesehenen Ausschlüsse Maßnahmen, die in den Mitgliedstaaten in Kraft sind. Diese Ausschlüsse sind dahin zu verstehen, dass die Freiheit, Dienstleistungen grenzüberschreitend zu erbringen, wie sie in Art. 16 dieser Richtlinie festgelegt ist, der Anwendung dieser Maßnahmen nicht entgegensteht und dass sich die Dienstleistungserbringer nicht auf diese Freiheit berufen können, um sich den Verpflichtungen zu entziehen, die ihnen durch diese Maßnahmen auferlegt werden.

73.      Der in Art. 17 Nr. 11 der Richtlinie 2006/123 vorgesehene Ausschluss ist meines Erachtens in gleicher Weise auszulegen. Aus dieser Bestimmung ergibt sich lediglich, dass Art. 16 dieser Richtlinie der Anwendung des materiellen Urheberrechts des Mitgliedstaats, in dem die Dienstleistung empfangen wird, und der Verpflichtungen des Erbringers der Dienstleistung nicht entgegensteht, insbesondere was die erforderliche Erlaubnis zur Verwertung der Werke betrifft. Das wäre mithin eine ähnliche Auslegung wie die Auslegung des entsprechenden Ausschlusses, der in der Richtlinie 2000/31 vorgesehen ist(44). Hätte der Unionsgesetzgeber hingegen die Dienstleistungen der Wahrnehmung von Urheberrechten und verwandten Schutzrechten vom Anwendungsbereich von Art. 16 der Richtlinie 2006/123 ausschließen wollen, hätte er dies ausdrücklich so formuliert.

74.      Ich bin daher der Ansicht, dass Art. 16 der Richtlinie 2006/123 in vollem Umfang auf unabhängige Verwertungseinrichtungen im Sinne der Richtlinie 2014/26 anwendbar ist.

–       Auswirkungen der Richtlinie 2006/123

75.      Ebenso wie nach Art. 3 der Richtlinie 2000/31 dürfen die Mitgliedstaaten nach Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 2006/123 die Dienstleistungsfreiheit von Dienstleistungserbringern, die in anderen Mitgliedstaaten niedergelassen sind, nur durch Maßnahmen einschränken, die aus einem der vier in Art. 16 Abs. 1 Unterabs. 3 dieser Richtlinie genannten Gründe gerechtfertigt sind, nämlich aus Gründen der öffentlichen Ordnung, der öffentlichen Sicherheit, der öffentlichen Gesundheit oder des Schutzes der Umwelt. Die streitige Einschränkung kann jedoch durch keinen dieser Gründe gerechtfertigt werden(45).

76.      Im Übrigen führt Art. 16 Abs. 2 der Richtlinie 2006/123 die Anforderungen auf, die die Dienstleistungsfreiheit einschränken und absolut verboten sind. Art. 16 Abs. 2 Buchst. d dieser Richtlinie betrifft die „Anwendung bestimmter vertraglicher Vereinbarungen zur Regelung der Beziehungen zwischen dem Dienstleistungserbringer und dem Dienstleistungsempfänger, die eine selbstständige Tätigkeit des Dienstleistungserbringers verhindert oder beschränkt“. Nach Art. 3 Buchst. a der Richtlinie 2014/26 muss eine Organisation für die kollektive Rechtewahrnehmung aber zumindest eine der folgenden Voraussetzungen erfüllen, d. h. sie muss entweder im Eigentum ihrer Mitglieder stehen oder von ihren Mitgliedern beherrscht werden oder sie darf nicht auf Gewinnerzielung ausgerichtet sein. Indem es die Tätigkeit der Vermittlung im Bereich der Urheberrechte den Organisationen für die kollektive Rechtewahrnehmung vorbehält, verlangt das italienische Recht somit von den Anbietern entweder, dass sie mit den Rechtsinhabern, die ihre Dienste in Anspruch nehmen, bestimmte vertragliche Vereinbarungen eingehen, oder dass ihre Tätigkeit nicht auf Gewinnerzielung ausgerichtet ist. In beiden Fällen schränkt dies die unabhängige Erbringung von Dienstleistungen ein, indem es den Anbieter entweder von den Empfängern abhängig macht oder ihn daran hindert, seiner Tätigkeit auf wirtschaftlich rentable Weise nachzugehen. Ich bin der Ansicht, dass eine solche Anforderung eindeutig gegen Art. 16 Abs. 2 Buchst. d der Richtlinie 2006/123 verstößt.

77.      Die Richtlinie 2006/123 betrifft gemäß ihrem Art. 1 Abs. 2 nicht die Liberalisierung von Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse. In der mündlichen Verhandlung ist von der italienischen Regierung indes geltend gemacht worden, dass die von Organisationen für die kollektive Rechtewahrnehmung erbrachten Dienstleistungen einen solchen Charakter hätten. Diese Bestimmung nimmt jedoch Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse nicht vom Anwendungsbereich dieser Richtlinie aus(46). Im Übrigen besteht die streitige Einschränkung nicht in der Zuweisung eines Auftrags von allgemeinem Interesse an eine spezielle Organisation(47), sondern darin, eine bestimmte wirtschaftliche Tätigkeit, nämlich die Vermittlung im Bereich der Urheberrechte, einer Kategorie von Wirtschaftsteilnehmern vorzubehalten, nämlich den Organisationen für die kollektive Rechtewahrnehmung.

78.      Zwar haben diese Organisationen auf der Grundlage der Vorschriften des italienischen Rechts und der Richtlinie 2014/26 bestimmte Verpflichtungen gegenüber den Rechtsinhabern, doch handelt es sich um Verpflichtungen, die nicht im Allgemeininteresse, sondern im Interesse dieser Rechtsinhaber auferlegt werden, die eine spezielle Berufsgruppe darstellen und nicht mit der Gesamtbevölkerung zusammenfallen. Diese Verpflichtungen können beispielsweise mit den Verpflichtungen einer Kapitalgesellschaft gegenüber ihren Anteilseignern verglichen werden. Sie stellen allerdings keinen Auftrag von allgemeinem Interesse dar(48). Im Gegensatz zur italienischen Regierung sehe ich hier daher einen deutlichen Unterschied zwischen der Rolle der Organisationen für die kollektive Wahrnehmung von Urheberrechten und den gemäß Art. 17 Nr. 1 der Richtlinie 2006/123 vom Anwendungsbereich ihres Art. 16 ausgeschlossenen Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse, wie beispielsweise der Postdienste, der Verteilung von Elektrizität, Gas und Wasser oder der Abfallbewirtschaftung(49).

79.      Was schließlich Art. 1 Abs. 3 der Richtlinie 2006/123 anbelangt, wonach diese Richtlinie nicht die Abschaffung von Dienstleistungsmonopolen betrifft, so bezweifle ich angesichts ihres rätselhaften und abstrakten Charakters, dass diese Bestimmung irgendeinen eigenständigen normativen Wert hat. Jedenfalls scheint man mir hier allerdings nicht von einem Monopol sprechen zu können.

80.      Zum einen hat die Richtlinie 2014/26 dadurch, dass sie den Rechtsinhabern eine breite Wahlmöglichkeit hinsichtlich der Art, wie sie ihre Rechte wahrnehmen wollen, eingeräumt hat, die sowohl die Wahl einer Organisation für die kollektive Rechtewahrnehmung eines anderen Mitgliedstaats als auch den Rückgriff auf die individuelle Rechtewahrnehmung umfasst, die Monopolstellung der Organisationen für die kollektive Rechtewahrnehmung in diesem Teil ihrer Tätigkeit stark eingeschränkt.

81.      Zum anderen hat das italienische Recht dadurch, dass es die Gründung von Organisationen für die kollektive Rechtewahrnehmung wie der LEA, die mit der SIAE in Wettbewerb stehen, akzeptiert hat und die unmittelbare Ausübung der Vermittlungstätigkeit durch Organisationen für die kollektive Rechtewahrnehmung anderer Mitgliedstaaten auf dem italienischen Markt zulässt, selbst die Exklusivität der SIAE aufgehoben, die nunmehr weder de iure noch de facto eine Monopolstellung innehat.

82.      Art. 1 Abs. 2 und 3 der Richtlinie 2006/123 steht daher meiner Meinung nach der Anwendung der Vorschriften dieser Richtlinie, einschließlich der ihres Art. 16, auf die Tätigkeit der Wahrnehmung von Urheberrechten durch unabhängige Vermittlungseinrichtungen nicht entgegen.

83.      Sollte das vorlegende Gericht feststellen, dass die Richtlinie 2000/31 auf die Tätigkeit von Jamendo nicht anwendbar ist, ist Art. 16 Abs. 1 und 2 Buchst. d der Richtlinie 2006/123 meiner Ansicht nach daher dahin auszulegen, dass er Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats entgegensteht, die die Tätigkeit der Wahrnehmung von Urheberrechten den Organisationen für die kollektive Rechtewahrnehmung vorbehalten und die unabhängigen, in anderen Mitgliedstaaten niedergelassenen Vermittlungseinrichtungen ausschließen.

 Art. 56 AEUV

84.      Die Auslegung der Richtlinien 2000/31 und 2006/123 müsste in Anbetracht des Unionsrechts für die Entscheidung des beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreits ausreichen. Nach ständiger Rechtsprechung sind nationale Regelungen in einem Bereich, der auf Unionsebene abschließend harmonisiert wurde, nämlich nicht im Licht des Primärrechts, sondern im Licht dieser Harmonisierungsmaßnahme zu beurteilen(50). Für den Fall, dass der Gerichtshof jedoch meine Analyse der Anwendbarkeit der Richtlinie 2006/123 nicht teilen sollte, werde ich die Situation in der vorliegenden Rechtssache, hilfsweise, kurz unter dem Blickwinkel von Art. 56 AEUV prüfen(51).

85.      Der Gerichtshof war in der Rechtssache, in der das Urteil OSA ergangen ist, bereits mit einer ähnlichen Situation wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden befasst. Er ist in diesem Urteil zunächst zu dem Ergebnis gekommen, dass das Unterbinden der grenzüberschreitenden Erbringung von Dienstleistungen der Wahrnehmung von Urheberrechten aufgrund eines in diesem Bereich bestehenden Monopols einer nationalen Organisation für die kollektive Rechtewahrnehmung eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs darstelle, die durch einen der zwingenden Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt sein müsse, zu denen der Schutz der Rechte des geistigen Eigentums gehöre(52).

86.      Der Gerichtshof ist sodann davon ausgegangen, dass sich das einer Organisation für die kollektive Rechtewahrnehmung für die Wahrnehmung der Urheberrechte in Bezug auf eine bestimmte Kategorie geschützter Werke eingeräumte Monopol in Verbindung mit einem System von Vereinbarungen mit entsprechenden ausländischen Organisationen über die gegenseitige Vertretung in den Rahmen eines territorial aufgeteilten Schutzes der Urheberrechte einfüge und für die Erreichung des verfolgten Ziels geeignet und verhältnismäßig sei(53).

87.      Er hat insbesondere festgestellt, dass es keine andere Methode gebe, mit der die Urheberrechte so wirksam geschützt werden können, und dass es zu erheblichen Problemen bei der Kontrolle der Nutzung der Rechte und der Verteilung der Gebühren führen würde, wenn es Nutzern erlaubt wäre, die Erlaubnis zur Verwertung von Werken bei einer beliebigen Organisation für die kollektive Rechtewahrnehmung für ein beliebiges Gebiet zu erwirken(54). Da er sich bewusst war, dass eine Änderung der rechtlichen Rahmenbedingungen für die Wahrnehmung von Urheberrechten unmittelbar bevorstand(55), hat der Gerichtshof auf die Aussage Wert gelegt, dass sich seine Analyse auf den „gegenwärtigen Stand des Unionsrechts“ bezog(56).

88.      Die Lehren aus dem Urteil OSA zu diesem Punkt scheinen mir jedoch für die Entscheidung der vorliegenden Rechtssache wenig nützlich zu sein. Im vorliegenden Fall handelt es sich nämlich nicht um das Recht eines Nutzers, sich an eine Organisation für die kollektive Rechtewahrnehmung eines anderen Mitgliedstaats zu wenden, um die Erlaubnis zur Verwertung von Werken zu erwirken, deren Rechte von einer nationalen Organisation wahrgenommen werden, wie dies in der Rechtssache der Fall war, in der das Urteil OSA ergangen ist, sondern um das Recht einer unabhängigen Verwertungseinrichtung, Rechte wahrzunehmen, mit deren Wahrnehmung keine andere, sei es im nationalen Hoheitsgebiet, sei es anderswo niedergelassenen Organisation für die kollektive Rechtewahrnehmung betraut ist.

89.      Wie ich bereits in dem der Richtlinie 2006/123 gewidmeten Teil der vorliegenden Schlussanträge ausgeführt habe, besteht sowohl aufgrund der Richtlinie 2014/26 als auch aufgrund der Liberalisierung des italienischen Rechts in diesem Bereich in Italien kein Monopol mehr, das dem Monopol entsprechen würde, das vom Gerichtshof in der Rechtssache, in der das Urteil OSA ergangen ist, geprüft worden ist, da die Vermittlung im Bereich der Urheberrechte von verschiedenen, nationalen oder in anderen Mitgliedstaaten niedergelassenen Organisationen der kollektiven Rechtewahrnehmung ausgeübt werden kann. Nur die unabhängigen Verwertungseinrichtungen sind von der Aufnahme dieser Tätigkeit ausgeschlossen. Unter diesen Umständen kann eine solche Ungleichbehandlung nicht mit den vom Gerichtshof im Urteil OSA ins Treffen geführten Argumenten gerechtfertigt werden.

90.      Die italienische Regierung beruft sich zur Rechtfertigung auf den besonderen Charakter der Organisationen für die kollektive Rechtewahrnehmung, die von ihren Mitgliedern beherrscht würden und nicht auf Gewinnerzielung ausgerichtet seien, auf die Verpflichtungen, die sie gegenüber den Rechtsinhabern hätten, sowie auf die Vorteile einer zentralen Wahrnehmung von Urheberrechten für in der Öffentlichkeit weniger beliebte Repertoires und damit für die Entwicklung der Kultur.

91.      Es ist jedoch zunächst darauf hinzuweisen, dass nach Art. 2 Abs. 4 der Richtlinie 2014/26 viele der Verpflichtungen der Organisationen für die kollektive Rechtewahrnehmung auch für die unabhängigen Verwertungseinrichtungen gelten. Hinsichtlich der Garantien für die Rechtsinhaber befinden sich diese Einrichtungen somit in einer Lage, die mit der der Organisationen für die kollektive Rechtewahrnehmung vergleichbar ist.

92.      Sodann trifft es sicherlich zu, dass die Zugehörigkeit zu einer bedeutenden Organisation für die kollektive Rechtewahrnehmung mit ihrem Netz von Vereinbarungen über die gegenseitige Vertretung zahlreichen Künstlern zugutekommen und eine weite Verbreitung ihrer Werke fördern kann. Dies gilt jedoch nicht immer für alle(57), und unter den gegenwärtigen Marktbedingungen können sich einige zumindest vorübergehend mit begrenzten Diensten der Rechtewahrnehmung, wie sie von Jamendo angeboten werden, begnügen. Mir scheint, dass die Inhaber von Urheberrechten hinreichend informiert sind, um eigenständig zu entscheiden, wie ihre Interessen am wirksamsten zu schützen sind. Der Schutz dieser Rechte als zwingender Grund des Allgemeininteresses kann keine Hindernisse rechtfertigen, die die Verwirklichung dieses Schutzes in der nach Ansicht der Betroffenen selbst am besten geeigneten Art und Weise verhindern.

93.      Ich bin daher der Ansicht, dass der Ausschluss der unabhängigen Verwertungseinrichtungen von der Tätigkeit der Vermittlung im Bereich der Urheberrechte, wie er im italienischen Recht vorgesehen ist, nicht gemäß Art. 56 AEUV gerechtfertigt ist.

 Ergebnis

94.      Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, die Vorlagefrage des Tribunale ordinario di Roma (Ordentliches Gericht von Rom, Italien) wie folgt zu beantworten:

Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt und Art. 16 Abs. 1 und Abs. 2 Buchst. d der Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt

sind dahin auszulegen,

dass sie Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats entgegenstehen, die die Tätigkeit der Wahrnehmung von Urheberrechten den Organisationen für die kollektive Rechtewahrnehmung vorbehalten und die unabhängigen, in anderen Mitgliedstaaten niedergelassenen Verwertungseinrichtungen ausschließen.



























































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